(VL) Biodiversität – was bedeutet sie für einen Gemüsebauer? Und wer ist für ihren Erhalt verantwortlich?
Um diese Fragen zu beantworten haben wir Samuel Kessens auf seinem Gemüsebetrieb im Kanton Aargau besucht. Der Co-Betriebsleiter hat uns zwischen Erbsen und Malven, Brennesseln und Tomaten anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, was die Biodiversität für ihn bedeutet, wie er sie fördert und was Leute, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig sind, für sie tun können.
So viel schon vorab: Die Biodiversität zu erhalten, ist laut dem Agronomen nicht alleinige Aufgabe der Landwirte – wir alle können unseren Anteil dazu beitragen.
Erfahren Sie aus dem Interview mit dem Gemüsebauer nicht nur die Meinung eines Produzenten auf die angehende Debatte über die Biodiversität, sondern auch, wo er die Grenzen aber auch Möglichkeiten des jetzigen Landwirtschaftssystems sieht und was wir alle konkret tun können.«Die Biodiversität zu fördern ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.»
Biodiversität findet mitten im Feld statt und ist unentbehrlich für die Produktion, sagt Samuel Kessens. Der Agronom führt als Co-Betriebsleiter einen Gemüsebetrieb in Oberwil-Lieli, Kanton Aargau.
Gabrielle D’Angelo und Annalena Tinner von Vision Landwirtschaft waren zu Besuch auf dem Betrieb und haben sich die Sicht auf die angehende Debatte über die Biodiversitätsinitiative aus dem Blickwinkel des Gemüseproduzenten aufzeigen lassen.
Fotos: Gabrielle D’Angelo
Text: Annalena Tinner
Samuel, über die Biodiversität und deren Erhaltung kommt im Herbst dieses Jahres eine nationale Volksabstimmung an die Urne. Was bedeutet denn Biodiversität für dich als Gemüsebauer?
Für mich ist sie die Versicherung, dass ich nächstes und übernächstes Jahr auch noch Gemüse produzieren kann. Denn ich bin abhängig davon, dass meine Pflanzen bestäubt werden, dass mein Boden lebt. Und dafür brauche ich die Biodiversität. Denn nur so kann ich gesunde Pflanzen und gesundes Gemüse produzieren. Wenn sie weiterhin so stark zurückgeht, ist das für mich als Gemüsebauer eine Gefahr.
Und weshalb müssen wir sie genau jetzt schützen?
Eigentlich hätten wir schon vor 10 Jahren etwas tun sollen (lacht). Daher ist jetzt sicher noch der bestmögliche Zeitpunkt, um die Biodiversität zu erhalten und die Existenz der Kleinbetriebe zu sichern.
«Wir alle sind verantwortlich für die Biodiversität. Zumindest sind wir alle davon betroffen.»
Wer ist denn deiner Meinung nach verantwortlich für die Biodiversität?
Wir alle. Zumindest sind wir alle davon betroffen. Sicher sind nicht nur die Landwirt:innen verantwortlich, aber eben auch. Kein Bauer kann sich aus der Verantwortung schleichen, indem er sagt, der Konsument oder der Grossverteiler müsse. Wir Bauern können sagen «wir bewirtschaften Land, deshalb können wir schneller handeln».
Jetzt sind aber nur etwa 3% der Bevölkerung selbst in der Landwirtschaft tätig – wie können denn all diese Menschen, die keinen Zugang zu Land haben, ihre Verantwortung wahrnehmen?
Ganz klar bei ihrem Konsumverhalten. Da ist der Einfluss enorm. Wenn du Lebensmittel kaufst, kannst du entscheiden, wie diese produziert werden. Da ist sehr wichtig, dass sich die Leute, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, ihrer Macht bewusst sind. Indem sie auf Regionalität, Saisonalität und vor allem auch auf Kleinräumigkeit achten. Und wenn der Konsument sogar den Betrieb kennt, wo das Gemüse herkommt, ist das ideal.
Kleinräumigkeit – was meinst du damit?
Kleinräumig heisst, dass wir auf kleiner Fläche viele verschiedene Dinge anbauen und verschiedene Fördermassnahmen für die Biodiversität machen. Denn die Vielfalt gibt uns Stabilität. Ein Grossbetrieb, der nur von wenigen Kulturen lebt, ist viel mehr Risiko ausgesetzt. Bei kleinräumigen, vielfältigen Betrieben fällt ein Ausfall einer Sorte jeweils nicht so ins Gewicht. Zudem produzieren wir nicht nur Gemüse, sondern möchten gleichzeitig auch die Vielfalt an Nützlingen fördern, seien es Raubvögeln, Säugetiere oder Bodenlebewesen.
Hast du ein Beispiel dazu?
Unser Ansatz ist immer, dass wir mit der Natur arbeiten. Wir versuchen, diese Vielfalt der Natur auf das Feld zu bringen. Zum Beispiel haben wir jeden Frühling das Problem mit Läusen. Da ist der Marienkäfer ein guter Gegenspieler als Nützling. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei Flächen, in welchen Hecken dazwischen sind, der Schädlingsdruck geringer ist. Die Hecken dienen als Rückzugsgebiet für die Käfer über den Winter. Somit sind im Frühling die Käfer schneller da und fressen die Läuse eher weg.
«Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht.»
Doch diese Hecke, nimmt sie dir nicht Fläche, auf welcher du produzieren könntest, weg?
Nein, dieses Problem sehe ich nicht. Einerseits hat die Hecke einen positiven Effekt auf die Ertragsmenge der Gemüsekultur. Zudem kann die Hecke auch so gestaltet werden, dass sie einen ökonomischen Nutzen generiert; wir haben viele Beerensträucher und Obstbäume in unseren Hecken, deren Früchte wir auch ernten und verkaufen können. Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht – denn wir laufen Gefahr, schlussendlich noch weniger zu produzieren, wenn wir weiterhin einen solchen Rückgang bei der Biodiversität haben.
Das tönt durchs Band positiv. Gibt es denn keine Herausforderungen in diesem System?
Doch, in dieser Kleinräumigkeit haben wir immer auch Schädlinge, denn ohne Schädlinge gibt es keine Nützlinge. Wir müssen einfach das Vertrauen darauf haben, dass die Massnahmen, die wir im Voraus ergriffen haben, um diese Nützlinge zu fördern, dann auch tatsächlich wirken, wenn die Schädlinge kommen. Nehmen wir das Beispiel Wühlmäuse: Dass im Vorherein Stangen für die Greifvögel aufgestellt wurden oder ein Wiesel-Bau gemacht wurde, sind mögliche Massnahmen. Und wenn die Mäuse dann kommen, braucht es eine Weile, bis auch die Nützlinge kommen. Vor allem diese Übergangsphase ist als Landwirt schwierig auszuhalten. Aber ein intaktes Gesamtsystem regelt es dann so, dass der Schaden schlussendlich überschaubar bleibt.
Und warum produzieren dann nicht alle Betriebe so, wie ihr es macht?
Ein grosses Problem für andere Gemüsebauern sind die Anforderungen der Abnehmer. Wenn du für den Grosshandel produzierst, kannst du nicht so vielfältig produzieren, wie wir es hier tun. Denn der Grossverteiler will einfache Lieferketten; er will von einem Betrieb alle Karotten und vom anderen alle Tomaten - nicht von jedem Betrieb 20, 30 verschiedene Gemüsesorten in Kleinstmengen.
Wenn du an den Grossverteiler lieferst, kannst du im jetzigen System kaum kleinräumig und wirklich biodiversitätsfreundlich anbauen.
«Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben»
Hast du denn das Gefühl, die Landwirtschaft in der Schweiz macht generell genug für die Biodiversität?
Nein, noch nicht. Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben. Aber ich glaube auch, die Rahmenbedingungen sind nicht ideal und deshalb gibt es noch nicht so viele Betriebe, die auf diesen Biodiversitäts-Zug aufgestiegen sind.
Wie müssten sich denn die Rahmenbedingungen ändern?
Wenn du als Landwirt Angst hast, Flächen zu verlieren, weil du nicht mehr produzieren kannst, steckt dahinter vor allem auch eine ökonomische Angst. Doch diese Angst kann ihnen genommen werden, indem ihnen höhere Preise für die Produkte garantiert werden. Das wiederum hängt vor allem mit politischen Entscheiden zusammen, zum Beispiel mit Importrestriktionen. Doch das sind Dinge, die nicht der Landwirt selbst entscheidet. Grundsätzlich haben viele Bauern das Bedürfnis, Freude am Job zu haben und Neues auszuprobieren. Dadurch bleibt die Arbeit auch spannend. Und wenn es finanziell kein grosses Risiko wäre, würden viele Bauern dem Nachgehen und könnten innovativer sein.
In der Landwirtschaft muss ein Betriebsleiter schon sehr viel Wissen über Betriebsführung, das Marktverhalten, Wartung der Maschinen, den Anbau von Gemüsesorten und Krankheiten bei Tieren. Und da kommt mit der Biodiversität nochmals ein neues Thema dazu – ist das nicht zu viel? Ist es tatsächlich Aufgabe der Landwirtschaft, sich auch noch um die Biodiversität zu kümmern?
Klar, Beratungsstellen wären vielleicht schon nützlich, in der Ausbildung wird das Thema nur gestreift. Aber ich als Bauer sehe ja den Wert der Biodiversität und dann ist es das Naheliegendste, dass ich mich auch damit befasse. Wenn die Biodiversität der Grund ist für einen reichen Ertrag – und das ist es ja – dann musst du dich auch aktiv damit befassen, dann ist es kein Nebenschauplatz, der ausgelagert werden kann. Biodiversität ist nicht einfach der Blühstreifen neben dem Gemüseacker und fertig. Sie findet mitten im Feld statt. Die Biodiversität zu fördern, ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.
Zurück zur Initiative. Die Initiative verlangt mehr Raum für Biodiversität, ist diese Auflage berechtigt?
Ich sehe das nicht als Auflage, sondern viel mehr als Chance für die Bauern. Dass wir – weil es vorgeschrieben ist – Fläche für die Biodiversität nützen dürfen. Denn ohne Biodiversität funktionieren unsere Betriebe nicht. Mir gefällt an der Initiative, dass ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz gefragt ist. Dass wir als Bauern unterstützt werden, nicht allein dafür verantwortlich zu sein, sondern dass wir alle, inklusive die Landwirtschaft, etwas dafür machen sollen. Ja, die Initiative ist meiner Meinung nach berechtigt.
Kästchen 1
Der Betrieb
Der Biohof Lieli, ein 14 ha grosser Gemüsebetrieb, liegt in Oberwil-Lieli und wird nach biologisch-dynamischen Richtlinien bewirtschaftet. Rund 60 verschiedene Gemüsesorten werden auf dem Hof auf kleinräumigen Flächen produziert und gelangen via Gemüse Abos oder Marktstände direkt an die Kundschaft. Diese vielfältige Produktion bedingt eine kleinräumige Bewirtschaftung und dementsprechend viel Handarbeit, welche mit rund 30 Mitarbeiter:innen geleistet wird. Diese Handarbeit ermöglicht aber wiederum, dass pro Fläche mehrmals pro Jahr geerntet werden kann und der Ertrag eher hoch ausfällt. Etwa 10% der Betriebsfläche sind Biodiversitätsförderflächen, die Mehrheit davon Hecken.
Kästchen 2
Pflanzenschutz im Gemüsebau
Der Pflanzenschutz im Freilandgemüsebau ist anspruchsvoll, da viele Gemüsekulturen anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind. Dazu kommen hohe Qualitätsansprüche von Seiten des Handels sowie der Konsumentinnen und Konsumenten. Deshalb werden in den meisten Gemüsekulturen deutlich mehr Pestizide eingesetzt als in Ackerkulturen wie Getreide, Zuckerrüben usw. Mit gezielten, meist vorbeugenden, Massnahmen lassen sich jedoch der Einsatz von Pestiziden und die damit verbundenen Umweltrisiken vermindern. Zu diesen vorbeugenden Massnahmen gehören unter anderem eine durchdachte Fruchtfolge, die Wahl des geeigneten Standortes, das Sicherstellen einer guten Bodenfruchtbarkeit sowie das Erstreben eines optimalen Saat- und Pflanzzeitpunktes. Zudem ist die Verwendung resistenter oder schädlingstoleranter und an den Standort angepasster Sorten eine entscheidende Massnahme zur Minimierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.
Heutzutage dominieren grossflächige Monokulturen den Freilandgemüsebau. Doch solche einheitlich bepflanzten Anbauflächen haben den Nachteil, dass Pilze oder Schadinsekten ein leichtes Spiel haben sich zu vermehren und bei einem Befall gleich die ganze Ernte bedrohen. Eine mögliche Alternative zu diesem herkömmlichen Anbausystem ist der kleinräumige Anbau. Dabei werden mehrere verschiedene Arten oder Sorten nebeneinander angepflanzt. Sich ergänzende Arten konkurrenzieren sich nicht, sondern können zum Beispiel den Boden für die andere Art fruchtbarer machen, Schadinsekten fernhalten oder Schädlinge zur Entlastung der anderen Pflanze auf sich ziehen oder auch das Wachstum von Unkraut eindämmen (Agroscope 2020).
Die Vorteile einer Mischkultur sind:
- Höherer Gesamtertrag pro Fläche aufgrund optimaler PlatzverteilungMischkulturen sind jedoch im Gemüsebau noch wenig erprobt und deshalb im Agrarland kaum zu sehen. Zudem ist die Maschinennutzung in Mischkulturen erschwert und mehr Handarbeit nötig. Trotzdem zeigen die wenigen Gemüsebaubetriebe mit Mischkulturen, dass es möglich ist, auch den Gemüsebau ohne Pestizide und dennoch rentabel zu betreiben.