Vision Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Jahren intensiv mit dem landwirtschaftlichen Pestizideinsatz befasst. Daraus sind der Pestizid-Reduktionsplan Schweiz und weitere Studien hervorgegangen. Sie zeigen, dass der Pestizideinsatz in der Schweiz stark reduziert werden kann und dass längerfristig eine Landwirtschaft ohne Pestizide möglich und nötig ist. Der weitgehende Verzicht auf Pestizide kann zukünftig der Schweizer Landwirtschaft zu wichtigen Marktvorteilen verhelfen.
Die Schweiz gehört zu den Ländern mit einem besonders hohen Pestizideinsatz. Ein grosser Teil dieses Gifteinsatzes ist nicht notwendig. Bis 2020 könnte er mit gut umsetzbaren Massnahmen um über 50% reduziert werden. Dies zeigt der Pestizid-Reduktionsplan Schweiz, den Vision Landwirtschaft im Mai 2016 publiziert hat.
Doch längerfristig braucht es einen Paradigmenwechsel. Eine Nahrungsmittelproduktion, die abhängig ist von einem permanenten Einsatz von Giften, hat keine Zukunft. Eine giftfreie Landwirtschaft ist keine Utopie, sondern machbar. Auch dies zeigen Studien u.a. von Vision Landwirtschaft, vor allem aber auch viele Landwirtschaftsbetriebe, die längst ohne Pestizide auskommen. Für die Vision einer pestizidfreien Zukunft der Schweizer Landwirtschaft konnte Vision Landwirtschaft fast 30 Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit, Technik und Konsum gewinnen. Nun braucht es noch die tatkräftige Unterstützung der Politik und der Bundesverwaltung.
Die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft liegt in einer Qualitätsproduktion, welche sich vom Ausland absetzt - und dies nicht nur auf dem Papier, sondern mit handfesten Tatbeweisen. Eine pestizidfreie Produktion ist ein Alleinstellungsmerkmal, das für Mensch und Umwelt enormen Mehrwert bringt, das sich exzellent kommunizieren lässt und das sich viele KonsumentInnen wünschen. Kaum ein anderes Land hat so gute Voraussetzungen und so viele öffentliche Mittel, um eine solche Landwirtschaft zu realisieren wie die Schweiz. Es gibt also keinen Grund, noch länger mit einer engagierten Umsetzung zuzuwarten.
Die EU hat vor einem halben Jahr das Pestizid S-Metolachlor verboten, die Schweiz aber hat bis heute nicht nachgezogen. Die SRF Sendung «Kassensturz» zeigt auf: Das Trinkwasser von bis zu 100'000 Haushalten ist verschmutzt und müsste aufbereitet werden. Den Gebührenzahlenden drohen Millionenkosten. Unnötige Ausgaben, sagen Kritiker, weil der Bund früher und strenger hätte reagieren sollen.
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat kommuniziert, dass die Massnahmen für die Reduktion von Pestiziden erfolgreich seien, dies nach dem ersten Jahr der Anpassung der Produktionssystembeiträge. So haben Landwirtschaftsbetriebe 19 Prozent (53'000 ha) der Gesamtfläche an Ackerland, Rebflächen und Obstanlagen ohne den Einsatz von Herbiziden bewirtschaftet. Zudem verzichteten die Betriebe auf rund einem Viertel der gesamten Ackerfläche (102’000 ha) auf Fungizide und Insektizide (+10'000 ha gegenüber 2022).
Als Reaktion auf die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative hat das Parlament 2022 die parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» verabschiedet. Damit hatte das Parlament den Bundesrat beauftragt, die Risiken bei der Anwendung von Pestiziden bis 2027 um 50 Prozent zu reduzieren und die Nährstoffverluste angemessen zu senken.
Diese erste Auswertung zum Jahr 2023 zeigt auf, dass grundsätzlich eine gewissen Dynamik in die richtige Richtung da ist und die Landwirt:innen auch beweglich sind und auf so ein Programm positiv reagieren. Was aber die Bilanz schönt, ist die Anzahl Bio-Betriebe, die neu in der Statistik erfasst werden.
Für das laufende Jahr sieht IP Suisse, dass es einen Rückgang im Anbau von herbizidfreiem Weizen im IP-Suisse Programm gibt. Auch im Kartoffel-Programm gibt es Herausforderungen. Dies lässt eher darauf schliessen, dass die Produktionssystembeiträge keine langfristigen Veränderungen bewirken. Damit das Programm tatsächlich gut weitergeht, wird es auch noch Veränderungen am Markt brauchen, so dass die aufwendigeren Produktionen ohne Pestizide auch ökonomisch funktionieren.
In der gleichen Mitteilung hat das Bundesamt für Landwirtschaft kommuniziert, dass beim neuen Weidebeitrag die Beteiligung beinahe 50 Prozent über den Erwartungen lag. Über 10'000 Rindviehbetriebe (32 %) haben im letzten Jahr erstmals an diesem neuen Programm teilgenommen.
Für die neuen und weiterentwickelten Produktionssystembeiträge hat der Bund im vergangenen Jahr rund 260 Millionen Franken ausgerichtet, was etwa 10 Prozent des Kredits der Direktzahlungen entspricht. Diese Mittel wurden mittels Beitragssenkungen bei anderen Direktzahlungen vollständig kompensiert.
Das Parlament hat 2021 eine Mitteilungspflicht für Verkauf und Weitergabe, also den Handel, mit Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen (speziell Kraftfutter und Dünger) beschlossen. Gleichzeitig wurde eine Mitteilungspflicht für Anwender:innen, die professionell Pflanzenschutzmitteleinsetzen, beschlossen. Das betrifft die Landwirtschaft, Lohnunternehmungen sowie Betreibende von Infrastruktur und Grünanlagen aus Wirtschaft und öffentlicher Hand. Für die Erfassung aller von der Mitteilungspflicht geforderten Angaben hat das Bundesamt für Landwirtschaft BLW in enger Absprache mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern die digitale Webanwendung digiFLUX entwickelt. Eine mehrjährige Übergangsfrist mit vereinfachter Mitteilungspflicht soll die Einführung der digitalen Aufzeichnungen erleichtern. Vor Kurzem hat nun das BLW Verschiebungen im Zeitplan kommuniziert (https://digiflux.info/de/#aktuelles).
Nun formiert sich Widerstand gegen die Mitteilungspflicht als solches, der insbesondere aus dem Handel zu kommen scheint. Das erstaunt nicht, denn digiFLUX bringt endlich Transparenz in den Handel mit Pestiziden und Kunstdünger. Bis jetzt waren nur die Landwirtschaftsbetriebe verpflichtet, in verschiedenster Form Daten abzuliefern. Verständlich ist der Anspruch, dass digiFLUX keinen Mehraufwand für die Landwirt:innen mit sich bringen darf. Die Transparenz beim Handel verteilt nun jedoch die Verantwortung auf die ganze Kette. Das ist neu, aber auch sehr wichtig. Denn so übernehmen alle Akteure ihren Teil der Verantwortung.
digiFLUXist ein unverzichtbares Instrument für ein gesamtschweizerisch reibungsloses Funktionieren aller beteiligten Akteure. Zu diesen Akteuren gehören auch das BLW, BAFU und die Kantone, die die Daten für das Agrarmonitoring (AUM) und die Agrarumweltindikatoren (ZA-AUI) dringend benötigen, um eine wirksame Erfolgskontrolle umweltpolitischer Massnahmen sicherzustellen. Im Weiteren leistet digiFLUX einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung durch Erkennen von Gefahrenmustern und –ursachen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Im Austausch mit Landwirtinnen und Landwirten, die Pestizide ausbringen, kommt immer wieder die Diskussion auf, wie stark die Gesundheit der Anwender:innen beeinträchtigt wird.
Dazu gibt es in der Schweiz wenig Daten. In anderen Ländern sind gewisse Krankheiten, die durch Pestizide ausgelöst werden können, als Berufskrankheiten eingestuft. Indizien für die Gesundheitsgefährdung finden sich beim Lesen der «Wiederbetretungsfrist»: Fristen für das Wiederbetreten von Kulturen werden festgelegt, falls am Folgetag nach der Spritzung trotz Arbeitskleidung und Handschuhen keine sicheren Nachfolgearbeiten durchgeführt werden können. Während dieser Frist sind Laubarbeiten gänzlich verboten und es muss abgewartet werden, bis sich die Rückstände auf den Blättern soweit abgebaut haben, dass ein sicheres Betreten der Parzelle mit Arbeitskleidung und Handschuhen wieder möglich ist. Gemäss der Agridea ist dies nur bei Produkten mit Schutzniveau 3 nötig. Offensichtlich sind aber diese Produkte sehr toxisch, sonst wären solche Schutzmassnahmenfür die Anwender:innen nicht nötig. Weitere Hinweise gibt eine Studie desSECO. Sie zeigt, dass gewisse Gesundheitseffekte in der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Berufsgruppen häufiger vorkommen. So kommen bei Landwirten spezifische Krankheiten vor, von denen wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie mit der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zusammenhängen. In der Literatur finden sich Trends für zwei Arten von Krankheiten: Krebserkrankungen und Schäden des Nervengewebes.
In der Schweiz wird das auch in der Öffentlichkeit bisher sehr wenig diskutiert, im Fokus stehen jeweils die Auswirkungen der Pestizide auf die Konsument:innen oder die Umwelt. Im Kanton Zürich haben nun die Parlamentarier Benjamin Krähenmann (Grüne), Hans Egli (EDU) und Konrad Langhart (Mitte) eine Anfrage eingereicht. «Auch wenn internationale Studien in eine klare Richtung weisen, ist die Datenlage in der Schweiz noch sehr dünn», heisst es im Vorstoss. Somit kommt nun das Thema auch in der Politik zur Diskussion.
Eine erste Pestizidmonitoring-Studie mit Fokus auf die Konsument:innen wird aktuell von der Biologin Dr. Caroline Linhart geleitet und zusammen mit der Universität Neuenburg durchgeführt.
Mitte Dezember 2023 startete das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) die Vernehmlassung zu einer Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung (PSMV). Neu sollen Pflanzenschutzmittel (PSM), die in einem EU-Land bewilligt sind, grösstenteils prüfungslos in der Schweiz zugelassen werden. Nur schon in den Nachbarländern sind hunderte Pestizide mit 50 in der Schweiz nicht zugelassenen Wirkstoffen bewilligt. Darunter befinden sich mindestens 10 für Mensch und Natur sehr gefährliche Wirkstoffe. Es droht eine Katastrophe für Mensch und Natur.
Die Zulassung von Pflanzenschutzmitteln (PSM) ist in der Pflanzenschutzmittelverordnung von 2010 (PSMV)[1] geregelt. Heute muss jedes PSM in der Schweiz einer aufwändigen Umwelt- und Gesundheitsprüfung unterzogen werden, bevor es bewilligt wird. Die Akten umfassen oft Dutzende von Bundesordnern und es müssen rund 20 Themenkomplexe mit Schutzanforderungen untersucht werden. Das Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV) will nun die PSMV totalrevidieren[2]. Aus der 200-seitigen PSMV wird eine 100-seitige neue PSMV[3] mit Verweis auf 100 Seiten direkt anwendbares EU-Recht[4].
Zusammengefasst enthält die neue PSMV wenige Verbesserungen, viele gleiche Regeln und eine grosse Verschlechterung für den Schutz von Mensch und Natur: Die Umwelt -und Gesundheitsprüfung wird abgeschafft. An ihre Stelle tritt die sogenannt «vereinfachte Zulassung»von Pflanzenschutzmitteln aus EU-Ländern. Hierzu sollen[5]:
1. «Wirkstoffe, Safener und Synergisten, die in der EU genehmigt sind» – «vorbehältlich gewisser Ausnahmen - auch in der Schweiz als genehmigt gelten».
2. Für Pflanzenschutzmittel, die bereits in EU-Mitgliedstaaten zugelassen sind, unter «gewissen Voraussetzungen* eine vereinfachte Zulassung möglich sein.»
* gemeint sind: ähnliche agronomische, klimatische und umweltrelevante Bedingungen
Die vereinfachte Zulassung von PSM aus EU-Ländern wird geregelt in Art. 45 Abs. 1 neue PSMV[6]: Legt ein Gesuchsteller der Zulassungsstelle (BLV) die Bewilligung und Beurteilungsgrundlagen eines EU-Landes vor, muss diese das Pestizid auch in der Schweiz zulassen. Zwar bestünde noch ein schmaler Notausgang in Art. 45 Abs. 2 Bst. b, wonach «die Beurteilungsstellen trotzdem eine (ordentliche) Prüfung der eingereichten Unterlagen vornehmen, wenn davon ausgegangen werden muss, dass die Prüfung zu strengeren Einschränkungen bei der Verwendung des Pflanzenschutzmittels führen würde, als wenn die Beurteilung des betreffenden EU-Mitgliedstaats übernommen würde».
Es ist aber unrealistisch, dass die Behörden den Notausgang oft nutzen könnten, weil sie in jedem Einzelfall beweisen müssten, dass eine ordentliche Prüfung nötig ist. Je mehr sie sich darauf beriefen, wären sie dem Druck der Agrarlobby ausgesetzt, dies zu unterlassen. Da zudem mit einer Flut neuer Gesuche zu rechnen ist, fehlte ihnen dafür auch die Kapazität.
Motiv für die vereinfachte Zulassung
Nach dem Erläuterungsbericht soll mit der vereinfachten Zulassung auf eine von den zuständigen Kommissionen unterstützte Parlamentarische Initiative (22.441[7]) sowie Motion (21.4164[8]) zur «vereinfachten Zulassung von PSM reagiert werden. Über einen weiteren Hauptgrund für die «vereinfachte Zulassung» schweigt sich der Erläuterungsbericht aber aus: Über die letzten zehn Jahre hat sich in der Bundesverwaltung ein Berg von über 800 Bewilligungsgesuchen für neue Pflanzenschutzmittel aufgetürmt, weil das Parlament eine Aufstockung der Personalressourcen, welche für eine raschere Umwelt- und Gesundheitsprüfung nötig ist, ständig verweigerte. Nach den Übergangsbestimmungen der neuen PSMV soll auf hängige Gesuche zwar das bisherige Recht Anwendung finden. Allerdings können die Gesuchsteller für ihre 800 Gesuche Anträge für eine «vereinfachte Zulassung» stellen. Damit könnte das BLV jedes der 800 hängigen Gesuche ohne relevante Umwelt- und Gesundheitsprüfung mit einem Federstrich erledigen. So liesse sich der Dossier-Stapel rascher abbauen.
Offensichtlich kein Motiv für die Neuerung bildete das Anliegen des Umweltschutzgesetzes, den Schutz von Mensch und Umwelt zu verbessern.
Was geschieht, wenn die vereinfachte Zulassung kommt?
Die vereinfachte Zulassung soll in der Schweiz möglich sein bei Pestiziden, die in Ländern mit «vergleichbaren agronomischen, klimatischen und umweltrelevanten Bedingungen» zugelassen sind (Art. 45 neue PSMV). Würden solche Bedingungen etwa bei den Nachbarländern (Deutschland, Frankreich, Italien und Österreich) angenommen, drohte in der Schweiz über kurz oder lang die Neuzulassung von Pestiziden mit rund 50 problematischen Wirkstoffen, die bislang nur in diesen Nachbarländern zulässig sind (Anhang).
Die Anzahl der Problempestizide in der Schweiz (ca. 1/2 der rund 300 zugelassenen Wirkstoffe) würde dadurch um rund 30 Prozent erhöht. Unter den 50 problematischen Wirkstoffen sind mindestens 10 für Mensch und Natur sehr gefährliche Pestizide (Tabelle 1).
Tabelle 1: Wirkstoffe mit besonderer Gefahr in D, F, I & AT. Die Zulassung von Wirkstoffen auf EU-Ebene bedeutet, dass ein EU-Land Pflanzenschutzmittel (PSM) mit den betreffenden Wirkstoffen zulassen kann, aber nicht muss.
Zum Beispiel Pyriproxyfen:
Dieses Insektizid weist eine reproduktive Toxizität bei Mäusen und damit wohl auch beim Mensch auf. Zudem wirkt es als endokriner Disruptor bei Insekten und Spinnen (Förderung Insektensterben). Weiter zeichnet es sich durch eine hohe aquatische Toxizität aus und es besteht die Gefahr von Bioakkumulation.
…oder 2,4-DB:
Dieses Herbizid wirkt reproduktionstoxisch für Säugetiere und wohl auch für den Mensch. Es wurde mit Infertilität beim Mann in Verbindung gebracht und kann Krebs auslösen. Weiter ist es ein endokriner Disruptor und vergrössert das Risiko für die Parkinson-Krankheit.
Sollten die EU-Länder in Mitteleuropa, also Ungarn (77)*, Bulgarien (72)*, Rumänien (63)*, Slowakei (49)*, Belgien (18)*, Niederlande (8)* usw., als Länder mit ähnlichen Bedingungen wie in der Schweiz gelten, dürften noch weit mehr Problempestizide in der Schweiz prüfungslos zugelassen werden.
* (in Klammern): Korruptionsindex gemäss Transparency International; Schweiz (7)[41]
Weitreichende negative Folgen für Mensch und Natur
Würde das «vereinfachte Zulassungsverfahren» eingeführt, könnten Produkte mit mindestens 50 neuen problematischen Wirkstoffen ohne nähere Prüfung in der Schweiz an LandwirtInnen verkauft und von diesen in die Umwelt ausgebracht werden. Ausser dem engeren Berggebiet wäre die ganze Schweiz betroffen. Eine unbekannte Zahl der Wirkstoffe verstärkte sich gegenseitig (Cocktailwirkung)[42]. Bereits jetzt haben wir eine starke Belastung unserer Böden[43] und des Grund- und Trinkwassers[44] durch Pestizide und ihre Metaboliten. Die Zulassung von Dutzenden weiteren hochgiftigen Wirkstoffen erschwerte die Beurteilung der Cocktailwirkungen gegenüber heute noch mehr.
Stark umwelt- und gesundheitsschädliche Pestizide sind oft besonders wirksam gegen Schadorganismen. Weil sich diese besonders gut verkaufen lassen, würden die Gesuchsteller vor allem solche Pestizide in der Schweiz zur Zulassung beantragen. In der Schweiz würde ein «Race to the Bottom» eingeleitet, zu Lasten der Biodiversität (Insektensterben, Vogelsterben) und menschlichen Gesundheit.
Im Vergleich zu allen 27 EU-Ländern kämen mit dieser Totalrevision in der Schweiz mit nur 1/100 der Fläche der EU weitaus am meisten problematische Wirkstoffe und Pflanzenschutzmittel auf den Markt, gelangten in die Umwelt und als Rückstände auf Lebensmittel und in das Trinkwasser. Die Situation würde damit in der Schweiz schlimmer als in der gesamten EU, wo jedes Land nur eine Auswahl an Pestiziden zulässt.
Zudem würde die heute schon schwierige Übersicht (derzeit 3'500 Pflanzenschutzmittel mit 300 Wirkstoffen) für die Behörden weiter erschwert und der Vollzugsaufwand erhöht. Sodann könnte das Einsickern von Metaboliten dieser Pestizide ins Grundwasser weitere Fälle des Typs «Chlorothalonil» auslösen, was bereits zur Aufgabe einer Vielzahl von Trinkwasserfassungen und zu Millionenschäden für die Wasserversorger geführt hat.
Das mehr oder minder prüfungslose Zulassen von bisher in der Schweiz nicht bewilligten EU-Pestiziden würde zwangsläufig den Schutz der durch solche Pestizide gefährdeten Tiere, aquatischen Pilze und Pflanzen in der Schweiz verschlechtern. Und nicht nur das: Auch beim Schutz der Menschen vor schädlichen Pestiziden (Stichworte: Trinkwasser, Gefährdung Anwender) führt diese Totalrevision auf eine Geisterfahrt mit Horrorpotential. In Frankreich etwa ist Morbus Parkinson (ein Leiden, bei dem die Nervenzellen im Mittelhirn fortschreitend absterben[45]) als Berufskrankheit der LandwirtInnen anerkannt[46].
Wenn die «vereinfachte Zulassung» durchkommt, könnte die Schweiz das Land in Europa mit den meisten verschiedenen Problempestiziden werden, nebst den fast höchsten Agrarsubventionen auf der ganzen Welt[47]. Damit wird keine moderne Landwirtschaft motiviert und die Schweiz würde zum Königreich der Pestizide.
Eine moderne Landwirtschaft könnte hingegen gefördert werden, wenn aus den 800 hängigen PSM-Dossiers jene prioritär behandelt werden, die Wirkstoffe mit geringem Risiko betreffen. Die anderen dürfen gerne auf der langen Bank bleiben.
Insgesamt würde die geplante Totalrevision nicht nur keine Verbesserung der Pestizidbelastung für Mensch und Natur in der Schweiz bewirken, sondern eine Verschlechterung. Kurz gesagt: Die neue Vorlage ist ein Entwurf ohne Ambitionen für einen besseren Schutz von Mensch und Natur, was man bei der Totalrevision einer umweltrelevanten Gesetzgebung doch eigentlich erwarten dürfte.
Weitere Probleme:
Die Totalrevision hat weitere Mängel:
So gäbe es weiterhin keine Prüfung der Auswirkungen von PSM auf Amphibien, aquatische Pilze, Wildbienen und andere Bestäuberinsekten. Nach Artikel 10 neue PSMV könnten in der Schweiz sogar Wirkstoffe genehmigt werden, die in der EU nicht zugelassen sind. Dies birgt erhebliche Gefahren. Zum Beispiel könnten die für Bestäuberinsekten extrem giftigen Neonicotinoide erneut bewilligt werden, wenn sich das BLV dem Druck der Agrarlobby beugt.
Anhang
Tabelle 2: Wirkstoffe für Pflanzenschutzmittel, die in Nachbarländern der Schweiz zugelassen, in der Schweiz aber nicht erlaubt sind. (grün = erlaubt / weiss = nicht erlaubt)
* Die Zulassung von Wirkstoffen auf EU-Ebene ("EU-Wirkstoffe") bedeutet, dass ein EU-Land Pflanzenschutzmittel (PSM) mit den betreffenden Wirkstoffen zulassen kann, aber nicht muss. Kein EU-Land hat PSM mit allen "EU-Wirkstoffen" zugelassen, was auch die obige Tabelle zeigt.
[4] Etwa der Pflanzenschutzmittelverordnung der Europäischen Union von 2009 (EU-PSMV): https://eur-lex.europa.eu/legal-content/EN/TXT/?uri=CELEX%3A02009R1107-20221121
[5] Erläuternder Bericht des Bundesamts für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen zur Totalrevision PSMV, S. 2, siehe: https://www.fedlex.admin.ch/filestore/fedlex.data.admin.ch/eli/dl/proj/2023/92/cons_1/doc_6/de/pdf-a/fedlex-data-admin-ch-eli-dl-proj-2023-92-cons_1-doc_6-de-pdf-a.pdf
[40]https://www.greenpeace.ch/static/planet4-switzerland-stateless/2019/05/361a91b6-361a91b6- 2010_schwarze_liste_der_pestizide.pdf sowie https://jamanetwork.com/journals/jamaneurology/fullarticle/797977
Nur ein kleiner Teil der ausgebrachten Pestizide bleibt dort, wo sie sollten. Ein Teil der Gifte verdunstet und wird über die Luft weit in die Umgebung hinaus verfrachtet - auch in Biotope von nationaler Bedeutung, wie Messungen einer neuen Studie zeigen. In der Hälfte der untersuchten Biotope wurden die Pestizidgrenzwerte bis zu 25fach überschritten. Dabei fanden sich im Pestidzidcocktail bis zu 29 giftige Wirkstoffe oder deren unkontrolierbaren und gefährlichen Abbauprodukte gleichzeitig.
Am häufigsten waren Grenzwertüberschreitungen von besonders giftigen Insektiziden, allen voran das hochgiftige Cypermethrin, das gegen Insekten im Kartoffel-, Rüben-, Raps-, Gemüse- oder Obstanbau eingesetzt wird. Die meisten der stark belasteten Biotope sind wichtige Laichgebiete für Amphibien, von denen 70% in der Schweiz gefährdet oder vom Aussterben bedroht sind.
Das News-Magazin «10 vor 10» berichtet über die Erfolgsgeschichte von Hofläden in den Städten. Vision Landwirtschaft hat im Praxisprojekt «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» einen wichtigen Grundstein für diese Erfolgsgeschichte gelegt.
Anfang 2021 gründeten überzeugte und engagierte Bauern mit Unterstützung von Vision Landwirtschaft die Firma NatuRegio AG. Diese verfolgt das Ziel, ressourcenschonend produzierende Produzenten und nachhaltige, regional produzierte Nahrungsmittel unter dem neu geschaffenen Vertriebskanal «Holabox» zu bündeln und zu vermarkten. Auch den im Bericht erwähnten Pionierbetrieb der Familie Stucki hat Vision Landwirtschaft im Mai 2020 in einem Newsletter porträtiert.
Mit dem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, der Verabschiedung der parlamentarischen Initiative 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» und anderen laufenden Aktivitäten sind wichtige Massnahmen, zur Klärung «Verhältnis Umweltschutz – Landwirtschaft» als Antwort auf die Agrarinitiativen eingeleitet worden. Es besteht in der Umsetzung aber weiterhin ein grosser Klärungs- und Handlungsbedarf, um unerwünschte Nebenwirkungen des Pestizideinsatzes zu reduzieren. Nötig sind weitere Massnahmen, die das Zulassungssystem verbessern, vermehrte Massnahmen an der Quelle sowie eine Verhaltensänderung der Konsument*inne bewirken.
Der Beitrag von Dr. Hans Maurer, Chemiker & Rechtsanwalt, Zürich behandelt das Thema der Schädigung der Natur und Artenvielfalt durch Pflanzenschutzmittel und zeigt auf, wo Verbesserungsmöglichkeiten bestehen.
In der Schweiz gibt es bisher noch keine fachbereichsübergreifende, unabhängige Organisation, die sich kritisch mit dem Thema Pestizide umfassend beschäftigt und der breiten Öffentlichkeit und interessierten Kreisen relevante Informationen und Dienstleistungen über Pestizide und alternative Pflanzenschutzstrategien zur Verfügung stellt. Diese Lücke gilt es zu schliessen. Das von Vision Landwirtschaft erarbeitete Konzept stellt dazu einen Vorschlag für eine unabhängige Plattform Pestizide zur Diskussion.
Das Etablieren einer Plattform Pestizide kann politische Entscheidungsprozesse und öffentliche Debatten befruchten und den Übergang zu einer auf agrarökologischen Prinzipien basierenden Landnutzung beschleunigen. Die Gründung der hier vorgeschlagenen Plattform erfordert aber ein Commitment und ein finanzielles Engagement von allen Partnerinstitutionen und Interessengruppen, die an der Bewältigung der vielschichtigen Herausforderungen im Zusammenhang mit Pestiziden und alternativen Pflanzenschutzstrategien interessiert sind.
Ziel der Plattform ist es, eine Koordinationsstelle zwischen Wissenschaft, NGOs, der landwirtschaftlichen Praxis sowie den Behörden und der Politik zu etablieren. Diese soll Fakten zu den vielschichtigen Aspekten von Pestiziden recherchieren, in Zusammenarbeit mit bestehenden Institutionen Fachinformationen aufarbeiten und entsprechendes Wissen der Öffentlichkeit zugänglich machen. Die Plattform bildet eine unabhängige Auskunft- und Informationsstelle und bietet interessierten Akteuren Dienstleistungen zu relevanten Themenfeldern an. In diesem Konzeptbericht stellen wir bedeutsame Themenfelder vor, bei denen aus unserer Sicht Handlungsbedarf besteht.
Vielerorts in Europa bereits verboten, im Wallis immer noch erlaubt: Mit Helikoptern werden Jahr für Jahr tausende Liter chemische Pestizide über die Weinreben versprüht. Das Problem ist, dass von den giftigen Pflanzenschutzmitteln nur ein kleiner Teil auf die Rebe gelangt, der grösste Teil wird vom Wind verweht, gelangt auf Hecken, Bäume, Boden, Häuser und in Gewässer. Experten für ökologische Landwirtschaft warnen seit Jahren vor den schädlichen Auswirkungen auf Menschen, Tiere und die Umwelt. In der Reportage von Delinat erklären Michael Eyer (Biologe bei Vision Landwirtschaft), Eva Wyss (Landwirtschaftsexpertin bei WWF Schweiz), Alexandra Gavilano (Umweltwissenschaftlerin bei Greenpeace Schweiz) und der biodynamische Winzer Reto Müller, welche Probleme Helikopter-Sprühflüge mit sich bringen und wie der Weinbau in der Schweiz ökologischer werden könnte.
Die Europäische Kommission wird den Einsatz des insektiziden Wirkstoffs Sulfoxaflor im Freiland verbieten. Diese Entscheidung stützt sich auf mehrere kürzlich veröffentlichte wissenschaftliche Studien, in denen verschiedene negative Auswirkungen von Sulfoxaflor-Insektiziden auf Hummeln und Bienen festgestellt wurden.
«Schädliche chemische Pestizide werden entweder verboten oder ihre Verwendung wird eingeschränkt», erklärte EU-Gesundheitskommissarin Dr. Stella Kyriakides. Wissenschaftliche Schlussfolgerungen der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) zeigten, dass die Verwendung von Sulfoxaflor im Freien für Hummeln und Solitärbienen schädlich sein könne.
Sulfoxaflor ist ein Wirkstoff, der - ähnlich wie die für die Freilandanwendung verbotene Wirkstoffgruppe der Neonikotinoide - bestimmte Rezeptoren (nikotinische Acetylcholinrezeptoren; nAChR) der Nervenenzellen von Insekten blockiert und so die Weiterleitung von Nervenreizen stört.
Der Bienenforscher Dr. Michael Eyer, begrüsst diesen EU-Entscheid und hat eine Stellungnahme zur bestäuberschädigenden Wirkung von Sulfoxaflor verfasst. In der Schweiz ist der Wirkstoff Sulfoxaflor gemäss PSMV, Anhang 1, nach wie vor erlaubt, es sind jedoch bis jetzt keine Sulfoxaflor-Produkte zugelassen.
In einer ausgezeichneten Sendung zeigt «SRF Dok» die Gesundheitsprobleme auf, die im Zusammenhang mit der Pesitzidanwendung entstehen. Bäuerinnen und Bauern sind den Pestiziden besonders stark ausgesetzt, aber der Bund hat es nicht eilig, die Bevölkerung vor gesundheitsschädlichen Pestiziden zu schützen. Noch immer werden die Zulassungsdossiers mit den nötigen Angaben von den Bundesbehörden wie ein Staatsgeheimnis gehütet. Wie lange noch?
Wir alle sind Teil eines riesigen Experiments, denn Pestizide finden sich mittlerweile überall - in der Luft, im Wasser, in der Natur, in unserem Essen und sogar im Urin – überall lassen sich Spuren von Pestiziden aus der Landwirtschaft nachweisen. Pestizide bedrohen die Artenvielfalt und was die Substanzen in unserem Körper bewirken, ist noch weitgehend unerforscht. Das uns die Gifte guttun ist aber eher unwahrscheinlich. Bei Insekten und Vögeln ist es längst kein Experiment mehr. Pestizide aus der Landwirtschaft setzen nämlich der Natur derart zu, dass das Ökosystem aus dem Gleichgewicht fällt. Der von der Heinrich-Böll-Stiftung und Public Eye gemeinsam herausgegebene Schweizer Pestizidatlas zeigt Fakten und Trends auf und Experten erklären das Milliardengeschäft mit Pestiziden sowie die Folgen und Konsequenzen.
Das Projekt «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» mit dem Ziel, in der Schweiz völlig auf Pestizide zu verzichten, wuchs aus dem im Mai 2016 von Vision Landwirtschaft veröffentlichten «Pestizid-Reduktionsplan Schweiz» heraus. Vision Landwirtschaft stand damals mit diesem Ziel noch weitgehend alleine da. Selbst bei vielen Partnerorganisationen galt ein Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft eher als Utopie denn als eine realisierbare Vision. Die Meinung, dass Pestizide als letztlich unabdingbarer Kompromiss einer modernen Nahrungsmittelproduktion nötig sind, war bis in Umweltkreise hinein tief verankert. So richteten sie ihre Bemühungen lediglich auf Optimierung und Reduktion beim Pestizideinsatz.
Ein kurzer Blick zurück hilft den mitgestalteten grundlegenden Wandel aufzuzeigen: Ende 2016 lancierte Vision Landwirtschaft die Idee für ein Projekt «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» mit dem Ziel, in der Schweiz völlig auf Pestizide zu verzichten. Die Erarbeitung des Projektbeschriebs «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» erfolgte nahtlos an den Pestizid-Reduktionsplan und nahm bereits vorhandene Umsetzungsideen auf, die nicht in den Reduktionsplan gepasst hätten. Ein weiterer Anstoss für das Projekt war der unbefriedigende Aktionsplan PSM des Bundes, der nur wenige Wochen nach der Publikation des Pestizid-Reduktionsplanes veröffentlicht wurde. Mit fundierten Analysen sollte im Rahmen des Projekts aufgezeigt werden, dass – entgegen der Annahme des Aktionsplans – eine weitgehend pestizidfreie Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz in wenigen Jahren möglich ist.
Heute, nach Abschluss des Projektes «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft», bekennen sich breite Kreise zur Notwendigkeit eines Ausstiegs aus dem bisher praktizierten Pestizideinsatz zur Nahrungsmittelproduktion. Ein wichtiger Schritt zur allgemeinen Akzeptanz des Ausstiegs war die Zustimmung der Agrarallianz Ende 2019 zu einem von Vision Landwirtschaft und WWF verfassten Positionspapier. Dieses Papier basiert auf dem Pestizid-Reduktionsplan von Vision Landwirtschaft und legt den Ausstieg als Ziel fest. Für die Agrarallianz, welche aufgrund ihrer breit aufgestellten Zusammensetzung bis hinein in landwirtschaftliche Kreise in der Regel vor grundlegenden agrarpolitischen Forderungen zurückschreckt, war dies geradezu revolutionär und setzte ein wichtiges Zeichen nach innen und aussen.
Viel zum Umschwung beigetragen haben die im Rahmen des Projektes publizierten umfangreichen Recherchen und Datenerhebungen. Sie zeigten, dass selbst die Schweiz – ein Land mit grundsätzlich funktionierendem Rechtssystem, rechtsstaatlichem Vollzug und strengen Umweltschutzgesetzen – weit davon entfernt ist, den Pestizideinsatz auch nur ansatzweise unter Kontrolle zu haben. Die gravierenden Befunde überraschten selbst viele Fachleute und Branchenvertreter. Gleichzeitig porträtierte das Projekt immer wieder ProduzentInnen, die erfolgreich auf Pestizide verzichten beziehungsweise vermittelte diese Personen für Hintergrundberichte in den Tagesmedien. Durch das wiederholte Aufzeigen von «ja, es geht auch ohne Pestizide» wuchs bei den zielverwandten Organisationen das Vertrauen in diesen vorher zu extrem empfundenen Weg.
Nicht zuletzt war der Stimmungswandel wesentlich der Lancierung der beiden Agrarinitiativen zu verdanken, vor allem der Trinkwasserinitiative (TWI). Das Projektteam des Projektes «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» hat das Initiativkomitee der TWI von Beginn an fachlich, konzeptionell und medial intensiv unterstützt. Die TWI wie auch die Pestizidinitiative trugen wesentlich dazu bei, dass der grossflächige landwirtschaftliche Pestizideinsatz und die damit verbundenen massiven Schäden zu einem medialen Dauerthema wurden. Gleichzeitig haben die beiden Agrarinitiativen stark mitgeholfen, auf vielen landwirtschaftlichen Betrieben einen Bewusstseinswandel auszulösen. Mit unzähligen praktischen Massnahmen, die im Rahmen des vorliegenden Projektes regelmässig aufgearbeitet und kommuniziert wurden, versuchten etliche Betriebe seither vom Pestizideinsatz wegzukommen oder diesen zu reduzieren. Dieser ansonsten wenig kommunizierte, hoffnungsvolle Prozess stand in auffallendem Kontrast zur Kommunikation der grossen landwirtschaftlichen Verbände und der mit diesen eng zusammenarbeitenden Agroindustrie, die bis heute den Pestizideinsatz als unumgänglich darzustellen versuchen. Die Agrarlobby argumentiert, dass ein Verzicht auf Pestizide zu grossen Problemen bei der Versorgung der Bevölkerung mit einheimischen Nahrungsmitteln führe bzw. verstärkt nicht nachhaltig produzierte Lebensmittel importiert werden müssten.
Ein wichtiger Erfolg im Hinblick auf einen grundsätzlichen Wandel war auch das Wording, d.h. der Sprachgebrauch in der Öffentlichkeit. Die Agroindustrie, der Bund, die meisten Branchenvertreter und auch einige Partnerorganisationen der Agrarallianz verwenden und verteidigen konsequent den Begriff «Pflanzenschutzmittel (PSM)». Niemand soll diese Produkte mit Umweltschäden und Gesundheitsproblemen in Verbindung bringen. Der Begriff «Pestizide» wurde in diesen Kreisen strikt abgelehnt. Dank der hartnäckigen Verwendung und Begründung des Begriffs «Pestizid», den sowohl die Pestizidinitiative und auch die Trinkwasserinitiative basierend auf der Definition des Pestizid-Reduktionsplans übernommen haben, hat sich dieser wichtige Begriff heute fest etabliert.
Das Projekt hat aufgezeigt, dass ohne Druck und Hartnäckigkeit nichts geht. Die Agrarpolitik wird ohne öffentlichen Druck nicht wirklich reformiert und ein wesentliches Umdenken in bäuerlichen Kreisen und dem Detailhandel findet nur sehr zaghaft statt. Das Projekt hat aber dennoch bei allen Zielgruppen zu einer Sensibilisierung für die Pestizidproblematik beigetragen.
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat die Verkaufsstatistik von Pflanzenschutzmitteln (PSM) für den Zeitraum von 2008 bis 2020 veröffentlicht. Die Gesamtverkaufsmenge sinkt weiter seit 2013. Das ist vordergründig erfreulich und zeigt, dass sich die gute Entwicklung fortsetzt. Trotz der positiven Entwicklung bleiben die verkauften Mengen der besonders gefährlichen Wirkstoffe seit Jahren gleich. Dabei will gerade hier das BLW mit dem Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel einen Rückgang bewirken.
Auf den ersten Blick mögen die Verkaufszahlen der Pestizide im Jahr 2020 gut auszusehen, doch es lohnt sich, genauer hinzuschauen.
Die Menge der verwendeten Pestizide gibt bekanntlich keinen direkten Hinweis auf ihr Risikopotenzial. So ist beispielsweise das Verkaufsvolumen von Pestizid-Wirkstoffen mit grossem Risikopotenzial in den letzten Jahren auf gleich hohem Niveau geblieben. Die Wirkstoffe haben teilweise bereits in sehr kleinen Konzentrationen negative Auswirkungen auf unseren Hormonhaushalt und/oder können die Umwelt stark beeinträchtigen. Besonders Insektizide sind in den letzten 30 Jahren für Nichtzielorganismen um ein Vielfaches gefährlicher geworden. So sind teilweise neue Insektizide bereits in sehr geringen Konzentrationen von ein paar wenigen Milliardstel für Honigbienen und Wasserinsekten giftig.
Der Absatz von Insektiziden ist im langfristigen Vergleich nicht zurückgegangen, denn Insektizide werden in der Schweizer Landwirtschaft sehr häufig eingesetzt.
Auffallend bei den publizierten Daten ist auch die Absatzsteigerung von 22 Tonnen seit 2019 auf 89 Tonnen im Jahr 2020 für das Fungizid Mancozeb, das wegen seiner hormonschädigenden Eigenschaften für uns Menschen sehr bedenklich ist. Die EU hat die Verwendung des Wirkstoffes Mancozeb im Oktober 2020 untersagt und die Marktzulassung entzogen. Entsprechend wurde auch in der Schweiz die Bewilligung für diesen gesundheitsschädigenden Wirkstoff entzogen. Die Krux daran ist, dass die Aufbrauchsfrist per 04.01.2022 festgesetzt wurde und die Lagerbestände nun aufgebraucht werden.
Aussagekräftigere Daten sind dringend nötig
Um die tatsächlichen Risiken für die Umwelt und die menschliche Gesundheit besser abschätzen zu können, braucht es dringend transparente Daten über den detaillierten Einsatz von Pestiziden in der Schweizer Landwirtschaft. Denn die Landwirte können auch auf gelagerte Stoffe zurückgreifen und auch die Witterung hat einen grossen Einfluss auf den allgemeinen Pestizideinsatz in der Landwirtschaft. Dementsprechend kann davon ausgegangen werden, dass das kühle und nasse Jahr 2021 tendenziell einen höheren Pestizideinsatz mit sich brachte als andere Jahre.
Doch um dies fundiert beurteilen zu können, braucht es genaue Daten über den Pestizidverbrauch, nach dem Vorbild von Kalifornien oder Dänemark. Auch in der EU gibt es Bestrebungen, diese teilweise bereits erhobenen Daten zum Pestizideinsatz besser zu nutzen, um Mensch und Umwelt vor negativen Auswirkungen zu schützen.
Wenn Pestizide bloss einzeln betrachtet werden wird deren Wirkung auf die Bienen unterschätzt. In der Mischung liege die Gefahr zeigt eine neue Studie. Radio SRF sucht im Rahmen eines Beitrages nach Antworten für das Zulassungsverfahren von Pestiziden. Die Sendung zeigt zudem auf, worauf Vision Landwirtschaft immer wieder hinweist: Es werden noch viele weitere Pestizid-Zeitbomben auf uns zukommen. Denn es weiss niemand, welche fatalen Auswirkungen aus den in die Umwelt versprühten Pestiziden entstehen können. Für Vision Landwirtschaft ist seit den Recherchen zum Pestizid-Reduktionsplan Schweiz klar, dass die Behörden weit davon entfernt sind, den Pestizideinsatz und dessen Auswirkungen auch nur annähernd unter Kontrolle zu haben. Deshalb müssen die Weichen Richtung Pestizidausstieg gestellt werden.
In einer Studie konnten 32 verschiedene Pestizide auf 19 Kinderspielplätzen, vier Schulhöfen und einem Marktplatz nachgewiesen werden. Auf 23 von diesen 24 Flächen wurden das ganze Jahr hindurch Pestizide gefunden. Die Studie belegt erneut, dass die Pestizide leider nicht nur auf der vorgesehenen Fläche landen, sondern eben auch in Hausgärten, Wäldern oder Wohngebieten.
Die Forscher fanden die Pestizide zwar in kleinen Mengen vor, doch 76% davon brächten den Hormonhaushalt von Mensch und Tier bereits in niedrigen Konzentrationen durcheinander. Sie könnten zu Krebs, Unfruchtbarkeit, Verhaltens- und Entwicklungsstörungen sowie Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes führen.
Die Forscher schlagen folgende Massnahmen vor: - eine verbesserte Ausbringungstechnik - eine strikte Beachtung der Windverhältnisse bei der Ausbringung - Umstellung auf eine pestizidfreie Anbaumethode
Mit dem Appell an die EU, deutsche Bundesregierung sowie an Bund und Parlament rufen die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet (IAWR) und die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR) gemeinsam dazu auf, die notwendige Agrarrevolution nicht mehr länger hinauszuzögern.
Bereits heute müssten Pflanzenschutzmittel, Gülle und Dünger extrem kosten- und energieaufwändig aus dem Trinkwasser herausgefiltert werden. Nur eine rasche Agrarwende könne verhindern, dass in Zukunft auch eine Nachrüstung der Wasserwerke nicht mehr ausreichen werde, um die Belastungen zu entfernen, warnen die Wasserversorger.
Mit der Annahme und Umsetzung der Trinkwasserinitiative könne man die negativen Auswirkungen von Dünger, Antibiotika und Pestiziden verringern oder sogar verhindern. Die Wasserversorger sind überzeugt, dass «die ökologische Umlenkung der Landwirtschaftsmilliarden sowohl in der Schweiz wie auch in der EU eine nachhaltige Agrarwende herbeiführen kann.»
Zusammen mit zwei Experten besuchte der "Beobachter" Schwyzer Alpen. Sie trafen auf vergiftete Farne, Steinhaufen, Brennnesseln. 30 verschiedene Herbizide werden eingesetzt, um unerwünschte Kräuter abzutöten. Dafür verantwortlich sei jahrzehntelange Misswirtschaft. Und höhere Direktzahlungen.
Seit 2014 erhalten die Älpler*innen zwar - nicht zuletzt dank dem Einsatz von Vision Landwirtschaft bei der Ausarbeitung der Agrarpolitik 2014-17 - deutlich höhere Beiträge. Doch statt wie ursprünglich vorgesehen eine naturnahe Bewirtschaftung und die Biodiversität zu fördern, bewirken die zusätzlichen Zahlungen oft das Gegenteil - unter anderem einen Herbizidboom auf den Alpen. Insgesamt sind rund 30 Herbizide erlaubt, um die Alpweiden zu bespritzen. Der Herbizideinsatz erfolge meist nicht fachgerecht, besprüht würden sogar geschützte Pflanzen, wie der Beobachter recherchierte. Kontrollen und Zahlen, wie viel Herbizide auf den Alpen ausgebracht werden, existieren nicht.
Auch Bio-Bauern bringen ihre Kühe auf bespritzte Alpen, denn viele biologisch-bewirtschaftete Alpbetriebe gibt es nicht.
Eine Annahme der beiden Trinkwasser- und der Pestizidinitiative, die im Juni zur Abstimmung kommen, würde dieses Problem wirksam und unbürokratisch lösen.
Saldo verglich die Zulassungen von 900 Pestiziden in der Schweiz und in der EU. Dabei zeigte sich, dass in der Schweiz mindestens 50 hochgiftige Pestizide zugelassen sind. 12 davon sind in der EU verboten, weil sie für Mensch und Umwelt zu gefährlich sind.
Bedenklich ist darüber hinaus, dass in der Schweiz lange Übergangsfristen gelten. Erlässt die EU ein Verbot für ein Pestizid, prüft die Schweiz das zwar und folgt dem Entscheid der EU meistens. Doch die Schweizer Zulassungsbehörde lässt den Herstellern und Landwirt*innen 1 bis 2 Jahre Übergangsfristen, um die Pestizide aufzubrauchen.
Bisherige Messmethoden unterschätzten die Giftwirkung von Pestiziden in Oberflächengewässern "massiv", wie die Forschungsanstalt EAWAG heute mitteilte. Die Schäden, welche Pestizide an Wasserorganismen anrichten, sind also viel höher als bisher angenommen. Und dies vor dem Hintergrund, dass die meisten kleineren Gewässer in landwirtschaftlich intensiver genutzten Regionen der Schweiz ohnehin regelmässig weit über dem Grenzwert mit veritablen Pestizidcocktails belastet sind.
Welche Evidenzen benötigen Bauernverband und gewisse landwirtschaftliche Branchenorganisationen noch, um ihren verantwortungslosen Einsatz für die möglichst ungeschränkte Anwendung von Pestiziden einzustellen und zusammen mit progressiven Landwirten und Organisationen die Weichenstellung in Richtung Pestizidausstieg voranzutreiben?
Seit bald einem Jahr versuchen Bundesrat und Parlament, der Trinkwasserinitiative (TWI) etwas entgegenzusetzen. Bisher ohne Resultat. Derweil trinken eine Million der Einwohner unseres Landes Trinkwasser, das über dem Grenzwert mit Pestiziden verseucht ist.
Die bürgerliche Mehrheit in der Wirschaftskommission des Nationalrats hat es mit ihrem neuesten Vorschlag sogar geschafft, selbst bestehendes Recht zum Schutz des Trinkwassers weiter zu verwässern. Dies zeigt ein neues Rechtsgutachten (Link unten).
Das Geschäft geht nun ins Plenum des Nationalrates. Am 2. Dezember wird sich dort zeigen, ob das Parlament seine Paralyse überwinden kann und imstande ist, sich dem Lobbying aus Bauernverband und Agroindustrie zu widersetzen.
4aqua, ein Verbund von Wissenschaftern, in welchem auch Vision Landwirtschaft vertreten ist, appelliert an die ParlamentarierInnen, jetzt zu handeln (s. Artikel in der NZZ am Sonntag).
Nur ein kleiner Teil der ausgebrachten Pestizide bleibt dort, wo sie sollten. Ein Teil der Gifte verdunstet und wird über die Luft weit in die Umgebung hinaus verfrachtet - auch auf Biobetriebe, wie Messungen einer neuen Studie zeigen.
Die Messungen wurden von Greenpeace auf vier Bio-Betrieben in der Schweiz von Mai bis November 2019 durchgeführt. Dabei sind 25 unterschiedliche Pestizide festgestellt worden, die im Biolandbau nichts zu suchen haben.
Pestizide verbreiten sich offensichtlich stärker via Luft als bisher angenommen. Die Abdrift von teils hochbedenklichen chemisch-synthetischen Substanzen ist für Bio-Bauern ein grosses Problem und stellt für LandwirtInnen sowie für AnwohnerInnen ein erhebliches Gesundheitsrisiko dar.
Während beispielsweise in Frankreich Landwirte wiederholt und erfolgreich gegen die Pestizidfirmen klagten, weil ihre Gesundheit gefährdet wird, macht sich in der Schweiz der Bauernverband zum verlängerten Arm der Agroindustrie und setzt sich für einen möglichst uneingeschränkten Einsatz der Pestizide ein.
Der grossflächige Einsatz von Pestiziden bildet eines der düstersten Kapitel der Landwirtschaftsgeschichte. Warum die beharrenden Kräfte noch immer so gross sind, und warum der Ausstieg aus den Pestiziden sich dennoch durchsetzen wird erläutert Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, in einem Kapitel des Buches «Das Gift und Wir»:
«Weniger ist mehr: Auf dem Weg zum Ausstieg aus der Pestizidlandwirtschaft.» >> Zum Text (pdf)
2019 sind weniger Herbizide verkauft worden. Das ist die gute Nachricht aus der neuen Pestizidstatistik des Bundesamtes für Landwirtschaft BLW.
Nicht zurück gegangen sind dagegen die verkauften Pestizide mit besonderem Risikopotenzial. Dies entgegen den Zielen des bundesrätlichen Aktionsplanes zur Pestizid-Risikoreduktion. Die Mengen der eingesetzten Insektizide - sie sind für die Biodiversität besonders schädlich - haben 2019 sogar deutlich zugelegt.
Derweil hat das Parlament einer parlamentarischen Initiative, die den Pestizideinsatz wirksam senken wollte, in den letzten Wochen praktisch alle Zähne gezogen. Möglich war dies dank dem engagierten Einsatz von CVP, SVP und FDP. Die Vertreter dieser drei Parteien stimmen derzeit fast durch's Band und oft mit absurden Argumenten für die Interessen der Agrarlobby.
Die neue "Grüne Welle" ist bisher in der Agrarpolitik des Parlamentes noch nicht zum Tragen gekommen. Statt die Probleme der Landwirtschaft anzupacken schiebt sie das Parlament in endlosen Diskussionen weiter vor sich her. Ein Trauerspiel, dem eine Annahme der Trinkwasser- und der Pestizidinitiative hoffentlich ein Ende setzen wird.
Kann man in der Landwirtschaft auf Pestizide verzichten? Radio SRF sucht im Rahmen eines Forum-Beitrages nach Antworten. Die einen sagen, ganz ohne gehe es nicht. Doch, das funktioniere, sagen die anderen. Bereits heute beweisen viele Landwirte, dass der pestizidfreie Anbau von Nahrungsmitteln funktioniert. Standortangepasste und robuste Sorten spielen dabei eine zentrale Rolle. Zudem wird einmal mehr klar, dass der Anbau von Monokulturen nicht zielführend ist. Die Landwirtschaft muss einen klaren Strategiewechsel einschlagen, weg von den Monokulturen, hin zur Kleinräumigkeit & Vielfalt, in welcher sowohl Nahrungsmittelproduktion, wie auch Biodiversität Platz finden.
Der Bundesratsbeschluss ist ein positiver Schritt im Kampf gegen hochgefährliche Pestizide. Für Atrazin, Diafenthiuron, Methidathion, Paraquat und Profenofos, welche bereits in der Schweiz verboten sind, heisst dies ab 2021, dass sie nicht mehr ins Ausland verkauft werden dürfen. Des Weiteren wird die Ausfuhr für 100 weitere Pestizide erschwert. Diese dürfen in Zukunft nur noch mit der Bewilligung des Einfuhrlandes aus der Schweiz exportiert werden.
Mit diesem Beschluss nimmt die Schweiz als Produktionsstandort vieler Agrochemie-Konzerne ihre Verantwortung gegenüber Mensch und Umwelt wahr. Die Frage stellt sich bloss, wie viele Länder die Bewilligung für die 100 Pestizide erteilen werden. Bleibt zu hoffen, dass auch ausländische Regierungen das grosse Gefahrenpotenzial von Pestiziden erkennen.
Die Viruskrankheit, die dieses Jahr in der Westschweiz viele Zuckerrübenfelder befallen hat, ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Branche hat bisher blind der Agrochemie vertraut und ein hochgiftiges Pestizid dagegen eingesetzt. Trotz Gesprächen, die beispielsweise Vision Landwirtschaft mit den Produzenten führte, konnten sich ihre Vertreter nicht vorstellen, dass das Pestizid bald verboten werden könnte und dass die Agrochemie nicht rechtzeitig einen neuen Giftstoff auf den Markt bringen wird, wie das seit Jahrzehnten immer der Fall war. Genau das ist nun eingetreten. Nun ertönt der Hilfeschrei nach einer Notfallzulassung. Dies ist kein Weg in die Zukunft.
Die Situation fehlender Wirkstoffe sowie einer zunehmenden Resistenzbildung wird in den nächsten Jahren bei weiteren Kulturen auf uns zukommen. Dass die Chemie keine Lösung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist, nehmen nun selbst pestizidversessene Kreise immer mehr zur Kenntnis.
Vision Landwirtschaft fordert die Branchenvertreter im Rahmen eines runden Tisches auf, sich jetzt endlich mit vollem Engagement und Kompromissbereitschaft den zahlreichen nicht-chemischen Pflanzenschutzmethoden zuzuwenden, damit ein nachhaltiger Anbau von Zuckerrüben und weiteren Ackerkulturen in der Schweiz eine Zukunft hat.
Einige Bauern stellten diesen Sommer vorgedruckte Tafeln an vielbegangenen Wegen auf. Sie folgten dabei einem Aufruf des Schweiz. Bauernverbandes (SBV). Mit den Tafeln sollte der Bevölkerung klar gemacht werden, dass eine Landwirtschaft ohne Pestizide nicht funktioniert. Die Idee stammt von der Agrochemie aus Deutschland, der SBV importierte sie zur Bekämpfung der Trinkwasserinitiative (TWI) in die Schweiz. Die "Infotafeln" enthalten nicht nur krasse Fehlinformationen, sondern sind mutmasslich auch illegal. Nun geht das TWI-Initiativkomitee rechtlich gegen den Tafel-Wildwuchs vor. Die Verantwortung muss wohl der SBV übernehmen. Er forderte die Bauern zu dieser illegalen Aktion auf.
Pestizide sind überall. In Böden und in Gewässern oft in besonders hohen Konzentrationen. Aber selbst in Naturschutzgebieten, am Nordpol, in den Tiefen des Meeres lagern sich die Giftstoffe und ihre unzähligen Abbauprodukte ab. Wen wunderts, dass sie nun auch im Mineralwasser gesucht - und gefunden werden, wie die Sonntagszeitung aufgrund einer neuen Studie berichtet.
Wir brauchen keinen Absenkpfad, wie ihn die Politik als halbherzige Antwort auf die Trinkwasserinitiative beschlossen hat, sondern einen Pestizid-Ausstiegspfad. Pestizide gehören nicht in die Natur. Punkt.
Dafür setzt sich Vision Landwirtschaft weiterhin ein. Und zeigt auf, dass eine pestizidfreie Landwirtschaft entgegen aller Untergangsszenarien von Agroindustrie und Bauernverband längst möglich und wirtschaftlich ist.
Die Schweizer Agrochemie produziert und exportiert zahlreiche Pestizide, die hochgiftig sind und die deshalb in der Schweiz nicht eingesetzt werden dürfen. Über importierte Nahrungsmittel gelangen diese Gifte jedoch trotzdem wieder auf unseren Teller, wie eine neue Studie von Public Eye zeigt. Oft liegen die gemessenen Rückstände weit über den gesetzlich erlaubten Grenzwerten. Allerdings sind umgekehrt auch in der Schweiz zahlreiche hochgiftige Pestizide zugelassen, die im Ausland verboten sind. Da die Schweiz kaum Nahrungsmittel exportiert, richten wir immerhin im Ausland damit keinen Schaden an. Immer mehr Studien beweisen, dass der Pestizidcocktail, den wir tagtäglich über unsere Nahrung und unser Trinkwasser zu uns nehmen, gesundheitlich gravierende Folgen haben kann, auch in unserem Land. Viele Daten dazu werden aktuell noch unter Verschluss gehalten. Es ist zu befürchten, dass uns noch weitere beunruhigende Nachrichten aus der grossen Black Box des globalen Pestizid-Business, bei dem die Schweiz ganz vorne mitmischt, erreichen werden.
Wie eine von der «Rundschau» durchgeführte Untersuchung auf Chlorothalonil-Rückstände im Trinkwasser zeigt, sind neun von zehn Proben höher belastet, als der gesetzliche Grenzwert erlaubt. Die Resultate der Untersuchung sind erschreckend. Am höchsten belastet ist das Trinkwasser in Kappelen im Berner Seeland. 2,2 Mikrogramm pro Liter, das ist 22-mal zu viel.
Die Gemeinden haben nun zwei Jahre lang Zeit, das Problem zu lösen. Damit die gesetzlichen Grenzwerte im Mittelland eingehalten werden können, müssen viele Wasserversorger hohe Investitionen tätigen. In Kappelen baut die Gemeinde eine neue Leitung, um sauberes Wasser aus dem Nachbardorf zu beziehen. Schweizweit dürfte die Sanierung dutzende Millionen Franken kosten.
Für die Bevölkerung bleibt die Gewissheit: Sie muss die Kosten finanzieren und in einigen Gemeinden ist vorübergehend eine gesetzeskonforme Trinkwasserversorgung nicht mehr möglich.
Immer mehr Bauern und Bäuerinnen hinterfragen das Credo: «Nur wenn wir düngen und spritzen sind gesunde Kulturpflanzen und hohe Erträge möglich». Braucht die Pflanze für ihr Gedeihen nicht etwas ganz anderes, nämlich einen gesunden, lebendigen Boden? Diese Überzeugung steht hinter der «regenerativen Landwirtschaft». Sie ist mittlerweile zu einer Bewegung angewachsen, zu der sich immer mehr LandwirtInnen hingezogen fühlen. Sie verzichten dabei freiwillig auf Pestizide und Kunstdünger. Im Zentrum steht ein gesunder, fruchtbarer Boden. Was regenerative Landwirtschaft ist, zeigt das Portrait eines Pionierbetriebes.
(VL) Was würde passieren, wenn man als Bauer darauf vertraut, dass das System Pflanze und Boden keinerlei Zusätze und Spritzmittel bedarf, um produktiv zu sein? Würden ein gesunder, lebendiger Boden und geschlossene Nährstoffkreisläufe für das gute Gedeihen der Pflanze genügen? Genau dies ist das Grundprinzip der regenerativen Landwirtschaft. Doch wie sieht es bei den Erträgen aus? Einige Produzenten, die regenerativ wirtschaften, sind überzeugt, mit den Erträgen der konventionellen, Landwirtschaft mithalten zu können. Doch wie ist das möglich?
Boden und Pflanze: ein System
Der Boden und die Pflanze stehen in einem permanenten Austausch, viel mehr noch: sie interagieren sozusagen als Gesamtorganismus. Die Pflanzen produzieren mittels der Photosynthese Zucker. Damit versorgen sie nebst dem eigenen Bedarf auch den Boden und die darin lebenden Mikroorganismen wie Bodenbakterien und Bodenpilze. Ganze 90% ihrer Photosynthese-Leistung gibt die Pflanze an den Boden weiter. Die Pflanze ist so Teil einer symbiotischen Beziehung. Sie ernährt die Bodenorganismen und bekommt ihrerseits von diesen genau das zur Verfügung gestellt, was sie braucht – nämlich Bodennährstoffe, die sie aufschliessen und pflanzenverfügbar machen. Der Landwirt muss im Prinzip nichts weiter tun, als den Boden und das Ökosystem so aufzubereiten, dass die Wechselwirkungen zwischen Pflanze und Boden optimal gelingen können. Ein zentraler Faktor ist dabei der Humusgehalt des Bodens. Denn die Bodenorganismen benötigen humusreichen Boden. Ab dem Moment, ab dem ein Bodenklima herrscht, in dem sich die Bodenlebewesen wohl fühlen, versorgen sie die Pflanze mit all dem, was diese für ein gesundes und kräftiges Wachstum braucht.
Hof Stucki
Nach diesen Grundprinzipien produziert die Familie Stucki auf ihrem Hof bei Dägerlen im Bezirk Winterthur.
Bauer Ralf Stucki in einem seiner Gemüsefelder.
Mit dem Boden arbeiten
Wir spazieren über die 26,5 Hektaren Land der Stuckis. In erster Linie wird Gemüse- und Obst angebaut. Nebst den Wollschweinen, Hühnern, Enten und Truthähnen weiden auch 24 Milchkühe. „Hier siehst du die ersten Gemüsefelder“, sagt Ralf Stucki. Wie ich mich umdrehe sehe ich lange Streifen, welche mit geschnittenem Gras überdeckt sind. Stucki kniet sich nieder und gräbt seine Finger in den Mantel aus Gras. Dies sei Mulch, erklärt er. Ich tue es ihm gleich, und bohre meine Finger in die Grasschicht: Unter dem Gras ist es angenehm warm und dies, obwohl die Temperatur in den letzten Tagen nochmals fast bis zur Null-Grad Grenze gesunken ist.
Unter der Mulchschicht ist es angenehm warm.
Aus der Nähe kann ich erkennen, wie kleine Selleriepflänzchen ihre hellgrünen kräftigen Blätter aus der Mulchschicht schieben. Der Mulch, so Stucki, muss beim Austragen frisch geschnitten und grün sein, damit die durch die Photosynthese gewonnene Energie im Gras gänzlich enthalten ist. Ausgetragen auf das Feld, wird das Gras innerhalb eines Jahres langsam abgebaut. Während dieses Prozesses gehen die Nährstoffe, welche im Gras enthalten sind, in den Boden über. Bevor es soweit ist, wirkt die Schicht aus Mulch isolierend – das heisst sie speichert die Wärme. Das ist besonders im Frühjahr wichtig und schützt den Boden zugleich vor dem Austrocknen. Dank der Mulchschicht, erklärt Ralf Stucki, wächst kaum Unkraut, welches die noch kleinen Pflänzchen konkurrieren könnte. Dadurch, dass die Erde von praller Sonne und starkem Regen geschützt bleibt, verklumpt und verdichtet sie sich nicht.
Selleriepflänzchen im Mulch.
Ralf Stucki ist zufrieden mit dem Resultat, die Pflanzen gedeihen in der Mulchschicht prächtig. Zudem sei der Arbeitsaufwand gering, nach dem Setzen und Überdecken mit Mulch sei alles getan, sagt er zufrieden. Er müsse den Boden nicht mehr befahren, nicht weiter bearbeiten, müsse nicht düngen und schon gar nicht spritzen. Da die Mulchschicht die Wasserverdunstung minimiere, müsse er die Setzlinge auch kaum je wässern. Er hätte eigentlich, schmunzelt er, nichts mehr mit der Pflanze zu tun, bis dass er sie ernten könne. Für eine Hektare Mulch bedarf es vier Hektaren stehendes Gras, fügt Ralf Stucki hinzu. Damit die Arbeit mit dem Mulch machbar bleibt und sich in Bezug auf den Ertrag lohnt, werden nach dem Ernten neue Setzlinge in den Mulch gepflanzt.
In der Reihe direkt neben den Selleriepflänzchen wachsen Zwiebeln und Meerrettich. Stuckis arbeiten mit Mischkulturen. Nicht umsonst sagt man „gute Nachbaren wachsen zusammen“. Krankheiten und Schädlinge haben in Mischkulturen geringere Chancen sich auszubreiten. Zudem hat jede Pflanze einen anderen Nährstoffbedarf. Als Mischkultur angebaut, nehmen sie sich gegenseitig nichts weg. Auch dies ist ein Weg, um einer Auslaugung des Bodens vorzubeugen und zu vermeiden, dass Dünger zugeführt werden muss. Die Pflanzenkombinationen erarbeitet Ralf Stucki im Austausch mit dem Bio-Saatgutproduzenten Sativa Rheinau AG. Aktuell wachsen Quinoa neben Zucchetti und Aubergine, Fenchel neben Linsen, Saubohnen und Perlerbsen.
Mischkultur Aubergine, Fenchel.
Beobachten und lernen
Stuckis Lust zu experimentieren und seine grosse Offenheit, Neues zu lernen, sind beeindruckend und ansteckend. Es wird deutlich, dass genau diese Eigenschaften Basis dieses Betriebes sind, der 280 verschiedene Produkte hervorbringt. Da sie nicht an den Grosshandel liefern, sondern ihre Produkte direkt verkaufen, können Stuckis statt auf Menge auf Vielfalt setzen. Dies wiederum ist eine ideale Ausgangslage, um mit Mischkulturen zu arbeiten und zu experimentieren.
Zweimal im Jahr widmet sich Ralf Stucki dem Boden in ganz besonderem Masse. Dazu erstellt er eine Art Sud aus frischer Brennnessel, angereichert mit Meerrettich- und Algenextrakt. Diese Pflanzenfermente, sogenannte Rottenlenker spritzt Stucki mit einem Tiefenlockerer in den Boden, um damit die Mikroorganismen im Boden direkt zu ernähren. Auch der Tiermist findet eine ähnliche Verwendung. Dieser wird bei Stuckis nicht direkt aufs Feld gebracht, denn dies wäre viel zu aggressiv für den Boden und die darin lebenden Organismen, sondern er wird zuerst fermentiert und erst dann in die Kulturen eingearbeitet. Man könne es regelrecht riechen, wenn der Fermenter oder Komposttee ausgebracht sei und der Boden anfange zu arbeiten: «Der Boden riecht wie nach einem frischen Sommerregen, er beginnt zu atmen», sagt Stucki. Seine Erfahrung bestätigt: die Pflanzen profitieren von dieser Bodenpflege, sie seien deutlich vitaler.
Lockere Struktur und dunkelbraune Färbung zeigt einen optimalen Belebungszustand.
Der Landwirt als «Forscher»
Nebst dem ständigen Beobachten und Auswerten experimentiert Stucki auch: Den Mulch in die Erde einzuarbeiten, statt ihn als Mantel auf den Boden zu legen, bringt beispielsweise weniger Ertrag – das hat Stucki alles ausprobiert. Dass die Weihnachtsbäumchen in Kombination mit den Aprikosenbäumen wachsen, hat sich hingegen bewährt. Die Tannen schützen den Boden im Sommer vor dem Austrocknen, die Obstbäume beschatten die Tännchen und im Winter hausen die Hühner zwischen den Bäumen. So bleiben die Weisstannen frei von Schädlingen wie den Schildläusen und der roten Spinne. Ja sogar die Mäuse bleiben dank den Hühnern weg. Nebst allem Experimentieren ist es Stucki jedoch wichtig, dass alles machbar bleibt und der Hof mit seinen fünf Angestellten sich auch wirtschaftlich trägt. Und das tut es auch.
Christbäume zwischen den Aprikosenbäumen.
Der Hof – ein in sich geschlossenes System
Vertieft man sich mit Stucki ins Gespräch, merkt man rasch, welche Visionen sein Tun prägen. Nebst der Experimentierfreude ist Stuckis Denken dem Ansatz der regenerativen Agrikultur nahe. Ralf Stucki verfolgt eine Landwirtschaft im Sinne der Natur, er strebt nach gesunden Böden, die einen guten Wasserhaushalt aufweisen. Zudem ist es ihm wichtig, ganzheitliche Entscheidungen zu treffen, die ökologische, soziale aber auch wirtschaftliche Interessen gleichzeitig berücksichtigen.
Sein Hof funktioniert als ein in sich geschlossener Kreislauf. So wird beispielsweise das Tierfutter (Gras, zudem ergänzend etwas Gerste, Mais, Weizen und Soja) bei Stuckis alles selbst produziert, so dass nichts Weiteres dazu gekauft werden muss. Im Juli, wenn die Tomaten kurz vor der Ernte stehen, werden die Stauden zum Schutz vor Pilzbefall mit Milchwasser behandelt. Das saure Klima, welches durch die vergärende Milch auf den Blättern entsteht, verhindert, dass sich Pilze auf den Blättern ansiedeln. Für Stucki heisst regenerativ, dass alles zusammen als einheitliches System gedacht wird: die Böden, die Pflanzen, die Tiere und der Mensch. Alle diese Pfeiler stehen in Wechselwirkung miteinander und können sich gegenseitig nähren und stützen.
Der stetig voranschreitende Klimawandel wird neue Anforderungen an die Landwirtschaft stellen und ein Umdenken fordern. Gerade auch hier ist der Ansatz der Regenerativen Landwirtschaft vielversprechend, z.B. dann, wenn es darum geht, die Böden vor dem Austrocknen zu schützen oder Anbauflächen als mögliche CO2-Senke zu bewirtschaften.
Der Weg, den Stuckis beschreiten, ist also aus verschiedenen Blickwinkeln hochaktuell. Oder wie Stucki selbst sagt: «Ich weiss nicht, was richtig ist, aber ich habe definitiv das Gefühl, dass es richtiger ist, diesem Weg zu folgen, anstatt der immer abhängigeren konventionellen Landwirtschaft, und uns dieser Weg weiterführen kann als der bisherige.»
Tragisch oder ein Freudenanlass? Noch bis vor einem Jahr hat Eva Reinhard, Direktorin der Forschungsanstalt Agroscope, bei jeder Gelegenheit behauptet: Eine Landwirtschaft ohne Chemie sei unmöglich. Ohne dauerndes Gifteln verhungere die Menscheit.
Jetzt kommt selbst Agroscope auf den Geschmack. Die Forschungsanstalt unterzeichnet ein Memorandum für eine pestizidfreie Landwirtschaft.
Die staatsabhängige Forschung hat schon immer etwas länger gebraucht um zu merken, woher der Wind weht und was nützliche Forschungsfragen sind. Die späte Einsicht der Agroscope macht leider Jahrzente verlorener Forschungbemühgungen nicht rückgängig, in denen die Anstalt nutzlos an chemieabhängigen Agrarsystemen herumgetüftelt hat.
Zum Glück ist die Praxis schon viel weiter. Tausende von Landwirtschaftsbetriebe machen es schon heute vor, wie das geht, eine pestizidfreie Landwirtschaft.
Dänemark zeigt, wie man die Umweltprobleme der Landwirtschaft mit konsequentem Handeln und deutlich weniger Geld tatsächlich lösen kann. Beispielsweise mit hohen Lenkungsabgaben. Die Schweiz drückt sich jedoch seit Jahren um dieses wirkungsvolle Instrument herum und setzt lieber auf oft völlig wirkungslose freiwillige Anreize. Die Hauptsache, der Geldmittelabfluss ist sichergestellt und alle sind beschäftigt mit dem aufwändigen Administration der immer zahlreicheren Anreizprogramme.
Ein erster Wasserversorger will gegen die fehlerhafte Pestizidzulassung durch Bundesbeamte in Bern klagen. Grund: Die verbreitete Pestizidverseuchung des Trinkwassers wird die Gemeinden in den nächsten zwei Jahren Hunderte von Millionen Franken kosten. Sie müssen ihre Wasserfassungen schliessen oder mit teuren Filtern aufrüsten.
Der Bauernverband reagiert mit Rage auf die Klageabsicht. Das sei «dicke Post», wie der Blick berichtet. Alle Wasserversorger müssten zuerst ihr Grund- und Quellwasser korrekt schützen. Allerdings wehrte sich der Bauernverband jahrelang bei jeder Gelegenheit gegen grössere Wasserschutzzonen und gegen jede Einschränkung der ackerbaulichen Nutzung. Der Vorwurf an die Wasserversorger ist scheinheilig, der Bauernverband vielmehr Mitverursacher der Misere.
Im Schweizer Mittelland ist ein Grossteil der Trinkwasserfassungen mit krebserregenden Abbauprodukten des Pestizids Chlorothalonil verseucht. Unzählige Fassungen werden in den nächsten Monaten geschlossen werden müssen. Dies wird exorbitante Kosten verursachen. Gemäss Verursacherprinzip müsste die Agroindustrie für diese Kosten aufkommen, doch ein entsprechendes Gesetz gibt es in der Schweiz nicht, die Bürger werden die Kosten tragen müssen.
Statt ein Klagerecht gegen die Industrie gibt es dafür umgekehrt in der Schweiz ein Rekursrecht der Industrie gegen Pestizidverbote. Davon will Syngenta einmal mehr Gebrauch machen und so das vorgesehene Verbot von Chlorothalonil verhindern oder wenigstens noch schön verzögern. Profit first.
Immerhin dürfte Syngenta mit ihrem dreisten Vorgehen mithelfen, die Absurdität der Gesetzeslage in der Schweiz breiten Schichten (und vielleicht sogar dem Parlament) bewusst zu machen und der Trinkwasser- und Pestizidinitiative nochmals richtig Schub zu verleihen.
Leben Sie im Schweizer Mittelland? Dann ist die Chance nicht so klein, dass aus Ihrem Wasserhahn seit vielen Jahren Wasser strömt, das deutlich über dem gesetzlichen Grenzwert pestizidbelastet ist. Wer es genauer wissen will, frage bei seinem Wasserversorger nach.
Wie eine von der Sonntagszeitung heute publik gemachte Untersuchung des Wasserforschungsinstitutes Eawag zeigt, weisen über zwei Drittel (!) der untersuchten Wasserfassungen im Mittelland im Durchschnitt 5-fach überhöhte Werte des krebserregenden Chlorothalonil und seiner bisher nicht analysierten Abbauprodukten auf. Kurt Seiler, Kantonschemiker von Schaffhausen, schätzt gemäss "Beobachter", dass die Zahl der Menschen in der Schweiz, die gezwungenermassen Wasser mit zu hohen Konzentrationen an Chlorothalonil-Metaboliten trinken, eine halbe Million übersteigen dürfte.
Die Eawag warnt schon seit Jahren nicht nur vor Chlorothalonil, sondern vor vielen weiteren, derzeit in riesigen Mengen frei in die Landschaft versprühten Pestiziden. Sie hätten gar nie zugelassen werden dürfen. Viele ihrer Abbauprodukte sind noch gar nicht bekannt oder konnten nicht gemessen werden. Es stehen uns also noch viele schlummernde Zeitbomben und turbulente Jahre bevor.
Die Kosten der Fehlentscheide, all diese Giftstoffe zuzulassen, dürften allein für die Trinkwassersanierung in die Hunderte von Millionen gehen. Denn in Zukunft dürften vielerorts teure Filter eingebaut werden müssen, oder es müssen neue, derzeit noch unverseuchte Fassungen erschlossen werden. In einigen Regionen dürfte vorübergehend gar eine gesetzeskonforme Trinkwasserversorgung in Frage gestellt sein.
Dass in der Schweiz die für die Fehlentscheide verantwortlichen Beamten im Bundesamt für Landwirtschaft oder die Agroindustrie für all diese Kosten aufkommen müssen, ist derzeit eher unwahrscheinlich. In den USA wären längst Sammelklagen lanciert worden. Hierzulande dürfte allein die Bevölkerung die Kosten und Schäden zu tragen haben.
Über 50 Massnahmen beinhaltet der Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes. Vision Landwirtschaft hat diese scharf kritisiert, da sie praktisch wirkungslos seien. Die jetzt publizierten Pestizid-Verkaufszahlen bestätigen diesen Befund. Herbizide, Fungizide und Pestizide mit besonderem Risikopotenzial haben 2018, also im ersten Jahr, in dem der Aktionsplan richtig greifen sollte, sogar wieder zugelegt.
Lediglich Glyphosat hat 2018 weiter deutlich abgenommen. Das Herbizid wurde einfach durch andere Wirkstoffe ersetzt, die gesamte Verkaufsmenge an Herbiziden stieg sogar leicht an.
Und es geht doch: Das erste Mal seit vielen Jahren hat das Bundesamt für Landwirtschaft BLW per sofort die Anwendung eines Pestizides verboten. Beim Wirkstoff Chlorothalonil, welcher im vergangenen Sommer diverse Trinkwasserquellen unbrauchbar gemacht hat (aufgrund zu hoher Rückstände), war der Druck der empörten Öffentlichkeit offenbar gross genug. Was mit Chlorothalonil möglich war, muss nun bei all den weiteren besonders üblen Pestiziden folgen. Es ist unabdingbar, dass Pestizide mit besonderem Risikopotential vom Markt verschwinden.
Das Beispiel des giftigen Keimhemmers Chlorpropham zeigt exemplarisch, wie viele landwirtschaftlichen Branchenorganisationen die Probleme im Umgang Pestiziden seit Jahren verschlafen haben. Heute müssen sie ihre ganze Energie ins Reagieren auf die überall hochgehenden Zeitbomben investieren, fürs Vorausdenken fehlen die Kapazitäten.
Chlorpropham ist ein Gift, das direkt in die Kartoffellager appliziert wird, um die Keimung der Knollen zu verzögern. Dass diese Praxis für die Konsumentengesundheit höchst fragwürdig ist, wusste die Branche schon lange.
Die EU hat deshalb letzten Sommer die Reissleine gezogen und das Pestizid verboten. Nicht so die Schweiz. Hier handelt das Bundesamt für Landwirtschaft üblicherweise erst, wenn der Druck zu gross wird. Die meisten Produzentenorganisationen unterstützen diese Praxis, wollen sie doch möglichst keine Einschränkungen bei den Pestiziden hinnehmen.
Beleidgt reagieren statt agieren
Nun hat SRF das Chlorpropham-Problem in einem promienten Rundschau-Beitrag in die Öffentlichkeit gebracht. Prompt reagierte die Branche - auf die immer gleiche weise: beleidigt. Sie sieht sich als Opfer der Medien, und fordert (von wem?) Alternativen, wenn der Stoff verboten werde.
Die Bauernzeitung schreibt: "Sorge bereitet der Branche der jüngste SRF-Rundschau-Beitrag von vergangener Woche über den Keimhemmer Chlorpropham" (richtig: nicht Chlorpropham, sondern SRF bereitet Sorge). Bei der Delegiertenversammlung der Branchenorganisation äusserte sich Swisspatat-Präsident Urs Reinhard wie folgt dazu: "Ich habe den Eindruck, man unterstellt uns Bösartigkeit, Untätigkeit, Unwissenheit und Dummheit. Dabei wollen die Produzenten das gleiche wie die Konsumenten: qualitativ hochwertige, einwandfreie und gesunde Lebensmittel."
Swisspatat unterstütze das Chlorpropham-Verbot, «wir sind aber darauf angewiesen, funktionierende Alternativprodukte zur Verfügung zu haben», so Christine Heller, Geschäftsführerin von Swisspatat, im Interview mit dem SRF.
So reagieren üblicherweise Kinder, denen man das Handy oder die Schokolade wegnimmt. Dann schreien sie beleidigt und betteln nach Alternativen. Für dieses Verhalten zahlen die Produzenten der Branchenorganisation aber keine Mitgliederbeiträge. Vielmehr dürften sie erwarten, dass ihre Organisation vorausschauend agiert und so verhindert, dass am Laufmeter Zeitbomben hochgehen. Doch dafür fehlt den meisten Branchenführern offenbar die Kraft. Das Löschen der überall auftauchenden Brandherde bindet alle ihre Energie. Zu lange haben sie den verantwortungslosen Umgang mit Pestiziden verschlafen.
Wegen eines mit dem Wirkstoff Fipronil verunreinigten Pflanzenschutzmittels starben im Kanton Aargau über 600'000 Bienen. Das Produkt war zwar vom BLW zugelassen, enthielt aber nicht diejenigen Inhaltstoffe, die angegeben waren. Das BLW untersucht Pestizide nur stichprobenweise im Labor. So wurden während den Jahren 2014 - 2018 nur gerade 28 Produkte im Labor überprüft, wobei bei es bei 16 Produkten Abweichungen der Wirkstoffmengen gegenüber der Zulassung gab. Auf den Etiketten standen oftmals falsche Wirkstoffnamen, Konzentrationen oder Chargennummern.
Chlorpropham ist hochtoxisch für Mensch und Tier. Der Wirkstoff schädigt Wasserorganismen mit langristifer Wirkung und gilt auch als krebserregend und organschädigend. In der Schweiz wird der Wirkstoff als Keimhemmer bei Verarbeitungskartoffeln eingesetzt. Die Pestizide werden dabei direkt in die Lagerhallen eingesprüht. Der Wirkstoff lagert sich nicht nur auf den Kartoffeln ab, sondern dringt auch ins Innere der Karfoffeln vor. - Später werden aus diesen Kartoffeln Pommes Frites für die menschliche Ernährung hergestellt.
Wird der Wirkstoff in einem Kartoffellager einmal angewendet, so wird dieser nicht abgebaut, sondern kumuliert sich in der Bausubstanz der Lagerhallen. Aufgrund der hohen Giftigkeit wurde der Wirkstoff in Deutschland bereits verboten. Alte Lagerhallen müssen saniert, allenfalls aufgrund zu hoher Rückstände abgerissen werden.
Die Zulassungsbehörden in der Schweiz haben Chlorpropham noch nicht verboten. Ein Verbot des Wirkstoffes wird frühestens im Sommer 2020 kommen. Dies obwohl die schädlichen Auswirkungen auf die menschliche Gesundheit längst bekannt sind. Die im unabhängigen Prüfbericht über das Zulassungsverfahren von Pestiziden aufgezeigten Mängel müssen endlich behoben werden und eine Gesetzesgrundlage geschaffen werden, damit die Zulassung von Wirkstoffen mit sofortiger Wirkung entzogen werden können.
Immer wieder müssen Pestizidwirkstoffe vom Markt genommen werden, weil diese gefährlicher sind, als sie ursprünglich eingestuft wurden. Dass die Zulassungsverfahren Defizite aufweisen ist längst bekannt. - Nun aber werden diese von unabhängiger Seite bestätigt. Das Wirtschaftsprüfungs- und Beratungsunternehmen KPMG hat eine Evaluation verschiedener Bundesämter, darunter das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) und das Bundesamt für Umwelt (Bafu) vorgenommen.
Besonders beim BLW werden Schwachstellen festgestellt. So hat das Amt im Zulassungsverfahren eine umstrittene Rolle. Einerseits ist es Ansprechpartner für die Gesuchsteller, anderseits entscheidet es über die Zulassung der Pestizide. - Formelle Unabhängigkeit und Transparenz gegenüber Behörden und Öffentlichkeit fehlen gänzlich.
Weiter wird kritisiert, dass das Bafu viel zu wenig stark in die Zulassungsprozesse involviert sei und daher die Unabhängigkeit der Zulassungsstelle zu wenig stärkt.
Einmal mehr zeigt sich: Die Zulassung von Pestiziden ist eine skandalöse Fehlkonstruktion. Produktions- und Verkauffirmen haben weitgehenden Einfluss darauf, welche Stoffel zugelassen werden und welche nicht.
Es ist unbestritten, dass das krebserregende Fungizid Chlorothalonil so rasch als möglich verboten werden muss, weil das Gift und dessen Metaboliten nun plötzlich überall in Trinkwasserfassungen gefunden worden ist (notabene weil man erstmals begonnen hat, danach zu suchen).
Das BLW hat ein Verbot bis Oktober in Aussicht gestellt.
Nun aber blockiert die Agrochemie ein Verbot, denn das Zulassungsverfahren sieht vor, dass bei Nachreichung von Unterlagen, diese zuerst geprüft werden müssen. Diese Lücke im Zulassungsverfahren wird nun von den Agrochemiefirmen ausgenutzt, was zu einer Verzögerung des Verbotes führt.
Ob und wann Chlorothalonil nun verboten wird, kann niemand sagen. Sicher aber ist: Das Zulassungsverfahren muss von Grund auf überarbeitet und der Einfluss der Agrochemiefirmen ausgeschaltet werden.
Für Rückstände von Pestiziden und deren Metaboliten werden vom Gesetzgeber Grenzwerte festgelegt. Unterhalb dieser Grenzwerte gilt eine Exposition als unbedenklich. Die Ökotoxikologen des Helmholtz-Zentrums für Umweltforschung (UFZ) zeigen jetzt das Gegenteil auf. Bereits bei Konzentrationen, die bis zu 10'000-fach unter den heutigen Grenzwerten liegen, können Pestizide bei sensiblen Organismengruppen Schäden hinterlassen. Die Erkenntnisse stellen die bisherige Zulassungspraxis, bei der laufend weitere gravierende Unzulänglichkeiten festgestellt werden, damit grundlegend in Frage. Die Behörden verletzten offensichtlich das Vorsorgeprinzip, das eine rechtlich zentrale Grundlage der Zulassung darstellt. In den USA könnten solche Unterlassungen mit Massenklagen belangt werden. In der Schweiz sind die Chancen gross, dass noch jahrelang weitergewurstelt wird von den zuständigen Bundesbehörden, weil griffige Rechtsinstrumente fehlen.
Von hochgiftigen Insektiziden sind bereits wenige Billiardstelgramm in einem Liter Wasser für Kleinlebewesen in Bächen und Flüssen tödlich. Bisher konnte man solche winzigen Mengen gar nicht messen. Nun haben ETH-Wissenschaftler neue Messmethoden entwickelt und damit Bäche in der Schweiz untersucht. Das überraschende Resultat: Fünf von sechs Bächen enthielten insgesamt neun dieser hochgiftigen Insektizide und dabei in Konzentrationen, die über den für Kleinlebewesen tödlichen Werten lagen.
Ein heute veröffentlichter Artikel in der Sonntagszeitung bring die Forderung nach "tief greifende Konsequenzen für die Zulassungspraxis" auf's Tapet. Oder anders ausgedrückt: Auch in diesem Fall haben die Behörden das gesetzlich verankerte Vorsorgeprinzip in hohem Ausmass missachtet und fälschlicherweise hochtoxische Pflanzenschutzmittel zugelassen, die nun während Jahrzehnten unsere Bache vergiften konnten.
Wie oft müssen sich solche Geschichten noch wiederholen? Agroindustrie und Behörden sind weit davon entfernt, einen einigermassen sicheren Umgang mit Pestiziden sicherstellen zu können. Dies zeigen auch die fundierten Recherchen im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz. Darin fordern Vision Landwirtschaft deshalb zusammen mit zwei Dutzend Organisationen, dass die Agrarpolitik nun endlich die Weichen in Richtung Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft stellen muss.
Die Grundwasserbelastungen durch verschiedene Pestizide und deren Abbauprodukte zeigen immer wieder auf, dass das Schweizer Grund- und Trinkwasser nicht umfassend geschützt und überwacht ist. Die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR) verlangt nun vom Bund die bisher unveröffentlichten Angaben zu zugelassen Pestiziden. Nur so können die Schweizer Wasserversorger ihren Versorgungsauftrag vollständig erfüllen.
Neben der Stoffliste fordert die Trinkwasserbranche auch ein sofortiges Chlorothalonil-Verbot, die Kompensation von Sanierungs- und Aufbereitungsmassnahmen wegen Chlorothalonil-Rückständen, wie auch eine Verschärfung des Pestizid-Zulassungsverfahrens. Roman Wiget, AWBR-Präsident, meint dazu: "Die gegenwärtige Intransparenz der Pestizidzulassung erlaubt uns Wasserversorgern kaum, unserem Versorgungsauftrag gerecht zu werden."
Im Rahmen einer Pilotstudie hat der SVGW, zusammen mit weiteren Akteuren, das Langzeitverhalten von Pestiziden und deren Metaboliten im Grundwasser untersucht. Die Untersuchungen zeigen auf, wie langlebig Metaboliten sein können. So können zum Beispiel Chloridazon-Metaboliten, auch Jahre nach einem Anwendungsstopp, in unveränderten Mengen im Grundwasser gefunden werden.
Zum Zeitpunkt der Zulassung von Pestiziden ist über die Langzeitwirkungen meist nichts bekannt, was für Mensch, Tier und Umwelt gravierende Folgen haben kann!
Ein falsch deklariertes, von einer Briefkastenfirma importiertes Spritzmittel, das jedermann kaufen kann, vergiftete hunderttausende Bienen. Wieviel von dem Insektengift bereits verkauft und wo es überall eingesetzt wurde, weiss niemand - weder das zuständige Bundesamt für Landwirtschaft noch die Verkäuferin fenaco. Das Beispiel zeigt exemplarisch, wie enorm fahrlässig in der Schweiz mit hochgiftigen Pestiziden umgegangen wird. Der Pestizideinsatz in der Schweiz ist eine komplette Blackbox mit unzähligen Zeitbomben, die noch auf uns warten. Jedes Mal, wenn eine hochgeht, wiegeln die Behörden ab oder üben sich in Schadensbegrenzung, statt endlich die unhaltbaren Zustände an der Wurzel anzugehen.
Die Landwirte beweisen es. Es geht ohne Pestizide. Bauer Hans Egli aus Steinmaur baut fürFredy Hiestand pestizidfreies Getreide an. Konnte er früher einmal mit der Spritze übers Feld fahren, so setzt er heute den Striegel ein um seinen Weizen unkrautfrei zu halten.
Für den pestizidfrei produzierten Weizen bezahlt Fredy Hiestand acht Franken mehr pro 100 kg und meint dazu: "Wir übernehmen den Aufpreis bis jetzt vollständig, da wir der Meinung sind, dass endlich etwas passieren muss."
Gibt es eine Landwirtschaft ganz ohne Pestizide? Der deutsche Sender 3sat sucht im Rahmen eines nano-Beitrages nach Antworten und wirft dabei einen Blick in die Schweiz. Bereits heute beweisen viele Landwirte, dass der pestizidfreie Anbau von Nahrungsmitteln funktioniert. - Standortangepasste und robuste Sorten spielen dabei eine zentrale Rolle. Zudem wird einmal mehr klar, dass der Anbau von Monokulturen nicht zielführend ist. Die Landwirtschaft muss einen klaren Strategiewechsel einschlagen, weg von den Monokulturen, hin zur Kleinräumigkeit & Vielfalt, in welcher sowohl Nahrungsmittelproduktion, wie auch Biodiversität Platz finden.
Insektizide schädigen Vögel nicht nur indirekt, indem sie die Insektenpopulationen dezimieren und damit die Nahrungsgrundlage der Vögel zerstören. Eine Forschungsgruppe aus Kanada hat nun erstmals aufgezeigt, dass bereits kleinste Mengen von sehr langlebigen Insektizid-Rückständen das Verhalten von Zugvögeln verändern und damit ihre Überlebenswahrscheinlichkeit stark reduzieren können.
Werden Pflanzen oder Samen, die mit Neonicotinoiden behandelt wurden, von Vögeln gefressen, so führt dies bereits nach wenigen Stunden zu einer verminderten Nahrungsaufnahme. Die Vögel verlieren an Gewicht. Bei Zugvögeln führt dies dazu, dass sie deshalb einige Tage verspätet und zudem geschwächt durch die Gifte auf den langen Rückflug in ihre Überwinterungsgebiete aufbrechen.
In der Schweiz ist der Einsatz von drei neonicotinoidhaltigen Pestiziden zwar im Freiland seit kurzem verboten, trotzdem findet man noch heute in sensiblen Ökosystemen und auf Bioflächen, welche seit Jahrzehnten biologisch bewirtschaftet werden, Rückstände dieser Nervengifte. Die langlebigen Wirkstoffe und deren Metaboliten sind durch Staubbildung und durch Regen von den Anwendungsgebieten abgetragen worden und setzten noch heute Insekten, Spinnen und Würmer einer chronischen Pestizidbelastung aus.
Die Geschichte hat sich bereits vielfach wiederholt: Die Giftigkeit von Pestiziden und ihre fatalen Auswirkungen auf die Umwelt oder die Biodiversität werden erst nach Jahren oder Jahrzehnten erkannt. Dann wird - unter dem Druck der Pestizidindustrie oft nur sehr zögerlich - gehandelt und das Pestizid vom Markt genommen. Schön steht die Industrie dann mit neuen Pestiziden bereit, von denen behauptet wird, sie seien sicher. Bis die verursachten Probleme erneut untragbar werden etc. etc.
Für Vision Landwirtschaft gibt es nur einen Ausweg aus dieser fatalen Spirale: Ein Ausstieg aus der pestizidbasierten Landwirtschaft.
"Alles noch viel schlimmer?" titelt der "Kassensturz" seine jüngsten Enthüllungen über Pestizide im Trinkwasser. Offenbar trinken Hunderttausende von Menschen aufgrund einer fahrlässigen Zulassung des Fungizids Chlorothalonil in unserem Land übermässig pestizidbelastetes Trinkwasser. Die TV-Sendung macht auf bestürzende Weise deutlich: Das gesetzlich verankerte Vorsorgeprinzip wird von Bundesbehörden mit Füssen getreten. Sie reagieren erst, wenn die Probleme und der öffentliche Druck zu gross werden.
Der Kassensturz zeigt zudem auf, worauf Vision Landwirtschaft schon lange hinweist: Es werden noch viele weitere Pestizid-Zeitbomben auf uns warten. Denn es weiss niemand, welche unzähligen Abbaustoffe aus den in die Umwelt versprühten Pestiziden entstehen. Diese Stoffe sind weder in ihrer Giftigkeit bekannt, noch werden sie in den Wasseranalysen gemessen.
Für Vision Landwirtschaft ist seit den Recherchen zum Pestizid-Reduktionsplan Schweiz klar, dass die Behörden weit davon entfernt sind, den Pestizideinsatz auch nur annähernd unter Kontrolle zu haben. Es gibt keinerlei Anzeichen, dass sich dies ändern könnte. Deshalb müssen jetzt die Weichen Richtung Pestizidausstieg gestellt werden. Wie das geht, zeigen innovative Landwirte landauf landab schon heute auf.
PS: Unverständlicherweise machen Bauernverband und viele Produzentenorganisationen noch immer Druck auf die Behörden, möglichst wenig Einschränkungen beim Pestizideinsatz zu erlassen. Sie sind damit für die Fahrlässigkeiten der Bundesämter bei Zulassung und Vollzug mitverantwortlich. Für zukunftsorientierte Landwirte, welche Vision Landwirtschaft vertritt und für die wir uns einsetzen, handeln diese Verbände unverantwortlich und fügen dem Image und der Zukunft der Schweizer Landwirtschaft am Markt enormen Schaden zu.
Beim Pestizidproblem jagt eine Schlagzeile die nächste. «Pestizid-Cocktail in Bächen gefährdet das Trinkwasser», titelten die Medien im Frühling. Wenig später hiess es: «Pestizide: Gefahr auch im Grundwasser». Nun werden acht Brunnen in Andelfingen (ZH) trockengelegt. Auch das Trinkwasserpumpwerk in Neftenbach (ZH) wurde kürzlich abgeschaltet . Pfäffikon (ZH) meldete, dass Wasser aus einem Pumpwerk erhöhte Rückstände des Pestizids aufgewiesen habe und abgedreht werden musste. Auch andernorts machen die Pestizidwerte im Wasser Probleme. Pestizide beschäftigen das ganze Land! Nicht überrascht von diesen Problemen dürfte der überzeugte Biolandwirt Ralph Hablützel aus Dättlikon (ZH) sein. Er zeigt im Interview, dass auch eine Landwirtschaft ohne permanenten Pestizideinsatz funktioniert - sogar beim anspruchsvollen Anbau von Tafelobst.
Mit Halbwahrheiten und Fehlinformationen versuchen Bundesamt für Landwirtschaft, Agroindustrie und konservative Bauernorganisationen, die katastrophale Bilanz der Schweiz im Umgang mit Pestiziden schönzureden. In einem gut recherchierten Artikel zeigt der Beobacher die Machenschaften der Pestizidlobby auf. Millionenteure PR-Kampagnen sollen ein Ja zur Trinkwasserinitiative erzwingen und selbst einen weniger weitgehenden Gegenvorschlag des Parlamentes verhindern. Hauptsache, das Geschäft mit der Vergiftung der Landschaft floriert weiterhin ungehindert.
Bei den Pestiziden weist die Schweiz im Vollzug der Gesetze und Verordnungen gravierende Lücken auf. De facto weiss und kontrolliert niemand, wo welche Pestizide in die Landschaft ausgebracht werden, und Informationen werden, wo sie überhaupt vorliegen, von Behörden teils vorsätzlich zurückgehalten.
Es erstaunt deshalb nicht, dass eine Missachtung der Gesetze und Verordnungen bei der Verwaltung wie bei den Anwendern an der Tagesordnung ist. Dies zeigen Untersuchungen von NGO's. Die Folge davon sind weit verbreitete Grenzwertüberschreitungen von Pestizidfrachten in Oberflächengewässern und Trinkwasser oder das zunehmende Fehlen von Bestäubern in der Landschaft.
Für Vision Landwirtschaft und immer mehr bäuerliche und Umweltorganisationen ist klar: Es ist nicht absehbar, dass wir den Umgang mit Pestiziden in den Griff bekommen. Die Kosten, die Pestizide der Umwelt, der Bevölkerung und wohl vor allem zukünftigen Generationen bescheren, sind enorm. Der Aktionsplan des Bundes bietet keine Lösung, strebt er doch nicht einmal einen gesetzeskonformen Zustand an. Es gibt nur einen Weg: Die Weichen Richtung Ausstieg stellen. Alternativen sind längst vorhanden oder werden derzeit laufend entwickelt.
Die neueste, umfangreiche NAQUA-Untersuchung des Bundes zeigt, dass "vor allem Nitrat und Rückstände von Pflanzenschutzmitteln die Grund- und Trinkwasser-Qualität nachhaltig beeinträchtigen". Selbst der Bund, der eigentlich für einwandfreies Trinkwasser zuständig wäre, bezeichnet die Situation als gravierend.
Lösungen bietet er bisher allerdings nicht an. Sein mehr als halbherziger "Aktionsplan Pflanzenschutzmittel" mit den unzähligen unverbindlichen oder wenig wirksamen Massnahmen jedenfalls wird an der unhaltbaren Situation kaum etwas ändern. Lösungsperspektiven zeigen derzeit nur die beiden Pestizidinitiativen auf.
Der Verband der Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute (VSA) ist überzeugt, dass die Trinkwasserinitiative sowohl für die Umwelt, wie auf für die Schweizer Landwirtschaft ein grosser Gewinn wäre. Die Fachleute stützten sich dabei auf ein ausführliches Rechtsgutachten, sowie auf die von Agroscope durchgerechneten Szenarien, welche bei einer Annahme der Initiative zum Tragen kämen.
Der Verband swisscleantech setzt sich für eine nachhaltige Wirtschaft ein. Der Geschäftsführer Christian Zeyer erklärt, warum gerade die Landwirtschaft nachhaltiger werden muss und welche neuen Technologien helfen können, den Einsatz von Pestiziden und Mineraldünger auf ein Minimum zu reduzieren.
Durch den Einsatz von technischen Hilfsmitteln wie Drohnen oder Jätrobotern sieht swisscleantec die Chance, den Pestizideinsatz zukünftig um 90% zu reduzieren. Bis diese technischen Helfer die Schweizer Felder erobern, wird es wohl noch eine Weile dauern, denn der Einsatz von Pestiziden ist im Vergleich zur Anschaffung beispielsweise eines Hackroboters viel zu günstig. Würden die Preise für Pflanzenschutzmittel erhöht und Lenkungsabgaben darauf erhoben, so würde der Einsatz der neuen, umweltfreundlichen Technik attraktiver.
Pestizide überschreiten in zwei Drittel der St. Galler Bäche die gesetzlichen Anforderungen, im extremsten Fall um den Faktor 160. Untersucht wurden 78 kleinere Bäche im Kanton. Erstmals hat das kantonale Amt für Wasser und Energie einige der Gewässer auch auf Medikamente und Industriechemikalien analysiert. Im Vergleich mit Pestizide waren sie deutlich weniger bedeutsam. Von den 109 identifizierten Stoffen war der Grossteil Pestizide, nämlich 74 verschiedene Giftstoffe; von den Industriechemikalien und Medikamenten waren es dagegen "nur" 35. Der Grossteil der Pestizide dürfte aus der Landwirtschaft stammen, aber auch Private und Gärtner seien in der Pflicht.
Im Rahmen der Nationalratsdebatte zu den beiden Pestizidinitiativen führte der RTS (Radio Télévision Suisse) eine spannende Untersuchung durch. Von neun welschen Parlamentariern wurden Haarproben entnommen und auf Pestizidrückstände untersucht. Dabei wurde festgestellt, dass nur gerade zwei Proben keine Pestizidrückstände aufwiesen. Fünf Proben enthielten Rückstände von einem Neonicotinoid-Wirkstoff, während in zwei Proben sogar drei Neonicotinoid-Wirkstoffe nachgewiesen werden konnten.
Die Parlamentarier, die sich bereit erklärten, Haarproben untersuchen zu lassen, waren durchaus erstaunt von den Resultaten, obwohl bereits heute bekannt ist, dass Pestizidrückstände fast überall in unserer Umwelt auffindbar sind. Egal, welche Bemühungen ein Konsument auf sich nimmt, es ist kaum zu vermeiden, dass er mit Pestizidrückständen in Kontakt kommt. – Auch bei einer strikten Ernährung mit biologisch produzierten Nahrungsmitteln nicht.
Jean-Noé-Genoud, der zusammen mit seiner Frau vor drei Jahren einen Landwirtschaftsbetrieb übernommen hat und diesen seither nach den Richtlinien von Bio-Suisse bewirtschaftet meint: «Seitdem man chemisch-synthetische Pestizide einsetzt, wird nur noch Wert gelegt auf die Qualitätsmerkmale der Früchte und wie gut sich diese verkaufen lassen. Dies bedeutet auch, dass die Frucht rot sein muss, bevor sie reif ist. Heute werden keine Sorten mehr ausgewählt, die resistent sind gegen Schädlinge oder Pilzkrankheiten.»
Jean-Noé Genoud ist sich bewusst, dass etwas geändert werden muss. Er sieht den Schlüssel zum Erfolg in einer Vielfalt von Kulturen und einer sorgfältigen Auswahl von resistenten Sorten.
«Um den Weg für eine Zukunft ohne Pestizide freizumachen, muss die Schweizer Landwirtschaft einen viel grösseren Schwerpunkt auf resistente Obst- und Gemüsesorten setzen», sagt Pflanzenzüchterin Monika Messmer an einer Informationsveranstaltung des Forschungsinstitutes für Biologischen Landbau FiBL. In einer Reihe von Vorträgen zeigten WissenschafterInnen auf, wo die Herausforderungen einer pestizidfreien Nahrungsmittelproduktion liegt. Wenn die Schweizer Landwirtschaft in Zukunft am Markt eine Chance haben wolle, müsse sie als Pionier diesen Weg vorangehen.
Bauernverbandspräsident Markus Ritter widerspricht den Forschenden und verteidigt als Biobauer den Pestizideinsatz. Szenarien einer pestizidfreien Produktion seien für ihn unvorstellbar. Er habe vor allem Angst vor höheren Preisen. Zudem bemühe sich die Landwirtschaft bereits genug, schliesslich trage der Bauernverband ja den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes mit.
Agrarfachleute sehen in der pestizidfreien Landwirtschaft dagegen grosses Potenzial. «Der Anbau ohne Pestizide wäre für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft klar ein Gewinn», sagt Andreas Bosshard, Geschäftsleiter der Denkwerkstatt Vision Landwirtschaft. Wie eine neue Studie zeige, könne mit einer Einkommenszunahme der Bauernfamilien von bis zu 34 Prozent gerechnet werden. «Für die pestizidfreien Produkte können sie bessere Preise lösen.» Zudem sparen sich die Bauernhöfe laut Bosshard die hohen Kosten für Pestizide und andere Hilfsstoffe. Nicht zuletzt profitiere auch die Versorgungssicherheit, zumal die Landwirtschaft durch die Importe von Pestiziden und enormen Mengen an Futtermitteln heute stark vom Ausland abhängig sei. «Da ohne den Einsatz von Pestiziden mehr Handarbeit anfällt, gibt es zudem mehr Arbeitsplätze in der Landwirtschaft.»
Neben dem Obst- und Gemüsebau werden im Weinbau die meisten Pestizide eingesetzt. Als entsprechend anspruchsvoll gilt es, auf diese Giftstoffe zu verzichten. Immer mehr Pioniere zeigen, wie dies möglich ist. Einer, der diesen Weg besonders erfolgreich gegangen ist, ist der Winzer Bruno Martin aus Ligerz. Dank seiner sorgfältigen Pflege der Bodenbiodiversität kann er sogar auf Dünger verzichten. Damit weist er den Weg zu einer giftfreien, ressourcenschonenden Landwirtschaft der Zukunft, die mit der Natur statt gegen sie arbeitet und die dadurch auch weniger Kosten verursacht – bei der Produktion wie in der Umwelt.
Bruno Martin - «Visionen sind die Saat für eine Ernte der Zukunft»
Die Grundlagen des pestizidfreien Weinbaus
Wer mit dem Schiff auf dem Bielersee unterwegs ist, kann sie nicht übersehen: Die Rebberge welche die Hänge des linken Bielerseeufers zieren. Traditionell ist das Rebbaugebiet am Jurasüdfuss geprägt von der Weisswein-Produktion. Auf dem standorttypischen Kalkboden fühlen sich Sorten wie Chasselas, Chardonnay oder Sorten der Pinot-Familie sehr wohl. Die Reben profitieren vom Wärmespeichereffekt des Sees und von den mikroklimatischen Vorzügen der Terrassierung.
So idyllisch die sonnenverwöhnte Weinbauregion auch beschrieben werden kann, sie hat auch ihre Schattenseiten: Ein Grossteil der Reben wird nach ÖLN-Richtlinien und somit mit hohem Pestizideinsatz bewirtschaftet. Nur wenige Winzer verschreiben sich aus Überzeugung der Bioweinproduktion. – Bruno Martin aus Ligerz ist einer von ihnen. Mit Herzblut setzt er sich für einen naturverträglichen Weinbau ein und geht dabei deutlich weiter als der Biolandbau selbst: Er verzichtet auf immer mehr Parzellen ganz auf Pestizide und setzt nur noch Pflanzenstärkungsmittel ein. Sein Credo ist ein gesunder Boden, aus dem gesunde Pflanzen hervorgehen, die sich gegen Schädlinge selber schützen können.
Mit grösstem Respekt gegenüber der Natur
Wer mit dem Winzer ins Gespräch kommt, merkt schnell, welche Visionen sein Denken prägen. Sein Pioniergeist, sein Mut und seine oft zäh errungenen Erfolge sind ansteckend.
Bruno Martin führt den Rebbaubetrieb seit 1982. Seine acht Hektaren Reben zieren die Hänge von Ligerz, einem kleinen Winzerdorf am linken Bielerseeufer. Weiter kommen rund 58 Aren Ökoflächen dazu, welche mit vielfältigen ökologisch wertvollen Elementen versehen sind. Seit bald 20 Jahren wird der Betrieb nach den Richtlinien von Bio-Suisse und Demeter bewirtschaftet.
Bruno Martin in seinen Reben neben einer selbsterstellten Trockensteinmauer
Von seiner Grossmutter lernte Bruno Martin schon früh, die Wichtigkeit einer intakten Natur kennen. Sie war es, die ihm die Werte mit auf den Weg gab, die ihn bis heute prägen: der respektvolle Umgang nicht nur mit Mitmenschen, sondern auch der faire und nachhaltige Umgang mit den Produktionsgrundlagen.
Als er die Reben seiner Grossmutter übernehmen durfte, verzichtete er, damals noch als IP-Bauer, als einziger Landwirt weit und breit auf den Einsatz von Akariziden, auf Gifte, die eingesetzt werden gegen die Spinnmilbe. Schon im ersten Jahr bezahlte er ein grosses Lehrgeld, indem durch den Spinnmilbenbefall das Laub seiner Reben grossen Schaden erlitt, was zu hohen Ertragsausfällen führte. Dies bewegte ihn zum Umdenken. Statt in Pestizide begann er, in eine intakte Biodiversität zu investieren, er setzte sich intensiv mit der Produktionsgrundlage Boden auseinander, pflanzte Bäume und Hecken, erstellte Trockenmauern, verzichtete auf Bodenbearbeitung und begrünte seine Rebberge.
Mehr als Bio
Kurz nachdem er auf Biolandbau umgestellt hatte, kam im Jahr 1991 die Rotweinsorte «Regent» auf den Markt, eine der ersten sogenannten «PIWI»-Sorten. Bruno Martin zögerte nicht und setzte seine ersten PIWI-Reben. – Der Anteil davon ist stetig gewachsen. Heute sind es rund 60%. Damit konnte er den Einsatz von auch im Biolandbau erlaubten Pestiziden (Kupfer und Schwefel) massiv reduzieren.
Die ersten Weine von Bruno Martin, die voll und ganz ohne den Einsatz von Pestiziden produziert wurden, werden ab dem kommenden Herbst in den Regalen von Coop zu finden sein. Auf die Frage, warum er mit seiner Idee einer pestizidfreien Produktion weitergeht als die Bio-, bzw. Demeterproduzenten, meint er ganz einfach: «Visionen sind die Saat für die Ernte der Zukunft». Er ist überzeugt, dass Stillstand in eine Sackgasse führt und ist sich daher sicher, dass eine Weiterentwicklung des heutigen «Bio» unabdingbar ist.
Wege zur pestizidfreien Weinproduktion
Der Weg zur Produktion eines pestizidfreien Weins war hürdenreich. Bruno Martin ist ein Macher und weiss, wie er seine Ziele erreichen kann. Eine pestizidfreie Produktion ist nur möglich durch ein Zusammenspiel von diversen Vorbedingungen und Massnahmen:
Standort / Wetterlage / Sorten
Der Standort mit Boden und Klima entscheidet im Rebbau oftmals über Erfolg oder Misserfolg im Zusammenhang mit dem Bekämpfen von Pilzkrankheiten. Auch PIWI-Sorten gedeihen an Top-Reblagen am prächtigsten und können ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Pilzkrankheiten dort am besten ausschöpfen.
Vitalität von Boden und Pflanzen
Bruno Martin erwähnt immer wieder das Wort «Gleichgewicht», wenn er über seine Reben spricht. Werden Boden und Pflanzen überfordert, z.B. mit zu hohen Düngergaben oder einem zu häufigen Pestizid- oder Maschineneinsatz, geraten diese wichtigen Produktionsgrundlagen aus dem Gleichgewicht, was zu Stress, verminderter Widerstandskraft und damit zu Ertragsverlusten führt.
Mähmanagement
Grün soll es sein unter den Reben, die Pflanzenvielfalt soll sich entwickeln, blühen und versamen: Auf dem Betrieb von Bruno Martin werden die Rebstöcke erst dann das erste Mal ausgemäht, wenn sich der erste falsche Mehltau, eine im Rebbau gefürchtete Pilzinfektion, ankündigt. Das hohe Gras um die Stöcke muss sodann in Schach gehalten werden, damit die Pflanzen gut abtrocknen können. Nach diesem ersten Schnitt werden die Rebreihen alternierend gemäht. So haben Kleinlebewesen immer die Chance, in ältere Wiesenstreifen umzusiedeln.
Hagelschutznetze
Durch Hagelschutznetze werden die Triebe der Reben nach oben gerichtet. Dies fördert ein besseres Abtrocknen der Stöcke und senkt so wiederum die Gefahr für Angriffsherde von Pilzinfektionen. Ein weiterer Vorteil der Hagelschutznetze ist zudem die Ableitung des Regenwassers. Das Wasser rinnt entlang der Netze zum äussersten Rebstock, wo es versickert. – Wiederum ein positiver Effekt für ein schnelles Abtrocknen der Reben.
Auslauben
Nach der Blüte der Reben, wenn die Beeren ca. erbsengross sind, werden die Stöcke grosszügig «ausgelaubt». Jegliche Blätter rund um die Trauben müssen entfernt werden, damit sich Feuchte nicht ansammeln kann.
Sind all diese Massnahmen getroffen, so muss auch Bruno Martin manchmal zu Kupfer oder Schwefel greifen (Demeter erlaubt: max. 3kg Kupfer/ha/Jahr) – aber nur bei seinen alten krankheitsanfälligen Sorten. Der falsche Mehltau kann dabei mit Kupferbehandlungen und den Teilwirkungen, die der Einsatz von Schwefel hat, gut in Schach gehalten werden. Gegen den echten Mehltau (weitere in Reben häufige Pilzinfektion) hingegen wirkt Kupfer nicht, ein Einsatz von Schwefel ist da nötig.
Seit Bruno Martin auf eine ganzjährige Begrünung in seinen Reben setzt und seine Pflanzen nicht mehr düngt, ist es in seinen Reben nie wieder zu einem Botrytisbefall (Grauschimmelpilz, der die Traubenbeeren verfaulen lässt) gekommen.
Das Ökosystem im Gleichgewicht oder «regenerative Landwirtschaft»
Im Gespräch mit Bruno Martin fällt immer wieder das Wort «Biodiversität». Seine Rebberge in Ligerz sind einmalig in dieser Region. Hecken, Hochstammobstbäume, blumenreiche Ökowiesen, Vogelhäuser, Trockensteinmauern und sogar ein Wiesel-Hotel zieren seine Rebhänge. Mindestens alle 50 Meter befindet sich ein Strukturelement für die, wie Bruno Martin es nennt, Biodiversität «über dem Boden». Diese Elemente werden mit viel Liebe zum Detail gepflegt, damit unter anderem Kleinlebewesen wie Eidechsen, Hummeln, Wild- und Erdbienen oder auch Schlangen ein Zuhause finden. Beim Ausmähen der Reben, wird zudem Acht gegeben auf besondere Pflanzen. Das Resultat ist beeindruckend. So hat sich in seinen Rebbergen die Bocksriemenzunge, eine sehr seltene, gefährdete Orchideenart, angesiedelt und bildet heute eines der grössten Vorkommen in der Schweiz.
Ein Wieselhotel in den Rebbergen von Bruno Martin
Biodiversität auch im Boden
Genauso wichtig wie die sichtbare Biodiversität «über dem Boden», ist für Bruno Martin die unterirdische Biodiversität, welche auf das Gleichgewicht von Boden und Pflanzen einen enormen Einfluss hat. Bruno Martin bearbeitet seine Böden nicht. Er überlässt diese Arbeit den unzähligen Bodenlebewesen, welche für die Lockerung, Durchlüftung und Sickerfähigkeit des Bodens sorgen.
Konnte Bruno Martin in der Vergangenheit einen Rebberg übernehmen, so stand meist zuerst eine Bodensanierung an. Solch eine Sanierung kann nur in enger Zusammenarbeit mit der Natur und vielen Jahren Geduld erfolgreich enden: Kompost zuführen, Einsaaten von Ölrettich, Zwischenjahre ohne jegliche Massnahmen und Abbruchlockerungen (Auflockerung des Bodens bis in tiefe Bodenschichten) sind nur ein paar der Massnahmen, welche vorgenommen werden, um eine gesunde Bodenstruktur aufzubauen. Befindet sich danach ein Boden im Gleichgewicht, so sind weder Düngergaben, noch Bodenbearbeitungen nötig. Einzig Dolomit, ein Karbonat-Gestein, welches reich an Calcium und Magnesium ist, wird alle 10 Jahre auf die Böden ausgebracht.
Was heute als «regenerative Landwirtschaft» bezeichnet wird, lebt Bruno Martin seit Jahren. Er betont immer wieder: «Wenn sich Boden, Reben und Biodiversität im Gleichgewicht befinden, dann bleiben meine Trauben gesund.»
Mut zu Neuem
Bruno Martin ist überzeugter Winzer, welcher einen konsequenten Weg hin zu einer pestizidfreien Landwirtschaft eingeschlagen hat. Er möchte auch andere Landwirte motivieren, sich über bisherige Produktionssysteme Gedanken zu machen, diese zu hinterfragen und immer wieder neue Wege einzuschlagen.
Die Umstellung auf pestizidfreie Produktion braucht nicht nur Mut und Durchhaltewillen, sondern vor allem eines: Vertrauen in die Natur und deren Prozesse.
Während das Parlament endlos über das Pestizidproblem in der Landwirtschaft debattiert und sich auf Druck von Agroindustrie und rückwärtsgewandten Bauernorganisationen zu keinerlei verbindlichen Massnahmen durchringen kann, handelt die SBB: Bis 2025 wollen die Bundesbahnen ganz auf das umstrittene Herbizid Glyphosat verzichten. Die SBB waren der grösste private Abnehmer von Glyphosat. Sie setzten es zur Unkrautbekämpfung auf den Geleisenalagen ein.
Bemerkenswert beim Vorgehen der SBB: Sie wollen das vermutlich krebserregende Pestizid nicht einfach durch ein anderes ersetzen, sondern es kommen umweltfreundliche alternative Verfahren zum Einsatz - unter anderem Heisswasser. Dieses hat zudem den Vorteil, dass pro Jahr nur vier Behandlungen nötig sein werden, deutlich weniger als bei Glyphosat.
Kantonschemiker und Umweltorganisationen werfen dem Bundesamt für Landwirtschaft seit Jahren Intransparenz und fehlende Unabhängigkeit vor. Dies habe immer wieder zu gravierenden Fehlern bei der Zulassung besonders kritischer Pestizide geführt. Nun reagiert der Bund und durchleuchtet das Amt.
Von 185 Früchte- und Gemüseproben aus der Schweiz mussten 12,0 bzw. 11,9% wegen überhöhter Pestizidwerte beanstandet werden. Bei Importen aus dem EU-Raum waren es dagegen nur halb so viele Beanstandungen, nämlich 7% beim Gemüse und 5% bei den Früchten. Zudem seien in der EU viele Wirkstoffe verboten, die in der Schweiz zugelassen seien. Dies schreibt der Tages-Anzeiger in einer Zusammenstellung zum Pestizideinsatz in der Schweiz.
Der Artikel widerspricht damit dem Bundesrat, der immer wieder die besondere Qualität der Schweizer Landwirtschaftsprodukte hervorstreicht und mit solchen Aussagen seit Jahren versucht, vom Handlungsbedarf abzulenken und wirksame Massnahmen gegen den viel zu hohen Pestizideinsatz abzublocken.
Die Angriffe gegen die beiden Herren vom Bauernverband und der SVP waren heftig: Maya Graf, Biobäuerin und Nationalrätin, und Jean-Denis Perrochet, Winzer und Initiant der Pestizidinitiative, warfen Bauernverbandspräsident Markus Ritter und SVP-Nationalrat und Bauer Marcel Dettling emotional und mit starken Argumenten vor, jegliche Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Agrarpolitik zu blockieren und den Kopf vor den unbestrittenen Umweltproblemen der Schweizer Landwirtschaft weiterhin stur in den Sand zu stecken.
Tiana Moser, Nationalrätin und Initiantin des Aktionsplans Pestizide, doppelte mit Fakten nach und sprach von einer Verweigerungshaltung des Bauernverbandes. Ritter und Dettling blieb nurmehr, sich mit Handen und Füssen zu verteidigen gegen Anfwürfe aus den eigenen Reihen. Fakten und Argumente blieben sie weitgehend schuldig. Fortschrittliche, ökologisch orientierte Bäuerinnen und Bauern gegen ewiggestrige Bewahrer eines nicht mehr zukunftsfähigen landwirtschaftlichen Produktiossystem, das die Umwelt und damit die eigene Produktionsbasis zerstört. 1:0 für die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative.
Im Jahre 2008 hat der Bund die Umweltgesetzgebung mittels Umweltzielen konkretisiert. Bis heute verfehlt die Schweizer Landwirtschaft diese Umweltziele in weitem Ausmass. Hauptursache ist eine verfehlte Agrarpolitik mit ihren unzähligen Fehlanreizen zu umweltschädlichem Verhalten. Die Trinkwasserinitiative (TWI) will nichts anderes, als das 20-jährige Versagen der Agrarpolitik durchbrechen: Die Agrarpolitik soll endlich die Umweltgesetze und die Verfassung respektieren, wie es eine Kolumne der NZZ auf den Punkt bringt.
Nitrat- und pestizidverschmutzte Gewässer, weit über die Grenzwerte hinaus ammoniakbelastete Atemluft, überdüngte naturnahe Ökosysteme, antibiotikaresistente Keime und ein starker Rückgang der Artenvielfalt - das sind nur ein paar wenige der Auswirkungen einer zu intensiven Schweizer Landwirtschaft. Sie verletzt damit in vielerlei Hinsicht das Umweltrecht wie auch internationale Vereinbarungen.
Um die Kehrtwende zu schaffen, ist es nötig, dass sich die Landwirtschaft weiterentwickelt hin zu nachhaltigen und standortangepassten Produktionsweisen, welche sich in die Prozesse der Natur einfügen, anstatt diese zu zerstören. Dazu braucht sie die kräftige Unterstützung der Agrarpolitik, die mit ihren milliardenschweren Fehlanreizen bisher der Umwelt mehr geschadet als genützt hat.
Die Trinkwasserinitiative zeigt Wege und Strategien aus der Sackgasse und will Bundesbern zwingen, endlich die Weichen hin zu einer umweltverträglichen und gesetzeskonformen Agrarpolitik zu stellen.
Die offizielle Agrarpolitik verspricht seit 20 Jahren eine nachhaltige Landwirtschaft. Bis heute hat sie dieses Versprechen nicht eingelöst, im Gegenteil, ein Grossteil der Gelder schwächt eine nachhaltige Produktion. Eine aktuell publizierte Studie der Agroscope zeigt, dass ein Ja zur Trinkwasserinitiative (TWI) den Bund zwingen würde, endlich die Steuergelder konsequent für eine nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen.
Das Forschungsinstitut Agroscope untersuchte die möglichen Folgen der Trinkwasserinitiative für die Landwirtschaft mittels detaillierten Modellrechnungen. Dabei wurden verschiedene Szenarien definiert mit je unterschiedlicher Umsetzung des Initiativtextes. 15 der 18 Szenarien sind nicht realistisch und wurden mehrheitlich auf Druck des Bauernverbandes in die Studie aufgenommen. Sie legen den Initiativtext viel restriktiver aus als die Initianten selbst*. Eine solche Initiativtextauslegung ist damit in keiner Weise realistisch und würde die Landwirtschaft viel stärker einschränken als nötig.
Nur wenige Szenarien sind realistisch
Lediglich 3 Szenarien (Nr. 3 ,6 und 9) entsprechen einer realistischen Auslegung des Initiativtextes. (Das Szenario 9 ist zwar hinsichtlich der Auslegungen der Initiative realistisch, geht aber von eher unrealistisch hohen Preisen aus.) Dies zeigt Vision Landwirtschaft in ihrer im Agroscope-Bericht publizierten Einschätzung. Nach Annahme der Initiative würde gemäss dieser Szenarien der Grossteil der Landwirtschaftsfläche der Schweiz in Zukunft pestizidfrei bewirtschaftet. Die regelmässigen Überschreitungen von Pestizidgrenzwerten in Trinkwasserfassungen und in Oberflächengewässern, wie sie in der Schweiz im Ackerbaugebiet fast flächendeckend seit vielen Jahren unverändert auftreten, dürften damit endlich der Vergangenheit angehören.
Ähnliches gilt auch für die Emissionen aus der Tierhaltung, vor allem von Ammoniak. Diese Emissionen liegen seit Jahrzehnten in den meisten Regionen ein Mehrfaches über den gesetzlichen Grenzwerten. Gemäss Modellierungsresultaten sinken die Tierbestände dank der TWI moderat und damit auch die Emissionen – ein Resultat, das die bisherige Agrarpolitik trotz Hunderten von Millionen Franken investierten Steuergeldern nicht erreicht hat. Die TWI dürfte also die Weichen wirksam in Richtung einer Landwirtschaft stellen, die endlich mit der Schweizer Umwelt- und Gewässerschutzgesetzgebung konform ist.
Einkommen der Landwirtschaft nimmt zu
Aus landwirtschaftlicher Perspektive besonders erfreulich sind die gemäss Modellrechnungen zu erwartenden ökonomischen Auswirkungen. Wird Szenario Nr. 6 als Referenz gewählt, das von den drei genannten Szenarien am realistischsten ist (mittlere Preisentwicklung), nimmt das Einkommen bei den im Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN verbleibenden Betrieben um 12% zu; beim Szenario 9, das von einer günstigeren Preisentwicklung ausgeht, wären es sogar 32%. Doch auch diejenigen rund 11% der Betriebe, die aus dem ÖLN aussteigen und auf Direktzahlungen verzichten, verdienen um durchschnittlich 2% mehr, indem sie ihren Direktzahlungsverlust mit entsprechend höheren Roherträgen ausgleichen können.
Hinsichtlich Produktion und Flächennutzung zeigen die Modellresultate eine Zunahme der offenen Ackerfläche; Flächenrückgänge bei Zuckerrüben, Ölsaaten sowie Reben, Obst und Beeren werden durch einen Zuwachs bei Getreide und Gemüse ausgeglichen. Dies weist darauf hin, dass die Herausforderungen einer notwendigen Anpassung auf die Vorgaben der TWI für unterschiedliche Produktionsrichtungen zwar generell in einem machbaren Rahmen liegen, aber verschieden gross sind. Für besonders betroffene Produktionsrichtungen sollten in den vorgesehenen 8 Übergangsjahren entsprechende Unterstützungs- und Anpassungsprogramme bereitgestellt werden. Die für die Versorgungssicherheit gewünschten Produktions- und Verarbeitungskapazitäten sollten dabei wie bisher mit Beiträgen für einzelne Kulturen wie Ölsaaten sichergestellt werden.
Kaum Rückgang bei der Produktion
Leider gibt die Studie den relevanten Nettoselbstversorgungsgrad (welcher die Tierfutterimporte mitberücksichtigt) nicht an. Sein Rückgang dürfte gemäss einer Nachkalkulation von Vision Landwirtschaft deutlich unter 10% liegen. D.h. es müssten zwar etwas mehr Agrarprodukte importiert werden, aber selbst bei restriktiver Umsetzung der Initiative nur in geringem Umfang. Wird der von der Studie nicht berücksichtigte technische und züchterische Fortschritt im Umgang mit einer pestizidfreien Produktion mit einbezogen, dürften zusätzlich nötige Importe fast ganz wegfallen.
Fazit Geht man davon aus, dass das Parlament den Spielraum des Initiativtextes nutzt, um eine möglichst zielführende Umsetzung der Initiative im Hinblick auf Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu realisieren, dürften die Auswirkungen noch deutlich positiver ausfallen als in den einzigen einigermassen realistischen Szenarien 3, 6 und 9 von Agroscope. Die TWI ist damit eine klare Chance für eine nachhaltigere und zugleich wirtschaftlichere Schweizer Landwirtschaft. Sie ermöglicht eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in eine Richtung, welche genau ihren offiziellen, bisher aber seit 20 Jahren weitgehend verfehlten Zielen entspricht.
* Kästchen 15 der 18 von Agroscope durchgerechneten Szenarien gehen von einer viel zu extremen Interpretation des Initiativtextes aus. So gewährt die Trinkwasserinitiative eine Übergangsphase von acht Jahren, was in den Berechnungen ausgeklammert wurde. Dadurch sind die Auswirkungen auf den Betrieben viel drastischer als sie in der Realität wären, weil sich die Betriebe anpassen können und zahlreiche Innovationen und Verbesserungen der Agrartechnik zugunsten einer pestizidfreien Produktion zu erwarten sind. Zudem geht die Agroscope-Studie davon aus, dass keinerlei Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürfen. Auch dies widerspricht klar der Initiative. Pflanzenschutzmittel, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, sind von der Initiative nicht betroffen. Zu guter Letzt gehen 8 Szenarien, welche ganz am Schluss und gegen den Willen der Begleitgruppe vom Bauernverband hineingebracht worden sind, von einer Reduktion der Direktzahlungen bei Annahme der Initiative aus. Davon war bisher nirgends die Rede, auch dies also irreführende Szenarien, die mit der Initiative nichts zu tun haben.
Das Eidgenössische Wasserforschungsinstitut Eawag hat einmal mehr die Auswirkungen von Pestiziden auf Schweizer Fliessgewässer untersucht und ist auf erschreckende Resultate gestossen. Rückstände von Dutzenden Pestiziden führen zu einem massiven Rückgang von Kleinstlebewesen in unseren Gewässern. Die Folge davon ist das Verschwinden von Fischen, wie zum Beispiel der Forelle – ihr fehlt die Nahrungsgrundlage.
Der Fang sämtlicher Fische in Schweizer Fliessgewässern sank seit dem Jahr 2000 um rund ein Drittel. Der Fischereiverband ist sich einig, dass ein Verbot der elf gefährlichsten Pestizide für die Schweizer Gewässer unabdingbar ist, zumal auf den Einsatz dieser Pestizide in der Landwirtschaft verzichtet werden kann. Eines dieser Pestizide ist das Mittel Diuron, welches in der Landwirtschaft als Herbizid eingesetzt wird und als stark gewässergefährdend eingestuft wird.
Für die Landwirtschaft gibt es heute diverse Methoden, Unkraut mechanisch zu bekämpfen. Höchste Zeit also, auf den Einsatz solcher Pestizide zu verzichten und die Zulassung aufzuheben.
Intensiv bewirtschaftete Obstanlagen führen zu einer massiven Reduktion der Biodiversität und zu einer starken Abhängigkeit von externen Inputs wie Pestiziden und Mineraldünger.
Nun zeigen innovative Obstproduzenten, dass mit einem zukunftsweisenden Management im Obstbau mittels Blühstreifen die Bodenfruchtbarkeit und die Biodiversität nachhaltig verbessert werden können. Auf Insektizide kann so ganz verzichtet werden. Nicht nur wirtschaftlich ist die Methode interessant, sondern sie bringt auch markante Vorteile für Umwelt und Gesellschaft.
Kein Konzern verdient mehr Geld an der Schweizer Landwirtschaft als der Agrarmulti Fenaco. Milliarden von Franken sind es, die für den Zukauf von Futtermitteln, Düngern, Pestiziden etc. von Schweizer Bauernhöfen an den gewieften Agrarmulti fliessen. Je industrieller die Produktion, desto rentabler das Geschäft.
Wenn dagegen in Zukunft weniger umweltschädliche Hilfsmittel eingesetzt werden sollen, wie das die Trinkwasserinitiaitve (TWI) will, geht das für Fenaco, Syngenta & Co. direkt ans Eingemachte.
Kein Wunder bekämpft die Agroindustrie die Initiative nach Kräften. Fenaco beispielsweise unterstützt allein die Vorkampagne gegen die TWI mit 200'000 Franken. Nicht direkt, sondern über den Bauernverband, der finanziell und personell engstens mit Fenaco verbandelt ist.
Wer weniger Agrarindustrie, dafür mehr nachhaltige, bäuerliche Landwirtschaft will, unterstützt die Trinkwasserinitative.
PS: Und wer jetzt beim Landi Gartenwerkzeug für seinen Biogarten kauft, finanziert die Fenaco-Kampagne gleich mit.
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES präsentiert diese Tage in Paris seine globale Analyse zum Zustand der Biodiversität. IPBES-Präsident Sir Robert Watson warnte zum Auftakt der Konferenz vor einem weltweiten Zusammenbruch der Artenvielfalt. Sie befinde sich in einer schwerwiegenden Notlage, bei der ein ebenso energisches Handeln nötig sei wie beim Klimawandel.
Die Nahrungsmittelproduktion belastet von allen menschlichen Tätigkeiten die Ökosysteme besonders stark. Die Landwirtschaft und die von ihr ausgehenden Bedrohungen der Biodiversität, beispielseise durch Zerstörung von Lebensräumen oder durch die Vergiftung der Umwelt mit Pestiziden, werden deshalb ein zentrales Thema am IPBES-Gipfel sein.
Für einmal kann die Schweiz nicht mit dem Finger auf andere Länder und Kontinente zeigen. Gemäss OECD sind die Defizite im Bereich Biodiversität in der Schweiz besonders hoch, an vordersters Stelle bei der Landwirtschaft.
"Der Pestizideinsatz in der Landwirtschaft gerät zunehmend in die Kritik. In fast allen Böden und Gewässern des Landes sind Rückstände zu finden", schreibt der Landbote. Und berichtet darüber, dass immer mehr Bauern von den Pestiziden wegkommmen wollen. Einer davon ist der Winzer Roland Lenz, der im Thurgau einen der grössten Weinbaubetriebe bewirtschaftet.
Nun schafft Lenz für seine Produktionsweise ein Label Namens "Pesticide free". Damit zeichnen er und weitere Winzer in der Schweiz ihre ohne jegliche Pestizide produzierten Weine zukünftig aus.
Im Rebbau werden normalerweise besonders viele Pestizde eingesetzt. Davon wegzukommen gilt als besonders anspruchsvoll. Dank jahrelanger Pionierarbeit hat es Lenz geschafft. Auch Kupfer setzt er nicht mehr ein, geht also mit seiner Produkton noch deutlich weiter als der Biolandbau.
Was im Weinbau möglich ist, soll in Zukunft in immer mehr anderen Kulturen Fuss fassen. Dafür kämpft Vision Landwirtschaft mit seinem Projekt "Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft" und einem Bauernkomittee, das ganz praktisch aufzeigt, wie sich diese zukunftsträchtige Produktionsweise umsetzen lässt.
Zu diesem Schluss kam gemäss den "Schaffhauser Nachrichten" eine Untersuchung im Kanton Schaffhausen. Besonders stark betroffen sind die Ackerbauregionen im Klettgau und bei Ramsen. Dort werden im Grundwassser regelmässig auch Grenzwertüberschreitungen festgestellt, vor allem von Herbiziden und Fungiziden. Kantonschemiker Seiler ortet grossen Handlungsbedarf, nicht nur bei den Pestiziden, sondern auch beim Stickstoff, der als Folge der überhöhten Tierbestände und der zunehmenden Futtermittelimporte ins Grundwasser gelangt.
Forscher der Universität Neuenburg haben Böden von Biobetrieben und von ökologischen Ausgleichsflächen auf das Vorkommen von Neonikotinoiden untersucht. Und sind dabei fast überall fündig geworden. In 93% der biologisch bewirtschafteten Böden und in 80% der Ökoflächen konnten die Pestizide nachgewiesen werden, wie die NZZ am Sonntag berichtet. Neonicotinoide sind besonders schädliche Insektizide, die beispielsweise für das Bienen- und Insektensterben mitverantwortlich gemacht werden.
Biosuisse bezeichnet das Resultat als erschreckend. Bauernverbandspräsident Markus Ritter dagegen beruhigt. Man könne sich das Resultat nicht erklären, und einige der festgestellten Stoffe dürften im Freiland gar nicht eingesetzt werden. Seit Biobauer Ritter das Szepter des Bauernverbandes übernommen hat, fährt der Verband einen strikt industrienahen Kurs und verteidigt zusammen mit Firmen wie Syngenta und Fenaco den besonders hohen Pestizideinsatz in der Schweiz bei jeder sich bietenden Gelegenheit.
Für Vision Landwirtschaft und andere Organisationen, die sich für eine nachhaltige, konsumentennahe Landwirtschaft in der Schweiz einsetzen, bestätigt das Resultat der Untersuchung dagegen: Pestizide sind allgegenwärtig, wir sind weit davon entfernt, sie im Griff zu haben. Es gibt nur einen Weg, um die weitere Vergiftung der Umwelt und ein weiteres Artensterben zu verhindern: Auf Pestizide zu verzichten.
Dank neuen Züchtungen und Kulturtechniken wäre eine Landwirtschaft ohne Pestizide, wie sie beispielsweise die Trinkwasserinitiative fordert, schon heute weitgehend und ohne wesentliche Ertragseinbussen möglich. Dagegen wehrt sich die Industrie jedoch mit Händen und Füssen, weil sie um den Verlust einer wichtigen Geldquelle fürchtet.
Zwei Studien des Wasserforschungsinstitutes Eawag und des Oekotoxzentrums im Auftrag des Bundesamtes für Umwelt zeigen wieder, dass Gewässer in landwirtschaftlichen Gebieten stark mit Pestiziden belastet sind. An manchen Orten, wie dem Eschelisbach (TG), ist deren Konzentration in der Vegetationszeit über Monate hinweg giftig. Sie gefährdet einzelne Tiere und Pflanzen, wie zum Beispiel den Bachflohkrebs, aber auch ganze Lebensgemeinschaften akut. An belasteten Standorten fehlen denn auch empfindliche Arten ganz.
Pro Standort wurden zwischen 71 und 89 Pestizid-Wirkstoffe gefunden, insgesamt 145 Stoffe. Nicht nur einzelne Wirkstoffe, sondern auch deren Mischung, also Pestizid-Cocktails, gefährden die Biodiversität stark. Für Christian Stamm, stellvertretender Abteilungsleiter Umweltchemie der Eawag ist deshalb klar: «Wir müssen die Pestizidbelastung durch die Landwirtschaft wesentlich reduzieren.» Diese Forderung decke sich zwar mit dem nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, der in Bern verabschiedet wurde. Dieser ziele in die richtige Richtung, sei aber zu wenig konkret. Auch würden Massnahmen fehlen, wie Lenkungsabgaben oder die sofortige Heraufsetzung des heute ungerechtfertigt tiefen Mehrwertsteuersatzes für Pestizide.
Ein Cocktail verschiedener Pestizide bedroht die Bienenvölker. Das bestätigt die Analyse von toten Bienen im letzten Jahr. Die Bienen waren von 10 bis über 20 verschiedenen Wirkstoffen belastet. Bisher weiss die Forschung noch viel zu wenig darüber wie das Gemisch von Pestiziden auf die Tiere wirkt. Das schreibt das Bienen-Beratungs- und Kompetenzzentrum Apiservice.
Fünfzehn Imker meldeten letztes Jahr in der Schweiz ein auffälliges Bienensterben. In vier Fällen bestätigten Laboranalysen eine akute Vergiftung. Verantwortlich hierfür waren die Insektizide Bifenthrin und Chlorpyrifos sowie die Biozide Fipronil und Permethrin. Diese Wirkstoffe werden in der Landwirtschaft breit eingesetzt. Marianne Tschuy, Fachspezialistin Bienengesundheit und Bienenvergiftungen, führt aus: «Da die Analysenmethoden ständig verbessert werden, können einerseits immer kleinere Mengen an Substanzen nachgewiesen werden.» Andererseits kenne man die langfristigen Auswirkungen von «Pestizidcocktails» auf die Bienenvölker noch kaum.
Eine gerade publizierte Studie untersuchte die Luftverfrachtung von Pestiziden in Deutschland. An 47 Standorten wurde Baumrinde auf Rückstände von Pestiziden getestet. An allen Teststandorten wurden Pestizide gefunden, dies nicht nur in der Nähe von konventionell bewirtschafteten Feldern, sondern auch mitten in Naturschutzgebieten.
Die weiträumige, kaum kontrollierbare Verfrachtung von Pestiziden ist nicht nur für die Umwelt verheerend. Auch der Biolandbau ist betroffen. Immer wieder kommt es auf Bio-Betrieben zu Verunreinigungen durch Pestizidabdrift aus der konventionellen Landwirtschaft. Manchmal können ganze Ernten dann nicht mehr verkauft werden oder den Bio-Betrieben droht der Verlust der Bio-Lizenz .
Die Biobranche fordert nun in Deutschland einen besseren Schutz vor Pestizideinträgen aus dem Umfeld und die Durchführung eines staatlichen Luftmonitorings zu Pflanzenschutzmitteln. Der Bundesverband Naturkost Naturwaren (BNN) rief nach einem „dauerhaften Analysesystem, das Mensch, Pflanzen, Tiere, Böden, Wasser und Luft auf Pestizidrückstände hin untersucht“. Die Bevölkerung habe ein Recht auf Schutz und Information.
Dass Insektizide aus der Gruppe der Neonoicotinoide selbst in extrem geringen Konzentrationen Bienen und zahlreiche andere Organismen schädigen, ist mittlerweile vielfach belegt. Eine Studie mit Spatzen zeigt nun, dass auch Vögel mit den hochgiftigen, teilweise noch immer bewilligten Insektiziden kontaminiert sind.
In der Studie der Universität Neuenburg untersuchten die ForscherInnen 600 Spatzen in der Nähe von 47 Bauernhöfen im Schweizer Mittelland. In den Federn aller untersuchten Vögel fanden sich Einlagerungen von Neonicotinoiden, oft von mehreren Wirkstoffen gleichzeitig. Nisteten die Vögel auf Biobetrieben, waren die Werte deutlich geringer.
Nach der umkämpften Zulassung des Herbizids Glyphosat hat die EU eine Reform der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit (Efsa) beschlossen. Ihr Kernelement ist die Pflicht zur Offenlegung sämtlicher Herstellerstudien in einer frühen Phase des EU-Zulassungsverfahrens von Pestiziden. Die endgültige Annahme des Gesetzes sollte bis Ende März erfolgen.
Die Reform ist auch eine Reaktion auf die Europäische Bürgerinitiative «Stop Glyphosat», die von mehr als einer Million EU-BürgerInnen unterschrieben wurde. Die Bevölkerung solle «automatisch Zugang zu allen Studien und Informationen erhalten», sagte EU-Gesundheitskommissar Vytenis Andriukaitis. In besonderen Fällen könne die EU-Kommission die Efsa künftig dazu anhalten, zusätzliche Studien in Auftrag zu geben. Die Efsa muss in Zukunft ausserdem bei der Zulassung von Produkten vorher über alle vorliegenden Studien informiert wird. So soll Herstellern die Möglichkeit genommen werden, unliebsame Studien unter Verschluss zu halten.
Die Schweiz hinkt hinterher Die automatische Veröffentlichung der bisher geheimen Industriestudien wird das Zulassungssystem für Chemikalien in Europa revolutionieren. Im Vergleich zur langjährigen weitgehenden Transparenz und den neuesten Fortschritten beim Zulassungsverfahren in der EU hinkt die Mitsprache in der Schweiz meilenweit hinterher.
Die Trinkwasser-Initiative, welche die Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger machen will, setzt dem Schweizer Bauernverband schwer zu. Krampfhaft sucht er nach Ideen, wie er dagegen antreten will.
Als erste Aktion wollte er seine Bauern aufrufen, ihre Felder teilweise verkümmern lassen. Die Idee stammt von der chemischen Industrie in Österreich, der IG Pflanzenschutz, in der u.a. Bayer, Syngenta und BASF den Ton angeben. Mit der vom Bauernverband 1:1 kopierten Kampagne sollte der Bevölkerung gezeigt werden, dass sie verhungern müsste, wenn die Felder nicht mehr mit Pestiziden besprüht werden.
Auch hier agiert der Bauernverband hilflos als verlängerter Arm der Agrarindustrie.
Vor allem bei Biobauern, die auch ohne Pestizide gute Erträge erwirtschaften, hat das Vorhaben einen Sturm der Entrüstung ausgelöst. Nun gibt Bauernverbandspräsident Markus Ritter klein bei, die Aktion wird abgeblasen.
Ausführlich hat die NZZ über die geplante Bauernverbands-Kampagne berichtet: "Sie ist populistisch und kindisch. Aber sie passt zur Debatte".
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat die Verkaufsstatistik von Pflanzenschutzmitteln (PSM) für den Zeitraum von 2008 bis 2017 veröffentlicht. Die Gesamtverkaufsmenge sinkt seit 2013. Das ist erfreulich und zeigt, dass eine gute Entwicklung stattfindet. Trotz dem positiven Trend gibt Vision Landwirtschaft zu bedenken: Die verkaufte Menge der besonders gefährlichen Wirkstoffe bleibt seit Jahren ungefähr gleich. Dabei will gerade hier das BLW mit dem Nationalen Aktionsplan einen Rückgang bewirken.
Ungeeigneter Indikator Die neu publizierte Statistik des Bundes ist zwar detaillierter als die bisherigen. Sie weist aber nach wie vor einen gravierenden Makel auf: Die Tonnagen an verkauften Pflanzenschutzmitteln sagen kaum etwas darüber aus, wie problematisch diese Mengen für Mensch und Umwelt sind. So reichen wenige Gramm der für die Umwelt besonders schädlichen Neonicotinoide zur Behandlung eines 1 Hektare grossen Feldes gegen Insekten. Demgegenüber beträgt die Aufwandmenge von Steinmehl mehrere hundert Kilogramm pro Hektare. Steinmehl wird ebenfalls gegen Insekten eingesetzt und ist für Mensch und Umwelt unbedenklich. Wenn also anstelle von Neonicotinoiden vermehrt Steinmehl verwendet wird, steigt in der Statistik die Verkaufsmenge an Pflanzenschutzmitteln markant, obwohl der Wechsel zu Steinmehl eine wesentliche Entlastung für Mensch und Umwelt bedeutet.
Aussagekräftiger Indikator nötig Dieses Beispiel zeigt, dass die jetzige Statistik, die lediglich auf verkauften Mengen basiert, schwierig zu interpretieren ist und irreführend sein kann. Andere Länder in Europa haben deshalb längst aussagekräftigere Indikatoren eingeführt. Vision Landwirtschaft verlangt seit Jahren, dass auch die Schweiz nachzieht. Relevant ist, welche Menge an Pestiziden mit welcher Giftigkeit ausgebracht wird.
Immer mehr LandwirtInnen probieren es erfolgreich aus, die Forschung macht Fortschritte und die Bauernpresse berichtet darüber! Pestizidreduziert bis pestizidfrei ist immer besser auch wirtschaftlich möglich, dank besserer Fruchtfolge, vielversprechender Forschung und resistenten Sorten.
Während die Schweizer Agrarpolitik sich weiterhin weigert, Abgaben auf Pflanzenschutzmittel zu erheben und sie sogar weitgehend von der Mehrwertsteuerpflicht verschont, handelt Frankreich. Die Nationalversammlung hat in der vergangenen Woche beschlossen, die "Verschmutzungsabgabe für Pflanzenschutzmittel" zum 1. Januar 2019 massgeblich zu erhöhen. Die "totale Mobilisierung" der französischen Agrarverbände hat den Beschluss nicht verhindern können. Die Schweiz gerät in ihrem largen Umgang mit Pestiziden damit weiter ins Hintertreffen.
Grossbäcker und Philanthrop Fredy Hiestand setzt ein wegbereitendes Zeichen für eine gesunde Natur und eine nachhaltige Landwirtschaft ohne Pestizide. Als erstes Branchenunternehmen in der Schweiz stellt «Fredy’s AG» die Produktion sämtlicher Backwaren – nebst Standard von IP-Suisse (Schweizerische Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen) – zusätzlich auf pestizidfrei um. Die Denkwerkstatt «Vision Landwirtschaft» hat ihn inspiriert und unterstützt ihn bei diesem Engagement für eine pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft.
In der Schweiz wird das umstrittene Insektizid Chlorpyrifos seit mehr als 10 Jahren im Acker-, Obst- und Weinbau eingesetzt, zum Beispiel im Kartoffelanbau gegen Drahtwürmer. Eine Studie legt nun nahe, dass der Wirkstoff das Gehirn von Kindern im Mutterleib schädigt und deren Intelligenz beeinträchtigt. Offenbar wurde bei den Untersuchungen, die zur Zulassung führten, unsorgfältig gearbeitet. In der Schweiz wird derzeit abgeklärt, ob dem Stoff die Zulassung wieder entzogen werden soll. Chlorpyriphos würde sich damit in die lange Liste von Pestiziden einreihen, deren Gefährlichkeit erst im Nachhinein erkannt wurde. Die Schäden, die es bei Kindern bereits angerichtet haben könnte, können nicht ungeschehen gemacht werden. Das Vertrauen in ein Zulassungsverfahren, bei dem solche giftige Stoffe bewilligt werden, schwindet immer mehr. >> Zur Radiosendung von SRF
Der Einsatz von Herbiziden an Strassen, Wegen und auf Plätzen ist verboten. Doch das Verbot wird weitläufig missachtet, wie eine neue Studie des Bundesamtes für Umwelt zeigt. Lediglich die Hälfte der potenziellen privaten Anwender von Herbiziden haben etwas von diesem Anwendungsverbot gehört. Entsprechend setzen sie es illegal ein, zu einem Viertel selbst dann, wenn sie das Verbot kennen. Bei den professionellen Anwendern wie Gärtnern oder im Verkehrsunterhalt kennen immerhin 90% der Befragten das Verbot. Dennoch halten sie es häufig nicht ein, weil ihnen alternative Methoden nicht bekannt oder zu aufwändig und teuer scheinen. Verbreitet war auch ein Verweis auf die Landwirtschaft, welche diese Gifte im grossen Stil einsetzen dürfe.
Dies das Resultat einer Befragung durch Bundesamtes für Umwelt. Gegenüber der letzten Befragung vor 8 Jahren hat sich die Situation trotz Informationsbemühungen kaum verändert. Der Herbizideinsetz in Gemeinden hat sogar zugenommen.
Um den Vollzug des Herbizidverbotes zu verbessern, schlägt die Studie eine weiter verbesserte Information der Akteure auf verschiedenen Ebenen vor. Von Sanktionen gegen Verstösse oder gar einem Verbot des Herbizideinsatzes im Siedlungs- und Privatbereich wie beispielsweise in Frankreich ist nicht die Rede. Dass Herbizide im Verkehrs- und Siedlungsbereich verbreitet illegal und damit gewässergefährdend eingesetzt werden, scheint das zuständige Bundesamt als weitgehend unveränderliches Faktum hinzunehmen.
Der Kanton Wallis hat einen eigenen Aktionsplan zur Pestizidreduktion im Obst- und Weinbau erarbeitet. Der Plan geht praktisch nicht über das hinaus, was gesetzlich ohnehin gefordert ist.
In seiner ursprünglichen Fassung war der Aktionsplan deutlich ehrgeiziger. So enthielt er das Ziel, dass ab dem Jahr 2022 auf der Hälfte der Walliser Reb- und Obstbauflächen keine Fungizide und keine Herbizide mehr eingesetzt werden sollen. Nun ist noch von zehn Prozent der Flächen die Rede. Ganz gestrichen wurde das Ziel, dass die staatlichen Gutsbetriebe alternative Methoden den Pestiziden vorziehen sollen. Weinbauexperten kritisieren den Walliser Aktionsplan als ungenügend. Winzer Hans-Peter Baumann sagt im SonntagsBlick vom 27. Oktober: «Der nun vorgestellte Plan geht viel zu wenig weit.»
Vision Landwirtschaft hat die Behörden wiederholt auf Gesetzesverletzungen beim Pestizideinsatz in den Walliser Rebbergen aufmerksam gemacht. Nun hat der Kanton Wallis einen kantonalen «Aktionsplan zur Reduktion von Risiken bei der Verwendung von Pflanzenschutzmitteln» vorgelegt. Die geplanten Massnahmen sind in Zusammenarbeit mit landwirtschaftlichen Organisationen und Vision Landwirtschaft entwickelt worden und auf den Wein- und Obstbau ausgerichtet.
Vision Landwirtschaft begrüsst den Aktionsplan. Er schafft bessere Voraussetzung, dass die gesetzlichen Vorgaben beim Pestizideinsatz zukünftig respektiert werden. Allerdings fehlen Massnahmen, die über die Bundesprogramme hinausgehen. Eine stärkere Förderung der Biodiversität, etwa begrünte Rebberge, sowie ein Bekenntnis zu mehr Ökologie würden dem Walliser Weinbau im Kontext der internationalen Konkurrenz sehr gut anstehen . >> Lesen Sie den Artikel von Le Temps (auf Französisch) >> Schauen Sie den Beitrag von Schweiz aktuell (SRF) an
Wie viele und welche Stoffe bei der Produktion der Trauben eingesetzt werden, ist immer wieder Thema in den Medien. Manchmal ist es auch für Laien ersichtlich, ob etwa zwischen den Reihen Herbizide gespritzt wurden oder nicht. Was hingegen danach bei der Vinifizierung passiert, ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Vision Landwirtschaft hat recherchiert, welche Stoffe in welchem System oder Label eingesetzt werden dürfen, und die Vorschriften miteinander verglichen.
Als Inspiration führen wir auf, welche Hilfsstoffe Roland Lenz vom Weingut Lenz braucht, um den «Cerowein» zu keltern: keine. Folgende Tabelle gibt darüber Auskunft. >> Erlaubte Hilfsstoffe bei der Wein-Kelterung
Der Erfolg des Weinguts Lenz in Uesslingen (TG) gründet auf vier Säulen: die erste ist die Bewirtschaftung der Reben nach biologischen Richtlinien. Die zweite ist die weit über die Richtlinien hinausgehende Förderung der Artenvielfalt. Drittens setzt Lenz auf eine grosse Diversität an Rebsorten. Die Krönung in seinen Rebbergen stellen schliesslich die neuen pilzresistenten Rebsorten dar. Mit diesen vier Säulen kann er heute fast ganz auf Pestizide verzichten. Auch im Keller probiert Lenz, immer weniger Hilfsmittel einzusetzen.
(VL) Roland Lenz’s Rebberge unterscheiden sich augenfällig vom üblichen Bild eines Schweizer Rebberges. Seine Parzellen sind durchsetzt mit Naturwiesen, Gebüschen und hohen Bäumen. Zwischen den Reihen spriesst es grün und spontan. Um Raum für eine grosse Vielfalt von Lebewesen zu schaffen, hat er 13 Prozent seiner Reben gerodet und zirka 600 Bäume gepflanzt. Dank der hohen Biodiversität hat Lenz praktisch keine Schädlinge. Auch gegen die Kirschessigfliege musste er bisher nie Pestizide spritzen. Seine Reben bieten schlicht keine Angriffsfläche, weil sie durch viele verschiedene Nützlinge geschützt sind, ist er überzeugt.
Bild: Roland Lenz in seinem Rebberg. Foto: VL
Verwirrtechnik Im Biorebbau spritzt man zwar erst, wenn eine höhere Schadschwelle erreicht ist als im konventionellen Rebbau. Aber Roland Lenz goutiert auch Bio-Pestizide wie «Audienz» nicht, ein Insektizid mit dem Wirkstoff Spinosad, der im Biolandbau etwa gegen die Kirschessigfliege eingesetzt werden darf. «Ich will keine sogenannten «Bio-Insektizide» brauchen! Ob natürlichen oder chemisch-synthetischen Ursprungs, Pestizide sind Gifte für Lebewesen», erklärt er. Es gibt andere erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung von Schädlingen: «Gegen die Kirschessigfliege arbeiten wir mit Fallen, und den Traubenwickler verwirren wir. Das heisst wir verwenden Ampullen, die weibliche Hormone verströmen, so dass die Männchen die Weibchen nicht finden und keine Begattung erfolgen kann».
Vital durch Vielfalt Roland Lenz ist ein Freund der Vielfalt. Auf seinen 17 Hektaren hat er 34 unterschiedliche Rebsorten. Die Sortenvielfalt mindert zusätzlich den Krankheitsdruck. «Die vitalsten Reben sind innerhalb der gemischten Parzellen zu finden. Haben Sie gewusst, dass Reben eine Art Freundschaft eingehen?», philosophiert er. Sortenvielfalt schaffe nebst vermindertem Krankheitsdruck auch Vorteile bei Trockenheit, die für viele Winzer gerade in diesem Jahr ein grosses Problem war. Gegen Hagel sind seine Reben durch mehrjährige Seitennetze geschützt. Das ergibt zugleich eine erwünschte Beschattung – so kriegen die Trauben keinen Sonnenbrand. Ein weiterer Nutzen: Das Befestigen der Triebe entfällt, was einer massiven Arbeitszeitersparnis gleichkommt. Auch Sturmschäden und Verluste durch Vogelfrass werden verringert. Im Gegensatz zu Einwegnetzen sind die zirka einen halben Meter über dem Boden befestigten Mehrwegnetze für Vögel und Igel unproblematisch.
Die neuen pilzresistenten Rebsorten Auf 11 Hektaren oder 60 Prozent seiner Rebparzellen stehen heute sogenannte «neue Rebsorten». Sie sind widerstandsfähig gegen Pilze (siehe weiter unten Kasten «Resistente Sorten»). Auf diesen Flächen kann Roland Lenz grundsätzlich auf Pestizide verzichten, auch auf das problematische Kupfer, das Biowinzer sonst gegen Pilze einsetzen. Herkömmliche und in der Regel sehr pilzanfällige Sorten wie Pinot Noir stehen bei Roland Lenz nur noch auf 6.5 Hektaren. Eine wirklich gute, widerstandsfähige neue Sorte, die Pinot Noir ersetzen könnte, hat er noch nicht. Heute produziert Lenz 60 Prozent Weiss- und nur 40 Prozent Rotwein. Warum? «Die Zucht von roten Sorten für den pestizidfreien Anbau ist deutlich schwieriger als jene von weissen Sorten. Zudem ist das Klima in der Deutschschweiz perfekt für den Weisswein», antwortet er.
Naturprodukt im Quadrat Statt Pestizide einzusetzen, stärkt Roland Lenz seine Reben mit Algenauszügen. Sie machen die Reben widerstandsfähiger gegen Pilze und begünstigen die Wundheilung, wenn zum Beispiel Blätter abgerissen werden. Falls nötig setzt Lenz gegen den «echten Mehltau» Backpulver ein, und seit kurzem Lärchenextrakte. Er vertraut beim Zeitpunkt der Behandlung auf sein Gefühl. Ausserdem setzt er auf die sogenannten «effektiven Mikroorganismen», mit denen er seine Böden geimpft hat. Sie bilden mit den Wurzeln der Reben ein symbiotisches System. Alle 34 Rebsorten werden separat begutachtet, damit der optimale Zeitpunkt für die Ernte gefunden wird. Aus den Trauben zweier Parzellen, bepflanzt mit den Sorten Souvignier gris und Léon Millot, stellt Lenz den sogenannten »Cerowein» her: Null Hilfsstoffe im Rebbau und Null Hilfsstoffe im Keller kennzeichnen ihn. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viele Hilfsstoffe auch in der Bio-Kelterung noch zulässig sind. Wein ist zu einem Designprodukt geworden, das beliebig gestaltet wird, mit Hilfe von vielen, vielen Hilfsstoffen. Die meisten müssen nicht einmal deklariert werden.
Hoher Anspruch ist realistisch Manchmal geht auch etwas schief: «2015 - ein feuchtes und warmes Jahr - konnte ich nach drei Tagen Regenwetter nicht in die Reben, auch die stärkenden Pflanzenauszüge auszubringen war nicht möglich. So habe ich auf zwei Hektaren die Ernte von Cabernet Jura verloren, weil es einen Durchbruch bei der Pilz-Resistenz gab», erzählt Roland Lenz. Sein wirtschaftlicher Erfolg erlaubt ihm Rückstellungen für solche Fälle. Mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und dem Weinhändler Delinat führt Lenz einen Versuch betreffend pestizdfreier Produktion von Pinot Noir durch. Sein Ziel ist es, alle seine Reben komplett pestizidfrei, also auch ohne Kupferspritzungen, zu bewirtschaften. Es sei ein sehr hoher Anspruch, meint er, aber durchaus realistisch, da gerade alle neuen Sorten ganz ohne Pestizide angebaut werden können. Pro Jahr erneuert er drei bis vier Prozent der Rebfläche – und bepflanzt sie mit neuen, pilzwiderstandsfähigen Sorten, versteht sich. Glück hat Roland Lenz dabei mit seinem lebendigen Boden: sein Land war vorher kein Rebgebiet und nicht mit Pestiziden vorbelastet. So musste er das Ökosystem Boden nicht wie andere WinzerInnen jahrzehntelang wiederaufbauen.
Neue Sorten bieten Kostenvorteile Roland Lenz verzichtet auf die meisten Hilfsstoffe nicht nur im Rebberg, sondern auch bei der Kelterung. Dabei spart er viel Geld. Ausserdem fallen dadurch etwa 50 Prozent der Arbeitskosten weg. Der Betrieb mit Karin und Roland Lenz, zwei Winzerlehrlingen, drei Winzern, einer Bürofachkraft und einer Haushaltshilfe steht wirtschaftlich gut da. Pro Hektare Reben rechnet Roland Lenz mit einer Ernteleistung von etwa 90 Stunden oder zirka 1’500 Franken Arbeitskosten. Das ist der gleiche Preis wie für eine Vollerntemaschine. Dabei seien sie schlagkräftiger und flexibler als mit dem Einsatz einer solchen Maschine. Bei der Weinlese helfen jeweils 20 KundInnen mit. Roland Lenz selbst teilt seinen Einsatz auf mehrere Disziplinen auf: Rebzucht und Beratung, Traubenproduktion, Kelterung und Verkauf. Sein Ziel ist es, junge KundInnen zu erreichen, und dafür will er nicht nur im Premiumbereich anbieten. Das schafft er nur, weil er die Kosten im Griff hat, sagt er: «Mit einer Flasche, die ich für 17.50 Franken verkaufe, habe ich immer noch eine gute Wertschöpfung». Roland Lenz produziert mehr als 70 verschiedene Weine pro Jahr.
Preisgekrönt Die International Wine Challenge, AWC Vienna ist der weltweit grösste Weinwettbewerb mit über 12’000 eingereichten Weinen - konventionell sowie biologisch produzierten. In diesem internationalen Umfeld schneiden Lenz’s Weine sehr erfolgreich ab und sind auch der konventionellen Konkurrenz mehr als gewachsen: 2015 und 2016 wurden alle eingereichten Weine ausgezeichnet, je mit zweimal Gold und viermal Silber! In beiden Jahren wurde sein Wein «Panorama» mit 91 Punkten am höchsten bewertet. Ausserdem wurde Roland Lenz schon zweimal als Schweizer Biowinzer des Jahres gekürt, im 2015 und im 2018. Hier geht es zur Homepage des Weinguts Lenz.
Bild: Roland Lenz in seinem Weinkeller. Foto: VL
Kelterung Wie viele und welche Stoffe bei der Produktion der Trauben eingesetzt werden, ist immer wieder Thema in den Medien. Manchmal ist es auch für Laien ersichtlich, ob etwa zwischen den Reihen Herbizide gespritzt wurden oder nicht. Was hingegen danach bei der Vinifizierung passiert, ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Vision Landwirtschaft hat recherchiert, welche Stoffe in welchem System oder Label eingesetzt werden dürfen, und die Vorschriften miteinander verglichen. Hier geht es zur Tabelle «Erlaubte Hilfsstoffe bei der Kelterung». Als Inspiration führen wir darin auch auf, welche Hilfsstoffe Roland Lenz braucht, um den «Cerowein» zu keltern: keine.
----------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------------- Resistente Sorten Die beiden wichtigsten Rebenkrankheiten, die bei den traditionellen Sorten regelmässigen Pflanzenschutz nötig machen, sind der falsche und der echte Mehltau. Diese Pilzkrankheiten waren ursprünglich in Europa nicht heimisch. Sie wurden im 19. Jahrhundert von Nordamerika nach Europa eingeschleppt und haben sich in jener Epoche explosionsartig ausgebreitet. Der Weinbau in Europa drohte zugrunde zu gehen, auch wegen der Reblaus, die zur selben Zeit in Europa wütete. Seit dieser Zeit müssen alle traditionellen Rebsorten jedes Jahr bis zu 20 Mal – je nach Witterung und eingesetzten Mitteln – mit Fungiziden behandelt werden, denn ein Pilzbefall kann die Traubenernte total vernichten. Die pilzwiderstandsfähigen Reben (auch «PIWI-Sorten» genannt) sind ursprünglich aus Kreuzungen zwischen europäischen Reben und pilzresistenten amerikanischen Arten entstanden. Heute kennt man neue multiresistente Sorten, deren Resistenz gegen Mehltau stabil ist, weil sie auf mehreren Genen basiert. (Quelle: https://www.piwi-international.de/de/informationen.html)
Bei einer Ernährung mit mehr Getreide, Obst und Gemüse, Eiweisspflanzen und dafür weniger Fleisch, Eier, Fisch und Milchprodukten wäre Europa im Jahr 2050 in der Lage, alle seine EinwohnerInnen aus dem eigenen Boden zu ernähren. Und dies durch eine nachhaltige, ökologische und klimafreundliche Landwirtschaft, die ohne Pestizide auskommt. Dies sind die Ergebnisse einer Studie des französischen «Instituts für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen» (IDDRI).
Um dies zu erreichen, müsste der Einsatz von Pestiziden und anderen landwirtschaftlichen Inputs wie Kunstdünger und Futtermittelzukäufe stark reduziert und stattdessen grüne landwirtschaftliche Methoden wie Fruchtfolge, Sortenwahl, minimale Bodenbearbeitung, Nützlingseinsatz u.a. praktiziert werden. Ausserdem müssten Strukturen zur Förderung der Biodiversität wieder erstellt oder erhalten werden: Hecken, Teiche, Bäume, Blumenstreifen u.a.. Gleichzeitig könnte Europa so seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent reduzieren und die Biodiversität erhalten. Die französischen WissenschaftlerInnen betonen, dieses agroökologische Szenario würde es dem europäischen Agrarsektor nicht nur ermöglichen, die europäischen VerbraucherInnen zu ernähren, sondern auch, die aktuellen Exporte für Getreide, Milchprodukte und Wein beizubehalten. Darüber hinaus würde die europäische Abhängigkeit von Agrarimporten stark reduziert.
Weil das Nervengift Chlorpyriphos anerkanntermassen gefährlich ist - und zwar für die Menschen wie auch für die Tierwelt - prüft der Bund dessen Verbot bis Ende Jahr. Bisher konnten Umweltverbände wie Greenpeace und der WWF bei der Zulassung von Pestiziden nicht mitreden. Das Bundesgericht entschied in einem wegweisenden Urteil, dass Umweltverbände auch Einsicht in die Akten haben sollen. Doch nun sperrt sich das Bundesamt für Landwirtschaft: es will den Umweltverbänden nicht die ganze Einsicht gewähren, sondern nur die Zusammenfassung der Studien. > > Zum Artikel von Saldo > > Faktenblatt von Vision Landwirtschaft «Ephosin zur Drahtwurmbekämpfung im Kartoffelanbau»
Vision Landwirtschaft sucht ungespritzte Äpfel von Hochstamm-Obstbäumen. Angesprochen sind sowohl Biobetriebe wie auch konventionelle, die den ökologischen Leistungsnachweis einhalten. Sie sollten mindestens 300 Kilogramm Tafeläpfel und/oder 1000 Kilogramm Mostäpfel aus ungespritztem Hochstammanbau liefern können – alle Sorten sind willkommen.
Vision Landwirtschaft unterstützt und vernetzt Initiativen, die eine pestizidfreie Produktion mit guter Wertschöpfung und hoher Produktionseffizienz verbinden. Ein solches Projekt wird seit 2 Jahren von der IG Kulturlandschaft und dem Bundesamt für Landwirtschaft als Pilotprojekt durchgeführt: «Ungespritztes Tafelobst von Hochstammobstbäumen». Das Jungunternehmen Öpfelchasper entschied sich spontan für eine Kampagne, um das ungespritzte Obst von Hochstämmern breiter bekannt zu machen. Öpfelchasper zahlt einen Kampagnenpreis von Fr. 3.20 pro Kilo Tafelobst und 50 Rp/kg Mostobst. Öpfelchasper beliefert Stadtmenschen bei Arbeit und Freizeit: mit frischen Bio-Früchten und immer mit dem Velo. Lesen Sie Aufruf und Konditionen im Schweizer Bauer.
Weitere Infos: Ralph Hablützel, Vision Landwirtschaft, 079 135 15 85
Eine starke Erhöhung der Pestizidgrenzwerte in Gewässern schlug das Bundesamt für Umwelt bereits 2017 vor. Im Rahmen der Vernehmlassung wurde dies von der Mehrheit der befragten Organisationen, einschliesslich dem Bauernverband, teilweise scharf kritisiert. Vision Landwirtschaft wies in einer ausführlichen Stellungnahme darauf hin, dass mit der geplanten Erhöhung das Vorsorgeprinzip verletzt werde, das gemäss Umweltschutzgesetz für Pestizide verbindlich anzuwenden ist.
Die Rundschau machte nun vorzeitig bekannt, dass der Bund dabei zu bleiben gedenkt und die Pestizidgrenzwerte in Gewässern ab 2019 bei 25 Stoffen um teilweise das Hundertfache erhöhen möchte. Das ist etwas weniger als ursprünglich geplant. Dennoch wird dieses Vorgehen von den meisten befragten Parteivertretern als sehr ungeschickt bis "saudumm" beurteilt. Auch Vision Landwirtschaft äussert sich in "20 Minuten" negativ. Nur FDP und SVP haben Vertrauen ins zuständige Bundesamt für Umwelt. >> Beitrag in der "Rundschau" >> Beitrag in "20 Minuten" >> Stellungnahme von Vision Landwirtschaft zur Vernehmlassung des Verordnungsentwurfs
Der Bauernverband lanciert zusammen mit den Naturfreunden Schweiz und den Bienenzüchtern eine Petition. Diese fordert den Bund auf, die Ursachen des Insektensterbens aufzuklären.
Wenn immer es um mehr Biodiversität in der Landwirtschaft geht, oder um eine Kehrtwende beim überbordenden Pestizideinsatz: Der Aufschrei des Bauernverbandes lässt nie lange auf sich warten.
Dass derselbe Bauernverband sich nun für eine Aufklärung des Insektensterbens stark macht, erstaunt nur vordergründig. Wie Geschäftsleiter Jacques Bourgeois am Schweizer Radio erklärt, will er vor allem aufzeigen, dass es auch andere Schuldige gibt neben der Landwirtschaft. Und er will, dass erst dann gehandelt wird, wenn alle Zusammenhänge restlos geklärt sind. Hauptsache, man kann noch möglichst lange ungestört weiterproduzieren wie bisher.
Der Kanton Bern führt seit 2017 ein Projekt zur Reduktion des Pflanzenschutzmitteleinsatzes durch. 3200 Landwirtschaftsbetriebe machen mit. Die Kosten belaufen sich auf mehr als 60 Millionen Franken - zusätzlich zu den bestehenden Direktzahlungen.
Jetzt liegen erste Resultate vor. Sie sind ernüchternd: Die Pestizidgrenzwerte werden trotz des Projektes in den beprobten Bächen weit überschritten, so dass selbst von einer akuten Schädigung der Fische auszugehen ist.
Auch Landwirte, die sich am Projekt beteiligen, waren über die Resultate ernüchtert. Doch von den Pestiziden wegkommen, das sei für sie kein Thema, das Risiko sei zu gross.
Derweil praktizieren bereits Hunderte von Bauern Anbaumethoden ohne Pestizide (ironischerweise profitieren davon nur wenige vom Berner Projekt). Z.B. der konventionelle Bauer Thomas Hofer, der in seinen 3 Hektaren Kartoffeln im Berner Mittelland völlig auf Chemie verzichtet. Oder Familie Knuchel, deren Biolandwirtschaftsbetrieb an einer der Bachmessstationen grenzt: Ihre Tafelkirschen werden mit Netzen statt mit Gift gegen Schädlinge geschützt.
Es braucht offenbar nicht einfach zusätzliche Gelder, um etwas weniger Gift zu spritzen, sondern eine grundlegende politische Weichenstellung hin zu einer Landwirtschaft, die sich vom permanenten Chemieeinsatz verabschiedet. Dafür setzt sich Vision Landwirtschaft zusammen mit immer mehr Bäuerinnen und Bauern ein.
Im Ackerbaugebiet der Schweiz wurde der Vogelbestand in 26 Jahren dramatisch reduziert - über alle Arten gesehen um mehr als die Hälfte. Einzelne Arten stehen vor der Ausrottung in der Schweiz. Pestizide, eine ausgeräumte Agrarlandschaft und die sehr intensive Bewirtschaftung sind die Gründe. Den Vögeln geht schlicht die Nahrung aus - Insekten und Sämereien. Zudem fehlt es an Strukturen für Brutplätze.
Der Anteil an Biodiversitätsförderflächen im Ackerland liegt bei unter 1% und ist damit äusserst gering. Zudem mangelt es oft an der nötigen ökologischen Qualität dieser Flächen. Die agrarpolitischen Ziele wurden im Bereich Biodiversität klar verfehlt. Ennet dem Rhein ist die Situation besser - obwohl die Zahlungen an die Landwirtschaft dort nur rund 10% von denjenigen in der Schweiz betragen.
Mit einer umfangreichen Analyse zeigten französische ForscherInnen, dass "Unkräuter", die in Bio-Kulturen noch regelmässig vorkommen, den Ackerpflanzen helfen, den Befall von Parasiten und Krankheitserreger in Schach zu halten. Die Studie kommt zum Schluss, dass Pflanzen gerade ohne den Einsatz von Pestiziden, die sie schützen sollen, weniger krank werden.
Auf Blättern und Wurzeln, Blüten und Samen lebt eine äusserst vielfältige Gemeinschaft an Bakterien, Pilzen und Viren. Eine grosse Zahl davon sind Nützlinge, die die Krankheitsabwehr der Kulturpflanzen stärken und ihr Wachstum fördern. Ihre Erforschung ist derzeit in vollem Gange. Die ForscherInnen hoffen, durch ihre gezielte Nutzung einst auf den Einsatz von Pestiziden ganz verzichten zu können.
Weil Pestizide die winzigen Helferlein schädigen oder vernichten, schliessen sich Nützlinge und Pestizide gegenseitig oft aus. Viel besser sei es, auf bereits heute existierende Pflanzenschutzmassnahmen ohne Chemie zu setzen, beispielsweise eine geeignete Fruchtfolge, Sortenwahl, Bodenbedeckung, sagen Forscher in einem Artikel des Tages-Anzeigers. Diese Vision teilt Vision Landwirtschaft mit ihrem Projekt „Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft“. >> Zum Artikel im Tages-Anzeiger
In der Schweiz gilt zum Schutz der Gewässer seit 2001 ein generelles Anwendungsverbot für Herbizide auf Strassen, Wegen, Plätzen, Terrassen und Dächern, da die giftigen Substanzen von dort leicht in die Gewässer gelangen. Das Herbizidverbot gilt generell für alle: Private, GärtnerInnen, Unterhaltsdienste, Gemeinden und Kantone. Die Chemikalien-Risiko-Reduktionsverordnung regelt diesen Verbot im Anhang 2.5. Das Problem: fast niemand weiss es!
In einem Beitrag des SRF-Konsumentenmagazin «Espresso» wird darauf hingewiesen, dass der Fachhandel dieses Verbot nicht kennt und umsetzt. Dies kann auch persönlich Folgen haben, wie der Bericht im Fall einer Abwartin einer Einfamilienhaussiedlung aufzeigt. Sie wurde -zu Recht- von der Staatsanwaltschaft zu einer bedingten Geldstrafe von 3000 Franken und einer Busse von 600 Franken verurteilt.
Schätzungsweise 10 bis 15 Prozent der in der Schweiz verwendeten Pflanzenschutzmittel-Mengen gelangen durch Hobbyanwender in die Umwelt. Vision Landwirtschaft fordert darum, den Verkauf und die Verwendung von Pestiziden im Siedlungs-, Park-, und Gartenbereich auf jene Pflanzenschutzmittel einzuschränken, die als harmlos für die Umwelt gelten. Eine solche Positivliste gibt zum Beispiel die Stadt Zürich heraus.
Lösungen gibt es dank bewährter Technologien und bald auch mit modernen Robotern. Sie können den Einsatz von Pestiziden massiv reduzieren. Der Kanton Bern ist zu diesem Thema besonders aktiv und hat darum interessierte Landwirtinnen und Landwirte diesen Sommer eingeladen um Maschinen und Pestizidreduktionsverfahren kennenzulernen.
400 interessierte Bauern sind gekommen. In drei Posten zeigten die Organisatoren den Besuchern verschiedene Anbauverfahren und technische Möglichkeiten, um das Ausbringen von Pestiziden zu reduzieren. Gezeigt wurde unter anderem in Zuckerrüben der Einsatz eines Jätroboters, der in diesem Jahr von der Berner Fachhochschule für Testzwecke eingesetzt wird oder ein Schmotzer-Hackgerät mit Kamerasteuerung und Hangneigungs-Sensor.
Auch alte und bewährte Technik wie Einböck-Fingerhacken oder Hatzenbichler-Striegel wurden vorgeführt sowie das «Electroherb»-Gerät von Zasso, das dem Unkraut mit Strom an den Kragen geht.
Der Berner Bauernverband setzt grosse Hoffnungen in den Einsatz von moderner Technik für die Reduktion von Pestiziden in der ganzen Schweiz. Dies sei der Weg den die Bauern gehen müssen und der grosse Auswirkungen auf die Landwirtschaft haben wird.
«Mit solchen Anlässen wie heute, zeigen wir auf, dass die Landwirtschaft bereit ist für Alternativen», sagte der Berner Volkswirtschaftsvorsteher Christoph Ammann zu Beginn der Veranstaltung.
Eine aktuelle Stichprobe von K-Tipp zeigt: fast jedes konventionell produzierte Gemüse aus dem Schweizer Supermarkt ist pestizidbelastet. Ob importiert oder aus dem Inland machte keinen Unterschied.
Insgesamt wurden 41 Pestizidwirkstoffe festgestellt, bei vielen Gemüseproben waren gleich mehrere Pestizide enthalten. Um die Grenzwerte nicht zu überschreiten, werden immer mehr verschiedene Stoffe eingesetzt, diese dafür in geringeren Mengen. Unbekannt ist bis heute, wie sich der Pestizidcocktail auf die Gesundheit auswirkt, auch wenn die Grenzwerte unterschritten werden.
Nicht untersucht wurde Biogemüse. Eine frühere Analyse von K-Tipp (Nov. 2016) zeigte, dass Biogemüse frei von Pestiziden ist.
Gestern veröffentlichte das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) die Statistik für den Verkauf von Pflanzenschutzmitteln im Zeitraum von 2008 bis 2016. Insgesamt sind die vermarkteten Mengen seit 2008 nahezu unverändert hoch bei rund 2200 Tonnen pro Jahr. Schätzungsweise 85 bis 90 Prozent davon werden in der Landwirtschaft ausgebracht. Im Durchschnitt macht dies pro Jahr mehr als 7 Kilogramm pro Hektare Ackerland, Gemüse-, Obst- und Weinbau[1]. Auffallend ist, dass es immer noch nicht möglich ist zu wissen, wohin welche Menge dieser Gifte hingeht. Erfasst werden lediglich die Verkaufszahlen, nicht aber die ausgebrachten Mengen. Die Pestizidanwendung in der Schweiz ist leider immer noch weitgehend eine Blackbox. Wann, wo und wieviel Gift auf Pflanzen, Insekten und andere Lebewesen in Wasser, Boden und Luft kommt, weiss niemand.
Positiv ist zu werten, dass weniger Herbizide verkauft wurden und Landwirte offenbar vermehrt auf mechanische Unkrautbekämpfung setzen. Das wiederum zeigt, dass eine Pestizidreduktion sehr wohl möglich ist. Trotzdem ist das umstrittene Herbizid Glyphosat auf Platz drei der meistverkauften Pestizide! In dieser Rangliste befindet sich auch das Fungizid Captan, welches im Obstbau eingesetzt wird. Captan wird unter anderem bis drei Wochen vor dem Erntetermin gegen Lagerfäule eingesetzt. Captan ist vermutlich karzinogen, kann allergische Hautreaktionen verursachen, verursacht schwere Augenreizung und ist sehr giftig für Wasserorganismen.
Wenn jemand in der Schweiz 50 Kilo konventionell angebaute Äpfel pro Jahr isst, nimmt sie oder er in Kauf, dass gleichzeitig 13 Gramm Captan auf die Äpfel und in die Umwelt kommen. Wissen und wollen das KonsumentInnen wirklich?
Mit einer aufwändig gestalteten Broschüre ist der Bauernverband in seine Kampagne zur Verteidigung des landwirtschaftlichen Pestizideinsatzes gestartet. Drastische Bilder von verpilzten Früchten, verfressenem Gemüse und verunkrauteten Feldern sollen klar machen, dass wir ohne Pestizide rasch verhungern würden.
Wer differenziertere und wissenschaftlich fundierte Informationen zum Pestizideinsatz in der Schweiz sucht, aber auch zu den Möglichkeiten, auf sie weitgehend oder ganz zu verzichten, der hält sich besser an den Pestizid-Reduktionsplan Schweiz. Er wurde von Vision Landwirtschaft erarbeitet und mit zwei Dutzend Organisationen aus dem Landwirtschafts- und Umweltbereich herausgegeben.
Laut dem ökologischen Leistungsnachweis dürfen in der Landwirtschaft nur dann Pestizide eingesetzt werden, wenn sie unbedingt nötig sind. Doch diese zentrale Anforderung wird nicht kontrolliert, wie Vision Landwirtschaft wiederholt kritisierte. So wird oft zu früh, zu häufig und mit zu giftigen Mitteln gespritzt.
Nun hat eine Studie der Agroscope nachgewiesen, dass mit einem gezielten - und damit verordnungskonformen - Einsatz von Pestiziden und einer Beschränkung auf weniger problematische Pestizide sehr viel für die Umwelt getan werden könnte. Die Auswirkungen auf Gewässer sind bei Bauern, die häufig spritzen, 13-mal höher als beim Durchschnitt. Die Auswirkungen auf den Boden sind gar 25-mal höher.
Die Studienautoren fordern, dass angesichts der grossen Auswirkungen auf die Umwelt besonders problematische Pestizide wie beispielsweise Chlorpyriphos verboten werden.
Die Landwirte Christian Meier und Bruno Künzli stehen stellvertretend für viele, die zwar nicht Biolandbau betreiben, denen es aber heute gelingt, IP-Suisse-Brot-Getreide ohne Fungizide, ohne Insektizide, ohne Halmverkürzer und sogar ohne Herbizide zu produzieren. Eine anspruchsvolle Herausforderung zwischen Wirtschaftlichkeit und Ökologie, die viel Beobachtungsgabe, Kalkül und Verstand verlangt. Pestizidfrei anbauende Landwirte zu unterstützen und zu vernetzen ist eines der Ziele des Projekts «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» von Vision Landwirtschaft.
(VL) Eine wachsende Zahl von IP-Suisse-Landwirten bauen ihr Getreide pestizidfrei an. Gut 2 Prozent der Brotgetreidefläche sind es derzeit gemäss IP-Suisse-Geschäftsführer Fritz Rothen. Wenig, so scheint es. Die Zahl ist aber umso bemerkenswerter, wenn man bedenkt, dass es für pestizidfrei angebautes IP-Suisse-Getreide keinen Mehrpreis gibt. Und dass vor allem der Verzicht auf Herbizide eine Herausforderung ist: Getreide reagiert nämlich sehr empfindlich auf die Konkurrenz von Unkräutern. Diese können zu deutlichen Ertragseinbussen führen.
Weniger Pestizide – weniger Kosten
Ein Schlüssel zur Wirtschaftlichkeit beim pestizidfreien Getreideanbau liegt im tieferen Aufwand: «Durch Verzicht auf Herbizide spare ich pro Hektare 121 Franken, davon Traktorkosten 15 Franken, Kosten für die Spritzenmiete 26 Franken und für Herbizide 80 Franken. Zudem habe ich manchmal, je nach Unkrautbefall, weniger Arbeit als mit der Spritze», rechnet Christian Meier, 50-jähriger Bauer in Niederwenigen bei Zürich, vor.
Christian Meier mit Töchterchen Ladina im Weizenfeld. Bild: Vision Landwirtschaft
Unkrautdruck niedrig halten
Damit es ohne Pestizide geht, sei es wichtig, die Unkräuter mit Kulturmassnahmen wie einer ausgewogenen Fruchtfolge mit Kunstwiesenanteil in Schach zu halten. Während Christian Meier eine fixe Fruchtfolge einhält, variiert der 40-jährige Bruno Künzli im thurgauischen Nussbaumen mit der Fruchtfolge und sät sein Brotgetreide nach einer Kultur, die er chemisch oder mechanisch unkrautfrei gehalten hat. 2017 konnte er so 60 Prozent seiner Ackerfläche herbizidfrei bebauen. «Dennoch ist es mein letztes Jahr mit Brotweizen, stattdessen werde ich die Emmer- und Dinkelfläche ausweiten, denn diese Sorten eignen sich dank dem hohen Wuchs deutlich besser für den herbizidfreien Anbau». Ähnlich die Erfahrungen von Bauer Christian Meier mit Roggen. «Roggen wird so hoch, dass er die Keimung der Unkräuter verhindert, weil kein Licht mehr durchkommt». Unkräuter oder Schädlinge konnten seinem Getreide dieses Jahr nichts anhaben. Trotzdem muss er mit Ertragseinbussen leben, weil der Hagel ca. 30 % der Körner «ausgeschlagen» habe.
Vielfältige Betriebsmodelle
Christian Meier muss für ungünstige Wettervorkommnisse Rückstellungen machen. In seinem Betriebsmodell, das ihm ein landwirtschaftliches Einkommen von 45'000 Franken ermöglicht, betreibt er neben Ackerbau auch die Aufzucht von Milchvieh. «Im Sommer, wenn die Aufzuchtrinder auf den Weiden sind, bleibt Zeit für eine Zusatzarbeit». Als Hochzeitsfotograf verdient er etwa die Hälfte seines jährlichen Gesamteinkommens. So kommen er, seine Frau, die als Kindergärtnerin in Teilzeit auch zum Familieneinkommen beiträgt, und die vier Kinder zwischen 16 und 2 Jahren, gut über die Runden.
Immer wieder Neues
Auch Bruno Künzli ist nicht nur Bauer. Er ist zugleich Versicherungskaufmann, Maschinenmechaniker, Tauchlehrer und Tourismusunternehmer. Der Beruf des Landwirtes sei von allen der schwierigste. Bruno Künzli ist ein Mensch, der rechnet und vergleicht. Er tüftelt immer wieder an innovativen Ideen und probiert sie aus – nur so findet er mit seinen Eltern auf dem Betrieb heute noch ein nachhaltiges Auskommen. Und nur so kommt er mit insgesamt weniger Pestiziden aus. Die Landwirtschaft ermöglichte ihm im Jahr 2017 ein Einkommen von etwa 41'000 Franken. Er beschäftigt sich mit neuen Produktionsformen, die er vor allem im Web oder im Austausch mit Biolandwirten recherchiert. Zum Beispiel macht er Versuche mit Salz, um das Getreidehähnchen zu bekämpfen.
Bundesgelder fürs Risikomanagement
Bauer Künzli bekommt einen Preiszuschlag für den herbizidfreien Anbau, wenn er den Boden nicht pflügt. In Frage kommen dann Mulchsaat - ein pflugloses Saatverfahren, bei dem die Pflanzenreste der Vorfrucht vor und nach der Neuaussaat die Bodenoberfläche bedecken - oder Streifenfrässaat. Bei dieser Methode beschränkt sich die Bodenbearbeitung auf einen schmalen Frässtreifen der sofort eingesät wird. Auch Direktsaat ist möglich: die Saat erfolgt ohne Bodenbearbeitung direkt nach der Ernte der Vorfrucht. Beim Verzicht auf den Pflug ist es schwierig, ohne Herbizide auszukommen. Und doch darf Bruno Künzli ab der Ernte der Vorkultur keine Herbizide mehr einsetzen, wenn er Ressourceneffizienzbeiträge erhalten will. Um die Unkräuter mechanisch zu bekämpfen, bedarf es ideales Wetter und einen trockenen Boden. «Das kurze Zeitfenster bedeutet oft Stress», sagt Bruno Künzli. Er muss jeden günstigen Moment ausnutzen, um das Unkraut mechanisch zu bekämpfen. So ergeben sich laut Bruno Künzli Mehrkosten für die mechanische Unkrautkontrolle, sowie ein erhöhtes Anbaurisiko. Diese Faktoren werden aber durch die zusätzlichen Beiträge des Bundes gedeckt. «Ich erhalte für die Mulchsaat pro Hektare 150 Franken und für herbizidfreien Anbau 400 dazu. Zudem spare ich 150 Franken für die Spritzung». Diese Gelder und die Einsparung schaffen es knapp, die zusätzliche Arbeit und den Minderertrag, mit dem es durch den pestizidfreien Anbau zu rechnen gilt, zu decken. Durch die Bundesgelder spielt also der mengenmässige Ertrag bei der Wirtschaftlichkeit eine kleinere Rolle. Die Direktzahlungen helfen, das Risiko eines schlechten Jahres besser zu managen.
Bruno Künzli im Emmerfeld. Bild: Vision Landwirtschaft
Der Markt bestimmt mit
IP-Suisse-Geschäftsführer Fritz Rothen betont, dass KonsumentInnen, aber auch Verarbeiter immer mehr pestizidfreies Getreide verlangen. Das hat Konsequenzen: «Ab Saattermin 2018 gilt bei IP-Suisse-Extenso-Brotgetreide ein Glyphosatverbot. Das gilt auch für die Vorkultur». IP-Suisse-Extenso-Brotgetreide sei damit frei vom umstrittensten und am häufigsten eingesetzten Herbizid. Doch ganz pestizidfrei sei das nicht, weil der Einsatz von anderen Herbiziden noch erlaubt bleibe. Beachtlich immerhin: Allein die Aussicht auf ein Glyphosat-Verbot habe die vor- und nachgelagerte Industrie in Bewegung gebracht. Maschinenhersteller hätten plötzlich präzisere Striegelgeräte zur mechanischen Unkrautbekämpfung auf den Markt gebracht. Diese könnten sowohl vor Auflauf der Getreidekörner wie auch nach der Keimung eingesetzt werden.
Resistente Schweizer Sorten
IP-Suisse-Saatgetreide stammt ausschliesslich aus Schweizer Sorten. Diese seien einerseits resistenter gegen Krankheiten und Schädlinge als viele ausländische Sorten, andererseits ergeben sie qualitativ hochwertiges Mehl, sagt Fritz Rothen. «Pestizidfreies Brotgetreide ist wirtschaftlich zunehmend mit dem konventionellen vergleichbar», ergänzt er. Die Jowa, eine Tochtergesellschaft der Migros, nimmt für ihre Bäckereien 80 Prozent des IP-Suisse Brotgetreides ab und bestimmt damit auch die Qualität und den Preis massgebend mit. Die Migros wirbt aber noch nicht mit pestizidfreiem Getreide. Kleinere Mühlen wie die Firma Bachmann aus Willisdorf (TG), der Bauer Bruno Künzli sein Getreide abliefert, oder die Mühle Steinmaur (AG), die von Bauer Christian Meier das Brotgetreide abnimmt, werben mit dem Slogan «voll Natur». Fritz Rothen ist überzeugt: «Die Zukunft gehört der Resistenzzüchtung, der minimalen Bodenbearbeitung sowie der Robotertechnik für alle Feldarbeiten».
Forschung, sowie Innovationen durch moderne Technik und Züchtung weisen also den Weg in Richtung einer pestizidfreien Landwirtschaft.
René Sgier, Betriebsleiter «Hansjürg Imhof Bioprodukte» in Schwerzenbach (ZH), denkt praktisch. Er baut auf 70 Hektaren Gemüse an – ohne Pestizide. Er führt den grössten Gemüsebetrieb unter Demeter Richtlinien in der Schweiz. Einen Zauberstab hat er nicht, aber er beobachtet, denkt, wägt ab und trifft intelligente betriebswirtschaftliche Entscheide. Er erklärt ohne Ideologie, dafür mit sehr viel Sachverstand, was er sich unter einer guten Agrarpraxis vorstellt: etwa Sortenwahl, geeignete Standorte und Förderung von Nützlingen.Den Boden pflegt er so, dass er möglichst in seiner Struktur erhalten bleibt und die Lebewesen in ihm gut gedeihen können. Damit schafft er von Anfang an ein gutes Klima für gesunde Pflanzen.
(VL): Herr Sgier, in der Firmenphilosophie von Imhofbio AG stehen Sätze, die auch die Motivation unseres Projektes «pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» sehr gut beschreiben: «Der hohe Einsatz von Pestiziden und die damit verbundene gesundheitliche Gefahr für den Menschen, die Rückstände in Produkten und Boden an Pestiziden, die Resistenzbildung vieler Schadorganismen gegen Pflanzenschutzmitteln, aber auch die Marktsituation mit einer Überproduktion veranlassten uns, umzudenken …..». Können Sie die Idee der Pestizdfreiheit unterschreiben?
(René Sgier): Wir haben den ganzen Gemüsebau im 2017 von Bio auf Demeter umgestellt. Dabei war aber nicht der Gedanke an den Pestizideinsatz ausschlaggebend, sondern die allgemeinen Grundideen von Demeter, der Bodenschutz und die Bodenfruchtbarkeit. Wir haben schon vorher die meisten Kulturen praktisch nicht gespritzt. Von den Einschränkungen der strengeren Richtlinien von Demeter gegenüber Bio war ich deshalb kaum betroffen: Kupfer darf man bei Demeter nicht mehr anwenden, aber ich produziere kein Obst und keine Kartoffeln - Kulturen, in denen nach Knospe- Richtlinien Kupfer noch erlaubt ist.
War das schon immer Ihre Philosophie, ohne Pestizide auszukommen?
Pestizide waren bisher vor allem eben auch kaum nötig! Pestizide sind Notfallmassnahmen, wenn etwa im Kohl alles voll mit Läusen ist. Im letzten Jahr ist die Spritze für solche Notfälle drei- bis viermal gefahren. Und da habe ich ein erlaubtes Präparat mit Bacillus thuringiensis (Bt) gespritzt[1]. Das ist ein Bodenbakterium, das ein Eiweiss produziert, welches sehr spezifisch für die Larven der Kohleule giftig ist. So wird der Schädling eingedämmt.
Welche Kulturen produzieren Sie?
Salate, Fenchel, Weisskohl, Broccoli, Kohlraben, Tomaten, Zucchini, Schnittblumen und Kürbisse. Diese vermarkte ich mit dem Demeter-Label bei den Grossverteilern, dem Bioeinzelhandel und im Hofladen.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, dass Sie nicht spritzen müssen?
Die Sortenwahl ist gerade bei Salaten wichtig. Der Markt verlangt nach grossen, kräftigen, gesunden Salaten. Und die Läuseresistenz ist hier eines der Hauptzuchtziele. So kommen alle paar Jahre neue Sorten heraus, die dank natürlicher Zucht resistent sind, das sind die modernen Lollo-, Batavia-, und Blattsalatsorten. Beim Fenchel, der sowieso kaum anfällig ist, ist es dasselbe. Da haben wir noch nie gespritzt.
Was muss sonst noch gegeben sein, um ohne Pestizide zu produzieren?
Die Lage, die Windrichtung, der Boden müssen für eine Kultur geeignet sein. An windoffenen Lagen, wo die Möhrenfliege keine Probleme macht, geht zum Beispiel der Karottenanbau sehr gut ohne Insektizide, wie ich in meiner Diplomarbeit nachweisen konnte.
Wo liegen die Knackpunkte?
Wir haben etwa herausgefunden, dass man Karotten am besten auf sandigen Böden, in windigen Lagen anbaut. Allgemein sind eine gute fachliche Praxis – Sortenwahl, Fruchtfolge – und ein gesunder Menschenverstand nötig. Wenn meine Nachbarn zum Beispiel Winterbegrünung mit Raps gemacht haben, werde ich meine Broccoli nicht daneben setzen, sonst habe ich mehr Probleme mit dem Rapsglanzkäfer.
Wie bestimmen Sie, wann ein Notfalleinsatz nötig ist?
Für die Bekämpfung von Kohlweisslingen etwa beobachte ich den Flug. Wenn der ganze Acker weiss von Schmetterlingen ist, dann weiss ich, dass da auch Eier gelegt werden und daraus demnächst Larven schlüpfen. Aber der Schlupf ist auch abhängig von den Nützlingen, die da auch noch sind und die ich hege und pflege. Agroscope hat einen guten Vorhersagedienst, der den Schädlingsbefall ankündigt.
Was steht Ihnen im Notfall zur Verfügung?
Natürliche Pyrethroide sind noch als Notfallmassnahme gegen Insekten erlaubt, Fungizide und Herbizide sind keine erlaubt. Da ist eine andere Denkart gefragt. Wir haben zum Beispiel bei Schnitt-Sonnenblumen das Risiko von Pilzbefall, also kalkulieren das Risiko mit und säen mehr Sonnenblumen: Wenn mal ein Satz befallen ist, so hoffen wir, dass der nächste Satz gesund bleibt und wir davon mehr verkaufen. Bisher ging das auf. Da der Demeter-Betrieb ausschliesslich im Freiland produziert, waren in den letzten Jahren Schäden vor allem wetterbedingt - wegen Hagel und Sturm. Dagegen kann man ohnehin nicht spritzen.
Wie sehen Ihre wirtschaftlichen Überlegungen aus?
Letztes Jahr hatte ich grosse Probleme im Weisskohl wegen Pilz-Erregern. Das ist bei uns eine Randkultur und darum überlege ich mir, nur noch Weisskohl zur Frischverarbeitung anzubauen und nicht mehr für die Lagerung. Denn ohne Kupfer kriege ich sie nicht gesund genug, dass sie gelagert werden könnten. Da braucht es bessere, resistentere Sorten. Früher hat man Sauerkraut gemacht und den Kohl so konserviert. Betriebswirtschaftlich gesehen ist klar: Es ist insgesamt alles etwas arbeitsaufwändiger und auch die Biopreise stehen ziemlich unter Druck. Ausserdem haben wir strenge Lieferantenvorgaben vom Handel. Aber für uns geht die Rechnung auf und wir zahlen vernüftige Schweizer Löhne nach Normvertrag. Die Personalkosten sind denn auch der grösste Kostenpunkt.
Sie schaffen es offenbar, den hohen ästhetischen und qualitativen Anforderungen der Grossverteiler und der KonsumentInnen zu genügen!
Ja, und unsere Ware wird nachgefragt und verkauft! Die Gesellschaft entscheidet schlussendlich, wieviel Schorf auf einem Apfel oder einer Kartoffel tolerierbar ist. Ich stelle diesbezüglich eine gewisse Lockerung fest, weil die Menschen von Pestiziden und dessen Risiko genug haben und bereit sind, ein klein wenig Schorf zu übersehen.
Junge Brokkolipflanzen -----------
[1] In der Definition im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz (2016, S. 6) gilt Bt nicht als Pestizid sondern als nicht toxisches, für die Umwelt unproblematisches Pflanzenschutzmittel.
Das Ökosystem und wichtige Lebensgrundlagen sind wegen dem heutigen Einsatz von Pestiziden ernsthaft in Gefahr. Das ist das Fazit einer neuen Studie der deutschen nationalen Akademie der Wissenschaften «Leopoldina». Ihr Titel «Der stumme Frühling: Zur Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes», erinnert an den Weckruf von Rachel Carson im 1962.
Laut den AgrarwissenschaftlerInnen, BiologInnen und ToxikologInnen ist das Zulassungsverfahren mangelhaft und hat in der Vergangenheit bereits häufig zu gefährlichen Fehleinschätzungen geführt. Das gilt für die EU so wie für die Schweiz. Wie bereits Vision Landwirtschaft und eine Allianz von Landwirtschafts- und Umweltorganisationen im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz, verlangen die AutorInnen der Leopoldina-Publikation ein kritisches und unabhängiges Bewilligungsverfahren. Nötig seien ernsthafte Untersuchungen, wie sich Pestizide in der Umwelt verhalten, da die heutigen Prüfungen die Realität ungenügend abbilden. Die AutorInnen fordern eine Abkehr vom der heutigen Praxis. Zudem immer mehr Studien und Erfahrungen zeigen, dass eine sehr grosse Reduktion des Pestizideinsatzes auch ohne Ertragseinbussen möglich ist. Es ist darum in der konventionellen Landwirtschaft unabdingbar, lang akzeptierte Praktiken kritisch zu hinterfragen und innovativ in Richtung Pestizidfreiheit zu handeln. Zur Studie: «Der stumme Frühling – Zur Notwendigkeit eines umweltverträglichen Pflanzenschutzes» von Leopoldina, Nationale Akademie der Wissenschaften
Im Rahmen des Projektes «Pestizidfreie Tafelobstproduktion auf Hochstammbäumen» der IG Kulturlandschaft untersuchte ein Maturand die Wirtschaftlichkeit verschiedener Obst-Produktionssysteme. Zudem befragte er KonsumentInnen zur Akzeptanz von ungespritztem Tafelobst. Die Hochstamm-Tafelobstproduktion erweist sich erstaunlicherweise als viel rentabler als diejenige im Intensivanbau. Selbst wenn die Früchte zum Grosshandelspreis verkauft würden, wäre der Verdienst beim Hochstamm-Anbau höher. Mindestens ein Drittel der gegenwärtigen Tafelobstproduktion der Schweiz könnte so produziert werden. Die befragten KonsumentInnen stehen der pestizidfreien Produktion sehr interessiert gegenüber und sind bereit, mehr zu bezahlen. Kleine Makel an den Früchten sind kein Problem, wenn die KundInnen um die pestizidfreie Produktion wissen. Fast alle Befragten wünschen sich eine verbesserte Information zu den Produktionsbedingungen.
Im Obstgarten und in der kleinen Baumschule von Helmut Müller und Monika Bühler fühlt man sich wie im Paradies. Hier gedeihen mehr als 380 Apfelsorten, mehr als 120 Birnensorten, mehr als 60 Zwetschgen- und Pflaumensorten sowie Kirschen und Trauben. Helmut und Monika kultivieren viele, auch sehr seltene Sorten. Die Früchte werden direkt ab Hof verkauft: Als Tafelobst oder in Form von Most und Cidre, der auch von Bioläden vertrieben wird. Cidre aus ihren Äpfeln hat es sogar zu Weltberühmtheit gebracht. Der Thurgauer Landwirtschaftsbetrieb setzt seit 30 Jahren auf biologische Produktion und generiert auf einer Fläche von lediglich 10 Hektaren ohne sogenannte «Intensivkulturen» genug Einkommen für den Vollerwerbsbetrieb. Und dies trotz den bescheidenen Preisen, zu denen Monika und Helmut ihre hochwertigen Bioprodukte verkaufen.
Wir setzen ganz auf Obst. Unser gesamtes Sortiment wächst auf starkwüchsigen, langlebigen Bäumen. Der Obstgarten besteht aus 600 richtig grossen Hochstämmen. Unsere enorme Sortenvielfalt hilft uns, Krankheiten und Schadorganismen in Schach zu halten, so dass wir lediglich im Frühjahr 2 bis 3 unterstützende Behandlungen mit im Biolandbau erlaubten biologischen Präparaten vornehmen. Wir verwenden nur im Biolandbau erlaubte Fungizide, keine Insektizide und selbstverständlich keine Herbizide.
Welche Wirkstoffe setzt Du noch ein und wann? Im 2017 habe ich bei Äpfeln und Birnen zwei Spritzungen mit Schwefelpulver durchgeführt, dieses Jahr werden es maximal drei sein, weil es mehr Blüten hat. Ich setze Schwefelpulver sehr sparsam ein, und komme auf 0,8 Kilogramm reiner Schwefel pro Hektare, was sehr wenig ist.
Schwefel wirkt gegen Pilze, wann spritzt Du? Etwa zwei Wochen vor der Blüte das erste Mal, dann kurz nach dem Abblühen zusammen mit einem Braunalgenpräparat das zweite Mal und dann Anfangs Juni nochmals Schwefel mit dem Algenpräparat, das den Baum zur Fruchtbildung anregt. Nachdem sich die Früchte bilden, spritze ich nichts mehr. Ich werde irgendwann vollständig auf Pestizide – auch natürliche – verzichten können.
Was braucht es noch, damit das bei Dir möglich ist? Ich habe noch einige Apfel-Sorten im Anbau, die entweder etwas krankheitsanfällig sind, oder dann sehr unter den Veränderungen durch den Klimawandel leiden. Beispielsweise Glockenapfel, Goldparmäne und Gravensteiner. Sie machen ca. 30% meiner Tafelobsternte aus. Wenn ich diese Bäume nicht mit Schwefel spritze, gibt es davon kein Tafelobst, für Mostereizwecke reicht das aber schon. Aber wir beobachten intensiv und wissen, welche Sorten robust gegen Krankheiten und Schädlinge sind. Ich denke, in zirka 5 Jahren werde ich auch diese Bäume mit nicht-anfälligen Sorten ersetzt haben. Eine Jungpflanzung beinhaltet bereits rund 100 sehr vielversprechende Sorten.
Du brauchst kein Kupfer mehr, obwohl es ja im Biolandbau als Fungizid noch erlaubt wäre? Auf Äpfel und Birnen gar nicht. Auf den Kirschen, abhängig vom Vorjahresbefall, spritze ich gegen Schrotschuss 50 Gramm reines Kupfer pro Hektare, das ist auch sehr wenig, aber gerne würde ich auch darauf verzichten. Ich erprobe derzeit verschiedene Kirschensorten, in der Hoffnung, einige zu finden, die nicht anfällig sind.
Der Klimawandel scheint Dir zu helfen, weniger Pestizide einzusetzen Ja, der Regen ist heute anders verteilt als früher, und ich wähle Sorten aus, die nur wenig krankheitsanfällig sind. Bei diesen stellt der Schorf kein Problem dar. Meine Bäumchen ziehe ich selber nach, das heisst, ich habe damit Pflanzen, die an meinen Standort bestens angepasst sind. Und durch die Sortenvielfalt reduziere ich das Risiko eines totalen Ertragsausfalles oder epidemischer Krankheitsausbreitung. Andererseits bringen die deutlich höheren Temperaturen wieder neue, bisher unbekannte Krankheiten und Schädlinge ins Land (z. B. Marssonina und Blausieb). Es gibt einige Obstsorten, die mit diesen Veränderungen nicht mehr klarkommen. Apropos Klimawandel und Wasser: Der sorgsame Umgang mit Wasser ist uns ein wichtiges Anliegen. In unterirdischen Zisternen sammeln wir bis zu 100 Kubikmeter Dachwasser unserer Gebäude und decken damit den Wasserbedarf unserer Jungpflanzen. Auch das Wasser aus der Mosterei wird in Trockenperioden nochmals verwendet.
Wie schaffst du es, mit so wenig Spritzmitteln auszukommen? Unsere Hochstammbäume sind langlebig und kräftig, sie wurzeln tief, holen sich also Wasser und Nähstoffe selbst, sie sind gesund. Den Boden habe ich seit 9 Jahren nicht mehr gedüngt. Er ist sehr aktiv, das ist wichtig für die Gesundheit der Pflanzen. Da wir nicht für den Grosshandel produzieren, können wir unsere Früchte an den Bäumen voll ausreifen lassen und unseren Kunden vollaromatisches und bekömmliches Obst anbieten. Kleine optische Makel sind überhaupt kein Problem.
Und wie hältst Du einen möglichen Befall von Insekten in Grenzen? Durch die enorme Vielfalt sind Schadinsekten kaum ein Problem, und wenn, so beschränken sich die Ausfälle auf einzelne Sorten oder Bäume. Natürlich fördern wir Nützlinge auf verschiedenen Ebenen (Bienen, Wildbienen, Hecken, blühende Stauden, 100 Nistkästen etc.). Ich mähe die Wiesen zwischen den Bäumen gestaffelt, so hat es immer Streifen, die blühen und solche, die geerntet werden. Heu und Emd nutze ich für unsere Ziegen, verkaufe es oder nutze es als Mulch zur Bodenbelebung. Wegen der gefürchteten Kirschessigfliege bevorzuge ich frühe Sorten beim Steinobst.
Und die Gretchenfrage: lohnt sich euer Betriebskonzept für euch finanziell? Wir sind schuldenfrei, das ist uns sehr wichtig. Ausserdem geht es uns nicht darum, möglichst viel Tafelobst zu produzieren. Was sich eignet, ernten wir für den Verkauf von Tafelobst ab Hof, das entspricht etwa einem Viertel der Ernte. Aus dem Rest produzieren wir Süssmost, und Cidre, den wir ebenfalls zu einem guten Preis verkaufen, teilweise zum Selber-Abfüllen ab Fass.
Wie hoch sind eure jährlichen Einnahmen? Wir erzielen in guten Jahren einen maximalen Umsatz von zirka 100'000 Franken, davon sind jährlich 38'000 Franken Direktzahlungen. Diese decken die Kosten für Versicherungen, den Unterhalt der Maschinen, Amortisationen, Wasser und Strom. Wir halten die Betriebskosten möglichst tief und so reicht es gut. Durchschnittlich versteuern wir ca. 50 bis 60'000 Franken landwirtschaftliches Einkommen pro Jahr, darin inbegriffen sind die Mieteinnahmen für das Wohnhaus nebendran. In schlechten Jahren wie 2017 - da hatten wir schwere Frostschäden - müssen wir die Reserven anzapfen. Wir verkaufen unsere Äpfel ab Hof zu 2 oder 1 Franken pro Kilo – je nach «Schönheit». Jeder Mensch sollte sich Bio-Äpfel leisten können, das ist unser Credo. Und Jacques Perritaz produziert exklusiv aus unseren Äpfeln einen Cidre, der um die Welt geht - es ist momentan das «hipe» Getränk bei New Yorks Schickeria. Der «Premier Emois» wird in 19 Länder exportiert! Das ist eine Anerkennung, die mit Geld nicht aufzuwiegen ist.
Dieses wirtschaftliche Modell ist gut für euch? Ja sicher, wir haben keine Löhne zu bezahlen, machen keine teuren Investitionen und produzieren sehr günstig. Reparaturen und Renovationen führen wir meist selbst aus. Das läuft seit vier Generationen so, seit 130 Jahren. Wir sind einfach zufrieden.
Wie sieht eure Zukunft aus? Wir sind im Gespräch mit einem potentiellen Nachfolger - ich werde ja bald 60 – es sieht gut aus. Die Arbeit und die Freude gehen uns nicht aus - was will man mehr!
Betriebsspiegel
Helmut Müller und Monika Bühler, Stocken 14, 9315 Neukirch, www.bio-obst.ch
10 Hektaren Wiesland mit rund 600 Hochstammbäumen und 500 weiteren Bäumen in einem Zuchtareal, auf dem die Bäume trotz starken Wuchses klein gehalten werden
2 Familienarbeitskräfte
8 Ziegen, 5 Hühner, 6 Bienenvölker
2 Traktoren (40 Jahre alt)
Mosterei mit stromunabhängigen Wasserpressen und einer Kapazität von 500 Kilo pro Stunde: Produktion von jährlich etwa 14'000 Liter Most und 2'000 Liter Cidre (je nach Ernte und Jahr) – die Produktion ist aufgrund hoher Nachfrage stark steigend.
direkter Vertrieb über Hofladen und ausgewählte Bioläden
Aus den Äpfeln von Monika und Helmut werden u.a. Cidre hergestellt, z.B. den spritzig süssen, aromatischen «Premiers Emois» oder den leicht trockenen «Raw Boskoop». Vertrieb weltweit durch: www.cidrelevulcain.ch. Oder den Cidre von ZOBO, handgefertigt nach englischer Methode, Vertrieb direkt über www.zobo-getraenke.ch.
Auf dieser Internet-Seite hat Helmut Müller sehr viel Wissen über Hochstammobst gesammelt: www.hochstammobst.ch
Interview und Bilder: Fausta Borsani
------------------------------------------------ Dass eine sehr naturnahe, extensive Produktion von Hochstamm-Tafelobst wirtschaftlich lohnend ist, auch im Vergleich mit dem Intensiv-Obstanbau, bestätigen Zahlen der kürzlich durch die IG Kulturlandschaft initiierte und betreute Untersuchung "Wirtschaftlichkeit einer pestizidfreien Hochstamm-Obstproduktion".
Die Schweiz ist alles andere als ein Paradies für Vögel. Im internationalen Vergleich sind in unserem Land besonders viele Arten bedroht. Die intensive Bewirtschaftung des Kulturlandes und ein hoher Einsatz von Pestiziden gehören laut Experten zu den wichtigsten Gründen.
Insgesamt stehen knapp 40 Prozent der Vogelarten in der Schweiz auf der roten Liste der gefährdeten Arten. Dies ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Gemäss den umfangreichen Daten, die in der Schweiz verfügbar sind, tragen besonders die Landwirtschaftszonen mit ihrer übermässigen Düngung, dem übermässigen Einsatz von Pestiziden und die besonders intensive Bewirtschaftung zu der bedenklichen Entwicklung bei. Es fehlten zudem genügend Kleinstrukturen wie Hecken, Einzelbäume oder Altgrasstreifen.
Die Schweiz leistet sich die teuerste Agrarpolitik weltweit und rechtfertigt diese jährlichen Milliardenausgaben mit ihrem gezielten Einsatz für eine nachhaltige Landwirtschaft. Doch die Mehrheit der Mittel bewirkt noch immer das Gegenteil: eine weitere Intensivierung der Produktion und damit eine besonders umweltbelastende Landwirtschaft. Die Agrarpolitik macht so ihre eigenen Bemühungen um mehr Biodiversität selbst wieder zunichte. Kein einziges der gesetzlichen Umweltvorgaben hat die Schweizer Landwirtschaft trotz der Milliardenzahlungen bisher erreicht - ein katastrophaler Leistungsausweis, wie selbst der Bundesrat vor kurzem einräumen musste.
Der Bauernverband wehrt solche Befunde seit Jahren mit den immer gleichen Reaktionen ab. David Brugger, der Leiter des Pflanzenbaus beim Schweizer Bauernverband, fordert gemäss NZZ zusätzliche Bundesmittel für eine weitere Untersuchungen. Man müsse noch mehr wissen, bevor man gezielt handeln könne.
Derweil wächst der Unmut in der Bevölkerung über die desaströse Landwirtschaftspolitik der Schweiz, wie beispielsweise Blog-Reaktionen von LeserInnen regelmässig zeigen. Eine längst fällige Änderung der Landwirtschaftspolitk könnte schon bald die Trinkwasserinitiative erzwingen, die von immer mehr Organisationen unterstützt wird.
Wiesen und Weiden spielen eine wichtige Rolle für den Erhalt der biologischen Vielfalt: Sie tragen zu einem bunten Artenmix sowie vielfältigen Lebensräumen bei. Beides ist wichtig für zahlreiche Lebewesen. Wenn störende Pflanzen weggespritzt werden, etwa zugunsten von mehr Futterertrag, dann gehen ebensolche Lebensräume verloren.
Blacken, Jakobskreuzkraut, Ackerkratzdisteln und Brennesseln werden mehrheitlich mit Glyphosat-Produkten und der Rückenspritze punktuell bekämpft. Die ausgebrachten Pestizidmengen halten sich durch diese Einzelstockbehandlungen zwar in Grenzen dennoch besteht die Gefahr eines möglichen Eintrag von Pestiziden in die Gewässer und ins Grundwasser. Ein Graphikerlehrling hat sich dem Sujet angenommen und ein Warnplakat gestaltet. Vielleicht warnen die Bauern hierzulande künftig damit die Wanderer...
Ähnlich wie damals DDT galten Neonikotinoide als Wundermittel im Kampf gegen Insekten in der Landwirtschaft. Entsprechend breit wurden die Gifte in den letzten zwei Jahrezehnten eingesetzt. Bereits in minimalsten Mengen schädigen Neonikotinoide das Nervensystem von Insekten. Immer mehr Studien wiesen in den letzten Jahren gravierende Schäden an Ökosystemen oder auch an Bienen nach.
Neonikotinoide finden sich mittlerweile flächendeckend und selbst in Naturschutzgebieten weit ab vom ursprünglichen Einsatzort. Die Pestizide dürften für den Zusammenbruch der Insektenvielfalt in den letzten Jahren hauptsächlich verantwortlich sein. Das in der Umwelt angerichtete Disaster dürfte ähnliche Ausmasse angenommen haben wie in den 1950er Jahren das Insektizid DDT.
Trotzdem wehrte sich die Industrie bis zuletzt mit allen Mitteln gegen ein Verbot der Neonikotinoide. Nun hat die EU dennoch endlich gehandelt. Im Freiland dürfen die drei schädlichsten und am weitesten verbreiteten Neonikotinoide nicht mehr eingesetzt werden. Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) zieht offenbar nach. Ab 2019 sind Clothianidin, Imidacloprid und Thiamethoxam auch in der Schweiz nur noch in Gewächshäusern zugelassen.
Die Geschichte wiederholt sich. Solange an der Landwirtschaft mit Pestiziden Milliarden verdient werden kann, sind offenbar keine Schäden zu gross. Noch viele weitere Pestizidwirkstoffe, von denen wir die Auswirkungen auf die Umwelt kaum kennen, werden weiterhin in riesigen Mengen weltweit an Bäuerinnen und Bauern verkauft. Schweizer Firmen wie Syngenta mischen bei diesem Geschäft ganz vorne mit.
Dabei ist längst erwiesen, dass Pestizide für eine sichere und produktive Landwirtschaft nicht nötig sind, im Gegenteil. Die Schäden, welche Pestizide an Böden und Ökosystemen anrichten dürften gemäss umfassenden Studien deutlich grösser sein als der Nutzen dieser Gifte.
Deshalb setzt sich Vision Landwirtschaft für eine pestizidbefreite Schweizer Landwirtschaft ein. Kein Land hat bessere Voraussetzungen als die Schweiz, um Wege aufzuzeigen, wie ohne Pestizide nachhaltig gesunde Lebensmittel produziert werden können.
Dass der Einsatz von Pestiziden gesenkt werden muss, ist politischer Konsens. Die flächendeckende Umstellung auf Biolandbau wäre ein grosser Schritt in diese Richtung. Das FiBL hat untersucht, wie viel Pestizide in der Schweiz dabei eingespart würden. Im Acker- und Grasland, also auf 90 % der Fläche, würde eine Mengenreduktion um 98,5 % resultieren. Bei den Spezialkulturen könnten von der Menge her zwar nur 20 % eingespart werden, doch nur vier der noch verwendeten Pestizide natürlichen Ursprungs sind umweltschädlich und müssten mittelfristig ersetzt werden.
Die Schweizerische Gesellschaft für Wildtierbiologie (SGW) widmete sich bei ihrer jährlichen Fachtagung der Frage, welchen Einfluss der verbreitete Pestizideinsatz in der Schweiz auf die Wildtiere hat. Die präsentierten Studien zeigen ein verheerendes Bild: Bis 95% der eingesetzten Gifte landen nicht bei den Zielpflanzen, sondern gelangen direkt in die Umwelt. Unsere Wildtiere werden schleichend vergiftet.
Das Fazit ist eindeutig: Wir kennen zwar viele längerfristige Effekte der Pestizide auf die Ökosysteme und die Wildtierpopulationen noch nicht, aber was wir heute schon wissen, ist alarmierend.
René Sgier, Betriebsleiter «Hansjürg Imhof Bioprodukte» in Schwerzenbach (ZH), denkt praktisch. Er baut auf 70 Hektaren Gemüse an – ohne Pestizide. Er führt den grössten Gemüsebetrieb nach Demeter-Richtlinien in der Schweiz. Einen Zauberstab hat er nicht, aber er beobachtet, denkt, wägt ab und trifft intelligente betriebswirtschaftliche Entscheide. Er erklärt ohne Ideologie, dafür mit sehr viel Sachverstand, was er sich unter einer guten Agrarpraxis vorstellt: etwa Sortenwahl, geeignete Standorte und Förderung von Nützlingen. Den Boden pflegt er so, dass er möglichst in seiner Struktur erhalten bleibt und die Lebewesen in ihm gut gedeihen können. Damit schafft er von Anfang an ein gutes Klima für gesunde Pflanzen.
(VL): Herr Sgier, in der Firmenphilosophie von Imhofbio AG stehen Sätze, die auch die Motivation unseres Projektes «pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» sehr gut beschreiben: «Der hohe Einsatz von Pestiziden und die damit verbundene gesundheitliche Gefahr für den Menschen, die Rückstände in Produkten und Boden an Pestiziden, die Resistenzbildung, aber auch die Marktsituation mit einer Überproduktion veranlassten uns, umzudenken …..». Können Sie die Idee der Pestizdfreiheit unterschreiben?
(René Sgier): Wir haben den ganzen Gemüsebau im 2017 von Bio auf Demeter umgestellt. Dabei war aber nicht der Gedanke an den Pestizideinsatz ausschlaggebend, sondern die allgemeinen Grundideen von Demeter, der Bodenschutz und die Bodenfruchtbarkeit. Wir haben schon vorher die meisten Kulturen praktisch nicht gespritzt. Von den Einschränkungen der strengeren Richtlinien von Demeter gegenüber Bio war ich deshalb kaum betroffen: Kupfer darf man bei Demeter nicht mehr anwenden, aber ich produziere kein Obst und keine Kartoffeln - Kulturen, in denen nach Knospe- Richtlinien Kupfer noch erlaubt ist.
War das schon immer Ihre Philosophie, ohne Pestizide auszukommen?
Pestizide waren bisher vor allem eben auch kaum nötig! Pestizide sind Notfallmassnahmen, wenn etwa im Kohl alles voll mit Läusen ist. Im letzten Jahr ist die Spritze für solche Notfälle drei- bis viermal gefahren. Und da habe ich ein erlaubtes Präparat mit Bacillus thuringiensis (Bt) gespritzt[1]. Das ist ein Bodenbakterium, das ein Eiweiss produziert, welches sehr spezifisch für die Larven der Kohleule giftig ist. So wird der Schädling eingedämmt.
Welche Kulturen produzieren Sie?
Salate, Fenchel, Weisskohl, Broccoli, Kohlraben, Tomaten, Zucchini, Schnittblumen und Kürbisse. Diese vermarkte ich mit dem Demeter-Label bei den Grossverteilern, dem Bioeinzelhandel und im Hofladen.
Welche Massnahmen ergreifen Sie, dass Sie nicht spritzen müssen?
Die Sortenwahl ist gerade bei Salaten wichtig. Der Markt verlangt nach grossen, kräftigen, gesunden Salaten. Und die Läuseresistenz ist hier eines der Hauptzuchtziele. So kommen alle paar Jahre neue Sorten heraus, die dank natürlicher Zucht resistent sind, das sind die modernen Lollo-, Batavia-, und Blattsalatsorten. Beim Fenchel, der sowieso kaum anfällig ist, ist es dasselbe. Da haben wir noch nie gespritzt.
Was muss sonst noch gegeben sein, um ohne Pestizide zu produzieren?
Die Lage, die Windrichtung, der Boden müssen für eine Kultur geeignet sein. An windoffenen Lagen, wo die Möhrenfliege keine Probleme macht, geht zum Beispiel der Karottenanbau sehr gut ohne Insektizide, wie ich in meiner Diplomarbeit nachweisen konnte.
Wo liegen die Knackpunkte?
Wir haben etwa herausgefunden, dass man Karotten am besten auf sandigen Böden, in windigen Lagen anbaut. Allgemein sind eine gute fachliche Praxis – Sortenwahl, Fruchtfolge – und ein gesunder Menschenverstand nötig. Wenn meine Nachbarn zum Beispiel Winterbegrünung mit Raps gemacht haben, werde ich meine Broccoli nicht daneben setzen, sonst habe ich mehr Probleme mit dem Rapsglanzkäfer.
Wie bestimmen Sie, wann ein Notfalleinsatz nötig ist?
Für die Bekämpfung von Kohlweisslingen etwa beobachte ich den Flug. Wenn der ganze Acker weiss von Schmetterlingen ist, dann weiss ich, dass da auch Eier gelegt werden und daraus demnächst Larven schlüpfen. Aber der Schlupf ist auch abhängig von den Nützlingen, die da auch noch sind und die ich hege und pflege. Agroscope hat einen guten Vorhersagedienst, der den Schädlingsbefall ankündigt.
Was steht Ihnen im Notfall zur Verfügung?
Natürliche Pyrethroide sind noch als Notfallmassnahme gegen Insekten erlaubt, Fungizide und Herbizide sind keine erlaubt. Da ist eine andere Denkart gefragt. Wir haben zum Beispiel bei Schnitt-Sonnenblumen das Risiko von Pilzbefall, also kalkulieren das Risiko mit und säen mehr Sonnenblumen: Wenn mal ein Satz befallen ist, so hoffen wir, dass der nächste Satz gesund bleibt und wir davon mehr verkaufen. Bisher ging das auf. Da der Demeter-Betrieb ausschliesslich im Freiland produziert, waren in den letzten Jahren Schäden vor allem wetterbedingt - wegen Hagel und Sturm. Dagegen kann man ohnehin nicht spritzen.
Wie sehen Ihre wirtschaftlichen Überlegungen aus?
Letztes Jahr hatte ich grosse Probleme im Weisskohl wegen Pilz-Erregern. Das ist bei uns eine Randkultur und darum überlege ich mir, nur noch Weisskohl zur Frischverarbeitung anzubauen und nicht mehr für die Lagerung. Denn ohne Kupfer kriege ich sie nicht gesund genug, dass sie gelagert werden könnten. Da braucht es bessere, resistentere Sorten. Früher hat man Sauerkraut gemacht und den Kohl so konserviert. Betriebswirtschaftlich gesehen ist klar: Es ist insgesamt alles etwas arbeitsaufwändiger und auch die Biopreise stehen ziemlich unter Druck. Ausserdem haben wir strenge Lieferantenvorgaben vom Handel. Aber für uns geht die Rechnung auf und wir zahlen vernüftige Schweizer Löhne nach Normvertrag. Die Personalkosten sind denn auch der grösste Kostenpunkt.
Sie schaffen es offenbar, den hohen ästhetischen und qualitativen Anforderungen der Grossverteiler und der KonsumentInnen zu genügen!
Ja, und unsere Ware wird nachgefragt und verkauft! Die Gesellschaft entscheidet schlussendlich, wieviel Schorf auf einem Apfel oder einer Kartoffel tolerierbar ist. Ich stelle diesbezüglich eine gewisse Lockerung fest, weil die Menschen von Pestiziden und dessen Risiko genug haben und bereit sind, ein klein wenig Schorf zu übersehen.
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[1] In der Definition im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz (2016, S. 6) gilt Bt nicht als Pestizid sondern als nicht toxisches, für die Umwelt unproblematisches Pflanzenschutzmittel.
René Sgier
Broccoli-Jungpflanzen für die Saatgutproduktion einer schädlingsresistenten Sorte
Das Bundesgerichtsurteil hat international wegweisenden Charakter: Erstmals erhalten Umweltverbände ein Einspracherecht gegen die Zulassung von Pestiziden. Damit findet die von zahlreichen Organisationen seit Jahren bekämpfte Intransparenz des Pestizid-Zulassungsverfahrens ein Ende. Das Bundesamt für Landwirtschaft wehrte sich zusammen mit der Agroindustrie bis zuletzt mit allen Mitteln gegen eine Öffnung des "wissenschaftlichen" Geheimverfahrens. Das Urteil dürfte den Pestizid-Zulassungsprozess wesentlich sicherer machen und dazu beitragen, dass für die Umwelt oder die menschliche Gesundheit untragbare Pestizide weniger häufig bewilligt und Pestizidskandale zukünftig eher verhindert werden können.
Vision Landwirtschaft hat sich ausführlich mit der Vernehmlassung zur neuen Gewässerschutzverordnung befasst und lehnt jede Erhöhung der Pestizidgrenzwerte für Oberflächengewässer ab. Die Erhöhung setzt politisch ein komplett falsches Zeichen und ist auch aus umweltrechtlicher Sicht nicht haltbar.
Wir haben in der Schweiz den Pestizideinsatz schlicht nicht im Griff
Fast wöchentlich berichten die Medien über irgend einen Skandal mit Pestiziden, über eingegangene Bienenvölker, über den Zusammenbruch der Insektenpopulationen als mutmassliche Folge einer umfassenden Durchdringung der Ökosysteme mit Pestiziden, über plötzlich doch als zu giftig erkannte Pflanzenschutzmittel, die nach Jahren des Einsatzes vom Markt zurückgezogen werden müssen, etc. etc.
Seit einem halben Jahr hat die Schweiz - als letztes Land in Europa – einen „Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel“. Dieser will den Pestizideinsatz um 1% pro Jahr (!) reduzieren und nach 12 Jahren gerade mal die Hälfte der heute regelmässigen Überschreitungen der Pestizidgrenzwerte in Gewässern beheben. Es fällt schwer, ein solches Papier als ernsthafte Antwort zu verstehen auf die permanenten Probleme im Umgang mit Pestiziden.
Vision Landwirtschaft hat zusammen mit fast 30 namhaften Organisationen einige Monate vor dem Aktionsplan des Bundes den „Pestizidreduktionsplan Schweiz“ publiziert. Im Gegensatz zum Konzept des Bundes basiert dieser Bericht auf einer ausführlichen, detailliert mit Referenzen belegten Situationsanalyse. Die Massnahmenvorschläge gehen deutlich weiter als diejenigen vom Bund. Für die Erarbeitung hat VL verschiedene Recherchen im Feld durchgeführt. Dabei haben wir immer wieder die Erfahrungen gemacht: Wir haben in der Schweiz den Pestizideinsatz schlicht nicht im Griff. Der Umgang mit dermassen potenten Giften in der freien Landschaft ist weit davon entfernt, dass er mit den verfügbaren Mitteln unter Kontrolle gebracht werden kann. Und bereits jetzt kosten all die Begleitmassnahmen rund um die Pestizide den Steuerzahler jährlich viele Millionen.
Es gibt gerade auch aus bäuerlicher Sicht nur eine Antwort für den Umgang mit diesen Giften: Wir müssen davon wegkommen. Dies ist die zentrale Forderung des Pestizidreduktionsplans.
Die unzähligen Beispiele von Bäuerinnen und Bauern, die ohne Pestizide wirtschaftlich und produktiv Nahrungsmittel produzieren, bestätigen, dass dieser Weg alles andere als eine Utopie ist. Deutlich gesagt werden muss aber auch: In manchen Kulturen haben wir noch keine praktikablen Lösungen. Doch wenn nur ein Bruchteil der Forschung, die heute für die Zulassung und das Monitoring der Pestizide verwendet wird, in die Weiterentwicklung pestizidfreier Anbaumethoden umgelenkt wird, werden in 5, 10 Jahren solche Lösungen auf dem Tisch sein. Mit einer der am höchsten unterstützten Landwirtschaften der Welt und mit unserer stark ausgebauten landwirtschaftlichen Forschung ist kein Land besser prädestiniert als die Schweiz, auf diesem Weg hin zu einer pestizidbefreiten Nahrungsmittelproduktion als Pionier voranzugehen.
Die oft geäusserte Befürchtung, dass dann geringere Erträge zu erwarten sind und wir mehr Nahrungsmittel importieren müssten, ist scheinheilig. Wir leisten es uns heute in der Schweiz, allein beispielsweise in der Milchproduktion mit der extrem ineffizienten Verfütterung von Kraftfutter de facto die Vernichtung von Nahrungsmitteln für 2 Millionen Menschen (Hochrechnung gem. FiBL-Studie), also für einen Viertel der Schweizer Bevölkerung - und bringen damit erst noch den Milchmarkt aus den Fugen. Drehen wir also an solchen relevanten Hebeln, um die Selbstversorgung in der Schweiz zu verbessern. Die 10 oder 15% Mindererträge, die eine pestizidfreie Produktion in Kauf nehmen müsste (mit zunehmender Forschung vermutlich deutlich weniger), erscheinen dagegen geradezu als Kleinigkeit.
Dass es eine Zeit gab, in der eine Nahrungsmittelproduktion nur mit permanentem Gifteinsatz als machbar galt, dürfte zukünftigen Generationen als ebenso absurd erscheinen wie uns heute die mittelalterlichen Teufelsaustreibungen oder ähnliche Irrwege. Stellen wir mit der Agrarpolitik 2022+ als erstes Land der Welt die Weiche hinaus aus der Pestizid-Sackgasse.
Immer mehr Kommunen ergreifen die Initiative und erklären sich selbst für "pestizidfrei". Deutschlandweit sollen bereits 160 Städte und Gemeinden auf Glyphosat und andere Pestizide bei der Pflege ihrer Grün- und Freiflächen verzichten. In Österreich ist es gar jede vierte Gemeinde. >> mehr
Das Deutsche Bundesamt für Naturschutz (BfN) wies vor kurzem auf die gravierenden Risiken glyphosathaltiger Pflanzenschutzmittel für die biologische Vielfalt hin und empfiehlt die Anwendung in Deutschland so schnell wie möglich zu beenden. >> mehr
Die Schweiz hinkt da noch gewaltig hintenher. Das hiesige Bundesamt für Landwirtschaft verteidigt Glyphosat "aus wissenschaftlichen Gründen" noch immer durch Dick und Dünn.
Dass es ohne Pestizide geht, halten viele noch für eine Utopie. Hunderte von Bäuerinnen und Bauern in der Schweiz und weltweit beweisen jedoch täglich, dass auch ohne regelmässigen Gifteinsatz eine wirtschaftliche, produktive Landwirtschaft möglich ist. Einer pestizidbefreiten Schweizer Landwirtschaft zum Durchbruch zu verhelfen ist das ehrgeizige Ziel eines neuen Projektes von Vision Landwirtschaft. Eine grosse Zahl an Organisationen aus den Bereichen Landwirtschaft, Umwelt, Gesundheit und Konsum stehen hinter dieser Vision.
(VL) Fast wöchentlich berichten die Medien über irgend einen Skandal mit Pestiziden, über die fehlenden Kontrollen, das intransparente Zulassungsverfahren, vergiftete Bienenvölker, über den Grenzwerten mit Pestiziden belastete Gewässer, gesundheitliche Risiken. Die Landwirtschaft meldet sich jeweils umgehend zu Wort und verteidigt ihren Pestizideinsatz als leider weitgehend unumgänglich.
Das neue Projekt von Vision Landwirtschaft will dieses Reaktionsmuster durchbrechen. Unter den Pestiziden leiden nicht nur die Konsumenten und die Umwelt, sondern genau so auch die Landwirtschaft und die Bäuerinnen und Bauern selber. Der Umgang mit diesen Giften ist alles andere als ein Vergnügen. Alle paar Tage mit der Giftspritze ausrücken zu müssen im Wissen, damit die Umwelt und womöglich auch sich selber zu schädigen, ist für die, die das machen müssen, eine permanente Belastung. Kommt dazu, dass Pestizide je nach Kultur ein relativ grosser Ausgabeposten sind, auf den man als Bauernfamilie auch aus finanziellen Gründen gerne verzichten könnte.
Was nicht ist, kann nicht sein
Warum werden Pestizide dennoch durch dick und dünn verteidigt? Sie sind auf vielen Bauernbetrieben so zum Alltag geworden, dass sich die meisten Praktiker gar nicht mehr vorstellen können, dass es ohne auch ginge. Die Überzeugung der fehlenden Alternativen hat sich in der Landwirtschaft, der Beratung, bei den Behörden, ja selbst bei den meisten Wissenschaftern in den Köpfen festgesetzt.
Fakt ist: Es gibt zahlreiche Alternativen, sogar weit mehr als wir heute schon kennen und uns denken können. Die bekannten und noch zu entwickelnden Alternativen stehen im Zentrum des Projektes Pestizidbefreite Landwirtschaft. Die Agrarpolitik 2022+ bietet die grosse Chance, die Weichen in Richtung einer weitgehend pestizidfreien Landwirtschaft zu stellen. Was es dazu braucht, steht im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz. Fast Dreissig namhafte Organisationen tragen die darin gestellten Forderungen mit.
Mit einfachen Massnahmen kann der Pestizideinsatz ohne wirtschaftliche Einbussen kurzfristig um über 50% gesenkt werden. Allein ein korrekter Vollzug des Ökologischen Leistungsnachweises und der gesetzlichen Vorgaben würde den heutigen Pestizideinsatz um schätzungsweise gut 20% reduzieren. Möglichst rasch sollen die gefährlichsten Gifte aus dem Verkehr gezogen werden. Mittelfristig soll die Schweizer Landwirtschaft ganz pestizidfrei werden, indem alle Alternativen zum Pestizideinsatz konsequent genutzt und weiterentwickelt werden.
Pestizide dank Steuergeldern
Der landwirtschaftliche Gifteinsatz ist heute nur wirtschaftlich, weil der Bund ihn jährlich mit Millionen von Franken an Steuergeldern unterstützt. So werden die Zulassungskosten weitgehend durch Steuergelder finanziert, die Kontrollen, das Monitoring und die unzähligen administrativen Aufwände übernimmt ebenfalls der Staat. Als ob das noch nicht genügen würde, geniessen Pestizide das Privileg eines massiv reduzierten Mehrwertsteuersatzes. Diese Förderungen des Pestizideinsatzes mit Steuergeldern widersprechen klar dem landwirtschaftlichen Verfassungsauftrag und fügen sowohl der Landwirtschaft wie der Umwelt Schaden zu.
Die Mehrheit der Bevölkerung macht sich zu Recht Sorgen. UmweltschützerInnen, Gewässerfachleute, FischerInnen, BiologInnen, Gesundheitsfachleute, kritische LandwirtInnen und unabhängige Agrarfachleute warnen vor den unabsehbaren Schäden des Pestizideinsatzes. Das Projekt «Pestizidfreie Schweizer Landwirtschaft» zeigt den Weg auf für eine neue Agrarpolitik. Damit geht die Schweiz auch international mutig voran. Die Zielsetzung des Pestizidprojektes ist realistisch und viele Massnahmen und Ideen sind im In- und Ausland bereits realisiert worden. Kein Land der Welt stellt seiner Landwirtschaft so viele Steuergelder zur Verfügung, um nachhaltig zu werden, wie die Schweiz. Damit ist unser Land prädestiniert, auf dem Weg hin zu einer pestizidbefreiten Landwirtschaft international voranzugehen.
Vision Landwirtschaft will die Chancen und konkreten Lösungsmöglichkeiten eines zunächst reduzierten Pestizideinsatzes und mittelfristig vollständigen Verzichts auf Pestizide aufzeigen und eng mit den Partnerorganisationen, mit Bauern, Behörden und dem Handel zusammenarbeiten. Die Stiftung Mercator Schweiz und andere Stiftungen sowie Spenden von Einzelpersonen ermöglichen das ehrgeizige Projekt. Einen zentralen Beitrag leisten auch die beiden Volksinitiativen «Für eine Schweiz ohne synthetische Pestizide» und die «Trinkwasserinitiative».
Werden Sie Teil der Bewegung für eine pestizidbefreite Landwirtschaft! Fragen Sie nach pestizidfrei produzierten Produkten und unterstützen Sie die Bemühungen, welche die Landwirtschaft vorwärts bringen. Werden Sie Mitglied bei Vision Landwirtschaft.
Was sind Pestizide, und was verstehen wir unter einer pestizidfreien Landwirtschaft?
In Übereinstimmung mit dem alltäglichen Sprachgebrauch verwenden wir Pestizid als Überbegriff für toxische chemische Substanzen, die in der Landwirtschaft, im öffentlichen Raum, im Gartenbau sowie in Privatgärten eingesetzt werden, um unerwünschte Tiere (Insektizide gegen Insekten, Rodentizide gegen Nager, Molluskizide gegen Schnecken etc.), Pflanzen (Herbizide) oder Pilze (Fungizide) abzutöten oder zu schädigen. Pestizide können synthetischen oder natürlichen Ursprungs sein (Definition gemäss Pestizid-Reduktionsplan Schweiz).
Weit über 90% der Pestizide, die in der Schweizer Landwirtschaft zum Einsatz kommen, werden in der konventionellen Produktion eingesetzt. Die fortschrittlichen Produktionssysteme der integrierten Produktion und des biologischen Landbaus sind zentrale Partner auf der Suche nach Lösungen für eine weitgehend pestizidfreie Nahrungsmittelproduktion.
Der Verzicht auf Pestizide ist für die Landwirtschaft eine grosse Herausforderung. Während für viele Kulturen bereits heute gute, praxistaugliche und ertragssichere Lösungen für einen pestizidfreien Anbau vorliegen, kommen Kulturen wie der Intensiv-Obstanbau derzeit noch nicht ohne den Einsatz von Pestiziden aus. Hier sind breit anwendbare Lösungen für einen Verzicht auf Pestizide in den nächsten Jahren erst zu entwickeln, beispielsweise mit der Einführung resistenter Sorten oder einer forcierten Nützlingsförderung.
Pestizide werden allerdings auch in Zukunft ihre Bedeutung wohl nie ganz verlieren. Sie sollen, ähnlich wie Medikamente in der Humanmedizin, in Notsituationen weiterhin zum Zuge kommen können, beispielsweise wenn ein neu eingewanderter Schädling ganze Kulturen zu zerstören droht und noch keine Erfahrungen mit alternativen Abwehrstrategien vorliegen.
PS: Das neueste Heft der Agrarforschung Schweiz widmet sich fast ausschliesslich den Pestiziden. Tamm et al. gehen in ihrem Artikel detailliert auf die Perspektiven und Herausforderungen einese weitgehenden Pestizidverzichtes ein und bestätigen die Machbarkeit, aber auch die teilweise noch ausstehenden Lösungen einer pestizidfreien Landwirtschaft.
Pestizid-Sprühflüge über Rebbergen müssen gemäss Gesetz Sicherheitsabstände von 20-60 m gegenüber Strassen, Gebäuden oder Gewässern einhalten. Doch Kontrollen gibt es praktisch keine. Massive Verstösse sind an der Tagesordnung.
Vor Kurzem hat die EU mit ganz knapper Mehrzeit der zuständigen Kommission die Zulassung von Glyphosat nochmals um fünf Jahre verlängert. Die Diskussionen um das umstrittene Herbizid gehen aber weiter. Die Schweiz wartet vorerst ab. Ein Verbot von Glyphosat dürfte jedoch nur noch eine Frage der Zeit sein.
Im Artikel in der Tierwelt weist Vision Landwirtschaft darauf hin, dass Glyphosat nicht nur ein Herbizid ist, sondern auch ein - von Monsanto patentiertes - Antibiotikum. Dadurch ist das Gift für die Bodenfruchtbarkeit besonders problematisch.
Die heute mit gut 114'000 Unterschriften eingereichte Volksbegehren mischt die Landwirtschaftspolitik gehörig auf. Seit klar ist, wie gut die Initiative bei der Bevölkerung ankommt, herrscht beim Bauernverband Konsternation. Mit Vorliebe schickt er nun Biobauern vor, die erzählen sollen, dass sie ihre Produktion bei Annahme der Initiative aufgeben müssten. Dabei wird gelogen was das Zeug hält.
Tatsache ist: Landwirtschaftsbetriebe, welche bereits heute nachhaltig produzieren, d.h. auf besonders toxische Pflanzenschutzmittel verzichten und auf geschlossene Nährstoffkreisläufe achten, sind von der Initiative so gut wie nicht betroffen. Im Gegenteil, sie können sich von einer Neuausrichtung der Agrarpolitik in Zukunft bessere Unterstützung erhoffen - ob Bio oder nicht.
Dennoch ist die Initiative eine Herausforderung für die Schweizer Landwirtschaft. Allzu lange hat sie sich im Schlepptau des Bauernverbandes gegen jegliche Veränderung zur Wehr gesetzt. Die Initiative bringt nun den nötigen Schub, damit die agrarpolitischen Versprechen und Verpflichtungen des Bundes, eine umweltverträgliche, gesetzes- und verfassungskonforme Landwirtschaft sicherzustellen, endlich eingelöst werden.
In einem Beitrag in den Morgennachrichten von Radio SRF verteidigt Eva Reinhard, Vizedirektorin des Bundesamtes für Landwirtschaft, den besonders hohen Pestizideinsatz in der Schweiz. Vision Landwirtschaft verweist auf die haushoch verfehlten Ziele des Bundes zur Reduktion des Pestizideinsatzes. Selbst der Ökologische Leistungsnachweis, ein Grundpfeiler der Schweizer Agrarpolitik, werde in der Praxis beim Pestizideinsatz schlicht nicht vollzogen.
Die Bevölkerung hat genug von den nicht abreissenden Hiobsbotschaften zum Pestizideinsatz in der Schweiz. Die Trinkwasserinitiative und zahlreiche Projekte von Organisationen wie Vision Landwirtschaft könnten in den nächsten Jahren zu einer Neuausrichtung der Schweizer Landwirtschaft führen, die statt gegen mit der Natur Lebensmittel produziert.
Auch bei den Weihnachtsbäumchen ist einheimisch nicht immer auch ökologisch. Doch es gibt mehr und mehr Produzenten, die sich um einen nachhaltigen Anbau bemühen und ganz oder auf einen Teil der Pestizide verzichten.
Der Handel unterstützt diese Bemühungen: Vision Landwirtschaft hat zusammen mit Coop Richtlinien für einen Christbaumanbau mit einem reduzierten Chemieeinsatz erarbeitet. Auch Landi wendet seit diesem Jahr die Richtlinien an. Damit sorgen zwei der der grössten Anbieter für mehr Nachhaltigkeit in der Weihnachtsstube.
Während Jahren hat es die Walliser Regierung versäumt, die systematischen Gesetzesverletzungen beim Pestizideinsatz im Walliser Weinbau anzugehen. Bis heute tut sie alles, die Probleme einzunebeln und schreckt auch nicht vor groben Fehlaussagen zurück.
Damit schadet sie vor allem den Weinbauern, die wirtschaftlich ohnehin unter Druck stehen. Die negative Presse, welcher der Pestizidskandal im Wallis im vergangenen Sommer ausgelöst hatte, machte der Branche zu schaffen.
Doch es gibt positive Zeichen. Die Produzenten selber scheinen mit Unterstützung von Vision Landwirtschaft und dem Landwirtschaftsamt die Probleme jetzt selber aktiv anzugehen.
Statt Rahmenbedingungen zu schaffen, unter welchen die Landwirtschaft die Gewässer nicht mehr mit Pestiziden vergiftet, passt der Bund lieber die Pestizidgrenzwerte an. Beim Glyphosat darf es in Zukunft in den Gewässern gleich 3600-mal mehr sein. Ein absurdes politisches Zeichen in einer Zeit, in der weltweit über ein Verbot des Umweltgiftes diskutiert wird.
Bleibt zu hoffen, dass der amtliche Bückling vor der Industrie der Vision einer pestizidbefreiten Landwirtschaft, wie sie VL oder die Trinkwasserinitiative anstreben, in der Bevölkerung mächtig Vortrieb verleiht.
Detaillierte Informationen zu den Plänen aus Bundesbern im Tages-Anzeiger vom 9.12.17 (pdf) mit Kommentar.
Nachtrag: In der Online-Umfrage zum Artikel erachteten über 95% der LeserInnen Glyphosat als gefährlich. Nur knapp 5% hielten das Herbizid für ungefährlich oder vertrauen dem Bund, dass dieser für eine ungefährliche Anwendung sorge (9.12.17, 810 Teilnehmende). Bezeichnend sind auch die LeserInnenkommentare zum Artikel. Noch deutlicher wurden die Leser zum betr. Artikel im Blick ("Bauern jubeln, Umweltschützer alarmiert").
Die "Trinkwasserinitiative" trifft den Nerv der Zeit. Einem kleinen Initiativkomitee um Franziska Herren ist es in wenigen Monaten gelungen, über 100'000 Unterschriften zusammenzubringen, und dies bis vor kurzem ohne Unterstützung von grösseren Organisationen. Mitte Januar soll die Initiative im Bundeshaus eingereicht werden. Die Person, die Überlegungen und die Motive, die hinter der Initiative stehen, kommen in einem ausführlichen Interview mit der Initiantin im "Schweizer Bauer" zur Sprache. Franziska Herren handelt als besorgte Bürgerin, die nicht mehr bereit ist, eine umweltzerstörende Landwirtschaft mit Milliarden an Steuergeldern weiter in Richtung Industrialisierung zu pushen. Sie spricht damit offensichtlich sehr vielen Konsumenten und Bürgerinnen aus dem Herzen.
Lediglich 0,5-1% geht der Maisertrag zurück, wenn auf Pestizide verzichtet wird. Dieser Ertragsrückgang sei deutlich geringer als erwartet, sagt Robert Finger, Professor an der ETH Zürich, welcher die Studie erstellt hat. Die Nettokosten steigen dabei lediglich um 1-2 Euro pro Hektar. Diese Zahlen wurden mit einem sehr detaillierten Modell für Norddeutschland berechnet. Sie dürften weitgehend auf die Schweiz übertragbar sein. Die Ertragseinbussen bei einem Pestiidverzicht werden gemäss Finger generell überschätzt. Er wird deshalb mit seinem Modell nun weitere Kulturen genauer unter die Lupe nehmen.
Der Weg zu einer Landwirtschaft ohne Pestizide wird kein Spaziergang. Wo die Klippen und Herausforderungen liegen, setzt ein ausführlicher Artikel in der NZZ am Sonntag auseinander.
Glyphosat verursacht gravierende gesundheitliche Schäden. Beispielsweise Krebs, oder Missbildungen bei Neugeborenen, wenn Schwangere mit dem Herbizid in Kontakt gekommen sind. Die gesundheitlichen Folgen sind in Regionen mit intensivem Glyphosateinsatz katastrophal. Auch die Auswirkungen auf Tiere, Pflanzen und Böden sind gravierend.
Die im Film aufgezeigten Fakten sind seit langem bekannt, auch Monsanto, welche Glyphosat herstellt. Doch die Pestizidindustrie und die mit ihr verbandelten Regierungen haben wissenschaftliche Studien manipuliert und die Zusammenhänge gegenüber der Öffentlichkeit in skandalöser Weise stets abgestritten. Die Bilder und Schicksale, die im Film präsentiert werden, sind unerträglich. Ob sie eine Wirkung zeigen, ob die Schweiz und die EU handeln und die Zulassung von Glyphosat nicht verlängern, wird sich zeigen.
Mit dem Verbot des umstrittenen Herbizids Glyphosat beim Label-Getreideanbau vollzieht IP-Suisse einen weiteren wichtigen Schritt in Richtung pestizidreduziertem Ackerbau. Für schwierige Situationen sind vorläufig noch Sonderbewilligungen möglich. Die Regelung tritt bereits ab 2018 in Kraft.
Das zielstrebige und mutige Vorgehen von IP-Suisse zeigt, wie stark sich derzeit im Ackerbau nachhaltigere Bewirtschaftungsformen entwickeln. Derweil hinkt der Bund mit seinem halbherzigen "Aktionsplan Pflanzenschutzmittel" den vorhandenen Möglichkeiten einer pestizidreduzierten Nahrungsmittelproduktion weit hinterher. Gegenüber dem von Vision Landwirtschaft geschätzten kurzfristigen Pestizid-Reduktionspotenzial von 50% erachtet das Bundesamt für Landwirtschaft im Aktionsplan lediglich eine Reduktion von 12% für realistisch - ein Wert im Bereich statistischer Unschärfe. Umso mehr ist zu begrüssen, wenn jetzt die Produzenten das Heft selber in die Hand nehmen.
Noch begleiten uns Pestizide in der Schweiz auf Schritt und Tritt. In der Landschaft, auf dem Teller, im Trinkwasser. Dass die Biodiversität unter dem hohen Pestizideinsatz stark leidet, ist heute unbestritten. Unklar ist, wie schädlich die Gifte für den Menschen sind. So oder so ist es gut zu wissen, wo sie überall vorkommen und wie wir sie vermeiden können - hier eine kurze Zusammenstellung (Tageszeitung "20 Minuten").
Als erstes Land in Europa hat Frankreich dem Seilziehen um die Giftigkeit von Glyphosat ein Ende gesetzt. Per 2022 wird das Unkrautvernichtungsmittel sowohl in der Landwirtschaft wie für den privaten Gebrauch verboten.
Ein solcher Schritt ist in der Schweiz vorläufig kein Thema. In Sachen Pestiziden handelt das zuständige Bundesamt in aller Regel erst, wenn die EU vorangeht. Diese mochte sich noch nicht dazu durchringen.
Mit einem Verbot von Glyphosat ist es allerdings nicht getan: Das Herbizid könnte durch noch schädlichere Mittel ersetzt werden, wenn nicht chemiefreie Alternativen rasch zur Praxisreife gebracht werden. Dafür setzt sich Vision Landwirtschaft in einem neuen Projekt ein.
Vision Landwirtschaft setzt sich für eine Weichenstellung hin zu einer weitgehend pestizidfreien Nahrungsmittelproduktion ein. Mittelfristig sei dies keine Utopie, sondern eine grosse Chance für die Schweizer Landwirtschaft, wie Andreas Bosshard, Agrarökologe und Geschäftsführer von Visionlandwirtschaft, im Interview ausführt. Eine Landwirtschaft, die nur mit permanentem Gifteinsatz funktioniert, habe dagegen keine Zukunft. Die Schweiz sei prädestiniert, mit mutigen Schritten voranzugehen.
Der Unmut über die ungelösten Folgeprobleme des hohen Pestizidverbrauchs in der Schweiz hat in der Bevölkerung stark zugenommen. Der heute vom Bundesrat verabschiedete Nationale Aktionsplan Pflanzenschutzmittel (NAP) ist trotz Verbesserungen gegenüber dem Vernehmlassungsentwurf eine ungenügende Antwort. Der Fokus der Massnahmen liegt vor allem in technischen Optimierungen, wo die Schweiz relativ wenig Nachholbedarf hat. Zahlreiche wirksamere Massnahmenvorschläge einer breiten Allianz, die sich für einen engagierten Aktionsplan und eine Vorreiterrolle der Schweizer Landwirtschaft einsetzt, sucht man im NAP vergebens. Der Aktionsplan bleibt selbst hinter dem vom Bund einst gesetzten Pestizidreduktionsziel auf 1500 Tonnen pro Jahr zurück. Unverständlich bleibt insbesondere das Fehlen eines Konzeptes, wie die zusätzlichen Massnahmen zu finanzieren sind. Damit droht dem Aktionsplan das Schicksal eines Papiertigers.
Mit dem bereits im Mai 2016 veröffentlichten Pestizid-Reduktionsplan Schweiz (PRP) setzte sich eine breite Allianz aus Landwirtschafts-, Gewässerschutz-, Umwelt-, Gesundheits- und Konsumentenkreisen für einen griffigen Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes (NAP) und für ein Umdenken in der bisherigen Praxis im Umgang mit Pestiziden ein. Der PRP zeigte auf, dass in der Schweiz unnötig viele Pflanzenschutzmittel eingesetzt werden und der Gesetzesvollzug gravierende Lücken aufweist, die zu einem weit verbreiteten unsachgemässen Einsatz führen. Doch selbst der gesetzeskonforme Spritzmitteleinsatz führt zu vielfältigen Umweltproblemen, vor allem bei der Biodiversität, im Boden in den Gewässern, wo die Grenzwerte regelmässig überschritten werden.
Der PRP zeigte auf, dass mit kurzfristig realisierbaren Massnahmen eine Reduktion des Pestizideinsatzes um 50% möglich ist, ohne das Einkommen der Landwirtschaft oder die Ernährungssicherheit zu schmälern. Viele der heutigen Probleme könnten damit in wenigen Jahren gelöst werden. Mit dem Reduktionsziel von 25% ist der Aktionsplan des Bundes davon weit entfernt. Nicht einmal das vom Bund selber einst gesetzte Ziel, den Pestizidverbrauch von rund 2200 Tonnen pro Jahr auf 1500 Tonnen zu senken, wird durch die im NAP enthaltenen Massnahmen erreicht.
Verbreitete Unzufriedenheit über Pestizidsituation
In den vergangenen Monaten hat der öffentliche Druck auf die Behörden stetig zugenommen, die Probleme, die aus dem Pestizideinsatz in der Schweiz entstehen, mit ernsthaftem Engagement anzugehen. So wurden das large, intransparente Verfahren der Pestizidzulassung wiederholt stark kritisiert, ebenso die in den meisten Kantonen praktisch fehlenden Kontrollen zum Pestizideinsatz. Zu diesen Vorwürfen gibt der jetzt verabschiedete Aktionsplan keine überzeugenden Antworten.
Der Unmut in der Bevölkerung über den Pestizideinsatz und seine Folgeprobleme ist in den letzten Jahren unübersehbar geworden. Ein Gradmesser dafür ist die Trinkwasserinitiative. In wenigen Monaten sind praktisch ohne Unterstützung grosser Organisationen bereits 80‘000 Unterschriften zusammengekommen. Die Initiative verlangt, dass Landwirtschaftsbetriebe einen Teil der Subventionen nur noch dann erhalten, wenn sie auf einen Pflanzenschutz ohne Pestizide setzen – eine mittelfristige Stossrichtung, die Vision Landwirtschaft unterstützt.
Kostendeckende Gebühren statt Subventionierung der Pestizidbranche
Gegenwärtig subventioniert der Staat den Pestizideinsatz in der Schweiz mit Dutzenden von Millionen Franken jedes Jahr mit, indem er das Zulassungsverfahren, das aufwändige Monitoring oder die Kontrollen weitgehend mit Steuergeldern finanziert. Doch die Zitrone ist ausgepresst. Für weitere Massnahmen, die der Bundesrat im Aktionsplan vorschlägt, fehlt das Geld. Die Antwort auf die zentrale Frage, woher die zusätzlich nötigen Ressourcen stammen sollen, bleibt der Aktionsplan schuldig. Damit droht dem NAP akut das Schicksal eines Papiertigers.
Die Pestizidallianz fordert, dass der Bund bei den Pestiziden bis spätestens 2020 das Kostendeckungsprinzip einführt und so ohne Zusatzbelastung des Steuerzahlers die zwingend nötigen finanziellen Mittel generiert, auf deren Basis eine wirkungsvolle und engagierte Reduktion des Pestizideinsatzes in der Schweiz erst möglich sein wird.
Engagierter Aktionsplan für Landwirtschaft wichtig
Die heutige Situation ist für die Schweizer Landwirtschaft belastend. Die regelmässigen Hiobsbotschaften über pestizidvergiftete Bienenvölker, zu stark mit Pestiziden belastete Gewässer oder systematisch nicht eingehaltene – da nicht kontrollierte – Vorschriften beim Ausbringen von Pestiziden gefährden das höchste Gut der einheimischen Landwirtschaft: Das Vertrauen der Bevölkerung in ihre Nachhaltigkeit. Ein wirksamer Aktionsplan Pflanzenschutzmittel ist nicht gegen, sondern für die Bauern, für die Zukunft einer umweltfreundlichen, marktorientierten Landwirtschaft.
Weitere Informationen:
Andreas Bosshard, Geschäftsführer Vision Landwirtschaft, Tel. 056-641 11 55 oder 078-715 55 89, abosshard_at_visionlandwirtschaft.ch. Eine detaillierte Stellungnahme zum Aktionsplan erfolgt nach Detailstudium des Dokumentes.
Laut einer aktuellen Studie wollen zwei Drittel der Bevölkerung, dass der Bund sich für eine Reduktion der Spritzmittel einsetzt. Im September 2017 wird der Bundesrat dazu einen Aktionsplan vorstellen. Umstritten ist u.a., ob die Pestizidindustrie, die gegenwärtig vom Bund mit Millionen an Steuergeldern unterstützt wird, stärker zur Kasse gebeten werden sollen.
Vertrauliche Daten zeigen, dass das BLW bei der Zulassung von Pestiziden wissentlich zu hohe Risiken eingeht. Die Folge: Auch wenn die Bauern beim Spritzen alle Vorschriften einhalten, landen die eingesetzten Giftstoffe in zu hohen Konzentrationen in den Gewässern und schädigen dort die Lebewesen.
Dass die Zulassung offenbar derart krasse Mängel aufweist, hat selbst Fachleute, aber auch Praktiker aus der Landwirtschaft schockiert. Ein Landwirt muss sich darauf verlassen können, dass er bei korrekter Anwendung von zugelassenen Pestiziden keine übermässigen Umweltschäden verursacht.
Die Geheimniskrämerei in der Zulassungspraxis des BLW wurde von verschiedener Seite immer wieder kritisiert, auch von Vision Landwirtschaft. Der WWF ersuchte anhand eines speziellen Falls das BLW bereits 2015 , in das Zulassungverfahren Einsicht zu erhalten und bei festgestellten Mängeln auf ein korrektes Vorgehen hinwirken zu können. Das BLW hat das Gesuch abgelehnt, worauf der WWF beim Bundesverwaltungsgericht Klage einreichte und im Mai 2017 Recht erhielt. Das BLW zieht nun den Fall ans Bundesgericht weiter. Was das BLW von Transparenz im Zulassungsverfahren zu befürchten hat bleit vorläufig sein Geheimnis.
Selbst die largen Schweizer Vorschriften zum Pestizideinsatz werden hierzulande grossflächig missachtet. Dies haben Recherchen von Vision Landwirtschaft im Zuge der Vorarbeiten zum Pestizid-Reduktionsplan Schweiz ergeben.
Der Vollzug der gesetzlichen Vorgaben funktioniert beim Pestizideinsatz offensichtlich nicht im Geringsten. Die Behörden sind völlig überfordert, die von ihnen selbst erlassenen Vorschriften bei den Pestiziden zu vollziehen. Wo wann welche Gifte eingesetzt werden, ist in der Schweiz eine Black Box. Dieser Wildwuchs fügt nicht nur der Umwelt und der menschlichen Gesundheit Schaden zu, sondern schädigt auch das Image der Landwirtschaft und eine gesunde Nahrungsmittelproduktion nachhaltig.
Für VL und mit ihr 26 weitere Organisationen ist klar: Die gravierenden, teilweise noch kaum untersuchten Probleme, welche der Pestizideinsatz schafft, lassen sich nicht mit Vorschriften und Kontrollen lösen. Die Schweizer Landwirtschaft muss von ihrem systematischen Pestizideinsatz wegkommen. Praktikable Alternativen sind bereits heute weitgehend bekannt.
Kein Land hat so gute Möglichkeiten wie die Schweiz, eine pestizidbefreiten Landwirtschaft zu realisieren. Dafür setzt sich VL mit voller Überzeugung ein. Wir erwarten vom Bundesrat, dass er in seinem Aktionsplan Pflanzenschutzmittel Konsequenzen aus dem Pestizidskandal zieht und die Weichen in Richtung einer pestizidbefreiten Schweizer Landwirtschaft stellt.
Im Rahmen der Recherchen für den Pestizid-Reduktionsplan Schweiz hat Vision Landwirtschaft 2013 verschiedene Kulturen und Regionen genauer unter die Lupe genommen. Besonders im Wallis sind dabei systematische und gravierende Misstände beim Einsatz von Pestiziden ans Tageslicht gekommen.
Mit den Resultaten, die in einem detaillierten Untersuchungsbericht dokumentiert worden sind, hat Vision Landwirtschaft das Gespräch mit den zuständigen kantonalen und Bundes-Behörden gesucht, um die Probleme gemeinsam anzugehen. Es wurde vereinbart, dass der Bericht nicht publiziert werde, wenn die vereinbarten Massnahmen rasch umgesetzt werden.
Eine Nachkontrolle im 2017 hat ergeben, dass die Missstände im Rebbau fast unverändert bestehen geblieben und praktisch keine der vereinbarten Massnahmen realisiert worden sind. Daraufhin hat sich die Denkwerkstatt entschieden, die Untersuchungen öffentlich zu machen. Seither haben zahlreiche Medien über die Missstände berichtet, und verschiedene politische Vorstösse haben den Druck weiter erhöht. Vision Landwirtschaft ist mit den Behörden erneut dran, die Defizite zu beheben. Gemeinsam deklariertes Ziel ist es, dass ab 2018 die Abstandsregelungen beim Ausbringen der Pestizide sowohl bei den Helikoptersprühfirmen wie beim Einsatz vom Boden aus systematisch überprüft und Überschreitungen geahndet werden. Den Helikopterfirmen droht der Entzug der Fluglizenzen.
Zudem soll ab 2019 auch im Walliser Weinbau das flächige Abspritzen der Rebberge mit Herbiziden der Vergangenheit angehören. Bisher hatte eine längst überholte Sonderregelung dem Kanton erlaubt, ein Mehrfaches an Herbiziden einzusetzen wie in den übrigen Regionen der Schweiz. >> Zum Bericht "Pestizideinsatz im Walliser Weinbau" (pdf)
Ein neuer UN-Expertenbericht geht mit der Pestizidindustrie scharf ins Gericht. Ihr wird die systematische Verleugnung von Pestizidschäden, die Verbreitung nicht haltbarer Informationen sowie Marketing mit agressiven, unethischenTaktiken vorgeworfen. Dass Pestizide zur Ernährung der Menschheit notwendig seien, sei ein Mythos, der einer sachlichen Grundlage entbehre.
Vielmehr behinderten Pestizide eine nachhaltige Nahrungsmittelproduktion. Die Ernährung der Weltbevölkerung sei ohne oder mit sehr geringem Einsatz von Pestiziden längerfristig besser möglich, zudem ohne Schäden an Mensch und Umwelt zu verursachen. Pestizide sind für Gesundheitsschäden an Millionen von Menschen verantwortlich. Jährlich verursachen akute Pestizidvergiftungen schätzungsweise 200'000 Todesopfer.
Boykottaufruf wirkte: Prosecco-Produzenten verabschieden sich von Glyphosat & Co.
"Italiens Schaumwein soll in Zukunft ohne Glyphosat prickeln", titelte der Tages-Anzeiger. Hintergrund: Der überbordende Pestizideinsatz in den Rebbergen der Prosecco-Region löste in der Bevölkerung Kritik und Ängste aus. Die Behörden blieben untätig. Da löste in kurzer Zeit der Markt das Problem. In Medienartikeln wurde empfohlen, Prosecco zu ächten und auf Champagner umzustellen. Das rüttelte den Chef des Prosecco-Konsortiums auf. Gegen starken Widerstand aus den eigenen Reihen rief er umgehend ein Verbot von drei besonders üblen Pestiziden aus.
Eine ähnlich schlechte Presse könnte auch einigen Schweizer Weinbauregionen bevorstehen. Besonders intensiv wird im Kanton Wallis gespritzt. Längst überholte Sonderregelungen des Bundesamtes für Landwirtschaft erlauben dort noch immer das flächige Abspritzen mit Glyphosat, während in den übrigen Regionen der Schweiz teilbegrünte Rebberge längst Standard sind. Im Wallis schauen die Behörden seit Jahren weg, Gesetzesübertretungen beim Pestizideinsatz gehören in vielen Rebbergen zur üblichen Bewirtschaftungspraxis. Wenn die Sache zum Medienthema wird, könnte es zu spät sein, um einen nachhaltigen Imageschaden für den Walliser Weinbau noch abzuwenden.
Immer mehr Pestizide müssen vom Markt genommen werden, weil sie zu giftig oder nicht mehr wirksam sind. Auf vier wegfallende Pestizide bringt die Agroindustrie lediglich noch ein neues Mittel auf den Markt. Es ist absehbar, dass sich das Geschäftsmodell der Pestizidbranche zunehmend zu Tode läuft. Deshalb sei es wichtig, frühzeitig auf Alternativen zu setzen. Das schreibt Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, in einem Gastbeitrag in der "Bauernzeitung". Er reagiert damit auf die Klagen der Gemüsebranche, die sich in einem Frontartikel der Zeitung für eine largere Pestizid-Zulassung stark macht und am hohen Pestizideinsatz festhalten will.
Seit Jahren wird das Bundesamt für Landwirtschaft für seine lasche Bewilligungspraxis von Pestiziden kritisiert. Regelmässig hinkt die Schweiz hinter der EU her. Giftstoffe, die in vielen Ländern Europas verboten sind, dürfen in der Schweiz weiterhin eingesetzt werden. Die Grossverteiler nehmen das Heft zunehmend selber in die Hand.
Die Produktion von Lebensmitteln hat immer weniger mit bäuerlicher Landwirtschaft, mit traditionellem Handwerk und einer intakten Natur zu tun. Sie ist heute weltweit vor allem ein einträgliches Geschäft von wenigen großen Konzernen, die sich die Felder und Märkte international untereinander aufteilen und den permanenten Geldmittelabfluss aus der Landwirtschaft sicherstellen. Der Konzernatlas 2017 bringt Licht in die Zusammenhänge der Agroindustrie und zeigt, wer wo welche Geschäftsfelder betreibt.
Fallen Resultate von Studien, welche von grossen Agrochemiefirmen mitfinanziert werden, nicht nach ihrem Gusto aus, werden die Forscher unter Druck gesetzt. Dies zeigt die New Your Times am Beispiel von Syngenta auf. Auch Agroscope ist betroffen.
Viele Studien und Forschungseinrichtungen werden von der Agrochemie mitfinanziert. So auch an der ETH und der Agroscope. Als Gegenleistung reden die Sponsoren bei den Forschungsresulten und ihrer Interpretation ein wichtiges Wörtchen mit. Das beeinträchtigt nicht nur den Wert und den Ruf wissenschaftlicher Forschung, sondern bringt auch die Forschenden selber in Zwiespalt.
Besonders stark setzt die Pestizidindustrie auf das Marketing mithilfe einer Beeinflussung offizieller Forschungsresultate. In einem ganzseitigen Artikel zeigt der Tages-Anzeiger, basierend auf einer Recherche der New York Times, wie die Mechanismen spielen.
Der Anteil an Schweizer Weihnachtsbäumen nimmt zu. Doch Schweizer Herkunft ist nicht immer auch eine ökologische Produktion. Ein Projekt von Vision Landwirtschaft und Coop zeigt, wie sich beides verbinden lässt.
(VL) Hunderttausende von Weihnachtsbäumchen finden in diesen Tagen wieder den Weg in die Schweizer Stuben. Doch bereits wenn die Tännchen auf den Märkten angeboten werden, haben sie oft einen weiten Weg hinter sich. Ein Grossteil stammt aus dem Ausland – vor allem Deutschland und Dänemark. Aber der Anteil, der in der Schweiz produziert wird, hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und beträgt heute fast 50%. Das ist erfreulich, denn dies schafft Wertschöpfung in der heimischen Land- und Forstwirtschaft und verringert die Transportwege. Zudem können Christbäume naturnah und nachhaltig angebaut werden und tun damit auch der Umwelt einen Gefallen.
Allerdings trifft diese Feststellung längst nicht für alle in der Schweiz produzierten Christbäume zu. Im Zusammenhang mit dem Pestizid-Reduktionsplan Schweiz hat Vision Landwirtschaft 2014 in einigen Testregionen Erhebungen zur Anbaupraxis in der Schweiz gemacht. Dabei kam auf den meisten Flächen im Landwirtschaftsgebiet ein hoher, oft nicht gesetzeskonformer Pestizideinsatz zum Vorschein.
Gute Alternativen vorhanden
Vor allem der Herbizideinsatz ist bei vielen Christbaumkulturen ein Problem. Diese werden oft mehrmals im Jahr ganzflächig mit Unkrautvernichtern abgespritzt. Dabei kommen das umstrittene Glyphosat und andere giftige Herbizide zum Einsatz. Auf dem vegetationsfreien Boden ist die Gefahr der Abschwemmung in die Oberflächengewässer und die Versickerung ins Grundwasser besonders gross. Kommt dazu, dass in mehr als der Hälfte der begutachteten Flächen der nötige Abstand des Gifteinsatzes zu Gewässern, Wegen, Gehölzen nicht eingehalten wurde.
Der festgestellte hohe Herbizideinsatz, zu denen teilweise noch Fungizide (Gifte gegen Pilze) und Insektizide (Gifte gegen Insekten) dazukommen, ist besonders unschön, weil es gute Alternativen gäbe. Ein Beispiel: Einige Produzenten setzen erfolgreich auf Schafe, welche den Unterwuchs unter den Bäumen abfressen, ohne dass es Unkrautvernichtungsmittel braucht. Schätzungsweise ein gutes Zehntel der Schweizer Christbäume wächst auf Waldflächen, und dort sind keinerlei Pestizide zugelassen. Oft sind solche Flächen sogar besonders artenreich, wie Vision Landwirtschaft anhand ihrer Erhebungen feststellte.
Coop geht voraus
Mit diesen Resultaten wandte sich Vision Landwirtschaft an Coop, den grössten Abnehmer einheimischer Christbäume in der Schweiz, und schlug Richtlinien für eine nachhaltige Anbaupraxis vor, welche den Pestizideinsatz stark reduzieren. Coop war interessiert und bot Hand für eine rasche und pragmatische Umsetzung. Der Richtlinienentwurf wurde auch mit der IG Christbaum, in welcher die Christbaumproduzenten zusammengeschlossen sind, intensiv diskutiert. Um die Produzenten nicht zu überfordern, mussten schliesslich einige der vorgeschlagenen Pestizidreduktionsmassnahmen – zumindest vorläufig – wieder fallen gelassen werden. Aber auch mit den jetzt verabschiedeten Richtlinien wird der Einsatz von Pestiziden gegenüber einer Produktion mit intensivem Pestizideinsatz um gut die Hälfte reduziert.
Handel und Konsumenten für nachhaltige Produktion
Alle Christbaumproduzenten, welche Coop Christbäume liefern möchten, müssen ab diesem Jahr die neuen Richtlinien einhalten. Kontrolliert wird dies von einer externen Firma. So wird einheimisch auch umweltfreundlich. Dem Engagement von Coop dürften sich bald weitere Christbaumhändler anschliessen (müssen).
Helfen Sie beim Christbaumkauf mit, dass ein pestizidreduzierter oder in einigen Jahren vielleicht sogar ganz pestizidfreier Christbaumanbau Schweizer Standard wird! Fragen Sie nach, woher die von Ihnen gekauften Bäumchen stammen und wie sie produziert werden. Wenn Sie keine befriedigende Antwort erhalten, kaufen Sie Bio-Bäume oder erkundigen Sie sich Sie nach den Coop-Richtlinien.
Vision Landwirtschaft wünscht Ihnen frohe Weihnachten!
Diese Woche endet die Anhörungsfrist zum Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel (NAP). Vision Landwirtschaft unterstützt die Ausarbeitung eines Aktionsplans und insbesondere den vom Bund formulierten Anspruch, die vorhandenen Verbesserungsmöglichkeiten konsequent zu nutzen und damit sicherzustellen, dass Pestizide "so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig" eingesetzt werden. Von diesem Auftrag und Ziel ist der vorliegende NAP-Entwurf des Bundes allerdings noch weit entfernt.
(VL) Unzählige Organisationen reichen in diesen Tagen beim Bund ihre Stellungnahme zum Aktionsplan Pflanzenschutzmittel ein. Auch Vision Landwirtschaft hat im Austausch mit anderen Akteuren eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet. Die wichtigsten Defizite beim Nationalen Aktionsplan ortet Vision Landwirtschaft in vier Bereichen:
Kostendeckende Gebühren statt Subventionierung der Pestizidindustrie: Der Pestizideinsatz verursacht in der Schweiz Kosten von schätzungsweise 100 Millionen Franken jährlich, welche der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Allein die Zulassung, das Monitoring oder die Kontrollen lassen sich Bund und Kantone jährlich Dutzende von Millionen Franken kosten. Diese massive Subventionierung eines Industriezweiges durch den Steuerzahler ist nicht nur staatspolitisch fragwürdig. Ein Aktionsplan, welcher vorgibt, den Pestizideinsatz in der Schweiz reduzieren zu wollen und gleichzeitig an diesen verbrauchsfördernden Subventionen nicht rüttelt, ist nicht glaubwürdig. Kostendeckende Gebühren sind eine Grundanforderung, die bei der Überarbeitung des NAP berücksichtigt werden muss.
Die Pestizidindustrie wehrt sich nicht nur vehement gegen eine vom Bund vorgeschlagene Lenkungsabgabe, sondern selbst gegen die Verrechnung kostendeckender Gebühren. Auf Nachfrage geht scienceindustries, der Wirtschaftsverband der Pestizidhersteller, offenbar davon aus, dass in der Schweiz nur mit massiver Unterstützung der öffentlichen Hand überhaupt eine einigermassen brauchbare Palette an Pflanzenschutzmitteln auf den Markt gebracht werden kann, weil sonst diese Produkte im Verhältnis zum Nutzen für den Anwender zu teuer würden. Sogar die Anhebung des derzeit bei Pestiziden auf 2,8% (!) reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf die üblichen 8% geht scienceindustries zu weit. Ob es tatsächlich Aufgabe des Bundes ist, die Pestizidindustrie mit vielfältigen Steuernachlässen und Subventionen zu stützen, dürfte auch das Parlament noch beschäftigen.
Ungenügende Verbesserungen der mangelhaften Transparenz im Bereich Zulassung und Datenerfassung: Immer wieder wurde von Fach- und Umweltorganisationen auf die fehlende Transparenz des Bundes bei der Zulassung und die komplett ungenügende Datenlage zum Pestizideinsatz hingewiesen. Wo welche Pestizide wofür eingesetzt werden ist eine fast vollständige Blackbox. Die im NAP enthaltenen Verbesserungsmassnahmen beheben nur einen kleinen Teil der bestehenden Defizite. Etliche zentrale Forderungen nach mehr Transparenz und einer Erfassung der Pestizidanwendungen werden nicht berücksichtigt. Solche grundlegenden Daten werden in mehreren Ländern bereits seit langem erfasst.
Zu zögerliche Massnahmenvorschläge: Zahlreiche wirksame Massnahmen zur Verminderung der Pestizidbelastung, wie sie im Pestizid-Reduktionsplan gefordert werden, wurden nicht in den NAP einbezogen. Damit wird lediglich eine minimale Reduktion des Pestizideinsatzes erreicht – gemäss Berechnungen des Bundes gerade 1% pro Jahr – auf gut Deutsch also nichts. Vision Landwirtschaft dagegen geht von einem Reduktionspotenzial von 50% in den nächsten 6 Jahren aus. Mit seinen zögerlichen Vorschlägen erreicht der Bund nicht einmal die Einhaltung des Umweltschutzgesetzes. So sollen die heute weit verbreiteten Überschreitungen der gesetzlichen Qualitätsanforderungen von Pestiziden in Oberflächengewässern gemäss NAP lediglich halbiert werden, und dies erst bis 2026, anstatt dass der Bund im Aktionsplan Massnahmen aufzeigt, mit denen im Gewässerbereich so rasch als möglich die Gesetze eingehalten werden können. Für die Schweizer Landwirtschaft ist es ausschlaggebend, dass sie der Bund darin unterstützt, gesetzeskonform zu produzieren.
Es fehlt eine Vision mit einer längerfristigen Entwicklungsperspektive: Der NAP muss aufzeigen, in welche Richtung der Umgang mit Pestiziden sich längerfristig entwickeln soll. Eine solche Vision fehlt im jetzigen Entwurf des Bundes. Nur eine klare Vision gibt den Landwirten Planungssicherheit und zeigt ihnen, in welche Richtung sie ihren Betrieb entwickeln können und mit welchen Mitteln sie der Bund in Zukunft unterstützen wird. Wir fordern eine mutige Vision, welche dazu geeignet ist, die Schweizer Landwirtschaft von den Produktionsmethoden im Ausland abzuheben. Ein zögerlicher NAP, welcher weit hinter dem Machbaren zurückbleibt, tut der Schweizer Landwirtschaft keinen Gefallen.
Fazit: Der Entwurf des Aktionsplans des Bundes erfüllt die eigenen Vorgaben, nämlich die vorhandenen Verbesserungsmöglichkeiten konsequent zu nutzen und damit sicherzustellen, dass Pestizide „so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig" eingesetzt werden, noch nicht. Die zahlreichen bekannten und praktikablen Massnahmen, wie sie beispielsweise im Pestizid-Reduktionsplan aufgelistet sind, müssen zur Reduktion des Pestizideinsatzes und der damit verbundenen Belastungen von Mensch und Umwelt umfassend miteinbezogen werden. Ein mutiger NAP ist nicht gegen die Bauern, sondern eine unabdingbare Unterstützung für eine zukunftsfähige Schweizer Landwirtschaft.
In der Schweiz werden deutlich mehr Pestizide verwendet als nötig. Der Pestizideinsatz liesse sich bis 2020 um über 50% reduzieren. Dies geht aus einem heute veröffentlichten Pestizid-Reduktionsplan von Vision Landwirtschaft hervor, dessen Forderungen von einem breiten Bündnis aus Landwirtschafts-, Trinkwasserversorger-, Gewässerschutz-, Umwelt-, Gesundheits- und Konsumentenkreisen mitgetragen werden. Der Pestizid-Reduktionsplan zeigt machbare Alternativen zur heutigen Verwendung von Pestiziden auf und ergänzt damit den Aktionsplan Pflanzenschutzmittel, den der Bundesrat in den nächsten Wochen in die Vernehmlassung senden wird.
Der Pestizid-Reduktionsplan basiert auf einer systematischen Situationsanalyse in der Schweiz und auf Erfahrungen aus anderen Ländern, die bereits einen Aktionsplan zur Reduktion von Pflanzenschutzmitteln erarbeitet haben. Bei der Analyse zeigte sich, dass die Schweiz zu den Ländern mit einem besonders hohen Pestizideinsatz gehört. Überschreitungen gesetzlicher Vorgaben sind alltäglich. Weit über 100 unerwünschte Stoffe werden regelmässig in Gewässern festgestellt. Die Schweiz zählt, was die Transparenz und Datenlage beim Pestizideinsatz anbelangt, zu den europäischen Schlusslichtern. Die Auswirkungen des Pestizideinsatzes auf die Biodiversität, die menschliche Gesundheit und den Boden sind nur sehr bruchstückhaft bekannt; die eingegangenen Risiken dementsprechend hoch. Die Untersuchung ergab auch, dass ein hoher Pestizideinsatz oft nicht wirtschaftlich ist.
Alternativen zum Pestizideinsatz bisher zu wenig genutzt
Die entscheidenden Massnahmen, die bei den landwirtschaftlichen Kulturen eine nachhaltige und sichere Produktion von Nahrungsmitteln gewährleisten können, beruhen nicht auf Pestizidanwendungen, sondern auf einem standortgerechten Anbau und einer guten fachlichen Praxis. Im Privat- und Siedlungsbereich kann, wie beispielsweise Frankreich zeigt, sogar ganz auf problematische Pestizide verzichtet werden. Der Pestizideinsatz kann ohne Versorgungsengpässe und ohne Mehrkosten für den Steuerzahler – aber mit positiver Wirkung auf Gewässer, Boden und Biodiversität – mit gut realisierbaren Massnahmen um 40-50% in der Landwirtschaft und gar um 80% im Siedlungsbereich reduziert werden.
Zahlreiche Organisationen aus Landwirtschafts-, Trinkwasserversorger-, Gewässerschutz-, Umwelt-, Gesundheits- und Konsumentenkreisen unterstützen die Stossrichtung des Pestizid-Reduktionsplans explizit und fordern den Bund auf, die Alternativen zum Pestizideinsatz auszuschöpfen und die damit verbundenen sozio-ökonomischen und ökologischen Vorteile konsequent zu nutzen. Der „Nationale Aktionsplan zur Risikoreduktion und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln“ des Bundes wird demnächst in die Vernehmlassung geschickt und wird sich am nun vorliegenden Pestizid-Reduktionsplan zu messen haben.
Die Vorgeschichte
Über ein Postulat (12.3299) forderte Nationalrätin Tiana Moser im März 2012 den Bundesrat auf zu prüfen, ob und in welcher Form ein Aktionsplan zur Risikominimierung und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln, wie ihn die EU vorsieht, geeignet ist, um die Verringerung der Pestizidbelastung in der Schweiz sicherzustellen. Der Bundesrat beantragte die Annahme des Postulates am 23.5.2012, der Nationalrat folgte dieser Empfehlung am 15.6.2012. Am 21.5.2014 publizierte der Bundesrat die entsprechende Bedarfsabklärung.
Bereits ein Jahr zuvor, am 2.5.2013, hatte die Kommission für Wissenschaft, Bildung und Kultur in ihrer Motion 13.3367 gefordert, ein Massnahmenpaket zur nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zu beschliessen und den Einsatz von Pflanzenschutzmitteln bis 2023 um einen bestimmten Prozentsatz zu reduzieren. National- und Ständerat hiessen dieses Ansinnen ohne Gegenstimme gut. Seither sind die Bundesämter am Erarbeiten eines Aktionsplans.
Vision Landwirtschaft erstellte in Zusammenarbeit mit einer Begleitgruppe den heute veröffentlichten Pestizid-Reduktionsplan, der die Stossrichtung des bundesrätlichen Aktionsplans respektiert, aber eine umfassende Sicht auf den Pestizideinsatz wirft und substanzielle Reduktionsmöglichkeiten aufzeigt. Die zusammengestellten Grundlagen, Fakten und Massnahmen sollen den Prozess unterstützen, um zum Schutz der menschlichen Gesundheit und der Umwelt eine massgebliche Reduktion des Pestizideinsatzes zu erreichen.
Kennzahlen & Fakten
In der Schweiz werden pro Jahr gut 2000 Tonnen Pestizide eingesetzt.
Damit hat der Bund die selbst gesetzten Ziele nicht annähernd erreicht. Bereits 2005 lautete das agrarpolitische Etappenziel, den Pflanzenschutzmittelverbrauch auf 1 500 Tonnen jährlich zu senken.
Fast alle Grundwasserfassungen im Mittelland, welche für Trinkwasser genutzt werden, sind mit Pestiziden und deren Abbauprodukten belastet.
Bei einer umfassenden Untersuchung von fünf mittelgrossen Fliessgewässern im Schweizer Mittelland erfüllte keines die Anforderungen der Gewässerschutzverordnung in Bezug auf die Pestizidbelastung. Insgesamt wurden 100 verschiedene Wirkstoffe in den Wasserproben gefunden, wobei im Durchschnitt jede Probe 40 unterschiedliche Pestizid-Wirkstoffe enthielt.
Eine produktive Landwirtschaft ohne Pestizide ist möglich, wie bereits heute viele Produzenten in der Schweiz zeigen.
Der Pestizid-Reduktionsplan liefert Analysen zur Pestizidsituation in der Schweiz und zeigt auf, was möglich und nötig ist, um die Pestizidbelastung von Mensch und Umwelt massgeblich und unter Erfüllung der gesetzlichen Vorgaben zu reduzieren. Der Pestizid-Reduktionsplan, den Vision Landwirtschaft im Mai 2016 publizierte, ergänzt den Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes mit kritischen Analysen und zeigt weitgehende Alternativen zum derzeit intensiven Pestizideinsatz in der Schweiz auf. 27 Organisationen tragen die Stossrichtung des Pestizid-Reduktionsplans mit.
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Un relevé effectué en 2012 sur la pollution par les pesticides de cinq cours d’eau de taille moyenne a montré que des critères de qualité écotoxicologiques et des exigences légales n’étaient souvent pas remplis ("Pollution des eaux par les pesticides" dans Aqua & Gas N°4 / 2016, Auteurs: Simon Spycher, Johannes Hunkeler, Andreas Bosshard, Fritz Häni) . Pour réduire les apports de pesticides provenant des surfaces agricoles, il existe – outre des mesures en bordure de champ (p. ex. des bandes tampons) – de nombreuses possibilités d’agir efficacement sur les surfaces de production elles-mêmes. L’article dans Aqua&Gas donne un aperçu des optimisations les plus importantes.
Umweltverbände und Politiker wollen Glyphosat in der Schweiz verbieten. Glyphosat ist das am meisten verwendete Spritzmittel auf der Welt und ist auch in Lebensmittel enthalten. Die WHO schätzt es seit kurzem als krebserregend ein.
Ein internationales Forscherteam unter Schweizer Führung zeigen in einer neuen Studie, dass zwei Insektizide aus der Gruppe der Neonikotinoide schon bei feldtypischen Konzentratioinen gravierende Auswirkungen auf die Fruchtbarkeit von Bienenköniginnen haben. So würden ganze Bienenvölker geschädigt. Diese Auswirkungen wurden bei der Zulassung übersehen, obschon Tests an Bienen durchgeführt werden müssen.
In den nächsten Monaten werden die Behörden sowohl in der Schweiz wie auch in der EU über die weitere Zulassung von Glyphosat entscheiden. Die WHO hat das weltweit am meisten eingesetzte Herbizid als wahrscheinlich krebserregend eingestuft. Die Kalifornische Umweltbehörde will es definitiv als krebserregend einstufen. Doch damit nicht genug: Untersuchungen der Universität Leipzig machen das Herbizid auch für missgebildete Ferkel und Mangelerkrankungen bei Rindern verantwortlich. Zudem bringen sie weitere schwere gesundheitliche Probleme beim Menschen mit Glyphosat in Verbindung. Die Ärzte für Umweltschutz, Greenpeace und der Schweizer Konsumentenschutz fordern ein sofortiges Glyphosat-Vebot. Ein weiterer Glyphosat-Einsatz sei unter diesen Umständen nicht zu verantworten.
"Viele Studien verdeutlichen die statistischen Zusammenhänge zwischen der Pestizidexposition und einem höheren Risiko für Fehlentwicklungen, neurologische und immunologische Störungen sowie einiger Krebsarten. Exponiert sind vor allem LandwirtInnen und GärtnerInnen", laut die Analyse der Fälle von Pestiziexposition von verschiedenen bestehenden Studien. Vision Landwirtschaft hat sich zum Ziel gesetzt, mit der Erarbeitung eines eigenen Aktionsplanes einem befürchteten Alibi-Aktionsplan des Bundes eine fundierte Alternative entgegenzusetzen und zusammen mit anderen Akteuren eine markante Minderung des Pestizideinsatzes in der Schweiz zu erreichen.
Es ist nicht neu, dass die Schweizer Gewässer mit zahlreichen Pestiziden belastet sind. Eine neue Studie zeigt, dass die Belastung von Insektiziden und Fungiziden bisher unterschätzt wurde. Von acht Insektiziden wurden Konzentrationen über den chronischen Qualitätskriterien gemessen. Die elevanten Substanzen waren Pyrethroide, Organophosphate und Neonicotinoide.
Zwei ebenfalls neue Studien zeigen beunruhigende, bisher nicht bekannte Wirkungen von Insektiziden der Gruppe der Neonikotinoide auf Honig- und Wildbienen. Diese werden von der Stoffgruppe offenbar aktiv angezogen, zudem wird schon bei geringer Exposition die Fortpflanzung von Bienen und das Wachstum von Hummelvölkern beeinträchtigt.
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat Ende Dezember 2014 auf Druck einiger Kartoffelproduzenten Ephosin für die Bekämpfung von Drahtwürmern im Kartoffelanbau zugelassen. Ephosin enthält das enorm toxische Nervengift Chlorpyriphos und ist in anderen Ländern Europas verboten. Die Zulassung widerspricht in eklatanter Weise dem Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN und zeigt, dass das Pestizid-Zulassungsverfahren zu einer weitgehenden Farce verkommen ist. >> Zum Faktenblatt
Mit Pestiziden machen Firmen wie Syngenta und Bayer Milliardenumsätze. Um ihren Absatz zu sichern, ziehen die Unternehmen alle Register. Ein neuer Film auf 3sat zeigt, wie Wissenschafter, Politiker und Behörden beeinflusst, genötigt, bedroht werden, wenn es darum geht zu verhindern, dass die Anwendung gefährlicher Pestizide eingeschränkt wird.
Der hohe Pestizideinsatz der Schweizer Landwirtschaft und die vielfältigen schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt und in einigen Fällen auch auf die menschliche Gesundheit gehören aus Sicht von Vision Landwirtschaft zu einem der vordringlichsten Probleme was die mangelhafte Nachhaltigkeit der Schweizer Landwirtschaft angeht. Verbesserungen sind entsprechend dringend nötig und wichtig. Das Ziel der Schweizer Politik und Gesetzgebung muss es sein, sicherzustellen, dass die Schweiz im Bereich des Chemikalieneinsatzes in der Landwirtschaft die bestehenden Probleme proaktiv angeht und eine Vorreiterrolle übernehmen kann. Auf Ebene ChemRRV als problematisch wertet Vision Landwirtschaft den Vorschlag, die Regulierung und Bewilligung der Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln, Biozidprodukten und Düngern aus der Luft vom Bund an die Kantone zu delegieren.
Eine kleine Südtiroler Gemeinde hat in einem Referendum mit 75% der Stimmen gegen den Einsatz von Pestiziden in ihrer Region gestimmt. Sie fordert ein sofortiges Verbot besonders gefährlicher Gifte und eine Pestizidabgabe.
Bienen haben es weltweit schwer. Im Fachjournal "Nature Genetics" wird über neue Erkenntnisse zum weltweiten Bienensterben berichtet. Die Bienenvölker weisen eine größere genetische Varianbilität auf als sie bei anderen Haustieren zu finden ist. Die Vermutung, dass Inzucht eine Rolle beim Bienensterben spielen könnte, ist damit widerlegt.
Durch die ständige Präsenz von Insektengiften, welche in den Blättern von genetisch manipulierten Pflanzen produziert werden, haben sich Plagen durch resistente Insekten entwickelt. Dies räumte der britische Minister für Landwirtschaft, Fischerei und Lebensmittel ein. Die US-amerikanische Umweltschutzbehörde empfiehlt aus diesem Grund Landwirten, 40% nicht gentechnisch modifiziertes Saatgut anzubauen, um ein Rückzugsgebiet für die nicht-resistenten Insekten zu schaffen.
Neonikotinoide sind hochwirksame, aber unspezifisch wirkende Insektizide. Sie werden auch in der Schweizer Landwirtschaft in vielen Kulturen grossflächig eingesetzt, insbesondere im Raps, Getreide, in der Gemüseproduktion und im Obstbau. Bereits unvorstellbar geringe Mengen genügen, um das Nervensystem von Insekten letal zu schädigen. Hinweise mehren sich, dass der breite Einsatz von Neonikotinoiden in der Landwirtschaft nicht nur - wie in den letzten Monaten viel diskutiert - den Bienen zusetzt, sondern zu einem drastischen Rückgang der Insektenpopulationen insgesamt in der Ackerbaulandschaft führt. Dadurch wird die ganze Nahrungsmittelkette in Mitleidenschaft gezogen. Der Grund liegt darin, dass die Neonikotinoide relativ gut wasserlöslich sind und sich nur langsam abbauen. Lediglich 5% des Pestizids bleibt im Durchschnitt dort, wo es wirken soll - nämlich auf oder in den angebauten Pflanzen - der Rest gelangt in die Böden, in die Gewässer und in die Luft und vergiftet grossflächig die Ökosysteme (s. Abb. unten).
Gemäss einer aktuellen Untersuchung, welche in der Wissenschaftszeitschrift "Nature" publiziert wurde, nehmen Populationen von insektenfressenden Vögeln bereits bei Konzentrationen in Oberflächengewässern von lediglich 20 Nanogramm Imidacloprid, eines verbreitet eingesetzten Neonikotioniods, jährlich um 3,5% ab. Der Grenzwert gemäss gegenwärtiger Umweltgesetzgebung in der Schweiz liegt bei 100 Nanogramm pro Liter.
Der Grund für den Rückgang der Vogelpopulationen sind nicht Vergiftungserscheinungen, sondern die fehlende Insektennahrung. Im Kommentar der Zeitschrift Nature wird eine Parallele gezogen zwischen dem Umweltdesaster durch das Insektizid DDT, das in den 1950er und 1960er Jahren grossflächig eingesetzt wurde, und dem heutigen Einsatz von Neonikotinoiden.
Ein rasches, vollständiges Verbot der besonders heimtückischen Neonikotinoid-Insektizide durch den Bund ist aus Sicht von Vision Landwirtschaft dringend und unumgänglich. Wir fordern darüber hinaus verantwortungsvolle Landwirte auf, freiwillig auf das Gift zu verzichten. Ebenso sind Verarbeiter und der Handel gefordert, konsequent nur noch Produktionsweisen zu berücksichtigen, die ohne den Einsatz von Neonikotinoiden ihre Kulturen anbauen. Dazu gehört das IP-Suisse und das Bio-Label. Beide zeigen, dass eine nachhaltige, produktive Landwirtschaft auch ohne solche problematischen Gifte möglich ist.
Der Bundesrat hat sich für einen Aktionsplan ausgesprochen, um Risiken von Pflanzenschutzmitteln zu reduzieren und deren nachhaltige Anwendung zu fördern. Zwei Jahre arbeitete die Bundesverwaltung an der Beantwortung des Postulats Moser und der Erfüllung der Motion der Kommission Umwelt, Raumplanung und Energie.
Was kostet uns der Einsatz von Pestiziden? Dieser Frage gingen Greenpeace, Pro Natura, SVS/BirdLife Schweiz und der WWF nach und liessen die finanziellen Nebenwirkungen des Schweizer Pestizideinsatzes berechnen. Das Ergebnis: Der Gifteinsatz verursacht Kosten von jährlich 50 bis 100 Millionen Franken. Mit einer Pestizidabgabe sollen die Verursacher der Umweltschäden deshalb künftig zur Kasse gebeten werden.
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat 2014 für den Hochstamm-Kirschenanbau eine Sonderbewilligung für das Insektizid Dimethoat erteilt – dies, obwohl das Nervengift auch für den Menschen besonders problematisch ist, obwohl es Alternativen gibt, und obwohl Pflanzenschutzexperten vom Einsatz abraten. Hochstamm-Obstgärten werden mit hohen Ökobeiträgen unterstützt. Dass trotzdem intensiv Pestizide eingesetzt werden können, ist ein inakzeptabler Widerspruch. Vision Landwirtschaft hat sich der Thematik angenommen und setzt sich für einen weitgehend pestizidfreien Hochstamm-Obstbau ein, wie das bereits heute Tausende von Bauern erfolgreich praktizieren.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Wildbienen und andere Wildbestäuber bei der Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen eine entscheidende Rolle spielen. Ihre Häufigkeit und ihre Artenvielfalt haben in den letzten Jahrzehnten jedoch stark abgenommen – mit nachteiligen Auswirkungen auf die Landwirtschaft.
"Schweizer Flüssen sind voller Pestizide" titelte 20 Minuten Anfangs März, als die EAWAG ihre neuesten Untersuchungsresultaten zur Pestizidbelastung der Schweizer Flüsse publizierte. Besonders präsent waren Unkrautverteilgungsmittel, aber auch Fungizide und Insektizide fanden sich regelmässig. Von insgesamt rund 300 in der Schweiz eingesetzten Wirkstoffen wurden 104 in den Gewässern nachgewiesen. Die Summe aller Pestizide war in 78% der Proben grösser als der Anforderungswert der Gewässerschutzverordnung. Da Mischproben analysiert wurden, folgern die Forscher, dass die kurzfristigen Spitzenkonzentrationen teils vielfach höher liegen müssen und für einzelne Substanzen über der Grenze liegen dürften, ab der sie akut toxisch wirken. Der Grossteil der Pestizide stammt aus der Landwirtschaft.
In Hunderten Lebensmittelproben fanden Kantons-Chemiker landwirtschaftliche Pestizide, die für Bienen Gift sind. Die systemischen Pestizide, die von den Pflanzen aufgenommen werden und von Innen Schadinsekten abtöten sollen, können auch dem Menschen schaden. Die EU-Behörden warnen. Die Schweizer Ämter kümmerts wenig.
Die Schweizer Bauern sollen die Pestizide weiter zurückfahren, ohne Ertragsausfälle zu erleiden. Der Bund arbeitet zurzeit an einem neuen Aktionsplan zum verbesserten Schutz der Natur. Die IP-Suisse-Bauern – immerhin ein Drittel aller Bauern – haben in Zusammenarbeit mit den Grossverteilern den Einsatz gewisser Spritzmittel beim Getreide schon deutlich eingeschränkt.
Die Landwirtschaft ist stolz über ihre immer höheren Erträge und ihre Rolle als Ernährerin der Menschheit. Ohne synthetische Pestizide wäre das heutige Produktionsniveau der konventionellen Landwirtschaft undenkbar. Doch die Schattenseiten des enormen und weiter ansteigenden Pestizidverbrauchs treten nicht nur mit den Umweltschäden, sondern auch mit Gesundheitsproblemen zunehmend ins öffentliche und politische Bewusstsein, zumindest im Ausland. In Frankreich haben Bauern eine bemerkenswerte Debatte ausgelöst.
Frankreichs Landwirtschaft verbraucht europaweit am meisten Pestizide. Diese sind nicht nur für die hohen Erträge und die Ertragssicherheit mitverantwortlich, sondern bescheren vielen Firmen hohe Umsätze. Weltweit stellen Pestizide derzeit ein Marktvolumen von gegen 50 Milliarden Franken dar – Tendenz steigend.
Es erstaunt deshalb nicht, dass die Pestizidproduzenten wie Syngenta oder Monsanto alles daran setzen, die Kehrseite der Medallie – die Umwelt und Gesundheitsgefährdung selbst bei korrekter Anwendung – unter den Tisch zu kehren. Wer sich wehrt, hat einen schweren Stand. Doch der Wind könnte langsam drehen.
Französische Bauern bewirken öffentliche Debatte Ende der 90er Jahre schloss sich in Frankreich eine kleine Gruppe von Landwirten zusammen, die an schweren gesundheitlichen Folgeschäden ihres jahrelangen Pestizideinsatzes litten. Sie setzten sich zum Ziel, ihre Berufskollegen über die Risiken und die Krankheitsbilder zu informieren. Und vor allem wollten sie eine offizielle Anerkennung ihrer gesundheitlichen Probleme als Berufskrankheiten, die gemäss ihrer Überzeugung durch den Kontakt mit den Pestiziden entstanden sei. Sie gewannen die Unterstützung von Ärzten. Und 2005 hat ein Gericht das erste Mal einen ursächlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Pestiziden und Parkinson anerkannt. Seither kam die Anerkennung weiterer « Berufskrankheiten » im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Pestiziden dazu.
2012 ist mit dem Agromulti Monsanto das erste Mal ein Hersteller für gesunheitliche Schäden verurteilt worden, welche durch ein von ihm vermarktetes Pestizid bei einem Bauern entstanden sind. Dieses wegweisende Urteil ebnete den Weg für weitere Klagen. Im selben Jahr ist der französische Staat von einem Gericht für schuldig erklärt worden, weil die zu laschen Beschriftungs- und Sicherheitsvoraben für Pestizide zu einen gravierenden Umfall führten.
Besonders schwer nachzuweisen als Folge von Pestiziden sind chronische Krankheiten. Epidemiologische Studien zeigen, dass Personen, die regelmässig mit Pestiziden in Kontakt kommen, ein erhöhtes Risiko haben für Krankheiten des Nervensystems, für verschiedene Krebsarten, Erkrankungen der Atmungswege, Fruchtbarkeitsstörungen oder beeintrachtigte kognitive Fähigkeiten.
Die französische Gesundheitsbehörde schätzt, dass zwische 1 und 2 Millionen Menschen in Frankreich an chronischen Krankheiten leiden als Folge des berunfsbedingten Umgangs mit Pestiziden. Die Bauern sind meist die ersten Opfer des verbreiteten Gebrauchs von Pestiziden in der Landwirtschaft. Aber letztlich ist jeder Konsument betroffen. Eine kürzliche Studie, die in 18 europäischen Ländern durchgeführt wurde, hat in der Hälfte der Bevölkerung aus städtischen Gebieten, wo wo kaum ein direkter Kontakt mit dem Gift vorhanden ist, Spuren des Herbizides Glyphosat festgestellt.
EU macht voran Die gesundheitlichen Folgen des Pestizideinsatzes und -gebrauchs haben nicht nur in Frankreich zu einem ersten Bewusstseinswandel geführt. Auch in Deutschland haben Krankheitsopfer von Pestiziden eine öffentliche Diskussion entfacht. Die zahlreichen Risiken im grossflächigen Pestizideinsatz haben die EU bewogen, von allen Mitgliedsländern bis 2012 einen nationalen Aktionsplan zu fordern, der aufzeigen soll, wie der Pestizideinsatz und das Risiko von Schäden für Umwelt und Gesundheit reduziert werden können.
Einige EU-Länder bemühen sich allerdings schon seit Langem, den Pestizidverbrauch aktiv einzudämmen. Pionier ist Dänemark, wo dank verschiedenen Anreizen, Lenkungssteuern und Einschränkungen der Pestizidverbrauch in der Landwirtschaft seit 1986 um über 50% abgenommen hat. Doch die Reduktion soll weiter gehen. 2012 hat die Regierung eine starke Erhöhung der Lenkunssteuer auf einigen problematischen Pestiziden angekündigt. Deutschland zielt gemäss seinem kürzlich verabschiedeten Aktionsplanvor allem auf eine Ausdehnung der biologisch bewirtschafteten Fläche auf 20% ab. Frankreich will gemäss seinem Aktionsplan 53 besonders problematische Substanzen vom Markt nehmen und strebt bis 2018 eine Reduktion der eingesetzten Pestizidmenge um 50% an.
Schweiz hinkt der Entwicklung hinterher Im Vergleich mit den Bemühungen in den umliegenden Ländern ist die Schweiz im Umgang mit Pestiziden ein Entwicklungsland. Weder ein Aktionsplan noch eine Reduktion des Pestizideinsatzes waren bisher in Bundesbern ein ernsthaftes, politisch mehrheitsfähiges Thema. Dabei gäbe es gravierende Probleme zu lösen (siehe Newsletter August 2011).
Im besten Fall werden Schritte, welche die EU beschliesst, dann auch in der Schweiz nachvollzogen. So lehnte das Bundesamt für Landwirtschaft ein Verbot der bienentoxischen Neonikotinoide immer strikte ab, führte dieses dann aber widerwillig doch ein, als die EU das Verbot durchgesetzt hat. Zahlreiche besonders problematische Wirkstoffe hat die Schweiz gar erst Jahre nach der EU ebenfalls aus dem Verkehr gezogen. Die Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln wurde von der EU übernommen – bis auf den wesentlichen Passus, der eine Risikoreduktionsstrategie, d.h. einen Aktionsplan vorschreibt. Dank einem aktuellen Postulat (PO Moser) stehen die Chancen derzeit immerhin gut, dass die Schweiz mit einiger Verspätung doch noch zum Aktionsplan kommen wird.
Was die in der EU diskutierten gesundheitlichen Folgeschäden durch Pestizide anbelangt, sind sie in der Schweiz bisher Tabu. Auf eine entsprechende Interpellation von NR John-Calame hat der Bundesrat lediglich eine nichtssagende Antwort gegeben.
Vision Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit immer wieder intensiv mit dem Thema Pestizide befasst und wird diesen Schwerpunkt in den kommenden Jahren noch verstärken. Unser Ziel ist es, die Schweizer Landwirtschaft und die Agrarpolitik auch in diesem Bereich von einer lahmen Ente, welche die Probleme so weit als möglich verdrängt, zu einer internationalen Vorreiterin zu machen. Wo Schweiz drauf steht, muss auch Schweizer Qualität drin sein. Das ist nicht nur wichtig für unsere Umwelt und unsere Gesundheit, sondern unumgänglich, wenn die beschlossene Qualitätsstrategie der Schweizer Landwirtschaft glaubwürdig und wirtschaftlich ein Erfolg werden soll.
Postulat Moser (Aktionsplan zur Risikominimierung und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln) >> Link
Interpellation John-Calame (Kombinierte Anwendung ungefährlicher Pflanzenschutzmittel. Ein Giftcocktail ?) >> Link
Eine ausführlichere Fassung des Textes mit weiterführenden Links zur beschriebenen Situation im umliegenden Ausland findet sich in der französischen Ausgabe des Newsletter: >>Link.
Dies schreibt Saldo in ihrer aktuellen Ausgabe. Schweizer Bauern verspritzen jährlich im Schnitt auf jeder Hektare landwirtschaftlicher Nutzfläche 4,5 Kilo Pestizide. 59 Prozent der Menge kommt laut der Studie im Ackerbau zum Einsatz, der 27 Prozent der Agrarfläche umfasst. 34 Prozent der Pestizide setzen die Bauern im Gemüse-, Obst- und Rebbau ein, der 2,6 Prozent der Landwirtschaftsfläche ausmacht. Die Studie erklärt den Spritzeifer der Bauern damit, dass für sie die Ausgaben für Pestizide wegen der hohen Verkaufspreise ihrer Produkte weniger ins Gewicht fallen und sich eher lohnen als für Landwirte im Ausland.
Gleich drei aktuelle Meldungen zeigen ein bedenkliches Ausmass eines unsachgemässen Pestizideinsatzes in der Schweizer Landwirtschaft. Schäden für Umwelt und Gesundheit und zunehmend auch für das Image der Landwirtschaft sind die Folge. Vision Landwirtschaft for- dert ein rasches Handeln des Bundes.
Das 2010 von Vison Landwirtschaft herausgegebene "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" legte einen entscheidenden Grundstein für die wieder in Gang gekommenen Reformbemühungen der Schweizer Landwirtschaftspolitik. Die erste Auflage des Buches war innert weniger Monate ausverkauft. Die zweite Auflage ist hier erhältlich.
Die Anfangs der 1990er Jahre auf Druck verschiedener Volksinitiativen eingeleitete Agrarreform kam während zwei Jahrzehnten kaum vom Fleck. Der Grossteil der damals eingeführten agrarpolitischen Instrumente wurden den damals gesetzten Zielen und dem neuen landwirtschaftlichen Verfassungsartikel von 1996 nicht gerecht. Öffentliche Mittel in Milliardenhöhe wurden nicht verfassungskonform eingesetzt und schadeten der Zukunftsfähigkeit, der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit der Schweizer Landwirtschaft in unverantwortlicher Weise.
Diese Missstände werden im Weissbuch Landwirtschaft Schweiz, von Vision Landwirtschaft schon kurz nach seiner Gründung herausgegeben, umfassend und schnörkellos aufgearbeitet. Das allgemeinverständliche, mit zahlreichen Grafiken illustrierte Buch bleibt aber nicht bei der Kritik stehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Vorschlägen, die konkret aufzeigen, welche Reformen für eine verfassungsmässige, zukunftsfähige Agrarpolitik unumgänglich sind. Mit detaillierten Modellrechnungen werden die Auswirkungen auf die verschiedenen agrarpolitischen Zielbereiche aufgezeigt. Die Resultate belegen ein unerwartet grosses Optimierungspotenzial und zeigen, dass damit die gesetzten politischen Ziele im Rahmen des jetzigen Agrarbudgets erreicht oder sogar übertroffen werden – bei mittelfristig höherem Einkommen und höherer Nettoproduktion der Landwirtschaft.
Mit seinen Analysen und Vorschlägen legte das Weissbuch Landwirtschaft einen entscheidenden Grundstein für die Reformschritte, welche in den Jahren 2012-2013 mit der "Agrarpolitik 2014-17" eingeleitet wurden. Und es wird weiterhin eine Referenz bleiben für die noch bevorstehenden agrarpolitischen Debatten, die zur Behebung der verbliebenen Defizite unumgänglich sind.
Das "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" ist im Buchhandel erhältlich oder über das Vereinssekretariat. Mitglieder von Vision Landwirtschaft erhalten 30% Rabatt auf den regulären Preis im Buchhandel.