Versorgungssicherheit durch die überintensive Produktion in Bedrängnis
Versorgungssicherheit ist die Fähigkeit, im Krisenfall die Bevölkerung möglichst weitgehend aus den eigenen Ressourcen ernähren zu können. Das wichtigste Ziel der Versorgungssicherheit ist die Erhaltung der Produktionsgrundlagen, vor allem der Bodenfruchtbarkeit, funktionsfähiger landwirtschaftlicher Strukturen und der Ökosystemfunktionen. Die Versorgungssicherheitsbeiträge, der grösste Posten der Direktzahlungen, bewirken allerdings genau das Gegenteil. Sie fördern eine überintensive Produktion auf Kosten der Produktionsgrundlagen.
Unter dem Deckmantel der "Versorgungssicherheit" sind der Grossteil der Landwirtschaftssubventionen heute darauf ausgerichtet, die landwirtschaftliche Produktion weiter anzuheizen. Mit Erfolg: Noch nie wurde in der Schweiz so viel produziert wie heute, jedes Jahr ein bisschen mehr, obwohl laufend weniger Land bewirtschaftet wird. Doch die erreichte Produktionsintensität geht längst zulasten der Natur und damit der Produktionsgrundlagen der Landwirtschaft selber. Bodenfruchtbarkeit, Ökosystemfunktionen und Biodiversität geht es so schlecht wie noch nie. Die Produktionszunahme beeinträchtigt so zunehmend die Versorgungssicherheit.
Die Realisierung einer Agrarpolitik, die tatsächlich auf Versorgungssicherheit und Nachhaltigkeit ausgerichtet ist, gehört zu einem Kernanliegen von Vision Landwirtschaft. Dazu hat die Denkwerkstatt verschiedene Studien erstellt und konkrete Forderungen hergeleitet. An vorderster Stelle steht die Streichung der Versorgungssicherheitsbeiträge - mit über 1 Milliarde Franken jährlich der grösste und zugleich schädlichste Direktzahlungsposten. Bezeichnenderweise wurden diese Beitrage bisher vom Bund nie in ihrer Wirkung evaluiert. Ein parlamentarischer Vorstoss, der dies verlangte, wurde von einem Vertreter des Bauernverbandes erfolgreich blockiert. "So funktioniert die agrarpolitische Bananenrepublik Schweiz" titelte damals Vision Landwirtschaft.
Dass dreimal mehr Hülsenfrüchte gegessen werden, das ist das Ziel des neuen Vereins «Schweizer Hülsenfrüchte». Vertreten sind darin Produzentenorganisationen, Verarbeiter und Handel. Mit verschiedenen Aktionen will der Verein vermitteln, dass Bohnen, Erbsen und Linsen cool sind und so das Ziel erreichen.
Im Durchschnitt der letzten Jahre wurden pro Person rund zwei Kilogramm Hülsenfrüchte gegessen. Der neue Verein Schweizer Hülsenfrüchte hat sich zum Ziel gesetzt, dass der Konsum auf sechs Kilogramm steigt. Das wären jedoch erst knapp gut ein Viertel der Empfehlung, 22 Kilogramm Bohnen, Erbsen und Linsen pro Jahr zu essen. In den letzten Jahren ist der Import um Prozent gestiegen. Der Anbau in der Schweiz entwickelt sich langsam (s. LID-Beitrag, Statistik).
Die Initianten vom Verein «Schweizer Hülsenfrüchte» haben verschiedene Ideen, wie sie das Ziel erreichen wollen. Drei davon wurden am 29. November an der Auftaktversammlung am Strickhof Lindau genannt:
Runder Tisch des Ernährungsforum Zürich
Hülsenfrüchte-Challenge
Beratungsangebot für die Gastronomie
Regionale Akteure zusammenbringen
Das Ernährungsforum Zürich plant einen Runden Tisch mit dem Ziel, Liefer- und Wertschöpfungsketten zu schaffen, die Hülsenfrüchte aus Zürich in Zürich zu fairen Preisen auf den Teller bringen. Dabei konzentriert sich das Forum laut seiner Website auf das Gastgewerbe und die öffentliche Beschaffung. «Der Anbau ist noch mit viel Pionierarbeit verbunden, die Lieferketten befinden sich erst im Aufbau. Der Anbau und die Verarbeitung sollen gefördert werden», heisst es weiter.
Den Wettbewerbsgeist nutzen
«Challenges sind eine erfolgsversprechende Methode, neue Gewohnheiten zu etablieren», begründete Mit-Initiantin Helene Renaux das Projekt. Vorbild ist Bike-to-work, in dem Firmenmitarbeitende motiviert werden, mit dem Velo zur Arbeit zu kommen. Bohnen, Erbsen und Linsen sollen so cool werden.
Gastronom:innen beraten
Weil Hülsenfrüchte bei vielen aus der Ernährung verschwunden sind, fehlt auch bei vielen das Wissen, wie man Hülsenfrüchte kochte, und gute Rezepte. Dass der Geschmack wichtig ist, wurde an der vorangehenden Fachtagung Power Protein mehrfach betont. An ihr nahmen über 100 Personen teil.
Sich auf gut schweizerische Traditionen besinnen
Dass Hülsenfrüchte im Mittelalter eine grosse Bedeutung hatten, zeigte Autor Dominik Flammer an der Fachtagung Power Protein. Er befasst sich mit der Geschichte der Ernährung, speziell mit dem kulinarischen Erbe des Alpenraums. 1800 seien pro Person und Jahr rund 30 Kilogramm Hülsenfrüchte gegessen. Ein wichtiger Grund war, dass 150 Tage pro Jahr kirchliche Fastentage waren, an denen keine tierischen Produkte gegessen werden durften. «Die Ur-Bohnen seien die Wicken gewesen und die Augenbohnen», erzählt er. Später seien vor allem Ackerbohnen angebaut worden, die jedoch als Saubohnen abgewertet wurden.
Die meisten Bohnen, die wir heute kennen, kommen aus Amerika. Flammer plädierte dafür, Bohnen, Erbsen und Linsen in Gerichten oder vermischt mit Fleisch aufzutischen. «Meat yes, animal less», also fasste er seine Philosophie zusammen. Das heisst weniger Tiere zu schlachten und alles vom Tier zu essen. Gute Erfahrungen macht er damit, Innereien mit Hülsenfrüchten zu kombinieren. «Wir brauchen keine Ersatzprodukte, sondern Ergänzung», findet er.
Anbau in der Schweiz noch eine Nische
Der vermehrte Konsum soll auch Anbauchancen für Schweizer Landwirte bringen. Denn Hülsenfrüchte sind gut für den Boden. Die Knöllchenbakterien, die sich an ihren Wurzeln ansiedeln, könnten Stickstoff aus der Luft für die Pflanzen verfügbar machen. Seit 2023 zahlt der Bund auch einen Einzelkulturbeitrag für Hülsenfrüchten, die für den menschlichen Verzehr angebaut werden. Dennoch sind Bohnen, Erbsen und Linsen noch eine Nischenkultur. Die Fläche der Körnerleguminosen stieg 2024 laut Schätzungen von Agristat auf bescheidenem Niveau um 30 Hektaren (0,6 Prozent) auf 4769 Hektaren. Am deutlichsten nahmen die Flächen von Bohnen und Wicken zu, um 127 Hektaren bzw. 17,4 Prozent auf 859 Hektaren. Auch die Fläche der Mischungen von Getreide und Körnerleguminosen nehmen etwas zu. Dafür gehen die Flächen der Erbsen (-3,8 Prozent), der Lupinen (-8,6 Prozent) und der Linsen (-22 Prozent) zurück. Die Hauptgründe sind unsichere Erträge und fehlender Grundschutz .
Trotz schlechten Bedingungen in diesem Jahr sind die Lager jedoch so gut gefüllt, dass Produzentenorganisationen wie IP-Suisse für 2025 einen Anbaustopp verfügt haben. Den Konsum von Schweizer Hülsenfrüchten zu steigern, ist also dringend nötig, damit die Bäuerinnen und Bauern Bohnen, Erbsen und Linsen fest in ihre Fruchtfolge einplanen können.
Wie ein Bericht des News-Magazin «10 vor 10» von SRF aufzeigt ,ist Schweizer Biozucker Mangelware. Bio Suisse will das nun ändern, aber auch Biozucker ist ungesund.
Die Umstellung von konventionellem Zuckeranbau auf Bio ist zwar gut für die Umwelt, weil so weniger Pestizide in die Umwelt kommen. Pestizide schädigen nachweislich die natürlichen Ressourcen sowie die menschliche Gesundheit. Wenn mehr Produzent:innen auf Bio umstellen, hilft das auch, dass vermehrt auf robuste Sorten gesetzt wird. Zuckerrübe ist eine schwierige Kultur und im konventionellen Anbau werden chemisch-synthetische Insektizide, Fungizide und Herbizide angewendet, welche unsere Biodiversität und unsere Gesundheit schädigen.
Aus gesellschaftlicher Sicht haben wir aber noch viel mehr Probleme:
Der Zuckeranbau wird mit hohen Einzelkulturbeiträgen mit Steuergeld unterstützt. Das fördert den hohen Zuckerkonsum und dies wiederum belastet unser Gesundheitssystem sehr stark. Wir essen viermal soviel Zucker, als gesund wäre. Das generiert Folgeerkrankungen wie Adipositas, Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Karies. Eine Fülle von klinischen Studien weisen nach, dass unser überhöhter Zuckerkonsum (insbesondere durch den zugesetzten Zucker z.B. in Süssgetränken) diese Erkrankungen begünstigt.
Der grösste Anteil der Schweizer Zuckerproduktion geht an grosse Getränkehersteller wie Red Bull oder Coca Cola. Diese profitieren davon, dass wir mit Steuergeldern den Anbau fördern. Das funktioniert schlussendlich für uns als Gesellschaft nicht. Es braucht Massnahmen die den Zuckerkonsum reduzieren. Einen gewissen Anteil Zuckerrübenanbau in der Schweiz ist aus landwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, zumindest wenn es BIO Anbau ist. Die Perspektive für das gesamte Ernährungssystem zeigt aber: aktuell fördern wir mit Steuergeld direkt den hohen Zuckerkonsum, was uns massive Kosten im Gesundheitssystem verursacht.
Für die Reduktion des Zuckerkonsums gibt es viele Möglichkeiten:
Begrenzung des Zuckergehalts in Fertigprodukten mit Vorgaben, die auf wissenschaftlichen Ernährungskriterien basieren.
Eine progressive Steuer auf Süssgetränk einführen.
Das Ernährungssystem besteht aus vielen zusammenhängenden ökologischen, sozialen und ökonomischen Komponenten. Weniger tierische Proteine, weniger Food Waste und eine auf agrarökologische Prinzipien beruhende Produktion: Das könnte die menschliche Gesundheit stärken und das Klima schonen. Im neusten ProClim Flash nimmt Bernhard Lehmann Stellung zur lokalen und globalen Transformation des Ernährungssystems.
Für Bernard Lehmann braucht es eine grundlegende Transformation der Ernährungssysteme, um die globale Ernährungssicherheit zu verbessern. Auch das Schweizer Ernährungssystem müsse sich verändern, da es einen ökologischen Fussabdruck habe, der weit über dem Weltdurchschnitt liegt. Insbesondere sei die weitgehend bäuerlich strukturierte Landwirtschaft verhältnismässig hilfsstoff- und kraftfutterintensiv und habe dadurch negative Folgen für die Biodiversität, das Klima, die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserqualität.
Zwar habe die Schweizer Politik erkannt, dass in der Agrarpolitik Ernährungsfragen stärker berücksichtigt werden müssen, aber die Prozessabläufe zwischen Ämtern, Bundesrat und Parlament seien noch zu wenig harmonisiert. Das Fazit: Sektorübergreifende, politische Massnahmen sind wichtig.
Bernard Lehmann ist Präsident der Plattform Wissenschaft und Politik der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) und Vorsitzender des Fachgremiums für Ernährungssicherheit und Ernährung (High Level Panel of Expert for Food Security and Nutrition, HLPE-FSN) des Ausschusses für Welternährungssicherheit der Vereinten Nationen (UN Committee World Food Security and Nutrition). Der Agrarökonom war 20 Jahre ordentlicher Professor an der ETH Zürich und war von 2011 bis 2019 Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft.
Tag für Tag werden die Lebensmittelregale gefüllt und Restaurants und Kantinen beliefert. Tausende Produkte sind jederzeit verfügbar. Hinter dem Warenangebot steckt ein hochkomplexes System. Mit hohem logistischem Aufwand sorgen Landwirtschaft, Industrie und Handel dafür, dass die Produkte zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch nur zu einem kleinen Teil landen Lebensmittel direkt aus der Region auf unseren Tellern. Denn die Landwirt:innen aus der Region produzieren überwiegend für den Grosshandel und dadurch legen die Lebensmittel hunderte von Kilometern zurück. Wenn zum Beispiel ein Zürcher Obstproduzent seine Äpfel an die Migros liefert, muss er diese nach Gossau im Kanton St. Gallen fahren und die Migros liefert diese dann an ihre Märkte in der Stadt Zürich. Das sind dann hin und zurück 150 km. Dieses System hat sich über Jahre entwickelt. Doch je komplexer ein System, desto mehr Energie wird benötigt und es wird anfälliger für Störungen aller Art.
Wir sollten die regionalen Ressourcen besser nutzen. Das heisst nicht, dass die Ernährung zu 100 Prozent regional sichergestellt werden sollte. Aber die regionale Selbstversorgung könnte deutlich besser sein. Auf den Flächen rund um die Stadt sollte das wachsen, was nach möglichst kurzem Weg auf den Tellern landet, für ein Ernährungssystem, in dem ein reger Austausch herrscht und in dem es ein gesteigertes Bewusstsein und Interesse für regionale Lebensmittel gibt. Das ist auch ein Ernährungssystem, das man in seiner Freizeit entdecken und erleben kann, das sich durch Diversität auszeichnet, kleine Betriebe erhält und Innovationen fördert. Ein solches System schützt nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Kulturlandschaft und wertet das Leben in der Region durch eine lokale Wertschöpfung auf. Wie das funktionieren kann:
Portrait des Pionierbetriebes Brüederhof - Die Stärken der Region besser nutzen
(VL) Wer regional einkaufen möchte, braucht auch ein regionales Angebot. Und umgekehrt: landwirtschaftliche Betriebe und Verarbeiter brauchen Abnehmer:innen für ihre regional erzeugten Lebensmittel. Um die Nahversorgung zu stärken und Stadt und Land zusammenzubringen, müssen alle Akteur:innen zusammenwirken.
Genau dies findet im Biogarten Lieli auf dem Birchhof in Oberwil-Lieli statt. An der bereits zur Tradition gewordenen Feldbegehung der Geschwister Kessens nehmen immer mehr interessierte Menschen teil. Sie wollen wissen, wie ihr Gemüse- und Obst angebaut wird, das sie mit ihrem Gemüse-Abo an über 150 Quartierdepots im Raum Zürich und Baden abholen können.
Der Biogarten mit zwei unbeheizten Treibhäusern.
Samuel Kessens führt uns durch seinen zwei Hektar grossen Biogarten. Er ist Gemüsebauer, weil sein Vater Gemüsebauer ist. Aber er hat einen besonderen Blick für nachhaltige Systeme und ein starkes Interesse für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Mit neuen Anbaumethoden entwickelt er den väterlichen Betrieb weiter und indem er seine Kunden auf den Betrieb einlädt, fördert er ein tieferes Verständnis für die Lebensmittelproduktion. Das hilft ihm, weil dadurch sein Gemüse nicht perfekt sein muss und die Kunden verstehen, wenn es manchmal weniger Bohnen dafür mehr Zucchetti gibt.
Feldbegehung, angeführt von Samuel Kessens.
Sehen wie das Gemüse wächst.
Sie sind etwas wirklich Besonderes, die kleinen, vielfältig bepflanzten Gemüsebeete. Sehr eng beieinander wachsen Salate, Rüebli, Zwiebeln, Blumenkohl, Himbeeren, Äpfel, Zwetschgen und vieles mehr. An den Rändern der Beete blühen Borretsch, Kamille und andere Wildblumen. Und in zwei ungeheizten Folientunneln warten dichte Reihen grüner Tomaten und Melonen aufs Reifwerden. Auch die vielen kleine, schwarzen Läuse an den Bohnenblättern sind wichtig für die Entwicklung der Marienkäferlarven, denn bald werden sie das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen.
Samuels Kessens Kernanliegen ist die Erhaltung und Wiederherstellung eines humusreichen Bodens als lebendiges Ökosystem. Der Betriebsleiter setzt darum auf Kompost, Gründüngung, eine ausgeklügelte Fruchtfolge, eine reduzierte Bearbeitung des Bodens und enge Pflanzabstände. Die Beete werden so wenig wie möglich betreten oder von Maschinen befahren, damit der Boden nicht zu sehr gestört wird. Das alles ermöglicht eine sehr hohe Produktivität auf sehr kleiner Fläche bei möglichst geringem Verbrauch an Ressourcen. Das Wasser wird von der nachbarschaftlichen Quelle mit einer Solarpumpe in den Wassertank gepumpt und dort gespeichert, wo es dann über ein Tröpfchen Bewässerungssystem langsam in den Kulturen verteilt wird. Feuchtigkeit und Nährstoffe bleiben somit im Boden, der zudem CO2 bindet. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit, auch gegen die Folgen des Klimawandels.
Gesunde Böden erhalten die Feuchtigkeit.
Diese Art der Bewirtschaftung von Agrarland ist in der Schweiz eher selten. Das eigentlich überraschende am Biogarten Lieli sind aber die beinahe zwanzig Mitarbeitende, die hier jäten, pflanzen, bewässern, ernten, waschen, verpacken und ausliefern. Ist das wirtschaftlich tragbar? Ja, meint Samuel Kessens. «Der Grossteil der Produkte wird direkt von uns auf dem Birchhof in unserem Biogarten produziert. Dadurch bleibt die Wertschöpfung auf unserem Betrieb. Andere Produkte kaufen wir aus der Region dazu, um die Wünsche unserer Kund:innen erfüllen zu können. Dabei achten wir auf Saisonalität, Regionalität und eine verantwortungsvolle Produktion.»
Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, um die Nahversorgung zu verbessern. Die öffentliche Hand könnte mehr regionale und saisonale Erzeugnisse in ihren Kantinen einsetzen. Vielfältige und innovative Unternehmen und Initiativen sollten unterstützt und gefördert werden, für «ein System, das wieder Verbindung schafft, vom Landwirt bis zum Teller.»
Die Marienkäferlarven fressen die Eier von Läusen, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt.
Wasser wird sparsam eingesetzt und wo möglich gesammelt und gespeichert.
Jede noch so kleine Fläche wird intensiv genutzt, sogar der Zaun dient als Stütze für Brombeeren und Vogelsitzstangen.
Schonende Bodenbearbeitung, um das Bodengleichgewicht zu erhalten.
Die Überlegungen der NZZ funktionieren sehr gut bei pflanzlichen Produkten jedoch viel weniger bei tierischen Produkten. Denn die grossen Belastungen der Produktion von tierischen Produkten entstehen durch die hohe Stickstoffverschmutzung (diese ist in Deutschland und Österreich ähnlich wie in der Schweiz) und einer Belastung der Biodiversität. Auch die hohen Treibhausgasemissionen welche durch die Tierhaltung verursacht werden sind im Ausland ähnlich hoch wie in der Schweiz und oftmals bei Bio-Produktion nicht wirklich geringer als bei konventioneller Produktion.
In Bezug auf die Klimabilanz funktioniert diese Strategie der Erhöhung der Importe nicht, solange die Ernährungsmuster in der Schweiz gleich bleiben. Landwirtschaft und Ernährung tragen mit 17% einen hohen Anteil zu den Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz bei. Mit einer Ernährung, welche sich an den Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide ausrichtet, können neben der Förderung der Gesundheit der Bevölkerung gleichzeitig der Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung sowie weitere negative Umweltwirkungen mehr als halbiert werden. Die Produktion muss dazu aber so angepasst werden, dass die ackerfähigen Flächen für die direkte menschliche Ernährung genutzt und die verbleibenden Tiere mit Gras der natürlichen und nicht ackerfähigen Grünlandflächen sowie Abfällen aus der Lebensmittelproduktion versorgt werden. Insgesamt könnte so der Selbstversorgungsgrad sogar erhöht werden.
Der Ansatz mit den höheren Importen funktioniert, wenn dann tatsächlich mehr Bio-Produkte importiert werden und eher der Anteil an pflanzlicher Ernährung sich erhöht. So können beispielsweise die Pestizid-Belastungen in der Umwelt gesenkt werden können.
Am Ernährungssystemgipfel vom 2.2.2023 wurden neben den Empfehlungen des Bürger:innenrates auch der Leitfaden des wissenschaftlichen Gremiums Ernährungszukunft Schweiz an Bundesrat Parmelin und einige Nationalrätinnen und Nationalräte übergeben. Das Votum der Bürger:innen aus dem Bürger:innenrat ist klar: Wir müssen jetzt handeln.
Aus Sicht der Wissenschaft ist es ebenso klar: Es ist dringend. Daher sollen die Chancen des Wandels in den Vordergrund gestellt werden. Denn, wenn wir jetzt handeln, sparen wir massiv Kosten. Die Vorschläge des wissenschaftlichen Gremiums Ernährungszukunft Schweiz richten sich nicht direkt an die Agrarpolitik, sondern konzentrieren sich in einer ersten Phase bis 2025 auf den Aufbau eines Transformationsfonds, durch den Informationsmassnahmen finanziert werden sollen und die Einführung einer Zukunftskommission.
In einer zweiten Phase ab 2025 sollen zunehmend regulatorische Massnahmen und Lenkungsabgaben zum Tragen kommen. Dazu gehören Zölle für tierische Produkte sowie die Einführung einer CO2-Abgabe auf Lebensmittel. Erst die Phase 3 konzentriert sich auf die Agrarpolitik, die eine Anpassung der Direktzahlungen sowie Steuererleichterungen für Landwirtinnen und Landwirte vorsehen soll. Für die vierte Phase ab 2030 schlägt das Gremium die schrittweise Einführung von Massnahmen vor, wie z.B. ein Verbot von Niedrigpreis-Aktionen für tierische Lebensmittel.
Der Bereich Kostenwahrheit wird nur sehr ungenügend bearbeitet. Denn ohne die Aufhebung der bestehenden Fehlanreize wird auch eine CO2-Abgabe auf tierische Nahrungsmittel keine entsprechende Lenkung bewirken. Der Ernährungssystemgipfel zeigte auf, im Bürgerinnen:rat wurde sehr gute Arbeit geleistet und der Rat wurde dabei auch nicht von Lobbyist:innen gestört. Die Wissenschaft hat einen interessanten Beitrag geleistet, aber es bleiben wichtige Fragen ungeklärt: Wer soll die angedachte Zukunftskommission einführen? Wie können ein Transformationsfond und Lenkungsmassnahmen überhaupt Wirkung erzielen, wenn die Fehlanreize der Agrarpolitik unangetastet bleiben? Eine Preiserhöhung der tierischen Produkte mittels einer CO2-Steuer von 1 CHF pro Kilo, wie sie das wissenschaftliche Gremium vorschlägt, wird kaum die hohen Subventionen in die tierische Produktion ausgleichen können.
Die Schlussrunde endete mit einem gnadenlosen Realitätscheck: Unter den Nationalrät:innen auf dem Podium brach sofort ein Rechts-Links-Streit aus. Auch in den aktuellsten Beratungen in der Wirtschaftskommission wurden Anträge gestellt, welche eine Verbesserung im Sinne des Ernährungssystemgipfels gebracht hätten. Diese wurden aber von den bürgerlichen Parteien unisono abgelehnt, ohne auf eine Diskussion einzutreten. Die Debatte in der Agrarpolitik ist komplett verfahren und der Stillstand hält an. Einziger Hoffnungsschimmer: Die Perspektive auf die Erweiterung des Diskurses und des politischen Handlungsspielraums auf die ganze Wertschöpfungskette. Und es stellt sich auch eine übergeordnete Frage: Wenn Bürger:innen aus allen Altersgruppen, Regionen und mit verschiedenen politischen Haltungen gute Lösungen erarbeiten können, warum ist dies in den bestehenden politischen Gremien nicht möglich? Die Umsetzung der Empfehlungen des Bürger:innenrates und der Wissenschaft ist eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe, welche nur mit dem Schulterschluss aller Akteure zu erreichen ist.
Vision Landwirtschaft ist, zusammen mit vielen anderen, Partnerorganisation des Projektes Ernährungszukunft. Mit grossem Interesse haben wir die laufende Berichterstattung aus dem Projekt und jetzt auch die Publikation der Empfehlungen mitverfolgt. Die ganze Organisation mit den Lernausflügen und Austauschtreffen, aber auch wie das wissenschaftliche Gremium aufgebaut wurde, ist sehr überzeugend. Die Bürger:innen konnten sich sehr gut und breit informieren und daraus folgt nun auch die hohe Qualität der Empfehlungen. So entstand ein umfangreiches Dossier mit 53 Zielen, dazu 137 Empfehlungen, von denen in der finalen Abstimmung 126 angenommen worden sind.
Diese Empfehlungen teilen sich in die Bereiche Gesundheit, Umwelt, Produktion, Soziales und Wirtschaft und decken daher ein sehr breites Spektrum ab. Das ist auch folgerichtig, denn die Landwirtschaft und Ernährung hat Einfluss auf sehr vielen Ebenen. Hervorzuheben ist die allererste Empfehlung, diese fordert nämlich bessere und übersichtliche Informationen auf Produktetiketten. Es folgen weitere Empfehlungen, welche dazu führen würden, dass die Konsument:innen ihre Verantwortung durch den Konsum viel besser wahrnehmen könnten. Dazu hat es auch eine Forderung, welche eine wahrheitsgetreue Marketingkommunikation verlangt. Zu diesem Thema hat Vision Landwirtschaft auch schon geschrieben und Beschwerden eingereicht bei der Lauterkeitskommission.
Im Allgemeinen zeichnet sich beim Lesen der Empfehlungen ein überzeugendes Bild, wie sich eine Landwirtschaft und Ernährung entwickeln könnte, welche die Umweltkosten internalisiert und deren wirtschaftliche und soziale Seite sich gesund und stabil entwickeln würde. So überzeugend die ganze Projektorganisation und jetzt auch die Qualität der Empfehlungen sind, so unsicher scheint nun die Zukunft dieser Empfehlungen. Diese werden zwar am 29. November an Mitglieder des National- und Ständerates übergeben und am 2. Februar 2023 findet ein nationaler Ernährungsgipfel statt. Jedoch ist - zumindest zum heutigen Zeitpunkt -sehr unklar, wie diese Empfehlungen den Weg in die Umsetzung schaffen. Gerade weil sie sehr breit sind, betreffen sie viele verschiedene gesetzliche Grundlagen und sind teilweise komplex in der Umsetzung. Da braucht es noch sehr viel gezielte politische Arbeit, damit diese Empfehlungen auch tatsächlich mehrheitsfähig und durchgesetzt werden.
Das Projekt Bürger:innenrat für Ernährungspolitik wurde lanciert und Vision Landwirtschaft ist als Partnerorganisation dabei.
Mit dem Bürger:innenrat (BEP) wird ein Dialoginstrument geschaffen, das Stadt und Land an einen Tisch bringt. Zusammen sollen alte Gräben geschlossen und gemeinsame Lösungen für nachhaltige Ernährungssysteme aufgezeigt werden. Beim BEP kommen 100 zufällig ausgeloste, in der Schweiz wohnhafte Menschen zusammen, um gemeinsame Massnahmeempfehlungen für eine nachhaltige Ernährungspolitik der Schweiz zu erarbeiten.
Der Bürger:innenrat orientiert sich an der Leitfrage: Wie soll eine umfassende Ernährungspolitik für die Schweiz aussehen, die bis 2030 allen Menschen nachhaltige, gesunde und tierfreundliche Lebensmittel zur Verfügung stellt, die unter fairen Bedingungen für alle Beteiligten im Ernährungssystem produziert wurden?
Vision Landwirtschaft hat mit vielen anderen Partnerorganisationen die Aufgabe, das Projekt kritisch zu begleiten. Wir sind gespannt auf den Prozess und die Resultate und werden dazu auch berichten.
Während der Verlust an Kulturland durch Siedlung und Verkehrsinfrastruktur ausserhalb der Bauzone abnimmt und die Bevölkerung in dieser Zone laufend zurückgeht, wächst der Verlust an Landwirtschaftsland durch landwirtschaftliche Bauten weiter an. In den 1980er Jahren gingen in der Schweiz pro Jahr noch rund 40 Hektaren Kulturland durch die Landwirtschaft selber verloren. Heute sind es jährlich bereits fast 50 Hektaren. Dies, obwohl es immer weniger Höfe gibt. Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung belegen diese Zahlen einen dringenden Handlungsbedarf. Der Bauernverband wehrt sich jedoch gegen ein griffigeres Raumplanungsgesetz, während er sich bei anderer Gelegenheit die Ernährungssicherheit gerne auf die Fahne schreibt.
Bei einer Ernährung mit mehr Getreide, Obst und Gemüse, Eiweisspflanzen und dafür weniger Fleisch, Eier, Fisch und Milchprodukten wäre Europa im Jahr 2050 in der Lage, alle seine EinwohnerInnen aus dem eigenen Boden zu ernähren. Und dies durch eine nachhaltige, ökologische und klimafreundliche Landwirtschaft, die ohne Pestizide auskommt. Dies sind die Ergebnisse einer Studie des französischen «Instituts für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen» (IDDRI).
Um dies zu erreichen, müsste der Einsatz von Pestiziden und anderen landwirtschaftlichen Inputs wie Kunstdünger und Futtermittelzukäufe stark reduziert und stattdessen grüne landwirtschaftliche Methoden wie Fruchtfolge, Sortenwahl, minimale Bodenbearbeitung, Nützlingseinsatz u.a. praktiziert werden. Ausserdem müssten Strukturen zur Förderung der Biodiversität wieder erstellt oder erhalten werden: Hecken, Teiche, Bäume, Blumenstreifen u.a.. Gleichzeitig könnte Europa so seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent reduzieren und die Biodiversität erhalten. Die französischen WissenschaftlerInnen betonen, dieses agroökologische Szenario würde es dem europäischen Agrarsektor nicht nur ermöglichen, die europäischen VerbraucherInnen zu ernähren, sondern auch, die aktuellen Exporte für Getreide, Milchprodukte und Wein beizubehalten. Darüber hinaus würde die europäische Abhängigkeit von Agrarimporten stark reduziert.
In einem umfassenden Bericht informiert das Bundesamt für Umwelt über den Zustand der Böden in der Schweiz. Zahlreiche Aktivitäten des Menschen belasten die nicht erneuerbare Ressource Boden. Die langfristige Erhaltung der Bodenfunktionen ist dadurch in Frage gestellt. Trotz verschiedener Bemühungen erfolgt der Umgang der Schweiz mit der Lebensgrundlage Boden nicht nachhaltig. Der Bericht bildet eine wichtige Grundlage für die Bodenstrategie, die derzeit beim Bund in Erarbeitung ist.
Die Umweltbelastung der Nahrungsmittelproduktion könnte um über 50 Prozent gesenkt und der inländische Selbstversorgungsgrad um einen Drittel gesteigert werden, wenn sich die Schweizer Bevölkerung bedarfsgerechter ernähren und weniger Nahrungsmittel wegwerfen würde. Futtermittel müssten kaum mehr importiert werden. Dabei müssten wir keineswegs ganz auf Fleisch verzichten. Die Anteile an Getreide, Kartoffeln, Früchten und Nüssen würden aber grösser. Milch und Käse hätten weiterhin reichlich auf dem Speiseplan Platz.
Dies zeigt eine aktuelle Studie von Agroscope. Sie bestätigt damit frühere Modellrechnungen von Vision Landwirtschaft, gemäss denen sich die Schweiz auch heute noch - bei einem zusätzlich etwas reduzierten Kalorienkonsum – selbst ernähren könnte, und dies bei deutlich geringerer Umweltbelastung selbst im Inland. >> Zur Agroscope-Studie
Eine Halbierung des Kraftfuttereinsatzes erhöht die Milchleistung pro Kuh und die Produktivität der Milchproduktion. Dies das Resultat eines Versuchs in Süddeutschland, an dem u.a. der Forschungsbetrieb Aulendorf und die Universität Hohenheim mitgewirkt haben.
Der Bericht stellt einleitend lapidar fest: "Es ist unklar, welche Konsequenzen eine Verminderung des Kraftfuttereinsatzes hätte." Offenbar erfolgte die laufende Steigerung des Kraftfuttereinsatzes in den vergangenen Jahrzehnten ohne wissenschaftliche Grundlage und aufgrund von Hypothesen, die sich als grundlegend falsch herausstellen könnten.
Gemäss den vorliegenden Versuchsresultaten jedenfalls ist die Milchleistung bei einer Reduktion des Kraftfuttereinsatzes von 250 auf 150 gr pro Liter Milch tendenziell angestiegen. Das geringere Kraftfutterangebot wurde durch eine täglich um 1,8 kg höhere Aufnahme von Grobfutter weitestgehend kompensiert, sodass die kalkulierte Grobfutterleistung um 2159 kg Milch pro Kuh und Jahr höher war.
Ernährungssicherheit wird nicht durch einen möglichst hohen Selbstversorgungsgrad gewährleistet. Die Schweizer Landwirtschaft produziert heute so intensiv, dass sie in hohem Ausmass von Importen aus dem Ausland abhängig geworden ist. Die Entwicklung bringt nicht nur wirtschaftlich wenig Erfolg, sondern zerstört zunehmend die wichtigste Basis der Ernährungssicherheit.
(VL) Mehr als drei Viertel der Stimmenden haben am 24. September Ja zu mehr "Ernährungssicherheit" gesagt. Es war eine jener seltenen Vorlagen ohne Gegner. Das lag auch daran, dass verschiedene Interessegruppen sehr Unterschiedliches in den Verfassungstext hineindeuteten.
Soviel darf man dennoch aus dem Abstimmungsresultat lesen: Ernährungssicherheit ist der Bevölkerung ein Anliegen. Allerdings war die eigentlich zentrale Frage, was Ernährungssicherheit denn konkret heisst, so gut wie kein Thema. Diese Diskussion wird in den kommenden Jahren noch zu führen sein.
Ernährungssicherheit bedeutet, dass sich ein Land (oder die Menschheit) auch in Krisenzeiten ernähren kann. Welche Landwirtschaft brauchen wir, damit diese zentrale Leistung tatsächlich gelingt?
In einigen agroindustrienahen Kreisen bis hinauf zum Schweizer Landwirtschaftsminister wird Ernährungssicherheit mit einem möglichst hohen „Selbstversorgungsgrad“ und einer möglichst hohen Produktion gleichgesetzt. Es braucht keine eingehende Analyse um zu erkennen, dass diese Meinung schlicht Humbug ist.
Irreführende Berechnung des Selbstversorgungsgrades
Der Selbstversorgungsgrad der Schweiz mit Nahrungsmitteln ist seit vielen Jahren stabil und wird mit rund 60% angegeben. Seit Vision Landwirtschaft die enormen Futtermittelimporte in die breite Diskussion brachte, gibt der Bund jeweils auch den Netto-Selbstversorgungsgrad an. Dieser bezieht die mittlerweile weit über 1 Mio Tonnen Futtermittel mit ein, die wir zur Fütterung unserer stark überhöhten Tierbestände jährlich importieren. Dadurch sinkt der Selbstversorgungsgrad auf unter 55%.
Doch die Rechnung ist damit noch keineswegs komplett. Warum werden all die anderen Importe, welche die Schweizer Landwirtschaft für ihre Produktion aus dem Ausland einführt, nicht einbezogen? Allen voran die Energieimporte: Pro produzierte Nahrungsmittelkalorie verbraucht die hiesige Landwirtschaft gut zwei Energiekalorien aus dem Ausland – eine Energiebilanz, die schlechter ist als in den meisten umliegenden Ländern. So gesehen haben wir in der Schweiz also gar keine produzierende Landwirtschaft mehr, sondern eine konsumierende – und quasi einen negativen Selbstversorgungsgrad.
Dazu kommen Kunstdünger, Pestizide, Tierarzneimittel, der Grossteil all der Maschinen und Hilfsgeräte, von deren permanentem Import unsere Landwirtschaft wie eine Suchtkranke ebenfalls hochgradig abhängig vom Ausland ist und die unsere Ernährungssicherheit in Krisenzeiten noch weiter in Frage stellen. Dabei zerstören die permanenten Inputs zunehmend unsere wichtigsten Ressourcen für die Nahrungsmittelproduktion, nämlich die Bodenfruchtbarkeit und gesunde, robuste Ökosysteme. So ziehen wir der Landwirtschaft mit der immer weiter hochgedopten Produktion quasi den Boden unter den Füssen weg. Dies zeigt: Die Höhe des – bisher reichlich willkürlich berechneten – Selbstversorgungsgrades ist völlig ungeeignet ist, um die Ernährungssicherheit objektiv zu bewerten.
Importabhängige Landwirtschaft: Profite für Industrie und Handel statt Bäuerinnen und Bauern
Die enorme Input-Abhängigkeit führt im übrigen auch wirtschaftlich in ein Desaster. Weil die Schweizer Landwirtschaft dermassen viel für all ihre Vorleistungen ausgibt, verdient sie seit 2012 aus der Produktion, ihrem Kerngeschäft, keinen Rappen mehr – trotz beträchtlichem Grenzschutz. Was den Bäuerinnen und Bauern unter dem Strich an Einkommen bleibt, sind gerade noch knapp die staatlichen Direktzahlungen. Eine Landwirtschaft, die mehr Ausgaben als Einnahmen generiert, kann kaum als krisensicher bezeichnet werden.
Ja für eine Weichenstellung Richtung nachhaltiger Landwirtschaft
Das Ja zur Ernährungssicherheit kann aus sachlicher Warte also nur als ein Ja verstanden werden für eine Entziehungskur von all den Inputs, mit denen wir die landwirtschaftliche Produktion hochgedopt und damit immer teuer, abhängiger, ineffizienter und umweltschädlicher gemacht haben. Weitere Volksabstimmungen, allen voran die Trinkwasserinitiative, werden in den kommenden Jahren den gesellschaftlichen Druck noch erhöhen, dass die Weichen in Richtung eines wieder nachhaltigen, auf die eigenen Ressourcen bauenden Ernährungssystems gestellt werden.
PS: Gibt es Auswege aus der Intenvisierungssackgasse? Es ist noch längst nicht Hopfen und Malz verloren. Vielmehr liesse sich die Produktionseffizienz mit verfügbaren Lösungen massiv verbessern und damit der Selbsternährungsgrad auf ein im Hinblick auf Krisenzeiten vertretbares Mass erhöhen. Dies zeigte eine Studie von Vision Landwirtschaft kürzlich auf. Allein das enorm ineffiziente Verfüttern von Kraftfutter an Milchkühe vernichtet in der Schweiz Nahrungsmittel für rund 2 Mio Menschen. Zwei weitere, enorm wirksame Hebel wären eine Reduktion des Fleischkonsums auf einen Drittel – also den Wert, welcher die WHO aus gesundheitlichen Gründen empfiehlt – und die Vermeidung von Foodwaste, bei welchem derzeit über ein Drittel der Nahrungsmittel zwischen Feld und Teller verloren gehen. Vision Landwirtschaft setzt sich mit verschiedenen praxisnahen Projekten für eine ernährungssicherere, effizientere und wirtschaftlichere Nahrungsmittelproduktion ein.
Ein Streitgespräch zwischen Mathias Binswanger, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, und Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft.
Bei der Initiative zur Ernährungssicherheit propagiert der Schweizer Bauernverband (SBV) mit viel PR-Aufwand den Kulturlandschutz. Wenn's um die eigene Klientel geht, gilt das Gegenteil. Bauen ausserhalb der Bauzone soll für die Landwirtschaft ungebremst möglich sein. Dies sei für die wirtschaftliche Entwicklung der Bauernhöfe unumgänglich. Die Landwirtschaft gehört zum grössten Kulturlandfresser. Im Kanton Thurgau beispielsweise gehe 85% des Bodenverbrauchs ausserhalb der Bauzone auf's Konto landwirtschaftlicher Bauten. Immer mehr Bauten haben nichts mehr mit bodenabhängiger Bewirtschaftung zu tun.
Werden Torfböden intensiv genutzt, forciert dies den Torfabbau. Die Böden lösen sich buchstäblich in Luft auf. Über ein Zentimeter fruchtbarer Boden kann so jedes Jahr unwiderbringlich verloren gehen. Dabei entstehen Unmengen an CO2. Würde dieses Klimagas mit den im Verkehr üblichen Kosten belegt, würde die Nutzung einer Hektare Moorboden jedes Jahr mit 2000 Franken zu Buche schlagen.
Für die Ernährungssicherheit, also die Erhaltung wertvollen, fruchtbaren Bodens für Krisenzeiten, und für eine klimaschonende Produktion gäbe es nur eine Lösung: Moorböden konsequent von einem intensiven Acker- und Gemüsebau ausschliessen, die Nutzung auf Dauerwiesland umstellen oder, noch schonender, eine Wiedervernässung zum ursprünglichen, ökologisch wertvollen Zustand einleiten.
Bauernverband und Parlament wollen die Ernährungssicherheit in der Verfassung festschreiben. Die Schweizer Landwirtschaft soll noch mehr produzieren, und der Staat soll sie dabei noch mehr unterstützen. Doch diese Rechnung geht längst nicht mehr auf. Die Nahrungsmittelproduktion ist in der Schweiz nur deshalb so hoch, weil die Landwirtschaft dazu immer mehr aus dem Ausland importiert - Futtermittel, Energie, Dünger, Maschinen. Die überintensive Produktion hat wenig mit Ernährungssicherheit und eigentlicher Landwirtschaft zu tun, aber viel mit Veredelungsindustrie und ökologischen Folgeschäden.
Besonders weit fortgeschritten ist die Importabhängigkeit der Schweizer Landwirtschaft bei der Fleischproduktion. Ohne die - jedes Jahr weiter zunehmenden - Futtermittelimporte könnte nur halb so viel Fleisch produziert werden in der Schweiz. Bei Poulets und Eiern stammen gar fast drei Viertel der Kalorien aus dem Ausland, beispielsweise in Form von Soja aus Brasilien. Wann ist ein "Schweizer Ei" noch ein Schweizer Ei?
Um die Ernährung der Menschheit zu sichern, so die weit verbreitete These, müssen zwingend die landwirtschaftlichen Erträge gesteigert werden. Bei genauer Betrachtung der komplexen Zusammenhänge zeigt sich aber, dass eine weitere Produktionsintensivierung für Länder mit einer „high-input"-Landwirtschaft die ineffizienteste und schädlichste Strategie zur Sicherung der Ernährung ist.
In Ländern wie der Schweiz mit einer intensiven landwirtschaftlichen Produktion leistet eine weitere Ertragssteigerung keinen Beitrag zur Sicherung der nationalen Ernährungssicherheit noch zur Welternährung, im Gegenteil. Doch davon war in einem früheren Newsletter die Rede (November 2015). Hier soll es um die Frage gehen: Gibt es denn überhaupt Alternativen? Tatsächlich mangelt es nicht an solchen. Die vier wichtigsten sind nicht nur viel kostengünstiger, sondern auch schneller wirksam, nachhaltiger, gesundheits- und umweltfreundlicher als weitere Ertragssteigerungen.
1. Bessere Verteilung und besserer Zugang zu Nahrungsmitteln: Während in Industrieländern Nahrungsmittelüberschüsse bestehen, die Bevölkerung an Übergewicht leidet und Steuermittel investiert werden, um die negativen Auswirkungen der nicht marktgerechten Produktion auf die Produzentenpreise abzudämpfen, leiden Entwicklungs- und Schwellenländer an Nahrungsmittelknappheit und Unterernährung. Würden die Nahrungsmittel bedarfsgerecht verteilt und zur Verfügung stehen, würden auf der Erde nicht über 900 Millionen unterernährte Menschen leben, sondern es könnte mit den jetzt verfügbaren Nahrungsmitteln eine zusätzliche Milliarde Menschen ernährt werden. Für die ungleiche Verteilung der Nahrungsmittel trägt die Schweiz eine Mitverantwortung, beispielsweise mit ihren – versteckten wie direkten – Exportsubventionen
2. Nahrungsmittelverschwendung (food waste) minimieren: Ein Drittel der Lebensmittel, die für den Schweizer Konsum produziert werden, geht zwischen Acker und Gabel verloren. Dies entspricht einer Menge von rund zwei Millionen Tonnen einwandfreier Lebensmittel, die jedes Jahr in der Schweiz vernichtet werden. Diese Verluste wären zu einem guten Teil vermeidbar. Sie betragen ein Mehrfaches der möglicherweise etwas geringeren Erträge, die beispielsweise durch eine Reduktion des Pestizideinsatzes oder eine nachhaltigere Produktion resultieren könnten.
3. Fleischkonsum auf ein gesundheitsverträgliches Mass reduzieren: Die Produktion von tierischem Eiweiss – sei es in Form von Fleisch, Milch oder Eiern – auf ackerfähigem Land ist eine sehr ineffiziente Art und Weise der Nahrungsmittelproduktion. Ackerfrüchte direkt für die menschliche Ernährung anzubauen wäre 5-30 Mal effizienter, als die gleiche Kalorienmenge über den Umweg der Fleischproduktion zu produzieren. Würde das verfügbare Ackerland weltweit direkt für die menschliche Ernährung genutzt, könnten 4 Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden. Allein diese Massnahme würde mehr als ausreichen, um die zukünftige Menschheit am Punkt des prognostizierten Bevölkerungsmaximums zu ernähren.
Auch in der Schweiz liegt der Fleischkonsum weit über dem ökologisch tragbaren und gesundheitsverträglichen Mass. Mit rund 65 kg pro Jahr isst der Schweizer, 20 Mal so viel Fleisch wie der durchschnittliche Inder. Der Durchschnittsschweizer isst damit dreimal so viel Fleisch wie die medizinisch empfohlenen rund 300gr pro Woche. Würde der Fleischkonsum in der Schweiz auf dieses Niveau gesenkt, könnte das Land den Selbstversorgungsgrad allein mit dieser Massnahme von derzeit knapp 60% auf 80-100% erhöhen. 300 gr pro Person entsprechen gerade derjenigen Fleischmenge, die sich auf dem Grasland der Schweiz nachhaltig produzieren lässt – also da, wo eine Produktion einzig über grasfressende Nutztiere möglich ist und kein Ackerland die menschliche Ernährung direkt konkurrenziert.
4. Besonders ineffiziente Produktionsmethoden wie die Milchproduktion mittels Kraftfutter eliminieren: Zu den beiden ineffizientesten Produktionsmethoden in der Schweiz gehört die Mutterkuhhaltung auf ackerfähigen Flächen und die Milchproduktion aus Futtermittelimporten. Allein das Kraftfutter, das – zu einem guten Teil aus dem Ausland importiert und teils unter sehr problematischen Bedingungen produziert – den Schweizer Milchkühen vorgesetzt wird, benötigt Ackerflächen, auf denen netto 2 Millionen Menschen zusätzlich ernährt werden könnten. Das ist ein Viertel der Schweizer Bevölkerung. Ein Kraftfutterverzicht würde die Milchproduktion gerade ungefähr um jene Menge reduzieren, die dem heutigen Marktüberschuss entspricht. Entsprechende Bemühungen würden nicht nur den effektiven Kalorienertrag für die menschliche Ernährung viel stärker erhöhen als eine weitere Ertragssteigerung. Sie könnten auch viel kurzfristiger umgesetzt werden und würden darüber hinaus zusätzliches Einkommen aus der Primärproduktion generieren. Fazit
Es gibt Massnahmen, die den Selbstversorgungsgrad und die Versorgungssicherheit um ein Vielfaches stärker und kostengünstiger erhöhen können, als eine intensive, auf hohe Erträge fixierte Produktion, die gleichzeitig hohe Umweltschäden verursacht und das Produktionspotenzial der Böden mindert. Zu diesen wirksamen Massnahmen gehören Bemühungen, die bei der Nahrungsmittelverschwendung, beim Fleischkonsum und bei der effizienteren Nutzung der Ressourcen ansetzen. Solche Massnahmen müssen in Zukunft im Zentrum der agrarpolitischen Bemühungen um die Ernährungssicherung in der Schweiz stehen und die heutige sachlich unhaltbare Fixierung auf möglichst hohe Erträge und weitere Ertragssteigerungen ablösen. Dadurch ergeben sich grosse Spielräume für eine nachhaltigere, umweltfreundlichere Produktion, welche zugleich die Produktionsgrundlagen erhält und verbessert, statt sie zunehmend zu degradieren.
(VL) Die Schweizer Demokratie erlebt bewegte Zeiten. Vor gut einer Woche liess die SVP die Schweizer Bürgerinnen und Bürger über eine Initiative abstimmen, die seitenlange, alle Details minutiös regelnde Gesetzes- und Verordnungstexte in die Verfassung schreiben wollte. Und parallel dazu lässt der Schweizer Bauernverband SBV das Parlament und seine Kommissionen wochenlang über eine Initiative diskutieren, über die bis heute gerätselt wird, was sie eigentlich will. Beides hat die direkte Demokratie der Schweiz noch nie erlebt in ihrer 150-jährigen Geschichte.
Was steckt hinter dem Rätsel der SBV-„Ernährungssicherheitsinitative“, und was würde sich die Schweiz bei einer Annahme einhandeln?
Initiativtext wiederholt bestehende Verfassung
Die Frage müsste sich eigentlich aus dem Initiativtext klären lassen. Doch im Initiativtext steht nichts, was nicht bereits in der Verfassung steht – vielleicht mit Ausnahme einer Passage, welche einen Abbau der Bürokratie fordert. Diese Forderung ist allerdings unbestritten und wird von der Verwaltung mit einem eigenen Projekt ohnehin bereits vorangetrieben. Warum also verwendet der Bauernverband Millionenbeträge seiner Mitglieder und der ihn unterstützenden Landwirtschaftsindustrie für einen Text, der die Verfassung lediglich um Doppelspurigkeiten verlängern würde?
Jedem was er will
Bis heute hat sich der Bauernverband standhaft geweigert, schlüssig zu sagen, was er mit seiner Initiative will. Bei der generalstabsmässig organisierten Unterschriftensammlung auf der Strasse wurde geworben mit einer Stärkung der nachhaltigen einheimischen Produktion, mit Edelweiss-Bauernhemden und Hornkühen. Wer ist nicht für eine solche Landwirtschaft? Nicht umsonst kamen die Unterschriften rasch zusammen. Zur genau gleichen Zeit brachte Bauernverbandspräsident Markus Ritter an Bauernversammlungen seine Basis auf Kurs, indem er mahnte, dass die Ökologisierung der Schweizer Agrarpolitik endlich wieder zurückgedreht werden müsse mithilfe der Initiative. Und den Konsumenten wird in den regelmässigen Medienauftritten des SBV-Präsidenten weisgemacht, dass ihnen die Initiative auch in Zukunft gesunde einheimische Nahrungsmittel garantieren werde. Die Umweltorganisationen werden mit einer Passage zum Kulturlandschutz geködert. Dass Markus Ritter gleichzeitig in einem Komitee aktiv war, das bei einer Abstimmung im Kanton St. Gallen gegen den Kulturlandschutz eintrat, war für den SBV kein Problem. Jeder erhält vom Bauernverband genau diejenige Antwort auf seine Fragen, welche er oder sie hören will.
SBV als Vorkämpfer einer industrialisierten Landwirtschaft
Kein Verband hat in den letzten Jahrzehnten energischer und mit mehr Geld gegen alle Bemühungen gekämpft, die eine nachhaltigere Schweizer Landwirtschaft und die Erhaltung bäuerlicher Strukturen zum Ziel hatten. Kein Verband hintertreibt stärker den Kulturlandschutz, wenn es darum geht, den Gewinn aus bäuerlichem Baulandverkauf sicherzustellen oder grosszügige Bauten der Landwirtschaft auf dem Kulturland durchzubringen. Und jetzt will sich derselbe Verband plötzlich mit einer eigenen Initiative für eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft und für Kulturlandschutz einsetzen?
Die Antwort auf das Rätsel verrät einen neuen basisdemokratischen Trick. Die eigentlichen Anliegen des SBV wären niemals mehrheitsfähig. Kaum ein Bürger will eine immer intensiver und industrieller produzierende, hoch subventionierte, staatsabhängige und abgeschottete Landwirtschaft nach dem Gusto des SBV (auch viele Bauern nicht!). Kaum jemand will zur alten Agrarpolitik mit ihren Pauschalzahlungen und ihren milliardenschweren Fehlanreizen zurück. Weil sich für solche Anliegen keine Mehrheiten finden lassen, heckten die findigen SBV-Strategen einen Initiativtext aus, der nichtssagend nirgends aneckt und möglichst viel Interpretationsspielraum offen lässt.
Katze bleibt bis zur Annahme im Sack
Würde die Initiative angenommen, kann der SBV dann endlich die lange sorgsam gehütete und ruhig gehaltene Katze aus dem Sack lassen und klar machen, wie die Initiative zu verstehen sei. Was auch immer in der Agrarpolitik alsdann an Entscheidungen ansteht, der SBV wird auf den Volkswillen verweisen und das Parlament und die Verwaltung daran erinnern, dass die SBV-Initiative ja angenommen worden sei und die Agrarpolitik nun nach dem Gusto des Verbandes zu realisieren sei. Dass im Vorfeld niemand wusste, was die Initiative will und damit von einem Volkswillen nicht die Rede sein kann, wird schnell vergessen sein.
Abstimmung im Nationalrat
Man darf auf das Resultat morgen im Nationalrat gespannt sein. SP und GLP haben sich als erste geweigert, das Spiel mitzuspielen. Die Grünen sind noch unschlüssig und hoffen auf einen Handel, dass der Bauernverband ihre eigene Initiative unterstützt, wenn sie im Gegenzug bei seiner Initiative mithelfen. Die SVP-Fraktion, die ohnehin fast deckungsgleich mit dem SBV politisiert, hat ihre Ja-Parole bereits gefasst. Den Ausschlag geben dürfte am Schluss die FDP, welche bisher teilweise standhaft blieb, weil sie bei Annahme der Initiative eine weitere Marktabschottung befürchtet.
Unklar bleibt auch, inwieweit Parlamentarier aus dem Berggebiet dem Druck des SBV nachgeben werden. Denn die Berglandwirtschaft, die von der Agrarreform stark profitiert hat, würde mit Sicherheit zu den Verlierern einer Annahme der Initiative gehören.
Basisdemokratischer Schlaumeierei eine Abfuhr erteilen
Nach der Durchsetzungsinitiative, welche das bisherige System der direkten Demokratie auszuhebeln versuchte, indem sie Gesetze und Verordnungen gleich direkt in die Verfassung schreiben wollte, ist die Ernährungssicherheitsinitiative ein weiterer Versuch, mit einem Trick den Volkswillen für die eigenen Interessen zu missbrauchen – mit einem Initiativtext, der es allen recht macht und der vom Urheber erst nach Annahme der Initiative so interpretiert werden wird, wie es ihm vorschwebt. Es wäre wünschbar, dass bereits die Parlamentarier und nicht erst das Volk diesem Missbrauch der Basisdemokratie eine klare Abfuhr erteilen.
Vier Gründe, warum die Ernährungssicherheitsinitiative abzulehnen ist:
Die Initiative schafft Verwirrung und Unsicherheit: Der Text ist ausgesprochen vage und bringt gegenüber der bestehenden Verfassung nichts Neues, sondern schafft Doppelspurigkeiten.
Die Initiative ist eine Mogelpackung: Der Bauernverband hat sich bisher geweigert, Klartext zu reden, was er mit der Initiative will. Er wird den Initiativtext erst nach seiner allfälligen Annahme ausdeuten und dann die Politik und Verwaltung nach seiner Interpretation mit Verweis auf "den Volkswillen" unter Druck setzen.
Die Landwirtschaft braucht keine Verfassungsdebatte: Die bestehende Verfassungsgrundlage geniesst im Bereich Landwirtschaft ausserordentlich hohe Akzeptanz. Diese auf's Spiel zu setzen und mit einer vagen Initiative Unsicherheit zu schaffen ist fahrlässig und das Letzte, was die Landwirtschaft jetzt brauchen kann.
Die Initative entzweit die Landwirtschaft: Viele bäuerliche Organisationen lehnen die Initiative ab, andere stehen ihr äusserst skeptisch gegenüber. Uneinigkeit schadet der Landwirtschaft und kostet sie Energie, die sie dringend für konstruktive Auseinandersetzungen um ihre Zukunft braucht.
Das Faktenblatt 5 zur Versorgungssicherheit hat ein breites Medienecho ausgelöst. Nur die bäuerlichen Medien berichteten mit keinem Wort darüber. "Die Bauern hätten an diesen Aussagen keine Freude" meinte ein leitender Redaktor dazu auf Anfrage. Immerhin akzeptierte die Bauernzeitung einen Meinungsbeitrag von Vision Landwirtschaft, in welchem die wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Studie zur Versorgungssicherheit zusammengefasst sind.
Für Ernährungssicherheit müsse der Staat intensiv produzierende Bauern fördern - so die konservative Ansicht. Eine neue Studie von Vision Landwirtschaft legt das Gegenteil nahe. Der Tages-Anzeiger stellt sie vor.
Möglichst viel zu produzieren ist zum wichtigsten Ziel einiger bäuerlicher Organisationen geworden. Auch der Bund fördert mit Pauschalsubventionen, Anbauprämien und Grenzschutz eine laufend steigende Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz. Begründet wird dies mit der Versorgungssicherheit. Doch eine hohe Produktion in Normalzeiten garantiert nicht eine sichere Ernährung im Krisenfall. Im Gegenteil, sie kann diese sogar gefährden. Das ist der Fall, wenn die Produktion immer stärker von Importen - beispielsweise Futtermitteln, Energie, Maschinen, Dünger, Pestiziden - abhängt oder wenn sie die Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt. Zudem leiden die Produzentenpreise unter der zu hohen Produktion. Wie viel Produktion ist für die Versorgungssicherheit nötig und tragbar? Dieser Frage geht das neue Faktenblatt von Vision Landwirtschaft nach. Die Resultate von Szenarienrechnungen zeigen: Die Versorgungssicherheit kann mit einer um 10-20% geringeren Produktion besser gewährleistet werden - solange das Landwirtschaftsland nicht weiter abnimmt.
Der Grossteil des Obstes der Äpfel- und Birnen-Hochstammbäume wird für die Produktion von Most verwendet. Doch der Preis von Mostobst ist seit vielen Jahren so tief, dass sich eine Ernte nur unter ganz speziellen Bedingungen bei hohem Mechanisierungsgrad einigermassen lohnt. Das vergällt den Produzenten die Freude am ökologisch wertvollen Hochstamm-Obstbau. Rechtzeitig zur Obsternte erscheinen in den bäuerlichen Medien jeweils Artikel, welche den Mostobstüberschuss als Ursache dafür beklagen und die Hochstammförderung kritisieren.
Was meist nicht gesagt wird: Der Überschuss geht mittlerweile allein auf massive Überkapazitäten bei den Niederstamm-Obstkulturen zurück. Bei den Tafeläpfeln dürfte ein Drittel der Ernte aus den Niederstammkulturen als Überschuss anfallen. Dieser wird den Mostereien zugeführt und konkurrenziert dort direkt das – qualitativ hochwertigere – Mostobst aus dem Hochstammobstbau. Davon gebe es keinen Überschuss, im Gegenteil, mangels Bäume im Ertragsalter würden bereits Engpässe sichtbar. Aber der Preis werde eben durch den Überschuss aus der Tafelobstproduktion gemacht. Ein marktorientierter Hochstammobstbau ist unter diesen Voraussetzungen fast nicht möglich.
Der Schweizer Bauernverband (SBV) startet heute mit der Unterschriftensammlung für seine "Volksinitiative für Ernährungssicherheit". Damit will er "die Versorgung der Schweizer Bevölkerung mit vielfältigen, einheimischen Nahrungsmitteln langfristig erhalten". Genau das will die Verfassung und Politik schon heute. Was also bezweckt der SBV mit seiner Initiative?
(VL) Die Forderungen der Initianten sind weitgehend unumstritten. Ja mehr noch: Sie sind durch den vorhandenen Verfassungsartikel und das Landwirtschaftsgesetzt bereits bestens abgedeckt. In der Verfassung steht schon jetzt, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leisten soll.
Den Initianten geht es denn auch um anderes. Am ehesten erschliessen sich ihre Motive aus einem älteren Initiativtext, den eine Gruppe um SVP-Nationalrat Rudolf Joder und SVP-Grossrat Samuel Graber gemeinsam mit Parteipräsident Toni Brunner am 5. November 2013 den Medien vorgestellt hatte. Darin wurde klar formuliert, wie die Politik neu zu akzentuieren ist. Die zentrale Bestimmung war: "Dabei ist ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad der Bevölkerung zu erreichen." Über das Vehikel des Selbstversorgungsgrades soll – darin sind sich SVP und SBV uneingeschränkt einig – der weiteren Intensivierung der Schweizer Landwirtschaft neuer Schub vermittelt werden und die Reform der Agrarpolitik 2014-17, welche etliche Exzesse wie die Milchüberproduktion mit importiertem Kraftfutter etwas einschränken wird, wieder zurückgedreht werden.
Darauf weist auch das Argumentarium zur Initiative hin, und der SBV scheut sich nicht, mit irreführenden Aussagen zu operieren. Da steht ein Titel: "Sinkende Tendenz des Selbstversorgungsgrads". Der Selbstversorgungsgrad lag nach der üblichen Berechnungsweise über die letzten zwanzig Jahre konstant bei rund 60 Prozent. Im letzten verfügbaren Jahr (2011) lag der Wert gemäss Agrarbericht 2013 des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) sogar besonders hoch: bei 64 Prozent. Zahlenquelle: Schweizer Bauernverband.
Produktion weiter ankurbeln?
Die Produktion, die trotz abnehmendem Kulturland noch nie so hoch war wie heute, weiter anzuheizen, ist aus Sicht einer umweltschonenden, bäuerlichen Landwirtschaft verantwortungslos und für die Ernährungssicherheit sogar kontraproduktiv:
Die Schweizer Landwirtschaft produziert schon heute weit mehr, als mit den eigenen Produktionsgrundlagen möglich ist. Die Steigerung der "inländischen" Produktion im Sinn der Initianten würde heissen: noch mehr Futtermittel, Dünger und Energie aus dem Ausland importieren. Das würde die Landwirtschaft noch mehr als heute schon vom Ausland abhängig und damit krisenanfälliger machen.
Die weitere Steigerung der inländischen Produktion im Sinn der Initianten würde die unverändert hohen Umweltdefizite der Schweizer Landwirtschaft weiter vergrössern und damit das wichtigste Gut der Schweizer Landwirtschaft, nämlich ihre eigene Produktionsgrundlage, weiter schädigen. Schon heute gehören Bodenverdichtung, zu hoher Pestizideinsatz und Bodenerosion als Folge zu intensiver Bewirtschaftung zu den grössten Problemen der Schweizer Landwirtschaft. Diese Entwicklung schwächt die Ernährungssicherheit unwiderbringlich, beeinträchtigt darüber hinaus die Qualität der produzierten Lebensmittel und gefährdet nicht zuletzt das Image der Schweizer Landwirtschaft.
Bei zunehmender Bevölkerung ist ein zunehmender Import von gewissen Nahrungsmitteln aus globaler Sicht durchaus vertretbar. Wie der SBV in seinem Argumentarium selber schreibt, steht im nahen Ausland pro Kopf gerechnet ein Mehrfaches an Ackerfläche zur Verfügung.
Offene Fragen an die Initianten
Wer denkt, dass es bei dieser Initiative vielleicht doch um Ernährungssicherheit geht, stellt den Initianten am besten ein paar Fragen:
Was müssten der Bundesrat oder das Parlament konkret anders machen, um die Initiative zu erfüllen?
Ist eine weitere Steigerung der Produktion nach wie vor ein Ziel der Initiative?
Ist der SBV bereit, sich für eine verminderte Produktionsintensität einzusetzen, wenn damit die Produktionsgrundlagen für Krisenzeiten besser erhalten werden können?
Die Antworten werden zeigen, ob der SBV tatsächlich um die Ernährungssicherheit besorgt ist, ob es ihm genügt, mit einer inhaltslosen Vorlage Präsenz zu markieren, oder ob es sich um eine veritable Mogelpackung handelt, die auf eine teure und ineffiziente Turbo-Landwirtschaft abzielt, die der Ernährungssicherheit nicht nützt, sondern schadet. Initiativtext
Die Bundesverfassung wird wie folgt geändert:
Art. 104a Ernährungssicherheit 1 Der Bund stärkt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion; dazu trifft er wirksame Massnahmen insbesondere gegen den Verlust von Kulturland einschliesslich der Sömmerungsfläche und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie.
2 Er sorgt dafür, dass der administrative Aufwand in der Landwirtschaft gering ist und die Rechtssicherheit und eine angemessene Investitionssicherheit gewährleistet sind.
Art. 197 Ziff. 11 11. Übergangsbestimmung zu Art. 104a (Ernährungssicherheit) Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung spätestens zwei Jahre nach Annahme von Artikel 104a durch Volk und Stände entsprechende Gesetzesbestimmungen.
Vorschläge zur Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Direktzahlungssystems der Schweiz – ein Vergleich auf der Basis von Modellrechnungen.
Der Reformvorschlag des Bundesrates zur Agrarpolitik 2014–2017 enthält wesentliche Verbesserungen gegenüber dem heutigen Direktzahlungssystem. Wie ein Detailvergleich mit dem Vorschlag von Vision Landwirtschaft zeigt, schöpft er aber das Optimierungspotenzial zugunsten der Landwirtschaft und der Umwelt bei weitem nicht aus.
Eine nachhaltige Landwirtschaft ist nicht ohne den nachhaltigen Konsumenten mög- lich. Ein Schlüsselfaktor ist dabei unser Fleischkonsum. Eine Reduktion um die Hälf- te würde zahlreiche Umweltprobleme der Landwirtschaft auf einen Schlag lösen. Genau dies forderten Wissenschafter an einer internationalen Konferenz.
Das 2010 von Vison Landwirtschaft herausgegebene "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" legte einen entscheidenden Grundstein für die wieder in Gang gekommenen Reformbemühungen der Schweizer Landwirtschaftspolitik. Die erste Auflage des Buches war innert weniger Monate ausverkauft. Die zweite Auflage ist hier erhältlich.
Die Anfangs der 1990er Jahre auf Druck verschiedener Volksinitiativen eingeleitete Agrarreform kam während zwei Jahrzehnten kaum vom Fleck. Der Grossteil der damals eingeführten agrarpolitischen Instrumente wurden den damals gesetzten Zielen und dem neuen landwirtschaftlichen Verfassungsartikel von 1996 nicht gerecht. Öffentliche Mittel in Milliardenhöhe wurden nicht verfassungskonform eingesetzt und schadeten der Zukunftsfähigkeit, der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit der Schweizer Landwirtschaft in unverantwortlicher Weise.
Diese Missstände werden im Weissbuch Landwirtschaft Schweiz, von Vision Landwirtschaft schon kurz nach seiner Gründung herausgegeben, umfassend und schnörkellos aufgearbeitet. Das allgemeinverständliche, mit zahlreichen Grafiken illustrierte Buch bleibt aber nicht bei der Kritik stehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Vorschlägen, die konkret aufzeigen, welche Reformen für eine verfassungsmässige, zukunftsfähige Agrarpolitik unumgänglich sind. Mit detaillierten Modellrechnungen werden die Auswirkungen auf die verschiedenen agrarpolitischen Zielbereiche aufgezeigt. Die Resultate belegen ein unerwartet grosses Optimierungspotenzial und zeigen, dass damit die gesetzten politischen Ziele im Rahmen des jetzigen Agrarbudgets erreicht oder sogar übertroffen werden – bei mittelfristig höherem Einkommen und höherer Nettoproduktion der Landwirtschaft.
Mit seinen Analysen und Vorschlägen legte das Weissbuch Landwirtschaft einen entscheidenden Grundstein für die Reformschritte, welche in den Jahren 2012-2013 mit der "Agrarpolitik 2014-17" eingeleitet wurden. Und es wird weiterhin eine Referenz bleiben für die noch bevorstehenden agrarpolitischen Debatten, die zur Behebung der verbliebenen Defizite unumgänglich sind.
Das "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" ist im Buchhandel erhältlich oder über das Vereinssekretariat. Mitglieder von Vision Landwirtschaft erhalten 30% Rabatt auf den regulären Preis im Buchhandel.