Der traditionelle Familienbetrieb als Standard
In der Schweiz ist der bäuerliche Familienbetrieb die übliche Form eines Landwirtschaftsbetriebes. Das Güter- und Erbrecht für die Landwirtschaft ist in einem speziellen Bundesgesetz über das Bäuerliche Bodenrecht (BGBB) verankert. Ein Familienbetrieb charakterisiert sich dadurch, dass er aus mindestens zwei Generationen besteht und zwischen den Generationen Kooperation und Solidarität herrscht. Sie arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Charakteristisch für den Familienbetrieb ist zudem die Übergabe des Betriebes von einer Generation zur nächsten, dies bedingt, dass Kinder geboren und als potenzielle Nachfolger: innen sozialisiert werden (Nave-Herz 2006). Angelehnt an das bürgerliche Familienmodell, worin produktive und reproduktive Arbeit getrennt und die Rolle der Frau auf unbezahlte Versorgungsarbeiten reduziert wurde (z.B. Folbre 2001) hat sich ein Ideal eines ‘traditionellen bäuerlichen Familienbetriebs’ entwickelt. Dies sieht den Mann als Familienoberhaupt und Betriebsleiter (Brandth 2002; Little 2006) sowie als Besitzer und Verantwortlichen für Betriebsarbeiten. Die Frau hingegen ist verantwortlich für die Familienarbeit und den Haushalt und ist zudem als flexible Arbeitskraft auf dem Betrieb einsetzbar (Koller 1965).
Die verkannte Rolle der Frauen in der Landwirtschaft
Durch Veränderungsprozesse in der Gesellschaft und Politik weicht sich dieses traditionelle Rollenbild inklusive streng zugeteilten Arbeitsbereichen langsam auf. Frauen übernehmen beispielsweise mit ausserbetrieblicher Erwerbsarbeit oder der innerbetrieblichen Diversifikation wichtige Aufgaben und tragen zu einem besseren Betriebseinkommen bei (Contzen 2013). Frauen sind zudem erwiesenermassen positive Treiberinnen von innovativer und nachhaltiger Landwirtschaft (Fhlatharta et al. 2017; Serpossian et al. 2022) und übernehmen eine wichtige Rolle in Anpassungsprozessen (Heggem 2014). Sie nehmen demnach eine wesentliche Rolle ein bei der Transformation in eine nachhaltigere und ökologischere Landwirtschaft.
Gesetze zum Teil aus dem Jahr 1951
Die gesetzlichen Anpassungen an die neuen Realitäten in den Bauernfamilien sind bisher nur sehr zögerlich erfolgt. So stammen im heute gültigen Bundesgesetz über das Bäuerliche Bodenrecht mehrere Grundüberlegungen - gerade was die soziale Absicherung der Ehe‑/Partner:in anbelangt - aus dem Vorgängergesetz aus dem Jahr 1951. In aller Regel ist der Betriebsleiter als Selbständigerwerbender registriert sowohl bei der AHV als auch beim Steueramt. Hingegen ist die soziale Absicherung der auf dem Betrieb mitarbeitenden Partnerin (in der grossen Mehrheit sind nach wie vor die Männer die Besitzer des Betriebes und die Frauen die Mitarbeitenden) nur ungenügend gesetzlich verankert. Wenn sie nicht als Angestellte angemeldet und entlöhnt ist, muss ihr ökonomischer Beitrag in der Betriebsrechnung (und damit in der Steuererklärung) nicht ausgewiesen werden. Eine weitere gravierende Lücke ist, dass ihr Eigengut nicht angegeben werden muss, sei es Lohn aus einem ausserbetrieblichen Job oder auch das in die Ehe/ Partnerschaft eingebrachte Eigengut. So verschwindet ihr Eigenkapital vollständig in der Betriebsrechnung und kann im Nachhinein nicht mehr belegt werden. Auch wenn der Betrieb staatliche Finanzhilfen von Hunderttausenden von Franken für Strukturverbesserungsmassnahmen (z.B. Bau eines neuen Stallgebäudes) erhält, verlangt der Gesetzgeber keinen Nachweis der Bezahlung eines Lohnes für die mitarbeitende Partnerin. Die Folge dieser ungenügenden gesetzlichen Absicherung ist, dass im Scheidungsfall die Partnerin des Betriebsleiters ihre bisherige ökonomische Leistung nicht nachweisen kann und damit stark benachteiligt wird und häufig vor dem finanziellen Nichts steht.
Der Bund setzt vorwiegend auf Beratung
Um diese Lücke – die allein die Landwirtschaft nicht aber alle anderen Selbständigerwerbenden betrifft – zu schliessen, wurde 2019 eine Motion (19.3445) im Bundesparlament eingereicht und von beiden Räten überwiesen. Der Bund hat nun im Herbst 2023 einen Vorschlag zur Umsetzung präsentiert und in die Vernehmlassung geschickt.
Die Motion fordert unter anderem, dass die mitarbeitenden Familienmitglieder entweder durch die Auszahlung eines Barlohns oder als Selbstständigerwerbende mit einem Anteil am landwirtschaftlichen Einkommen (der Errungenschaft) beteiligt werden. Diejenigen mitarbeitenden Familienmitglieder, die nicht an der Errungenschaft beteiligt werden, sollen einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung bei einer Scheidung erhalten.
Anstatt eine rechtlich saubere Lösung vorzuschlagen, geht der Bund nun in eine andere Richtung und will das Problem über Beratungen lösen. Als Voraussetzung für die Gewährung von staatlichen Finanzhilfen für einzelbetriebliche Strukturverbesserungen müssen sich die beiden Partner entweder gemeinsamen in Sachen Güterrecht und Regelung der Mitarbeit beraten lassen, oder sie müssen den Nachweis der Auszahlung eines Barlohnes oder der Gewährung eines Anteiles am landwirtschaftlichen Einkommen erbringen. Sie dürfen aber auch beides.
Die soziale Absicherung bleibt ungenügend
Das Projektteam zieht aus Projekterkenntnissen und der langjährigen Expertise zum Thema Frauen in der Landwirtschaft weitergehende Schlüsse: Die Situation der Frauen in der Landwirtschaft ist aus verschiedenen Studien und Erhebungen negativer, als dies im Bericht des Bundes dargestellt wird. Es besteht trotz Fortschritten nach wie vor ein dringender Bedarf für die Verbesserung der Entschädigung und sozialen Absicherung der in der Landwirtschaft mitarbeitenden Ehe‑/Partner:innen.
Der Vorschlag, bei der Beratung anzusetzen, ist kritisch zu hinterfragen. Verschiedene agrarsoziologische Projekte der BFH-HAFL deuten darauf hin, dass landwirtschaftliche Beratungskräfte Hemmungen haben, «soziale» Themen in der Beratung aufzugreifen. Die Hemmungen beziehen sich einerseits darauf, dass sich die Beratungspersonen zu wenig kompetent fühlen, andererseits, dass sie sich nicht in die Privatangelegenheit der Bauernfamilie einmischen wollen. Eine kürzliche Untersuchung der BFH-HAFL hat betreffend soziale Absicherung von mitarbeitenden Ehepartnerinnen aufgezeigt, dass traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen der Beratungspersonen ebenfalls eine Rolle spielen können.
Die vorgeschlagene Gesetzesanpassung ist lediglich ein erster kleiner Schritt im Hinblick auf eine Angleichung des landwirtschaftlichen Güter- und Sozialrechts an dasjenige für die übrige Bevölkerung. Daher hat das Projektteam zur Verbesserung der Situation der Ehe‑/Partner:innen in der Landwirtschaft zusätzliche Massnahmen vorgeschlagen inkl. Gesetzesanpassungen im bäuerlichen Bodenrecht und in den Bestimmungen zur beruflichen Vorsorge. Ausserdem müssen Fehlanreize bei den Steuerabzügen eliminiert und bei staatlichen Investitionshilfen Anpassungen bei der Angabe der Darlehen vorgenommen werden, so ist das eingebrachte Eigengut als Darlehen zu deklarieren.
Stellungnahme Mo 19.3445 VisionLandwirtschaft - BFH-HAFL