Agrarpolitik und Direktzahlungen: Weg von den schädlichen Pauschalzahlungen
Die Schweiz unterstützt ihre Landwirtschaft mit einem Vielfachen an Geldmitteln im Vergleich mit den umliegenden Ländern. Doch nur ein kleiner Teil dieser jährlichen Milliardenbeträge wird für die klar definierten Ziele des Landwirtschaftsartikels 104 in der Bundesverfassung eingesetzt. Der grosse Rest wird ohne konkrete Gegenleistung pauschal verteilt. Dies widerspricht nicht nur der Verfassung, sondern schadet der Landwirtschaft in vielfältiger Weise. So sind die Schweizer Bauernbetriebe in eine staatliche Abhängigkeit geraten, die international ihresgleichen sucht und die ihr selber und der Umwelt gravierenden Schaden zufügt.
Seit vielen Jahren weist Vision Landwirtschaft in Newslettern, Studien oder Faktenblättern darauf hin, welches ökonomische und ökologische Desaster die Agrarpolitik mit ihren enorm hohen Pauschalzahlungen und den betragsmässig noch höheren Preisstützungen anrichtet. Das zu viele staatliche Geld verleitet die Bauernbetriebe zu einer zu teuren, zu intensiven, umweltschädlichen, wenig marktgerechten und immer mehr vom Staat abhängigen landwirtschaftlichen Produktion.
Die staatlich angeheizten Produktionskosten haben im Jahr 2009 die Einnahmen aus der Produktion erstmals überholt - trotz dem starken Grenzschutz der Produzentenpreise. Seither schreiben die Schweizer Bauernbetriebe unter dem Strich mit ihrer Produktion, also ihrem eigentlichen Geschäft, Defizite. Nur dank den Direktzahlungen generieren sie noch ein Einkommen.
Diese Situation ist für die Landwirtschaft ein ökonomisches Desaster, das international in diesem Ausmass einzigartig ist und das die Schweizer Agrarpolitik als treibende Kraft hauptverantwortlich mitverursacht hat.
Auch für die Umwelt und die Produktionseffizienz resultieren aus dieser Politik vielfältige untragbare Folgen. Der Energiebedarf der Schweizer Landwirtschaft ist massiv höher als im Ausland - für die Produktion von einer Nahrungsmittelkalorie benötigen wir 2,5 zum grössten Teil importierte, nicht erneuerbare Erdöl- und Stromkalorien. Die Traktorendichte ist ein vielfaches höher als unter vergleichbaren Bedingungen in den Nachbarländern. Bei den Ammoniakemissionen liegt die Schweiz als Folge der viel zu hohen, staatlich geförderten Tierbestände weltweit an der Spitze - fast flächendeckend werden in den Landwirtschaftsgebieten die gesetzlich zulässigen Werte überschritten.
Vision Landwirtschaft setzt sich mit Aufklärungsarbeit und konkreten, umsetzbaren Forderungen in Medien und Politik für grundlegende Reformen in der Schweizer Agrarpolitik ein.
Der Verkauf und die Anwendung von Pflanzenschutzmittel und die Verwendung von Düngemitteln muss gemeldet werden. Das war ein Punkt der Parlamentarische Initiative 19.475, vom Parlament 2021 als indirekter zur Trinkwasser- und zur Pestizidfrei-Initiative angenommen wurde. Das Bundesamt für Landwirtschaft ist daran, dafür eine Webanwendung zu entwickeln. Doch der Schweizer Bauernverband stellt sich quer und der Nationalrat hat in der Herbstsession eine Motion angenommen, welche die Landwirtschaft von der Mitteilungspflicht ausnehmen will. Das würde jedoch auch den Bäuerinnen und Bauern schaden.
digiFLUX ist eine Webanwendung, um die Mitteilungspflicht über den Handel und die Ausbringung von Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen zu erfassen. Der Name setzt sich zusammen aus digital und flux, dem englischen Wort für Fluss. Der Bund entwickelt Digiflux, um die Mitteilungspflicht umzusetzen, die von der Parlamentarische Initiative 19.475 verlangt wurde. Diese wurde vom Parlament 2021 als indirekter Gegenvorschlag zur Trinkwasser- und zur Pestizidfrei-Initiative angenommen.
Die Projektleitung hat das Bundesamt für Landwirtschaft BLW. Nun stellt sich der Bauernverband quer und findet den Aufwand für die Landwirte unzumutbar und verlangt, dass sie deshalb von der Erfassung ihrer Daten auszunehmen seien. Notabene dieselben Landwirte, von denen der Bauernverband mit Stolz berichtet, wie sie mit neusten Traktoren und mit Nutzung von Geodaten punktgenau ihre Felder bestellen.
Der Nationalrat hat in seiner kürzlich beendeten Session die Motion Kolly (24.3078), die «eine Aufhebung der Pflicht für die Verwendung von DigiFLUX für Landwirtschaftsbetriebe» fordert, angenommen. Bundesrat Guy Parmelin hat in seinem Votum während der Debatte sehr klar das Parlament an seinen Auftrag von 2021 erinnert und vor allem betont, dass eine Annahme der Motion Kolly gegen Treu und Glauben verstosse und auch das Gleichheits-Prinzip missachte, da alle anderen Beteiligten ihre Daten in die Datenbank einspeisen müssen. Leider konnte Bundesrat Parmelin die Mehrheit des Parlamentes mit seinen Argumenten nicht überzeugen. (Video des Votums BR Parmelin in Französisch https://www.parlament.ch/de/ratsbetrieb/amtliches-bulletin/amtliches-bulletin-die-videos?TranscriptId=344464
Von der Sache her ist diese Datenbank dringend nötig, da in der Schweiz die Datenlage äusserst dürftig ist, wenn es darum geht, Massnahmen für eine wirksame Reduktion des Pestizideinsatzes und der Pestizidbelastung herzuleiten. Bisher hat einzig der Handel verlässliche Daten geliefert, die direkten Anwender jedoch nicht. Vor allem für die Forschung, u.a. zu den gesundheitlichen Risiken für die Anwender, fehlt es an Daten. Aufgrund von Erhebungen aus dem nahen Ausland ist davon auszugehen, dass die signifikant höhere Erkrankungsrate mit Parkinson bei Personen aus der Landwirtschaft mit dem häufigen Kontakt mit Pestiziden zusammenhängt. Einige EU-Länder haben deshalb Parkinson bei Landwirten als Berufskrankheit anerkannt. In der Schweiz fehlen jedoch für eine solche Anerkennung die nötigen Daten.
Es ist deshalb unerklärlich, weshalb der Bauernverband und seine Vertreter:innen im Parlament gegen den Einsatz von DigiFLUX ankämpfen. Damit schadet das Parlament dem ganzen Berufsstand Landwirt. Zudem verletzt das Parlament mit seiner ablehnenden Haltung auch die Bundesverfassung, wonach der Bund Vorschriften erlässt «über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen» (Art. 74 BV). Als Zweitrat wird nun der Ständerat die Motion Kolly behandeln. Es ist zu hoffen, dass dieser Rat das Wohlergehen der Landwirte und Landwirtinnen in den Vordergrund seiner Überlegungen stellt.
Kalifornien zeigt, wie es besser geht
Vorbild für ein Pestizidregister könnte Kalifornien sein: Seit 1974 erfasst und veröffentlicht der US-Bundesstaat zentral alle Pestizideinsätze. Bürger:innen können dort über ein Online-Kartentool die Pestizidanwendungen in ihrer Nachbarschaft einsehen. Diese Transparenz hat bereits zu wichtigen wissenschaftlichen Erkenntnissen geführt, die auch in Deutschland relevant sind – wie etwa die Anerkennung von Parkinson durch Pestizide als Berufskrankheit bei Landwirt:innen, die auch auf Studien mit kalifornischen Daten basiert.
(VL) Biodiversität – was bedeutet sie für einen Gemüsebauer? Und wer ist für ihren Erhalt verantwortlich?
Um diese Fragen zu beantworten haben wir Samuel Kessens auf seinem Gemüsebetrieb im Kanton Aargau besucht. Der Co-Betriebsleiter hat uns zwischen Erbsen und Malven, Brennesseln und Tomaten anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, was die Biodiversität für ihn bedeutet, wie er sie fördert und was Leute, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig sind, für sie tun können.
So viel schon vorab: Die Biodiversität zu erhalten, ist laut dem Agronomen nicht alleinige Aufgabe der Landwirte – wir alle können unseren Anteil dazu beitragen.
Erfahren Sie aus dem Interview mit dem Gemüsebauer nicht nur die Meinung eines Produzenten auf die angehende Debatte über die Biodiversität, sondern auch, wo er die Grenzen aber auch Möglichkeiten des jetzigen Landwirtschaftssystems sieht und was wir alle konkret tun können.
«Die Biodiversität zu fördern ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.»
Biodiversität findet mitten im Feld statt und ist unentbehrlich für die Produktion, sagt Samuel Kessens. Der Agronom führt als Co-Betriebsleiter einen Gemüsebetrieb in Oberwil-Lieli, Kanton Aargau. Gabrielle D’Angelo und Annalena Tinner von Vision Landwirtschaft waren zu Besuch auf dem Betrieb und haben sich die Sicht auf die angehende Debatte über die Biodiversitätsinitiative aus dem Blickwinkel des Gemüseproduzenten aufzeigen lassen.
Fotos: Gabrielle D’Angelo Text: Annalena Tinner
Samuel, über die Biodiversität und deren Erhaltung kommt im Herbst dieses Jahres eine nationale Volksabstimmung an die Urne. Was bedeutet denn Biodiversität für dich als Gemüsebauer? Für mich ist sie die Versicherung, dass ich nächstes und übernächstes Jahr auch noch Gemüse produzieren kann. Denn ich bin abhängig davon, dass meine Pflanzen bestäubt werden, dass mein Boden lebt. Und dafür brauche ich die Biodiversität. Denn nur so kann ich gesunde Pflanzen und gesundes Gemüse produzieren. Wenn sie weiterhin so stark zurückgeht, ist das für mich als Gemüsebauer eine Gefahr.
Und weshalb müssen wir sie genau jetzt schützen? Eigentlich hätten wir schon vor 10 Jahren etwas tun sollen (lacht). Daher ist jetzt sicher noch der bestmögliche Zeitpunkt, um die Biodiversität zu erhalten und die Existenz der Kleinbetriebe zu sichern.
«Wir alle sind verantwortlich für die Biodiversität. Zumindest sind wir alle davon betroffen.»
Wer ist denn deiner Meinung nach verantwortlich für die Biodiversität? Wir alle. Zumindest sind wir alle davon betroffen. Sicher sind nicht nur die Landwirt:innen verantwortlich, aber eben auch. Kein Bauer kann sich aus der Verantwortung schleichen, indem er sagt, der Konsument oder der Grossverteiler müsse. Wir Bauern können sagen «wir bewirtschaften Land, deshalb können wir schneller handeln».
Jetzt sind aber nur etwa 3% der Bevölkerung selbst in der Landwirtschaft tätig – wie können denn all diese Menschen, die keinen Zugang zu Land haben, ihre Verantwortung wahrnehmen? Ganz klar bei ihrem Konsumverhalten. Da ist der Einfluss enorm. Wenn du Lebensmittel kaufst, kannst du entscheiden, wie diese produziert werden. Da ist sehr wichtig, dass sich die Leute, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, ihrer Macht bewusst sind. Indem sie auf Regionalität, Saisonalität und vor allem auch auf Kleinräumigkeit achten. Und wenn der Konsument sogar den Betrieb kennt, wo das Gemüse herkommt, ist das ideal.
Kleinräumigkeit – was meinst du damit? Kleinräumig heisst, dass wir auf kleiner Fläche viele verschiedene Dinge anbauen und verschiedene Fördermassnahmen für die Biodiversität machen. Denn die Vielfalt gibt uns Stabilität. Ein Grossbetrieb, der nur von wenigen Kulturen lebt, ist viel mehr Risiko ausgesetzt. Bei kleinräumigen, vielfältigen Betrieben fällt ein Ausfall einer Sorte jeweils nicht so ins Gewicht. Zudem produzieren wir nicht nur Gemüse, sondern möchten gleichzeitig auch die Vielfalt an Nützlingen fördern, seien es Raubvögeln, Säugetiere oder Bodenlebewesen.
Hast du ein Beispiel dazu? Unser Ansatz ist immer, dass wir mit der Natur arbeiten. Wir versuchen, diese Vielfalt der Natur auf das Feld zu bringen. Zum Beispiel haben wir jeden Frühling das Problem mit Läusen. Da ist der Marienkäfer ein guter Gegenspieler als Nützling. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei Flächen, in welchen Hecken dazwischen sind, der Schädlingsdruck geringer ist. Die Hecken dienen als Rückzugsgebiet für die Käfer über den Winter. Somit sind im Frühling die Käfer schneller da und fressen die Läuse eher weg.
«Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht.»
Doch diese Hecke, nimmt sie dir nicht Fläche, auf welcher du produzieren könntest, weg? Nein, dieses Problem sehe ich nicht. Einerseits hat die Hecke einen positiven Effekt auf die Ertragsmenge der Gemüsekultur. Zudem kann die Hecke auch so gestaltet werden, dass sie einen ökonomischen Nutzen generiert; wir haben viele Beerensträucher und Obstbäume in unseren Hecken, deren Früchte wir auch ernten und verkaufen können. Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht – denn wir laufen Gefahr, schlussendlich noch weniger zu produzieren, wenn wir weiterhin einen solchen Rückgang bei der Biodiversität haben.
Das tönt durchs Band positiv. Gibt es denn keine Herausforderungen in diesem System? Doch, in dieser Kleinräumigkeit haben wir immer auch Schädlinge, denn ohne Schädlinge gibt es keine Nützlinge. Wir müssen einfach das Vertrauen darauf haben, dass die Massnahmen, die wir im Voraus ergriffen haben, um diese Nützlinge zu fördern, dann auch tatsächlich wirken, wenn die Schädlinge kommen. Nehmen wir das Beispiel Wühlmäuse: Dass im Vorherein Stangen für die Greifvögel aufgestellt wurden oder ein Wiesel-Bau gemacht wurde, sind mögliche Massnahmen. Und wenn die Mäuse dann kommen, braucht es eine Weile, bis auch die Nützlinge kommen. Vor allem diese Übergangsphase ist als Landwirt schwierig auszuhalten. Aber ein intaktes Gesamtsystem regelt es dann so, dass der Schaden schlussendlich überschaubar bleibt.
Und warum produzieren dann nicht alle Betriebe so, wie ihr es macht? Ein grosses Problem für andere Gemüsebauern sind die Anforderungen der Abnehmer. Wenn du für den Grosshandel produzierst, kannst du nicht so vielfältig produzieren, wie wir es hier tun. Denn der Grossverteiler will einfache Lieferketten; er will von einem Betrieb alle Karotten und vom anderen alle Tomaten - nicht von jedem Betrieb 20, 30 verschiedene Gemüsesorten in Kleinstmengen. Wenn du an den Grossverteiler lieferst, kannst du im jetzigen System kaum kleinräumig und wirklich biodiversitätsfreundlich anbauen.
«Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben»
Hast du denn das Gefühl, die Landwirtschaft in der Schweiz macht generell genug für die Biodiversität? Nein, noch nicht. Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben. Aber ich glaube auch, die Rahmenbedingungen sind nicht ideal und deshalb gibt es noch nicht so viele Betriebe, die auf diesen Biodiversitäts-Zug aufgestiegen sind.
Wie müssten sich denn die Rahmenbedingungen ändern? Wenn du als Landwirt Angst hast, Flächen zu verlieren, weil du nicht mehr produzieren kannst, steckt dahinter vor allem auch eine ökonomische Angst. Doch diese Angst kann ihnen genommen werden, indem ihnen höhere Preise für die Produkte garantiert werden. Das wiederum hängt vor allem mit politischen Entscheiden zusammen, zum Beispiel mit Importrestriktionen. Doch das sind Dinge, die nicht der Landwirt selbst entscheidet. Grundsätzlich haben viele Bauern das Bedürfnis, Freude am Job zu haben und Neues auszuprobieren. Dadurch bleibt die Arbeit auch spannend. Und wenn es finanziell kein grosses Risiko wäre, würden viele Bauern dem Nachgehen und könnten innovativer sein.
In der Landwirtschaft muss ein Betriebsleiter schon sehr viel Wissen über Betriebsführung, das Marktverhalten, Wartung der Maschinen, den Anbau von Gemüsesorten und Krankheiten bei Tieren. Und da kommt mit der Biodiversität nochmals ein neues Thema dazu – ist das nicht zu viel? Ist es tatsächlich Aufgabe der Landwirtschaft, sich auch noch um die Biodiversität zu kümmern? Klar, Beratungsstellen wären vielleicht schon nützlich, in der Ausbildung wird das Thema nur gestreift. Aber ich als Bauer sehe ja den Wert der Biodiversität und dann ist es das Naheliegendste, dass ich mich auch damit befasse. Wenn die Biodiversität der Grund ist für einen reichen Ertrag – und das ist es ja – dann musst du dich auch aktiv damit befassen, dann ist es kein Nebenschauplatz, der ausgelagert werden kann. Biodiversität ist nicht einfach der Blühstreifen neben dem Gemüseacker und fertig. Sie findet mitten im Feld statt. Die Biodiversität zu fördern, ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.
Zurück zur Initiative. Die Initiative verlangt mehr Raum für Biodiversität, ist diese Auflage berechtigt? Ich sehe das nicht als Auflage, sondern viel mehr als Chance für die Bauern. Dass wir – weil es vorgeschrieben ist – Fläche für die Biodiversität nützen dürfen. Denn ohne Biodiversität funktionieren unsere Betriebe nicht. Mir gefällt an der Initiative, dass ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz gefragt ist. Dass wir als Bauern unterstützt werden, nicht allein dafür verantwortlich zu sein, sondern dass wir alle, inklusive die Landwirtschaft, etwas dafür machen sollen. Ja, die Initiative ist meiner Meinung nach berechtigt.
Kästchen 1
Der Betrieb Der Biohof Lieli, ein 14 ha grosser Gemüsebetrieb, liegt in Oberwil-Lieli und wird nach biologisch-dynamischen Richtlinien bewirtschaftet. Rund 60 verschiedene Gemüsesorten werden auf dem Hof auf kleinräumigen Flächen produziert und gelangen via Gemüse Abos oder Marktstände direkt an die Kundschaft. Diese vielfältige Produktion bedingt eine kleinräumige Bewirtschaftung und dementsprechend viel Handarbeit, welche mit rund 30 Mitarbeiter:innen geleistet wird. Diese Handarbeit ermöglicht aber wiederum, dass pro Fläche mehrmals pro Jahr geerntet werden kann und der Ertrag eher hoch ausfällt. Etwa 10% der Betriebsfläche sind Biodiversitätsförderflächen, die Mehrheit davon Hecken.
Kästchen 2
Pflanzenschutz im Gemüsebau Der Pflanzenschutz im Freilandgemüsebau ist anspruchsvoll, da viele Gemüsekulturen anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind. Dazu kommen hohe Qualitätsansprüche von Seiten des Handels sowie der Konsumentinnen und Konsumenten. Deshalb werden in den meisten Gemüsekulturen deutlich mehr Pestizide eingesetzt als in Ackerkulturen wie Getreide, Zuckerrüben usw. Mit gezielten, meist vorbeugenden, Massnahmen lassen sich jedoch der Einsatz von Pestiziden und die damit verbundenen Umweltrisiken vermindern. Zu diesen vorbeugenden Massnahmen gehören unter anderem eine durchdachte Fruchtfolge, die Wahl des geeigneten Standortes, das Sicherstellen einer guten Bodenfruchtbarkeit sowie das Erstreben eines optimalen Saat- und Pflanzzeitpunktes. Zudem ist die Verwendung resistenter oder schädlingstoleranter und an den Standort angepasster Sorten eine entscheidende Massnahme zur Minimierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.
Heutzutage dominieren grossflächige Monokulturen den Freilandgemüsebau. Doch solche einheitlich bepflanzten Anbauflächen haben den Nachteil, dass Pilze oder Schadinsekten ein leichtes Spiel haben sich zu vermehren und bei einem Befall gleich die ganze Ernte bedrohen. Eine mögliche Alternative zu diesem herkömmlichen Anbausystem ist der kleinräumige Anbau. Dabei werden mehrere verschiedene Arten oder Sorten nebeneinander angepflanzt. Sich ergänzende Arten konkurrenzieren sich nicht, sondern können zum Beispiel den Boden für die andere Art fruchtbarer machen, Schadinsekten fernhalten oder Schädlinge zur Entlastung der anderen Pflanze auf sich ziehen oder auch das Wachstum von Unkraut eindämmen (Agroscope 2020).
Die Vorteile einer Mischkultur sind:
- Höherer Gesamtertrag pro Fläche aufgrund optimaler Platzverteilung - Fernhalten von Schädlingen mittels störenden Duftes der Nachbarspflanze - Bekämpfung von Schädlingen mittels Nützlingen von Nachbarspflanzen - Weniger Dünger erforderlich - Grössere Artenvielfalt - Unterschiedliche Wuchshöhen beschatten den Boden und die Nachbarspflanze
Mischkulturen sind jedoch im Gemüsebau noch wenig erprobt und deshalb im Agrarland kaum zu sehen. Zudem ist die Maschinennutzung in Mischkulturen erschwert und mehr Handarbeit nötig. Trotzdem zeigen die wenigen Gemüsebaubetriebe mit Mischkulturen, dass es möglich ist, auch den Gemüsebau ohne Pestizide und dennoch rentabel zu betreiben.
Die Gesellschaft bezahle doppelt. Zuerst die Subventionen und dann noch die Massnahmen zum Schutz der Biodiversität, die entweder jetzt oder in Zukunft ebenfalls anfallen. Vor allem die Kosten für zukünftige Generationen werden hoch sein, schreibt BirdLife Schweiz. Um gewisse Branchen und wirtschaftliche Tätigkeiten zu fördern, zahle der Staat Subventionen oder setzte andere Anreize. Manche Subventionen und Anreize zeitigen jedoch auch schädliche Wirkungen auf die Biodiversität und/oder das Klima. Der Bundesrat habe sich deshalb bereits 2012 in der Strategie Biodiversität folgendes Ziel gesetzt: «Negative Auswirkungen von bestehenden finanziellen Anreizen auf die Biodiversität werden bis 2020 aufgezeigt und wenn möglich vermieden. Wo sinnvoll werden neue positive Anreize geschaffen.» Trotz dem klaren Bekenntnis des Bundesrats geschah danach wenig. Der Bund erstellte nicht einmal eine systematische Übersicht über die biodiversitätsschädigenden Subventionen und Anreize.
(VL) Am 22. September kommt die Initiative «Für die Zukunft unserer Natur und Umwelt», kurz «Biodiversitätsinitiative», an die Urne. Ein Thema, das die Landwirtschaft betrifft, aber nicht ausschliesslich. Biodiversität ist weit mehr als blühende Streifen am Ackerrand. Sie kann in den Bergen, im Wald aber auch im Siedlungsgebiet vorkommen und gefördert werden. Vision Landwirtschaft möchte mit diesem Newsletter einen Überblick zur Initiative schaffen, ordnet Fakten und Argumente ein und erläutert mögliche Folgen bei einer Annahme oder Ablehnung der Initiative. >> Ganzen Newsletter als PDF lesen
Die Initiative «Für die Zukunft unserer Natur und Umwelt» verlangt, dass die Biodiversität auf Bundesebene besser geschützt wird mittels einer Änderung in der Bundesverfassung.
Im neuen Artikel 78a BV «Landschaft und Biodiversität» sollen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür sorgen, dass
die schutzwürdigen Landschaften, Ortsbilder, die Natur- und Kulturdenkmäler sowie die geschichtlichen Stätten bewahrt werden.
die Natur, die Landschaft und das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte geschont werden.
die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente zur Verfügung stehen.
Dabei bezeichnet der Bund die Schutzobjekte von nationaler Bedeutung, die Kantone jene von kantonaler Bedeutung. Der Bund unterstützt zudem die Kantone bei den Massnahmen und Umsetzung zur Sicherung der Biodiversität. Dafür haben bei einer Annahme der Initiative Bund und Kantone fünf Jahre Zeit.
Auf welchen Flächen und zu welchen Kosten der Schutz der Biodiversität stattfindet, ist nicht Bestandteil der Initiative. In der angehenden Debatte ist immer wieder von 30% Fläche die Rede. Diese 30 % beziehen sich auf den Biodiversitätskongress der vereinten Nationen (COP15), welcher im Dezember 2022 in Montreal stattgefunden hat. Dort hat auch die Schweiz das weltweite Naturschutzabkommen unterschrieben, welches unter anderem das 30x30 Ziel verfolgt: bis im Jahr 2030 sollen 30 % der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Naturschutz stehen.
Wo genau und in welcher Form die Biodiversität unter Schutz gestellt wird, ist im Rahmen der Initiative nicht festgelegt. Dies müsste bei einer Annahme geprüft werden.
Darum fordern die Initianten einen Schutz der Biodiversität:
Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz gelten als gefährdet oder als bereits ausgestorben, die Hälfte der verbleibenden Lebensräume für Tiere und Pflanzen ist gefährdet. Besonders betroffen sind Feuchtgebiete und Gewässer.
Wir brauchen diese Vielfalt der Arten und innerhalb der Arten, nicht nur weil viele der Insekten unsere Nahrungsmittel bestäuben, sondern weil die ganze Artenvielfalt auch die Basis unseres Ökosystems bildet – weil es unsere Lebensgrundlage ist.
Kommentar:Der Rückgang der Biodiversität ist Realität. Verschiedene Arten haben verschiedene Bedürfnisse, und das meist auf einem sehr kleinen Raum. Um die Biodiversität zu erhalten, sind daher vielfältige Strukturen auf kleinen Flächen nötig. Diese kommen jedoch mit der zunehmenden Vergrösserung und Vereinheitlichung der Flächen, der Bautätigkeit und dem Ausbau von Infrastruktur immer mehr unter Bedrängnis.
Das befürchten die Gegner
Die Initiative verlangt, dass die Biodiversität in der Verfassung geschützt wird. Die Forderung ist sehr vage gefasst und lässt vieles offen bezüglich Umsetzung und Kosten. Diese Ungewissheit schürt nicht nur Ängste der Gegner, sondern liefert auch viel Spielraum für die Interpretation in der Umsetzung und dementsprechende Gegenargumente.
Kein Strom aus erneuerbaren Energien, zu radikaler Einfluss im Berggebiet
Gegner argumentieren damit, dass bei einer Annahme der Initiative kein erneuerbarer Strom produziert werden könne, da Stauseen unter Schutz stünden oder Berggebiete, in denen Windanlagen gebaut werden könnten. Zudem könnten diese Gebiete nicht mehr touristisch genutzt werden, wenn sie unter Schutz stünden.
Kommentar: Die genaue Umsetzung der Initiative lässt offen, wieviel und welche Gebiete genau geschützt würden. Dass der Bergtourismus abnimmt und die Erzeugung erneuerbarer Energie schwindet, ist reine Spekulation der Gegner.
Einfluss Wald: keine Nutzung von Holz mehr möglich
Ein Drittel der Fläche in der Schweiz ist Wald, Tendenz steigend. Dabei ist der Wald schon stark geschützt; Fläche, die einmal als Wald eingestuft wurde, wird kaum wieder umgezont. Über die Nutzung des Waldes entscheidet das Waldgesetz. Ein Argument der Gegner ist, dass die Nutzung des Waldes durch eine Annahme der Initiative noch stärker eingeschränkt würde und dass zum Beispiel die Nutzung von Holz nicht mehr möglich wäre.
Kommentar: Dass bei einer Annahme der Initiative kein Holz mehr genutzt werden kann, stimmt so nicht, denn auch hier gilt: über die geschützte Fläche sagt die Initiative nichts aus.
Beim Thema Waldnutzung ist zu betonen, dass dieses Ökosystem wie jedes andere auch für sein Funktionieren, für sein eigenes Verjüngen, eine gewisse Störung braucht. Im Wald wird diese gezielt durch den Menschen gemacht: Mittels grosser Maschinen werden Wälder verjüngt und offene Lichtungen in Wäldern entbuscht. Das Offenhalten dieser Flächen durch Beweidung mit Tieren, sogenannte Waldweiden, ist in den meisten Kantonen nicht erlaubt. Dabei ist zu beobachten, dass ein mit extensiven Tier-Rassen beweideter Wald eine hohe Artenvielfalt aufweist. Auch die heutige Biodiversitätsforschung ist sich einig, dass eine sanfte Nutzung des Waldes nicht per se schadet, sondern zu dessen Erhalt beitragen kann. Biodiversität und Landwirtschaft könnte also zusammen funktionieren, doch im heutigen System fehlen nicht nur die wirtschaftlichen Anreize dafür, sondern auch die Erlaubnis.
Landwirtschaftliche Produktivität nimmt ab, Problem wird in das Ausland verlagert
Der Schweizerische Bauernverband unterstützt zwar das Anliegen, die Biodiversität zu fördern, ist sich aber sicher, dass die Landwirtschaft bereits genug dafür tut. Zudem argumentieren die Gegner der Initiative damit, dass bei einem JA 145'000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche unter Schutz gestellt würde und dadurch weniger Produktion möglich sei. Somit müssten mehr Lebensmittel importiert werden.
Kommentar: Die Landwirtschaft macht tatsächlich schon einiges für die Biodiversität, aber noch nicht das Optimum. Sie mag die einzige Branche sein, welcher der Bund die Förderung der Biodiversität vorschreibt - sie ist aber auch die einzige Branche, die dafür finanziell entschädigt wird.
Der durchschnittliche Anteil Biodiversitätsförderflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) liegt bei 19,3%. Das sind Flächen, die nicht der Nahrungsmittelproduktion dienen, sondern dem Erhalt und der Förderung der Biodiversität. Seit 1993 werden diese Flächen, auf denen keine Kalorien produziert werden, im Rahmen des Direktzahlungssystems finanziell entgolten.
Wirtschaftet ein Betrieb nach dem ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) und bezieht Direktzahlungen, muss er mindestens 7% seines Betriebes als BFF bewirtschaften.
Diese 19 % sind in der Tat einiges mehr als die vom Bund vorgeschriebenen 7%. Das ist quantitativ viel, sagt aber noch nichts über die Qualität der Flächen aus. Der Entscheid, auf welcher Fläche eine BFF angelegt wird, hängt meist nicht davon ab, welche Fläche besonders gut für die Biodiversität ist, sondern davon, welche Fläche sich am wenigsten gut für die Lebensmittelproduktion eignet. Oftmals werden nämlich jene Flächen zu BFF, welche weit abgelegen sind und weniger geeignet für den Anbau von Nahrungsmitteln oder die Haltung von Tieren sind.
Dass die Produktivität bei Annahme der Initiative abnimmt, ist nicht belegt. Denn auch hier ist unklar, welche Landwirtschaftsflächen zum Erhalt der Biodiversität unter welchen Bedingungen zur Verfügung stünden. Heute ist der Selbstversorgungsgrad der Schweiz bei ca. 55%. Dabei könnte die Nutzung der Flächen effizienter gestaltet werden: Denn laut dem Agrarbericht 2021 wird auf rund 60% der Ackerfläche Tierfutter angebaut. Eine Umstellung dieser Fläche auf den Anbau von Nahrungsmitteln für den direkten menschlichen Verzehr würde den Selbstversorgungsgrad enorm stärken.
Und das Wichtigste: Es heisst nicht «Produktion» oder «Biodiversität». Es gibt bereits zahlreiche Beispiele an Betrieben, die aufzeigen, wie Produktion und Biodiversitätsförderung in Einklang miteinander funktionieren, wie sie sich gar gegenseitig bedingen. In einem kommenden Newsletter wird Vision Landwirtschaft einen solchen Betrieb besuchen.
Was passiert bei einem JA
Wird die Initiative angenommen, muss sich das Parlament mit dem Thema auseinandersetzen und ausarbeiten, wie die Landschaft und die Biodiversität in der Schweiz besser geschützt werden können. Dafür ist eine Frist von fünf Jahren vorgegeben. Vermutlich würde an den Punkten angeknüpft werden, die bei der Diskussion eines möglichen Gegenvorschlages aktuell waren. In seiner Botschaft zum indirekten Gegenvorschlag hält der Bund fest: «Aus volkswirtschaftlicher Sicht weist die Biodiversität den Charakter eines öffentlichen Gutes auf: Alle können und dürfen sie nutzen, bezahlen aber nichts dafür. Ausserdem sind die natürlichen Ressourcen ohne Berücksichtigung der externen Kosten zu günstig. Dies führt dazu, dass Ökosysteme übernutzt und deren Leistungen beeinträchtigt werden. Die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen übersteigt also das Angebot bei Weitem. Aus ökonomischer Sicht liegt damit bei der Biodiversität ein Marktversagen vor. Um das Marktversagen zu mindern, hat der Bund regulierend eingegriffen und entsprechend Gesetze (beispielsweise das NHG) und Verordnungen erlassen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen allerdings, dass diese Bemühungen des Bundes zu schwach sind, um den Biodiversitätsverlust aufzuhalten. Aus ökonomischer Sicht liegt damit auch ein Regulierungsversagen vor und staatliches Handeln ist notwendig.» Ein JA zur Biodiversitätsinitiative würde dazu führen, dass der Bund Massnahmen treffen muss, um dieses Regulierungsversagen zu mindern. In diesem Gegenvorschlag war das Ziel, 17% der Landesfläche zu schützen, und zwar in allen Landesteilen und für alle Lebensraumtypen. Zusätzlich sollten bestehende nationale Schutzgebiete saniert werden. Ein zentraler Punkt im Gegenvorschlag war zudem die gezielte Förderung der Biodiversität im Siedlungsgebiet. Mittels konkreter Massnahmen sollten die Gemeinden Anreize erhalten, naturnahe Grünräume zu schaffen und zu erhalten. Das Parlament hat es zwar abgelehnt, den indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu bringen, doch ist zu erwarten, dass bei einem JA die Initiative in diesem Sinne umgesetzt wird.
Was passiert bei einem NEIN
Bei einem Nein zur Initiative besteht keine Pflicht, dass sich Parlament und Bundesrat weiter mit diesem Thema beschäftigen. Aktuellster Stand auf Bundeebene wäre demnach noch immer die Biodiversitätsstrategie von 2012, welche 2017 mit einem Aktionsplan ergänzt wurde.
Zu befürchten ist jedoch, dass es für die Biodiversität einen frappanten Rückschritt gibt: Die eingeleitete Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung wird die Zulassung stark schädlicher Pestizide vereinfachen und sich negativ auf die schon geschwächte Biodiversität auswirken. Vision Landwirtschaft hat in einem ausführlichen Bericht über diese Revision informiert. Auch andere wichtige Massnahmen für die Biodiversität, wie der Absenkpfad Stickstoff, wurden abgeschwächt. In der Sommersession hat das Parlament die bereits eingeführte Massnahme der 3.5% Biodiversitätsförderflächen im Ackerland abgeschafft. Dies, obwohl die Kantone, IP Suisse und Bio Suisse sich dafür eingesetzt haben, dass die Massnahme bestehen bleibt. Auch weil wesentliche Verbesserungen aus der Praxis aufgenommen wurden. Bei einem NEIN zur Biodiversitätsinitiative ist unklar, ob in den nächsten Jahren auf nationaler Ebene substantielle Massnahmen gegen das Artensterben getroffen werden.
Kästchen
«Biodiversität – was ist das überhaupt?»
«Vögeli, Käferli und Blüemli» - das ist Biodiversität. Das stimmt zum Teil, aber nicht nur. Die Vielfalt an verschiedenen Lebewesen ist ein Aspekt der Biodiversität, die Vielfalt von verschiedenen Lebensräumen ein anderer. Ein dritter, oft vernachlässigter Teil ist aber auch die Vielfalt innerhalb der Arten. Nehmen wir zum Beispiel uns, den Menschen: Wir alle gehören zur selben Art, Homo sapiens. Unsere Gene sind mehrheitlich gleich, doch die Ausprägung deren ist verschieden; wir haben verschiedene Grössen, Augen- und Haarfarben. Das basiert auf kleinen, genetischen Unterschieden, die nicht überlebensrelevant sind, aber alle dazu beitragen, dass der Genpool innerhalb unserer Art sehr divers ist. Auch andere Arten, wie zum Beispiel die Wiesenmargarite weist eine breite genetische Vielfalt auf: Bei der Blume äussert sich dies in Nuancen in der Blütenfarbe, aber auch im Zeitpunkt, in dem sie blüht oder ihren Ansprüchen an Wasser oder Licht. Die einen blühen später, die anderen haben es lieber trocken. Das erhöht die Resilienz der einzelnen Arten bei einer Störung der Umgebung. Hätten wir innerhalb der Arten keine Vielfalt, können Störungen nicht abgefedert werden oder auf den Menschen bezogen; wir wären alles Heidi Klums und Arnold Schwarzeneggers.
Die jetzige Bepreisung von Lebensmitteln führt zu Fehlanreizen auf der Seite von Konsument:innen, aber auch auf jener der Produzent:innen. Das muss sich ändern und dabei spielt die Kostenwahrheit eine wichtige Rolle. Dazu hat das Magazin «Faktor F» einen Artikel geschrieben und Vision Landwirtschaft hat Stellung bezogen.
Gleichzeitig bleibt die Kostenwahrheit ein wichtiges Anliegen welches auf für AP 30+ wichtig ist. Das Bundesamt für Landwirtschaft erwartet im Herbst dieses Jahres die Publikation der FAO mit Ergebnissen für die wahren Kosten der Lebensmittel die auch für die Schweiz Date liefert. Diese Arbeit der FAO basiert auf den Berechnungen die letztes Jahr bereits publiziert wurden (https://openknowledge.fao.org/server/api/core/bitstreams/b609f302-871d-4d66-a290-826a6305e2d9/content) und nun vertieft werden. In der Agrarallianz für die AP 30+ und wird das Thema Kostenwahrheit breit diskutiert und im Forschungsbereich laufen dazu weiterer Arbeiten wie das SNF Projekt.
Die heutigen Entscheide des Ständerats zum Thema 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland sind enttäuschend: Die Planungsunsicherheit für die Schweizer Landwirtschaft sowie die Doppelspurigkeiten für die Kantone werden grösser. Das jahrelange Hin und Her zum Thema Acker-BFF schadet der Glaubwürdigkeit der Politik. Der unbestrittene Bedarf für mehr Biodiversität im Ackerland bleibt bestehen. Umso wichtiger wird jetzt die Zusammenarbeit zwischen Landwirtschaft, Naturschutz und Marktpartnern.
Die Annahme der Mo. Grin 22.3819 bewirkt die vollständige Streichung der 3,5 Prozent Biodiversitätsförderflächen auf Ackerland. Damit fällt eine bedeutende Massnahme im Absenkpfad Nährstoffverluste und Pflanzenschutzmittel weg. Das BLW ist der Landwirtschaft mit dem Verordnungspaket 2024 entgegenkommen und hat die Massnahme praxisfreundlicher gestaltet. Zudem haben sich die Kantone auf die Umsetzung vorbereitet und zahlreiche Betriebe die geforderten Flächen in ihrem Ackerland eingeplant oder bereits umgesetzt. Trotzdem hat der Ständerat heute die vom Parlament mehrfach bestätigte Massnahme definitiv versenkt. Die Agrarallianz appelliert an die landwirtschaftlichen Akteure und Marktpartner, das Thema Biodiversität weiterhin offensiv anzugehen. Biodiversitätsförderung und Lebensmittelproduktion gehen Hand in Hand: Mehrere grosse Projekte bzw. Programme von Bio Suisse, IP-SUISSE, ihren Marktpartnern und Naturschutzorganisationen zeigen auf, dass Biodiversität und Landwirtschaft erfolgreich miteinander kombiniert werden können (Biodiversität & Landwirtschaft: gute Beispiele). Ein Schlüsselfaktor all dieser Erfolgsmodelle besteht in der übergreifenden Zusammenarbeit auf Augenhöhe zwischen Landwirtschaft, Marktpartnern und Umweltorganisationen.
(VL) Hochstammbäume sind gut für die Umwelt und für die Menschen und daher werden sie auch mit Direktzahlungen unterstützt. Trotzdem sind die meisten Landwirt:innen froh, wenn sie möglichst wenig Ertrag haben. Denn das Obst ablesen und zu Most verarbeiten, lohnt sich in den meisten Fällen wirtschaftlich nicht. Das ist ein gutes Beispiel dafür, wo wir mit der Abgeltung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen stehen. Es braucht eine Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems hin zu einer Transformation des Ernährungssystems. Die AP 30+ bietet dazu Chancen.
Hochstammobstbäume sind ein wichtiges Element für die Natur und den Artenschutz. Sie dienen Insekten und Vögeln als Lebensraum. Da sie ihre wirtschaftliche Bedeutung immer mehr verlieren, schrumpfen allerdings die Flächen trotz Schutzbemühungen. Ihre Erhaltung verursacht einen hohen Pflegeaufwand, der sich durch die verkauften Produkte wirtschaftlich nicht rechnet. Die Produzentenpreise sind seit 30 Jahren unverändert, berichtet der Verein Hochstammobstbau. Die Kosten hingegen sind gestiegen. Die Richtpreise für Mostäpfel (Suisse garantie) sind 27 Rp./kg und für Mostäpfel (Bio) 33 Rp./kg. Wenn mit Mostobst nichts zu verdienen ist, bleiben Mostäpfel und –birnen am Boden liegen und die Hochstämmer verschwinden nach und nach in unserer Landschaft. Auch die Kosten für die Mostereien sind enorm gestiegen. Je mehr industrielle Prozessschritte erforderlich sind (Eindicken auf Konzentrat und separieren der Geschmacksmoleküle), desto mehr schlagen die Energiekosten zu Buche.
Gemäss Berechnung der Mosterei Möhl erhalten die Produzenten 55 Rp./kg, wenn die Direktzahlungen mitberücksichtigt werden. Fair wäre ein Preis von 80 Rp./kg.
Wie weiter mit dem Direktzahlungssystem?
Trotzdem ist auch viel erreicht worden mit den Direktzahlungen: eine Stabilisierung der Einkommen der Landwirtschaftsbetriebe und den Erhalt vieler ökologischer Leistungen, welche für uns alle von hohem Wert sind. Das Beispiel der Hochstammbäume zeigt jedoch auf, dass das Direktzahlungssystem noch Lücken und Fehler hat. Aus gesamtgesellschaftlicher Sicht ist die Entwicklung bei den Hochstammbäumen alarmierend: Es wird Steuergeld eingesetzt, damit die Hochstammbäume stehen, aber am Ende entsteht «Foodwaste», weil der Pflege- und Ernteaufwand nicht abgegolten wird. Der Bundesrat hat mit dem Postulatsbericht definiert, in welche Richtung das System weiterentwickelt werden soll. Jetzt gilt es jedoch Instrumente und konkrete Lösungsschritte zu finden. Es braucht Lösungen welche Biodiversität, Produktion, Klimaschutz und Ökonomie zusammen bringen. Und es braucht Lösungen, welche das ganze Ernährungssystem miteinbeziehen. Aktuell sind alle Massnahmen auf das Landwirtschaftsgesetz und somit auf die einzelnen Betriebe konzentriert. Dort stossen jedoch der administrative Aufwand und die zunehmende Komplexität an die Grenzen der Machbarkeit. Daher sind neue Instrumente gefragt.
Neue Möglichkeiten: Leistungsrechner als Beispiel
Ein mögliches Mittel, um die gemeinwirtschaftlichen Leistungen greifbar zu machen, könnte der Regionalwert-Leistungsrechner sein. Der in Deutschland bereits in der Praxis angewandte Rechner, wird in der Schweiz vorerst in einem experimentellen Rahmen verwendet. In einem Katalog von über 500 Kennzahlen kann ein Bauernhof dabei seine erbrachten Leistungen einspeisen und erhält so einen monetären Wert für die einzelnen Leistungen sowie eine Summe für den gesamten Betrieb. Die Kennzahlen werden dabei grob unterteilt in die drei Säulen der Nachhaltigkeit: Ökologie, Ökonomie und Soziales. Im Vergleich zu Direktzahlungen wird in der Nachhaltigkeitsberechnung des Leistungsrechners also nicht nur der Nutzen für die Natur gemessen, sondern auch die Arbeitsbedingungen für die Angestellten und die Auswirkungen der landwirtschaftlichen Tätigkeiten auf den Menschen.
Einer, der mit dem Leistungsrechner seinen Betrieb durchgerechnet hat, ist Landwirt Bruno Stadelmann. Der Geflügelspezialist führt zusammen mit seiner Frau einen 12 ha grossen Bauernhof in Willisau (LU). Neben Legehennen als Haupterwerbszweig, halten sie einige Mutterkühe und Hochstammbäume. Stadelmann ist nicht nur ein Mann, der anpackt, er ist auch ein Kopfmensch, der nachdenkt. Er berichtet, dass er, während er mit den Händen arbeitet und bei den Tieren zum Rechten schaut, sein Kopf mit neuen Inputs füttert, indem er zum Beispiel Radiosendungen über die Landwirtschaft hört. Über einen Podcast aus Deutschland hat Stadelmann vom Leistungsrechner erfahren und aus Neugier die Schweizer Version für seinen Betrieb angewendet. Der Neugier folgte Begeisterung. Nicht nur über den praxisnahen Aufbau des Rechners, sondern auch darüber, dass er durch den Rechner für seine erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen eine konkrete Zahl bekommt. «Da haben wir endlich einen Wert, worüber wir im Klartext reden können», so Stadelmann.
Besonders gut gefällt ihm am Leistungsrechner, dass die Regionalökonomie und die soziale Nachhaltigkeit mit einbezogen werden. Fragen wie: Werden Produkte regional weiterverkauft statt an den Grosshändler, werden die Mitarbeitenden fair entlöhnt oder bildet der Betrieb auch Lehrlinge aus und und arbeitet nicht einfach nur mit günstigen Arbeitskräften, werden bei der Berechnung berücksichtigt. «Bei den Direktzahlungen ist das alles irrelevant, da wird nur auf die ökologische Nachhaltigkeit geschaut», sagt Stadelmann. An den Direktzahlungen kritisiert er zudem, dass sie schweizweit die gleichen Anforderungen haben; egal ob ein Bergbetrieb im Tessin oder ein Gemüsebauer in Schaffhausen, ein Milchbetrieb im Appenzell oder ein Hühnerbetrieb im Jura; alle hätten sehr ähnliche Anforderungen zu erfüllen, der Spielraum sei da nicht mehr gross – und der Nutzen leider auch nicht. Zu divers sind doch diese Höfe, zu einheitlich das System, mit dem diese Höfe beschrieben würden.
Auch Raphael Felder, Geschäftsführer des Luzerner Bäuerinnen und Bauernverbands sieht Chancen in einem Instrument wie dem Leistungsrechner. Würde so etwas wie ein Leistungsrechner eingeführt, könnten die Betriebsleiter:innen viel flexibler aus einer Sammlung von Leistungen die für ihren Betrieb geeignet sind auswählen und alles in allem einen besseren Nutzen für die Gesellschaft erbringen. Die Idee ist, dass alle einen Grundstock an Leistungen erbringen müssten und dann mit flexiblen Bausteinen den eigenen Betrieb punkto Nachhaltigkeit optimieren könnten, so wie es für die Lage und den Hof passt. So könnte zum Beispiel ein stadtnaher Betrieb mehr im Bereich der Wissensvermittlung leisten, während hingegen ein Bergbetrieb eher in der Förderung der Biodiversität seine Nachhaltigkeitsleistung erbringt.
Wer kommt für die Kosten auf?
Für Stadelmann ist klar, dass bereits jetzt ein Teil der über den Leistungsrechner berechneten Werte über das jetzige Direktzahlungssystem abgedeckt wird – und das könnte mit gewissen Anpassungen auch so bleiben. Der Leistungsrechner liefert mehr Transparenz über das, was an der Basis unser Ernährungskette geleistet wird, er zeigt die tatsächlich erbrachten Leistungen. Es genügt nicht wenn wir sagen dass wir gut sind und viel leisten, wir brauchen ein Instrument mit welchem wir unsere Leistungen kommunizieren können. Der Leistungsrechner liefert jedoch keine konkreten Zahlen für die Kosten und Leistungen, welche im gesamten Ernährungssystem anfallen, für das in der nachgelagerten Produktion, beim Wiederverkäufer und beim Konsumenten. Der Leistungsrechner ist entwickelt worden um die Leistungen der Landwirtschaft aufzuzeigen. Die Werte wurden in einem breiten Dialog mit allen Anspruchgruppen erarbeitet. Auch deshalb ist er einfach aufgebaut und der administrative Aufwand ist vertretbar.. «Für einen erfolgreichen Wechsel des Systems», betont Felder, «darf der administrative Aufwand nicht gross sein.» Und für Landwirt Bruno Stadelmann ist klar: «Ich wünsche mir ein System, das unsere gesellschaftlichen Leistungen wiederspiegelt, praxisnah aufgebaut ist und mich in meiner Eigenständigkeit als Betriebsleiter stützt.»
Es braucht klare Ziele für die Transformation
Und um zurück zu unserem Beispiel der Hochstammbäume zu kommen: ökologische Massnahmen zu finanzieren, ohne die ökomische Entwicklung in der Wertschöpfungskette einzubeziehen, führt zu Mostäpfeln, die am Boden liegen bleiben und bestenfalls Nahrung für Vögel, Kleinsäuger oder Insekten sind. Im jetzigen System sind insbesondere die pflanzliche Produktion und die ökologischen und sozialen Leistungen der Landwirtschaft zu wenig abgegolten. Das muss sich ändern. Zuversichtlich stimmen die vielen Bemühungen der Branche und die Offenheit vieler Landwirt:innen gegenüber neuen Systemen und einer Entwicklung hin zu mehr Zielorientierung im Direktzahlungssystem.
Für eine erfolgreiche Transformation müssen jedoch alle Beteiligten des Ernährungssystems miteinbezogen werden. Es ist nicht nur die Landwirtschaft, welche die Verantwortung für den Erfolg trägt, es sind alle Akteure des Systems; die Produzenten, die Weiterverarbeiter, der Detailhandel und die Konsumenten. Dazu braucht es nicht nur von den Beteiligten den Willen, vorwärtszugehen, es braucht auch vom Bund klar definierte Ziele, welche für das gesamte Ernährungssystem gelten. Das kann in Form von Lenkungsabgaben oder einer Zielvereinbarung wie zum Beispiel einem Mindestkontingent an Produkten mit einem ökologischen Mindest-Standard sein. Wir brauchen ein Modell, welches verbindliche Regeln über das gesamte Ernährungssystem festlegt. Damit die Äpfel nicht auf der Wiese liegen bleiben und damit auch in Zukunft in der Schweiz Lebensmittel produziert und gleichzeitig gemeinwirtschaftliche Leistungen zum Schutz unserer Ökosysteme erfolgreich erbracht werden.
Kästchen
Ideenwettwerb lanciert: Indikatorensystem der SALS
Es werden aktuell auch andere Lösungen und Weiterentwicklungen des Direktzahlungssystems diskutiert. So hat die Schweizerische Vereinigung für einen starken Agrar- und Lebensmittelsektor, SALS, ein Indikatorensystem lanciert. Mit diesem System strebt die SALS eine ganzheitliche Betrachtung des Agrar- und Ernährungssystems an. Dies ist deshalb überzeugend, da die angestrebte Transformation des Ernährungssystems hin zu Nachhaltigkeit nicht nur auf Ebene der landwirtschaftlichen Produktion erfolgen kann, sondern entlang der gesamten Wertschöpfungskette bis hin zum individuellen Ernährungsverhalten realisiert werden muss. Dabei ist eine Vielzahl von Akteursgruppen und Institutionen einzubeziehen. Ausserdem adressiert das Indikatorensystem bewusst auch die Zielkonflikte, die entstehen, wenn alle Dimensionen der Nachhaltigkeit (Ökologie, Ökonomie und Soziales & Ethik) zusammen betrachtet werden. Das Indikatorensystem besteht momentan nur auf der Konzeptebene, hat aber das Potential, Brücken zwischen den Entwicklungen in der Branche (z.B. Grüner Teppich Milch) und im Handel (z.B. M-Check) mit dem Direktzahlungsprogramm des Bundes zusammenzubringen.
Obwohl die Mehrheit der Landwirt:innen die 3.5 % Biodiversität in den Ackerflächen unterstützt, werden sie voraussichtlich vom nationalen Parlament abgeschafft. Dies in dem Entscheide, die auf Verordnungsebene beschlossen und eingeführt worden sind und nun vorausssichtlich über eine Motion gekippt werden. Und das, obwohl viele Landwirt:innen solche Flächen bereits angelegt haben und die beiden Verbände (IP Suisse und Bio Suisse), welche zusammen die Mehrheit der Landwirt:innen vertreten, sich klar für den Beibehalt dieser Massnahme ausgesprochen haben. Sie haben auch an einem Hearing der Wirtschaftskommission teilgenommen und aufgezeigt, warum Biodiversität und Produktion sich gegenseitig brauchen, gerade in den Ackerflächen.
Es ist unverständlich, dass die Politik sich zu solchen Manövern hinreissen lässt, respektlos gegenüber allen Landwirt:innen, welche diese Flächen bereits angelegt und die Verordnung umgesetzt haben.
Sowohl der Geschäftsführer der IP Suisse als auch der Präsident der Bio Suisse haben betont, dass die Rückmeldungen und Anpassungsvorschläge zum Instrument zeigen, dass sie durch die Branche auch aufgenommen werden. Es zeigt auch, dass die aktuell vorgeschlagenen Anpassungen ein sinnvoller Kompromiss sind, der für die Landwirtschaft gut ist. Denn so kann die Biodiversität entscheidend gefördert werden, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen. Die Wirkung der Acker-BFF gegen Erosion und zugunsten der Wasserspeicherung sowie der Förderung von Insekten und Nützlingen sind wichtig für stabile Erträge. Und sie sind eine Investition in den Erhalt der Artenvielfalt.
In der Schweiz sind 45% der heimischen Wildbienen gefährdet. Das geht aus der aktualisierten Roten Liste Bienen hervor, die das Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlicht hat. Hauptursachen dafür sind ein mangelndes Angebot an Blüten zum Sammeln von Pollen und Nektar sowie fehlende Nistplätze. Vision Landwirtschaft hatte bereits im Newsletter Februar 2023 auf diese Situation der Wildbienen hingewiesen, da diese Basis-Daten bereits dann bekannt waren. Die Landwirtschaft ist angewiesen auf eine gute Bestäubungsdienstleistung auch durch die Wildbienen.
Die Landwirtschaft macht schon einiges für die Biodiversität. Das Problem ist nicht die fehlende Beteiligung der Landwirt:innen an den Programmen. Aber sie sind so ausgestaltet, dass sie nicht die optimale Wirkung entfalten.
Es braucht ein ganzheitliches Denken und Handeln, um die Biodiversitätskrise noch aufhalten zu können. Doch nicht nur im Kulturland muss mehr für die Biodiversität getan werden. Auch im Wald und ganz besonders im Siedlungsraum sind zusätzliche dringende Massnahmen nötig. Es ist eine Aufgabe welche die ganze Gesellschaft gemeinsam lösen muss.
Zurzeit werden die Weichen der Biodiversitätsförderung im Kulturland neu gestellt. Mit der Zusammenführung der Vernetzungs- und Landschaftsqualitätsprojekte stehen wichtige Veränderungen bevor.
Beim Thema Biodiversität lohnt sich der Blick auf sachliche Grundlagen. Zurzeit sind auf nationaler Ebene keine quantitativen Zielvorgaben vorgesehen und im Landschaftskonzept Schweiz sind wichtige Grössen nicht im Detail definiert. Aus diesem Grund hat die die Schweizerische Vogelwarte die Begriffsdefinition «hochwertige Biodiversitätsförderflächen» erarbeitet und darauf abgestützt quantitative Zielvorgaben formuliert.
Die Evaluation der Vernetzungsprojekte hat aufgezeigt, dass gute Projekte von messbaren und klaren Zielen und weiteren Faktoren wie einer qualitativ hochstehenden Beratung geprägt sind. Biodiversität ist für die landwirtschaftliche Produktion essentiell und braucht eine konsequente Unterstützung aus der Politik und Gesamtgesellschaft. Denn die Biodiversität kommen uns allen zu Gute. Damit die Umsetzung funktioniert und die Qualitätsziele erreicht werden, braucht es genügend hochwertige und vernetzte Flächen an der richtigen Lage zur Förderung der Biodiversität.
Das Bundesamt für Landwirtschaft hat kommuniziert, dass die Massnahmen für die Reduktion von Pestiziden erfolgreich seien, dies nach dem ersten Jahr der Anpassung der Produktionssystembeiträge. So haben Landwirtschaftsbetriebe 19 Prozent (53'000 ha) der Gesamtfläche an Ackerland, Rebflächen und Obstanlagen ohne den Einsatz von Herbiziden bewirtschaftet. Zudem verzichteten die Betriebe auf rund einem Viertel der gesamten Ackerfläche (102’000 ha) auf Fungizide und Insektizide (+10'000 ha gegenüber 2022).
Als Reaktion auf die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative hat das Parlament 2022 die parlamentarische Initiative «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren» verabschiedet. Damit hatte das Parlament den Bundesrat beauftragt, die Risiken bei der Anwendung von Pestiziden bis 2027 um 50 Prozent zu reduzieren und die Nährstoffverluste angemessen zu senken.
Diese erste Auswertung zum Jahr 2023 zeigt auf, dass grundsätzlich eine gewissen Dynamik in die richtige Richtung da ist und die Landwirt:innen auch beweglich sind und auf so ein Programm positiv reagieren. Was aber die Bilanz schönt, ist die Anzahl Bio-Betriebe, die neu in der Statistik erfasst werden.
Für das laufende Jahr sieht IP Suisse, dass es einen Rückgang im Anbau von herbizidfreiem Weizen im IP-Suisse Programm gibt. Auch im Kartoffel-Programm gibt es Herausforderungen. Dies lässt eher darauf schliessen, dass die Produktionssystembeiträge keine langfristigen Veränderungen bewirken. Damit das Programm tatsächlich gut weitergeht, wird es auch noch Veränderungen am Markt brauchen, so dass die aufwendigeren Produktionen ohne Pestizide auch ökonomisch funktionieren.
In der gleichen Mitteilung hat das Bundesamt für Landwirtschaft kommuniziert, dass beim neuen Weidebeitrag die Beteiligung beinahe 50 Prozent über den Erwartungen lag. Über 10'000 Rindviehbetriebe (32 %) haben im letzten Jahr erstmals an diesem neuen Programm teilgenommen.
Für die neuen und weiterentwickelten Produktionssystembeiträge hat der Bund im vergangenen Jahr rund 260 Millionen Franken ausgerichtet, was etwa 10 Prozent des Kredits der Direktzahlungen entspricht. Diese Mittel wurden mittels Beitragssenkungen bei anderen Direktzahlungen vollständig kompensiert.
In der Ausbildung zur Landwirt:in wählt nicht einmal mehr jeder Zehnte den Schwerpunkt «Bio», wie Zahlen des Bauernverbandes zeigen.
Vision Landwirtschaft vermutet diese geringe Nachfrage unter anderem damit, dass viele Lernende auf einem Hof aufgewachsen sind und weiterhin so produzieren möchten, wie sie es auf dem elterlichen Betrieb kennengelernt haben. Die Nachfrage einer biologischen Grundbildung ist bei Lernenden, die quer in die Branche eingestiegen sind, deutlich höher. Doch noch immer ist es für diese Quereinsteiger:innen schwer, Aussicht auf einen eigenen Hof zu haben. Eine Änderung im bäuerlichen Bodenrecht könnte Quereinsteiger:innen erheblich bessere Chancen auf einen eigenen Betrieb geben – und dadurch die biologische Landwirtschaft stärken.
(VL) Möchte die Schweiz bis 2050 beim Klimaschutz das Netto-Null Ziel erreichen, sind unter anderem innovative Ideen zur Stromproduktion gefragt. Welchen Beitrag die Landwirtschaft zur Energiewende leisten könnte, zeigt der Besuch auf einem Himbeerfeld im Luzernischen.
Die bereits warmen Temperaturen an einem strahlenden Tag Anfang März lassen erahnen, wie der Sommer im Luzerner Mittelland werden könnte: Heiss und sonnig. Diese Sonnenenergie benötigen die Pflanzen zwar zum Wachstum, aber ab einem gewissen Punkt ist es auch für die Pflanzen zu heiss. Die zunehmend intensive Sonneneinstrahlung verursacht bei den Beeren Sonnenbrand, für den Frischmarkt sind sie dann unverkäuflich. Verhindert wird dieses Problem bis anhin mit der Abdeckung durch Netze. Das hat auch Bauer Heinz Schmid auf seinem Betrieb so gemacht. Doch ab diesem Jahr ist es anders. Ab diesem Jahr wagt der Beerenproduzent einen Versuch: Er beschattet einen Teil seiner Himbeeren neu mit Solarpaneels. Vision Landwirtschaft hat den Betriebsleiter kurz vor Fertigstellung der Anlage besucht.
Solaranlagen auf landwirtschaftlichen Flächen, kurz Agri-PV, sind in der Schweiz seit dem Sommer 2022 erlaubt. Unter der Auflage, dass die Anlage einen Vorteil für die landwirtschaftliche Produktion bietet oder zu Versuchs- und Forschungszwecken dient, dürfen in der Landwirtschaftszone Solaranlagen gebaut werden. Das heisst: Auf Agri-PV-Flächen sollen in erster Linie weiterhin Lebensmittel hergestellt werden - der Strom wird nebenbei gewonnen.
Die derzeit grösste Agri-PV Anlage der Schweiz befindet sich im Kanton Luzern bei Bioschmid in Aesch. Der Hof produziert seit 1996 nach biologischen Richtlinien und baut unter anderem Heidelbeeren und Himbeeren an. Wie andere Beerenproduzenten auch, hat Schmid bis anhin seine Beeren phasenweise mit Netzen und Folien abgedeckt. Diese Netze schützen die Pflanzen nicht nur vor Starkwetterereignissen wie Hagel und Starkregen, sie beschatten die Beeren auch in Hitzeperioden. Ab Temperaturen über 27°C nämlich leiden die Beeren an Hitzestress: ist die Lichtsumme der Pflanze erreicht, kann sie durch die Photosynthese keine Stoffwechselprodukte mehr einlagern und die Qualität nimmt ab.
Auf einer Versuchsfläche vergleichbar mit der Grösse eines Fussballfeldes, werden seine Himbeeren nun zusätzlich mit Solarpaneels beschattet. Für Schmid ist dabei klar: «Die landwirtschaftliche Produktion steht bei uns im Vordergrund». Er wird weiterhin gleich viel Beeren und mit gleicher Qualität ernten wollen, zusätzlich auch noch Strom für rund 110 Haushalte produzieren.
Bild: Anordnung der Solarpaneelen im traditionellen Anbausystem mit Schutznetzen
«Ich habe schon vor etlichen Jahren von Agri-PV geträumt»
Dass diese Anlage nun hier steht, ist Monika und Heinz Schmid, den Betriebsleitern, zu verdanken. Vor 16 Jahren installierte Bioschmid die erste Solaranlage auf dem Scheunendach und erweiterte ein paar Jahre später die Anlage auf alle Ökonomiegebäude des Betriebs. Heinz Schmid war begeistert davon und hatte die Vision, die Gewinnung von Solarstrom mit seinem operativen Betrieb zu verknüpfen. «Anscheinend habe ich da schon von Agri-PV geredet», schmunzelt Schmid. Die Idee, auf dem Beerenfeld Strom zu produzieren, auf einer Fläche, die ihm als Landwirt zur Verfügung steht, die hat ihn seit da nicht mehr losgelassen. In Eigenregie hat er auf ein paar Quadratmetern direkt neben dem Wohnhaus mit ein paar Panels einen ersten Versuch gestartet, um zu beobachten, wie sich eine solche Anlage auf die Beeren auswirken könnte. «Das hat auch gar niemand gesehen», denn die Panels waren zwischen den im Beerenbau üblichen Netzen nicht auffällig. Und die Beeren? Die seien unter den Panels gleich gut gewachsen wie diejenigen unter den Netzen. Der tatsächliche Effekt liess sich auf der Kleinfläche jedoch nicht genau überprüfen.
Dieser Eigenversuch hat Schmid aber motiviert, der Idee in einem grösseren Stil nachzugehen. Anlässlich eines Austausches von Biobeerenproduzenten und der Forschungsanstalt Agroscope kam eine Zusammenarbeit zustande, und es wurde entschieden, ein Forschungsprojekt auf seinem Betrieb aufzugleisen. Das war im Herbst 2021. Nach Vorabklärungen mit dem Kanton, Gesetzes-Änderungen, Berechnungen und der Sicherstellung der Finanzierung, ist die Anlage im Frühling 2024 nun fast fertig und wird demnächst für die Forschung in Betrieb genommen.
Der Betriebsleiter blickt auf seine Anlage und lächelt: «Dass wir heute so weit sind, ist ein kleines Wunder». Wider Erwarten sei vieles reibungslos verlaufen und er habe viel Unterstützung von Seiten der Grundeigentümer, der Gemeinde, dem Kanton, sowie dem Bundesamt für Energie, welches das Projekt auch finanziell unterstützt, erhalten. «Unterstützung haben wir auch von Stiftungen erhalten und die Partner sind uns mit Rabatten entgegengekommen.», so Schmid.
Erste Resultate werden diesen Herbst erwartet
Auf der Anlage von Bioschmid werden drei verschiedene Solarsysteme verglichen, direkt nebenan liegt das Vergleichsfeld, auf welchem wie bis anhin angebaut wird. (s. auch «Die drei verschiedenen AgriPV-Systeme im Vergleich»). Mit der wissenschaftlichen Begleitung durch Agroscope wird dabei untersucht, welche Auswirkungen und welches Potential eine Solaranlage über dem Feld auf die Landwirtschaft hat. Auswirkungen auf die Pflanzengesundheit, die Bewirtschaftungsmethoden und Auswirkungen auf den Boden und die Biodiversität. In gewissen Systemen decken die Paneels den Boden nämlich dauernd ab und der Niederschlag kommt nicht durch – auch dann nicht, wenn keine Kultur darunter ist. Mit seinem Pilotprojekt will Heinz Schmid auch einen Beitrag leisten, um aus den Zielkonflikten zu guten Lösungen zu kommen. Lösungen die Klimaschutz, Lebensmittelproduktion, Biodiversität und Raumplanung zusammendenken.
Nicht alle sind begeistert
Doch Schmid ist nicht nur auf Anklang gestossen mit seinem Projekt. Die Kritik von Seiten Landschafts- und Naturschutz konnte im Gespräch aufgefangen werden: Da auf solchen Produktionssystemen Abdeckungen bereits gängig sind, verändert sich das Landschaftsbild kaum. «Solarpaneels sind einfach eine Abdeckung anderer Art.», so Schmid. Er sieht die Zukunft von Agri-PV auch klar auf Feldern mit Spezialkulturen, die entweder schon mit Benetzung arbeiten oder die Kultur immer in derselben Reihe angebaut wird. Weitere Kritik stammt auch von anderen Landwirten. Die Anlage sei eine Fördergeldverschwendung, eine Konkurrenz zu Solaranlagen an Ställen und generell ein «Verhältnis-Blödsinn».
Diese Bedenken versteht Schmid gut. Er ist ebenfalls der Meinung, dass zuerst alle Ställe und Gebäudedächer mit Solarpaneels ausgestattet werden sollen. «Wenn in zehn Jahren die Stall-Dächer voll sind, müssen wir wissen, was wo wie funktioniert», so Schmid. Dafür muss heute geforscht werden.
Die Erschliessung ans Stromnetz als entscheidender Faktor
Damit Agri-PV in Zukunft grossflächig erfolgreich wird, ist laut Schmid ein Punkt massgebend: der Anschluss ans Stromnetz. «Diese Netzerschliessung könnte für viele Betriebe eine Hürde sein», so Schmid. Denn viel Landwirtschaftsland ist nicht an das Stromnetz angeschlossen. Auch Schmid musste für den Anschluss an den nächsten Stromkasten eine 90 Meter lange Stromleitung erstellen, damit der über den Beeren produzierte Strom nun ins Stromnetz des Netzbetreibers eingespeist werden kann. Auch die nah gelegene Industrie habe schon Interesse am Strom von Schmid geäussert, doch das momentane Energiegesetz lässt dies zurzeit nicht zu. «Das wird sich mit dem neuen Stromgesetz ändern», so Schmid (s. Kästchen 2 Stromgesetz). Für ihn ist klar, dass mit den Herausforderungen, wie zum Beispiel dem Klimawandel, die Landwirtschaft auch mit anderen Branchen zusammenarbeiten muss. Nicht nur betreffend Stromleitungen, sondern ganz allgemein betreffend Ressourcen.
Wie sich die Solaranlage über den Beeren auf die Qualität, die Bewirtschaftung und den Boden auswirkt, werden erste Forschungsresultate kommenden Herbst zeigen. Ein klarer Vorteil ist Schmid jedoch schon vergangenen Sommer aufgefallen: Erfreute Pflücker:innen. Denn auch für sie sind die kühleren Temperaturen angenehmer. «Diese paar Grad weniger unter den Paneels, die sind während der Erntezeit im Hochsommer Gold wert», so Schmid.
Kästchen 1
Die drei verschiedenen Agri-PV Systeme im Vergleich
Auf der 0.72 ha grossen Versuchsfläche von Bioschmid werden drei verschiedene Solar-Systeme verglichen, direkt nebenan liegt das Vergleichsfeld, auf welchem wie bis anhin angebaut wird.
Durch die maschinelle Bewirtschaftung der Felder ist in allen drei Systemen dieselbe Grundstruktur wie der Reihenabstand von 3 Metern gegeben. Nachfolgende Tabelle erläutert die Unterschiede.
Kästchen 2
Stromgesetz (Bundesgesetz für eine sichere Stromversorgung mit erneuerbaren Energien)
Am 9. Juni 2024 stimmt die Schweiz über ein neues Energiegesetz ab, das Stromgesetz. Die Vorlage hat zum Ziel, den Ausbau der erneuerbaren Energie zu fördern, die Netzsicherheit und die Energieeffizienz zu stärken.
Im Beispiel von Bioschmid würde das bedeuten, dass bei einer Annahme der Vorlage die kantonale Stromleitung auch privat genutzt werden könnte. Somit dürfte Schmid diese Stromleitung benutzen, um seinen produzierten Strom direkt an die daneben liegende Industrie verkaufen zu können, ohne eine zusätzliche Leitung einziehen zu müssen. Dieses Gesetz betrifft auch Solaranlagen auf den Dächern in der Landwirtschaftszone, denn die dezentrale Stromproduktion erfordert Anpassungen im Versorgungssystem, da auch da mehr Akteure daran beteiligt sein werden. Aktuell können viele Landwirtschaftsbetriebe das Potential ihrer Dächer aufgrund der begrenzten Kapazität der Leitung nicht nutzen. Das Stromgesetz wird – bei einer Annahme durch die Stimmbevölkerung - diese Rahmenbedingungen verbessern und auch die Zusammenschlüsse von lokalen Elektrizitäts-Gemeinschaften unterstützen. Neu wird auch eine gleitende Marktprämie - eine Absicherung gegen sehr tiefe und ein Förderstopp bei sehr hohen Marktpreisen – als Alternative zu den bereits etablierten Einmalvergütungen und Investitionsbeiträgen eingeführt. Die Rückspeisung wird neu zu einem schweizweit harmonisierten, vierteljährlich gemittelten Marktpreis zum Zeitpunkt der Einspeisung vergütet. Zudem werden Minimalvergütungen für Kleinanlagen bis zu einer Grösse von 150 kW festgelegt.
Das Parlament hat 2021 eine Mitteilungspflicht für Verkauf und Weitergabe, also den Handel, mit Pflanzenschutzmitteln und Nährstoffen (speziell Kraftfutter und Dünger) beschlossen. Gleichzeitig wurde eine Mitteilungspflicht für Anwender:innen, die professionell Pflanzenschutzmitteleinsetzen, beschlossen. Das betrifft die Landwirtschaft, Lohnunternehmungen sowie Betreibende von Infrastruktur und Grünanlagen aus Wirtschaft und öffentlicher Hand. Für die Erfassung aller von der Mitteilungspflicht geforderten Angaben hat das Bundesamt für Landwirtschaft BLW in enger Absprache mit den künftigen Nutzerinnen und Nutzern die digitale Webanwendung digiFLUX entwickelt. Eine mehrjährige Übergangsfrist mit vereinfachter Mitteilungspflicht soll die Einführung der digitalen Aufzeichnungen erleichtern. Vor Kurzem hat nun das BLW Verschiebungen im Zeitplan kommuniziert (https://digiflux.info/de/#aktuelles).
Nun formiert sich Widerstand gegen die Mitteilungspflicht als solches, der insbesondere aus dem Handel zu kommen scheint. Das erstaunt nicht, denn digiFLUX bringt endlich Transparenz in den Handel mit Pestiziden und Kunstdünger. Bis jetzt waren nur die Landwirtschaftsbetriebe verpflichtet, in verschiedenster Form Daten abzuliefern. Verständlich ist der Anspruch, dass digiFLUX keinen Mehraufwand für die Landwirt:innen mit sich bringen darf. Die Transparenz beim Handel verteilt nun jedoch die Verantwortung auf die ganze Kette. Das ist neu, aber auch sehr wichtig. Denn so übernehmen alle Akteure ihren Teil der Verantwortung.
digiFLUXist ein unverzichtbares Instrument für ein gesamtschweizerisch reibungsloses Funktionieren aller beteiligten Akteure. Zu diesen Akteuren gehören auch das BLW, BAFU und die Kantone, die die Daten für das Agrarmonitoring (AUM) und die Agrarumweltindikatoren (ZA-AUI) dringend benötigen, um eine wirksame Erfolgskontrolle umweltpolitischer Massnahmen sicherzustellen. Im Weiteren leistet digiFLUX einen wichtigen Beitrag zur nachhaltigen Entwicklung durch Erkennen von Gefahrenmustern und –ursachen für einen kontinuierlichen Verbesserungsprozess.
Im Austausch mit Landwirtinnen und Landwirten, die Pestizide ausbringen, kommt immer wieder die Diskussion auf, wie stark die Gesundheit der Anwender:innen beeinträchtigt wird.
Dazu gibt es in der Schweiz wenig Daten. In anderen Ländern sind gewisse Krankheiten, die durch Pestizide ausgelöst werden können, als Berufskrankheiten eingestuft. Indizien für die Gesundheitsgefährdung finden sich beim Lesen der «Wiederbetretungsfrist»: Fristen für das Wiederbetreten von Kulturen werden festgelegt, falls am Folgetag nach der Spritzung trotz Arbeitskleidung und Handschuhen keine sicheren Nachfolgearbeiten durchgeführt werden können. Während dieser Frist sind Laubarbeiten gänzlich verboten und es muss abgewartet werden, bis sich die Rückstände auf den Blättern soweit abgebaut haben, dass ein sicheres Betreten der Parzelle mit Arbeitskleidung und Handschuhen wieder möglich ist. Gemäss der Agridea ist dies nur bei Produkten mit Schutzniveau 3 nötig. Offensichtlich sind aber diese Produkte sehr toxisch, sonst wären solche Schutzmassnahmenfür die Anwender:innen nicht nötig. Weitere Hinweise gibt eine Studie desSECO. Sie zeigt, dass gewisse Gesundheitseffekte in der Landwirtschaft im Vergleich zu anderen Berufsgruppen häufiger vorkommen. So kommen bei Landwirten spezifische Krankheiten vor, von denen wissenschaftlich erwiesen ist, dass sie mit der Anwendung von Pflanzenschutzmitteln zusammenhängen. In der Literatur finden sich Trends für zwei Arten von Krankheiten: Krebserkrankungen und Schäden des Nervengewebes.
In der Schweiz wird das auch in der Öffentlichkeit bisher sehr wenig diskutiert, im Fokus stehen jeweils die Auswirkungen der Pestizide auf die Konsument:innen oder die Umwelt. Im Kanton Zürich haben nun die Parlamentarier Benjamin Krähenmann (Grüne), Hans Egli (EDU) und Konrad Langhart (Mitte) eine Anfrage eingereicht. «Auch wenn internationale Studien in eine klare Richtung weisen, ist die Datenlage in der Schweiz noch sehr dünn», heisst es im Vorstoss. Somit kommt nun das Thema auch in der Politik zur Diskussion.
Eine erste Pestizidmonitoring-Studie mit Fokus auf die Konsument:innen wird aktuell von der Biologin Dr. Caroline Linhart geleitet und zusammen mit der Universität Neuenburg durchgeführt.
Die Agrarallianz hat in einer Medienmitteilung das Parlament aufgefordert, eine konstruktive und kohärente Agrar- und Ernährungspolitik zu verfolgen. Das Parlament hat an der Frühlingssession mit einigen Beschlüssen nicht nur die Ziele der Agrarpolitik torpediert, sondern auch unnötige Unsicherheiten für die Bäuerinnen und Bauern geschaffen. Mit zwei Entscheiden griff das Parlament in laufende Vernehmlassungsprozesse ein (Mo. Bregy 21.4164 und Mo. Grin 22.3819). Die gefällten Entscheide sind problematisch, denn sie versuchen das Gesamtpaket um die Absenkpfade Pestizide und Nährstoffe (Pa.Iv. 19.475 «Das Risiko beim Einsatz von Pestiziden reduzieren») nachträglich abzuschwächen. Die Agrarallianz fordert die konsequente Umsetzung der beiden Absenkpfade, um die Umweltziele in der Landwirtschaft zu erreichen. Mit dem Postulatsbericht präsentierte der Bundesrat im Juni 2022 im Auftrag des Parlaments eine klare Strategie für die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik. Die Agrarallianz erwartet vom Parlament, dass es sich an dieser breit abgestützten Strategie orientiert und aufhört, diese mit Mikromanagement zu torpedieren. Dies schadet auch den Bäuerinnen und Bauern, die auf Planungssicherheit und klare Rahmenbedingungen angewiesen sind. Für den Einbezug der gesamten Wertschöpfungskette braucht es einen Systemwechsel von der Agrarpolitik hin zu einer Agrar- und Ernährungspolitik. Dringend notwendig ist auch eine Vereinfachung des Systems sowie ein verantwortungsbewussteres Handeln aller Marktakteure. Die Agrarallianz hat intensiv an den Grundlagen für den Systemwechsel von der Agrar- zur Ernährungspolitik, welche die gesamte Wertschöpfungskette in den Blick nimmt, mitgearbeitet. Diese Lösungsvorschläge (siehe Konzept Agrarpolitik 2030) wird die Agrarallianz nun auch in die Ausgestaltung der AP 2030+ einbringen. Vision Landwirtschaft engagiert sich in dieser Arbeit zur AP 2030+ und die Co-Geschäftsführerin Laura Spring vertritt die Agrarallianz in der Begleitgruppe des Bundesamts für Landwirtschaft.
(mw) Im Kern werfen die Bauernproteste in ganz Europa ein Schlaglicht auf die Fehlentwicklung der Landwirtschaft, die seit den 1960er-Jahren eingesetzt hat – von kleinbäuerlichen Betrieben zur industriellen Landwirtschaft. Immer grösser, immer intensiver, immer höherer Verbrauch an natürlichen Ressourcen, aber auch von Energie und Kapital. Diese von der Agrarpolitik sehr stark geförderte Entwicklung hat in eine Sackgasse geführt und die Bauern in eine grosse Abhängigkeit gebracht, aus der sie sich allein nicht mehr lösen können.
Die Gesellschaft verlangt nach einer Antwort auf die Klimakrise, auf das Artensterben, auf die steigenden Beeinträchtigungen der Gesundheit der Bevölkerung durch Umweltbelastungen. Und die Regierungen haben darauf geantwortet mit entsprechenden Gesetzen und Vorschriften gerade auch für die Landwirtschaft. Dagegen protestieren die Bauern. Sie sind gefangen im Widerspruch zwischen ihrem eingeschlagenen Weg – der ihnen je länger je weniger ein Auskommen ermöglicht - und den Änderungen, die von der Gesellschaft verlangt werden. Der Gastbeitrag im Magazin Agricultura von Jan Douwe van der Ploeg, emerierter Professor für Agrarsoziologie an der Universität Wageningen (NL), analysiert die Ursachen und fordert «wir müssen die Agrarfrage neu überdenken und neu definieren». Die Frage stellt sich für alle Gesellschaften des industrialisierten Nordens: «Sind wir als Gesellschaft in der Lage, zusammen mit den Landwirtinnen und Landwirten einen neuen Weg (und einen Ausweg aus der Sackgasse) zu finden?»
Sowohl in Deutschland und Italien als auch in Frankreich und in der Schweiz gehen Bäuerinnen und Bauern auf die Strasse, um für bessere Bedingungen in der Landwirtschaft zu protestieren. Während in Deutschland und Frankreich die Proteste sich insbesondere gegen die Politik richten, ist es in der Schweiz eine andere Ausgangslage: denn hier hat seit einigen Jahren der Bauernverband bei den entscheidenden Geschäften (seit Sistierung der AP 22+) die Mehrheiten. Die Machtverhältnisse in der Wertschöpfungskette konnte aber auch der Bauernverband in der Schweiz bisher nicht gross beeinflussen. Fakt ist: ohne entscheidende Veränderungen im Detailhandel, in der Verarbeitungsindustrie und beim Grenzschutz werden es auch die Schweizer Bäuerinnen und Bauern weiterhin sehr schwer haben. Sie stehen in den Preisverhandlungen und innerhalb der Wertschöpfungskette mit dem Rücken zur Wand und es wird immer schwieriger Betriebe ökonomisch rentabel zu bewirtschaften.
Aus diesem Grund sind in der Westschweiz am 3. Februar rund dreissig Landwirt:innen mit ihren Traktoren nach Genf gefahren. Es sind mehrheitlich Junglandwirt:innen zwischen 25 und 35 Jahren, die sich für eine bessere Zukunft ihrerseits einsetzen. Auch wenn die Schweizer Bauern im Bundeshaus gut vertreten sind, scheint ihre Macht gegenüber dem Detailhandeln bis anhin eher schwach aufgestellt zu sein. Mit ihrer Aktion in der Westschweiz richten sich die Protestierenden ausdrücklich an den Detailhandel und fordern eine bessere Entlöhnung ihrer Produkte. Landwirt Christian Hofmann aus Avry FR betont in einem Interview gegenüber der Bauernzeitung, dass es sich bei diesen Protesten in der Schweiz um eine friedliche Aktion handelt: «Wir wollen nichts zerstören oder der Bevölkerung, die uns unterstützt und hinter uns steht, Schaden zufügen.» Verständnis für den Unmut der Landwirte hat die Agrarbiologin Angelika Hilbeck, wie sie in einem Interview gegenüber der WOZ erklärt: «Das System hatte nie das Wohl der Bauern im Sinn.» Sie betont aber auch klar, dass die Landwirt:innen eine Mitverantwortung für die heutige Situation tragen, doch andere Lösungen gebe es bereits. Der limitierende Faktor für eine ökologische Transformation ist laut der Wissenschaftlerin «der mangelnde Schulterschluss unter der Bauernschaft, die sich immer noch gegeneinander ausspielen lässt».
Auch der Schweizer Bauernverband macht sich für die Anliegen der Bauern stark. Der Verband verkündet aber in einer Mitteilung, dass Proteste auf der Strasse in der Schweiz nicht zielführend seien und er hat nun eine Petition lanciert. In dieser wird eine bessere Anerkennung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen aus der Landwirtschaft und insbesondere eine bessere Preispolitik gefordert.
Die Kleinbauernvereinigung stellt sich auf den Standpunkt, dass der Schweizerische Bauernverband aktuell mehr Teil der Ursache anstatt der Lösung für die Probleme in der Landwirtschaft sei. Sie fordert, dass den Verstrickungen zwischen bäuerlichen Politikern und (Agrar-)Konzernen ein Riegel geschoben wird, nur so könne das Hofsterben gestoppt und eine zukunftsfähige Landwirtschaft gestaltet werden.
Dass verschiedene Verbände nun auch unterschiedlich auf die Landwirtschafts-Proteste in Europa reagieren, ist bemerkenswert und zeigt auf, dass wir bei dem geforderten Schulterschluss noch nicht angekommen sind. Dieser wird nun insbesondere für die Ausgestaltung der Agrarpolitik 2030 nötig sein, um substantielle Verbesserungen für die Schweizer Landwirtschaft zu erreichen. Dies wird nur gelingen, wenn sich der Fokus von den sogenannten «Umweltauflagen» verlagert auf die wirkliche Herausforderung: ein zukunftsfähiges Ernährungssystem, in welchem die Politik Rahmenbedingungen für die ganze Wertschöpfungskette definiert und verbindliche Spielregeln auch für die grossen Wirtschaftsakteure im Lebensmittelsektor gelten. Dazu braucht es auch eine starke Allianz in der Politik nicht nur für Interessen der Landwirtschaft, sondern auch für eine gesunde Ernährung und einen nachhaltigen Konsum. Dazu müssen sich alle Akteure und Verbände einen Ruck geben, denn es ist wesentlich einfacher, in den alten Grabenkämpfen zu verharren und Schuldzuweisungen zu verteilen, anstatt konkrete Lösungsvorschläge vorwärts zu bringen.
Für die Agrarpolitik 2030 gibt es durchaus Zeichen, die hoffnungsvoll stimmen. Der Prozess der vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) gestartet wurde, stimmt zuversichtlich, da er Rahmenbedingungen schafft, die unterschiedlichsten Organisationen und somit neue Perspektiven an einen Tisch zu bringen. Es ist höchste Zeit für eine konsequente Neuausrichtung sowohl des Direktzahlungssystems als auch der gesamten Agrarpolitik. Die ersten Informationen bezüglich der AP30+ stimmen zuversichtlich, dass dieser Wandel hin zu einer umfassenden Ernährungspolitik gelingen kann. Es braucht nun aber ein klares Bekenntnis der gesamten Wertschöpfungskette und auch aller beteiligten Bundesämter sowie der gewählten Volksvertreter:innen in Bundesbern, diesen wichtigen Wandel mitzutragen. Dies ist nicht nur für das Klima und die Biodiversität match-entscheidend, sondern auch für viele soziale und wirtschaftliche Herausforderungen, welche die Schweizer Landwirtschaft hat. Besser, wir gehen diese Herausforderungen nun an und suchen Lösungen, anstatt dass wir weiter den Stillstand bewirtschaften und dadurch die Probleme noch grösser werden lassen.
Die Motion 19.3445 «Angemessene Entschädigung von Ehegattinnen und Ehegatten und eingetragenen Partnerinnen und Partnern von Landwirtinnen und Landwirten im Scheidungsfall» wurde 2019 im Bundesparlament eingereicht und von beiden Räten überwiesen. Der Bund hat nun im Herbst 2023 einen Vorschlag zur Umsetzung präsentiert und in die Vernehmlassung geschickt.
Das Team des Projektes «Frauen in der Landwirtschaft: sichtbar machen, stärken und vernetzen» von Vision Landwirtschaft und der BFH-HAFL hat vor dem Hintergrund der bisherigen Projektergebnisse und der langjährigen Expertise zum Thema Frauen in der Landwirtschaft eine Stellungnahme zum Gesetzesentwurf erarbeitet. Der vom Bund vorgeschlagene Weg ist für die Umsetzung in der Praxis unzureichend. Wir schlagen weitere Massnahmen und Gesetzesanpassungen vor.
In der Schweiz ist der bäuerliche Familienbetrieb die übliche Form eines Landwirtschaftsbetriebes. Das Güter- und Erbrecht für die Landwirtschaft ist in einem speziellen Bundesgesetz über das Bäuerliche Bodenrecht (BGBB) verankert. Ein Familienbetrieb charakterisiert sich dadurch, dass er aus mindestens zwei Generationen besteht und zwischen den Generationen Kooperation und Solidarität herrscht. Sie arbeiten zusammen und unterstützen sich gegenseitig. Charakteristisch für den Familienbetrieb ist zudem die Übergabe des Betriebes von einer Generation zur nächsten, dies bedingt, dass Kinder geboren und als potenzielle Nachfolger: innen sozialisiert werden (Nave-Herz 2006). Angelehnt an das bürgerliche Familienmodell, worin produktive und reproduktive Arbeit getrennt und die Rolle der Frau auf unbezahlte Versorgungsarbeiten reduziert wurde (z.B. Folbre 2001) hat sich ein Ideal eines ‘traditionellen bäuerlichen Familienbetriebs’ entwickelt. Dies sieht den Mann als Familienoberhaupt und Betriebsleiter (Brandth 2002; Little 2006) sowie als Besitzer und Verantwortlichen für Betriebsarbeiten. Die Frau hingegen ist verantwortlich für die Familienarbeit und den Haushalt und ist zudem als flexible Arbeitskraft auf dem Betrieb einsetzbar (Koller 1965).
Die verkannte Rolle der Frauen in der Landwirtschaft
Durch Veränderungsprozesse in der Gesellschaft und Politik weicht sich dieses traditionelle Rollenbild inklusive streng zugeteilten Arbeitsbereichen langsam auf. Frauen übernehmen beispielsweise mit ausserbetrieblicher Erwerbsarbeit oder der innerbetrieblichen Diversifikation wichtige Aufgaben und tragen zu einem besseren Betriebseinkommen bei (Contzen 2013). Frauen sind zudem erwiesenermassen positive Treiberinnen von innovativer und nachhaltiger Landwirtschaft (Fhlatharta et al. 2017; Serpossian et al. 2022) und übernehmen eine wichtige Rolle in Anpassungsprozessen (Heggem 2014). Sie nehmen demnach eine wesentliche Rolle ein bei der Transformation in eine nachhaltigere und ökologischere Landwirtschaft.
Gesetze zum Teil aus dem Jahr 1951
Die gesetzlichen Anpassungen an die neuen Realitäten in den Bauernfamilien sind bisher nur sehr zögerlich erfolgt. So stammen im heute gültigen Bundesgesetz über das Bäuerliche Bodenrecht mehrere Grundüberlegungen - gerade was die soziale Absicherung der Ehe‑/Partner:in anbelangt - aus dem Vorgängergesetz aus dem Jahr 1951. In aller Regel ist der Betriebsleiter als Selbständigerwerbender registriert sowohl bei der AHV als auch beim Steueramt. Hingegen ist die soziale Absicherung der auf dem Betrieb mitarbeitenden Partnerin (in der grossen Mehrheit sind nach wie vor die Männer die Besitzer des Betriebes und die Frauen die Mitarbeitenden) nur ungenügend gesetzlich verankert. Wenn sie nicht als Angestellte angemeldet und entlöhnt ist, muss ihr ökonomischer Beitrag in der Betriebsrechnung (und damit in der Steuererklärung) nicht ausgewiesen werden. Eine weitere gravierende Lücke ist, dass ihr Eigengut nicht angegeben werden muss, sei es Lohn aus einem ausserbetrieblichen Job oder auch das in die Ehe/ Partnerschaft eingebrachte Eigengut. So verschwindet ihr Eigenkapital vollständig in der Betriebsrechnung und kann im Nachhinein nicht mehr belegt werden. Auch wenn der Betrieb staatliche Finanzhilfen von Hunderttausenden von Franken für Strukturverbesserungsmassnahmen (z.B. Bau eines neuen Stallgebäudes) erhält, verlangt der Gesetzgeber keinen Nachweis der Bezahlung eines Lohnes für die mitarbeitende Partnerin. Die Folge dieser ungenügenden gesetzlichen Absicherung ist, dass im Scheidungsfall die Partnerin des Betriebsleiters ihre bisherige ökonomische Leistung nicht nachweisen kann und damit stark benachteiligt wird und häufig vor dem finanziellen Nichts steht.
Der Bund setzt vorwiegend auf Beratung
Um diese Lücke – die allein die Landwirtschaft nicht aber alle anderen Selbständigerwerbenden betrifft – zu schliessen, wurde 2019 eine Motion (19.3445) im Bundesparlament eingereicht und von beiden Räten überwiesen. Der Bund hat nun im Herbst 2023 einen Vorschlag zur Umsetzung präsentiert und in die Vernehmlassung geschickt.
Die Motion fordert unter anderem, dass die mitarbeitenden Familienmitglieder entweder durch die Auszahlung eines Barlohns oder als Selbstständigerwerbende mit einem Anteil am landwirtschaftlichen Einkommen (der Errungenschaft) beteiligt werden. Diejenigen mitarbeitenden Familienmitglieder, die nicht an der Errungenschaft beteiligt werden, sollen einen gesetzlichen Anspruch auf eine angemessene Entschädigung bei einer Scheidung erhalten.
Anstatt eine rechtlich saubere Lösung vorzuschlagen, geht der Bund nun in eine andere Richtung und will das Problem über Beratungen lösen. Als Voraussetzung für die Gewährung von staatlichen Finanzhilfen für einzelbetriebliche Strukturverbesserungen müssen sich die beiden Partner entweder gemeinsamen in Sachen Güterrecht und Regelung der Mitarbeit beraten lassen, oder sie müssen den Nachweis der Auszahlung eines Barlohnes oder der Gewährung eines Anteiles am landwirtschaftlichen Einkommen erbringen. Sie dürfen aber auch beides.
Die soziale Absicherung bleibt ungenügend
Das Projektteam zieht aus Projekterkenntnissen und der langjährigen Expertise zum Thema Frauen in der Landwirtschaft weitergehende Schlüsse: Die Situation der Frauen in der Landwirtschaft ist aus verschiedenen Studien und Erhebungen negativer, als dies im Bericht des Bundes dargestellt wird. Es besteht trotz Fortschritten nach wie vor ein dringender Bedarf für die Verbesserung der Entschädigung und sozialen Absicherung der in der Landwirtschaft mitarbeitenden Ehe‑/Partner:innen.
Der Vorschlag, bei der Beratung anzusetzen, ist kritisch zu hinterfragen. Verschiedene agrarsoziologische Projekte der BFH-HAFL deuten darauf hin, dass landwirtschaftliche Beratungskräfte Hemmungen haben, «soziale» Themen in der Beratung aufzugreifen. Die Hemmungen beziehen sich einerseits darauf, dass sich die Beratungspersonen zu wenig kompetent fühlen, andererseits, dass sie sich nicht in die Privatangelegenheit der Bauernfamilie einmischen wollen. Eine kürzliche Untersuchung der BFH-HAFL hat betreffend soziale Absicherung von mitarbeitenden Ehepartnerinnen aufgezeigt, dass traditionelle Vorstellungen von Geschlechterrollen der Beratungspersonen ebenfalls eine Rolle spielen können.
Die vorgeschlagene Gesetzesanpassung ist lediglich ein erster kleiner Schritt im Hinblick auf eine Angleichung des landwirtschaftlichen Güter- und Sozialrechts an dasjenige für die übrige Bevölkerung. Daher hat das Projektteam zur Verbesserung der Situation der Ehe‑/Partner:innen in der Landwirtschaft zusätzliche Massnahmen vorgeschlagen inkl. Gesetzesanpassungen im bäuerlichen Bodenrecht und in den Bestimmungen zur beruflichen Vorsorge. Ausserdem müssen Fehlanreize bei den Steuerabzügen eliminiert und bei staatlichen Investitionshilfen Anpassungen bei der Angabe der Darlehen vorgenommen werden, so ist das eingebrachte Eigengut als Darlehen zu deklarieren.
Die Bauernproteste in Deutschland geben auch Anlass, uns darüber Gedanken zu machen, was nötig ist, damit es nicht zu solchen Protesten kommt. Wichtig scheint, dass Diskussionsräume zwischen Landwirtschaft, Konsum, Umweltschutz, Politik und Wissenschaft gut gepflegt werden. Die zwanzig Mitgliedorganisationen der Agrarallianz – darunter auch Vision Landwirtschaft – beweisen immer wieder, dass konstruktiver Dialog auch mit unterschiedlichen Perspektiven möglich ist. Der Bundesrat hat nach der Sistierung der Agrarpolitik 2022+ mit seinem Bericht die Grundlage für die nächste agrarpolitische Reform geschaffen. Die Agrarallianz hat den Bericht zur zukünftigen Ausrichtung der der Agrarpolitik eingehend geprüft, ihn diskutiert und bearbeitet. Gerade auch mit Blick auf die Bauernproteste in unserem Nachbarland.
Eindrücklich ist, dass diese zwanzig Organisationen auch eine klare gemeinsame Vision für die Agrarpolitik entwickeln und definieren konnten: Die Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft stellt Ernährungssicherheit durch Nachhaltigkeit und Resilienz vom Feld bis auf den Teller her. Für die Weiterentwicklung der Agrarpolitik schlägt die Agrarallianz eine Systemänderung vor. Drei Schwerpunkte sollen dabei im Vordergrund stehen: Die Förderung gesamtbetrieblicher Systemansätze, die Weiterentwicklung der Qualitätsstrategie und die Schaffung von Kostenwahrheit.
Mit dem Fokus auf diese drei Bereiche kann ein grosser Teil der skizzierten Zielbilder erreicht werden. Damit die Umsetzung gelingt, muss das Regelwerk vereinfacht und die Selbstverantwortung der Marktakteure gestärkt werden. Die Ausrichtung auf den Konsum gesunder Lebensmittel, auf hohe Tierwohlstandards und eine möglichst umweltverträgliche Produktion und die faire Entschädigung der Marktpartner stehen im Zentrum der Bestrebungen.
Die Agrarallianz bringt sich auch in der laufenden Arbeit in der Begleitgruppe zur AP 30+ ein. Denn als Allianz mit 20 Organisationen aus Landwirtschaft, Konsum, Umweltschutz und Wissenschaft besteht da viel Wissen und Übung darin, verschiedene Perspektiven konstruktiv zu diskutieren. Der Prozess, der vom BLW gestartet wurde, um diese wichtige Aufgabe umzusetzen, stimmt zuversichtlich, weil er Möglichkeiten bringt, verschiedene Organisationen und Perspektiven an einen Tisch zu bringen. Es ist höchste Zeit für eine konsequente Neuausrichtung sowohl des Direktzahlungssystems als auch der gesamten Agrarpolitik. Die ersten Informationen bezüglich der AP30+ stimmen zuversichtlich, dass dieser Wandel hin zu einer umfassenden Ernährungspolitik gelingen kann. Es braucht nun aber ein klares Bekenntnis der gesamten Wertschöpfungskette und auch aller beteiligten Bundesämter sowie der gewählten Volksvertreter:innen, diesen wichtigen Wandel mitzutragen. Dies ist nicht nur für das Klima und die Biodiversität match-entscheidend, sondern auch für viele soziale und wirtschaftliche Herausforderungen, welche die Schweizer Landwirtschaft hat. Besser wir gehen diese Herausforderungen nun an und suchen Lösungen, anstatt dass wir weiter den Stillstand bewirtschaften und dadurch die Probleme noch grösser werden lassen.
Die Schweizer Landwirtschaft emittiert wegen hoher Futtermittelimporte und zu vielen Tieren fast doppelt so viel Ammoniak aus Gülle und Mist wie erlaubt. Das schädigt die Umwelt massiv und verursacht dem Steuerzahler Kosten von Hunderten Millionen Franken jährlich. Das berichtet die SRF Sendung «10vor10».
Anstatt die Probleme an der Wurzel anzugehen und die Fehlanreize zu eliminieren, hat die Politik bisher lediglich mit millionenschweren Gegenanreizen reagiert - allerdings mit geringem Erfolg, wie SRF im DOK «Amtlich tolerierte Umweltverschmutzung» aufzeigt.
Der Film zeigt wichtige Zusammenhänge auf, stellt aber die aktuelle Ausgangslage in Bezug auf den Kanton Luzern unvollständig dar.
Es ist aus wissenschaftlicher und auch gesamtgesellschaftlicher Sicht klar: Die Tierbestände müssen dringend auf ein standortgemässes Mass reduziert werden. Nur so können unsere Lebensgrundlagen weiterhin erhalten werden. Das heisst konkret für den Kanton Luzern, dass mehr das Grünland für Wiederkäuer genutzt wird, und die Anzahl Schweine und Poulets reduziert wird. Dazu braucht es Veränderungen im Ernährungssystem und das hat der Luzerner Kantonsrat im März 2022 so beschlossen. Als Massnahme aus dem Klimabericht wurde die Reduktion der Tierbestände beschlossen (https://klima.lu.ch/Klimapolitik_Kanton_Luzern/Planungsbericht_Klima_und_Energie). Das hatte im Parlament eine gute Mehrheit und wurde von allen Parteien, ausser der SVP unterstützt.
Ausserdem wurden die Offensive Spezialkulturen und der Aktionsplan Biolandbau lanciert. Es braucht gerade im Kanton Luzern einiges an Willen, das aktuelle System zu verändern. Dieser Wille ist zumindest bei Teilen der Branche zu spüren und der Kanton hat wichtige Weichen gestellt. Weitere Schritte werden aber nötig sein. Dazu braucht es Perspektiven für die Landwirt:innen, damit sie aus ihren bisherigen Betriebszweigen aussteigen können. Das ist eine herausfordernde Aufgabe, weil die Investitionen hoch waren, daraus folgt teilweise auch eine hohe Verschuldung der Betriebe. Die Wertschöpfung ist in den Clustern Schweinemast und Pouletmast hoch. Damit die Bemühungen des Kantons Luzern und die Investitionen der Steuergelder für Klimamassnahmen in der Landwirtschaft erfolgreich sind, braucht es aber auch eine kohärente nationale Agrarpolitik. Und die fehlt im Moment fast vollständig.
Bezüglich Baldeggersee ist die Situation noch etwas komplexer, als im SRF Dok dargestellt. Die Phosphoreinträge sind zwar aus dem direkten Umland gesunken, aber aus den entfernteren Zuströmbereichen teilweise noch zu hoch. Zusätzlich machen nun die wärmeren Wassertemperaturen (Klimaerhitzung) dem See zu schaffen, dies wirkt sich insbesondere in der Algenbildung aus. Es braucht daher viele verschiedene Massnahmen, um die wertvollen Mittellandseen zu schützen, damit diese für zukünftige Generationen erhalten bleiben. Vielleicht können sich noch rund um die schützenswerten Seen Projekte entwickeln, welche die Zielkonflikte konkret adressieren. Ein mutmachendes Beispiel ist das 3 Seen Projekt beim Grossen Moos im Berner Seeland. Die Landwirtschaft hat ein eminentes Interesse darin, dass ihre Produktionsgrundlagen erhalten bleiben. Umweltschutz und landwirtschaftliche Produktion müssen - um diese Ziele zu erreichen - Hand in Hand arbeiten. Dieser SRF Dok Film zielt eher auf Skandal und alte Grabenkämpfe ab. Damit werden wir die grossen Herausforderungen nicht lösen können.
In den Medien war zu hören und zu lesen, der Bauernverband wünsche sich einen Bundesrat «der sich nicht in die Landwirtschaft einmische», so dass Agrarminister Guy Parmelin in Ruhe seine Arbeit machen könne.
So logisch das im ersten Moment für die Landwirt:innen tönen mag, so befremdlich und alarmierend ist diese Haltung für die Zukunft unserer Landwirtschaft. Gerade jetzt, wo der Bundesrat endlich klar gesagt und entschieden hat, dass es eine umfassende Ernährungspolitik braucht. Unser Ernährungssystem geht alle sieben Bundesrät:innen etwas an, so wie auch die ganze Gesellschaft Verantwortung übernehmen muss.
Wir alle brauchen gesunde und schmackhafte Lebensmittel, weil Ernährung Leben ist. Wir alle brauchen sauberes Trinkwasser, gesunde Böden, eine funktionierende Biodiversität und ein stabiles Klima.
Aber aktuell profitieren weder die Konsument:innen noch die Produzent:innen. sondern nur einige wenige Konzerne von den herrschenden Regelungen. Die Landwirt:innen verdienen oftmals zu wenig, und weder die Umweltbelastungen, noch die Sozial- und Gesundheitskosten sind in den Marktpreisen integriert. Dies führt zu starken Fehlanreizen im Konsum.
Es wird daher die ganze Gesellschaft brauchen, damit unser Ernährungssystem transformiert werden kann, so dass in Zukunft die Landwirtschaft gesunde Lebensmittel produzieren kann und dass wir sauberes Wasser sowie gesunde Böden und eine intakte Biodiversität erhalten können. Aber auch so, dass die Bauern und Bäuerinnen auch an den Gewinnen des Ernährungssystem beteiligt sind und sich entsprechend weiterentwickeln können.
Das wird der Agrarminister nicht alleine schaffen, im Gegenteil, auch seine Kolleg:innen müssen Verantwortung übernehmen. Denn aktuell müssen die Landwirt:innen praktisch alleine die ganzen gesetzlichen Vorgaben und den Dschungel an Verordnungen tragen. In der gesamten Wertschöpfungskette gibt es noch sehr viel zu tun, was dann auch die Bäuerinnen und Bauern entsprechend entlasten muss. Die Landwirtschaft ist vom ganzen Tun unserer Gesellschaft betroffen: Wenn weiterhin viel Kulturland verloren geht, weil wir Autobahnen bauen wollen, wenn weiterhin die Industrie und unser ganzer Konsum das Klima aus dem Lot bringen, wenn der Detailhandel freie Hand hat welche Produkte er zu welchen Preisen verkaufen kann, wenn die Gesundheitskosten steigen, weil wir uns ungesund ernähren, wenn die Konsument:innen preislich bestraft werden, wenn sie umweltfreundliche und gesunde Lebensmittel kaufen. Das alles sind Herausforderungen, welche der Agrarministier nicht alleine lösen kann.
Momentan werden die Landwirt:innen mit den vielen Zielkonflikten alleine gelassen. Das wird sich erst ändern, wenn die Politik endlich Verantwortung übernimmt und für das ganze Ernährungssystem Spielregeln definiert. Die ersten, die davon profitieren, werden die Bauern und Bäuerinnen sein.
Der Bund ist überzeugt, dass die Schweiz genügend gute Ackerböden für die Ernährungssicherheit hat gemäss seiner Medienmitteilung vom 28.11.2023. In einem Beitrag der Sendung «Echo der Zeit» von Radio SRF nimmt Vision Landwirtschaft dazu Stellung und verweist einmal mehr darauf, dass bereits heute die rund 450'000 Hektaren Fruchtfolgeflächen effizienter genutzt werden müssten, damit sich die Schweiz im absoluten Krisenfall selbst versorgen könnte.
Jedoch müssen wir nicht warten, bis der ganz grosse Krisenfall eintrifft, denn wir erleben bereits kleinere und grössere Kriseneffekte auf unser Ernährungssystem. Zum Beispiel der Anstieg der Futtermittel- und Kunstdüngerpreise im Frühling 2022, sowie die grossen Preiseffekte im Energiesektor, insbesondere auf die fossilen Energieträger.
Wenn wir wirklich die Ernährungssicherheit gewährleisten wollen, müssen wir unser Ernährungssystem grundsätzlich auf den Erhalt der Produktionsgrundlagen ausrichten.
Das geschieht momentan zu wenig. Die Schweiz hängt sehr stark vom Ausland ab für die Nahrungsmittelproduktion: fossile Energie, Futtermittel, Saatgut, Kunstdünger, Pestizide. Gegenwärtig wird rund 50 % der Ackerfläche zur Produktion von Futter für die Tiere eingesetzt. Darüber hinaus hängt die aktuelle tierische Produktion in der Schweiz stark von ausländischen Futtermitteln ab, rund 50 % des Futters für Schweine und Geflügel wird importiert.
Zusammen mit dem Boden ist die Biodiversität die wichtigste Produktionsbasis für die Landwirtschaft. Es braucht daher nicht nur einen quantitativen sondern auch einen qualitativen Schutz des Kulturlandes.
Die aktuelle Erhebung der Fruchtfolgeflächen zeigt, dass wir auch das quantitative Ziel nur knapp erreichen. Der hohe Druck auf die Fruchtfolgeflächen durch die hohe Bautätigkeit und geplante Autobahnausbauprojekte stellt die Landwirtschaft vor schwierige Herausforderungen. Der Selbstversorgungsgrad soll gehalten werden, aber bisher konnten viele wichtige Umweltziele im Bereich Bodenschutz und Erhalt der Bodenfruchtbarkeit nicht erreicht werden. Das heisst, es besteht weiterhin Druck auf die Landwirtschaft, ökologischer zu werden, damit die Produktionsgrundlagen nicht geschädigt werden. Einen grossen Teil dieser Herausforderung können wir als Gesellschaft gemeinsam meistern, in dem wir unser Ernährungssystem nachhaltiger ausrichten, zwei einfache Hebel sind: der Konsum von mehr pflanzlichen Produkten und die agrarökologische Produktion von Lebensmitteln für die menschliche Ernährung.
Wir essen in der Schweiz rund vier Mal so viel Zucker, als eigentlich gesund wäre. Wenn nur der Zucker angebaut würde, den unsere Gesundheit verkraften kann, könnte die Schweiz ihren Bedarf leicht selber abdecken. Statt den konventionellen Zuckerrübenbau künstlich so hoch zu halten, um zwei Fabriken betreiben zu können, würde eine Fabrik genügen – die dann dafür mehrheitlich biologisch angebaute Rüben produzieren würde.
Im neusten Agrarbericht 2023 zieht das Bundesamt für Landwirtschaft Bilanz über 30 Jahre Direktzahlungen - Erfolge und Herausforderungen. Der Agrarbericht zeigt auf, dass der Selbstversorgungsgrad weiter gesunken ist, dass hingegen der Sojaanbau in der Schweiz gestiegen ist, und dass die Schweizer:innen tierische Produkte aus der Schweiz bevorzugen. Das BLW kommt zum Schluss, dass das Direktzahlungssystem an sein Grenzen stösst. (https://www.admin.ch/gov/de/start/dokumentation/medienmitteilungen.msg-id-98755.html)
Vision Landwirtschaft zieht weitere Schlüsse aus den aktuellen Zahlen: Das Direktzahlungssystem hat insbesondere im Bereich der Umweltziele versagt. Die Stickstoff- und Phosphorbilanz ist nach wie vor aus dem Gleichgewicht, und die Ammoniakemissionen steigen wieder und sind weit entfernt von den Zielwerten. Allein die Ammoniakemissionen müssten um 40% reduziert werden. Auch das Umweltziel, die Stickstoff-Einträge aus der Landwirtschaft in die Gewässer gegenüber 1985 um 50 % zu reduzieren, konnte nicht erreicht werden. Auch die Treibhausgasemissionen und der Energiebedarf im Allgemeinen steigen sogar wieder, obschon eine Reduktion dringend wäre.
Das Ziel wäre:
Eine Landwirtschaft, welche gesunde Lebensmittel produziert und die Ökosystemgrenzen einhält, so dass auch unser Trinkwasser, unsere Böden, unsere Biodiversität und unser Klima intakt bleiben.
Eine Landwirtschaft, die der nächsten Generation von Landwirt:innen Produktionsgrundlagen hinterlässt, mit denen ein widerstandsfähiges und ertragreiches Ernährungssystem weiterentwickelt werden kann.
Nicht nur der Bund, auch einige landwirtschaftliche Organisationen haben in den letzten Wochen immer wieder darauf hingewiesen, dass das Direktzahlungssystem von der Komplexität her am Anschlag sei und die Landwirt:innen kritisieren die Belastung durch den hohen administrativen Aufwand, den sie betreiben müssen. Vor lauter Gesetzesparagrafen und Verordnungs-Dschungel haben nicht nur die Kantone im Vollzug und die Landwirt:innen bei der Umsetzung die Übersicht verloren, sondern auch die Parlamentarier:innen, die über die weitere Landwirtschaftspolitik entscheiden müssen. Es ist höchste Zeit für eine Bestandesaufnahme und konsequente Neuausrichtung sowohl des Direktzahlungssystems, als auch der gesamten Agrarpolitik. Die ersten Informationen bezüglich der AP30+ stimmen uns zuversichtlich, dass dieser Wandel hin zu einer umfassenden Ernährungspolitik gelingen kann. Es braucht nun aber ein klares Bekenntnis der gesamten Wertschöpfungskette und auch aller beteiligten Bundesämter sowie der gewählten Volksvertreter:innen, diesen wichtigen Wandel mitzutragen. Ohne deutliche Fortschritte in der Kostenwahrheit – also der Integration von Umwelt- Sozial- und Gesundheitskosten in die Marktpreise der Lebensmittel - wird diese Transformation nicht möglich sein. Es ist also zwingend, dass der Bund in diesem Bereich die Prämisse des Verursacherprinzips in allen agrar- und ernährungspolitischen Instrumenten ernst nimmt.
Wie ein Bericht des News-Magazin «10 vor 10» von SRF aufzeigt ,ist Schweizer Biozucker Mangelware. Bio Suisse will das nun ändern, aber auch Biozucker ist ungesund.
Die Umstellung von konventionellem Zuckeranbau auf Bio ist zwar gut für die Umwelt, weil so weniger Pestizide in die Umwelt kommen. Pestizide schädigen nachweislich die natürlichen Ressourcen sowie die menschliche Gesundheit. Wenn mehr Produzent:innen auf Bio umstellen, hilft das auch, dass vermehrt auf robuste Sorten gesetzt wird. Zuckerrübe ist eine schwierige Kultur und im konventionellen Anbau werden chemisch-synthetische Insektizide, Fungizide und Herbizide angewendet, welche unsere Biodiversität und unsere Gesundheit schädigen.
Aus gesellschaftlicher Sicht haben wir aber noch viel mehr Probleme:
Der Zuckeranbau wird mit hohen Einzelkulturbeiträgen mit Steuergeld unterstützt. Das fördert den hohen Zuckerkonsum und dies wiederum belastet unser Gesundheitssystem sehr stark. Wir essen viermal soviel Zucker, als gesund wäre. Das generiert Folgeerkrankungen wie Adipositas, Diabetes Typ 2, Herz-Kreislauf-Erkrankungen, Krebs und Karies. Eine Fülle von klinischen Studien weisen nach, dass unser überhöhter Zuckerkonsum (insbesondere durch den zugesetzten Zucker z.B. in Süssgetränken) diese Erkrankungen begünstigt.
Der grösste Anteil der Schweizer Zuckerproduktion geht an grosse Getränkehersteller wie Red Bull oder Coca Cola. Diese profitieren davon, dass wir mit Steuergeldern den Anbau fördern. Das funktioniert schlussendlich für uns als Gesellschaft nicht. Es braucht Massnahmen die den Zuckerkonsum reduzieren. Einen gewissen Anteil Zuckerrübenanbau in der Schweiz ist aus landwirtschaftlicher Sicht sinnvoll, zumindest wenn es BIO Anbau ist. Die Perspektive für das gesamte Ernährungssystem zeigt aber: aktuell fördern wir mit Steuergeld direkt den hohen Zuckerkonsum, was uns massive Kosten im Gesundheitssystem verursacht.
Für die Reduktion des Zuckerkonsums gibt es viele Möglichkeiten:
Begrenzung des Zuckergehalts in Fertigprodukten mit Vorgaben, die auf wissenschaftlichen Ernährungskriterien basieren.
Eine progressive Steuer auf Süssgetränk einführen.
Das Ernährungssystem besteht aus vielen zusammenhängenden ökologischen, sozialen und ökonomischen Komponenten. Weniger tierische Proteine, weniger Food Waste und eine auf agrarökologische Prinzipien beruhende Produktion: Das könnte die menschliche Gesundheit stärken und das Klima schonen. Im neusten ProClim Flash nimmt Bernhard Lehmann Stellung zur lokalen und globalen Transformation des Ernährungssystems.
Für Bernard Lehmann braucht es eine grundlegende Transformation der Ernährungssysteme, um die globale Ernährungssicherheit zu verbessern. Auch das Schweizer Ernährungssystem müsse sich verändern, da es einen ökologischen Fussabdruck habe, der weit über dem Weltdurchschnitt liegt. Insbesondere sei die weitgehend bäuerlich strukturierte Landwirtschaft verhältnismässig hilfsstoff- und kraftfutterintensiv und habe dadurch negative Folgen für die Biodiversität, das Klima, die Bodenfruchtbarkeit und die Wasserqualität.
Zwar habe die Schweizer Politik erkannt, dass in der Agrarpolitik Ernährungsfragen stärker berücksichtigt werden müssen, aber die Prozessabläufe zwischen Ämtern, Bundesrat und Parlament seien noch zu wenig harmonisiert. Das Fazit: Sektorübergreifende, politische Massnahmen sind wichtig.
Bernard Lehmann ist Präsident der Plattform Wissenschaft und Politik der Akademie der Naturwissenschaften Schweiz (SCNAT) und Vorsitzender des Fachgremiums für Ernährungssicherheit und Ernährung (High Level Panel of Expert for Food Security and Nutrition, HLPE-FSN) des Ausschusses für Welternährungssicherheit der Vereinten Nationen (UN Committee World Food Security and Nutrition). Der Agrarökonom war 20 Jahre ordentlicher Professor an der ETH Zürich und war von 2011 bis 2019 Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft.
Beim Theme Kostenwahrheit gibt es viele Chancen aber auch viele Unsicherheiten. Oft wird zwar über Methoden und mögliche Instrumente diskutiert, jedoch fehlen in der Schweiz konkrete Beispiele und Daten.
Dazu wollen wir mit einem Zusammenarbeitsprojekt zwischen E4S und Vision Landwirtschaft am konkreten Fallbeispiel zum Thema Brot etwas beitragen.
Unser Projekt hat zum Ziel, die Methodik True Cost Accounting für Food (wahre Kostenermittlung für Lebensmittel) – welche auch von der FAO dieses Jahr weltweit diskutiert wird – in der Schweiz bekannt zu machen. Mit dem Fallbeispiel Brot werden die Vollkosten (ökonomische, ökologische und soziale – inkl. Gesundheitskosten) innerhalb der gesamten Wertschöpfungskette berechnet. Im Projekt vergleichen wir die Kosten zwischen Bio, pestizidfrei und konventionell hergestelltem Brot. Dieses Projekt findet im Austausch mit Stakeholders und Partnerorganisationen innerhalb der ganzen Wertschöpfungskette statt und auch im Austausch mit Labelorganisationen. Das ermöglicht einen breiten Diskurs, der auch zu besserer Transparenz der Methodik führt.
Die Konferenz «The Spirit of Bern» stand 2023 unter dem Motto «Ernährung – Probleme, Trends und Innovationen». Unsere Ernährung hat nicht nur einen enormen Einfluss auf unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden, sondern auch auf die Umwelt und Gesellschaft. Das globale Ernährungssystem steht vor Herausforderungen wie dem Klimawandel, der wachsenden Weltbevölkerung und der steigenden Nachfrage nach gesunder Ernährung. Am Spirit of Bern vom 24. August 2023 traten Expert*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft und Politik in einen spannenden Austausch zu diesen globalen Themen. Auch Laura Spring von Vision Landwirtschaft nahm an einer spannenden Paneldiskussion zum Thema «Mehr oder anders produzieren» teil.
Die Hochschule St. Gallen (HSG) hat den Grenzschutz für Gemüse und Obst untersucht. Gemäss der Studie werden einkommensschwache Haushalte durch die für Schweizer Gemüse verlangten Verkaufspreise zu stark belastet. Die Schweizer Landwirtschaft sei nicht wettbewerbsfähig, kritisieren die Forscher.
Die Schweizer Landwirtschaft kann international nicht wettbewerbsfähig sein - muss es auch nicht. In der Bundesverfassung (Artikel BV 104) sind die Aufgaben der Landwirtschaft gegenüber der Schweizer Bevölkerung klar umschrieben. Würde die Landwirtschaft den freien Marktkräften ausgesetzt, wäre nur noch in den besten Lagen der Schweiz eine Nahrungsmittelproduktion wirtschaftlich möglich. In den übrigen Lagen aber ist eine einheimische Produktion im globalen Markt nicht konkurrenzfähig. Im freien Spiel der Marktkräfte würden dann allerdings wichtige gemeinwirtschaftliche Leistungen, für die kein privater Markt besteht, nicht mehr erbracht. Dazu gehört die sichere Versorgung mit lokal hergestellten und hochwertigen Lebensmitteln, das Tierwohl oder eine hohe Landschaftsqualität. Diese Vielfalt von multifunktionalen Leistungen ist der Schweizer Bevölkerung enorm wichtig. In industrialisierten Ländern, in welchen keine Anreize zur Erbringung solcher Leistungen angeboten wird, ist die Produktionsweise der Landwirtschaft in Gunstlagen viel zu intensiv, während schwierig zu bewirtschaftende Gebiete gar nicht mehr genutzt werden. Damit wird einerseits das landwirtschaftliche Produktionspotential der Zukunft irreversibel geschmälert; direkt und indirekt beeinträchtigt werden aber auch die Lebensqualität, die Wirtschaft und, durch die Folgekosten, die Staatsfinanzen.
Zölle und Handelsbeschränkungen zum Schutz der Landwirtschaft sind grundsätzlich gerechtfertigt, da ein Agrarfreihandel die Existenz der Landwirtschaft nicht nur in der Schweiz, sondern auch in anderen Ländern gefährdet. So erhebt z.B. die Europäische Union Agrarzölle zum Schutz des Preisniveaus für landwirtschaftliche Erzeugnisse und auch die EU Verbraucher:innen bezahlen infolge der Zölle zum Schutz der inländischen Produktion höhere Produktpreise. Sozialpolitik über die Preise für landwirtschaftliche Produkte betreiben zu wollen, ist völlig abwegig. Da werden die Bedürfnisse zweier Bevölkerungsgruppen gegeneinander ausgespielt – diejenigen der einkommensschwachen Bevölkerung gegen diejenigen der in der Landwirtschaft Tätigen. Solche Forderungen sind nicht nur unsozial, sondern gefährden auch das Zusammenleben in der Bevölkerung.
Eine Woche lang hat der deutsche Discounter Penny neun seiner mehr als 3000 Produkte mit einem bis zu 94 Prozent teureren «Umweltpreis» angeboten. Berechnet wurden diese «wahren Preise» von Wissenschaftlern der Universität Greifswald und der Technischen Hochschule Nürnberg.
Die Penny Aktion hat auch in den Schweizer Medien ein breites Medienecho ausgelöst. In einem Interview des Schweizer Bauer macht der Umweltökonom Felix Schläpfer auf das Systemversagen aufmerksam und kritisiert, dass nachhaltig wirtschaftende Betriebe praktisch gleich viele Direktzahlungen erhalten, wie nicht nachhaltige Betriebe. Viele Direktzahlungen, die der Umwelt schaden und den Wettbewerb verzerren, sollen darum abgebaut werden. Auch zeigt er mögliche politische Schritte auf, um der Kostenwahrheit bei Lebensmitteln näher zu kommen. So seien insbesondere die Eigentumsrechte im Sinne des Verursacherprinzips zu klären und die Umweltziele zu konkretisieren.
Die im Interview erwähnte Studie von Felix Schläpfer und Markus Ahmadi wurde noch unter dem Dach von Vision Landwirtschaft aufgegleist, aber am Ende unabhängig von Vision Landwirtschaft erarbeitet und publiziert.
Der Verein True Cost Economy hat in Deutschland eine Petition lanciert, um die Mehrwertsteuer auf Biolebensmitteln von 7 und 19 Prozent auf null zu senken. Die aktuelle Preispolitik setze keine Anreize für nachhaltigen Konsum und den Ausbau des Biolandbaus, heisst es. Konventionelle Waren, die der Umwelt schaden, würden gleich besteuert wie das schonendere Bio. In der Schweiz mit 2.5 Prozent MwSt. auf Lebensmittel sind solche Diskussionen erst am Anlaufen.
Wer bezahlt für die Folgen unserer Ernährungsweise? Unser Ernährungssystem ist für etwa ein Drittel der weltweiten Treibhausgasemissionen verantwortlich. Die Herstellung und der Konsum von Lebensmitteln erzeugen externe Kosten, die nicht bei der Preiskalkulation berücksichtigt werden. Dazu gehören Umweltzerstörung, Tierleid, Verlust der Biodiversität, Schäden für die Gesundheit und soziale Ungerechtigkeit. Um unser Ernährungssystem neu auszurichten, sind darum neue Massstäbe und Standards notwendig, die neben den Produktionskosten auch die Auswirkungen auf die Umwelt und die Gesellschaft berücksichtigen. Nur wenn allen Akteuren die wahren Kosten bewusst werden, können Anreize dort gesetzt werden, wo sie langfristig einen nachhaltigen Mehrwert generieren.
Tag für Tag werden die Lebensmittelregale gefüllt und Restaurants und Kantinen beliefert. Tausende Produkte sind jederzeit verfügbar. Hinter dem Warenangebot steckt ein hochkomplexes System. Mit hohem logistischem Aufwand sorgen Landwirtschaft, Industrie und Handel dafür, dass die Produkte zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch nur zu einem kleinen Teil landen Lebensmittel direkt aus der Region auf unseren Tellern. Denn die Landwirt:innen aus der Region produzieren überwiegend für den Grosshandel und dadurch legen die Lebensmittel hunderte von Kilometern zurück. Wenn zum Beispiel ein Zürcher Obstproduzent seine Äpfel an die Migros liefert, muss er diese nach Gossau im Kanton St. Gallen fahren und die Migros liefert diese dann an ihre Märkte in der Stadt Zürich. Das sind dann hin und zurück 150 km. Dieses System hat sich über Jahre entwickelt. Doch je komplexer ein System, desto mehr Energie wird benötigt und es wird anfälliger für Störungen aller Art.
Wir sollten die regionalen Ressourcen besser nutzen. Das heisst nicht, dass die Ernährung zu 100 Prozent regional sichergestellt werden sollte. Aber die regionale Selbstversorgung könnte deutlich besser sein. Auf den Flächen rund um die Stadt sollte das wachsen, was nach möglichst kurzem Weg auf den Tellern landet, für ein Ernährungssystem, in dem ein reger Austausch herrscht und in dem es ein gesteigertes Bewusstsein und Interesse für regionale Lebensmittel gibt. Das ist auch ein Ernährungssystem, das man in seiner Freizeit entdecken und erleben kann, das sich durch Diversität auszeichnet, kleine Betriebe erhält und Innovationen fördert. Ein solches System schützt nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Kulturlandschaft und wertet das Leben in der Region durch eine lokale Wertschöpfung auf. Wie das funktionieren kann:
Portrait des Pionierbetriebes Brüederhof - Die Stärken der Region besser nutzen
(VL) Wer regional einkaufen möchte, braucht auch ein regionales Angebot. Und umgekehrt: landwirtschaftliche Betriebe und Verarbeiter brauchen Abnehmer:innen für ihre regional erzeugten Lebensmittel. Um die Nahversorgung zu stärken und Stadt und Land zusammenzubringen, müssen alle Akteur:innen zusammenwirken.
Genau dies findet im Biogarten Lieli auf dem Birchhof in Oberwil-Lieli statt. An der bereits zur Tradition gewordenen Feldbegehung der Geschwister Kessens nehmen immer mehr interessierte Menschen teil. Sie wollen wissen, wie ihr Gemüse- und Obst angebaut wird, das sie mit ihrem Gemüse-Abo an über 150 Quartierdepots im Raum Zürich und Baden abholen können.
Der Biogarten mit zwei unbeheizten Treibhäusern.
Samuel Kessens führt uns durch seinen zwei Hektar grossen Biogarten. Er ist Gemüsebauer, weil sein Vater Gemüsebauer ist. Aber er hat einen besonderen Blick für nachhaltige Systeme und ein starkes Interesse für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Mit neuen Anbaumethoden entwickelt er den väterlichen Betrieb weiter und indem er seine Kunden auf den Betrieb einlädt, fördert er ein tieferes Verständnis für die Lebensmittelproduktion. Das hilft ihm, weil dadurch sein Gemüse nicht perfekt sein muss und die Kunden verstehen, wenn es manchmal weniger Bohnen dafür mehr Zucchetti gibt.
Feldbegehung, angeführt von Samuel Kessens.
Sehen wie das Gemüse wächst.
Sie sind etwas wirklich Besonderes, die kleinen, vielfältig bepflanzten Gemüsebeete. Sehr eng beieinander wachsen Salate, Rüebli, Zwiebeln, Blumenkohl, Himbeeren, Äpfel, Zwetschgen und vieles mehr. An den Rändern der Beete blühen Borretsch, Kamille und andere Wildblumen. Und in zwei ungeheizten Folientunneln warten dichte Reihen grüner Tomaten und Melonen aufs Reifwerden. Auch die vielen kleine, schwarzen Läuse an den Bohnenblättern sind wichtig für die Entwicklung der Marienkäferlarven, denn bald werden sie das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen.
Samuels Kessens Kernanliegen ist die Erhaltung und Wiederherstellung eines humusreichen Bodens als lebendiges Ökosystem. Der Betriebsleiter setzt darum auf Kompost, Gründüngung, eine ausgeklügelte Fruchtfolge, eine reduzierte Bearbeitung des Bodens und enge Pflanzabstände. Die Beete werden so wenig wie möglich betreten oder von Maschinen befahren, damit der Boden nicht zu sehr gestört wird. Das alles ermöglicht eine sehr hohe Produktivität auf sehr kleiner Fläche bei möglichst geringem Verbrauch an Ressourcen. Das Wasser wird von der nachbarschaftlichen Quelle mit einer Solarpumpe in den Wassertank gepumpt und dort gespeichert, wo es dann über ein Tröpfchen Bewässerungssystem langsam in den Kulturen verteilt wird. Feuchtigkeit und Nährstoffe bleiben somit im Boden, der zudem CO2 bindet. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit, auch gegen die Folgen des Klimawandels.
Gesunde Böden erhalten die Feuchtigkeit.
Diese Art der Bewirtschaftung von Agrarland ist in der Schweiz eher selten. Das eigentlich überraschende am Biogarten Lieli sind aber die beinahe zwanzig Mitarbeitende, die hier jäten, pflanzen, bewässern, ernten, waschen, verpacken und ausliefern. Ist das wirtschaftlich tragbar? Ja, meint Samuel Kessens. «Der Grossteil der Produkte wird direkt von uns auf dem Birchhof in unserem Biogarten produziert. Dadurch bleibt die Wertschöpfung auf unserem Betrieb. Andere Produkte kaufen wir aus der Region dazu, um die Wünsche unserer Kund:innen erfüllen zu können. Dabei achten wir auf Saisonalität, Regionalität und eine verantwortungsvolle Produktion.»
Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, um die Nahversorgung zu verbessern. Die öffentliche Hand könnte mehr regionale und saisonale Erzeugnisse in ihren Kantinen einsetzen. Vielfältige und innovative Unternehmen und Initiativen sollten unterstützt und gefördert werden, für «ein System, das wieder Verbindung schafft, vom Landwirt bis zum Teller.»
Die Marienkäferlarven fressen die Eier von Läusen, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt.
Wasser wird sparsam eingesetzt und wo möglich gesammelt und gespeichert.
Jede noch so kleine Fläche wird intensiv genutzt, sogar der Zaun dient als Stütze für Brombeeren und Vogelsitzstangen.
Schonende Bodenbearbeitung, um das Bodengleichgewicht zu erhalten.
Die Überlegungen der NZZ funktionieren sehr gut bei pflanzlichen Produkten jedoch viel weniger bei tierischen Produkten. Denn die grossen Belastungen der Produktion von tierischen Produkten entstehen durch die hohe Stickstoffverschmutzung (diese ist in Deutschland und Österreich ähnlich wie in der Schweiz) und einer Belastung der Biodiversität. Auch die hohen Treibhausgasemissionen welche durch die Tierhaltung verursacht werden sind im Ausland ähnlich hoch wie in der Schweiz und oftmals bei Bio-Produktion nicht wirklich geringer als bei konventioneller Produktion.
In Bezug auf die Klimabilanz funktioniert diese Strategie der Erhöhung der Importe nicht, solange die Ernährungsmuster in der Schweiz gleich bleiben. Landwirtschaft und Ernährung tragen mit 17% einen hohen Anteil zu den Treibhausgas-Emissionen in der Schweiz bei. Mit einer Ernährung, welche sich an den Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide ausrichtet, können neben der Förderung der Gesundheit der Bevölkerung gleichzeitig der Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung sowie weitere negative Umweltwirkungen mehr als halbiert werden. Die Produktion muss dazu aber so angepasst werden, dass die ackerfähigen Flächen für die direkte menschliche Ernährung genutzt und die verbleibenden Tiere mit Gras der natürlichen und nicht ackerfähigen Grünlandflächen sowie Abfällen aus der Lebensmittelproduktion versorgt werden. Insgesamt könnte so der Selbstversorgungsgrad sogar erhöht werden.
Der Ansatz mit den höheren Importen funktioniert, wenn dann tatsächlich mehr Bio-Produkte importiert werden und eher der Anteil an pflanzlicher Ernährung sich erhöht. So können beispielsweise die Pestizid-Belastungen in der Umwelt gesenkt werden können.
In einem Beitrag in der Sendung «Forum» von Radio SRF verteidigt Jakob Lütolf, Vorstand Schweizer Bauernverband, den besonders hohen Fleischkonsum in der Schweiz. Vision Landwirtschaft verweist einmal mehr auf die Fehlanreize im Direktzahlungssystem und auf die daraus resultierende viel zu hohe Tierproduktion und die dadurch entstehenden Umweltschäden. Die Land- und Ernährungswirtschaft ist noch weit entfernt vom Verursacherprinzip und von Kostenwahrheit. Mit den heutigen Regelungen sind die offiziellen Ziele für eine umwelt- und klimaverträgliche Landwirtschaft und Ernährung nicht zu erreichen. Es braucht darum eine Neuausrichtung der Schweizer Ernährungswirtschaft.
Vision Landwirtschaft hat in einer Studie untersuchen lassen, wie die Politik sieben verschiedene Ernährungsstile – von «vegan» bis «fleischbetont» – indirekt unterstützt. Fazit: Die Nahrungsmittel der verschiedenen Ernährungsstile werden sehr ungleich unterstützt. Per Saldo werden mehrere hundert Franken pro Person und Jahr von «veganen» und «umweltoptimierten» zu «protein- und fleischbetonten» Ernährungsstilen umverteilt.
(VL) Vor zwei Jahren hat Vision Landwirtschaft die Kosten (Vollkosten) und Kostenträger (Konsument:innen, Steuerzahler:innen, Allgemeinheit) der Schweizer Nahrungsmittel beziffert. Es zeigte sich: Verursachergerechtigkeit oder Kostenwahrheit liegen in weiter Ferne, auch im Vergleich mit anderen Politikbereichen.
Nach weiteren Temperatur-Rekorden bleibt das Thema Ernährung aktuell. Immer öfter hört man, dass der Schlüssel zur Lösung von Umweltproblemen bei Ernährungsstilen zu suchen ist. Kürzlich hat auch der Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) darauf hingewiesen. Was tut die Agrarpolitik in dieser Hinsicht?
Neue Studie
In einer neuen Studie hat Vision Landwirtschaft untersucht, wie die Politik verschiedene Konsumstile finanziell unterstützt oder belastet – anregt oder entmutigt. Berücksichtigt wurden wie schon in der Studie von 2020 die Beiträge des Bundes für die Nahrungsmittelproduktion und die ungedeckten Kosten zulasten der Allgemeinheit (externe Kosten von Umweltauswirkungen der Produktion).
Die Berechnungen wurden von der Basler Beratungsfirma BSS im Auftrag von Vision Landwirtschaft durchgeführt und von der Kalaidos Fachhochschule Schweiz begleitet. Datengrundlage sind Ökobilanzzahlen für Nahrungsmittel und Ernährungsstile der Firma ESU-Services und (aktualisierte) Kostenschätzungen der Studie «Kosten und Finanzierung der Landwirtschaft» von Vision Landwirtschaft.
Verglichen wurden die indirekten Kosten von sieben Ernährungsstilen (genauere Angaben Kasten unten):
proteinbetont (hoher Konsum von Fleisch, Milchprodukten und Eiern)
fleischbetont (sehr hoher Fleischkonsum)
umweltoptimiert (basierend auf der Schweizer Lebensmittelpyramide und Empfehlungen zum nachhaltigen Essen und Trinken FOODprints®)
Beiträge der Steuerzahlenden und Umweltkosten
Die Beiträge des Bundes an die Nahrungsmittelproduktion betrugen im Jahr 2020 rund 300 Franken pro Person. Im diesem Umfang wurden also die durchschnittlich konsumierten Nahrungsmittel unterstützt. In die Nahrungsmittel des veganen Ernährungsstils flossen pro Person und Jahr rund 50 Franken. Demgegenüber flossen 500 Franken pro Person in die Nahrungsmittel der Ernährungsstile «proteinbetont» und «fleischbetont» (Abbildung, hellgelber Bereich der Balken).
Die von der Politik in Kauf genommenen und nicht den Verursachern angelasteten Kosten zulasten der Allgemeinheit (externe Kosten) beliefen sich im Jahr 2020 auf durchschnittlich 800 Franken pro Person. Dabei wiesen die Ernährungsstile «umweltoptimiert» und «vegan» mit 450 bzw. 500 Franken pro Person die tiefsten, die Ernährungsstile «proteinbetont» und «fleischbetont» mit je 1050 Franken die höchsten externen Kosten auf (Abbildung, dunkelgelber Bereich).
Indirekte Unterstützung verschiedener Ernährungsstile durch Beiträge des Bundes und durch Übernahme externer Kosten durch die Allgemeinheit (in Fr.) pro Person im Jahr 2020.
Quelle: Lobsiger et al. (2022).
Wenn beim Fleisch auch bescheidene (Hackfleisch, Innereien) und weniger bescheidene Ernährungsstile (hochpreisige Fleischstücke) unterschieden werden, gehen die Zahlen noch stärker auseinander. Am stärksten gefördert wurden– wenig erstaunlich – luxuriöse fleisch- betonte Ernährungsstile mit Beiträgen pro Person im Jahr 2020 im Bereich von 2500 Franken.
Weitergehende Berechnungen zeigen auf, wie in der Schweiz über Nahrungsmittelsubventionen indirekt Einkommen umverteilt werden – wie viel also per Saldo beispielsweise von veganen hin zu fleischbetonten Ernährungsstilen umverteilt wird.
Blick auf das Gesamtsystem
Heute wird im Zusammenhang mit der Agrarpolitik gerne auf das Gesamtsystem verwiesen. Die Umweltkosten der Landwirtschaft werden dabei zum Problem der Konsumentinnen und Konsumenten gemacht. So auch in einem Interview des Tagesanzeigers mit Christan Hofer, Direktor des Bundesamts für Landwirtschaft.
Tagesanzeiger: Wie wollen Sie die Landwirtschaft dazu bringen, weniger tierische und dafür mehr menschliche Nahrungsmittel zu produzieren?
BLW-Direktor Christian Hofer: Die Veränderung wird über die Nachfrage kommen – der Konsum muss sich in erster Linie ändern. […] Wenn wir die Tierproduktion in der Schweiz herunterfahren, importieren wir einfach mehr und exportieren die Emissionen.
Diese Erzählung kennen wir auch von den Lobbyisten der Agrarindustrie. Sie ist in hohem Mass irreführend. Die Zahlen zeigen: Die Massnahmen des Bundes behindern die Entwicklung hin zu nachhaltigeren Ernährungsstilen. Trotz allen schönen Worten: der Bund sorgt weiterhin dafür, dass diejenigen, die sich um eine nachhaltige Ernährung bemühen, finanziell benachteiligt werden.
Bevorzugte und weniger bevorzugte Ernährungsweisen
Die Politik wirkt dabei nicht nur über die Preise, sondern auch subtiler, auf psychologischer und moralischer Ebene. Der Bund macht mit seinen Fleisch- und Tiersubventionen und Werbung für «Schweizer Fleisch» eine Rundum-Versorgung für fleischbetonte Ernährung: Er sorgt für tiefe Preise, ein gutes Gewissen und patriotisch gefärbte staatliche Anerkennung.
Die Aussage: «Wenn wir die Tierproduktion in der Schweiz herunterfahren, importieren wir einfach mehr und exportieren die Emissionen», ist deshalb höchstens halbwahr.
Die Werbung für «Schweizer Fleisch» ist der beste Beleg dafür. Diese Werbung ist nur rational zu erklären, wenn das «gute Gewissen» den Fleischkonsum insgesamt fördert. Warum lässt sich das sagen? Weil die Anteile Fleisch aus dem In- und Ausland nicht von der Wahl der Konsumentinnen und Konsumenten abhängen, sondern vom Gesamtkonsum. Dafür sorgen die Importkontingente. Wenn man die Produktion von Schweizer Fleisch steigern will, muss man den Konsum von Fleisch insgesamt steigern. Genau das macht die Werbung mit dem guten Gewissen. Die Werber zielen auf eine Stärkung der Nachfrage nach Fleisch insgesamt – anders als Proviande und der Bundesrat uns glauben machen wollen.
Zudem würden die Emissionen auch bei gleichbleibendem Konsum nur teilweise exportiert, aus zwei Gründen: Erstens, weil die Produktion in der Schweiz bereits intensiver und deshalb – insbesondere bei den Umweltbelastungen mit Stickstoff – umweltschädlicher ist als in vielen Herkunftsländern von Importen. Zweitens, weil die Schweiz weit dichter besiedelt ist. Die Umweltkosten zusätzlicher Produktion sind in der Schweiz deshalb besonders hoch. Auch die frühere Einsicht, dass der Selbstversorgungsgrad kein gutes Mass für Versorgungssicherheit ist, ging beim BLW wieder vergessen.
Verantwortung und Spielraum
Zum Schluss noch einmal Christian Hofer: «Wir prüfen derzeit, ob es in der heutigen Agrarpolitik immer noch Fehlanreize gibt. […] Aber wie bereits gesagt: Wie sich die Produktion verändert, hängt stark davon ab, wie sich das Konsumentenverhalten entwickelt.»
Der Blick auf das Gesamtsystem ist gut und wichtig. Er sollte aber nicht dazu dienen, die Verantwortung und den Spielraum kleinzureden, den man selber hat. Die Verantwortung für die Umwelt und der Spielraum sind bei der Agrarpolitik besonders hoch.
Am 25. September stimmen wir über die Massentierhaltungsinitiative ab. Vision Landwirtschaft überprüft Argumente und stellt ergänzende Überlegungen aus ihrer Perspektive an. Fazit: Die Initiative ist – oder wäre – ein Steilpass für die bäuerliche Schweizer Landwirtschaft. Sie wirkt sich positiv auf Produzentenpreise aus und unterstützt notwendige Entwicklungen in den Bereichen Umwelt, Ernährung und Handel.
Vision Landwirtschaft hat die Argumente der Initiant:innen und der Gegner:innen der Massentierhaltungsinitiative MTI gesichtet und geprüft.
Die Unterschiede im Stil sind enorm. Die Initiant:innen nennen auf Ihrer Webseite vier Gründe für ein Ja. Nach ihnen geht es um die Würde der Nutztiere, um die Gesundheit von Mensch und Tier, um industrielle Tierhaltung und um eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Sie argumentieren aus unserer Sicht korrekt und sachlich. Die Gegner:innen – unter Führung des Bauernverbands (SBV) – bringen in ihrer Kampagne eine Mischung von wahren, halbwahren und unwahren Aussagen. Sie beschönigen die Schweizer Tierproduktion und machen abenteuerliche Versuche, die Massentierhaltung mit dem Wohl der Bauernfamilien und dem Überleben unserer Berg- und Alpwirtschaft zu verknüpfen. Die gröbsten Unwahrheiten kommentieren wir im untenstehenden Kasten.
Rollen von Markt und Politik verwischen
Auffallend ist einmal mehr das Verwirrspiel rund um die Rollen von Markt und Politik. Die Gegner argumentieren damit, dass die Nachfrage nach tierfreundlicheren Lebensmitteln «nicht gross genug ist» (s. Kasten). Dabei geht es in der Abstimmung genau darum, mit verbindlichen Regeln dafür zu sorgen, dass tierfreundliche Lebensmittel kein Nischenmarkt bleiben. Auch BioSuisse macht in diesem Spiel mit. Die Organisation hat zwar die Ja-Parole herausgegeben, aber der Präsident der Organisation lässt sich in der WoZ wie folgt zitieren: «Einmal mehr verlangt man etwas von der Landwirtschaft, das sich im Konsumverhalten nicht spiegelt.» Auch hier: Die Initiative sorgt ja genau dafür, dass die Konsument:innen die tierfreundlichen Produkte kaufen.
Ein Steilpass
Gemäss den Zahlen der Regulierungsfolgenstudie des Bundes ist die überwiegende Mehrheit der Schweizer Landwirtschaftsbetriebe von der Initiative nicht (93%) oder wenig (4%) betroffen. Zudem ist eine Übergangsfrist von 25 Jahren vorgesehen. Wie sich die Bäuerinnen und Bauern vom SBV über den Tisch ziehen lassen, ist bemerkenswert. Da kommt eine Initiative, die für höhere Preise und Schweiz-Prämien sorgt, und die Bauern und Bäuerinnen sagen Nein! Man setzt auf Menge statt Qualität und damit auf einen ruinösen Preiswettbewerb, den die meisten sonst beklagen. Man ist solidarisch mit Betrieben mit industrieller Tierproduktion, die den Preiswettbewerb befeuern. Problematisch ist das insbesondere bei den Schweinen und Rindern. Weil die Schweiz nur wenig Schweine- und Rindfleisch importiert, kann der zukünftig abnehmende Fleischkonsum nicht mit einer Reduktion der Importkontingente ausgeglichen werden. Die Preise werden dadurch unter Druck kommen. Für die grosse Mehrheit der Tierhaltungsbetriebe ist die Initiative deshalb ein Steilpass.
Notwendige Entwicklungen
Wie steht diese Tierwohl-Initiative in Beziehung zu Entwicklungen in weiteren Bereichen? Ist sie mit solchen kompatibel, oder gibt es Konflikte?
Hinsichtlich Umwelt, Klima und Ernährung unterstützt die Initiative die Entwicklungen, die ohnehin notwendig sind. Die MTI verlangt aber auch grosszügigere Stall- und Auslaufflächen für die Tiere. Die Ställe sind ein Problem für die Landschaft. Andererseits vermindert die vermehrte Weidehaltung Emissionen, und Emissionen durch Stallausläufe können gemäss einer Studie mit baulichen Massnahmen reduziert werden.
Auch in der Handelspolitik unterstützt die Initiative anstehende Entwicklungen. Die Handelsregeln der WTO haben im Umwelt- und Tierwohlbereich einen grossen Nachholbedarf. Die Regelungen in Umweltbelangen stammen aus den 1970er und 1980er Jahren. Die Expertin für Handelsrecht, Elisabeth Bürgi von der Uni Bern, diskutiert seit vielen Jahren gangbare Wege. Sie erläuterte dies auch im Zusammenhang mit der Initiative, im oben zitierten Artikel in der WoZ .
Politische Kultur
Der Bauernverband hat mit Economiesuisse, dem Arbeitgeber- und dem Gewerbeverband ein Tauschgeschäft vereinbart: «Ihr stimmt gegen die MTI und wir dafür für die Abschaffung der Verrechnungssteuer auf inländischen Obligationen.» Die Verbände praktizieren einen Abstimmungs-Kuhhandel, der die Meinungsbildung manipuliert und der schweizerischen Demokratie schadet. Schliesslich nutzen sie einmal mehr die fragwürdige rechtliche Situation aus, dass Landwirtschaftsland für politische Werbung zur Verfügung steht. Auch diese Aspekte können bei der Abstimmung in Rechnung gestellt werden.
Halbwahres und Unwahres auf der Webseite der Gegner (nach Themen)
(Quelle der Zitate: Webseiten der Gegner, 07.08.2022.)
Tierwohl
«Alles schon da», «Kein Mehrwert fürs Tierwohl im Ausland», «Es gibt bei uns keine systematische Verletzung des Tierwohls», «Als Herdentier wird das Huhn durch eine Vielzahl von Artgenossen in seinem Befinden nicht beeinträchtigt.», «Mehr Tiere bedeutet deshalb nicht weniger Tierwohl.»
Kommentar:
Unbelegte Behauptungen. Nur ein paar Beispiele: Masthühner mit am Ende 2 kg Gewicht haben Anspruch auf 1/15 Quadratmeter. Das entspricht der Fläche eines A4-Blatts. 40% werden in Betrieben mit über 12'000 Individuen gehalten. 8% sehen jemals den freien Himmel. Um Kannibalismus zu verhindern, werden die Schnabelspitzen entfernt. In der letzten von 5 Lebenswochen sind gesundheitliche Probleme oder Schäden normal. Ein Mastschwein von 110 kg hat Anspruch auf 0,9 Quadratmeter, 40% leben unter solchen Verhältnissen (Quelle: Seite der Initiative)
Eine Serie sehr informativer Videos zur Nutztierhaltung findet sich auf ARTE.
Umwelt
«Hält die Schweiz zu viele Tiere und muss deshalb viel Futter aus dem Ausland zukaufen? - Nein.»
Kommentar:
Diese Aussage ist irreführend, die Schweiz hält sehr viel mehr Tiere, als sie mit inländischem Futter versorgen kann. Ohne die umfangreichen Futterimporte müssten die Tierbestände deutlich reduziert werden. Die für den Standort zu hohen Tierbestände führen zu einer Verschmutzung der Umwelt mit Stickstoff und Phosphor, die in weiten Teilen der Schweiz das geltende Umweltrecht verletzt.
Industrielle Tierproduktion
«Stimmt es, dass nur 5 Prozent der Betriebe von der Initiative betroffen wären? […] Wenn man die indirekten Auswirkungen wie das Wegfallen von Beiträgen miteinbezieht, sind alle Tierhaltungsbetriebe tangiert.»
Kommentar:
Es fallen keine Beiträge an die übrigen Tierhaltungsbetriebe weg. Gemäss Schätzungen des Bundes müssten etwa 3’300 von rund 48'000 Landwirtschaftsbetrieben in der Schweiz den Tierbestand reduzieren oder die Betriebsflächen vergrössern. Das entspricht 7 Prozent der Betriebe. Die Auswirkungen der Initiative betreffen somit nur einen begrenzten Teil der Landwirtschaft. Das Futter für diese industrielle Tierproduktion wird zum grössten Teil importiert; beispielsweise gäbe es ohne kontinuierliche Importe von Kraftfutter und Tieren in der Schweiz keine Mastpouletproduktion. Diese Tierproduzenten arbeiten faktisch als Lohnmäster für die Fleischindustriebetriebe wie Bell (Coop) und Micarna (Migros).
Regionale Produktion
«Wir sind zur Versorgung der Bevölkerung auf umfangreiche Importe angewiesen».
Kommentar:
Bleibt der Fleischkonsum unverändert hoch, so nehmen die Fleischimporte zu. Dafür fallen Hunderttausende von Tonnen Kraftfutterimporte (Weizen, Soja etc.) weg. Ginge der Fleischkonsum zurück, so wären keine Fleischimporte mehr nötig. Aber genau das wollen die Gegner:innen verhindern.
Marktnachfrage und Bauernfamilien
«Nur wenn die Nachfrage nach noch tierfreundlicheren Lebensmitteln gross genug ist, können es sich die Bauernfamilien leisten, ihre Produktion anzupassen.»
Kommentar: s. Haupttext.
Berglandwirtschaft
«Dann würden auch die Alpenweiden nicht mehr genutzt und stattdessen verwalden. Die Landschaft im Berggebiet würde sehr eintönig.»
Kommentar:
Diese Aussage ist falsch. Die heutige industrielle Tierhaltung ist weitgehend bodenunabhängig, v.a. bei Geflügel und Schweinen. Bei einer Annahme der Initiative sind nicht weniger Tiere auf der Weide, sondern mehr, und es braucht nicht weniger, sondern mehr Weiden. Die Nutzung der Alpweiden und der Flächen im Berggebiet wird durch die Annahme der Initiative nicht verändert.
Für die nationale Agrarpolitik besteht die Klimastrategie aus dem Jahr 2011. Daraus wurden zwar mögliche Handlungsfelder und Visionen abgeleitet, aber bisher keine Massnahmen verabschiedet. Der Entwurf für die nationale Klimastrategie liegt Vision Landwirtschaft vor. Der Massnahmenplan dazu wird aktuell vom BLW und einer Begleitgruppe ausgearbeitet. Abschluss und die Publikation beider Teile ist Ende 2022 vorgesehen. In der nationalen Agrarpolitik ist das Ziel klar definiert: Der Treibhausgas-Fussabdruck in Bezug auf die Ernährung soll um mindestens zwei Drittel reduziert werden bis 2050. Das ist kein besonders ambitioniertes Ziel, aber um es überhaupt zu erreichen, braucht es rasche, umsetzbare und wirksame Massnahmen. Die Entwicklung der landwirtschaftlichen Treibhausgas-Emissionen zeigt, dass die Ziele aktuell verfehlt werden. Es sind somit zusätzliche Anstrengungen nötig, um die Emissionen wieder auf Kurs zu bringen.
In einigen Kantonen, wurden bereits einige Massnahmen zum Klimaschutz in der Landwirtschaft verabschiedet. Interessant ist, dass dort die landwirtschaftlichen Massnahmen einen breiten politischen Konsens erreichen. Diese Massnahmen gehen in verschiedene Richtungen und daher bietet sich ein Vergleich der kantonalen Klimastrategien an (Tabelle Klimaschutz in den Kantonen Vision Landwirtschaft).
Die meisten Kantone haben in ihren Klimastrategien den Bereich Landwirtschaft anders behandelt als die Bereiche Mobilität und Wohnen. Die Zielvorgaben sind weniger streng. Auffällig ist, dass einige Kantone auch Massnahmen zu Ernährung und Konsum verabschiedet haben, andere hingegen verfolgen einen rein technischen Ansatz, die Treibhausgase auf den Betrieben zu reduzieren. Die meisten der Kantone verfolgen zudem Anpassungsmassnahmen an die bereits heute akuten Probleme der Landwirtschaft durch den Klimawandel, die jedoch keine Senkung der Emissionen bringen. In Kantonen mit hohen Tierbeständen ist eine Senkung der Emissionen jedoch nur möglich, wenn die Tierbestände reduziert werden. Dies wiederum ergibt nur Sinn, wenn gleichzeitig das Ernährungsverhalten der Konsument:innen sich anpasst, weil sonst einfach mehr tierische Produkte importiert werden. Im Kanton Luzern wird auch die Massnahme «Tierbestände reduzieren» vom Luzerner Bäuerinnen und Bauernverband mitgetragen.
Spezialfall Graubünden
Im interkantonalen Vergleich wurden im Kanton Graubünden die ehrgeizigsten und konkretesten Klimaschutz-Ziele für den Bereich Landwirtschaft beschlossen (s. Tabelle Vision Landwirtschaft). Am 3.Mai 2022 wurde der Bericht Treibhausgase aus der Bündner Landwirtschaft präsentiert, in dem die Resultate und Erkenntnisse aus der Klimabilanzierung von 52 Pilotbetrieben vorgestellt werden. Bezüglich der analysierten Betriebszweige und Anbaumethoden kommt der Bericht zum Schluss, dass aus systemischer Perspektive insbesondere eine standortangepasste Tierhaltung erfolgsversprechend ist. Dies bedeutet: Tierhaltung ausschliesslich auf Flächen, die nicht für den Anbau von Kulturen für die direkte menschliche Ernährung geeignet sind (Feed-no-Food). Im Rahmen einzelner Betriebszweige liegt hingegen ein grosses Potential im Bereich der Hofdüngersysteme und im Humusaufbau. Die Autor:innen halten fest, dass die gegenwärtig verfügbaren Handlungsoptionen nicht ausreichen werden, um eine «klimaneutrale» Landwirtschaft zu erreichen.
Nationale Agrarpolitik
Die Treibhausgasemissionen aus der schweizerischen Land- und Ernährungswirtschaft wurden auch von der Agroscope untersucht. Sie haben die technischen Lösungen analysiert und zeigen auf, dass die Emissionsreduktion in der Produktion mit technischen Möglichkeiten begrenzt ist. Die Studie zeigt, dass mit einem veränderten Konsumverhalten viel mehr Emissionen eingespart werden können. Die Reduktion des Konsums von tierischen Produkten ist dabei der entscheidende Hebel.
Im Entwurf zur Klimastrategie des BLW wird der Ansatz der gleichzeitigen Veränderung von Konsum- und Produktionsmustern wie folgt beschrieben: «Mit einer Ernährung, welche sich an den Empfehlungen der Schweizer Lebensmittelpyramide ausrichtet, können neben der Förderung der Gesundheit der Bevölkerung gleichzeitig der Treibhausgas-Fussabdruck der Ernährung sowie weitere negative Umweltwirkungen mehr als halbiert werden. Die Produktion passt sich dahingehend an, dass die ackerfähigen Flächen für die direkte menschliche Ernährung genutzt und die verbleibenden Tiere mit Gras der natürlichen und nicht-ackerfähigen Grünlandflächen sowie Abfällen aus der Lebensmittelproduktion versorgt werden. Insgesamt könnte so bei gleichbleibender Bevölkerungszahl der Selbstversorgungsgrad um 20 Prozentpunkte anwachsen.»
Es braucht griffige Massnahmen
Gemäss Pyramide essen wir heute dreimal zu viel Fleisch. Um das zu ändern, müssen zuerst einmal die Fehlanreize in der Agrarpolitik beseitigt werden und die Produktion von pflanzlichen Produkten mehr Förderung erhalten. Kostenwahrheit bei den Lebensmitteln führt den Konsument:innen die wahre Gewichtung der Nahrung vor Augen. Zudem braucht es eine konsequente Nutzung der ackerfähigen Flächen für die direkte menschliche Ernährung. Weitere Massnahmen wie Lenkungsabgaben auf importierte Futtermittel und Reduktion der Tierbestände sind nötig. Interessant wird es nun sein, ob die Entscheidungsträger:innen und auch die Bevölkerung bereit sein werden, die deutlichen Resultate aus Forschung und Pilotprojekten umzusetzen. Damit Massnahmen in der Ernährung auch Wirkung zeigen, braucht es einen umfassenden Einbezug der Bevölkerung und der gesamten Wertschöpfungskette vom landwirtschaftlichen Betrieb über die Verarbeiter, den Handel bis zu den Konsument:innen. Projekte wie der nationale Bürger:innenrat für Ernährungspolitik können dazu einen Beitrag leisten. Entscheidend sind aber die Massnahmen aus der Agrarpolitik, denn die zukünftige Entwicklung der Treibhausgas-Emissionen aus der Landwirtschaft ist abhängig davon, ob Vorschriften und eine Verstärkung der Anreizprogramme in der Agrarpolitik etabliert werden können.
Quellen:
Treibhausgasemissionen aus der schweizerischen Land- und Ernährungswirtschaft, - Bretscher et al. (2014)
Radio SRF sucht im Rahmen eines Beitrages nach Antworten zu einer veganen Landwirtschaft und wie ökologisch diese wäre, wenn alle Schweizer Bauern aus der Fleischproduktion aussteigen würden. Die Sendung zeigt zudem auf, worauf Vision Landwirtschaft immer wieder hinweist: Die Tierbestände müssen deutlich reduziert werden und die staatliche Produktionslenkung setzt falsche Anreize. "Zur Sprache kommt auch eine Studie von Vision Landwirtschaft (15:20)." Das Problem ist auch nicht der Konsument, wie immer wieder behauptet wird, sondern das agrarpolitisches System, das die Preise zugunsten eines nicht nachhaltigen Konsums verzerrt und damit nachhaltiges Konsumverhalten systematisch behindert.
(VL) Die Schweiz lagert im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) 17’000 Tonnen importierten Stickstoffdünger in Pflichtlagern. Gleichzeitig müssen Landwirt:innen aus der Zentralschweiz, die wegen zu hohen Tierbeständen Hofdünger-Überschüsse haben, Hofdünger in andere Kantone oder sogar ins Ausland exportieren (s. Agrarbericht 2021, Hoduflu Datenauswertung).
Da stellt sich die Frage, ob es eine Option für die Schweizer Landwirtschaft wäre, wenn Betriebe vermehrt anstatt importiertem Kunstdünger tierischen Hofdünger wie Mist und Gülle einsetzen würden? Aus Sicht der Klima- und Umweltperspektive ist eines klar: Zuviel Dünger, ob Hofdünger oder Kunstdünger, schädigt die Umwelt massiv, was in der Schweiz seit Jahren der Fall ist. Um die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Luft und Biodiversität zu schützen, muss die Düngermenge in der Landwirtschaft reduziert werden.
Zu viel Dünger schadet der Umwelt und bringt kaum Mehrerträge
Eine Studie der ETH (ETH News 2020/11) zeigt auf, dass mit extrem hohen Düngemengen nur wenig mehr Ertrag herausgeholt werden kann. Die ETH-Forscher David Wüpper und Robert Finger von der Professur für Agrarökonomie und ‑Politik kommen zum Schluss, dass die Düngung in vielen Ländern verringert werden könnte, ohne dass die Erträge markant einbrechen würden. Es stellt sich also die Frage, wo das Optimum unter ganzheitlicher Systembetrachtung liegt (Erträge, Kosten/Nutzen, Umweltschädigung), ob es Optimierungen beim Einsatz von verschiedenen Düngertypen gibt und wo die Vor- und Nachteile bei Alternativen für Kunstdünger liegen?
Vor- und Nachteile von Kunst- und Hofdünger
Kunstdünger sind mineralische Düngemittel, die in der Schweiz primär im Ackerbau verwendet werden. Der Vorteil von Kunstdünger ist, dass er sehr gezielt eingesetzt werden kann und von den Pflanzen schnell aufgenommen wird. Der Nachteil von Kunstdünger: Die Herstellung von Kunstdüngern verbraucht grosse Mengen an Energie für die Stickstoffherstellung, beutet endliche fossile Lagerstätten aus für die Phosphor-Gewinnung, zerstört Landschaften und verschmutzt Gewässer. Pro Tonne produziertem Ammoniak werden zwei Tonnen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid freigesetzt.
Das Verfahren zum Synthetisieren von Stickstoffverbindungen aus Luftstickstoff ist so energieintensiv, dass es sich wirtschaftlich nur bei extrem günstigen Energiepreisen lohnt. Wenn also die Energiekosten durch Krisensituationen steigen oder Importe erschwert sind, steigen die Preise von Kunstdünger massiv und die Verfügbarkeit sinkt. Umgekehrt sind Hofdünger wie Gülle und Mist in der Schweiz wegen der zu intensiven Tierhaltung im Überfluss vorhanden. Der Nachteil von Hofdünger ist, dass die Nährstoff-Zusammensetzung sehr stark variiert, ein Teil der Nährstoffe für Pflanzen nicht direkt verfügbar ist, und eine zeitlich präzise Düngung von Ackerkulturen erschwert ist. Hinzu kommt, dass Hofdünger bei falscher Lagerung und Ausbringung die Umwelt stark belastet. Viele Landwirt:innen klagen auch über zunehmende Schwierigkeiten bei der Ausbringung von Hofdünger, wenn - wie im letzten Sommer - Dauerregen und Überschwemmungen angesagt sind. Auch lange Trockenperioden machen die Hofdüngerausbringung schwierig, und die extremen Wettersituationen werden mit der Klimakrise weiter zunehmen. Wohin mit dem Hofdünger in solchen Situationen, wenn die Lagerkapazität auf dem Hof erreicht ist? Viele Landwirt:innen sind damit überfordert und es braucht Unterstützung und Beratung in der Praxis.
Ersatz von Kunstdünger durch Hofdünger bedingt Systemanpassungen
Weil Kunstdünger in der Handhabung und hinsichtlich Wirkung viel einfacher sind, setzen viele Acker- und Gemüsebaubetriebe vor allem Kunstdünger ein. Denn Acker- und Gemüsekulturen lassen sich mit Kunstdünger einfacher und präziser düngen. Dies mindert das Risiko von Ertragsreduktionen. Zudem ist vielfach das Know-how nicht mehr vorhanden, um ein effektives und umweltschonendes Hofdüngermanagement umzusetzen. Eine Umstellung von Kunstdünger auf Hofdünger ist anspruchsvoll und setzt eine fachkundige Beratung voraus. Es braucht dazu u.a. eine Anpassung der Fruchtfolge (mehr verschiedene Kulturen und Kunstwiesenanbau) und ein Anbau von Leguminosen. Um den Stickstoff für die Pflanzen verfügbar zu machen, braucht es zudem eine lebendige, vielfältige Bodenfauna (u.a. Regenwürmer, Mikroorganismen), die den Stickstoff mineralisieren und damit freisetzen. Ein solches System zu entwickeln, braucht Zeit, Wissen und Erfahrung. Dass das aber möglich ist, beweisen viele Betriebe schon heute, z.B. Biobetriebe oder Betriebe, die konservierende oder regenerative Landwirtschaft betreiben. Diese Betriebe erwirtschaften auch mit Hofdünger stabile Erträge. In der Schweiz wäre ein weiterer Hebel für eine Umstellung das Subventionssystem, das heute starke Anreize für hohe Erträge setzt und Umweltbelastungen durch Überdüngung in Kauf nimmt – auch weit über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus.
Ernährungssicherheit ohne Kunstdünger?
Die zentrale Frage bleibt: Können wir die heutige Ernährungssicherheit mit deutlich weniger Kunstdünger gewährleisten? Über kurz oder lang kommen wir nicht darum herum, den Einsatz von Kunstdünger – aber auch Hofdünger – massiv zu verringern. Denn die Herstellung und Beschaffung von importiertem Kunstdünger ist unter Krisenzeiten ein grosses Risiko. Wir kommen also nicht darum herum, unseren Ackerbau auf innovative Anbausysteme umzustellen und natürliche Kreisläufe und Dienstleistungen der Natur intelligenter zu nutzen. Das vorhandene Wissen muss noch breiter Eingang in die Praxis finden. Fachleute sind der Meinung, dass es möglich sein sollte, auch ohne Kunstdünger und durch eine effizientere Nutzung von Hofdünger (moderne Lager‑, Ausbring- und Aufbereitungstechnik) gute bis hohe Erträge erzielen zu können. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch, dass ein Wandel im Ackerbau in direktem Zusammenhang mit unserem Ernährungsverhalten steht. Wenn wir unsere Ernährung verstärkt von tierischer auf pflanzliche umstellen, bietet das viel mehr Spielraum für die Entwicklung nachhaltiger und standortangepasster Anbausysteme. Zudem würden dadurch die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt massiv reduziert, wir würden deutlich weniger abhängig von Importen und unsere Landwirtschaft damit krisenresistenter und versorgungssicherer.
Das Selbstregulierungsorgan der Kommunikationsbranche, die «Schweizerische Lauterkeitskommission» (SLK) hat die Beschwerde (234/21) von Vision Landwirtschaft in zwei von vier Punkten gutgeheissen. Sie Beschwerdegegnerin ist angehalten, zwei Aussagen auf ihrer Webseite zu korrigieren.
Im wichtigsten Punkt der Beschwerde bleibt die SLK aber bei ihrer gewohnten Praxis: Der gezielte Einsatz von Halo- oder Heiligenschein-Effekten wird gutgeheissen. Man darf in der Werbung mit beliebigen - auch untypischen - Vorzeigebetrieben oder Vorzeigeprodukten ganze Produktpaletten wie «Schweizer Fleisch» bewerben. Die SLK verweist in diesem Fall auf einen früheren Entscheid (123/20), in dem sie schrieb: «Dem Durchschnittskonsumenten dürfte bewusst sein, dass auch in der Schweiz unterschiedliche Formen der Tierhaltung bestehen.» Das reicht für die SLK: Es liegt keine Irreführung vor.
Eine Begründung dafür, dass keine Irreführung vorliegt, hält die SLK nicht für nötig. Sie bezieht sich weder auf (in der Schweiz fehlende) frühere Gerichtsentscheide, noch auf empirische Studien. Dass die SLK keine fallbezogenen Konsumentenbefragungen durchführen kann, wie sie dem Infosperber (im Zusammenhang mit der Stellungnahme zur Beschwerde von Pro Natura über die Werbung von Swissmilk) antwortete, ist nachvollziehbar. Problemlos möglich wäre aber ein Bezug auf bestehende empirische Studien zu vergleichbaren Fragen.
Mit anderen Worten: Die SLK macht es sich zu einfach. Wo es nicht um faktisch falsche Aussagen, sondern um potenzielle Irreführung ging, hat die «erste Kammer» in einem viermonatigen «Verfahren» den feuchten Finger in die Luft gehalten und festgestellt, dass es keine Irreführung war.
Um in dieser Frage weiterzukommen, braucht es jetzt politische Vorstösse oder gerichtliche Entscheide, die auch eine mediale Wirkung entfalten. Vision Landwirtschaft bleibt am Thema dran.
Die Grünen im Europäischen Parlament liefern in ihrem neusten Factsheet interessante Daten zur aktuellen Situation der Landwirtschaft in der Ukraine und der agrarpolitischen Diskussion in der EU. Schlussforderungen der Analyse sind, dass - um langfristig Ernten zu sichern und ausreichend Nahrungsmittel zu erzeugen - die Leistungsfähigkeit unserer natürlichen Ressourcen erhöht werden muss und nicht den Einsatz von Betriebsmitteln wie Düngern oder Pestiziden. Die steigenden Preise für Betriebsmittel wie Dünger oder Pestiziden sind ein Argument, den Übergang zu einer Landwirtschaft zu beschleunigen, die nicht so sehr auf fossile Brennstoffe angewiesen ist.
Das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) hat den neusten Agrarbericht veröffentlicht. Vision Landwirtschaft hat der Medienstelle des BLW zur Einordnung ein paar Fragen gestellt.
Fragen von VL an die Medienstelle des Bundesamt für Landwirtschaft (BLW)
1. Der Titel der Medienmitteilung lautet: "Neuer Agrarbericht: Schweizer Landwirtschaft nachhaltiger und krisenresistent". Das lässt aufhorchen. In der Medienmitteilung findet sich allerdings wenig dazu und im Agrarbericht kompakt haben wir unter "Umwelt" gar nichts in dieser Richtung gefunden. Können Sie in ein paar Sätzen ausführen, inwiefern die Schweizer Landwirtschaft - im Sinn des Titels - nachhaltiger geworden ist?
2. Im Agrarbericht kompakt steht im Kapitel "Umwelt" in grossen Lettern: "All-EMA-Monitoring" und "Höhere Vielfalt an Arten und Lebensräumen in Biodiversitätsförderflächen". Der eilige Leser denkt sich (so ging es uns): Die Vielfalt hat über die Zeit zugenommen. Wer genau liest, stellt fest: "höher" bezieht sich auf die Vielfalt in BFF-Flächen im Vergleich mit anderen Flächen (nicht-BFF). Ist das aus Ihrer Sicht eine angemessene Darstellung? Ist das nicht irreführend?
3. Eines der interessantesten Resultate ist die starke Zunahme der Einkommen. Beispielsweise hat das mittlere Einkommen pro Familienarbeitskraft in der Talregion von 2019 auf 2020 um 8.6% zugenommen (Tabellen Betriebsergebnisse). Warum wurde diese sehr starke Einkommenszunahme in der Medienmitteilung nicht deutlich gemacht? (Es handelt sich ja auch nicht nur um Fluktuationen, der [kontinuierliche] Anstieg von 2015 bis 2020 beläuft sich auf 37.4%.)
Antwort des BLW vom 22.12.2021:
Es ist wichtig, die Kommunikationselemente des Agrarberichts in ihren Kontext zu stellen. Die Kompaktversion des Agrarberichts greift Schwerpunkte aus den ausführlicheren Artikeln des Agrarberichts auf, sie hat nicht den Anspruch, vollständig zu sein.
Für das Monitoringprogramm ALL-EMA ist ein ausführlicher Artikel Bestandteil des Agrarberichts (https://www.agrarbericht.ch/de/umwelt/biodiversitaet/all-ema-monitoring-der-arten-und-lebensraeumvielfalt-in-der-landwirtschaft). In diesem werden alle Trends beschrieben. Für die Kompaktversion wurde der Zustand der Biodiversität in den Biodiversitätsförderflächen hervorgehoben, da diese ein Vorzeigeinstrument der Agrarpolitik darstellen. Wir sind daher der Meinung, dass die Darstellung ausgewogen bleibt, da klargestellt wird, dass es sich um den Zustand der Biodiversität auf Biodiversitätsförderflächen handelt. Ausserdem wird im Begleittext zur Aussage klargestellt, dass es sich um eine erste Erhebung des Zustands der Biodiversität handelt (nicht um eine Verbesserung der Situation). Zum besseren Verständnis kann die Leserin und der Leser übrigens den Artikel im Detail nachlesen (direkt über den QR-Code zugänglich).
Betreffend die Zunahme der Einkommen: sie wird in der Medienmitteilung erwähnt, allerdings nicht quantifiziert. Im Agrarbericht kompakt sind die Zahlen enthalten. Die Angaben wurden zuvor in der Medienmitteilung von Agroscope zu den landwirtschaftlichen Einkommen detailliert aufgeführt. Landwirtschaftliche Einkommen sind 2020 gestiegen (admin.ch)
Aufgrund der Schätzung 2021 der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung 2021 des BFS dürfte das landwirtschaftliche Einkommen 2021 wesentlich tiefer liegen. (Zitat aus MM BFS vom 5.10.2021: «… das Nettounternehmenseinkommen der Schweizer Landwirtschaft (sektorales Einkommen), wird somit für das Jahr 2021 auf knapp 2,9 Milliarden Franken geschätzt. Dies entspricht einem Minus von 10,1% (–321 Mio. Franken) gegenüber 2020. Dieses Einkommen, das hauptsächlich die Arbeit und das produktive Vermögen (Kapital und Boden) sämtlicher Bauernfamilien in der Schweiz entschädigt, liegt damit nahezu 5,4% unter dem Durchschnitt der letzten fünf Jahre.» Gesamte MM BFS: Die Witterung setzt der Schweizer Landwirtschaft 2021 zu - Landwirtschaftliche Gesamtrechnung: Schätzung 2021 | Medienmitteilung | Bundesamt für Statistik (admin.ch)
In der Kälbermast ist es Routine, Antibiotika zu verwenden. Die Mengen der eingesetzten Antibiotika je Kilogramm Fleisch stagnieren seit Jahren auf einem hohen Niveau. Wie häufig die Tiere Antibiotika verabreicht bekommen, hängt dabei unmittelbar mit der Haltungsart zusammen. Eine Studie der Universität Bern zeigt auf, dass mit einfachen Massnahmen die Landwirte den Antibiotikaeinsatz drastisch reduzieren können, ohne dass ihnen deswegen Wettbewerbsnachteile entstehen. Ein Saldo Artikel zeigt auf, warum die Bauern an der bestehenden Praxis festhalten.
In den vergangenen Jahrzehnten hat der Bund die Agrarpolitik mit Subventionen und Zollerleichterungen für Futtermittel weitgehend auf die Interessen der vor- und nachgelagerten Industrie ausgerichtet und dabei wichtige weitere gesellschaftliche Anliegen vernachlässigt. Auch das Berggebiet war dieser Entwicklung unterworfen, und es ist davon sogar besonders stark betroffen. Denn die intensive Tierproduktion mit importierten Futtermitteln passt im Berggebiet besonders schlecht zu dem, was wir als Konsumentinnen und Steuerzahler von der Landwirtschaft erwarten. Die Trinkwasserinitiative ist für die Berglandwirtschaft deshalb eine riesige Chance. Die Chance, ihr Einkommen wieder mit Produkten und herausragenden gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu erwirtschaften, die ihrem natürlichen Potenzial entsprechen.
(VL) Spontan würde man meinen: Die Bauern und die Bevölkerung der Bergkantone gehören zu den klaren Befürwortern der Abstimmungsvorlagen vom 13. Juni – insbesondere der Initiative für sauberes Trinkwasser. Diese will ja die Direktzahlungen umlagern – weg von umweltschädlichen Produktionsweisen und hin zu echten gemeinwirtschaftlichen Leistungen, von denen das Berggebiet viel mehr erbringt als die übrige Landwirtschaft. Warum sind dann viele Bergbauern gegen die TWI?
Mehrwerte werden unterlaufen
Der Grund sind die zugekauften Futtermittel. Die gemeinwirtschaftlichen Leistungen und das gute Image der Produkte aus dem Berggebiet werden zunehmend unterlaufen. Die Politik hat die Betriebe mit gezielten Zollerleichterungen für importierte Futtermittel – beispielsweise im Rahmen der Agrarpolitik 2011 – Schritt für Schritt in die Abhängigkeit geführt. Vertreter von Fenaco und Co. im Parlament haben zu dieser Entwicklung entscheidend beigetragen. Die Anreize wurden so gesetzt, dass es sich lohnt, Unmengen an Futter in die Berge zu karren. Viele Bergbäuerinnen und Bergbauern haben sich darauf eingestellt und scheuen sich nun, einen anderen Weg zu gehen, der klima- und umweltkompatibel ist. Sie werden unterstützt durch die vielen Profiteure dieser Entwicklung.
Mit ihren Futtermittelimporten richtet die Landwirtschaft heute die Biodiversität auch in der montanen und subalpinen Stufen des Berggebiets zugrunde, so wie vor Jahrzehnten im Tal- und Hügelgebiet.
Wird das Berggebiet seinem guten Image bei der Bevölkerung und den Konsumentinnen noch gerecht? Vision Landwirtschaft hat im neu erschienenen Bericht „Landwirtschaft und Umwelt in den Kantonen“ eine Auswertung von bestehenden Statistiken und Datensätzen gemacht, um regionale Unterschiede bei Produktionsweisen, Umweltbelastungen durch Nährstoffe und Pestizide in naturnahen Lebensräumen, Gewässern und Grundwasser sowie Auswirkungen auf die Landschaft zu analysieren.
Gemeinwirtschaftlichen Leistungen nehmen ab
Die Zahlen der regionalen landwirtschaftlichen Gesamtrechnung zeigen: Im Bereich der Futtermittel stehen die Bergkantone heute nicht besser da als die im Mittelland. Vom Erlös aus dem Verkauf von Fleisch und Milch landet jeder zweite Franken beim Futtermittelhändler oder beim Tierarzt. Auch bei den Auswirkungen auf die Landschaft sind die Zahlen mittelmässig. Gemäss der neusten Arealstatistik hat sich die Zunahme des landwirtschaftlichen Gebäudebestands angetrieben durch die Futterimporte, praktisch unvermindert fortgesetzt.
Besser sieht es bei den Umweltbelastungen durch Nährstoffe (Phosphor, Stickstoff) und Pestizide aus. Die Nährstoffeinträge in die Gewässer sind deutlich geringer. Die Stickstoffemissionen in die Luft sind in einigen Bergkantonen ebenfalls hoch. Weit überhöht sind sie - im Gegensatz zum Tal- und Hügelgebiet - aber nur sehr lokal. Umweltbelastungen des Grundwassers mit Nitrat und Pestiziden sind ohnehin kaum ein Thema. Über alle betrachteten Umweltwirkungen gesehen, liegen die Bergkantone mit ihrer Grasland-dominierten Nutzung weit vorne (Tabelle unten). Sie halten die Umweltgesetze bereits heute ein.
Das unterstreicht ihr Potenzial für echte, darüber hinausgehende Leistungen zugunsten der Gesellschaft. Nur: Die Futtermittel aus aller Welt stellen diese Leistungen und Mehrwerte zunehmend in Frage.
Solide Perspektive – wirtschaftlich und imagemässig
Die Entwicklung ist absehbar. Die Agrarpolitik wird aufgrund der Klimaziele in Richtung Kostenwahrheit gehen, die Konsumentinnen und Konsumenten werden also zunehmend für die vollen Kosten der Nahrungsmittel aufkommen. Im Talgebiet werden dann zwangsläufig umfangreiche Pauschalzahlungen frei, und auch die Zahlungen für die Vermeidung von Umweltschäden werden dann obsolet.
Diese Gelder werden echte gemeinwirtschaftliche Leistungen «suchen». Bergbetriebe, die sich konsequent an ihren hohen Potenzialen für Gemeinwohlleistungen orientieren, erbringen im Rahmen der Nahrungsmittelproduktion einwandfrei begründete Mehrwerte für die Gesellschaft – für die Landschaft, die Biodiversität, den Tourismus.
Für Bergbetriebe ist die TWI deshalb eine grosse Chance: Sie verzichten nach der Übergangsfrist auf die importierten Futtermittel und beenden die laufende Intensivierung der Produktion und Degradierung der Biodiversität auf ihren Flächen. Im Gegenzug erhalten sie für ihre Leistungen einen namhaften Teil der durch die TWI und die Klimapolitik frei werdenden Beiträge.
Diese Perspektive ist sicherer als die Fleisch- und Milchproduktion am Tropf der Futtermittelkonzerne und Sonderzolltarife für Futtermittel – wirtschaftlich und vor allem auch imagemässig. Und darüber hinaus wird damit die Versorgungssicherheit des ganzen Landes gestärkt.
Landwirtschaft und Umwelt in den Kantonen: Gesamtbewertung
Rang
Kanton
Durchschnittlicher Rang1
1
GL
6.75
2
GR
7.65
3
OW
9.04
4
UR
9.65
5
AI
10.35
6
JU
10.85
7
NW
11.12
8
BB
11.31
9
VS
12.08
10
BE
12.23
11
NE
12.38
12
TI
12.62
13
SH
13.00
14
ZG
13.42
15
AR
13.88
16
SZ
13.88
17
LU
14.00
18
VD
14.08
19
GE
14.15
20
AG
14.31
21
SG
14.60
22
ZH
14.92
23
FR
15.54
24
SO
16.31
25
TG
16.96
1 Durchschnittlicher Rang über alle Kennzahlen. Ranggleichen Kantonen wurde der Mittelwert der auf sie fallenden Ränge zugeordnet. Quelle: VL (2021), Landwirtschaft und Umwelt in den Kantonen.
Gut ein Drittel der Schweizer Landesfläche wird landwirtschaftlich genutzt. Ohne das Sömmerungsgebiet (Alpweiden) entspricht die Fläche ziemlich genau ein Viertel der Landesfläche – 1 Million Hektaren. Wie diese Flächen genutzt werden, hat grosse Auswirkungen auf die Umwelt – die Luft, die Oberflächengewässer, das Grundwasser, die Landschaft und die Biodiversität – auch weit über die Landwirtschaftsflächen hinaus.
Dadurch bestimmt die Landwirtschaft die Umwelt von uns allen. Wir können im Laden zwar zwischen Bio- oder anderen Produkt-Segmenten wählen, aber die von der Landwirtschaft geprägte Umwelt konsumieren wir gemeinsam. Niemand kann sich ihr entziehen, und sie ist für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden wichtig.
Bestehende Publikationen des Bundes befassen sich vor allem mit Umweltauswirkungen der Landwirtschaft auf nationaler Ebene. Wie aber sehen die Auswirkungen auf regionaler Ebene aus? - Der vorliegende Bericht wirft einen Blick auf den Zustand der durch die Landwirtschaft geprägten Umwelt in den Kantonen.
Wie die Kantone bei den Umweltkennzahlen abschneiden, liegt aber nicht nur an Produktionsweisen, sondern auch an den natürlichen Voraussetzungen, welche die Ausrichtung der Landwirtschaft auf Ackerbau, Milchwirtschaft, Rebbau, usw. bestimmen. Zudem entscheiden nicht - oder nicht hauptsächlich - die Kantone, welche Produktionsweisen wie unterstützt werden, sondern der Bund. Der Spielraum der Kantone ist begrenzt. Dies ist bei der Interpretation der Zahlen zu berücksichtigen.
Diese Zusammenstellung von Umweltdaten hat nicht die Absicht, den Ursachen der Umweltauswirkungen nachzugehen. Für weitere Informationen dazu verweisen wir auf bereichsspezifische Studien. Einige sind im Kapitel „Erläuterungen zu den Daten“ aufgeführt.
Der vorliegende Bericht gibt einen Überblick über die Landwirtschaft in den Kantonen und es werden Kennzahlen zu den Umweltauswirkungen der Landwirtschaft – von den Umweltbelastungen durch Nährstoffe und Pestizide in Gewässern, naturnahen Flächen und im Grundwasser bis hin zu Auswirkungen der Landwirtschaft auf die Landschaft aufgezeigt.
Die Debatte zur Trinkwasserinitiative wird kontrovers geführt. Vision Landwirtschaft kommentiert hier besonders prominente und wichtige Aussagen ohne Anspruch auf Vollständigkeit.
Im Juni stimmen wir über die Trinkwasserinitiative (TWI) ab. Die Initiative ist mehr als nur ein dringend nötiges Signal. Sie setzt auch am richtigen Ort und mit den richtigen Mitteln an, und sie ist massvoll. Letztlich will sie nichts anderes, als was der Bundesrat und das Parlament selber wollen – gemäss Verfassung, Umweltgesetzen, internationalen Verpflichtungen und offiziellen Erklärungen und Strategien. Trotzdem wird die Initiative vom Bundesrat und weiteren Kreisen als radikal oder extrem bezeichnet. Wie passt das mit den heute populären Bekenntnissen – vom Bundesrat bis BioSuisse – zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft zusammen?
(VL) Es ist bemerkenswert: Die TWI will Probleme lösen, die alle lösen wollen – oder das zumindest von sich sagen. Sie ist auch liberal: Anstelle von Verboten will sie staatliche Fehlanreize beenden und öffentliche Mittel sorgfältig einsetzen. Sie ist sogar in diesem liberalen Ansatz massvoll und lässt viel Zeit und Spielraum für die Umsetzung. Und dennoch behaupten die Gegner, die Initiative sei radikal.
Umweltrecht einhalten
Der Handlungsbedarf bei den Pestiziden ist unterdessen fast allen klar. Um nach der Sistierung der Agrarpolitik 22+ am 13. Juni nicht mit leeren Händen dazustehen, hat das Parlament im März noch rasch ein «Bundesgesetz über die Verminderung der Risiken durch den Einsatz von Pestiziden» beschlossen. Die Risiken sollen bis 2027 halbiert werden. Das ist ein bescheidenes Ziel. Die ökotoxikologischen Grenzwerte werden gemäss Studien der Eawag verbreitet um einen Faktor zehn bis dreissig überschritten. Bei den wichtigen Zuströmbereichen von Trinkwasserfassungen wurde noch nichts entschieden.
Einmal abgesehen davon, dass man das bestehende Problem beim Trinkwasser, Oberflächengewässern und wildlebenden Tieren und Pflanzen mit «Risiken durch den Einsatz von Pestiziden» schön redet, ist das Reduktionsziel ein Schritt in die richtige Richtung. Es macht die TWI aber nicht unnötig, ganz im Gegenteil. Nur mit weiteren konkreten Massnahmen wird es möglich sein, das Reduktionsziel zu erreichen. Auch mit der TWI wird es weitere Massnahmen brauchen, um im Bereich Pestizide die Umweltgesetze einzuhalten.
Das zweite wichtige Thema der TWI sind die Umweltbelastungen durch Stickstoff. Verbindliche Ziele für die Stickstoffüberschüsse hat das Parlament im März abgelehnt. Die Ammoniakemissionen der Landwirtschaft verletzen das Schweizer Umweltrecht massiv, im Mittelland und Hügelgebiet fast flächendeckend. Von 17'000 Tonnen Überschuss, die naturnahe Wälder, Moore und artenreiche Wiesen schädigen, stammen etwa zwei Drittel aus importierten Futtermitteln.
Die TWI will, dass geltendes Umweltrecht eingehalten wird und wählt einen denkbar liberalen Ansatz. Sie will nichts verbieten, sondern nur die Direktzahlungen für nicht nachhaltige Produktionsweisen beenden. Ein vernünftiger Schritt, keine Spur von Radikalität. Weitere Stützungen wie Milchzulagen und Grenzschutz sind von der Initiative nicht betroffen.
Klimaziele ernst nehmen
Indirekt geht es bei der TWI auch um die Klimaziele. Die viel zu hohe Tierproduktion ist nicht nur für die Umwelt in der Schweiz ein Problem, sondern auch für den weltweiten Klimaschutz (wegen Methan und Lachgas). Gemäss der «Klimastrategie Landwirtschaft» des Bundes müssen Landwirtschaft und Ernährung den Ausstoss von Klimagasen bis 2050 um zwei Drittel verringern. Im Widerspruch dazu bekämpft der Bund die TWI aber mit Studien, die davon ausgehen, dass (a) der Fleischkonsum auch in Zukunft nicht abnehmen wird und (b) auch weiterhin in grossem Umfang Produkte importiert werden, für die in den Herkunftsländern Urwälder gerodet werden. So kommt er zum Schluss, dass eine geringere Fleischproduktion in der Schweiz zwingend zu mehr Importen und global gesehen zu mehr Umweltbelastung führt.
Wenn wir die offiziellen Ziele im Bereich Klima, Foodwaste und nachhaltige Importe ernst nehmen, werden wir in Zukunft aber nicht mehr, sondern weniger importieren. Die jährlichen Kraftfutterimporte von 1.2 Millionen Tonnen sind mit den Zielen nicht vereinbar. Für die Beurteilung der TWI ist das hochrelevant. Wenn der Bundesrat mit heute zunehmenden Importen argumentiert, wird klar: Er nimmt in der Landwirtschaftspolitik seine Klimaziele ebenso wenig ernst, wie in den vergangenen Jahrzehnten das Umweltrecht (mehr dazu).
Übrigens: am gleichen Wochenende stimmen wir über das CO2-Gesetz ab. Der Bund erhält die Kompetenz, die Lenkungsabgabe auf fossilen Brennstoffen von heute rund hundert Franken pro Tonne CO2 auf rund zweihundert Franken zu erhöhen. In der Agrarpolitik wird die Produktion von Rindfleisch und Milch, auch die mit Importfutter, pro Tonne CO2-Äquivalent derweil mit rund dreihundert Franken subventioniert (ohne die Direktzahlungen für die Landschaftspflege). Bundesrat und Parlament denken Klima, Landwirtschaft und Ernährung noch nicht zusammen.
Kosten den Verursachern anlasten
Heute fordern alle, dass die Land- und Ernährungswirtschaft nachhaltig werden muss. Viele sehen auch ein, dass dies nur möglich ist, wenn die Direktzahlungen und weiteren Subventionen sowie die Preise nicht völlig falsche Anreize setzen. Was das für die Landwirtschaftspolitik konkret bedeutet, hat aber noch kaum jemand detailliert durchdacht.
Vision Landwirtschaft skizziert deshalb in einem neuen Papier, wie der Weg zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft im Sinn der offiziellen Klimaziele und weiteren Ziele des Bundes aussehen könnte. Und zeigt auf, welche entscheidende Rolle dabei der Umbau der Subventionen und allgemeiner das Verursacherprinzip oder «Kostenwahrheit» spielen (s. Box 1 unten).
Die TWI ist jedenfalls auch in dieser langfristigen Perspektive auf dem richtigen Weg: Sie ist ein erster Schritt hin zu mehr Kostenwahrheit in unserer Land- und Ernährungswirtschaft. Zu weniger Verschwendung von Ressourcen und zu mehr Fairness gegenüber denjenigen, die nachhaltige produzieren und konsumieren. Und zwar generell, nicht nur in Nischenmärkten. Ohne eine faire Anlastung von Kosten bleibt ein nachhaltiges Land- und Ernährungssystem eine Illusion.
Fazit
Die TWI ist notwendig, damit Parlament und Bundesrat das Umweltrecht ernster nehmen als bisher. Darüber hinaus räumt die Initiative erste Steine aus dem Weg hin zu einer nachhaltigen Landwirtschaft und Ernährung.
Wenn man Anspruch und Wirklichkeit der Agrarpolitik der letzten Jahre und Jahrzehnte vergleicht, muss man leider feststellen: Der Bundesrat hat die Bevölkerung bei den Umweltauswirkungen eines ums andere Mal getäuscht (s. Box 2). Man hat Besserung gelobt und dann doch die Umsätze in der Tierproduktion und der landwirtschaftsnahen Industrie über das Umweltrecht, die Klimaziele und das Verursacherprinzip gestellt.
Wenn der Bundesrat und das Parlament die TWI ablehnen und es nicht für nötig halten, einen Gegenvorschlag anzubieten, so ist die Botschaft klar: Die flächendeckende Verletzung von Umweltrecht und die Abnahme der Biodiversität sollen weiterhin in Kauf genommen werden. Die Steuerzahler sollen weiterhin umweltschädigende Produktionsweisen subventionieren. Nachhaltige Konsummuster sollen weiterhin systematisch benachteiligt werden. Die Kollateralschäden werden der Allgemeinheit aufgebürdet.
Wir finden das radikal, nicht die TWI. Wer gut informiert ist und die TWI dennoch als radikal oder extrem bezeichnet, zeigt keine Bereitschaft, auch nur einen ersten Schritt hin zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft zu gehen.
Box 1: Diskussionspapier «Kostenwahrheit in Landwirtschaft und Ernährung»
Wie Vision Landwirtschaft vor einem halben Jahr in einer Studie aufgezeigt hat, arbeitet die Schweizer Agrarpolitik in weiten Teilen gegen das Verursacherprinzip und fernab von «Kostenwahrheit». Mit Blick auf Umweltrecht und Klimaziele wird das immer mehr zum Problem.
Dabei ist das Verursacherprinzip im Umweltschutz in der Verfassung verankert (Art. 74 BV): «Der Bund erlässt Vorschriften über den Schutz des Menschen und seiner natürlichen Umwelt vor schädlichen oder lästigen Einwirkungen. Er sorgt dafür, dass solche Einwirkungen vermieden werden. Die Kosten der Vermeidung und Beseitigung tragen die Verursacher.» Die Landwirtschaftsgesetzgebung setzt sich allerdings gerne darüber hinweg.
Was herauskommt, wenn man das Verursacherprinzip auf den Kopf stellt, lässt sich anhand der Direktzahlungen für «graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF)» erklären. Anstelle von Vorgaben, die für die Einhaltung des Umweltrechts ausreichen, oder Lenkungsabgaben auf übermässigen Emissionen gibt der Bund den Betrieben Geld, wenn sie nicht noch mehr Kraftfutter einsetzen. Und dies auch dann, wenn die Emissionen weit über dem umweltrechtlich verträglichen Niveau liegen. Die Beiträge fliessen seit 2014 (s. auch Box 2) so flächendeckend, wie die Grenzwerte für Stickstoffeinträge in naturnahe Ökosysteme überschritten werden.
Gemäss einer Evaluation durch die Forschungsanstalt Agroscope ist die Umweltwirkung praktisch Null – bei Kosten von 110 Millionen Franken pro Jahr. Im Evaluationsbericht und Newsletter des Bundesamts wird das Null-Resultat unterschlagen und das Programm als Erfolg verkauft. Ebenso im Text auf der Webseite zum GMF-Beitrag.)
Vor zwei Jahren wurde der problematische Ansatz, der klar gegen das Verursacherprinzip in der Verfassung und in den Umweltgesetzen verstösst auf den Einsatz von Pestiziden ausgeweitet. Der Bund bezahlt seit 2019 «Ressourceneffizienzbeiträge» für emissionsmindernde Ausbringverfahren. Er subventioniert Spritzmittelgeräte und besondere Applikationstechniken.
Aufgrund dieser Erfahrungen legt Vision Landwirtschaft nun ein Diskussionspapier vor, das die wichtige Rolle des Verursacherprinzips und der Kostenwahrheit für den Übergang zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft herausarbeitet. Der erste Schritt in Richtung Verursacherprinzip oder Kostenwahrheit ist der Abbau von Subventionen für umweltschädliche Produktionsweisen – genau das fordert die TWI im Bereich Pestizide, Nährstoffüberschüsse und prophylaktische Antibiotika.
Box 2: Agrarpolitik, Tierbestände und Nährstoffüberschüsse in bundesrätlichen Prognosen und in Wirklichkeit
In der Botschaft zur AP 14-171 schrieb der Bundesrat: «In der Tierhaltung ist mit der AP 14–17 ein Rückgang der gehaltenen GVE von rund 9 Prozent zu erwarten […]» und «Da aber […] der Kraftfutterimport gegenüber der Referenz rund 10 Prozent tiefer zu liegen kommt, wird mit der AP 14–17 die Nettokalorienproduktion gestärkt.» In Wirklichkeit ist der Tierbestand kein bisschen gesunken (+0.3%), genauso wenig wie der Kraftfutterimport (+0.2%).2
Bei den Stickstoff-Überschüssen wiederholte sich die Diskrepanz von Vorhersagen und Wirklichkeit in den bundesrätlichen Botschaften von 2002 bis 2018 ohne irgendeinen erkennbaren Lerneffekt (Details s. hier und hier, S. 30 ). Daraus lässt sich schliessen, dass der Bundesrat die Umsätze in der Tierproduktion und der landwirtschaftsnahen Industrie über das Umweltrecht gestellt hat (vgl. Haupttext).
Wie Vision Landwirtschaft vor einem halben Jahr in einer Studie aufgezeigt hat, ist die Schweizer Landwirtschaft und Ernährung weit entfernt von «Kostenwahrheit». Mit Blick auf Umweltrecht und Klimaziele wird das immer mehr zum Problem. Vision Landwirtschaft zeigt deshalb in einem neuen Papier auf, wie der Weg zu einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft im Sinne der offiziellen Klimaziele und weiterer Ziele des Bundes aussehen könnte. Der Umbau der Subventionen im Sinne des Verursacherprinzips und der Kostenwahrheit spielt dabei eine tragende Rolle.
Im vergangenen Jahr hatte die Forschungsanstalt Agroscope eine Studie zur Umweltbilanz der Trinkwasserinitiative (TWI) veröffentlicht. Die Forschungsanstalt kam darin zum Schluss, dass die TWI die Umweltbelastung erhöht. Das Resultat beruhte allerdings auf verschiedenen fragwürdigen Annahmen.*
Nun legt Agroscope eine weitere Studie zum Thema vor, die einen Teil der Kritik an der früheren Studie aufnimmt. Sie untersucht die Umweltbilanz von Mehrimporten, wenn dabei besonders problematische Importe vermindert und wenn Nahrungsmittelabfälle vermieden werden. Die Analysen bestätigen grundsätzlich, dass die Umweltbilanz von Mehrimporten stark von der Herkunft der Importe abhängt.
*Fehlende Berücksichtigung von ohnehin notwendigen Anpassungen durch offizielle Ziele und Verpflichtungen im Bereich Umwelt, Klima, Foodwaste, nachhaltige Importe; zudem fragwürdige Annahmen und grosse Unsicherheiten bei den Umweltauswirkungen im Ausland.
Die Szenarien der Studie (Restriktionen bei den Herkunftsländern/Produkten) wurden allerdings so gewählt, dass weiterhin in grossem Umfang umweltschädigende Produkte in die Schweiz gelangen. Beispielsweise werden Importe, für die in den Herkunftsländern Wälder abgeholzt werden, nicht einmal halbiert. Problematische Annahmen zu den Umweltwirkungen im Ausland wurden aus der Vorgängerstudie unverändert übernommen.
Dass diese Szenarien und Annahmen eine negative Umweltbilanz von Mehrimporten ergeben, ist wenig erstaunlich. In den Schlussfolgerungen der Studie beschränken sich die AutorInnen aber nicht auf Aussagen zu den untersuchten Szenarien und Annahmen. Sie schreiben ganz allgemein, dass Mehrimporte die Umweltbilanz verschlechtern und gezielte Importe nichts daran ändern. Diese zentrale Schlussfolgerung greift weit über das hinaus, was die Analysen zeigen. Die Studie weist auch weitere gravierende Mängel auf.
Fazit: Die Agroscope nimmt die Kritik an der früheren Studie nur halbherzig auf und opfert ihre wissenschaftliche Glaubwürdigkeit zugunsten politisch erwünschter Schlussfolgerungen. In der Diskrepanz zwischen Analyse und Schlussfolgerung offenbart sich einmal mehr der Rollenkonflikt der Agroscope als wissenschaftliches Forschungsinstitut und Teil der Bundesverwaltung.
Mit dem Appell an die EU, deutsche Bundesregierung sowie an Bund und Parlament rufen die Internationale Arbeitsgemeinschaft der Wasserwerke im Rheineinzugsgebiet (IAWR) und die Arbeitsgemeinschaft Wasserwerke Bodensee-Rhein (AWBR) gemeinsam dazu auf, die notwendige Agrarrevolution nicht mehr länger hinauszuzögern.
Bereits heute müssten Pflanzenschutzmittel, Gülle und Dünger extrem kosten- und energieaufwändig aus dem Trinkwasser herausgefiltert werden. Nur eine rasche Agrarwende könne verhindern, dass in Zukunft auch eine Nachrüstung der Wasserwerke nicht mehr ausreichen werde, um die Belastungen zu entfernen, warnen die Wasserversorger.
Mit der Annahme und Umsetzung der Trinkwasserinitiative könne man die negativen Auswirkungen von Dünger, Antibiotika und Pestiziden verringern oder sogar verhindern. Die Wasserversorger sind überzeugt, dass «die ökologische Umlenkung der Landwirtschaftsmilliarden sowohl in der Schweiz wie auch in der EU eine nachhaltige Agrarwende herbeiführen kann.»
Ganze Wirtschaftssysteme werden derzeit in atemberaubendem Tempo umgekrempelt. Der Finanzsektor, die Autoindustrie, die Energiewirtschaft, alle stehen mitten in einem fundamentalen Umbruch, der sie um fünf vor zwölf aus einer selbstzerstörerischen Dynamik hinausführen soll. Nur in der Land- und Ernährungswirtschaft geben bis heute die Kräfte den Ton an, die einen Wandel unter allen Umständen verhindern wollen. Mit grosser Hartnäckigkeit verkaufen sie Kosmetik als Lösung. Doch hinter den Kulissen ist ein ebenso grundlegender Wandel hin zu einem neuen Land- und Ernährungssystem im Gange. Mit einer Serie von Newslettern wollen wir ihn besser sichtbar machen, in den grossen Kontext einordnen und mithelfen, ihm so die für den Wandel nötige Kraft zu verleihen.
(VL) Im Diskussionsforum einer internationalen Konferenz zur Zukunft des landwirtschaftlichen Pestizideinsatzes sagte eine Wissenschaftshistorikerin, die über die Agrargeschichte in Deutschland forscht: «Ich staune, wie in der Landwirtschaft noch die genau gleichen Fragen und Probleme debattiert werden wie vor 30 Jahren.» Genau dasselbe kann auch über die Schweizer Landwirtschaft gesagt werden. Pestizide, Biodiversität, Nährstoffüberschüsse, abnehmende Bodenfruchtbarkeit, Klimagasemissionen, negative Energieeffizienz, Gewässerverschmutzung etc. etc. Alle diese existenziellen Baustellen sind jahrzehntealt, ohne dass wesentliche Fortschritte erzielt werden konnten, nicht selten im Gegenteil. Die konventionelle Landwirtschaft zerstört in atemberaubendem Ausmass die eigenen Lebensgrundlagen, und dies mithilfe von Milliarden an staatlichen Beihilfen.
Viele Wirtschaftsbereiche haben den hochgradigen Handlungsbedarf erkannt - oder wurden von der Politik dazu gezwungen. Sie befinden sich in einem ebenso tiefgreifenden wie unglaublich raschen Wandel. Die Autoindustrie investiert Milliarden in die Ablösung des Verbrennungsmotors, der bis vor wenigen Jahren während rund eines Jahrhunderts den Strassenverkehr scheinbar alternativlos beherrscht hat. Ebenso grundlegend ist der Wandel im Energiesektor, wo ganz Verbrauchergruppen aufgrund von Effizienzgewinnen weitgehend wegbrechen und Sonne/Wind plötzlich günstiger werden als die «alten» umwelt- und klimazerstörerischen Energiequellen, die noch vor kurzem absolut unverzichtbar erschienen. Der Kontrast zur Landwirtschaft könnte deutlicher nicht sein.
Landwirtschaft: Kosmetik wird noch immer als Lösung verkauft
Statt quasi den «Verbrennungsmotor» zu ersetzen, wird noch immer mit riesigen Investitionen daran geforscht, den gleichen «Motor» effizienter und besser zu machen. Die Traktoren werden jedes Jahr noch etwas stärker, damit sie ihr schweres Gerät weiterhin durch die immer stärker verdichteten Böden ziehen können. Laufend hält noch mehr Technik Einzug in die bereits heute weitgehend industrialisierte bäuerliche Tätigkeit und vergrössert ihre Abhängigkeit von der Industrie noch mehr. Selbst in den letzten Winkeln der Alpentäler ersetzen heute dröhnende Laubbläser die Handrechen, Helikopter die Heutransportbähnchen, Roboter die bescheidenen Melkmaschinen. Die Pestizide sollen dank Robotertechnik «noch gezielter» eingesetzt und «ihr Risiko weiter minimiert» werden. Dieser jahrzehntealte Spruch der Agrochemie hat sogar Eingang gefunden in den «Aktionsplan Pflanzenschutzmittel» des Bundes und prägt noch immer jede parlamentarische Debatte zur «Lösung» des Pestizidproblems.
Die Probleme werden nicht geringer wenn wir sie mit denjenigen Mitteln zu lösen versuchen, die sie verursacht haben. Die Kosten für diese Lösungsansätze steigen laufend, die Erlöse aus der Produktion sinken entsprechend. Die Rechnung bezahlen die Bäuerinnen und Bauern, die sich im Hamsterrad des «Fortschrittes» fangen liessen. Viele Höfe lassen sich in die Schuldenfalle treiben. Nirgends ist die Verschuldung der Landwirtschaft höher als in der Schweiz. In die Bresche springt der Staat, der das System mit Zahlungen in Milliardenhöhe am Leben erhält, während die Umweltdefizite und die Schulden laufend weiter zunehmen.
Kontrast Energieumbau
Hinter dieser eigentlich grotesken Entwicklung in der Landwirtschaft steht ein Narrativ, das bis heute tief in allen Köpfen verankert ist und das von der Agroindustrie mit grossem Aufwand weiter gepflegt wird. Denn sie verdient daran enorm viel Geld. Allein in einem kleinen Land wie der Schweiz entzieht sie den Bauernhöfen jährlich über ein halbes Dutzend Milliarden Franken.
Wie andere Branchen das alte Wachstumsparadigma erfolgreich überwunden haben zeigt ein Blick in die Energiewirtschaft. Stellen Sie sich vor, die Energiekonzerne würden bei jeder sich bietenden Gelegenheit warnen, dass der Menschheit in Zukunft wesentlich mehr Energie zur Verfügung stehen müsse, da sie weiter stark wachse und ihr Energiebedarf deshalb stark zunehmen würde. Es müsse deshalb mehr Erdöl gefördert, mehr Atomstrom produziert und auch die letzten Wasserkraftreserven noch genutzt werden – natürlich alles möglichst schonend, mit modernster Technik und nachhaltig. Und natürlich mit Ergänzung erneuerbarer Energien, die aber angesichts des Bedarfs aber leider nur Nische bleiben könnten.
Eine solche Denkweise - noch vor wenigen Jahren unhinterfragter Standard – würde heute kaum mehr ein Politiker zu vertreten wagen, der ernst genommen werden will.
Alte Denkmuster blockieren Wandel
Es ist längst im allgemeinen Bewusstsein angekommen, dass wir trotz stark zunehmender Bevölkerung in der Schweiz nicht zusätzliche Energiequellen benötigen. Sondern dass die Energiesparmöglichkeiten viel grösser sind als der Bevölkerungszuwachs, und dass wir den verbleibenden Bedarf so rasch als möglich aus nachhaltigen Quellen beziehen müssen, die quasi vor der Haustüre liegen und die völlig anders funktionieren als das alte Energieversorgungssystem. Dieser Paradigmenwechsel ist längst in der Realität angekommen. Denken wir nur an den Beleuchtungssektor, wo heute bei gleichem Komfort und höherem Bedarf an Licht 80% der früher benötigten elektrischen Energie eingespart werden kann dank dem Ersatz der Glühbirne durch die LED-Technik. Oder denken wir an den Gebäudesektor, wo heute moderne Bauten nicht mehr nur viel weniger Energie verbrauchen, sondern bei Ausschöpfung aller Möglichkeiten unter dem Strich sogar Energie produzieren. Damit wird das bisherige Denken auf den Kopf gestellt und hat einer neuen Realität Platz gemacht.
Noch tief im alten Narrativen verhaftet
In der der Land- und Ernährungswirtschaft dagegen wird das uralte, sachlich längst überholte Narrativ weiterhin bei jeder sich bietenden Gelegenheit von Landwirtschaftsvertretern in die Medien, die Politik und die öffentliche Debatte gedrückt. Die Menschheit wächst, darum brauchen wir dringend mehr Nahrungsmittel. Agrarkonzerne und die tonangebenden PolitikerInnen tragen diese längst überholte Mär des weltweit steigenden Nahrungsmittelbedarfs unhinterfragt in die politischen Debatten, die Medien, in unzählige wissenschaftliche Forschungsprojekte und selbst in die Schulstuben hinein: Die Menschheit sei gezwungen, auf den verfügbaren Flächen noch mehr aus den Böden und den Tieren herauspressen – deshalb brauche es noch mehr und noch bessere Technik, Hilfsstoffe, Roboter, Drohnen...
Noch immer werden enorme private und staatliche Mittel dafür verschwendet, das alte Narrativ weiter zu bewirtschaften. Für die Entwicklung der Land- und Ernährungswirtschaft wirkt sich die Weigerung des Neudenkens katastrophal aus. Mit Dutzenden Millionen an Staatsgeldern werden Forschungsprojekte finanziert, die in den alten Netzwerken und Paradigmen verhaftet sind, oft verbandelt mit der Industrie und den Profiteuren des alten Systems. Sie haben keinerlei Interesse, den unumgänglichen Wandel herbeizuführen.
Systemwechsel braucht Vielfalt der Lösungen
Das ist umso fataler, als das Wissen, wie ein Systemwechsel gelingen könnte, genauso wie im Energiesektor eigentlich längst weitgehend vorhanden ist. Genauso, wie der Systemwechsel in der Energiewirtschaft nicht einfach Solarpannels sind, ist der Systemwechsel in der Landwirtschaft nicht einfach Bio. Bio ist ein Label, ein gutes Label. Aber kein Systemwechsel wird von nur einer Marke, einem Konzept allein bewerkstelligt. Die Solarbranche war enorm wichtig für den Umbau des Energiesystems, Tesla war enorm wichtig für den Umbau in der Autobranche – aber die Zukunft der Energieversorgung heisst nicht einfach Solar und die Zukunft der Automobilität nicht einfach Tesla, und die Zukunft der Landwirtschaft ist kein Bioland. Es braucht eine Vielfalt an Lösungen, die insgesamt den Systemwechsel ermöglichen und die alle an ihrem Ort ihren Beitrag leisten.
Dabei sei mit aller Deutlichkeit darauf hingewiesen: Bio hat enorm viel zum aufkeimenden Systemwechsel beigetragen. Bio ist quasi der Tesla der Landwirtschaft. Viele andere Ansätze, die teilweise deutlich über die Bio-Anforderungen hinausgehen und weitere grundlegende Verbesserungen mit dem «über den Tellerrand hinaussehen» bringen, bleiben derzeit aber weitgehend unter dem Radar. Dahinter steckt oft (das) System. Grossverteiler und selbst etablierte Nachhaltigkeitslabels haben kein Interesse, Konkurrenz aufkommen zu lassen. Sie haben sich bequem im System eingerichtet. All die neuen Ansätze werden in den Agrarmedien meist in die Kuschelecke gestellt mit der Standardbehauptung: «Interessante Nische, aber um die Massen zu ernähren untauglich». Gegen die SRF-Sendung «Netz Natur», welche zukunftsweisende Landwirtschaftsmethoden vor wenigen Wochen in einem ausgezeichneten Beitrag portraitierte, gehen die etablierten Agrarkreise über den Schweizer Bauernverband nun sogar mit einer Klage vor. So weit haben wir es in der Landwirtschaft gebracht: Wer weiterdenkt, wird von der tonangebenden Lobby sofort zurückgebunden, lächerlich gemacht oder gar eingeklagt.
Aber so ungewöhnlich ist das nicht. Genau so wurden die ersten Elektropioniere in der Autobranche damals lächerlich gemacht, verhöhnt, ausgebremst. Heute geben sie den Ton an. Ihre Investitionen führten sie mithilfe staatlicher Vorgaben aus der Nische heraus und ermöglichten den Systemwechsel.
Die Lösungen sichtbar machen
Die oft noch unsichtbaren Nischenpioniere möchten wir mit unserer Arbeit unterstützen und fördern. Manchmal sind es erstaunlich einfache, sowohl wirtschaftlich wie ökologisch äusserst effektive Handlungsansätze, die aber gerade deshalb enorm viel Potenzial aufweisen, weil sie aus den gängigen Denkschemen fallen. Die oft unspektakulär scheinenden «Nischenlösungen», die letztlich den Systemwandel erst ermöglichen werden, werden wir in einer Serie von Beiträgen vorstellen und damit aufzeigen, welche Vielfalt an Lösungen bereits vorliegen und wie sie zusammenwirken können, um den Systemwechsel zu schaffen. Wir haben gar keine andere Wahl. Und es ist (fast) alles parat. Packen wir’s jetzt an!
Kästchen: Ihre vier persönlichen Beiträge, die für die Landwirtschaft der Zukunft den Unterschied ausmachen.
Reduzieren Sie den Fleischkonsum auf 200-300 Gramm pro Woche und Person!
Kaufen Sie lokal produzierte Produkte ein. z.B. Bio- und IP-Suisse-Produkte. Achten Sie darauf, dass diese ohne Pestizide und ohne importierte Futtermittel produziert worden sind.
Reduzieren Sie den Food Waste. 50% der produzierten Nahrungsmittel werden weggeworfen, davon über die Hälfte im Haushalt. Das ist eine enorme Verschwendung, die wir selber ändern können – und dabei erst noch das Portemonnaie schonen.
Unterstützen Sie die Trinkwasser- und die Pestizidinitiative. Diese beiden Volksinitiativen werden die Politik zwingen, erste entscheidende Schritte hin zum dringend nötigen Systemwandel einzuleiten. Nicht umsonst werden sie von der Agrarlobby mit allen Mitteln bekämpft.
Die Stickstoff- und Phosphoreinträge der Landwirtschaft in die Umwelt sind viel zu hoch. "Sie schädigen Gesundheit, Biodiversität, Wälder und Gewässer in der Schweiz massiv", schreibt die Akademie der Naturwissenschaften SCNAT in einem neuen Factsheet und fordert das Parlament auf, jetzt endlich zu handeln.
Zum Hintergrund: Das Parlament behandelt derzeit eine parlamentarische Initiative, die genau dies vorhat und einen verbindlichen Nährstoff-Absenkpfad vorschlägt. Der Ständerat und die vorberatende Kommission des Nationalrates haben dieser Initiative allerdings die Zähne bis zur Unkenntlichkeit gezogen.
Federführend in diesem Trauerspiel war die CVP, die im Verbund mit der FDP vor den unglaublichsten Fehlinformationen im Parlament nicht zurückschreckte und damit offensichtlich eine Mehrheit herbeiführen konnte, um die parlamentarische Initiative ins Leere laufen zu lassen.
Dies kann der Nationalrat im Plenum am 2. Dezember noch korrigieren. Vision Landwirtschaft setzt sich an vorderster Front dafür ein, dass dieser Kraftakt gelingt.
Die Viruskrankheit, die dieses Jahr in der Westschweiz viele Zuckerrübenfelder befallen hat, ist seit Jahrzehnten bekannt. Die Branche hat bisher blind der Agrochemie vertraut und ein hochgiftiges Pestizid dagegen eingesetzt. Trotz Gesprächen, die beispielsweise Vision Landwirtschaft mit den Produzenten führte, konnten sich ihre Vertreter nicht vorstellen, dass das Pestizid bald verboten werden könnte und dass die Agrochemie nicht rechtzeitig einen neuen Giftstoff auf den Markt bringen wird, wie das seit Jahrzehnten immer der Fall war. Genau das ist nun eingetreten. Nun ertönt der Hilfeschrei nach einer Notfallzulassung. Dies ist kein Weg in die Zukunft.
Die Situation fehlender Wirkstoffe sowie einer zunehmenden Resistenzbildung wird in den nächsten Jahren bei weiteren Kulturen auf uns zukommen. Dass die Chemie keine Lösung für eine zukunftsfähige Landwirtschaft ist, nehmen nun selbst pestizidversessene Kreise immer mehr zur Kenntnis.
Vision Landwirtschaft fordert die Branchenvertreter im Rahmen eines runden Tisches auf, sich jetzt endlich mit vollem Engagement und Kompromissbereitschaft den zahlreichen nicht-chemischen Pflanzenschutzmethoden zuzuwenden, damit ein nachhaltiger Anbau von Zuckerrüben und weiteren Ackerkulturen in der Schweiz eine Zukunft hat.
(VL) Wer soll die Kosten der Produktion von Gütern und Dienstleistungen tragen? Grundsätzlich ist die Antwort klar und weitherum anerkannt: Zahlen soll, wer die Kosten verursacht. Wenn dies der Fall ist, liegt «Kostenwahrheit» vor. In der Landwirtschaft und Ernährung wird dieses Prinzip heute auf den Kopf gestellt. Um-weltschädigende Produktionsweisen und Konsummuster werden vom Staat massiv begünstigt. Nicht nachhaltig produzierte Güter werden so viel zu günstig, nachhaltige zu teuer. Das Problem ist also nicht der Konsument, der nicht bereit ist, für nachhaltige Nahrungsmittel deutlich mehr zu bezahlen, sondern ein agrarpolitisches System, das die Preise zugunsten eines nicht nachhaltigen Konsums verzerrt und damit nachhaltiges Konsumverhalten systematisch behindert. In einer neuen Studie von Vision Landwirtschaft wird der Umfang dieser Verzerrungen erstmals quantifiziert. Um die agrarpolitischen Ziele im Bereich Umwelt und Ernährungssicherheit zu erreichen, wird es unumgänglich sein, das heutige System grundlegend neu auf Kostenwahrheit auszurichten.
Kostenwahrheit ist ein Grundprinzip einer transparenten, fairen Marktwirtschaft. Wer Kosten verursacht, soll dafür aufkommen. Im Bereich des Verkehrs wurde schon vor vielen Jahren erkannt: die Kosten umfassen neben den privaten Kosten der Fahrzeuge und Treibstoffe weitere Kostenbereiche: Kosten für die Steuerzahler, z.B. durch den Strassenbau, und Kosten zulasten der Allgemeinheit durch Umweltbelastungen und Verkehrsunfälle, sog. externe Kosten. Das Bundesamt für Statistik (BFS) publiziert regelmässig, wie hoch die Gesamtkosten des Verkehrs sind und wer sie trägt.
Wie sieht die Situation in der Land- und Ernährungswirtschaft aus? Neben den Konsumenten tragen auch die Steuerzahler und die Allgemeinheit einen Teil der Kosten. Doch wie hoch diese sind, ist bisher in der Landwirtschaft im Gegensatz zum Verkehr nie ermittelt worden. Vision Landwirtschaft legt nun erstmals eine Statistik vor, welche die Gesamtkosten der Nahrungsmittelproduktion transparent erfasst und nach Kostenträgern aufschlüsselt. Als Grundlagen dienten offizielle Statistiken des Bundes und eine wissenschaftlich fundierte Berechnung der externen Kosten der Schweizer Landwirtschaft.
Von Kostenwahrheit weit entfernt
Die Ergebnisse der Studie zeigen: Landwirtschaft und Ernährung sind heute vom Prinzip der Kostenwahrheit weit entfernt. Von den fossilen Energieträgern über Beiträge für Pestizidspritzgeräte und Fleischwerbung bis zur Entsorgung der Schlachtabfälle wird die Nahrungsmittelproduktion vom Bund auf alle erdenklichen Arten subventioniert. Hinzu kommen die Umweltkosten zulasten der Allgemeinheit, die beispielsweise durch Pestizide oder Ammoniakemissionen verursacht werden und kostspielige Gegenmassnahmen erfordern.
Besonders problematisch: die Produkte, welche für die Allgemeinheit die grössten Umweltbelastungen verursachen, werden am stärksten subventioniert. Die Produktion tierischer Nahrungsmittel, welche die Hälfte der Kalorienproduktion ausmacht und drei Viertel der Umweltkosten der Landwirtschaft von 3,6 Milliarden Franken verursacht, wird vom Bund viermal stärker subventioniert als die Produktion pflanzlicher Nahrungsmittel. Beim Rindfleisch beispielsweise zahlen die Konsumenten deshalb weniger als die Hälfte der wahren Kosten.
Widerspruch zu Zielen und Strategien
Wenn Bohnen oder Vegi-Burger mehr kosten als Poulet oder Hackfleisch, kommt nachhaltiges Verhalten einem Schwimmen gegen den Strom gleich. Die in Landwirtschaftskreisen beliebte Sichtweise, dass das Problem bei den Konsumentinnen und Konsumenten liege, die nicht bereit seien, für nachhaltige Produkte mehr zu bezahlen greift zu kurz. Landwirtschaft und Ernährung sind durchsetzt von ökonomischen Fehlanreizen, die gesunde und nachhaltige Produktionsweisen und Konsummuster systematisch behindern.
Die Politik des Bundes steht auch im Widerspruch zu dessen eigenen Zielen und Strategien, und zwar nicht nur im Bereich Umwelt. Gemäss der Schweizer Ernährungsstrategie (BLV 2017) werden zu viel Fleisch sowie Milchprodukte mit hohem Fettgehalt und zu wenig Getreideprodukte, Kartoffeln, Hülsenfrüchte und Gemüse konsumiert. Der Bund trägt mit seinen Rahmenbedingungen für die Landwirtschaft also zu ungesunden und umweltschädigenden Konsummustern bei.
Die fehlende Kostenwahrheit liefert auch die Erklärung, warum die Agrarpolitik trotz ihrem hohen Mitteleinsatz die Vorgaben des Umweltrechts weit verfehlt (s. Bericht «Indikatoren für die Beurteilung der Agrarpolitik»). Der Bund zahlt heute jährlich hunderte Millionen Franken zur Schadensbegrenzung, also allein dafür, dass die Umweltziele nicht noch umfassender verfehlt werden, wie eine aktuelle Studie der Forschungsanstalt WSL am Beispiel der Biodiversität aufzeigt.
Frage der Fairness
Kostenwahrheit in der Landwirtschaft ist aber nicht nur Voraussetzung für die Erreichung der Umweltziele, sondern auch eine Frage der Fairness. Die heutige Politik weitab vom Verursacherprinzip bestraft beispielsweise diejenigen, die sich umwelt- und tierfreundlich ernähren, oder Landwirte, die mit ihrem Verhalten sehr viel für die Umwelt leisten.
Wie Kostenwahrheit erreichen? Kostenwahrheit in der Landwirtschaft bedeutet konkret:
Subventionen, die an landwirtschaftliche Inputs wie fossile Energie oder Outputs wie Milch oder Schlachtabfälle gebunden sind, sind eliminiert.
Kosten zulasten der Allgemeinheit durch Emissionen aus importierten oder künstlich hergestellten Produktionsmitteln (fossile Energie, importierte Futtermittel, Mineraldünger, Pestizide) werden ihren Verursachern angelastet.
Umweltbelastungen, die im Rahmen guter fachlicher Praxis auf Basis der regionalen Produktionsgrundlagen und unter Anwendung ressourcenschonender Technik entstehen, haben keine finanziellen Konsequenzen für die Produzenten.
Als gemeinwirtschaftliche Leistungen unterstützt werden weiter gehende Leistungen wie pestizidfreie Produktion, Reduktion von CO2-Emissionen durch Umwandlung von Äckern auf Moorböden in Grünland, etc.
Bei importierten Nahrungsmitteln werden die Umweltauswirkungen der Produktion deklariert und mit Abgaben belegt, um eine Benachteiligung der einheimischen Produktion zu verhindern. Pauschale Zölle können in diesem Umfang reduziert werden.
Das Resultat davon ist, dass der nachhaltige wirtschaftende Landwirt günstiger produzieren kann als der umweltschädlich produzierende. Dadurch werden umweltfreundliche Nahrungsmittel im Laden günstiger als umweltschädlich produzierte.
Masterplan benötigt
Um Kostenwahrheit auch in der Agrarpolitik zu verankern und damit einer nachhaltigen Landwirtschaft nicht weiterhin Milliarden an Steuergeldern in den Weg zu stellen, ist ein Masterplan nötig. Sein Horizont geht dabei über die vierjährigen Etappen der Agrarpolitik hinaus. Zudem muss er mit den offiziellen Zielen und Strategien des Bundes in den Bereichen Umwelt, Klima, Gesundheit und Ernährung eng koordiniert werden.
Zitierte Literatur: BLV (2017). Geniessen und gesund bleiben. Schweizer Ernährungsstrategie 2017–2024. Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen BLV, Bern.
Die Debatte vom 14. September zu den Pestizidinitiativen und zum Gegenprojekt der Ständeratskommission wurde weitgehend durch CVP-Ständeräte bestritten. Mit unzähligen Voten und Anträgen, welche den Zeitplan der Sitzung über eine Stunde verzögerte, führten sie dem Stöckli eine offensichtlich konzertierten Aktion vor, punktuell unterstützt von der SVP. Die Vorlage wurde zwar ganz knapp nicht als Ganzes versenkt, aber es gelangt der Ratsmehrheit, alle einigermassen griffigen Zähne systematisch zu ziehen.
Was der Ständerat im Gesetzesentwurf belassen hat, ist nun bis auf den unbestrittenen Pestizid-Absenkpfad komplett wirkungslos. So wurden die Lenkungsabgaben bei den Pestiziden versenkt, und beim Nährstoffabsenkpfad wurden die entscheidenden Zielvorgaben gestrichen, nämlich die Überschüsse bis 2025 um 10 Prozent und bis 2030 um 20 Prozent zu reduzieren. Damit ist vom Nährstoffabsenkpfad nur noch der tote Buchstabe übriggeblieben. Dieses faule Manöver ermöglichte es den beteiligten WAK-S-Mitgliedern aus der CVP, angesichts ihres Meinungsumschwunges das Gesicht zu wahren.
Wie schon in der CO2-Debatte zeigt die CVP auch in der Landwirtschaft eine erstaunliche Gleichgültigkeit gegenüber Umweltanliegen und selbst gegenüber der Verletzung bestehenden Umweltrechtes, die in der Debatte nur von rot-grüner Seite in engagierten Voten Beachtung fand. Dafür standen die "Branchenbedürfnisse" fast in jedem CVP- und SVP-Votum an vorderster Stelle - ein oft unverhohlen vorgetragener Klientelismus. Viele der teilweise abgelesenen, offenbar vorgeschriebenen CVP- und SVP-Voten beinhalteten falsche oder irreführende Aussagen. Die Handschrift des Bauernverbandes, der offensichtlich massiven Druck ausübte, war unübersehbar.
Mit dieser Debatte verlängert sich das politische Trauerspiel um die zukünftige Agrarpolitik um einen weiteren Akt. Das Parlament scheint angesichts des militanten Druckes von Bauernverband und Agroindustrie nach wie vor nicht in der Lage, die anstehenden Probleme anzupacken oder nur schon geltendes Recht ernst zu nehmen. Normalerweise schreiben wir eine solche politische Kultur einer Bananenrepublik zu.
Analog zur Statistik «Kosten und Finanzierung des Verkehrs» des Bundes hat Vision Landwirtschaft in einer neuen Publikation erstmals die Vollkosten der Schweizer Landwirtschaft erfasst und nach transparenten Kriterien den Kostenträgern «Konsumenten», «Steuerzahlende» und «Allgemeinheit» zugeordnet. Die Ergebnisse sind für die anstehenden agrarpolitischen Entscheide brisant.
Wer soll die Kosten der Produktion von Gütern und Dienstleistungen tragen? Grundsätzlich ist die Antwort klar und weitherum anerkannt: Zahlen soll, wer die Kosten verursacht. Wenn dies der Fall ist, liegt «Kostenwahrheit» vor.
In der Landwirtschaft und Ernährung wird dieses Prinzip heute auf den Kopf gestellt. Umweltschädigende Produktionsweisen und Konsummuster werden vom Staat mit Milliardensubventionen begünstigt. Nicht nachhaltig produzierte Güter werden so viel zu günstig, nachhaltige zu teuer.
Das Problem ist also nicht der Konsument, der nicht bereit ist, für nachhaltige Nahrungsmittel deutlich mehr zu bezahlen, sondern ein agrarpolitisches System, das die Preise zugunsten eines nicht nachhaltigen Konsums verzerrt und damit nachhaltiges Konsumverhalten systematisch behindert.
In der vorliegenden Studie wird der Umfang dieser Verzerrungen erstmals quantifiziert. Um die agrarpolitischen Ziele im Bereich Umwelt und Ernährungssicherheit zu erreichen, wird es unumgänglich sein, das heutige agrarpolitische System grundlegend neu zu konzipieren und konsequent auf Kostenwahrheit auszurichten.
Ein paar Kalorien weniger zu produzieren und dafür die Umwelt zu schonen wird vom Bauernverband und den bäuerlichen Medien bei jeder sich bietenden Gelegenheit als des Teufels hochstilisiert. Dabei ist diese Argumentation nicht nur absurd, sondern läuft grundlegenden bäuerlichen Interessen zuwider.
Wirtschaftlich: Es gibt keine andere Branche, deren Dachverband sich in der Politik für eine möglichst hohe Produktion einsetzt und sich damit die eigenen Preise ruiniert. Das gibt es nur in der Landwirtschaft. Vermutlich weil mittlerweile das landwirtschaftliche Einkommen unter dem Strich ohnehin nur noch vom Staat kommt - die Direktzahlungen sind mittlerweile höher als das Einkommen, eine direkte Folge der SBV-Politik der Kalorienmaximierung.
Versorgungssicherheit: Im Energiesektor – auch dieser ist systemrelevant – weiss man seit langem: Es ist viel kostengünstiger, zielführender und erst noch umweltschonender, die Effizienz des Systems zu erhöhen beispielsweise durch verbrauchsoptimierte Haushaltgeräte und Fahrzeuge oder durch Gebäudeisolation, anstatt möglichst viel Energie zu produzieren. Doch in der Landwirtschaft rennt der Bauernverband bis heute einer möglichst hohen Produktion nach, als ob er noch nie etwas von viel effizienteren Strategien der Effiziensteigerung gehört hätte.
Allein eine Reduktion des Foodwaste, zu der sich der Bund bis 2030 verpflichtet hat, wird den Selbstversorgungsgrad um gut 15% erhöhen. Dabei kommt die Foodwaste-Reduktion auf dem Feld direkt dem bäuerlichen Einkommen zugute – ganz im Gegensatz zu einer Maximierung der Produktion.
Wer Gesetze nicht einhält, wird normalerweise gebüsst. Anders beispielsweise im Kanton Luzern. Seit 15 Jahren wird der Vollzug von geltendem Umweltrecht bei den viel zu hohen Stickstoff- und Phosphoremissionen verschleppt.
Die Emissionen resultieren aus den massiv überhöhten, bodenunabhängigen Tierbeständen und den riesigen Futtermittelimporten im Kanton Luzern. Sie gehören zu den höchsten europaweit und sind für Umwelt und Gesundheit folgenreich. Doch Futtermühlen, Stallbauer, Tierhandel, Tierärzte etc. etc. verdienen daran Jahr für Jahr Millionen. Noch viel mehr kostet es allerdings die SteuerzahlerInnen. Sie mussten bisher über hundert Millionen Franken an Folgekosten hinblättern - die Schäden an Biodiversität und Gesundheit noch gar nicht einbezogen.
Nun versuchen Umweltorganisationen, den Kanton mit einer Aufsichtsbeschwerde zum Handeln zu zwingen - ein bisher in der Schweiz einzigartiger Vorgang. Es öffnet sich damit ein weiteres Kapitel in der landwirtschaftlichen Bananenrepublik. Wir können gespannt sein.
Die Wirtschaftskommission des Ständerates WAK-S will die Reform der Agrarpolitik um Jahre hinauszögern. Der Entscheid hat rundherum Erstaunen ausgelöst. Die knappe Mehrheit kam durch einen Deal zwischen SBV-Präsident Markus Ritter und den FDP- Ständeräten unter Führung von Ruedi Noser zustande. Ritter will im Gegenzug mithelfen, die Konzernverantwortungsinitiative zu bekämpfen und den Agrarfreihandel zu unterstützen - beides Anliegen, die den bäuerlichen Interessen zuwiderlaufen.
Der Schachzug offenbart den ganzen Opportunismus und Zynismus des SBV-Präsidenten, der sich seit Monaten verbissen gegen jegliche Reformschritte der Agrarpolitik in Richtung etwas mehr Ökologie wehrt und dem alle Mittel recht sind, sie zu verhindern.
Der Entscheid des Ständerates gibt der Trinkwasserinitiative und der Pestizidinitiative weiter Auftrieb. Offensichtlich ist das Parlament auch in seiner grüneren Zusammensetzung derzeit nicht willens, die gravierenden Umweltprobleme der Landwirtschaft beim Boden, den Gewässern und der Biodiversität anzugehen und die Steuermilliarden in Richtung eine nachhaltigen Produktionsweise zu lenken.
Eine Annahme der Trinkwasserinitiative (TWI) hätte in der Schweiz auf Umwelt und bäuerliches Einkommen positive Auswirkungen. Dies zeigt eine frühere Studie von Agroscope. Mit einer heute publizierten Ergänzungsstudie bezieht Agroscope auch die Umweltwirkungen im Ausland ein. Und siehe da: Im Ausland soll die TWI nun sehr negative Auswirkungen auf die Umwelt haben. Doch dieses Resultat kommt nur mit einer Reihe von Tricks und völlig unrealistischen Annahmen zustande.
(VL) Punktgenau zu den Verhandlungen der WAK-Ständerat zur Trinkwasserinitiative (TWI) veröffentlichte die Forschungsanstalt Agroscope heute ihre zweite Analyse zu den Auswirkungen der Trinkwasserinitiative.
Doch nicht nur mit ihrem exakten Timing macht Agroscope Politik. Auch der Inhalt ist mehr Politik als Wissenschaft. Die Studie bestätigt zwar eine Vorläuferstudie, die bereits feststellte: Eine Annahme der Trinkwasserinitiative würde in der Schweiz den Pestizideinsatz um zwei Drittel verringern und die Wasser- und Umweltqualität entsprechend massiv verbessern.
Mit der neuen Studie will Agroscope nun aber herausgefunden haben, dass die Trinkwasserinitiative letztlich eben doch schlecht für die Umwelt sei. Grund: die Schweiz müsste aufgrund verringerter Erträge mehr Nahrungsmittel importieren. Und jede aus dem Ausland importierte Kalorie sei massiv umweltschädlicher als die in der Schweiz produzierten Lebensmittel.
Mit Tricks zum gewünschten Resultat Um diese abenteuerliche Aussage zu belegen – mit der Agroscope im übrigen zahlreichen anderen Studien widerspricht – legt die Forschungsanstalt der Modellierung geradezu haarsträubende Annahmen zugrunde.
Vision Landwirtschaft war Teil der Studien-Begleitgruppe und kritisierte diese Annahmen vehement. In keinem einzigen Fall hat Agroscope die kritisierten Punkte aus der Begleitgruppe berücksichtigt und keine der völlig unrealistischen Modellierungsannahmen korrigiert.
Ein Beispiel: Agroscope nimmt in ihrem Modell an, dass im Inland durch die TWI eine Extensivierung erfolgt, was ökobilanzmässig relativ wenig Auswirkungen hat, aber in einer Minderproduktion resultiert. Das führt zu mehr Importen. Im Ausland nimmt Agroscope dagegen an, dass für jede deshalb zusätzlich importierte Kalorie zusätzliches Landwirtschaftsland auf Kosten von naturnahen Flächen beansprucht wird. Das ist komplett unrealistisch. Es werden Äpfel mit Birnen verglichen. Diese abenteuerliche Modellannahme führt zu einem extrem negativen Resultat der Umweltwirkung im Ausland. Agroscope folgert, dass die TWI die Abholzung fördere und auch fast alle übrigen Umweltaspekte negativ beeinflusst würden.
Die Studie ist voller solcher Absurditäten (Details siehe Kästchen), die letztlich zu genau dem Resultat führen, das herauskommen sollte.
Glaubwürdigkeit untergraben Die Resultate der Agroscope-Studie müssen unter dem Stichwort «Politik einer Bundesanstalt» abgebucht werden, mit Wissenschaft haben sie nichts zu tun. Vision Landwirtschaft distanziert sich deshalb in aller Form von der Studie.
Das Bekenntnis von Agroscope-Direktorin Eva Reinhard in ihren einleitenden Worten zur Studie wirkt vor diesem Hintergrund wie ein schlechter Witz:
"Sie (die Wissenschaft) erarbeitet wissenschaftlich fundierte Grundlagen und vermittelt diese Informationen. Damit unterstützt sie die sachliche Diskussion und hilft mit, gemeinsam nachhaltige Lösungen zu finden."
Kästchen: Die wichtigsten Mängel der neuen TWI-Studie von Agroscope
1. Die Studie geht davon aus, dass nach Annahme der TWI im Ausland zusätzliche Landwirtschaftsfläche in Anspruch genommen werden muss, und zwar auf Kosten von Wald und naturnahen Gebieten. Diese – komplett unrealistische Prämisse (s. Hintergrundinformationen) – führt zu einer extrem schlechten Ökobilanz der zusätzlich importierten Lebensmittel.
2. Die Studie berücksichtigt die Auswirkungen der 2017 vom Volk angenommenen Ernährungssicherheitsinitiative nicht. Die Massnahmen, die beim Bund bereits in Vorbereitung sind, werden dazu führen, dass umweltschädigend produzierte Nahrungsmittel gar nicht mehr importiert werden dürfen. Die Umsetzung des Ernährungssicherheitsartikels wird längst abgeschlossen sein, wenn die TWI nach achtjähriger Übergangsfrist, also ab 2029, ihre Wirkung entfaltet. Die von Agroscope ermittelte negative Umweltbilanz zusätzlicher Importprodukte hat dann keine Grundlage mehr. Ohne Berücksichtigung des Ernährungssicherheitsartikels sind die Resultate der Studie daher bedeutungslos.
3. Die Studie berücksichtigt zudem nicht, dass die Schweiz bis 2030 die vermeidbaren Lebensmittelverluste (Food Waste) um 50% reduziert haben muss (Sustainable Development Goal SDG 12.3). Dadurch müssen viel weniger Nahrungsmittel produziert werden und der Importbedarf dürfte um über 20% zurückgehen. Selbst wenn die TWI zu etwas geringeren Erträgen in einzelnen Kulturen führen sollte, wäre dieser Produktionsrückgang durch den vermiedenen Food Waste um ein Mehrfaches kompensiert.
4. 90% der heutigen landwirtschaftlichen Forschungsarbeiten in der Schweiz beschäftigen sich mit pestizidabhängigen Anbautechniken. Die TWI fordert, dass die Forschungsmittel im Agrarbereich konsequent umgelagert werden zur Weiterentwicklung von nachhaltigen, pestizidfreien landwirtschaftlichen Produktionsweisen. Experten gehen davon aus, dass bei einer Umlagerung der Forschung auf agrarökologische Anbauverfahren schon in einigen Jahren die Erträge bei pestizidfreiem Anbau kaum mehr tiefer ausfallen dürften. Damit wären keine zusätzlichen Importe mehr nötig.
Viele versuchen derzeit, aus der Corona-Krise Profit zu schlagen. Auch der Bauernverband SBV nutzt die aktuelle Situation aus. Er will die Bemühungen des Bundes torpedieren, mit der Agrarpolitik 2022+ eine wenigstens etwas ökologischere Landwirtschaft zu fördern, wie die NZZ aufzeigt. Seine Argumentation: In Krisenzeiten bräuchten wir eine möglichst hohe Inlandproduktion, und dies selbst auf Kosten der Ökologie. Doch das Gegenteil ist richtig.
Schon heute produziert die Schweizer Landwirtschaft viel zu intensiv und extrem ineffizient. Beispielsweise importiert sie für die Produktion einer Nahrungsmittelkalorie 2 Kalorien Erdöl aus dem Ausland. Dazu Unmengen an Futtermitteln, Dünger, Pestiziden etc. Das ist das Gegenteil einer produzierenden Landwirtschaft. In Zukunft müssen wir weniger produzieren, dafür nachhaltiger und mehr aus dem eigenen Boden. Weniger ist mehr.
Die heutigen überhöhten Erträge machen unsere Landwirtschaft nicht nur extrem abhängig vom Ausland. Sie schädigen darüber hinaus den Boden, des Ökosystem, die Biodiversität irreversibel. Wir können nur auf Kosten zukünftiger Generationen solche Erträge aus den Böden und den Tieren herausquetschen.
Eine nachhaltige Landwirtschaft ist für die Ernährungssicherheit unabdingbar. Allerdings ist sie nur mit Erträgen möglich, die 10-15% tiefer sind als das heutige überhöhte Produktionsniveau in der Schweiz.
Aber deswegen müssen wir noch längst nicht mehr aus dem Ausland importieren. Allein mit einer Reduktion des Foodwaste können wir den Selbstversorgungsgrad kurzfristig um 20% erhöhen und die ökologisch unumgängliche leichte Ertragsreduktion weit mehr als kompensieren.
Nochmals ebenso viel liegt drin, wenn wir beispielsweise endlich auf das Verfüttern der enormen Mengen an Kraftfutter in der Milchproduktion verzichten. Denn 90% der Kalorien werden so vernichtet - um Überschüsse am Milchmarkt zu produzieren. Das ist eine Katastrophe, die anzugehen der SBV sich bisher geweigert hat, weil er es mit der Futterindustrie nicht verderben will. Denn sie verdient daran Milliarden jedes Jahr. Allein in der Schweiz könnte mit den in der Milchproduktion vernichteten Kalorien ein Fünftel der Schweizer Bevölkerung ernährt werden.
Das sind nur zwei Beispiele, die zeigen, was mit oder ohne Koronakrise tatsächlich zu tun ist: die extreme Ineffizienz des Schweizer Ernährungssystems beheben statt noch mehr und damit noch ineffizienter zu produzieren. Untersuchungen von Vision Landwirtschaft haben gezeigt, dass sich mit kurz- und mittelfristig realisierbaren Effiziensteigerungsmassnahmen die Schweiz auch heute noch selber ernähren kann, und dies bei einer viel nachhaltigeren Landnutzunsweise.
Deshalb braucht es eine konsequente Ökologisierung und Effizienzverbesserung der Schweizer Land- und Ernährungswirtschaft. Es gibt enorm viel Luft nach oben, die bisher ungenutzt verpufft ist. Das können wir uns nicht länger leisten.
Dänemark zeigt, wie man die Umweltprobleme der Landwirtschaft mit konsequentem Handeln und deutlich weniger Geld tatsächlich lösen kann. Beispielsweise mit hohen Lenkungsabgaben. Die Schweiz drückt sich jedoch seit Jahren um dieses wirkungsvolle Instrument herum und setzt lieber auf oft völlig wirkungslose freiwillige Anreize. Die Hauptsache, der Geldmittelabfluss ist sichergestellt und alle sind beschäftigt mit dem aufwändigen Administration der immer zahlreicheren Anreizprogramme.
Wirtschaft und Gesellschaft befinden sich in Bezug auf Klima und Umwelt in einem eindrücklichen Wandel. Auch die Landwirtschaft und Ernährung sollen gemäss offiziellen Zielen ihren Teil beitragen und ihre Treibhausgasemissionen bis 2050 um zwei Drittel reduzieren. Die Agrarpolitik läuft allerdings diesen Zielen diametral entgegen.
Auch mit seiner neuen Agrarpolitik 2022+ will der Bundesrat die klimaschädigende, überintensive Milch- und Fleischproduktion weiterhin mit Milliarden subventionieren. Dazu toleriert er rechtswidrige Zustände und verschaukelt die Bevölkerung mit Etappenzielen, die sich seit 20 Jahren als leere Versprechen erweisen. Die vorliegende Analyse von Vision Landwirtschaft zeigt den Umgang mit den Umweltdefiziten der Schweizer Landwirtschaft beim Stickstoff detailliert auf.
Der Bundesrat hat heute seine neuste Botschaft zur Reform der Agrarpolitik präsentiert. Die bisherigen mutlosen Vorschläge wurden deutlich nachgebessert. Doch erneut fehlt die Aussicht auf eine Agrarpolitik, die wenigstens die Einhaltung des Umweltrechtes sicherstellt. Bei den Stickstoffemissionen krebst der Bundesrat sogar hinter frühere Zielsetzungen zurück und will mit neuen Programmen die Tierhaltung gar wieder vermehrt fördern. Neben Vision Landwirtschaft wollen jetzt immer mehr Organisationen den Bund bis 2035 wenigstens zur Einhaltung der Umweltziele verpflichten. Dazu braucht es noch grundlegende Nachbesserungen – darunter nicht zuletzt das Weglassen von Zahlungen und Programmen, die mehr schaden als nützen. Weniger ist oft mehr.
(VL) Seit mehr als zwei Jahren wird im Bundesamt für Landwirtschaft intensiv daran gearbeitet und ein guter Teil der personellen Ressourcen in dieses Projekt gesteckt: Die „Agrarpolitik 2022+“. Denn die Erwartungen waren hoch. Schon vor vielen Jahren wurde die AP22+ als substanzieller Reformschritt angekündigt. Die Pestizid-, die Trinkwasser- und die Massentierhaltungs-Initiative, die Klimaziele, aber auch die fast wöchentlich auftauchenden Hiobsbotschaften über pestizidbelastetes Trinkwasser, Insektensterben, Biodiversitätsverlust und Klimawandel erzeugten starken zusätzlichen Druck.
Fehlende Transparenz
Tatsächlich erweckt die umfangreiche Botschaft den Anschein einer Reform. Einige Herausforderungen und Defizite werden minutiös aufgelistet (wie schon in vielen Botschaften und Agrarberichten zuvor), Ziele gesetzt sowie unzählige neue Massnahmen und Änderungen vorgeschlagen. Einige dürften tatsächlich wesentliche Verbesserungen bringen, andere wirken den gesetzten Zielen dagegen diametral entgegen, beispielsweise die vorgeschlagenen neuen Tierwohlprogrammen, welche die Tierhaltung gar wieder vermehrt fördern.
Umweltrecht systematisch verletzt
In den letzten 20 Jahren herrschte weitgehend Stillstand in der Agrarpolitik. Einzig eine gerechtere Verteilung der Mittel zwischen Tal- und Berggebiet und damit ein stark verlangsamtes Einwachsen von Landwirtschaftsflächen in Steillagen ist in dieser Zeit gelungen – ein Erfolg, zu dem Vision Landwirtschaft massgeblich beigetragen hat. Zudem wurde die Tierwohlprogramme weiter ausgebaut, wo die Schweiz heute eine Spitzenstellung einnimmt.
Was aber die anerkannten, auch im internationalen Vergleich gravierenden Umweltdefizite anbelangt, besonders beim Stickstoff, bei den Pestiziden oder bei der Biodiversität, konnten in den letzten 20 Jahren trotz Milliardenzahlungen keine Fortschritte verzeichnet werden. Teilweise verschlechterte sich die Situation gar weiter. Dieser Stillstand soll nun offenbar erstmals angegangen werden. Doch die konkreten Massnahmen bleiben noch weit hinter den rechtlich verbindlichen Umweltzielen zurück.
Die Lösung liegt nicht in einem Wust von neuen, sich teilweise widersprechenden Programmen. Die Landwirtschaft wird auch nach Umsetzung der administrativ aufwändigen Programme weiterhin chronisch Umweltrecht verletzen und dabei jährlich milliardenteure Schäden verursachen. Allein die Sanierung der Trinkwasserfassungen aufgrund von überhöhten Pestizidfrachten dürfte die Steuerzahler in den nächsten zwei Jahren Hunderte von Millionen Franken kosten.
Unmut erfasst weitere Kreise
Die fehlende konsequente Ausrichtung der Agrarpolitik auf eine nachhaltige Landwirtschaft wird letztlich vor allem auf dem Buckel der Landwirtschaft ausgetragen. Der bürokratische Aktivismus hält nicht nur die Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch Bund und Kantone mit einem sinnlosen Administrationsaufwand auf Trab. Noch belastender aber empfinden viele Bäuerinnen und Bauern, dass sie immer häufiger zur Zielscheibe der Empörung in der Bevölkerung werden. Die Misserfolge und Umweltschäden werden ihnen in die Schuhe geschoben. Dabei reagieren sie grösstenteils einfach auf die grotesken Fehlanreize des Bundes.
Grundlegende Forderungen breit abgestützt
Der Unmut darüber, dass die teure Agrarpolitik der Schweiz nicht einmal in der Lage ist, wenigstens rechtskonforme Zustände herbeizuführen, während andere Länder in der gleichen Zeit mit viel bescheideneren Mitteln grosse Fortschritte machten, hat in zahlreichen Organisationen stark zugenommen.
Mit weitergehenden Forderungen für einen Wandel der Agrarpolitik ist heute Vision Landwirtschaft zum Glück nicht mehr allein. Erstmals bekennen sich die breit aufgestellten Mitgliederorganisationen der Agrarallianz, einschliesslich sechs bäuerliche Organisationen, in einem neuen Positionspapier einhellig zu den Umweltzielen Landwirtschaft: Sie fordern von der Agrarpolitik konkret die Einhaltung des Umweltrechtes bis ins Jahr 2035 und einen darauf ausgerichteten verbindlichen Absenkpfad mit Zwischenzielen bei den Pestiziden und beim Stickstoff.
Automatismus bei Zielverfehlung
Ebenso neu ist die Forderung, dass bei Nichterreichung der Zwischenziele zwingend Lenkungsabgaben oder ähnlich wirksame Instrumente wie Verbote oder Pauschalzahlungskürzungen einzuführen sind. Mit diesem Automatismus soll verhindert werden, dass nicht erreichte Ziele einfach wie bisher vom Bundesrat endlos in die Zukunft verschoben oder auch mal ganz gestrichen werden können. Dass dies in den letzten 20 Jahren tatsächlich der Fall war und die Bevölkerung immer wieder regelrecht verschaukelt wurde, zeigt Vision Landwirtschaft in einer neuen Analyse am Beispiel Stickstoff.
Wind hat gedreht
Beim Bundesrat bzw. beim Bundesamt für Landwirtschaft scheint der stark gewachsene Unmut der Bevölkerung über die Fehlleistungen der Agrarpolitik noch zu wenig angekommen zu sein. Auf die Trinkwasser-, Pestizid- und Massentierhaltungsinitiativen hat der Bundesrat mit seiner Botschaft jedenfalls noch keine Antwort gefunden. Vision Landwirtschaft wird auch in der kommenden parlamentarischen Diskussion alles unternehmen, damit die AP22+ wie einst in Aussicht gestellt konsequent für Lösungen statt für sinnlosen administrativen Aufwand genutzt wird.
Und Lösungen liegen nämlich längst weitgehend auf dem Tisch. Das zeigen auch Tausende von Bäuerinnen und Bauern, die bereits heute nachhaltig wirtschaften. In der Klimapolitik hat der Wind bereits gedreht. Der agrarpolitische Gegenwind durch Fehlanreize, der nachhaltig wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieben das Leben heute noch schwer macht, muss sich nun ebenfalls 180 Grad wenden und diejenigen konsequent unterstützen, welche ihre Landwirtschaft zukunftstauglich gestalten.
Niemand hat bisher die Kosten der Schweizer Landwirtschaft so genau analysiert wie Avenir Suisse vor zwei Jahren. Nun publizierte die Denkfabrik eine akualisierte Auflage.
Die Kosten haben nochmals um 4% zugelegt. Für 2018 betragen sie 20,7 Milliarden Franken - oder 400'000 Franken pro Landwirtschaftsbetrieb. 8.5 Milliarden davon berappen Steuerzahler und KonsumentInnen direkt. Fast ebenso hoch schlagen die landwirtschaftlichen Umweltschäden zu Buche, wobei dieser Wert mit grösseren Unsicherheiten behaftet ist und eher konservativ berechnet sei.
Die staatlichen Zahlungen landen nachweislich vor allem bei der weitverzeigten Agroindustrie. In kaum einem anderen Land verdient die sog. vorgelagerte Branche an der Landwirtschaft auch nur annähernd so viel wie in der Schweiz. Dafür liefert sie gerne überbodende Mengen an Futtermitteln, Pestiziden, Maschinen, neuen Gebäuden etc. etc. Diese Vorleistungen wiederum sind hauptverantwortlich für die meisten Umwelt- und Landschaftsschäden der Schweizer Landwirtschaft.
Ausser der Industrie kennt das extrem teure Agrarsystem der Schweiz fast nur Verlierer - neben der Umwelt nicht zuletzt die Bäuerinnen und Bauern, die in eine vollständige finanzielle Abhängigkeit vom Staat geraten sind und sich dank vergünstigten Kreditmöglichkeiten weltweit am höchsten verschuldet haben.
Ein Ausweg aus dem Schlamassel ist bisher nicht absehbar. Wo immer es geht versucht die Agroindustrie zusammen mit dem eng verbandelten Bauernverband, Reformen zu verhindern.
19 Organisationen aus dem Landwirtschafts- und Ernährungssektor, darunter auch Vision Landwirtschaft, fordern im Rahmen der Agrarpolitik 2022+ einen Abbau der Tierbestände und eine Reduktion der immensen Futtermittelimporte in der Schweiz auf ein umweltverträgliches Mass.
Empfindliche Ökosysteme wie Moore und Wälder werden heute mit Ammoniakfrachten aus der Tierhaltung belastet, die gegenüber einem gesetzeskonformen Zustand bis zu 19-fach überhöht sind, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.
Für Vision Landwirtschaft steht allerdings nicht der Tierabbau im Vordergrund, sondern die Einhaltung des Umweltrechtes und der internationalen Vereinbarungen. Dazu müssen die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft halbiert werden. Vision Landwirtschaft fordert, dass dieses Ziel bis 2035 zu erreichen ist. Gemäss Modellrechnungen kann etwa die Hälfte der nötigen Reduktion mit technischen Massnahmen erreicht werden. Die andere Hälfte dürfte nicht ohne einen Abbau der Tierbestände und entsprechend der überbordenden Futtermittelimporte zu realisieren sein.
Seit 20 Jahren hat die Schweizer Agrarpolitik trotz immer wieder verschobener Versprechen und klar vorgegebener gesetzlicher Grenzwerte keine Fortschritte mehr gemacht bei den Ammoniakemissionen. Heute ist die Schweiz im europäischen Vergleich ein Schlusslicht, sowohl was die Höhe der Emissionen als auch was die erreichten Reduktionen anbelangt.
Das Beispiel des giftigen Keimhemmers Chlorpropham zeigt exemplarisch, wie viele landwirtschaftlichen Branchenorganisationen die Probleme im Umgang Pestiziden seit Jahren verschlafen haben. Heute müssen sie ihre ganze Energie ins Reagieren auf die überall hochgehenden Zeitbomben investieren, fürs Vorausdenken fehlen die Kapazitäten.
Chlorpropham ist ein Gift, das direkt in die Kartoffellager appliziert wird, um die Keimung der Knollen zu verzögern. Dass diese Praxis für die Konsumentengesundheit höchst fragwürdig ist, wusste die Branche schon lange.
Die EU hat deshalb letzten Sommer die Reissleine gezogen und das Pestizid verboten. Nicht so die Schweiz. Hier handelt das Bundesamt für Landwirtschaft üblicherweise erst, wenn der Druck zu gross wird. Die meisten Produzentenorganisationen unterstützen diese Praxis, wollen sie doch möglichst keine Einschränkungen bei den Pestiziden hinnehmen.
Beleidgt reagieren statt agieren
Nun hat SRF das Chlorpropham-Problem in einem promienten Rundschau-Beitrag in die Öffentlichkeit gebracht. Prompt reagierte die Branche - auf die immer gleiche weise: beleidigt. Sie sieht sich als Opfer der Medien, und fordert (von wem?) Alternativen, wenn der Stoff verboten werde.
Die Bauernzeitung schreibt: "Sorge bereitet der Branche der jüngste SRF-Rundschau-Beitrag von vergangener Woche über den Keimhemmer Chlorpropham" (richtig: nicht Chlorpropham, sondern SRF bereitet Sorge). Bei der Delegiertenversammlung der Branchenorganisation äusserte sich Swisspatat-Präsident Urs Reinhard wie folgt dazu: "Ich habe den Eindruck, man unterstellt uns Bösartigkeit, Untätigkeit, Unwissenheit und Dummheit. Dabei wollen die Produzenten das gleiche wie die Konsumenten: qualitativ hochwertige, einwandfreie und gesunde Lebensmittel."
Swisspatat unterstütze das Chlorpropham-Verbot, «wir sind aber darauf angewiesen, funktionierende Alternativprodukte zur Verfügung zu haben», so Christine Heller, Geschäftsführerin von Swisspatat, im Interview mit dem SRF.
So reagieren üblicherweise Kinder, denen man das Handy oder die Schokolade wegnimmt. Dann schreien sie beleidigt und betteln nach Alternativen. Für dieses Verhalten zahlen die Produzenten der Branchenorganisation aber keine Mitgliederbeiträge. Vielmehr dürften sie erwarten, dass ihre Organisation vorausschauend agiert und so verhindert, dass am Laufmeter Zeitbomben hochgehen. Doch dafür fehlt den meisten Branchenführern offenbar die Kraft. Das Löschen der überall auftauchenden Brandherde bindet alle ihre Energie. Zu lange haben sie den verantwortungslosen Umgang mit Pestiziden verschlafen.
Während der Verlust an Kulturland durch Siedlung und Verkehrsinfrastruktur ausserhalb der Bauzone abnimmt und die Bevölkerung in dieser Zone laufend zurückgeht, wächst der Verlust an Landwirtschaftsland durch landwirtschaftliche Bauten weiter an. In den 1980er Jahren gingen in der Schweiz pro Jahr noch rund 40 Hektaren Kulturland durch die Landwirtschaft selber verloren. Heute sind es jährlich bereits fast 50 Hektaren. Dies, obwohl es immer weniger Höfe gibt. Gemäss dem Bundesamt für Raumentwicklung belegen diese Zahlen einen dringenden Handlungsbedarf. Der Bauernverband wehrt sich jedoch gegen ein griffigeres Raumplanungsgesetz, während er sich bei anderer Gelegenheit die Ernährungssicherheit gerne auf die Fahne schreibt.
Die Zukunft des Schweizer Zuckers steht zur Debatte. Denn der Anbau von Zuckerrüben droht trotz einer sehr hohen staatlichen Stützung seine wirtschaftliche Attraktivität zu verlieren. Grund: die fallenden Zuckerpreise auf dem Weltmarkt. Wie es mit der inländischen Zuckerproduktion weitergehen soll, wird im Rahmen der Agrarpolitik 22+ entschieden. Bisher drehte sich die Diskussion vor allem um die Wirtschaftlichkeit. Dank einer aufwändigen Imagekampagne der Zuckerindustrie sind die gravierenden ökologischen Probleme bislang untergegangen.
(VL) Dass in der Schweiz heute noch Zucker angebaut wird, ist politisch gewollt. Und kostet den Steuerzahler viel – rund 70 Millionen Franken pro Jahr. Pro Hektare sind das gegen 4000 Franken – mehr als die meisten anderen Kulturen.
Weil die Zuckerpreise auf dem internationalen Markt laufend sinken, kommt der Zuckeranbau in der Schweiz stärker unter Druck. Um dem entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren die Anbaubeiträge noch weiter erhöht und ein Zollschutzregime eingeführt. Beide Massnahmen sind umstritten, weshalb sie der Bund bis 2021 befristet hat.
Im Rahmen der Agrarpolitik 2022+ muss also ein Entscheid gefällt werden, ob und wie wir in Zukunft noch Zucker produzieren wollen in unserem Land. Neue, von der Zuckerindustrie in Auftrag gegebene Studien zeigen, dass die Wirtschaftlichkeit wesentlich erhöht werden kann durch Optimierungen in der Produktionskette. Damit könnte Schweizer Zucker auch ohne weitere Erhöhung der staatlichen Stützung eine Zukunft haben. Doch bei dieser Betrachtungsweise fehlt ein wichtiger Aspekt.
Grosse Nachhaltigkeitsdefizite
Fast ganz ausgeklammert aus der Diskussion wurden bisher ökologische Aspekte. Dies dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass die Zuckerindustrie mehrere Untersuchungen in Auftrag gegeben hat, die dem Schweizer Zuckeranbau ökologisch ein gutes Zeugnis ausstellten. So entstand der Eindruck, dass in diesem Bereich alles im Reinen ist. Die Resultate der Studien wurden von Umweltorganisationen allerdings grundlegend in Frage gestellt und die Aussagen als tendenziös kritisiert.
Tatsache ist, dass beim Zuckerrübenanbau im Vergleich mit anderen Ackerkulturen in der Schweiz besonders viele Pestizide eingesetzt werden. Darunter sind einige der giftigsten Wirkstoffe überhaupt, von denen wiederholt gefordert wurde, dass sie endlich verboten werden. Zum Beispiel das Insektizid Chlorpyriphos, das in extrem kleinen Mengen sowohl für den Menschen wie für Tiere hochtoxisch ist und reproduktions- und nervenschädigend wirkt (vgl. Kästchen 1).
Da der Boden in Zuckerrübenfeldern lange unbewachsen ist, gehören Zuckerrüben zu den erosionsgefährdeten Kulturen. Dadurch werden die eingesetzten Pestizide bei Regen besonders leicht in die Oberflächengewässer abgeschwemmt. Neue Messungen zeigen, dass beispielsweise Chlorpyriphos in den meisten untersuchten Gewässern in Konzentrationen vorkommt, die Kleinlebewesen akut schädigen.
Zum hohen Pestizideinsatz bei konventionell angebauten Zuckerrüben kommt das Problem von Bodenverdichtungen. Die Rübenernte erfolgt meist erst im Spätherbst. Der Boden ist dann, infolge der oft nassen Bedingungen, besonders anfällig auf mechanische Belastungen. Trotzdem kommen in keiner anderen Kultur so schwere Erntemaschinen zum Einsatz wie in den Zuckerrüben. Oftmals hinterlassen sie ein Bild des Schreckens: Irreversible Bodenverdichtungen, welche noch für Jahre das Wachstum der Folgekulturen beeinträchtigen.
Alternativen zum umweltschädlichen Zuckerrübenanbau
Was, wenn wir in der Schweiz keinen Zucker mehr produzieren würden? Ein Import von Rübenzucker aus dem Ausland wäre zwar auch kaum ökologischer, aber um mehr als die Hälfte günstiger als inländischer Rohstoff.
Ökologisch besser sind nur zwei Lösungen: Ein Ersatz mit Fairtrade-Rohrzucker wäre doppelt attraktiv, da dieser mit viel weniger Dünger- und Pestizideinsatz produziert wird und zudem erst noch viel günstiger ist. Eine andere Lösung wäre die Beschränkung der Subventionen auf einen einigermassen ökologischen Zuckeranbau in der Schweiz. Ein solcher ist durchaus möglich (s. Kästchen 2). Dabei könnte die Zuckerrübenfläche etwas zurückgefahren und die Verarbeitung auf eine Fabrik (statt bisher zwei) konzentriert werden. Und der Versorgungssicherheit würde damit noch immer bestens Genüge getan.
Es ist widersinnig, dass wir in der Schweiz die Umwelt mit den giftigsten und problematischsten Pestiziden überhaupt vergiften, nur um hochsubventionierten Schweizer Zucker auf den Markt bringen zu können. Beim konventionellen Zuckerrübenanbau trifft der Leitspruch der Trinkwasserinitiative "Wir subventionieren unsere eigene Trinkwasserverschmutzung" besonders deutlich zu.
Fazit
Die Diskussion, ob es Sinn macht, den Zuckerrübenanbau dermassen hoch zu subventionieren, kam in den letzten Jahren immer wieder auf. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass der Bund gleichzeitig Präventionskampagnen zum reduzierten Zuckerkonsum durchführt.
Wenn der Staat schon 70 Millionen Franken pro Jahr in eine inländische Zuckerproduktion investiert, dann muss der Rübenanbau zumindest einigermassen umweltverträglich sein. Alles andere widerspricht auch klar der Verfassung Art. 104. Ein Anbau von Zuckerrüben unter IP-Suisse- bzw. Biobedingungen wird bereits heute praktiziert und vom Bund mit verschiedenen Beiträgen unterstützt. Diese Anbauweisen lösen die meisten Umweltprobleme. Auf eine flächendeckend umweltverträgliche Produktion müssen wir mit Engagement hinarbeiten – oder sonst einen Schlussstrich unter die Schweizer Zuckerproduktion ziehen.
Kästchen 1: Enormer Pestizideinsatz im konventionellen Zuckerrübenanbau
Zuckerrüben gehören zu den produktivsten Ackerkulturen überhaupt, was die Kalorienproduktion pro Hektare anbelangt. Allerdings ist die Kultur anspruchsvoll. Junge Rübenpflanzen sind sehr konkurrenzschwach und daher anfällig auf Verunkrautung. Weil die Blätter der Rübe den Boden sehr lange nicht abdecken, und die jungen Pflanzen anfällig sind auf Herbizidwirkstoffe, werden die Beikräuter in sogenannten «Splits» drei bis sechs Mal mit Herbiziden bekämpft. Die Pestizide werden dabei direkt auf den nackten Boden gespritzt. Dadurch ist das Risiko einer Abschwemmung besonders gross. Neben dem Beikrautdruck stellen auch einige wenige Insektenarten, insbesondere die Erdschnakenlarve, eine Gefahr für die jungen Pflanzen dar. Nicht selten werden darum direkt nach der Saat Insektizide mit dem Wirkstoff Chlorpyriphos in Form von Granulatkörnern ausgebracht. Der Wirkstoff Chlorpyriphos ist nicht nur sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung, sondern auch für den Menschen, insbesondere für die Entwicklung des ungeborenen Kindes im Mutterleib. Während der Einsatz von chlorpyriphos-haltigen Insektiziden in Deutschland bereits seit zehn Jahren verboten ist, dürfen die Produkte in der Schweiz noch immer ausgebracht werden.
Neben den für Mensch und Tier gesundheitsgefährdenden Insektiziden werden im konventionellen Zuckerrübenanbau auch Unmengen an Fungiziden versprüht. So werden die Wurzelfäule, Blattkrankheiten wie Cercospora, Ramularia, echter Mehltau und Rost mit Pestiziden wie z.B. Amistar Xtra behandelt. Das Produkt enthält die Wirkstoffe Azoxystrobin und Cyproconazol, welche sehr schädigend auf Wasserorganismen wirken und ungeborenen Kindern lebenslängliche Schäden zuführen können. Im Bioanbau werden dagegen in Zuckerrüben keinerlei Pestizide eingesetzt. Allerdings sind dadurch die Erträge geringer.
Kästchen 2: Herausforderungen und Lösungen des nachhaltigen Zuckerrübenanbaus
Im Zuckerrübenanbau von den Pestiziden wegzukommen, ist eine Herausforderung. Der Weg zum Erfolg beginnt bereits vor der Saat. So spielen der geeignete Standort, die Bodenbeschaffenheit, eine geeignete Fruchtfolge sowie die Wahl der Sorte eine grosse Rolle für eine gesunde Entwicklung und hohe Widerstandskraft der Rüben. Heute sind bereits sehr robuste Sorten auf dem Markt, welche wenig anfällig sind auf Cercospora-Blattflecken und auch eine gute Toleranz auf Wurzelbärtigkeit aufweisen.
Damit im nachhaltigen Zuckerrübenanbau auf Pestizideinsätze verzichtet werden kann, müssen diverse weitere Massnahmen ergriffen werden. Bei einem Herbizidverzicht ist ein sauberes Saatbeet unabdingbar. Später können die Rüben «blindgestriegelt» und gehackt werden. Bis heute fehlt es jedoch an einer zuverlässigen Technik, mit der auch maschinell in den Reihen gehackt werden kann. So nimmt das Jäten von Hand noch immer viel Zeit in Anspruch (bis zu 200h pro ha). Mit einer entsprechend angepassten Fruchtfolge, z.B. keine Zuckerrüben nach Wiesenumbruch, können die Erdschnakenlarven in Schach gehalten werden. Dadurch kann auf den Einsatz von Insektiziden ganz verzichtet werden. Ein weiteres, von vielen Rübenpflanzern gefürchtetes Problem, ist der flächenübergreifende Befall durch Cercospora-Blattflecken. Dieses kann durch eine frühe Ernte verhindert werden. Dadurch wird zwar der Ertrag etwas gemindert, dafür wird dabei auch der Boden geschont, weil dieser im frühen Herbst meist besser befahrbar ist, als bei späten Ernteterminen.
Die landwirtschaftliche Produktion von nachhaltigen Zuckerrüben ist möglich und erprobt. Dazu ist jedoch ein Umdenken des Anbaus wie auch der Subventionspraxis nötig.
Biolebensmittel sind im Laden wesentlich teurer als konventionell hergestellte Produkte. Das schreckt die meisten KonsumentInnen ab, mehr Bio zu kaufen. Gegenwärtig liegt der Marktanteil von Biolebensmitteln in der Schweiz bei knapp 10%. Bleiben die Preisdifferenzen so hoch, wird Bio nie aus der Nische herauskommen. Wie Vision Landwirtschaft in der NZZ aufzeigt, müsste das nicht so sein.
Gegenwärtig verdienen alle an Bio kräftig mit, am meisten die Grossverteiler, deren Margen im Biobereich deutlich höher liegen. Dies treibt die Preisdifferenzen zwischen bio und konventionell in die Höhe. Und führt zu einem Biomarkt, der zur ewigen Nische verdammt ist.
Tatsächlich muss eine nachhaltige Landwirtschaft nicht teurer sein für die Konsumenten, vor allem wenn die Bauern für ihre ökologischen Produktionsweisen mit Direktzahlungen unterstützt werden.
Eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft der Zukunft wird kein Bioland sein. Eine naturgemässe Landwirtschaft braucht kein teures Label, sondern muss zur Selbstverständlichkeit werden. Dort, wo sie mehr kostet als eine umweltschädliche Turboproduktion, gleichen Direktzahlungen die Differenz aus. So will es die Verfassung. Nur wird heute noch weit über die Hälfte der Direktzahlungen missbraucht, um genau das Gegenteil zu fördern: nämlich eine Turboproduktion, die damit für den Konsumenten viel zu günstig wird im Verhältnis zu nachhaltig produzierten Lebensmitteln.
Von hochgiftigen Insektiziden sind bereits wenige Billiardstelgramm in einem Liter Wasser für Kleinlebewesen in Bächen und Flüssen tödlich. Bisher konnte man solche winzigen Mengen gar nicht messen. Nun haben ETH-Wissenschaftler neue Messmethoden entwickelt und damit Bäche in der Schweiz untersucht. Das überraschende Resultat: Fünf von sechs Bächen enthielten insgesamt neun dieser hochgiftigen Insektizide und dabei in Konzentrationen, die über den für Kleinlebewesen tödlichen Werten lagen.
Ein heute veröffentlichter Artikel in der Sonntagszeitung bring die Forderung nach "tief greifende Konsequenzen für die Zulassungspraxis" auf's Tapet. Oder anders ausgedrückt: Auch in diesem Fall haben die Behörden das gesetzlich verankerte Vorsorgeprinzip in hohem Ausmass missachtet und fälschlicherweise hochtoxische Pflanzenschutzmittel zugelassen, die nun während Jahrzehnten unsere Bache vergiften konnten.
Wie oft müssen sich solche Geschichten noch wiederholen? Agroindustrie und Behörden sind weit davon entfernt, einen einigermassen sicheren Umgang mit Pestiziden sicherstellen zu können. Dies zeigen auch die fundierten Recherchen im Pestizid-Reduktionsplan Schweiz. Darin fordern Vision Landwirtschaft deshalb zusammen mit zwei Dutzend Organisationen, dass die Agrarpolitik nun endlich die Weichen in Richtung Ausstieg aus der Pestizidwirtschaft stellen muss.
Jährlich beziehen Landwirte staatliche Investitionshilfen in Millionenhöhe. Um solche Beiträge zu erhalten, müssen den kantonalen Ämtern Tragbarkeitsrechnungen vorgelegt werden. Diese Berechnungen beachten jedoch die ökonomische, wie auch die ökologische Tragbarkeit nicht. Aufgrund veralteter Berechnungsmodelle werden staatliche Beiträge an Betriebe ausgerichtet, die gar nicht rentieren.
Um die aktuellen staatlichen Finanzierungs-Fehlanreize zu unterbinden, fordert die GLP in einem Vorstoss im Parlament, welcher von Kathrin Bertschy eingereicht wurde, eine Verschärfung der Anforderungen für die Investitionshilfen.
Klimawandel, Food-Waste, Biodiversitätsverlust. - Debatten rund um die Nachhaltigkeit prägen das Jahr 2019. Mitten drin die Landwirtschaft. Die Bauern sind sowohl Mitverursacher, wie auch Betroffene der Klimakrise. Extreme Wetterverhältnisse und Artenschwund wirken sich direkt auf die landwirtschaftliche Produktion aus. Doch wie ein Beitrag der Rundschau zeigt, fehlen Themen rund um den Klimawandel und die Nachhaltigkeit im Lehrplan der Auszubildenden.
Dänemark gilt als agrarpolitisches Vorzeigeland. Nirgendwo sonst konnten beispielsweise die Stickstoffemissionen oder der Pestizideinsatz bei gleichbleibender Produktivität in den letzten Jahren so stark reduziert werden. Und kaum ein anderes Land verfolgt auch beim Klimaschutz in der Landwirtschaft so ehrgeizige Ziele. Vision Landwirtschaft wollte vor Ort erfahren, was es mit diesen Erfolgen auf sich hat.
(VL) Hochprofessionell, spezialisiert und in einem kaum geschützten Markt auf immer höhere Effizienz und Umweltschonung getrimmt: So lässt sich die politische Vision für Dänemarks Landwirtschaft zusammenfassen. Wie zielorientiert die Dänen diese Herausforderung angehen, erfahren wir schon am ersten Nachmittag der Recherchereise beim Besuch des riesigen Agrarforschungsinstitutes in Folum.
In aufwändigen Versuchen auf grossen Feldparzellen werden verschiedenste Ackerkulturen auf ihre Produktivität und ihre Umwelteffekte untersucht, besonders auf die Energieeffizienz und die Stickstoffverluste. Die weitaus höchste Produktivität, noch höher als Mais, bei gleichzeitig deutlich geringeren Stickstoffverlusten und einer höheren Energieeffizienz, erreicht eine mehrjährige Kunstwiese mit einem Bastardraygras-Schwingel-Bestand. Dieser wird pro Jahr lediglich 3x gemäht – kaum halb so oft wie eine Intensivwiese in der Schweiz.
Künstlicher Kuhmagen
Mit dieser arbeitsextensiven Nutzung können zwar viel Energie und Kosten gespart und gleichzeitig die Ertragsdepressionen, die in Wiesen nach jedem Schnitt eintreten, reduziert werden. „Das maximiert den ökonomischen wie den Biomasse-Ertrag“, erklärt der Versuchsleiter Sillebak Kristensen. Nachteil: Das Futter ist schwer verdaulich und damit nur beschränkt tauglich für die Hochleistungskühe, die im Durchschnitt pro Kuh und Jahr rund einen Viertel mehr Milch geben als in der Schweiz.
Um diesen Nachteil zu beheben, entwickelte die Forschungsanstalt in enger Kooperation mit Maschinenbaufirmen eine Art künstlichen Kuhmagen, bei dem das grün eingebrachte Mähgut quasi vorverdaut wird. Unter hohem Druck wird das Gras zerquetscht und aufgetrennt in eine flüssige und eine feste Fraktion. Aus der flüssigen Fraktion werden die Eiweisse extrudiert, die feste Fraktion wird zu energiereichen Futterwürfeln aufbereitet. Diese technischen Verfahren kosten zwar Geld und sind derzeit ökonomisch noch nicht ganz selbsttragend – beinhalten aber interessante Perspektiven. Das extrudierte Eiweiss kann nämlich nicht nur als hochwertiges einheimisches Futter für die Milchproduktion verwendet werden, sondern ist von der Zusammensetzung her auch für Nicht-Wiederkäuer geeignet. Das Verfahren könnte für die Schweiz besonders interessant sein, weil so aus Grünland ein Teil der laufend weiter ansteigenden Sojaimporte für Schweine und Hühner ersetzt werden könnte.
Hohe Umweltanforderungen fördern Innovation
Dieser rationale, technisch orientierte Optimierungsansatz ist charakteristisch für die Vorgehensweise in der Land- und Ernährungswirtschaft Dänemarks. Ebenso typisch ist die enge, teilweise institutionalisierte Kooperation zwischen staatlicher Forschung, halbprivater Beratung und privaten Firmen der Agroindustrie. Viele Innovationen gehen aus solchen Kooperationen hervor. Neben der Forschungsanstalt in Folum wurde vor 30 Jahren ein riesiger Agro-Innovationspark auf die grüne Wiese ausserhalb von Aarhus gebaut, wo Beratung und private Firmen aus dem Agro- und Foodbereich unter einem Dach intensiv zusammenarbeiten.
Stark präsent ist dort beispielsweise der dänische Landmaschinenbauer Samson, der sich auf effiziente Hofdüngerausbringung spezialisiert hat. Aufgrund der äusserst strengen Vorschriften in Bezug auf die Stickstoffverluste sind die Landwirte auf Techniken angewiesen, welche die Erreichung dieser Ziele erst ermöglichen. Eine der Spezialitäten von Samson sind Güllefässer, mit denen Hofdünger fast ohne Verluste in den Boden eingearbeitet werden kann. Die Firma baut ihre Maschinen in einem modernen, neu erstellten Fabrikgebäude bei Viborg. Die auf Hochglanz polierten Grossraumbüros erinnern weit mehr an Banken oder Pharmafirmen als an einen landwirtschaftlichen Maschinenbauer. Samson floriert und expandiert. Wegen der hohen Anforderungen in Dänemark ist die Firma weltweit führend im Bereich der effizienten Hofdüngerausbringung und wartet derzeit nur darauf, bis weitere Länder in der EU mit ihren Vorschriften nachziehen und die Nachfrage nach Samsons Produkten weiter ansteigt.
Samson zeigt damit exemplarisch, wie strenge Umweltvorschriften Innovationen antreiben und damit den Firmen helfen, sich mit effizienter Technik weltweit einen Spitzenplatz und Exportmöglichkeiten zu erarbeiten. Demgegenüber sind die ehemals florierenden Landmaschinenbauer der Schweiz wie Rapid oder Bucher heute nur noch ein Schatten ihres einstigen Glanzes. Die Zeiten, als Schweizer Firmen bei der Mechanisierung der Berglandwirtschaft eine ähnlich starke Führungsrolle innehatten, sind längst Geschichte.
Politischer Ansatz bei den Pestiziden
Einen anderen Ansatz verfolgt Dänemark bei den Pestiziden. Da technische Innovationen beim Versprühen bereits weitgehend ausgereizt sind, setzt das Land in diesem Bereich auf ein politisches Instrument: Lenkungsabgaben. Damit werden die Kosten von Pestiziden so stark verteuert, dass die Giftstoffe heute viel zurückhaltender eingesetzt werden. In Dänemark wird heute kaum mehr vorbeugend oder nach fixen Spritzplänen gespritzt, sondern nur noch, wenn es für die Sicherstellung des Ertrages unumgänglich ist. Da giftigere Mittel höher besteuert werden als weniger giftige, konnte zudem eine markante Reduktion der Toxizität erreicht werden, was die Umweltbelastung zusätzlich reduziert hat. Mit dieser einen, relativ einfachen Massnahme der Einführung einer Lenkungsabgabe konnte der Pestizideinsatz in wenigen Jahren um 40% verringert werden.
Davon kann die Schweiz nur träumen: Im bereits vor drei Jahren erstellten Aktionsplan Pflanzenschutzmittel des Bundes sind zwar beeindruckende 50 Massnahmen vorgesehen. Mit diesen soll der Pestizideinsatz aber gerade mal um 12% reduziert werden. Der Ansatz der Dänen wurde in einer vom Bund in Auftrag gegebenen Studie der ETH Zürich genau untersucht und als sehr wirksam beschrieben. Hartnäckige Widerstände des Bauernverbandes haben aber bisher verhindert, dass eine Einführung von Lenkungsabgaben in der Schweiz im Aktionsplan auch nur geprüft wurde. Lieber setzt das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) auf unzählige, kaum wirksame Kleinmassnahmen und schiebt so das Problem mit viel administrativem Aufwand weiter vor sich her.
Landwirtschaft und Trinkwasser
Pestizide und Nitratauswaschung sind in der dänischen Landwirtschaft auch deshalb ein zentrales Thema, weil über 70% der Landfläche intensiv landwirtschaftlich genutzt werden und gleichzeitig praktisch alles Trinkwasser aus landwirtschaftlich genutzten Böden stammt. Für die Dänen ist eine nachhaltige, das Grundwasser schonende Landnutzung deshalb existenziell. Im Gegensatz zur Schweiz, wo verschmutztes Trinkwasser so lange durch andere Quellen aus weniger intensiv landwirtschaftlich genutzten Regionen verdünnt werden kann, hat Dänemark diese Ausweichmöglichkeit nicht. Diese besondere Voraussetzung des Landes ist ein zentraler Treiber für die konsequent umweltorientierte dänische Agrarpolitik.
Agrarpolitik als Bürgerpolitik
Ein weiterer grundlegender Unterschied zur Schweizer Agrarpolitik wird in Dänemark rasch deutlich. Trotz der intensiven Produktion und dem gegenüber der Schweiz viel höheren Anteil an landwirtschaftlicher Nutzfläche hat die Agrarlobby im Parlament nur einen geringen Einfluss. Der Bezug zur Landwirtschaft ist bei den Bürgern, die zu fast 90% in städtischen Gebieten leben, deutlich kleiner als in der Schweiz. Die Landwirtschaft gilt als Branche wie jede andere auch. Landwirtschaftspolitik ist in Dänemark Sachpolitik und kaum von Mythen und dem in anderen Ländern Europas bis heute dominierenden agrarindustriellen Filz bestimmt. Entsprechend wird der Agrarmarkt praktisch nicht geschützt, und die Flächenbeiträge betragen weniger als 10% derjenigen der Schweiz. Und auch beim Vollzug bestehen keine Berührungsängste mit einem zielorientierten Vorgehen, welches - im Gegensatz zur Schweiz mit ihren ausgeprägten Vollzugsdefiziten - auf einem ausgeklügelten, gut funktionierenden Kontroll- und Sanktionssystem beruht.
Hoher Strukturwandel
Wie jeder Erfolg hat die dänische, bürgernahe Agrarpolitik und die rasante Entwicklung der dänischen Landwirtschaft hin zu einer umweltfreundlicheren, effizienteren Produktion auch ihre Schattenseiten. Der Strukturwandel bei den dänischen Bauernhöfen ist ein Vielfaches höher als in der Schweiz. Im praktisch ungeschützten Markt können oft nur hochprofessionell geführte Betriebe mit Flächengrössen von meist mehreren Hundert Hektaren überleben. Diese verdienen zwar auch heute noch Geld, aber eine Nebenerwerbslandwirtschaft existiert fast nicht mehr, und die vielfältigen Hofstrukturen, wie wir sie in der Schweiz kennen, sind weitgehend verschwunden.
Biodiversität: Segregation statt Integration
Auch im Bereich Biodiversität kann Dänemark gegenüber der Schweizer nicht nur punkten. Neben den noch immer verbreiteten Hecken als Landschaftselemente sind kaum weitere Strukturen und artenreichere Flächen auf Landwirtschaftsland aufzufinden. Denn entsprechende Anreizprogramme fehlen weitgehend. Die Biodiversitätspolitik konzentriert sich auf die – allerdings grosszügig bemessenen – Schutzgebiete. Diese sind von der produzierenden Landwirtschaft weitgehend abgekoppelt, und die Massnahmen sind dort kompromisslos biodiversitätsbezogen. So werden Ammoniakemissionen, welche Schutzgebiete schädigen können, bei den umliegenden Höfen mittels Emissionslimiten und strengen Abstandsregeln individuell festgelegt. In der Schweiz dagegen werden beim Ammoniak die Critical Loads fast flächendeckend um ein Vielfaches überschritten. Dies hat irreversible Schäden für die Biodiversität auch in ansonsten geschützten Naturschutzgebieten zur Folge. Trotz teuren, auf Freiwilligkeit basierenden Anreizprogrammen hat sich bei uns die gegen das Umweltgesetz und internationale Vereinbarungen verstossende Situation in den letzten 20 Jahren nicht verbessert.
Austausch geplant
Die Schweizer Agrarpolitik muss das Rad nicht neu erfinden, um die vielen, seit Jahrzehnten vor sich hergeschobenen Umweltprobleme endlich zu lösen. Sie kann von Dänemark einiges lernen. Einen entsprechenden Austausch will Vision Landwirtschaft nun anschieben. In Arbeitsgruppen soll zusammen mit dänischen Spezialisten unter Einbezug interessierter Amtsstellen abgeklärt werden, wie die erfolgreichen dänischen Programme auf unser Land übertragen werden können. Dass ein solcher Austausch bisher kaum stattgefunden hat, erstaunt. „Wir haben regen Besuch aus vielen Ländern Europas und Asien. An Schweizer erinnere ich mich dagegen nicht...“ meinte Beratungsleiter Martin Hansen grinsend.
Konsequenter Vollzug ohne Schlupflöcher: Eine von der Kontrollbehörde direkt ansteuerbare Kamera im Tank (vor dem modernen Offenlaufstall, s. Pfeil) dokumentiert, ob die zur Ammoniakreduktion vorgeschriebene Schwefelsäure auch tatsächlich zur Anwendung kommt. Foto: Peter Maly
Kästchen 1: Die dänische Landwirtschaft auf einen Blick
2,7 Mio Hektaren, das sind 60% der Landfläche Dänemarks, werden landwirtschaftlich genutzt. Damit weist Dänemark fast drei Mal so viel Landwirtschaftliche Nutzfläche (also ohne Alpflächen) auf wie die Schweiz, aber etwas weniger Landwirtschaftsbetriebe. Entsprechend ist der durchschnittliche Hof über drei Mal so gross wie in der Schweiz.
90% des Landwirtschaftslandes werden ackerbaulich genutzt, nur 200'000 ha sind Wies- und Weideland. Die Böden sind überwiegend sandig, die Niederschläge sind geringer und die Vegetationsperiode kürzer als in der Schweiz.
Die landwirtschaftliche Produktion ist überwiegend stark spezialisiert und auf Bereiche mit hoher Wertschöpfung und den Export ausgerichtet. Dänemark ist der weltweit grösste Grassamenproduzent und einer der grössten Nerzfellproduzenten. Die wirtschaftlich wichtigsten Standbeine sind die Milch- und Schweineproduktion. Das Agrarbudget, das in den kommenden Jahren zurückgefahren werden soll, beträgt gegenwärtig rund 1 Milliarde Franken pro Jahr, verglichen mit 3,6 Milliarden in der Schweiz.
Kästchen 2: Wie die Dänen die landwirtschaftlichen Stickstoffemissionen in den Griff bekamen
Aus zwei Gründen nahm Dänemark eine Vorreiterrolle bei der Reduktion der Stickstoffverluste in der Landwirtschaft ein. Zum einen übte die EU mit der Nitrat-Richtlinie zum Schutz der Gewässer Druck aus, zum anderen wurde die eigene Trinkwasserversorgung in den 1980er Jahren durch hohe Nitratwerte aus der intensiven Landwirtschaft zunehmend gefährdet. Dänemark führte deshalb zahlreiche Programme zur Nitratreduktion durch.
So ist Gülleausbringung mit Prallteller seit den 1990er Jahren verboten. Seit 2011 ist bis auf Ausnahmen (angesäuerte Gülle und stehende Ackerkulturen) auch der Schleppschlauch nicht mehr zulässig, die Gülle muss mittels Injektionsverfahren in den Boden eingearbeitet werden. Abdeckung aller Güllelager sowie N- und P-optimiertes Tierfutter ist generell Pflicht. Über den Winter sind auf Ackerflächen Zwischenfrüchte obligatorisch. Wird die nötige Anzahl Pflanzen pro Quadratmeter nicht erreicht, gibt es Abzug beim maximal zur Ausbringung erlaubten Stickstoff. Entweder wird dieser auf 90% der wirtschaftlich optimalen Zahlen reduziert, oder die Drainagen müssen über Kleinteiche/Mini-Wetlands geführt werden (70% der Böden sind in Dänemark drainiert), wo Holzschnitzel und Pflanzen das P und auch einen Teil des N absorbieren.
Grosses Gewicht wurde auch auf die Reduktion der Ammoniakemissionen gelegt. Um die vorgegebenen Grenzwerte einzuhalten ist die Ansäuerung der Gülle mit Schwefelsäure eine verbreitete Lösung. Dadurch werden die Emissionen um über 50% reduziert, dafür können etwas mehr Tiere auf dem Betrieb gehalten werden. Die Massnahme ist kostenintensiv, staatliche Unterstützung dafür gibt es nicht.
In Regionen mit überhöhten Ammoniakemissionen wurden darüber hinaus die Tierzahlen auf betriebsindividueller Basis reduziert. Grund für die Massnahmen ist die Biodiversitäts-Direktive der EU. Sie verpflichtet die Länder, zum Schutz der Biodiversität die Critical Loads beim Ammoniak einzuhalten. Das Verpflichtungsziel ist in Dänemark jedoch noch nicht ganz erreicht. Statt bis 2020 soll das Ziel nun bis 2022 erreicht werden, ansonsten werden Strafzahlungen fällig.
Nicht zuletzt ist die Limitierung des Stickstoffeinsatzes auf Betriebsebene ein wichtiges Instrument der Dänen zur Vermeidung von Umweltschäden. Der maximal mögliche N-Einsatz wird berechnet nach "BAT level for the specific farm". Im Gegensatz zur Nährstoffbilanz, welche in der Schweiz diese Rolle einnehmen sollte, es infolge zahlreicher Schlupflöcher aber nicht tut, ist die dänische Lösung weitgehend wasserdicht. So wird in der Bilanzierung immer die Best Available Techniques (BAT) eingesetzt. Nur wer diese besten verfügbaren Techniken tatsächlich einsetzt, hat auf dem Betrieb genügend Nährstoffe zur Verfügung für seine Kulturen. Die Bauern haben also ein Eigeninteresse, die Emissionen zu reduzieren.
Abbildung 1: Stickstoff-Emissionen und -Deposition der Landwirtschaft Dänemarks und der EU. Zum Vergleich: In der Schweiz konnten die Emissionen bis 1997 konstant gesenkt werden, seither bleiben sie weit über den gesetzlichen Zielwerten konstant zu hoch.
Abbildung 2: Effizienz des Stickstoff-Einsatzes in der dänischen Landwirtschaft. Zum Vergleich: In der Schweiz hat sich die Stickstoff-Effizienz der Landwirtschaft zwischen 1990 und 2005 von 22% auf 30% gesteigert werden. Seither konnten keine Verbesserungen mehr erreicht werden.
Es ist ein Ritual, das in der Agrarpolitik zur Normalität geworden ist: Wenn es darum geht, nachhaltig wirtschaftende Betriebe , die grosse Leistungen zugunsten von Tierwohl und Umwelt erbingen, besser zu fördern, steht die Politik auf die Bremse. Warum das so ist, erklärt die bekannte Agrarjournalistin Susanne Aigner für Deutschland. Die milliardenschwere Agrarindustrie ist mit Bauernverbänden, Politik und Amtsstellen eng verbandelt. Sie haben kein Interesse an einer Landwirtschaft, die weniger Hilfsstoffe und weniger Maschinen einsetzt und damit umweltfreundlicher wirtschaftet.
In der Schweiz ist die Situation vergleichbar. So arbeitet der Schweizer Bauernverband bei der Bekämpfung der Pestizidinitiativen eng mit der Pestizidindustrie zusammen. Dass mit Markus Ritter ein Biobauer an vorderster Front für die Interessen von Syngenta& Co und für einen möglichst uneingeschränkten Pestizideinsatz kämpft, entbehrt nicht einer besonderen Ironie.
Der Bundesrat hat die Stellungnahmen zur AP22+ ausgewertet. Beteiligt haben sich rund 400 Institutionen, zusätzlich gingen über 3000 individuelle, kopierte Stellungnahmen ein - eine neue Erscheinung.
Im Auswertungsbericht zeigt der Bundesrat auch seine Absichten für das weitere Vorgehen auf. Im Bereich Markt und Pachtrecht hat den Bundesrat sein damaliger Mut wieder verlassen. Die meisten Neuerungen hin zu weniger Protektionismus wurden wieder gestrichen. Dafür wirkte der Druck der Trinkwasserinitiative. Wider Erwarten enthält das Paket einige substanzielle Verbesserungen im Umweltbereich. Doch sie sind derzeit noch so unkonkret und teilweise so wenig ambitioniert, dass sie sich als grosse Mogelpackung entpuppen könnten. Wie konkret die Umweltdefizite angegangen werden sollen, will der Bundesrat erst im Februar 2020 in einer ausführlichen Botschaft aufzeigen.
Tatsächlich enthält der heute publizierte Bericht des Bundesrates etliche Verbesserungen gegenüber den ursprünglichen Vorschlägen. Zum einen sind die meisten der besonders unausgegorenen, von Vision Landwirtschaft scharf kritisiert Neuerungen wieder vom Tisch, so das zweiteilige Biodiversitätsfördersystems und die Abschaffung der Direktzahlungs-Degression bei grossen Betrieben.
Neu im Programm sind auf der anderen Seite - gegen den Willen der SVP-Landwirtschaftsministers - einige Verbesserungen im Umweltbereich. Sie sind offensichtlich eine Reaktion auf den grossen politischen Druck der Trinkwasserinitiative. Als wesentlicher Fortschritt zu beurteilen ist insbesondere der verbindliche Absenkungspfad für Nitrat und Phosphor. Bei Nichterreichen der Ziele will der Bundesrat Massnahmen ergreifen: an sich eine Selbstverständlichkeit, für die Schweizer Agrarpolitik aber ein völliges Novum. Bisher wurden Etappenziele fast nie erreicht. Konsequenzen hatte dies nie. Die Ziele wurden entweder fallen gelassen, oder einfach in die nächste Botschaft übertragen.
Wie die angekündigten Massnahmen zur Sicherstellung der Zielerreichung aussehen werden, bleibt allerdings völlig offen. Damit ist ein grosses Schlupfloch eingebaut, mit dem die lobenswerte Absicht leicht zur Mogelpackung verkommen könnte. Ein weiterer wesentlicher Kritikpunkt am Absenkpfad ist seine komplette Ambitionslosigkeit. Mit den angestrebten Emissionsreduktionen würde ein gesetzeskonformer Zustand bei den Stickstoffemissionen bestenfalls im Jahre 2070 erreicht werden. Das ist völlig inakzeptabel. Die Umweltziele und damit das schlichte Einhalten des Umweltrechtes müssen bis spätestens 2035 erreicht werden. Alles andere wäre ein Hohn angesichts der Milliarden an Steuergeldern, welche der Bund für eine angeblich nachhaltige Landwirtschaft einsetzt. Hier muss der Bundesrat massiv nachbessern.
Im Weiteren wird im Bereich Umwelt neu auch der Klimaschutz integriert - eine Reaktion auf viele Forderungen in der Vernehmlassung, darunter auch von Vision Landwirtschaft. Zudem werden einige Verbesserungen bei den Pestiziden in Aussicht gestellt, allerdings ohne jegliche konkreten Angaben.
Für den Bauernverband, der nun etwas mehr statt wie von ihm gefordert weniger Ökologie schlucken muss, hat der Bundesrat offenbar in letzter Minute noch ein umstrittenes Zückerchen eingebaut. Er verspricht, eine Gesetzesgrundlage zu schaffen, damit sich der Bund an Prämien von Wetterereignisversicherungen finanziell beteiligen kann - eine Massnahme, welche ein weiteres Element von Fehlanreizen in die Agrarpolitik einführen und zusätzliche Steuergelder abziehen wird.
Fazit: Ob die AP22+ letztlich tatsächlich ein paar nennenswerte Schritte hin zu einer nachhaltigeren, die eigenen Ressourcen weniger schädigenden Landwirtschaft gehen wird, ist nicht ausgeschlossen, steht aber angesichts der aktuellen Dynamik der Ereignisse noch auf sehr wackligen Füssen. Doch selbst wenn die Versprechen eingehalten werden, ist die Agrarpolitik noch weit davon entfernt, die Umweltgesetzgebung zu respektieren. Grundlgender Nachbesserungsbedarf ist so oder so unumgänglich.
Nach jahrelangen Umweltversäumnissen in der Deutschen Landwirtschaft fordert die EU nun massive Verschärfungen in der Düngungspraxis, so unter anderem - eine flächendeckende, schlagbezogene, elektronische Erfassung der Nährstoffströme, - reduzierte Düngergaben für Hangflächen bereits ab 5% Neigung, und - verlängerte Sperrfristen für das Ausbringen von Dünger in belasteten Gebieten. Werden diese Forderungen nicht innerhalb kurzer Fristen erfüllt, drohen hohe Strafzahungen. Diese will die deutsche Politik unbedingt vermeiden. Politik und Verbände sind sich nun plötzlich über die notwendigen Verschärfungen einig.
Die Schweizer Landwirtschaft und Agrarpolitik bleiben vorläufig weit hinter den Forderungen der EU zurück. Druck macht hierzulande nicht Brüssel, sondern "das Volk". Mit einer Annahme der Trinkwasserinitiative müsste auch die Schweiz mit jahrzehntelangen Versäumnissen aufräumen und die gesetzeswidrig überhöhte Düngerbelastung von Gewässern, Böden und empfindlichen Ökosystemen deutlich senken.
Der Zuckerrübenanbau belastet Boden und Gewässer. Kaum eine andere Ackerkultur wird so oft mit Pestiziden behandelt wie die Zuckerrüben. Weiter gehören die Zuckerrüben, neben Kartoffeln und Gemüse, aufgrund ihrer geringen Bodenbedeckung zu den erosionsgefährdetsten Kulturen. Zu guter Letzt werden die Rüben erst spät im Herbst mit sehr schweren Maschinen (Rübenrodern) geerntet, was regelmässig zu starken Bodenverdichtungen führt.
Eine Schweizer Zuckerproduktion lässt sich mit dem Ziel der Versorgungssicherheit durchaus begründen. Der Bund fördert aber Anbauflächen und Produktionsmengen, die weit über dieses Ziel hinaus schiessen und unnötige, hohe Kosten verursachen - für die Steuerzahler, die zuckerverarbeitende Industrie und die Umwelt.
Was steckt alles in den Nahrungsmitteln, die wir täglich konsumieren? Können Bauern damit heute noch Geld verdienen? Was ist der Preis für den Einsatz von Pestiziden und ist Bio wirklich ganz unbedenklich?
Andreas Bosshard, Bauer und Agrarökologe gibt Antworten auf Fragen rund um die heutige intensive landwirtschaftliche Produktion und deren Wirtschaftlichkeit.
Die Direktzahlungen des Staates sind in der Schweiz seit einigen Jahren höher als das landwirtschaftliche Einkommen. Das bedeutet: Trotz der staatlich gestützten Preise verdienen Landwirtinnen und Landwirte in der Schweiz also kein Geld mehr mit der Nahrungsmittelproduktion. Zu hoch sind die Kosten für all die Vorleistungen einer zu intensiven Produktion. Aufgrund einer verfehlten Agrarpolitik sind die Bauern de facto zu Staatsangestellten geworden.
Wer heute an der Landwirtschaft Geld verdient ist die Agroindustrie, und dies immer üppiger. Sie verkauft sehr erfolgreich Pestizide, Dünger, Futtermittel, neue Traktoren und Melkroboter. Ihre Umsätze und Gewinne steigen Jahr für Jahr. "Berater" der Agrofirmen tauchen mit tollen Angeboten auf dem Betrieb auf, wenn der Landwirt vom Staat die Direktzahlungen auf sein Konto überwiesen bekommen hat und kurbeln damit eine Negativspirale an.
Beispiel Kraftfutter. Die von der Industrie gepushte Fütterung mit Kraftfutter ist nicht nur teurer als die Milchproduktion aus Weidegras, sondern auch noch viel umweltschädlicher. Der steigende Kraftfuttereinsatz der vergangenen Jahre führte in der Milchproduktion zu Überschüssen. Der Milchpreis ist deshalb rasch in den Keller gesackt. Die Industrie jedoch verdient doppelt: Sie verkauft Kraftfutter (und weitere Hilfsstoffe) und kommt so erst noch zu billigerer Milch.
Die Agrarpolitik muss einen Kurswechsel einschlagen, um von einer umweltzerstörenden, für die Bauernfamilien unrentablen, frustrierenden, umweltschädlichen Landwirtschaft hin zu einer ressourcenschonenden, wieder kostengünstigeren Nahrungsmittelproduktion zu gelangen, in welcher die Bäuerin und der Bauer ihr Geld mit der Produktion aus dem eigenen Boden verdient statt am Tropf der Direktzahlungen zu hängen.
Die Angriffe gegen die beiden Herren vom Bauernverband und der SVP waren heftig: Maya Graf, Biobäuerin und Nationalrätin, und Jean-Denis Perrochet, Winzer und Initiant der Pestizidinitiative, warfen Bauernverbandspräsident Markus Ritter und SVP-Nationalrat und Bauer Marcel Dettling emotional und mit starken Argumenten vor, jegliche Fortschritte auf dem Weg zu einer nachhaltigeren Agrarpolitik zu blockieren und den Kopf vor den unbestrittenen Umweltproblemen der Schweizer Landwirtschaft weiterhin stur in den Sand zu stecken.
Tiana Moser, Nationalrätin und Initiantin des Aktionsplans Pestizide, doppelte mit Fakten nach und sprach von einer Verweigerungshaltung des Bauernverbandes. Ritter und Dettling blieb nurmehr, sich mit Handen und Füssen zu verteidigen gegen Anfwürfe aus den eigenen Reihen. Fakten und Argumente blieben sie weitgehend schuldig. Fortschrittliche, ökologisch orientierte Bäuerinnen und Bauern gegen ewiggestrige Bewahrer eines nicht mehr zukunftsfähigen landwirtschaftlichen Produktiossystem, das die Umwelt und damit die eigene Produktionsbasis zerstört. 1:0 für die Trinkwasser- und die Pestizid-Initiative.
Der Nationalrat hat sich heute ohne Gegenvorschlag gegen die beiden Initiativen gestellt. Bauernverbandspräsident Markus Ritter konnte damit seinen Plan durchsetzen, dass vom Bund keinerlei weitere Massnahmen zur Lösung der Pestizidprobleme ergriffen werden. Ausschlaggebend war der Rückzieher der FDP.
"Die Schweiz hat ein Problem mit Pestiziden, das gibt sogar der Bauernpräsident zu. Zugeständnisse macht er trotzdem nicht – nur Versprechen für die Zukunft. Dass die Bauern diese einlösen werden, ist eine schöne Vorstellung. Leider auch eine naive." Das schreibt die NZZ heute in ihrem Kommentar.
In einem Interview mit der NZZ zeigt André Olschewski vom Verband der Gas- und Wasserversorger auf, wo die Probleme des heutigen Pestizideinsatzes liegen und warum es immer schwieriger wird, sauberes Trinkwasser zu gewinnen. >> Zum Interview mit André Olschewski
Im Jahre 2008 hat der Bund die Umweltgesetzgebung mittels Umweltzielen konkretisiert. Bis heute verfehlt die Schweizer Landwirtschaft diese Umweltziele in weitem Ausmass. Hauptursache ist eine verfehlte Agrarpolitik mit ihren unzähligen Fehlanreizen zu umweltschädlichem Verhalten. Die Trinkwasserinitiative (TWI) will nichts anderes, als das 20-jährige Versagen der Agrarpolitik durchbrechen: Die Agrarpolitik soll endlich die Umweltgesetze und die Verfassung respektieren, wie es eine Kolumne der NZZ auf den Punkt bringt.
Nitrat- und pestizidverschmutzte Gewässer, weit über die Grenzwerte hinaus ammoniakbelastete Atemluft, überdüngte naturnahe Ökosysteme, antibiotikaresistente Keime und ein starker Rückgang der Artenvielfalt - das sind nur ein paar wenige der Auswirkungen einer zu intensiven Schweizer Landwirtschaft. Sie verletzt damit in vielerlei Hinsicht das Umweltrecht wie auch internationale Vereinbarungen.
Um die Kehrtwende zu schaffen, ist es nötig, dass sich die Landwirtschaft weiterentwickelt hin zu nachhaltigen und standortangepassten Produktionsweisen, welche sich in die Prozesse der Natur einfügen, anstatt diese zu zerstören. Dazu braucht sie die kräftige Unterstützung der Agrarpolitik, die mit ihren milliardenschweren Fehlanreizen bisher der Umwelt mehr geschadet als genützt hat.
Die Trinkwasserinitiative zeigt Wege und Strategien aus der Sackgasse und will Bundesbern zwingen, endlich die Weichen hin zu einer umweltverträglichen und gesetzeskonformen Agrarpolitik zu stellen.
Die Trinkwasserinitiative (TWI) bringt Bewegung in eine seit Jahrzehnten weitgehend blockierte Agrarpolitik. Die Initianten fordern von Bundesbern, die nicht gehaltenen Versprechen einer nachhaltigen Landwirtschaft endlich einzulösen. Die Agroindustrie und ihr nahestehende Verbände laufen bereits Sturm gegen die Initiative und stellen ein Millionenbudget bereit, um ihre Milliardenumsätze mit Desinformation zu verteidigen. Ein neues Faktenblatt von Vision Landwirtschaft soll zur Versachlichung der Diskussionen beitragen.
Zur Strategie der Initiativgegner gehört, die Forderungen der Initiative falsch darzustellen und die TWI als «radikal» und «kontraproduktiv» zu verunglimpfen, obwohl sie nur gesetzeskonforme Zustände fordert und genug Spielraum für eine sinnvolle Umsetzung lässt.
Das Komitee der Trinkwasserinitiative hat deshalb Felix Schläpfer, habilitierter Wirtschaftsforscher und Vorstandsmitglied von Vision Landwirtschaft, beauftragt, die Hintergründe und Fakten zur TWI, zusammenzutragen. Er zeigt: Die Subventionen auch für besonders umweltschädigende Produktionsweisen, an der die Agrarverbände festhalten wollen, verstossen nicht nur gegen das Umweltrecht, sondern führen auch ökonomisch ins Abseits.
Die Studie von Felix Schläpfer zeigt: • Die Landwirtschaftspolitik verstösst seit fast 20 Jahren massiv und auf breiter Front gegen die Vorgaben des Umweltrechts. • Die Trinkwasserinitiative verlangt nichts anderes als wirksame Massnahmen zur Umsetzung des geltenden Rechts. • Die Trinkwasserinitiative ist, wie ein Rechtsgutachten zeigt, flexibel umsetzbar und in keiner Weise extrem wie behauptet wird. Ein weniger deutlich formulierter Initiativtext hätte kaum Auswirkungen auf die Agrarpolitik gehabt. • Die Initiative lässt sich so umsetzen, dass die Auswirkungen auf Landwirtschaft wie Umwelt positiv sind. Die landwirtschaftlichen Einkommen dürften sogar steigen, wie die Ergebnisse einer neuen Studie der Forschungsanstalt Agroscope nahelegen. • Die Initiative stärkt die Schweizer Landwirtschaft, denn ohne verbesserte ökologische Leistungen lassen sich die Preisdifferenzen zum Ausland langfristig nicht halten und rechtfertigen. Eine Landwirtschaft und Agrarpolitik, welche die Umwelt und damit ihre eigenen Produktionsbasis zerstört, hat auch abgesehen von ihrer Chance am Markt keine Zukunft.
Die offizielle Agrarpolitik verspricht seit 20 Jahren eine nachhaltige Landwirtschaft. Bis heute hat sie dieses Versprechen nicht eingelöst, im Gegenteil, ein Grossteil der Gelder schwächt eine nachhaltige Produktion. Eine aktuell publizierte Studie der Agroscope zeigt, dass ein Ja zur Trinkwasserinitiative (TWI) den Bund zwingen würde, endlich die Steuergelder konsequent für eine nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen.
Das Forschungsinstitut Agroscope untersuchte die möglichen Folgen der Trinkwasserinitiative für die Landwirtschaft mittels detaillierten Modellrechnungen. Dabei wurden verschiedene Szenarien definiert mit je unterschiedlicher Umsetzung des Initiativtextes. 15 der 18 Szenarien sind nicht realistisch und wurden mehrheitlich auf Druck des Bauernverbandes in die Studie aufgenommen. Sie legen den Initiativtext viel restriktiver aus als die Initianten selbst*. Eine solche Initiativtextauslegung ist damit in keiner Weise realistisch und würde die Landwirtschaft viel stärker einschränken als nötig.
Nur wenige Szenarien sind realistisch
Lediglich 3 Szenarien (Nr. 3 ,6 und 9) entsprechen einer realistischen Auslegung des Initiativtextes. (Das Szenario 9 ist zwar hinsichtlich der Auslegungen der Initiative realistisch, geht aber von eher unrealistisch hohen Preisen aus.) Dies zeigt Vision Landwirtschaft in ihrer im Agroscope-Bericht publizierten Einschätzung. Nach Annahme der Initiative würde gemäss dieser Szenarien der Grossteil der Landwirtschaftsfläche der Schweiz in Zukunft pestizidfrei bewirtschaftet. Die regelmässigen Überschreitungen von Pestizidgrenzwerten in Trinkwasserfassungen und in Oberflächengewässern, wie sie in der Schweiz im Ackerbaugebiet fast flächendeckend seit vielen Jahren unverändert auftreten, dürften damit endlich der Vergangenheit angehören.
Ähnliches gilt auch für die Emissionen aus der Tierhaltung, vor allem von Ammoniak. Diese Emissionen liegen seit Jahrzehnten in den meisten Regionen ein Mehrfaches über den gesetzlichen Grenzwerten. Gemäss Modellierungsresultaten sinken die Tierbestände dank der TWI moderat und damit auch die Emissionen – ein Resultat, das die bisherige Agrarpolitik trotz Hunderten von Millionen Franken investierten Steuergeldern nicht erreicht hat. Die TWI dürfte also die Weichen wirksam in Richtung einer Landwirtschaft stellen, die endlich mit der Schweizer Umwelt- und Gewässerschutzgesetzgebung konform ist.
Einkommen der Landwirtschaft nimmt zu
Aus landwirtschaftlicher Perspektive besonders erfreulich sind die gemäss Modellrechnungen zu erwartenden ökonomischen Auswirkungen. Wird Szenario Nr. 6 als Referenz gewählt, das von den drei genannten Szenarien am realistischsten ist (mittlere Preisentwicklung), nimmt das Einkommen bei den im Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN verbleibenden Betrieben um 12% zu; beim Szenario 9, das von einer günstigeren Preisentwicklung ausgeht, wären es sogar 32%. Doch auch diejenigen rund 11% der Betriebe, die aus dem ÖLN aussteigen und auf Direktzahlungen verzichten, verdienen um durchschnittlich 2% mehr, indem sie ihren Direktzahlungsverlust mit entsprechend höheren Roherträgen ausgleichen können.
Hinsichtlich Produktion und Flächennutzung zeigen die Modellresultate eine Zunahme der offenen Ackerfläche; Flächenrückgänge bei Zuckerrüben, Ölsaaten sowie Reben, Obst und Beeren werden durch einen Zuwachs bei Getreide und Gemüse ausgeglichen. Dies weist darauf hin, dass die Herausforderungen einer notwendigen Anpassung auf die Vorgaben der TWI für unterschiedliche Produktionsrichtungen zwar generell in einem machbaren Rahmen liegen, aber verschieden gross sind. Für besonders betroffene Produktionsrichtungen sollten in den vorgesehenen 8 Übergangsjahren entsprechende Unterstützungs- und Anpassungsprogramme bereitgestellt werden. Die für die Versorgungssicherheit gewünschten Produktions- und Verarbeitungskapazitäten sollten dabei wie bisher mit Beiträgen für einzelne Kulturen wie Ölsaaten sichergestellt werden.
Kaum Rückgang bei der Produktion
Leider gibt die Studie den relevanten Nettoselbstversorgungsgrad (welcher die Tierfutterimporte mitberücksichtigt) nicht an. Sein Rückgang dürfte gemäss einer Nachkalkulation von Vision Landwirtschaft deutlich unter 10% liegen. D.h. es müssten zwar etwas mehr Agrarprodukte importiert werden, aber selbst bei restriktiver Umsetzung der Initiative nur in geringem Umfang. Wird der von der Studie nicht berücksichtigte technische und züchterische Fortschritt im Umgang mit einer pestizidfreien Produktion mit einbezogen, dürften zusätzlich nötige Importe fast ganz wegfallen.
Fazit Geht man davon aus, dass das Parlament den Spielraum des Initiativtextes nutzt, um eine möglichst zielführende Umsetzung der Initiative im Hinblick auf Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu realisieren, dürften die Auswirkungen noch deutlich positiver ausfallen als in den einzigen einigermassen realistischen Szenarien 3, 6 und 9 von Agroscope. Die TWI ist damit eine klare Chance für eine nachhaltigere und zugleich wirtschaftlichere Schweizer Landwirtschaft. Sie ermöglicht eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in eine Richtung, welche genau ihren offiziellen, bisher aber seit 20 Jahren weitgehend verfehlten Zielen entspricht.
* Kästchen 15 der 18 von Agroscope durchgerechneten Szenarien gehen von einer viel zu extremen Interpretation des Initiativtextes aus. So gewährt die Trinkwasserinitiative eine Übergangsphase von acht Jahren, was in den Berechnungen ausgeklammert wurde. Dadurch sind die Auswirkungen auf den Betrieben viel drastischer als sie in der Realität wären, weil sich die Betriebe anpassen können und zahlreiche Innovationen und Verbesserungen der Agrartechnik zugunsten einer pestizidfreien Produktion zu erwarten sind. Zudem geht die Agroscope-Studie davon aus, dass keinerlei Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürfen. Auch dies widerspricht klar der Initiative. Pflanzenschutzmittel, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, sind von der Initiative nicht betroffen. Zu guter Letzt gehen 8 Szenarien, welche ganz am Schluss und gegen den Willen der Begleitgruppe vom Bauernverband hineingebracht worden sind, von einer Reduktion der Direktzahlungen bei Annahme der Initiative aus. Davon war bisher nirgends die Rede, auch dies also irreführende Szenarien, die mit der Initiative nichts zu tun haben.
Ein heute publiziertes Rechtsgutachten ist brisant. Es kommt zum Schluss, dass der Bundesrat in seiner Botschaft zur Trinkwasserinitiative (TWI) tendenziös und fehlerhaft Stellung bezogen habe, zum Nachteil der Initiative. Die Fehlinformationen ziehen bereits weitere Kreise. Die landwirtschaftliche Fachhochschule HAFL publizierte heute für die Anti-TWI-Kampagne des Bauernverbandes eine Studie, die auf den Fehlinterpretationen des Bundesrates aufbaut. Ein stossendes Beispiel dafür, wie sich Bundesbehörden und Wissenschaft von der Agrarlobby für eine Gängelung des Stimmbürgers einspannen lassen.
(VL) Mit seiner Botschaft zur Trinkwasserinitiative hat der Bundesrat im letzten Dezember weitherum Kopfschütteln ausgelöst. Der Initiativtext wurde darin so extrem einseitig ausgelegt, dass selbst die Initianten feststellten, das ginge viel weiter als ihre eigenen Vorstellungen. Natürlich stand hinter der rigiden Auslegung Kalkül. So konnte der Bundesrat schlussfolgern, „die Initiative hätte weitreichende, schädliche Folgen für die Schweizer Landwirtschaft und Ernährungssicherheit“ und sei damit unter allen Umständen abzulehnen. Vision Landwirtschaft bezeichnete damals die bundesrätliche Botschaft als faktenfreie Angstmacherei.
Bundesrat führt Stimmbürger in die Irre
Dass der Bundesrat Initiativen vor der Abstimmung eher eng und nach der Abstimmung eher weit auslegt, ist nicht neu. Nun kommt ein Rechtsgutachten aber zum Schluss, dass der Bundesrat den Initiativtext der TWI in seiner Botschaft nicht nur tendenziös, sondern gar in rechtlich unzulässiger Weise zu rigide ausgelegt hat. Gemäss den ausführlichen juristischen Analysen lässt der Initiativtext dem Parlament wesentliche Spielräume bei der Umsetzung offen. Diese können grundsätzlich so genutzt werden, dass negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft weitgehend vermieden werden können.
Zusätzliche Brisanz bekommt das Gutachten, das vom Verband Schweizer Abwasser- und Gewässerschutzfachleute VSA und vom Schweizerischen Fischereiverband SFV gemeinsam in Auftrag gegeben wurde, durch ein aktuelles Bundesgerichtsurteil. Am 10. April bezichtigte es den Bundesrat im Vorfeld der Abstimmung zur Heiratsstrafe-Initiative gravierender fehlerhafter Informationen, so dass es zum ersten Mal eine Volksabstimmung annullierte. Auch im Falle der TWI dürften die bundesrätlichen Fehlinformationen die Öffentlichkeit und vielleicht auch die Gerichte in den nächsten Monaten noch etwas beschäftigen.
Eine Hochschule verirrt sich in die Niederungen der Politik
Die fragwürdige Botschaft des Bundesrates zur TWI zieht bereits weitere Kreise. Ebenfalls heute publizierte die Fachhochschule für Landwirtschaft HAFL in Zollikofen eine Studie, die kritiklos und wider besseres Wissen auf den irreführenden Annahmen des Bundesrates aufbaut und darüber hinaus weitere tendenziöse und fehlerhafte Annahmen unterlegt, um die Auswirkungen auf die Landwirtschaft möglichst negativ darzustellen.
Die Studie wurde vom Schweizerischen Bauernverband (SBV) in Auftrag gegeben, als Teil einer millionenschweren Kampagne gegen die Trinkwasserinitiative. Der Bauernverband hat auch inhaltlich gleich selber an der Studie mitgewirkt. So stammt die Auswahl der Landwirtschaftsbetriebe, anhand derer die Auswirkungen der Initiative berechnet wurden, vom Bauernverband. Es sind überdurchschnittlich intensiv produzierende Betriebe, die unterdurchschnittliche Umweltleistungen erbringen und damit von der Initiative viel stärker betroffen wären als durchschnittliche Betriebe. Damit erscheinen die Auswirkungen der TWI dramatischer als bei einer ausgewogenen Betriebsauswahl.
Offenbar war es der HAFL dann doch nicht ganz wohl mit dieser Betriebsauswahl. „Es ist wichtig zu präzisieren, dass die elf ausgewählten Betriebe nicht für die Schweizer Landwirtschaft repräsentativ sind. Folglich können die Ergebnisse unter keinen Umständen verallgemeinert werden“, schreiben die AutorInnen einleitend.
Damit stellt die HAFL die Brauchbarkeit ihrer Studie gleich selber in Frage. Dennoch hat sie die Studie veröffentlicht, und gleichwohl werden in der Publikation weitreichende Schlussfolgerungen gezogen.
So negativ wie möglich
Abgesehen von der tendenziösen Auswahl der Fallbetriebe und einer rechtlich unhaltbar restriktiven Auslegung der Initiative hat die Studie der HAFL weitere gravierende Schwächen. So wurden mögliche Ertragsverluste zu hoch angesetzt und ohne ersichtliche Grundlage eine Reduktion des Direktzahlungsbudgets unterstellt (s. Kästchen 1). Alle Fehler zielen in dieselbe Richtung: Sie stellen die Initiative so dar, dass möglichst negative Auswirkungen auf die Landwirtschaft resultieren.
Es gibt in der Studie aber auch ein paar – allerdings bereits weitgehend bekannte – Erkenntnisse, die von den fehlerhaften Annahmen und Berechnungen nicht betroffen sind. Für besonders intensiv wirtschaftende Betriebe mit Ackerbau und Spezialkulturen sowie solche mit hohen Futtermittelzukäufen ist die TWI eine besondere Herausforderung (s. Kästchen 2). Diese Wirkung entspricht jedoch genau der Absicht der Initianten, nämlich umweltschädigende Betriebsformen nicht mehr weiter mit Staatsgeldern zu fördern und stattdessen nachhaltige, auf einem standortangepassten Niveau wirtschaftende Höfe besser zu unterstützen.
Es bleibt schleierhaft, warum eine renommierte Fachhochschule sich am Gängelband des Bauernverbandes in die Niederungen der Politik ziehen lässt mit einer dermassen fragwürdigen Studie. Die Gegner der TWI haben offenbar solchen Respekt vor der Initiative, dass sie nicht daran glauben, der Initiative mit fairen, sachlichen Mitteln beizukommen. Sowohl Bundesrat wie Hochschule gehen mit ihren irreführenden Informationen ein hohes Risiko ein und setzen ihr wichtigstes Kapital aufs Spiel: ihre Glaubwürdigkeit.
Eine Anfrage an die HAFL, die Berechnungen mit angepassten, realitätsnahen Annahmen und einer repräsentativen Betriebsauswahl im Auftrag von Vision Landwirtschaft durchzuführen, hat die Hochschule übrigens abgelehnt.
In der Schweiz wird 20% mehr Milch produziert als der heimische Markt aufnehmen kann. Bis 2018 wurde die überschüssige Milch mittels Exportsubventionen ins Ausland abgesetzt. Rund 80 Millionen Franken Steuergelder setzte der Bund dafür jedes Jahr ein.
Da die Schweiz damit gegen die Regeln der WTO verstiess, wurde sie gezwungen, das Schoggigesetz 2018 aufzugeben. 2019 trat eine trickreiche Nachfolgeregelung in Kraft. Der Bund verbilligt nun weiterhin mit 80 Millionen Franken die Milchexporte - neu aber indirekt über ein privatrechtlich organisiertes Konstrukt. Wie die NZZ berichtet, geraten sich nun die bezuschussten Firmen und Produzenten in Bezug auf die Verteilung der Gelder in die Haare.
Die Milchexportsubventionen sind ein Paradebeispiel für verfassungs- und zielwidrig eingesetzte Steuergelder im Agrarbereich, welche die Nachhaltigkeit und Eigenständigkeit der Schweizer Landwirtschaft nachhaltig beschädigen. Wie absurd die Schoggigesetz-Subventionen sind, wird deutlich, wenn man sich klarmacht, dass die Milch-Überproduktion nicht ein Resultat unserer grünen, ertragreichen Wiesen ist, sondern eine Folge riesiger Mengen an Futtermitteln, welche die Schweiz für die Steigerung ihrer Milchproduktion u.a. aus Südamerika importiert. Die einheimische Futterbasis dagegen würde ziemlich genau zur Produktion derjenigen Milchmenge ausreichen, die der heimische Markt aufnehmen kann. Würde auf die ökologisch und wirtschaftlich ausgesprochen problematischen Futtermittelimporte verzichtet, wäre also gar kein Schoggigesetz nötig.
Der Staat fördert die Milch-Überproduktion aber nicht nur über die Exportsubventionen, sondern bereits an der Wurzel des Problems: Mit zinslosen Darlehen und hohen A-fonds-perdu-Subventionen werden systematisch überdimensionierte Stallbauten gefördert, die Tierbeständen Platz bieten, die niemals mit betriebseigenem Futter ernährt werden können. Was Wunder, wenn die Bauern diese Ställe dann auch auslasten (müssen), entsprechend Futter zukaufen und dann Jahr für Jahr ihren Beitrag an die Milch-Überproduktion leisten.
Doch auch damit ist die Geschichte noch nicht zu Ende. Wenn viel Futter auf den Betrieb zugekauft werden muss, fällt auch mehr Gülle an, als der eigene Boden eigentlich aufnehmen kann, es entstehen Nährstoffüberschüsse und hohe Ammoniakemissionen. Beides ist für Umwelt und Biodiversität in hohem Masse schädlich. Daraus entstehen millionenteure Folgekosten, für die der Steuerzahler das dritte Mal zur Kasse gebeten wird - z.B. für die anhaltende Belüftung überdüngter Mittellandseen.
Vision Landwirtschaft arbeitet solche Zusammenhänge öffentlichkeitswirksam auf und setzt sich für eine Reduktion der Agrarstützung und eine grundlegende Neuorientierung der Agrarpolitik ein.
Trotz staatlichen Millionenzahlungen für sogenannte «Biodiversitätsförderflächen» verschwinden immer mehr Arten aus dem Landwirtschaftsgebiet der Schweiz. Die Bundeshilfe gibt es eben nicht für Resultate, sondern für bestimmte Massnahmen, die aber oft nicht am richtigen Ort und nicht gezielt genug erbracht werden. Zudem sind bis heute die biodiversitätsschädigenden Subventionen viel höher als die Zahlungen zugunsten der Artenvielfalt. So hilft eine extensive Nutzung nichts, wenn gleichzeitig viel zu hoher Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft seltenere Arten flächendecken zum Verschwinden bringen. In einem gut recherchierten Artikel dokumentiert die NZZ das Scheitern der Bemühungen um die Pflanzenvielfalt, basierend auf neue Zahlen von Agroscope. Brisant: Ende März wollen Natur- und Umweltverbände um Pro Natura eine «Biodiversitätsinitiative» lancieren.
Das Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) hat Ende Februar 2019 fünf Auftragsstudien zum Thema «Vor- und nachgelagerte Wertschöpfungsstufen der Landwirtschaft» publiziert. Was in den Studien zu kurz kommt, ist die Einordnung der Resultate in Bezug auf die aktuelle Agrarpolitik und andere Studien. Die letzte Nummer der Seco-Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» mit dem Schwerpunktthema «Rund um die Landwirtschaft» füllt dieses Manko leider auch nicht. Entsprechend werden die Resultate beispielsweise in der Bauernzeitung gemäss eigenen Interessen interpretiert.
Vision Landwirtschaft hat die Seco-Studien genauer unter die Lupe genommen. Hier die agrarpolitisch wichtigsten Resultate und der Kommentar aus Sicht von Vision Landwirtschaft (letzterer jeweils in fetter Schrift):
1) Von der hohen Stützung der Landwirtschaft profitieren auch die vor- und nachgelagerten Branchen. Das heisst vor allem auch, dass die Landwirtschaft gezielter gestützt werden könnte.
2) Auswirkungen von Marktmacht der vor- und nachgelagerten Branchen auf Preise und Margen sind kaum nachweisbar. Demgegenüber können die Produzentenverbände Mengen und Preise weitgehend als Monopolisten festlegen, solange die Produktion den Inlandkonsum nicht übersteigt.
3) Bei Produkten mit hohem Verarbeitungsgrad ist der Anteil der Landwirtschaft an der Preisdifferenz zum Ausland (logischerweise) gering. Was nicht erwähnt wird: Bei den untersuchten Produkten Brot, Joghurt und Rohschinken ist derAnteil der Produzentenpreise am Konsumentenpreis in der Schweiz deutlich höher als in den umliegenden Ländern.
4) Vorleistungen, welche die Landwirte für ihre Produktion zukaufen, wie Futtermittel und Dünger, sind über 20% teurer als in den Nachbarländern. Die Schweizer Produzentenpreise sind aber im Mittel etwa 50% höher als im Ausland. Die in der Bauernzeitung formulierte These einer «Landwirtschaft zwischen Hammer und Amboss» ist also weit hergeholt. Umso mehr, als die Direktzahlungen in der Schweiz mehr als fünfmal so hoch sind wie in den umliegenden Ländern.
5) Die hohe Stützung erhöht die Nachfrage nach Vorleistungen (wie Dünger und Futtermittel) und führt damit zu einer intensiven landwirtschaftlichen Produktion. Diese ist im hohen Mass auch umweltschädlich.
6) Die Wertschöpfung in der Schweizer Landwirtschaft sei ähnlich hoch wie im umliegenden Ausland. Das lässt ausser acht, dass der geltende Grenzschutz für landwirtschaftliche Produkte die Inlandpreise verzerrt. Wenn dies berücksichtigt wird, ist die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft im Vergleich zu den Nachbarländern viel tiefer.
Zusammenfassend ergibt sich: Die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft ist tief und viel geringer als gemeinhin angenommen. Der Grund dafür sind aber nicht hohe Margen der vor- und nachgelagerten Branchen oder überhöhte Preise der Vorleistungen. Der Grund liegt vielmehr in der viel zu kostenintensiven Produktion, darunter den hohen Mengen an zugekauften Vorleistungen, die auch noch ineffizient eingesetzt werden (z.B. Kraftfutter für die Milchproduktion).
Wichtige Studien zum Thema wurden zudem nicht einbezogen: Beispielsweise schätzte eine vom Bundesamt für Landwirtschaft BLW in Auftrag gegebene OECD-Studie Ende 2017, dass drei Viertel der 3.3 Milliarden Franken Marktstützung nicht der Landwirtschaft, sondern den vor- und nachgelagerten Branchen zugute kommen. Diese wohl wichtigste Studie zum Thema wird im zusammenfassenden Artikel in der letzten Nummer der Seco-Zeitschrift «Die Volkswirtschaft» mit dem Schwerpunktthema «Rund um die Landwirtschaft» wie auch in den weiteren Artikeln nicht einmal erwähnt.
Inhaltsangaben und Anmerkungen zu den einzelnen Studien sind hier zusammengestellt.
In den letzten 15 Jahren haben die Direktzahlungen pro Milchbetrieb um 60% zugenommen. Dennoch geht es den meisten Milchbauern wirtschaftlich schlecht. Als die Milchkontingente 2009 abgeschafft wurden, erhöhten sie ihre Produktion. In der Folge fielen die Milchpreise. Um die Mindereinnahmen zu kompensieren, versuchen die Bauern, ihre Betriebe weiter zu vergrössern und die Milchleistungen mit immer mehr Kraftfutter weiter zu steigern. Dazu importieren sie immer mehr Kraftfutter aus dem Ausland. Mit Investitionskrediten und Direktzahlungen gibt auch der Staat der Entwicklung kräftig Schub.
Die Verlierer dieses Teufelskreises seien die Bauern und die Umwelt, dafür fliesse immer mehr Geld an die Industrie ab, sagt Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, in einem Artikel in "Der Zeit". Die Kuh sei sehr ineffizient bei der Verwertung von Kraftfutter und könne nur knapp zehn Prozent davon in Milchbestandteile umwandeln. So würden zur Produktion von Milchüberschüssen in den Schweizer Milchställen Nahrungsmittel vernichtet, mit denen zwei Millionen Menschen ernährt werden könnten.
In einem Faktenblatt hat Vision Landwirtschaft einen Ausweg aus der Milchkrise aufgezeigt: Ein weitgehender Verzicht auf Kraftfutter, dafür mehr Weidehaltung, mit der deutlich günstiger Milch produziert werden kann. Ein durchschnittlicher Betrieb hätte laut Berechnungen von Vision Landwirtschaft dann noch 22 Kühe, würde dabei pro Jahr aber 24'000 Franken mehr verdienen.
Die Vorschläge des Bundes zur Neuen Agrarpolitik AP22+ finden wenig Rückhalt. Sie sind keine Antwort auf die Milliarden an Steuergeldern für die Landwirtschaft, welche bisher beinahe wirkungslos verpuffen.
Bis heute wird die Wirkung der Agrarpolitik mit Indikatoren gemessen, die mehr verschleiern als klären. Die fehlende Transparenz ist eine wesentliche Voraussetzung dafür, dass das Parlament die Agrarpolitik statt auf die gesetzlichen Ziele weitgehend auf die Interessen der landwirtschaftsnahen Industrie ausrichten kann. Um dies zu ändern, veröffentlicht Vision Landwirtschaft heute zusammen mit anderen Organisationen 21 Kennzahlen (sog. Indikatoren). Sie geben erstmals einen breiten Überblick über die Zielerreichung der Agrarpolitik, basierend auf den gesetzlichen Grundlagen. Sie zeigen: Nur 2 von 21 Zielen werden erreicht. Nicht nur alle wichtigen Umweltziele, sondern auch die wirtschaftlichen und sozialen Ziele werden verfehlt, oft in hohem Mass. Gleichzeitig werden für die Ziele, die bereits mehr als erreicht sind, die umfangreichsten Mittel verwendet.
(VL) Seit zwanzig Jahren publiziert das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) eine Reihe von Kennzahlen (sogenannte Indikatoren), um die Zielerreichung der Agrarpolitik zu beurteilen und aufzuzeigen, wo weitere Massnahmen nötig sind.
Die bisher verwendeten Indikatoren orientieren sich allerdings viel zu wenig klar an den gesetzlichen Zielen und sind deshalb wenig aussagekräftig. Beispielsweise wird die sichere Versorgung in Krisen an der Menge der heute produzierten Kalorien gemessen, ohne Bezug zum Bedarf an verschiedenen Nahrungsmitteln und unabhängig davon, ob die Voraussetzungen für die Produktion auch in einer Importkrise vorhanden sind. Für manche wichtigen Ziele der Agrarpolitik wie die Erreichung des Einkommensziels gemäss Landwirtschaftsgesetz (Art. 5 LwG) oder die Wettbewerbsfähigkeit wurden bisher überhaupt keine Indikatoren publiziert.
Vision Landwirtschaft kritisiert die Indikatoren des Bundes schon lange als ungeeignet und hat dem BLW vor einem Jahr Analysen und Vorschläge für neue Indikatoren vorgelegt. Die Vorschläge sowie eine Interpellation im Parlament haben wohl dazu beigetragen, dass das BLW in der Vernehmlassung zur AP 22+ neue Indikatoren vorschlägt. Diese sind aber nicht besser als die alten. Wichtige Themen fehlen, der Bezug zu den Zielen bleibt sehr lose, und die Indikatorwerte werden nicht mit den gesetzlichen Zielwerten verglichen. Die Indikatoren stützen sich zudem kaum mehr erkennbar auf die gesetzliche Grundlage (Art. 185 LwG und Nachhaltigkeitsverordnung).
Neue Indikatoren
Vision Landwirtschaft hat deshalb zusammen mit weiteren Organisationen ein neues Set von 21 Indikatoren entwickelt. Diese 21 Indikatoren umfassen 10 Zielbereiche: 7 Indikatoren sind den Bereichen Soziales / Ökonomie / Versorgung zugeordnet, 7 den Umweltbereichen Boden, Luft und Wasser / Grundwasser, 3 dem Bereich Biodiversität, 2 dem Bereich Landschaft und 2 dem Bereich Tierwohl.
Die Indikatoren wurden nach klaren Prinzipien und aufgrund von vielen Gesprächen mit Fachleuten definiert. Sie sollen auf der Grundlage der aktuell verfügbaren Zahlen eine breite Übersicht über die Zielerreichung der Agrarpolitik in allen wichtigen Zielbereichen, von der Ökonomie bis zum Tierwohl, geben. Die Zielwerte wurden dabei so direkt wie möglich aus den Gesetzesgrundlagen abgeleitet.
Die Indikatorwerte zeigen (Details siehe Abb. 1): 1. Nur 2 von 21 Zielen werden erreicht. Nicht nur alle Umweltziele, sondern auch die wirtschaftlichen und viele weitere Ziele werden verfehlt, oft in hohem Mass. 2. Die Ziele, die erreicht oder mehr als erreicht werden, sind der Beitrag zur Versorgungssicherheit in Krisen und das Einkommensziel gemäss Landwirtschaftsgesetz (Art. 5 Landwirtschaftsgesetz). 3. Ausgerechnet für die bereits mehr als erreichten Ziele fliessen die umfangreichsten Mittel – beispielsweise die Direktzahlungen für Versorgungssicherheit und (weitere) Formen pauschaler Einkommensstützung. 4. Für die gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft, die jeweils als Begründung für die ganzen 7 Mrd. Franken Gesamtstützung herangezogen werden, wird nur ein Bruchteil der Gelder eingesetzt (rund 1,5 Milliarden Franken). 5. Nur ein Bruchteil der nicht an Leistungen gebundenen, also sozial motivierten Stützung, kommt Betrieben zugute, die diese Art von Stützung besonders nötig haben.
Diese Ergebnisse bedeuten, dass die Mittel der Agrarpolitik alles andere als zielorientiert eingesetzt werden.
Stillstand mit System
Die Intransparenz über die Verwendung der Mittel und die Wirkung der Massnahmen hat in der Agrarpolitik System. Damit machen es Bundesrat und Verwaltung dem Parlament leicht, die Steuergelder weiterhin unbemerkt an den Interessen der Konsumentinnen und Steuerzahler vorbei in die Agrarindustrie zu lenken.
Mit der heutigen Intransparenz werden die Steuerzahlerinnen und Konsumenten über die Wirkung der 5 Milliarden öffentlicher Gelder im Dunkeln gelassen – oder im Glauben, den der Bauernverband verbreitet, dass eine stärkere Ausrichtung der Agrarstützung auf eine umweltschonende Produktion die Bauern und die Schweizer Landwirtschaft in ihrer Existenz bedrohe. So lange die Bevölkerung dies glaubt, ist sie bereit, die hohen Kosten und die Umweltschäden in Kauf zu nehmen.
Würden die 5 Milliarden gezielt eingesetzt, wären die 21 Ziele der Agrarpolitik innert weniger Jahre erreichbar, wie Modellrechnungen im Weissbuch von Vision Landwirtschaft bereits 2010 aufzeigten. Stattdessen fliessen bis heute die Stützungsgelder primär an Futtermittelproduzenten, marktmächtige Handelskonzerne und Industrien wie die Fenaco, die im Bundesrat gleich mit zwei ehemaligen Verwaltungsräten vertreten ist.
So fördern die öffentlichen Gelder eine importbasierte, industrielle Schweizer Landwirtschaft, welche die Gewässer überdüngt, die Artenvielfalt weiter schwinden lässt und die Schweizer Landschaft mit Hühnerställen und Gewächshäusern entwertet - und zugleich viele Betriebe zu Investitionen verleitet, die in einer gesamtwirtschaftlichen und oft auch betrieblichen Sicht wenig Sinn ergeben.
Transparenz gefordert
Vision Landwirtschaft fordert, dass der Bund mit seinen eigenen Indikatoren Transparenz hinsichtlich der Verwendung und Wirkung der ganzen 7 Milliarden Franken herstellt. Insbesondere sind die Wirkungen der 5 Milliarden Franken an pauschaler Stützung transparent zu machen. Die Grundlagen dafür sind bei der bundeseigenen Forschungsanstalt Agroscope weitgehend vorhanden, müssen jedoch verständlich aufbereitet werden.
Im Weiteren ist die nicht zielorientierte Stützung in zielorientierte Beiträge umzulagern oder zu streichen. In diesem Sinn zielführend wäre eine Bedarfsprüfung für nicht an Leistungen gebundene (also sozialpolitisch motivierte) Stützung. Antragsteller sollen nachweisen müssen, dass sie (a) ihre Betriebe nach wirtschaftlichen Kriterien führen, (b) ihren Beitrag zur Erreichung der Umweltziele leisten und (c) ein bestimmtes Arbeitseinkommen nicht überschreiten. Damit lässt sich verhindern, dass die Einkommensstützung nicht in eine kostenintensive, umweltschädigende Produktion fliesst, die den Zielen von Verfassung und Gesetzen widerspricht.
AP22+: Viel Aufwand, kaum Wirkung
Mit der Agrarpolitik 2022, deren Vernehmlassung heute endet, stellte der Bund eine effizientere Verwendung der Bundesmittel in Aussicht. Von klaren Zielen, transparenten Indikatoren und wirksamen Massnahmen sind die Vorschläge jedoch weit entfernt. Die unzähligen kleinen Anpassungen auf Gesetzes- und Verordnungsebene bringen viel administrativen Aufwand mit sich, am milliardenschweren Abfluss öffentlicher Gelder an die Agrarindustrie ändern sie jedoch kaum etwas.
Vision Landwirtschaft fordert den Bund auf, die Agrarreform 2022+ von Grund auf zu überarbeiten und die bekannten Probleme mit bereits heute weitgehend bekannten Massnahmen endlich anzugehen (s. Vernehmlassung).
Vision Landwirtschaft hat zur AP22+, also zur Agrarpolitik, die ab 2022 eingeführt werden soll, ausführlich Stellung genommen. Die Vorschläge des Bundes sind keine Antwort auf die seit 20 Jahren ungelösten Defizite. Die schädlichen Pauschalzahlungen in Milliardenhöhe werden zwar umbenannt, um der WTO ein Schnippchen zu schlagen, sollen aber weiterhin im praktisch gleichen Ausmass fliessen. Stattdessen setzt der Bund auf eine Politik der kleinen Schräubchen. Die Anpassungen werden auf allen Ebenen viel administrativen Aufwand verursachen, unter dem Strich aber kaum Verbesserungen bringen. Viele sind zudem noch unausgegoren. VL fordert einen Abbruch der Übung bis auf einige ganz wenige, zielführende Vorschläge.
Der Bundesrat lehnt die Trinkwasserinitiative ab mit der Begründung, dass die getroffenen Massnahmen ausreichen würden, um die Umweltdefizite der Schweizer Landwirtschaft zu beheben. "Die Behörden haben die von der Landwirtschaft verursachten Umweltprobleme nicht im Griff" schreibt dagegen die Zeitschrift Saldo und zählt eine lange Liste von Problemen auf, die seit Jahren ungelöst sind. "Die Agrarpolitik hat in den letzten zehn Jahren laut einem Bericht des Bundesamts für Umwelt kein einziges gesetzliches Umweltziel erreicht". Trotz rekordhoher Agrarausgaben schafft es die Agrarpolitik also nicht einmal, die Einhaltung der Umweltgesetze sicherzustellen.
Daran werden auch die Vorschläge des Bundesrates, welche er in der Vernehmlassungsunterlage zur Agrarpolitik 2022+ veröffentlicht hat, nichts ändern. Zu dieser ernüchternden Erkenntnis kommt die Analyse von Vision Landwirtschaft. Nur eine Annahme der Trinkwasserinitiative dürfte die Schweizer Agrarpolitik dazu bewegen, endlich die nötigen Reformen einzuleiten. Erste Wirkungsabschätzungen zeigen, dass davon nicht nur die Umwelt, sondern auch das Einkommen der Landwirte profitieren dürften, weil die Qualität der Produkte ansteigt und die Produktionskosten teilweise sinken.
Seit Mitte November läuft die Vernehmlassung zur Agrarpolitik 2022+ und bewegt die Gemüter der Bauernschaft. "Jetzt ist der richtige Zeitpunkt, um darüber zur diskutieren", meinte der Organisator des Zürcher Bauernverbandes, Marc Peter, einleitend zur diesjährigen traditionellen Wülflinger Tagung. Vor einem vollen Saal präsentierten Bernhard Belk vom Bundesamt für Landwirtschaft (BLW), Roger Wehrli von Economiesuisse und Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft (VL) ihre Vorstellungen zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik. VL wies auf die gravierenden Defizite der bestehenden Politik hin und forderte vom BLW Lösungen, wie die unbestrittenen Probleme endlich und in absehbarer Zeit gelöst werden könnten.
Agrarpolitisch herrschte 2018 Hochkonjunktur. Gleich fünf landwirtschaftliche Vorlagen kamen zur Volksabstimmung – so viel wie seit den 1990er Jahren nicht mehr. 2018 war auch das Jahr, in welchem der Bund mit der sogenannten AP 22+ seine lange erwarteten Visionen zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik präsentierte. All diese Aktivitäten markierten unter dem Strich vor allem eines: Stillstand. Bewegung brachte dagegen die Trinkwasserinitiative, die im Januar dieses Jahres eingereicht wurde.
(VL) So viel über Landwirtschaft und Agrarpolitik diskutiert hat die Schweiz schon lange nicht mehr. Fünf Agrarvorlagen, über die das Volk im Laufe des Jahres 2018 abzustimmen hatte, sorgten für permanenten Gesprächsstoff.
Ausser Spesen nichts gewesen, könnte die kurze Bilanz zur Volksbeschäftigung lauten. Mit einer Ausnahme wurden nämlich alle Agrarvorlagen abgelehnt. Umso höher war die Zustimmung für die eine Ausnahme: Die Ernährungssicherheitsinitiative, ein vom Bund ausgearbeiteter Gegenvorschlag zu einer Vorlage des Bauernverbandes, der seine eigene, als chancenlos erkannte Initiative zurückzog. Die Vorlage wurde mit fast 80% angenommen, ein Rekordergebnis.
Der Grund für den Erfolg war so einfach wie ernüchternd: Es liess sich alles in den Abstimmungstext hineininterpretieren. Und dies wurde fleissig getan. Die Umweltverbände sahen darin eine Ökovorlage, die Wirtschaftsverbände eine Chance für einen verminderten Grenzschutz, während sich der Bauernverband umgekehrt eine Stärkung der inländischen Produktion, eine Beschränkung der Ökologie und eine Sicherung des Grenzschutzes erhoffte. Keine einzige grössere Organisation stieg ins Rennen gegen die Vorlage. Auch deshalb, weil sie explizit keinerlei Änderungen auf Gesetzesniveau anpeilte. Ein basisdemokratischer Leerlauf, bei dem die StimmbürgerInnen erstaunlich widerstandslos mitspielten.
Den Leerlauf komplettiert hat der Bundesrat im November 2018, als er seine in den letzten zwei Jahren ausgearbeitete Vision zur Weiterentwicklung der Agrarpolitik präsentierte: Ein 160 Seiten starkes Dossier, schwer zu lesen, mit unzähligen Wiederholungen, und fast bar jeglicher Visionen. Die Probleme und Defizite werden zwar angesprochen und Handlungsbedarf erkannt, aber zum Handeln fehlt der Mut. Einmal mehr wird Stillstand kaschiert unter der üblichen Geschäftigkeit von endlosen Berichten und vielen kleinen Änderungen, welche die Verwaltung die nächsten Jahre weiter in Trab halten werden, ohne dass sie irgend jemandem weh tun.
Verwalteter Stillstand
Dabei ist der fehlende Leistungsausweis der Schweizer Agrarpolitik angesichts der eingesetzten Steuermilliarden eigentlich grotesk. Die Schweiz leistet sich ein Agrarsystem, das im Vergleich mit dem umliegenden Ausland 5-10 Mal mehr kostet. Begründet werden die Ausgaben vor allem mit der Unterstützung einer nachhaltigen Schweizer Landwirtschaft. Doch nicht ein einziges der gesetzlich verbindlichen Nachhaltigkeitsziele hat die Agrarpolitik in den letzten 20 Jahren erreicht, und in wichtigen Umweltbereichen gehört die Schweizer Landwirtschaft europaweit zu den Schlusslichtern, so bei der Biodiversität, bei der Energieeffizienz oder den Emissionen. Auch wirtschaftlich ist sie ein Desaster. Getrieben von staatlichen Fehlanreizen verdient der durchschnittliche Schweizer Bauernbetrieb heute keinen Rappen mehr aus seiner viel zu teuren, oft viel zu intensiven Produktion. Ein Grossteil der Gelder bleibt nicht bei den Bauernfamilien, sondern geht an die vor- und nachgelagerten Branchen, die am Schweizer Agrarsystem Milliarden verdienen, und jedes Jahr werden es mehr.
Die vor wenigen Wochen publizierte Vernehmlassungsunterlage zur Agrarreform 2022+ gibt entgegen dem Versprechen des Bundesrates alles andere als eine befriedigende Antwort darauf, wie die Probleme behoben werden können.
Bewegung von unten
Für das eigentliche agrarpolitische Ereignis sorgte ein kleines Grüppchen ausserhalb der agrarpolitischen Establishments. Der Verein „Sauberes Wasser für alle“ reichte im vergangenen Januar nach kürzester Sammelfrist die Volksinitiative „Für sauberes Trinkwasser und gesunde Nahrung – Keine Subventionen für den Pestizid- und den prophylaktischen Antibiotika-Einsatz“ ein. Kaum eine Initiative vermochte in einem so frühen Stadium so viel Medienecho auszulösen wie die Trinkwasserinitiative. In bäuerlichen Kreisen sorgte sie für erhebliche Unruhe. Unzählige Podien wurden veranstaltet, eine nicht abbrechende Serie von Zuschriften füllte während Monaten die Leserbriefspalten landwirtschaftlicher Zeitungen, und plötzlich wurde in bäuerlichen Kreisen intensiv über Pestizidprobleme, Umweltanliegen oder Gewässerschutz diskutiert.
Nicht ohne Grund. Die Initiative hat das Zeug, die Agrarpolitik grundlegend zu verändern und ihr denjenigen Schub zu verleihen, welche die offizielle Politik mit enormem Aufwand und vielen Vernebelungsaktionen während 20 Jahren verhindert hat.
Angesichts fehlender Lösungsperspektiven der Bundespolitik ist die Trinkwasserinitiative für viele Organisationen zu einem Hoffnungsträger geworden. Im Moment laufen verschiedene Analysen zur Frage, welche Auswirkungen auf die Landwirtschaft bei einer Annahme zu erwarten sind. Erste Resultate zeigen, dass bei einer pragmatischen Umsetzung des Initiativtextes einige der wichtigsten agrarpolitischen Defizite tatsächlich sinnvoll und ohne Schaden für die Landwirtschaft gelöst werden können, insbesondere im Bereich Gewässerqualität, Biodiversität, Pestizide und Tierhaltung/Antibiotika. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die Nahrungsmittelpreise steigen, u.a. weil die Produktionskosten parallel zur Umweltbelastung teilweise massiv gesenkt werden können. Die Ernährungssicherheit kann mit weniger belasteten Böden und Gewässern sogar verbessert werden.
Wiederholung der Geschichte?
Die Flut an Volksinitiativen zur Landwirtschaft und die Handlungsunfähigkeit der offiziellen Politik erinnern an die 1990er Jahre. Damals wie heute hat sich in der Bevölkerung ein diffuser Unmut über ein Agrarsystem zusammengebraut, das viel zu viel kostet und zugleich enorme Kollateralschäden verursacht. Damals wie heute versuchen die gut vernetzten, finanzkräftigen Profiteure des Systems, jegliche Reformbemühungen im Keim zu ersticken. Während diese Blockade bei den Reformschritten der Agrarpolitik 2014-17 weitgehend ins Leere lief, ist sie bei der heutigen Konstellation in Bundesbern wieder erfolgreich. Je länger die politische Blockade andauert, desto mehr dürften das Unbehagen und der Druck von unten zunehmen. Die Trinkwasserinitiative ist ein Vorbote. Weitere Initiativen sind bereits in der Pipeline.
Die agrarpolitische Hochkonjunktur dürfte in den kommenden Jahren also noch etwas anhalten.
Dass der Bundesrat der Trinkwasserinitiative keine Sympathien entgegenbringt, hat er bereits im Juni dieses Jahres bekannt gegeben. In der heute publizierten Botschaft legt er seine Argumente für seine ablehnende Haltung dar. Dabei geht er von einer so restriktiven Auslegung des Initiativtextes aus, dass er damit selbst die Intentionen der Initianten bei weitem übertrifft. So verwundert es nicht, dass de facto den Zusammenbruch der Schweizer Landwirtschaft prognostiziert wird. Die Botschaft ist weitgehend faktenfreie Angstmacherei und einer Demokratie nicht würdig. Wie vorläufige Analysen zeigen, dürfte eine pragmatische Umsetzung der Initiative zentrale agrarpolitische Defizite wirksam und ohne schädliche Auswirkungen auf die Landwirtschaft lösen helfen.
Kaum ein anderes Land pumpt so viele Steuergelder ins Agrarsystem wie die Schweiz – im Vergleich mit dem umliegenden Ausland sind es 5-10 Mal mehr. Begründet werden die enormen Ausgaben vor allem mit der Unterstützung einer nachhaltigen Schweizer Landwirtschaft. Derweil ist seit bald 20 Jahren bekannt, dass ein Grossteil der eingesetzten Milliarden genau das Gegenteil bewirken: Sie schädigen sowohl die Umwelt wie die Wirtschaftlichkeit der Schweizer Landwirtschaft, weil ein Grossteil der Gelder nicht an die Bauernfamilien, sondern an die vor- und nachgelagerten Branchen fliesst und zugleich eine viel zu kostenintensive, umweltschädliche Produktionsweise fördern.
Die vor wenigen Wochen publizierte Vernehmlassungsunterlage zur Agrarreform 2022+ gibt entgegen dem Versprechen des Bundesrates alles andere als eine befriedigende Antwort darauf, wie die enormen Ineffizienzen und Defizite der bestehenden Politik behoben werden können.
Angesichts fehlender Lösungsperspektiven ist die Trinkwasserinitiative für viele Organisationen zu einem Hoffnungsträger geworden. Sie hat das Zeug, der Agrarpolitik den nötigen Schub in Richtung Effizienz und Nachhaltigkeit zu verleihen.
Im Moment laufen mehrere Analysen zu den Auswirkungen auf die Landwirtschaft bei einer Annahme der Trinkwasserinitiative. Erste Resultate zeigen, dass bei einer pragmatischen Umsetzung der Initiative einige der wichtigsten agrarpolitischen Defizite gelöst werden können, insbesondere im Bereich Gewässerqualität, Biodiversität, Pestizide und Tierhaltung/Antibiotika. Dabei ist nicht davon auszugehen, dass die Nahrungsmittelpreise steigen, u.a. weil die Produktionskosten parallel zur Umweltbelastung teilweise massiv gesenkt werden können. Die Ernährungssicherheit kann mit weniger belasteten Böden und Gewässern sogar verbessert werden.
Es ist unverständlich, dass der Bundesrat seine Botschaft zur Trinkwasserinitiative basierend auf lauter Vermutungen publiziert und dabei zugleich von einer Auslegung des Initiativtextes ausgeht, die nicht nur restriktiver ist als selbst diejenige der Initianten, sondern den bestehenden, sinnvollen Gestaltungsspielräumen in keiner Weise Rechnung trägt. Faktenfreie Angstmacherei ist einer Demokratie nicht würdig.
Bunte Plakate und Werbespots wollen uns weismachen, dass die Schweizer Landwirtschaft sympathisch kleinstrukturiert, urchig, farbenfroh und tierfreundlich ist. Die Realität ist anders: Industrielle Methoden gefährden die Natur und bescheren den meisten Nutztieren ein leidvolles Dasein. Viele Bauernfamilien kommen trotzdem nur knapp über die Runden. Was passiert, wenn alle Bäuerinnen und Bauern auf eine tiergerechte und ökologische Produktion (TOP) umstellen, zeigt eine gut verständliche Bröschure von Greenpeace auf: «Landwirtschaft mit Zukunft – Vision für eine tiergerechte und ökologische Produktion in der Schweiz».
Lesen Sie im Interview mit Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft, wie eine landwirtschaftliche Politik mit positiver Perspektive aussehen könnte. Die hohe Stützung der Schweizer Landwirtschaft ist weltweit einmalig. Inklusive Grenzschutz macht sie etwa 1000 Franken pro EinwohnerIn aus - jedes Jahr. Damit könnten wir in der Schweiz doch gewiss eine nachhaltige und wirtschaftlich starke Landwirtschaft aufbauen, wie es unsere Verfassung fordert. Dennoch: unsere Landwirtschaft erreicht kein einziges seiner Umweltziele und ist meist erst noch unwirtschaftlich. Mit der Nahrungsmittelproduktion jedenfalls verdient der Bauer aufgrund der hohen Kosten für Futtermittel, Pestizide, Saatgut, Maschinen und Co. keinen Rappen mehr. Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft macht Vorschläge, wie eine Agrarpolitik mit positiver Perspektive aussehen könnte. >> Zum Interview
Mit seiner heutigen Botschaft bekräftigt der Bundesrat das agrarpolitische Treten an Ort. Dies nachdem seine eigenen Studien gezeigt haben, wie ineffizient die Agrarpolitik ist und wie sie weitgehend die Umweltgesetze missachtet.
Die gegenwärtige Schweizer Agrarpolitik gehört zu den teuersten der Welt, und sie ist extrem ineffizient. Statt verfassungsgemäss eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft zu unterstützen, fördert sie über weite Strecken vor allem eine überintensive, teure und die Umwelt schädigende Produktion. Ausserdem hat sie die Bauernfamilien komplett vom Staat abhängig gemacht.
Wie ineffizient die Mittel eingesetzt werden, zeigte die aktuelle Evaluation der milliardenschweren Versorgungssicherheitsbeiträge. Sie bestätigt ein weiteres Mal, dass diese kaum etwas mit ihrem Namen gemein haben und die Agrarpolitik ihre Aufgaben nicht bedarfsgerecht und wirtschaftlich erfüllt.
Für die Umwelt besonders gravierend sind die Defizite in den Bereichen Ammoniakemissionen und Biodiversität, wo die Schweiz europaweit ein Schlusslicht darstellt. 2016 kam der Bundesrat zum Schluss, dass kein einziges der Umweltziele Landwirtschaft – die nichts anderes sind als auf konkrete Indikatoren heruntergebrochenes geltendes Recht – in den letzten 20 Jahren erreicht worden ist.
Die heutige Landwirtschaftspolitik widerspricht somit der Verfassung und verletzt die Umweltgesetzgebung. In seiner Gesamtschau zur Agrarpolitik 2022+ gelobte der Bundesrat im vergangenen November Besserung. Heute, nach einem guten Jahr Brutzeit, hat der Berg eine Maus geboren. Die heute publizierte Botschaft ist weit entfernt von der versprochenen Reform. Bis auf kleine (immerhin begrüssenswerte) Anpassungen setzt der Bundesrat auf weiteres Treten an Ort. Für kein einziges der gravierenden Defizite unterbreitet er wirksame Lösungsvorschläge.
Lösungen für die agrarpolitischen Defizite längst bekannt
Seit mindestens 10 Jahren ist bekannt, mit welchen Massnahmen die agrarpolitischen Defizite behoben werden könnten. Im Weissbuch Landwirtschaft hat Vision Landwirtschaft bereits 2010 mit Modellierungen aufgezeigt, dass mit gezielten Reformschritten die agrarpolitischen Ziele innerhalb weniger Jahre erreicht werden könnten, einschliesslich einer stark verbesserten Wirtschaftlichkeit. Die dortigen Erkenntnisse wurden in einer kürzlich publizierten Studie von Umweltorganisationen ein weiteres Mal bestätigt.
Gut möglich, dass sich die Geschichte der letzten Agrarreform der 1990er Jahre wiederholt und der Reformstau erst durch einen zunehmenden Druck von Volksabstimmungen durchbrochen werden kann.
Weitere Auskünfte: Andreas Bosshard, Dr. sc. nat., Geschäftsführer Vision Landwirtschaft
Bei einer Ernährung mit mehr Getreide, Obst und Gemüse, Eiweisspflanzen und dafür weniger Fleisch, Eier, Fisch und Milchprodukten wäre Europa im Jahr 2050 in der Lage, alle seine EinwohnerInnen aus dem eigenen Boden zu ernähren. Und dies durch eine nachhaltige, ökologische und klimafreundliche Landwirtschaft, die ohne Pestizide auskommt. Dies sind die Ergebnisse einer Studie des französischen «Instituts für Nachhaltige Entwicklung und Internationale Beziehungen» (IDDRI).
Um dies zu erreichen, müsste der Einsatz von Pestiziden und anderen landwirtschaftlichen Inputs wie Kunstdünger und Futtermittelzukäufe stark reduziert und stattdessen grüne landwirtschaftliche Methoden wie Fruchtfolge, Sortenwahl, minimale Bodenbearbeitung, Nützlingseinsatz u.a. praktiziert werden. Ausserdem müssten Strukturen zur Förderung der Biodiversität wieder erstellt oder erhalten werden: Hecken, Teiche, Bäume, Blumenstreifen u.a.. Gleichzeitig könnte Europa so seine Treibhausgasemissionen um 40 Prozent reduzieren und die Biodiversität erhalten. Die französischen WissenschaftlerInnen betonen, dieses agroökologische Szenario würde es dem europäischen Agrarsektor nicht nur ermöglichen, die europäischen VerbraucherInnen zu ernähren, sondern auch, die aktuellen Exporte für Getreide, Milchprodukte und Wein beizubehalten. Darüber hinaus würde die europäische Abhängigkeit von Agrarimporten stark reduziert.
Erstmals eine umfassende und detallierte Übersicht über die direkten und indirekten volkswirtschaftlichen Kosten der Schweizer Landwirtschaft: Das ist das Verdienst einer neuen, aufwändigen Studie von Avenir Suisse - auch wenn sich im Einzelnen über viele Zahlen und die rigorosen Forderungen im umfangreichen Bericht streiten lässt.
Dass die Schweiz bei der Agrarstützung weltweit zur Spitzengruppe gehört, ist nicht neu, ebenso dass sich unser Land die Landwirtschaft mehrere Milliarden pro Jahr kosten lässt. Wie hoch diese Agrarstützung insgesamt allerdings ist, hat bisher niemand im Detail analysiert. Das Resultat mag dann doch erstaunen. Gemäss Avenir Suisse summieren sich die jährlichen volkswirtschaftlichen Kosten auf rund 20 Milliarden Franken.
Ein Blick in die Herleitung dieser Summe zeigt: Sie wurde sorgfältig und auf der Basis des bestehenden Wissens eruiert. Das "Privilegienregister der Landwirtschaft", das der Berechnung zugrunde liegt, beinhaltet eine umfassende Übersicht über die direkten und indirekten Kosten der Landwirtschaft, die in dieser Form neu ist.
Im Detail lässt sich über viele der im Privilegienregister enthaltenen Quantifizierungen streiten. Und die Forderungen, die daraus hergeleitet werden, dürften nicht im Geringsten mehrheitsfähig sein.
Der Wert der Studie liegt denn auch nicht in diesem Schlussresultat mit den 20 Milliarden volkswirtschaftlichen Kosten, sondern in der soliden Diskussionsbasis, welche Avenir Suisse mit ihrem Papier zur Verfügung stellt. Sie will es zusammen mit Experten und Akteuren in der Landwirtschaft in transparenter Weise laufend weiterentwickeln und nötigenfalls auch korrigieren. Auch wenn die Kosten vielleicht am Schluss nur halb so hoch sein sollten: Selbst dann ist es nicht akzeptabel, dass bei so hohen Kosten die meisten der agrarpolitischen Ziele verfehlt werden.
Es ist zu hoffen, dass die Studie von Avenir Suisse nach Abklingen der ersten harschen Reaktionen aus Landwirtschaftkreisen als das genommen wird, was sie ist: Eine Dienstleistung an der Gesellschaft und am Bund, um eine faktenbasierte Diskussion über die Zukunft der Schweizer Agrarpolitik zu ermöglichen.
Im Ackerbaugebiet der Schweiz wurde der Vogelbestand in 26 Jahren dramatisch reduziert - über alle Arten gesehen um mehr als die Hälfte. Einzelne Arten stehen vor der Ausrottung in der Schweiz. Pestizide, eine ausgeräumte Agrarlandschaft und die sehr intensive Bewirtschaftung sind die Gründe. Den Vögeln geht schlicht die Nahrung aus - Insekten und Sämereien. Zudem fehlt es an Strukturen für Brutplätze.
Der Anteil an Biodiversitätsförderflächen im Ackerland liegt bei unter 1% und ist damit äusserst gering. Zudem mangelt es oft an der nötigen ökologischen Qualität dieser Flächen. Die agrarpolitischen Ziele wurden im Bereich Biodiversität klar verfehlt. Ennet dem Rhein ist die Situation besser - obwohl die Zahlungen an die Landwirtschaft dort nur rund 10% von denjenigen in der Schweiz betragen.
(VL) In der Volksabstimmung vom 23. September befassen sich gleich zwei Vorlagen mit der Landwirtschaft. Die Fair-Food-Initiative will im Rahmen der bestehenden internationalen Handelsabkommen faire und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel fördern. Auch die Initiative für Ernährungssouveränität will mehr Nachhaltigkeit und Fairness gegenüber den Bauern. Dies aber vor allem aus einer traditionellen bäuerlichen Perspektive, mit weitgehenden staatlichen Eingriffen und mit Konfliktpotenzial gegenüber bestehenden Handelsabkommen. Was ist von den Vorlagen zu halten? In diesem Newsletter fassen wir einige Überlegungen zu den Initiativen zusammen.
Die Fair-Food-Initiative will, kurz gesagt, faire und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel fördern. Produkte aus bäuerlicher Landwirtschaft, fairem Handel sowie aus regionaler und saisonaler Produktion und Verarbeitung sollen einen Marktvorteil erhalten. Die Lebensmittelverschwendung und die Klimabelastung durch Transport und Lagerung sollen reduziert und die Tierhaltungsform auch bei Importen und verarbeiteten Lebensmitteln deklariert werden. Tierquälerisch erzeugte Produkte sollen nicht mehr in die Schweiz importiert werden, und importierte Lebensmittel sollen soziale und ökologische Mindestanforderungen erfüllen, die denjenigen in der Schweiz entsprechen. Herkunft und Produktionsbedingungen sollen zudem transparent deklariert werden.
Die Initiative fördert die Entwicklung von Handelsregeln, die Nachhaltigkeit belohnen statt bestrafen. Dabei setzt sie bei einem entscheidenden Punkt an, nämlich bei den Bestimmungen für den Import von Nahrungsmitteln. Entgegen der landläufigen Meinung und der Argumente von Initiativgegnern besteht ein grosser Handlungsspielraum für handelsbezogene Anreize, wie sie die Initiative anstrebt. Die Befürchtungen der Gegner, dass Handelsregeln verletzt würden, der Staat eine riesige Bürokratie aufbauen müsste und die Lebensmittel teurer würden, sind übertrieben (Details dazu liefert eine interessante Studie über nachhaltige Agrarimporte der Juristin Elisabeth Bürgi Bonanomi von der Uni Bern):
Die geforderten Bestimmungen zur Deklaration und zur Abstufung von Zöllen und Kontingenten nach Nachhaltigkeitskriterien lassen sich so umsetzen, dass sie mit den EU-Verträgen und mit den WTO-Regeln kompatibel sind. Bereits heute gewährt der Bund beispielsweise Steuererleichterungen für nachhaltig produzierte importierte Agrotreibstoffe. Gemäss WTO können Handelszugeständnisse zum Schutz gewisser öffentlicher Interessen, insbesondere von Umwelt- und Sozialstandards, ausgesetzt werden, wenn die Massnahmen nicht-diskriminierend ausgestaltet sind, d.h. wenn alle Marktteilnehmenden die Chance haben, die Standards zu erfüllen. Zudem müssen sie verhältnismässig sein, also nicht stärker eingreifen als nötig ist, um das Ziel zu erfüllen. Glaubwürdig wäre die nicht-diskriminierende Absicht von nachhaltigkeitsbezogenen Importbestimmungen gemäss der Handelsexpertin Bürgi Bonanomi insbesondere dann, wenn die Bestimmungen eine weniger kapitalintensive Schweizer Produktion begünstigen würden, bei der weniger Vorleistungen (z.B. Futtermittel) importiert würden, so dass im Gegenzug ggf. mehr Nahrungsmittel importiert werden müssten. Genau dies fordert Vision Landwirtschaft seit Jahren.
Auch Befürchtungen der Gegner einer überbordenden Bürokratie scheinen übertrieben. Zertifizierungen von Produktionsmethoden müssen nicht durch den Staat vorgenommen werden. Wie bei bestehenden Labels wie Max Havelaar kann die Zertifizierung Privaten überlassen werden. Umgesetzt würden ohnehin nur praktikable Massnahmen. Gemäss Bürgi Bonanomi wären dies etwa Positiv-Listen von Labels, für die Zolldifferenzierungen gelten würden. Die differenzierten Zölle würden einen Anreiz für private Zertifizierungen schaffen und damit international dazu beitragen, dass höhere Produktionsstandards auch ökonomisch attraktiv werden.
Die Befürchtung von höheren Nahrungsmittelpreisen, wie sie etwa von Konsumentenverbänden als Gegenargument angeführt wird, ist sicher nicht ganz unbegründet. Höhere Verkaufspreise treffen in der Schweiz am ehesten die weniger gut verdienenden Bevölkerungsteile. Die Auswirkungen auf die Preise sind aber nicht so eindeutig vorhersehbar, wie oft behauptet wird. Beispielsweise muss nachhaltig produziertes Fleisch aus dem Ausland nicht teurer sein als inländisches Fleisch. Was bisher noch nie thematisiert wurde: Ein freier Import von zertifiziertem Fleisch aus tierfreundlicher Haltung würde voraussichtlich für in der Schweiz produziertes Fleisch einen Preisrutsch nach unten bewirken. Je nachdem könnten nachhaltig produzierte Nahrungsmittel also sogar günstiger werden.
Vor allem indirekt könnte die Initiative dazu beitragen, dass die Schweizer Landwirtschaft ökologischer wird.Der erleichterte Import von besonders nachhaltig produzierten Lebensmitteln könnte dazu führen, dass wenig nachhaltig produzierte Massenware in der Schweiz nicht mehr gleich stark nachgefragt wird. Zudem würde das Image von Importprodukten in der Bevölkerung verbessert.
Der Initiativtext ist sehr offen formuliert. Die Auswirkungen sind deshalb stark abhängig von der Umsetzung durch das Parlament. Im Hinblick auf die Umsetzung durch das Parlament bedeutet die offene Formulierung ein Risiko. Es könnte im schlechtesten Fall dazu kommen, dass die Initiative letztlich eine ökologisch, volkswirtschaftlich und entwicklungspolitisch sinnvolle Produktion in der Schweiz eher behindern als fördern würde – ein Argument allerdings, das bei vielen Initiativen angeführt werden kann.
Fazit: Die Initiative nimmt mit dem Thema der nachhaltigen Importe ein Anliegen auf, das für die Entwicklung nachhaltiger globaler Ernährungssysteme zentral ist. Die Knacknüsse der Initiative liegen bei der späteren Umsetzung in Politik und Verwaltung. - Fundierte Argumente zur Initiative finden sich in einem Interview mit Elisabeth Bürgi Bonanomi im Tages-Anzeiger.
Initiative für Ernährungssouveränität
Die Initiative für Ernährungssouveränität hat zwar Überschneidungen mit der Fair-Food-Initiative, will aber sehr viel mehr. So soll beispielsweise das Einkommen der Landwirte verbessert, für gerechte Preise gesorgt, und die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen erhöht werden. Und dies alles mit staatlichen Mitteln.
Die Initiative nimmt wichtige Anliegen einer nachhaltigen Landwirtschaft auf, betont dabei aber einseitig die Anliegen und Interessen einer spezifischen Gruppe von Bäuerinnen und Bauern. Sie berücksichtigt nicht, dass arbeitsintensive Produktionsmethoden und eine möglichst hohe Inlandproduktion nicht notwendigerweise im Interesse der Umwelt und der Konsumenten, ja nicht einmal unbedingt im Interesse vieler Bauernfamilien sind. Die Initiative scheint in mancher Hinsicht eine Landwirtschaft anzustreben, wie sie die Schweiz vor fünfzig Jahren hatte. Die Initiative lehnt sich stark an Ideen der Via Campesina an, eines weltweiten Zusammenschlusses von Kleinbauern, die vor allem die Situation von Bauern in Entwicklungsländern verbessern will.
Auch bei der Ernährungssouveränitäts-Initiative sind fast alle Forderungen sehr allgemein formuliert. Im Gegensatz zur Fair Food-Initiative haben die Initianten bisher aber kaum konkrete Lösungen vorschlagen können, wie sie sich eine Umsetzung der Initiative vorstellen. Kommt dazu, dass viele der Anliegen der Ernährungssouveränitäts-Initiative im aktuellen Text der Bundesverfassung und teilweise auch in Gesetzestexten bereits mehr oder weniger enthalten sind, ohne dass sie aber zu einer Landwirtschaft führten, wie sie sich die Initianten vorstellen.
Andere Forderungen sind rechtlich und im Kontext internationaler Vereinbarungen problematisch und, wenn überhaupt, äusserst schwierig umzusetzen. Insbesondere ist die Initiative sehr protektionistisch und verkennt, dass der freie Handel von Nahrungsmitteln bei entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingen (Anliegen Fair-Food-Initiative) durchaus auch positive Aspekte für die Landwirtschaft haben kann.
Fazit: Die Uniterre-Initiative gleicht einem bunten Strauss an Wünschen, bei denen fraglich bleibt, ob sie durch Parlament und Exekutive überhaupt umgesetzt werden (können). Ähnlich wie 2017 bei der Ernährungssicherheits-Initiative würde die Verfassung um Inhalte erweitert, die kaum einen Niederschlag in der Gesetzgebung und staatlichem Handeln finden dürften.
Zwischen Bauernverband, CVP, SVP, Teilen der WAK und dem Bundesrat ist offensichtlich ein Deal geschlossen worden: die Trinkwasser-Initiative wird ohne Gegenvorschlag rasch dem Volk vorgelegt, gemeinsam auf ein Nein hingearbeitet und nachher beginnt die AP 2022+ im Parlament. Diesen Deal der Bundespolitiker hat der Nationalrat am 4. Juni abgesegnet. Ob ihn das Volk auch mitmacht, ist zumindest fraglich.
Gedient ist mit der Rückweisung der Gesamtschau niemandem, im Gegenteil. Diese Hinterzimmer-Politik schränkt den Handlungsspielraum des Gesamtbundesrats und des Parlaments in forscher und unnötiger Art und Weise stark ein. Bauernverband und Agrarminister setzen sich damit unter Druck, schon bis Mitte 2020 akzeptable Lösungen für die real existierenden Probleme bei Pestiziden, überhöhten Tierbeständen, Biodiversität, Antibiotika und Co. vorzuschlagen. Wenn nicht, könnten die beiden Initiativen «Trinkwasser» und «Schweiz ohne synthetische Pestizide» vom Stimmvolk als Ausweg verstanden werden.
Bauernverbandspräsident Markus Ritter und eine ihm offenbar noch immer fast blind folgende Schafherde im Parlemant hilft vielleicht, die Wut über die unfähige Politik und die im agrarpolitischen Sumpf versickernden Steuermilliarden im Volk noch etwas weiter hochkochen zu lassen.
Derweil bekennen sich immer mehr Organisationen dazu, die Trinkwasserinitiative zu unterstützen, sollte der Bund bei der Agrarreform nicht endlich vorwärtsmachen und wirksame Lösungsvorschläge für die viel zu teure und die Verfassung über weiter Strecken missachtende Agrarpolitik entwickeln.
Bisher gehörte der Schweizer Bauernverband SBV zu den schärfsten Kritikern der heutigen Agrarpolitik. Die Trinkwasserinitiative flösst dem Verband nun so Angst ein, dass ihm selbst die Beibehaltung der heutigen Agrarpolitik das kleinere Übel erscheint. Angst jedoch ist ein schlechter Ratgeber. In einem Leserbrief fordern Geschäftsführer und Präsident von Vision Landwirtschaft ein konstruktives, proaktives Vorgehen anstelle der von SBV-Präsident Ritter propagierten Blockadehaltung.
Die hohen Zölle, mit welchen die Fleischbranche in der Schweiz geschützt wird, hat weitreichende Folgen für die Umwelt. Der abgeschottete Markt führt dazu, dass in der Schweiz weit mehr Fleisch produziert wird als Futter für die Tiere wächst. Über eine Million Tonnen Futtermittel werden mittlerweile jedes Jahr importiert, um die überhöhten Tierbestände zu füttern. Und es werden immer mehr. Daraus entstehen riesige Gülleseen, die sich kaum mehr entsorgen lassen. Das grösste Problem aber sind die Ammoniakemissionen. Die Schweiz ist nach den Niederlanden in diesem Bereich die grösste Umweltsünderin Europas. Mit gravierenden Folgen für die Biodiversität.
Schweizer Bauern gehören zur Berufsgruppe mit der höchsten Selbstmordrate. Ein ausführlicher Artikel über die soziale Situation auf Schweizer Bauernhöfen und mögliche Wege aus der Krise. >> Zum Artikel im Tages-Anzeiger Magazin (pdf)
Die heute mit gut 114'000 Unterschriften eingereichte Volksbegehren mischt die Landwirtschaftspolitik gehörig auf. Seit klar ist, wie gut die Initiative bei der Bevölkerung ankommt, herrscht beim Bauernverband Konsternation. Mit Vorliebe schickt er nun Biobauern vor, die erzählen sollen, dass sie ihre Produktion bei Annahme der Initiative aufgeben müssten. Dabei wird gelogen was das Zeug hält.
Tatsache ist: Landwirtschaftsbetriebe, welche bereits heute nachhaltig produzieren, d.h. auf besonders toxische Pflanzenschutzmittel verzichten und auf geschlossene Nährstoffkreisläufe achten, sind von der Initiative so gut wie nicht betroffen. Im Gegenteil, sie können sich von einer Neuausrichtung der Agrarpolitik in Zukunft bessere Unterstützung erhoffen - ob Bio oder nicht.
Dennoch ist die Initiative eine Herausforderung für die Schweizer Landwirtschaft. Allzu lange hat sie sich im Schlepptau des Bauernverbandes gegen jegliche Veränderung zur Wehr gesetzt. Die Initiative bringt nun den nötigen Schub, damit die agrarpolitischen Versprechen und Verpflichtungen des Bundes, eine umweltverträgliche, gesetzes- und verfassungskonforme Landwirtschaft sicherzustellen, endlich eingelöst werden.
Michael Gove, Englands Umweltsekretär, redet Klartext: Die milliardenschweren Pauschalsubventionen, welche in England in die Landwirtschaft fliessen, hätten wesentlich zu den massiven Umweltzerstörungen durch die Landwirtschaft beigetragen. Zudem kämen sie den Falschen zu gute: Wer (viel Land) habe, dem werde noch mehr gegeben. Nach dem Brexit habe England die Freiheit, die Landwirtschaftssubventionen sinnvoll umzugestalten. Sie sollen gemäss Gove in Zahlungen für Umweltleistungen umgelenkt werden.
Worte, die an Klarheit nichts vermissen lassen. Die Problemanalyse und die Lösungsvorschläge entsprechen exakt denen, die Vision Landwirtschaft seit ihrer Gründung in die öffentliche Diskussion gebracht hat und die mit der Agrarpolitik 2014-17 wenigstens in Ansätzen umgesetzt wurden.
Vom Schweizer Kollegen Grove's, dem Chef des BAFU, sind solche klaren Worte bislang allerdings noch ausgeblieben. Auch in der Schweiz werden weiterhin über die Hälfte der 3 Milliarden Franken an Steuergeldern, welche jedes Jahr in die Landwirtschaft fliessen, pauschal und umweltschädlich eingesetzt. Auch diese Gelder kommen den Falschen zu gute. Sie fliessen nachweislich fast vollständig ab in die vor- und nachgelagerten Branchen, statt dass sie das Einkommen der Bauernfamilien verbessern würden.
Das Anliegen trifft einen Nerv in der Bevölkerung: Für ihre Trinkwasserinitiative hat Franziska Herren mit einem kleinen Team und praktisch ohne Unterstützung grösserer Organisationen in kürzester Zeit über 100'000 Unterschriften gesammelt. Kaum jemand hätte das für möglich gehalten. Bereits Mitte Januar sollen die Unterschriftenbögen im Bundeshaus eingereicht werden. Die Initiative hat es in sich.
Geld soll es gemäss Initiativtext nur noch geben für Landwirtschaftsbetriebe, die keine Pestizide mehr in die Umwelt ausbringen, ihre Tiere mit eigenem Futter ernähren und nicht mehr prophylaktisch Antibiotika einsetzen. Die Trinkwasserinitiative verbietet damit nichts, will aber die öffentlichen Gelder anders lenken und die Agrarpolitik mit diesen drei grundlegenden Hebeln auf einfache Art zwingen, das zu tun, was sie seit Jahrzehnten verspricht aber nicht hält – nämlich mit öffentlichen Geldern eine Landwirtschaft zu fördern, welche ihre eigenen Lebensgrundlagen erhält.
Kaum eine andere Initiative hat in einem so frühen Stadium so viel Medienecho ausgelöst wie die Trinkwasserinitiative. In Online-Umfragen erhält sie rekordhohe Zustimmungsraten. Und wer die Online-Kommentare zu den Medienbeiträgen liest, bekommt definitiv den Eindruck, dass der Unmut über die heutige Agrarpolitik sich bereits tief in die Bevölkerung eingefressen hat.
Vision Landwirtschaft unterstützt die Anliegen der Initiative, auch wenn viele Fragen zu ihren Auswirkungen und zu ihrer konkreten Umsetzung noch offen sind. Beispielsweise wieviele Betriebe wieviel anpassen müssten, was die Auswirkungen auf die Produktion, die Ernährungssicherheit oder zusätzliche Importe sind, oder welche Bedeutung die Initiative auf die Konsumentenpreise hätte.
Solche Fragen zu klären ist für eine sachliche Diskussion unumgänglich. Vision Landwirtschaft will mit eigenen Recherchen aktiv dazu beitragen. Wir erachten die Initiative als äusserst wichtig. Sie erzeugt den nötigen Druck, dass sich die Agrarreform 2022 in die auch von VL angestrebte Richtung bewegt. Denn die Debatte zur Trinkwasserinitiative wird genau in der Zeit geführt werden, in der die AP 22+ in Verwaltung und Parlament ausgearbeitet wird. Die AP 22+ wird dadurch zwangsläufig zum Gegenvorschlag zur Initiative – ob sie es will oder nicht. Wenn in der AP 22+ nicht weitgehende Schritte in Richtung mehr Ökologie, zu einem effizienteren Mitteleinsatz, für eine bessere Unterstützung der kleineren, vielfältigen Betriebe und zu einer nachhaltigeren, besser an der Wertschöpfung und Qualität orientierten Produktion getan werden, ist das direkt Wasser auf die Mühle der Initiative.
Hinter der Intiative steht mit Franziska Herren eine Einzelperson, die für ihre Überzeugung einen enormen Einsatz leistet. Was sind ihre Überlegungen und Motive? Diese kommen in einem ausführlichen Interview im "Schweizer Bauer" zur Sprache. Franziska Herren handelt als besorgte Bürgerin, die nicht mehr bereit ist, eine umweltzerstörende Landwirtschaft mit Milliarden an Steuergeldern weiter in Richtung Industrialisierung zu pushen. Sie spricht damit offensichtlich sehr vielen Konsumenten und Bürgerinnen aus dem Herzen. >> Zum Interview im "Schweizer Bauer" (pdf-Download)
Der Schweizer Bauernverband SBV zieht alle Register gegen die Gesamtschau des Bundesrates zur Agrarpolitik 2022 . Mit einer unsachlichen, völlig überdrehten Kritik nimmt sich der Verband zunehmend selber aus dem Spiel. Auf die Spitze getrieben hat es Bauernverbandspräsident Markus Ritter im Nationalrat.
Agrarminister Johann Schneider-Ammann drohte damit, angesichts der unhaltbaren Aussagen Ritter nicht zu einem runden Tisch zur Diskussion der zukünftigen Agrarpolitik einzuladen.
Der Zorn des Bauernverbandes geht auf seine komplett missglückte Ernährungssicherheitsinitiative zurück. Der SBV zog diese mangels Erfolgschancen zugunsten eines Gegenvorschlages des Parlamentes zurück. Der vom Volk mit grosser Mehrheit angenommene Verfassungsartikel beinhaltete im Gegensatz zur Bauernverbandsinitiative mehr Handelsaustausch und mehr Ökologie. Dagegen läuft der SBV nun Sturm, während er vorher den Gegenvorschlag uneingeschränkt unterstützte.
Die "Trinkwasserinitiative" trifft den Nerv der Zeit. Einem kleinen Initiativkomitee um Franziska Herren ist es in wenigen Monaten gelungen, über 100'000 Unterschriften zusammenzubringen, und dies bis vor kurzem ohne Unterstützung von grösseren Organisationen. Mitte Januar soll die Initiative im Bundeshaus eingereicht werden. Die Person, die Überlegungen und die Motive, die hinter der Initiative stehen, kommen in einem ausführlichen Interview mit der Initiantin im "Schweizer Bauer" zur Sprache. Franziska Herren handelt als besorgte Bürgerin, die nicht mehr bereit ist, eine umweltzerstörende Landwirtschaft mit Milliarden an Steuergeldern weiter in Richtung Industrialisierung zu pushen. Sie spricht damit offensichtlich sehr vielen Konsumenten und Bürgerinnen aus dem Herzen.
Biodiversitätsbeiträge sind ein wichtiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Direktzahlungen. Über 1 Milliarde Franken investierte der Bund in den letzten drei Jahren in diesen Beitragstyp. Dennoch ist die Biodiversität weiter im Sinkflug. Ein Artikel im Saldo geht der Frage nach, was sich ändern müsste.
Der Bundesrat hat die Gesamtschau zur mittelfristigen Weiterentwicklung der Agrarpolitik verabschiedet. In den Bereichen Markt, Betrieb und natürliche Ressourcen sollen mit der AP22+ die teilweise jahrzehntealten Ziellücken der bisherigen Politik endlich geschlossen und die zukünftigen Herausforderungen gezielter angegangen werden können.
Das Parlament wird die strategischen Leitlinien des Bundesrates für die AP22+ zur Kenntnis nehmen und sich dazu äussern können. Der Bundesrat wird auf Basis der Rückmeldungen im vierten Quartal 2018 eine Vernehmlassung zur AP22+ durchführen.
Die Gesamtschau geht für Vision Landwirtschaft in die richtige Richtung. Der Bundesrat hat den Mut gezeigt, auch heikle Themen wie die ungenügende Nachhaltigkeit und die geringen Effektivität der Agrarpolitik zu thematisieren. An der Medienkonferenz wurde deutlich, dass selbst "heilige Kühe" wie die wirkungslosen Versorgungssicherheitsbeiträge in Zukunft in Frage gestellt werden dürften - eine Stossrichtung, die Vision Landwirtschaft seit langem fordert.
Im Hinblick auf die Ausgestaltung der Gesetze und Verordnungen stehen harte Diskussionen bevor. Das zeigen die harrschen Reaktionen von Bauernverband und SVP auf das bundesrätliche Konzept. Vision Landwirtschaft wird sich in enger Vernetzung mit zielverwandten Akteuren engagiert an der der Konkretisierung der jetzt vorgelegten Leitlinien beteiligen. >> Gesamtschau >> Kurzfassung mit Argumentarium
Die Schweizer Landwirtschaft lebt immer mehr auf Pump. Die Höfe der Schweiz sind im Durchschnitt mit fast 30'000 Franken verschuldet - pro Hektare. Das ist deutlich mehr als in fast allen anderen europäischen Ländern. Der Bund trägt daran eine wesentliche Mitverantwortung, fördert er doch die Verschuldung aktiv mit einer Vielzahl an "Unterstützungsinstrumenten" - von zinslosen Darlehen, über milliardenschwere Pauschalzahlungen bis hin zu erheblichen landwirtschaftsspezifischen Steuererleichterungen. Das Resultat sind vielfach massiv überteuerte Produktionsstrukturen, die nicht nur das Einkommen der Landwirte letztlich schmälern, sondern eine ineffiziente, oft umweltschädliche Produktion zur Folge haben.
Die Landwirtschaft geniesst zahlreiche steuerliche Sonderprivilegien. Viele davon - beispielsweise die Befreiung von den Treibstoffsteuern - verzerren wirtschaftliche Realitäten, geben Fehlanreize für wenig umweltfreundliche Bewirtschaftungsweisen oder verführen zu unrentablen Investitionen.
Zu den stossenden, wirtschaftlich kontraproduktiven Privilegien gehört auch die stark reduzierte Besteuerung des landwirtschaftlichen Wohneigentums. Diese Sonderregelung soll nun fallen, wie der Tages-Anzeiger in einer ausführlichen Berichterstattung aufzeigt. Vision Landwirtschaft hat die Anpassung in einer Vernehmlassungsantwort unterstützt.
Der Bauernverband SBV dagegen wehrt sich reflexartig mit Händen und Füssen. Erst ein Jahr ist es her, als der Verband durch seinen erfolglosen Kampf für die Beibehaltung der privilegierten Baulandbesteuerung der Landwirtschaft einen immensen Imageschaden zugefügt hatte.
Mit 78% der Stimmen haben die Schweizer Ja zu Ernährungssicherheit gesagt. Es war eine jener seltenen Abstimmungsvorlagen ohne Gegner. Die unterschiedlichsten Organisationen warben für ein Ja, wenn auch aus verschiedenen Gründen.
Das Ja dürfte keinerlei Konsequenzen haben und keines der anstehenden Probleme der Landwirtschaft lösen. Praktisch alles, worüber abgestimmt wurde, stand ohnehin bereits in der Verfassung und wurde schon 1996 mit einer ebenso deutlichen Zustimmung von 78% vom Volk angenommen.
Für den Bauernverband SBV war der Verlauf der Abstimmung bitter. Mit enormem finanziellem und personellem Aufwand hat er über 150'000 Unterschriften für seine "Ernährungssicherheitsinitiative" gesammelt. Da die Vorlage kaum Chancen gehabt hätte vor dem Volk, zog er die Initiative zugunsten eines Gegenentwurfs des Parlamentes zurück.
Was dieser neue Text bedeuten sollte, war schon bald Gegenstand einer intensiven Auseinandersetzung. Den Umweltverbänden gelang es, mit ihrer Sichtweise die Debatte zu dominieren. Sie weibelten für die Passagen im Abstimmungstext, die eine umweltfreundliche Landwirtschaft einfordern. Am Schluss wurde aus der Bauernverbands-Initiative im besten Fall ein Ja für eine ökologischere Landwirtschaft - das Gegenteil dessen, was der Bauernverband mit seiner Initiative ursprünglich bezweckte, nämlich eine stärkere Förderung der Produktion.
Ein Streitgespräch zwischen Mathias Binswanger, Professor an der Fachhochschule Nordwestschweiz, und Andreas Bosshard, Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft.
(VL) Die misshandelten Tiere auf dem Bauernhof im thurgauischen Hefenhofen haben schweizweit Empörung ausgelöst. Der Fall hinterlässt einen bitteren Nachgeschmack. Denn er macht deutlich, dass oft erst dann gehandelt, wenn der öffentliche Druck zu gross wird – selbst im Tierschutzbereich, wo der Vollzug noch am besten funktioniert. Das Wegschauen beim Gesetzesvollzug hat im Schweizer Landwirtschaftssystem Tradition. Das ist Gift für sein höchstes Gut: Das Vertrauen der Konsumenten und Steuerzahler.
Wenn das Tierwohl auf dem Spiel steht, reagiert die Schweizer Öffentlichkeit sensibel. Die Tageszeitungen berichten seit Tagen seitenweise über den Fall aus dem Thurgau und bringen laufend weitere Details ans Tageslicht, welche die Empörung weiter anfachen. Nach und nach wurde auch klar, dass eine lange Reihe von zuständigen Amtsstellen, Gemeindebeamten, Lieferanten, Kunden, Nachbarn von den Zuständen auf dem Bauernhof gewusst und viele Jahre einfach weggeschaut statt gehandelt hatten. Der nach dem Auffliegen des Skandals rasch hinter Gitter gebrachte Landwirt „Ulrich K.“ war nur das letzte Glied einer langen Kette von indirekt und direkt Mitwirkenden, eine Art Bauernopfer einer Wegschaukultur.
Dabei ist das Tierwohl der weitaus am konsequentesten vollzogene Bereich der Agrargesetzgebung. Den Behörden ist bewusst: Wenn hier etwas krumm läuft, dann gehen die Wogen in der Öffentlichkeit unweigerlich hoch. Dass ein Fall Hefenhofen passieren konnte, ist vor diesem Hintergrund eigentlich erstaunlich und zeigt, dass das Wegschauen selbst in einem so sensiblen, emotionalen Vollzugsbereich immer wieder vorkommt.
In anderen Bereichen, welche dem Grossteil der Bevölkerung weniger naheliegen, hat sich dagegen das Wegschauen systematisch ins Agrarsystem hineingefressen. Gerade im Umweltbereich sind nicht geahndete oder gar aktiv von Behördenseite gedeckte Verstösse an der Tagesordnung.
Beispiel Ammoniak
Letzteres passiert beispielsweise bei den Ammoniakemissionen im Kanton Luzern. Dort ist der Tierbestand als Folge einer behördenseits lange aktiv geförderten „inneren Aufstockung“ mit Schweinen und Hühnern und enormen Futtermittelimporten besonders hoch – so hoch, dass die Grenzwerte, die sogenannten „critical loads“, bei den Ammoniakemissionen aus der Tierhaltung seit vielen Jahren fast flächendeckend um ein Vielfaches überschritten werden. Dies wiederspricht sowohl internationalen Vereinbarungen wie Bundesrecht, weil dadurch empfindlichere Ökosysteme wie Wälder oder Moore nachhaltig geschädigt werden. Der Luzerner Regierungsrat hat die Situation anerkannt und 2007 festgelegt, dass bei Stallneu- und -umbauten die Emissionen gegenüber dem Ausgangszustand im Jahre 2000 um 20% zu reduzieren sind – eine schweizweit vorbildliche Regelung.
Doch die Vollzugsbehörde kümmert sich einen Deut um diesen Entscheid. Im grossen Stil werden laufend Aus- und Neubauten von Schweine- und Hühnerställen bewilligt. Bei den Gesuchen berechnet nicht etwa der Gesuchsteller, sondern die kantonale Dienststelle selber die Emissionsfolgen des Vorhabens. Dabei kommen alle erdenklichen Tricks zur Anwendung. Die Emissionsbilanz wird so lange geschönt, bis auf dem Papier die regierungsrätlich verordnete Emissionsreduktion von 20% resultiert. Selbst wenn Betriebe ihren Tierbestand verdoppeln, schafft es die kantonale Berechnung, die ominöse Reduktion von 20% hinzubiegen. Wie von Zauberhand gelingt dies selbst ohne heute verfügbare – aber wirtschaftlich wenig attraktive – technische Massnahmen zur Abluftreinigung. Wie diese Tricks funktionieren, ist im Kästchen unten in aller Kürze nachzulesen.
Die Schummeleien sind bisher vom Wegschauen gut geschützt worden. Keine Zeitung hat bisher je darüber berichtet, und auch unzählige Involvierte in Politik und Amtsstuben kennen die seinerzeit von der Branche erfundene Trickserei seit Jahren und schauen weg. Derweil steigt der Tierbestand im Luzernischen munter weiter an, und mit ihm bleibt die offiziell angestrebte Reduktion der enormen Ammoniakreduktion weiterhin frommer Wunsch der Politik, von dem alle wissen, dass er nie erreicht werden wird.
Beispiel Gewässerschutz
Ein Bereich mit gravierenden Vollzugsmängeln ist der Gewässerschutz. Pro Natura hat bei umfangreichen Erhebungen in verschiedenen Kantonen der Ostschweiz und der Romandie festgestellt, dass beim Ausbringen von Dünger in weit über der Hälfte der untersuchten Fälle die Gewässerabstände nicht eingehalten worden sind. Zwar hat Pro Natura mit ihrer Untersuchung einige Medienbeiträge ausgelöst, doch die Empörung ist rasch verraucht, und das systematische Wegschauen hat offensichtlich rasch wieder Fuss gefasst. Seitens der Behörden sind bisher keinerlei Aktivitäten bekannt geworden, mit denen das Problem angegangen worden wäre.
Wildwuchs bei den Pestiziden
Ein beunruhigendes Beispiel für einen praktisch inexistenten Vollzug ist der landwirtschaftliche Pestizideinsatz. Bei Recherchen für den Pestizid-Reduktionsplan Schweiz hat Vision Landwirtschaft Stichprobenkontrollen durchführen lassen, um zu erfahren, wie der Pestizideinsatz in der Schweiz kontrolliert und die gesetzlichen Vorgaben umgesetzt werden. Fazit: Wichtige Anforderungen im ökologischen Leistungsnachweis ÖLN sind toter Buchstabe. Würde der ÖLN korrekt vollzogen, dürfte allein dadurch der Pestizideinsatz in der Schweiz um rund 20% zurückgehen. Darüber hinaus sind Verstösse beim Pestizideinsatz gegen die Umweltgesetzgebung in manchen Regionen an der Tagesordnung. Die Einhaltung der Abstände zu Gewässern oder Strassen wird in vielen Kantonen nie kontrolliert und entsprechend oft nicht eingehalten. In einem Fall musste sogar eine Landwirtschaftsschule auf einen Verstoss auf dem Schulbetrieb hingewiesen werden – entlang einem Hauptweg direkt vor dem Fenster der Schulzimmer.
Besonders eklatant war die Situation im Walliser Rebbau. In den untersuchten Perimetern konnte nicht ein Fall gefunden werden, wo die Abstände der Helikopter-Sprühfluglinien zu Strassen, Gehölzen oder Gewässern eingehalten wurden. Meist fehlten die Abstände komplett. Dies, obwohl die Situation aufgrund der Markierungen der Fluglinien im Feld für alle jederzeit sichtbar sind. Ebenso systematisch werden Grenzabstände beim Herbizideinsatz vom Boden aus missachtet. Selbst das Überspritzen von Gewässern mit Pestiziden vom Helikopter oder vom Boden aus ist im Wallis gang und gäbe. All diese offen vor Augen liegenden, krassen Gesetzesverstösse wurden nicht einmal von den örlichen Umweltorganisationen thematisiert.
Vision Landwirtschaft hat die zuständigen Ämter bei Bund und Kanton umgehend auf die gravierenden, im Detail protokollierten Verstösse aufmerksam gemacht (Bericht auf Anfrage). Das war bereits 2013. Doch seither haben weder die Bundesämter noch das Walliser Landwirtschaftsamt etwas unternommen. Schliesslich griffen der Kassensturz und der Sonntagsblick im vergangenen Juni den Walliser Pestizidskandal auf und berichteten ausführlich darüber. Erst der Medienrummel brachte die Behörden in Bewegung. Doch der Schaden ist längst angerichtet. Das Image des Walliser Weins dürfte als Folge des behördlichen Versagens nachhaltig gelitten haben.
Behörden als Teil des Systems
Die Behörden schauen allerdings nicht einfach aus Faulheit oder Gleichgültigkeit aktiv weg. Treibende Kraft ist meist ein massiver Druck aus der Branche, die eng mit den bäuerlichen Medien zusammenarbeitet. Wird ein Beamter oder ein Amt aktiv und geht Verstössen nach, kürzt Direktzahlungen oder vereitelt eine Bewilligung, werden die betreffenden Personen beispielsweise telefonisch bearbeitet oder an Sitzungen vorgeladen, die oft Verhören gleichen. Oder dem betreffenden Amt wird angedrocht, mit Vorstössen im Kantonsparlament das Budget zu kürzen. In anderen Fällen werden die Beamten öffentlich in den Bauernmedien durch den Dreck gezogen. So ist es auch dem Tierarzt im Thurgau gegangen, als er schon vor Jahren bei einem Tierschutzfall aktiv werden wollte.
Die Kultur des Wegschauens, die sich tief im Agrarsystem festgebissen hat, dürfte eine der grössten Schwächen in der Schweizer Agrarpolitik sein. In etlichen Bereichen ist der landwirtschaftliche Gesetzesvollzug dadurch faktisch inexistent - wenn auch mit grossen Unterschieden von Kanton zu Kanton.
Nur mit einer Kultur der Transparenz, des kritischen Hinschauens und der konstruktiven Weiterentwicklung kann die Landwirtschaft das hohe Vertrauen, das sie auch heute in der Öffentlichkeit noch geniessen dürfte, in die Zukunft bewahren. Einen guten Ruf aufzubauen ist jahrzehntelange Schwerarbeit, ihn zu zerstören reichen ein paar wenige Skandale. Deshalb setzt sich Vision Landwirtschaft trotz immer wieder massivem Gegenwind für das aktive Hinschauen und einen effizienten, konsequenten Gesetzesvollzug ein.
Kästchen: Die Luzerner Ammoniak-Trickkiste
Der wichtigste Trick funktioniert so: Zur Abschätzung der Ammoniakemissionen dient ein Berechnungsmodell. Das für die Bewilligung zuständige Amt berechnet damit die Differenz zwischen den Ammoniakemissionen auf dem betreffenden Betrieb im Bezugsjahr 2000 und den neu zu erwartenden Emissionen. Diese Differenz muss gemäss Regierungsratsbeschluss mindestens einer Abnahme von 20% entsprechen, damit ein Gesuch bewilligungsfähig ist.
Nun werden aber für das Jahr 2000 nicht die realen damaligen Emissionen zugrunde gelegt, sondern die theoretisch damals maximal möglichen, die in der Regel massiv höher sind als sie in der Realität waren. Auch wenn der Betrieb damals schon – z.B. von der öffentlichen Hand mitfinanzierte – Reduktionsmassnahmen realisiert hatte, werden diese also aus der Berechnung ausgeklammert. Zudem wird nicht der damalige Tierbesatz als Referenz gewählt, sondern der aktuell auf dem Betrieb vorhandene, welcher in der Regel in der Zwischenzeit stark aufgestockt wurde. Mit diesem Rechnungskniff lässt sich praktisch bei jeder Aufstockung auf dem Papier die für eine Baubewilligung nötige 20%ige Ammoniakreduktion herzaubern.
Wenn es trotzdem einmal nicht aufgehen sollte, kommen weitere Tricks zur Anwendung, beispielsweise indem Betriebsgemeinschaften gebildet werden, womit die Emissionen auf dem Papier über eine grössere Fläche verteilt werden können. Bezeichnend im Luzerner System ist, dass derjenige Beamte, welcher die Berechnungen für den Betrieb durchführt, bei der Baugesuchseingabe die eigenen Berechnungen dann gleich selber überprüft.
Die seit langem erwartete Evaluation des 2014 eingeführten Direktzahlungs-Programms für Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF) liegt nun öffentlich vor.
Die Wirkung des Programms auf eine Senkung des Kraftfuttereinsatzes erwies sich gemäss der Studie der Agroscope wie erwartet als gering. Der Kraftfutteranteil ging um knapp einen Prozentpunkt zurück gegenüber Betrieben, die nicht am Programm teilnahmen.
Was dies hinsichtlich der ökonomischen Effizienz bedeutet, ist rasch berechnet (im Evaluationsbericht sucht man diese Angabe vergeblich): Ein Kilo reduziertes Kraftfutter kostete den Steuerzahler rund 2 Franken - mehr als das Doppelte des Kraftfutter-Marktpreises selber.
Insgesamt habe gemäss Selbstauskünften nur etwa ein Viertel der am Programm teilnehmenden Bewirtschafter ihre Fütterung angepasst, wobei es bei der Gruppe der Milchbetriebe immerhin rund die Hälfte war.
Kritisch wird im Bericht die mangelhafte Kontrollierbarkeit des Programms beleuchtet.
Trotz GMF-Programm nimmt in der Schweiz der Kraftfutterimport weiter zu, wie die neuesten Agristat-Zahlen zeigen.
Damit bestätigten sich die grundlegenden Schwachpunkte , welche Vision Landwirtschaft bereits bei der Einführung gegenüber dem GMF-Programm kritisierte. Das GMF-Programm ist in der gegenwärtigen Form schlicht nicht zielführend. Es verursacht beträchtlichen administrativen Aufwand praktisch ohne Wirkung. Dem Programm wurden damals, quasi in letzter Minute kurz vor dessem Einführung, aufgrund massivem Druck aus der Milchbranche die letzten Zähne gezogen. Dadurch ist eine Art neuer Tierbeitrag entstanden, der keinen Beitrag an eine marktnähere und nachhaltigere Milch- und Fleischproduktion leistet.
Vision Landwirtschaft hat zusammen mit externen Experten einen verbesserten GMF-Vorschlag erarbeitet, der einen wirksamen Anreiz in die angestrebte Richtung gibt, administrativ viel weniger Aufwand verursacht und bei dem die Kontrollierbarkeit tatsächlich gegeben ist.
In einem bisher wenig beachteten Bericht hat der Bundesrat u.a. das Stützungsniveau der Landwirtschaft in verschiedenen Ländern verglichen. Vision Landwirtschaft hat den Bericht analysiert und wirft dem Bundesrat in einem Beitrag der NZZ irreführende Zahlenakrobatik vor. Im Vergleich mit der EU sei die Stützung 10 Mal höher und nicht nur um den Faktor 3, wie der Bundesrat schreibt. Verglichen mit den USA oder Kanada sei die Stützung sogar 53-77 Mal höher.
Das zu viele staatliche Geld im System sei für viele Probleme der Schweizer Landwirtschaft und die seit Jahren fehlende Erreichung agrarpolitischer Ziele wesentlich mitverantwortlich.
Selten musste die Bundesverfassung für ein so fragwürdiges Projekt herhalten wie die Ernährungssicherheitsinitiaitve des Schweizer Bauernverbandes. Tagelang vertrödelte das Parlament seine Zeit mit Diskussionen darüber, was der Absender mit seinem nichtssagenden Initiativtext wohl bezweckt. Nun hat es einen ebenso nichtssagenden Gegenvorschlag geboren. Bereits jetzt ist klar, und selbst der Bundesrat spricht Klartext: Ob der Gegenvorschlag vom Volk angenommen wird oder nicht: Auf die Landwirtschaftspolitik hat dies keinerlei Einfluss. Der Weg weiterer Reformen ist so oder so unumgänglich.
Vision Landwirtschaft plädiert für das Einlegen leerer Stimmzettel.
Das BLW hat das landwirtschaftliche Verordnungspaket 2017 in die Vernehmlassung gegeben. Es ist moderat ausgefallen. Es soll relativ wenig ändern, und die meisten Neuerungen sind begründet und weitgehend sinnvoll. Dass es so gekommen ist, ist nicht selbstverständlich. BLW-Vizedirektor Christian Hofer hat bei verschiedenen Anlässen im Vorfeld Einblick in die Ideenkiste seines Amtes gegeben, die Schlimmes befürchten liess. Vor allem die Pläne zur markanten Senkung der Biodiversitätsbeiträge alarmierten. Der Einsatz, dass solche unüberlegten Schnellschüsse begraben werden, hat sich gelohnt.
78% der Deutschen möchten, dass Fördergelder für die Landwirtschaft künftig an die Erbringung konkreter gesellschaftlicher Leistung gekoppelt sind. Dies hat eine repräsentative Meinungsumfrage ergeben. Mit genau dem gleichen Stimmenanteil haben die Schweizer Stimmbürger 1996 denselben Wunsch geäussert: Mit 78% der Stimmen sagten sie Ja zu einer leistungsorientierten Agrarpolitik. Das Grundprinzip „Geld für Leistung“ ist seither in der Bundesverfassung festgeschrieben (Landwirtschaftsartikel 104). Bis heute ist der Volksentscheid jedoch noch immer nicht umgesetzt. Über die Hälfte der Agrargelder werden nach wie vor pauschal und ohne Gegenleistung an die Landwirtschaft ausgeschüttet.
Wie hoch ist die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft? Sie wird in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes mit 2,2 Milliarden Franken angegeben. Doch die Zahl ist irreführend und verwischt die reale wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft, weil weder der Grenzschutz noch die erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft mitberücksichtigt sind. Eine neue Studie zeigt, wie eine realitätsbezogene Berechnung, basierend auf Zahlen von Bund und OECD, aussehen müsste. Die Differenz zu den offiziellen Zahlen beträgt über 3 Milliarden Franken.
(VL) Die landwirtschaftliche Wertschöpfung hat in agrarpolitischen Debatten einen hohen Stellenwert. Im erläuternden Bericht des Bundesrats zur laufenden Agrarpolitik 2014–17 kommt der Begriff "Wertschöpfung" 58 Mal vor. Die Wertschöpfung wird in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes berechnet als Produktionswert minus Vorleistungen minus Abschreibungen gleich Nettowertschöpfung.
1. Wert der gemeinwirtschaftlichen Leistungen nicht miteinbezogen
Die Landwirtschaft erbringt nicht nur über die Produktion von Nahrungsmitteln Wertschöpfung, sondern auch über die Produktion von nicht marktfähigen Gütern, die als gemeinwirtschaftliche Leistungen bezeichnet werden – beispielsweise die Versorgungssicherheit, eine attraktive Landschaft oder die Förderung der Biodiversität. In der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung wird der Wert der gemeinwirtschaftlichen Leistungen aber schlicht ausgeblendet.
Ihr Wert kann näherungsweise anhand der dafür ausgerichteten Direktzahlungen bestimmt werden. Vision Landwirtschaft hat in ihrer Studie diese Bewertung vorgenommen und die einzelnen Direktzahlungskomponenten in Bezug auf die daraus resultierenden gemeinwirtschaftlichen Leistungen beurteilt. 43% der Direktzahlungen gemäss Agrarpolitik 2014-17 gelten demnach gemeinwirtschaftliche Leistungen ab, die übrigen Direktzahlungen haben den Charakter einer Einkommensstützung, der keine Wertschöpfung gegenübersteht.
2. Grenzschutz ausgeblendet
In der Gesamtrechnung des Bundes wird die Wertschöpfung aus der Nahrungsmittelproduktion anhand der am Markt gelösten Preise berechnet. Die Marktpreise sind jedoch wenig aussagekräftig, weil sie durch den staatlichen Grenzschutz in der Schweiz künstlich stark erhöht werden. Die Differenz bezahlt der Konsument. Der Preisunterschied von rund 50% gemäss OECD muss in der Berechnung der Wertschöpfung berücksichtigt werden. Der Bund blendete dies in seiner Berechnung bisher jedoch aus.
3. Weitere Stützungen und Kosten nicht miteinbezogen
Wenn korrekterweise die Umweltleistungen miteinbezogen werden, müssen zumindest die wichtigsten, bezifferbaren Umweltkosten der Landwirtschaft ebenfalls mitberücksichtigt werden. Dazu gehören die Treibhausgas- und Ammoniak-Emissionen. Sie belaufen sich auf 0,9 Milliarden Franken gemäss den von der OECD angegebenen Emissionsmengen.
Korrekt berechnete Wertschöpfung: Massive Differenz zur Angabe des Bundes
Wie sieht die landwirtschaftliche Wertschöpfung aus, wenn die genannten Korrekturen vorgenommen werden?
2014 betrug der Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft gemäss Bundesamt für Statistik 10,7 Milliarden Franken. Nach Abzug des Grenzschutzes bleibt ein Produktionswert von 7,2 Milliarden Franken. Die Direktzahlungen, die tatsächlich nichtmarktfähige Güter abgelten, belaufen sich nach Abschätzungen von Vision Landwirtschaft auf 1,2 der insgesamt 2,8 Milliarden Franken. Einschliesslich der nicht marktfähigen Güter ergibt sich ein Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft von 8,4 Milliarden Franken.
Davon sind die Vorleistungen und Abschreibungen abzuziehen. Sie belaufen sich gemäss Bundesamt für Statistik auf total 8,5 Milliarden Franken (Vorleistungen: 6,4 Mia Fr., Abschreibungen 2,1 Mia Fr.). Ohne Berücksichtigung der Umweltkosten ergibt sich somit eine Nettowertschöpfung von minus 0,1 Milliarden Franken. Werden die Umweltkosten (externe Kosten der Produktion) von 0,9 Milliarden wie die übrigen Produktionskosten subtrahiert, so bleibt unter dem Strich eine Nettowertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft von minus 1 Milliarde Franken. Das sind 3,2 Milliarden weniger als die in der offiziellen Statistik des Bundes ausgewiesene Wertschöpfung von 2,2 Milliarden Franken.
Heutige Berechnung führt zu falschen Schlüssen
Zahlen, die nur die halbe Wahrheit abbilden, wie das bei der offiziellen landwirtschaftlichen Gesamtrechnung der Fall ist, verleiten zu falschen Schlüssen und führen Politik und Öffentlichkeit in die Irre. So werden wirtschaftlich und ökologisch unsinnige, kostenintensive Produktionsweisen, die nur dank Schweizer Grenzschutz und Vernachlässigung der Umweltkosten wirtschaftlich überlebensfähig sind, durch staatliche Fehlanreize weiter unterstützt und gefördert. Auf der anderen Seite werden Landwirtschaftsbetriebe, die real eine gute Wertschöpfung erbringen mit nachhaltigen, kostengünstigen Produktionsweisen, von der Politik wirtschaftlich benachteiligt. Eine solche Politik schadet der Landwirtschaft langfristig enorm.
Tatsächlich sind die wirtschaftlichen Kennzahlen der Schweizer Landwirtschaft auch im internationalen Vergleich beängstigend schlecht. In kaum einem anderen Land erbringt die Landwirtschaft eine derart geringe Wertschöpfung als Folge zu teurer Vorleistungen und Betriebsstrukturen. Abnehmende staatliche Zahlungen – die derzeit 5-10 Mal so hoch sind wie im umliegenden Ausland – oder eine weitere Öffnung der Grenzen hätten für die einheimischen Betriebe katastrophale Folgen, da ein Grossteil nicht darauf vorbereitet wäre.
Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte hat die Landwirtschaft in eine immense, nicht mit gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu rechtfertigende Staatsabhängigkeit getrieben. Die Dimension dieser Abhängigkeit wird bis heute durch eine in hohem Masse unvollständige Landwirtschaftliche Gesamtrechnung weitgehend vernebelt. Nicht zuletzt deshalb dürften die dringend nötigen Schlussfolgerungen von der Politik noch nicht gezogen worden sein.
Eine der dringlichsten Forderungen, die sich aus einer ergänzten, korrekten landwirtschaftlichen Gesamtrechnung ergibt, ist die Abschaffung und Umlagerung der nicht leistungsbezogenen, teure Produktionsweisen fördernden Direktzahlungen. Mit der Agrarpolitik 2014-17 ist ein erster, allerdings noch sehr zaghafter Schritt in diese Richtung getan worden.
(VL) Die Schweizer Demokratie erlebt bewegte Zeiten. Vor gut einer Woche liess die SVP die Schweizer Bürgerinnen und Bürger über eine Initiative abstimmen, die seitenlange, alle Details minutiös regelnde Gesetzes- und Verordnungstexte in die Verfassung schreiben wollte. Und parallel dazu lässt der Schweizer Bauernverband SBV das Parlament und seine Kommissionen wochenlang über eine Initiative diskutieren, über die bis heute gerätselt wird, was sie eigentlich will. Beides hat die direkte Demokratie der Schweiz noch nie erlebt in ihrer 150-jährigen Geschichte.
Was steckt hinter dem Rätsel der SBV-„Ernährungssicherheitsinitative“, und was würde sich die Schweiz bei einer Annahme einhandeln?
Initiativtext wiederholt bestehende Verfassung
Die Frage müsste sich eigentlich aus dem Initiativtext klären lassen. Doch im Initiativtext steht nichts, was nicht bereits in der Verfassung steht – vielleicht mit Ausnahme einer Passage, welche einen Abbau der Bürokratie fordert. Diese Forderung ist allerdings unbestritten und wird von der Verwaltung mit einem eigenen Projekt ohnehin bereits vorangetrieben. Warum also verwendet der Bauernverband Millionenbeträge seiner Mitglieder und der ihn unterstützenden Landwirtschaftsindustrie für einen Text, der die Verfassung lediglich um Doppelspurigkeiten verlängern würde?
Jedem was er will
Bis heute hat sich der Bauernverband standhaft geweigert, schlüssig zu sagen, was er mit seiner Initiative will. Bei der generalstabsmässig organisierten Unterschriftensammlung auf der Strasse wurde geworben mit einer Stärkung der nachhaltigen einheimischen Produktion, mit Edelweiss-Bauernhemden und Hornkühen. Wer ist nicht für eine solche Landwirtschaft? Nicht umsonst kamen die Unterschriften rasch zusammen. Zur genau gleichen Zeit brachte Bauernverbandspräsident Markus Ritter an Bauernversammlungen seine Basis auf Kurs, indem er mahnte, dass die Ökologisierung der Schweizer Agrarpolitik endlich wieder zurückgedreht werden müsse mithilfe der Initiative. Und den Konsumenten wird in den regelmässigen Medienauftritten des SBV-Präsidenten weisgemacht, dass ihnen die Initiative auch in Zukunft gesunde einheimische Nahrungsmittel garantieren werde. Die Umweltorganisationen werden mit einer Passage zum Kulturlandschutz geködert. Dass Markus Ritter gleichzeitig in einem Komitee aktiv war, das bei einer Abstimmung im Kanton St. Gallen gegen den Kulturlandschutz eintrat, war für den SBV kein Problem. Jeder erhält vom Bauernverband genau diejenige Antwort auf seine Fragen, welche er oder sie hören will.
SBV als Vorkämpfer einer industrialisierten Landwirtschaft
Kein Verband hat in den letzten Jahrzehnten energischer und mit mehr Geld gegen alle Bemühungen gekämpft, die eine nachhaltigere Schweizer Landwirtschaft und die Erhaltung bäuerlicher Strukturen zum Ziel hatten. Kein Verband hintertreibt stärker den Kulturlandschutz, wenn es darum geht, den Gewinn aus bäuerlichem Baulandverkauf sicherzustellen oder grosszügige Bauten der Landwirtschaft auf dem Kulturland durchzubringen. Und jetzt will sich derselbe Verband plötzlich mit einer eigenen Initiative für eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft und für Kulturlandschutz einsetzen?
Die Antwort auf das Rätsel verrät einen neuen basisdemokratischen Trick. Die eigentlichen Anliegen des SBV wären niemals mehrheitsfähig. Kaum ein Bürger will eine immer intensiver und industrieller produzierende, hoch subventionierte, staatsabhängige und abgeschottete Landwirtschaft nach dem Gusto des SBV (auch viele Bauern nicht!). Kaum jemand will zur alten Agrarpolitik mit ihren Pauschalzahlungen und ihren milliardenschweren Fehlanreizen zurück. Weil sich für solche Anliegen keine Mehrheiten finden lassen, heckten die findigen SBV-Strategen einen Initiativtext aus, der nichtssagend nirgends aneckt und möglichst viel Interpretationsspielraum offen lässt.
Katze bleibt bis zur Annahme im Sack
Würde die Initiative angenommen, kann der SBV dann endlich die lange sorgsam gehütete und ruhig gehaltene Katze aus dem Sack lassen und klar machen, wie die Initiative zu verstehen sei. Was auch immer in der Agrarpolitik alsdann an Entscheidungen ansteht, der SBV wird auf den Volkswillen verweisen und das Parlament und die Verwaltung daran erinnern, dass die SBV-Initiative ja angenommen worden sei und die Agrarpolitik nun nach dem Gusto des Verbandes zu realisieren sei. Dass im Vorfeld niemand wusste, was die Initiative will und damit von einem Volkswillen nicht die Rede sein kann, wird schnell vergessen sein.
Abstimmung im Nationalrat
Man darf auf das Resultat morgen im Nationalrat gespannt sein. SP und GLP haben sich als erste geweigert, das Spiel mitzuspielen. Die Grünen sind noch unschlüssig und hoffen auf einen Handel, dass der Bauernverband ihre eigene Initiative unterstützt, wenn sie im Gegenzug bei seiner Initiative mithelfen. Die SVP-Fraktion, die ohnehin fast deckungsgleich mit dem SBV politisiert, hat ihre Ja-Parole bereits gefasst. Den Ausschlag geben dürfte am Schluss die FDP, welche bisher teilweise standhaft blieb, weil sie bei Annahme der Initiative eine weitere Marktabschottung befürchtet.
Unklar bleibt auch, inwieweit Parlamentarier aus dem Berggebiet dem Druck des SBV nachgeben werden. Denn die Berglandwirtschaft, die von der Agrarreform stark profitiert hat, würde mit Sicherheit zu den Verlierern einer Annahme der Initiative gehören.
Basisdemokratischer Schlaumeierei eine Abfuhr erteilen
Nach der Durchsetzungsinitiative, welche das bisherige System der direkten Demokratie auszuhebeln versuchte, indem sie Gesetze und Verordnungen gleich direkt in die Verfassung schreiben wollte, ist die Ernährungssicherheitsinitiative ein weiterer Versuch, mit einem Trick den Volkswillen für die eigenen Interessen zu missbrauchen – mit einem Initiativtext, der es allen recht macht und der vom Urheber erst nach Annahme der Initiative so interpretiert werden wird, wie es ihm vorschwebt. Es wäre wünschbar, dass bereits die Parlamentarier und nicht erst das Volk diesem Missbrauch der Basisdemokratie eine klare Abfuhr erteilen.
Vier Gründe, warum die Ernährungssicherheitsinitiative abzulehnen ist:
Die Initiative schafft Verwirrung und Unsicherheit: Der Text ist ausgesprochen vage und bringt gegenüber der bestehenden Verfassung nichts Neues, sondern schafft Doppelspurigkeiten.
Die Initiative ist eine Mogelpackung: Der Bauernverband hat sich bisher geweigert, Klartext zu reden, was er mit der Initiative will. Er wird den Initiativtext erst nach seiner allfälligen Annahme ausdeuten und dann die Politik und Verwaltung nach seiner Interpretation mit Verweis auf "den Volkswillen" unter Druck setzen.
Die Landwirtschaft braucht keine Verfassungsdebatte: Die bestehende Verfassungsgrundlage geniesst im Bereich Landwirtschaft ausserordentlich hohe Akzeptanz. Diese auf's Spiel zu setzen und mit einer vagen Initiative Unsicherheit zu schaffen ist fahrlässig und das Letzte, was die Landwirtschaft jetzt brauchen kann.
Die Initative entzweit die Landwirtschaft: Viele bäuerliche Organisationen lehnen die Initiative ab, andere stehen ihr äusserst skeptisch gegenüber. Uneinigkeit schadet der Landwirtschaft und kostet sie Energie, die sie dringend für konstruktive Auseinandersetzungen um ihre Zukunft braucht.
Wie hoch ist die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft? Sie wird in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes mit 2,2 Milliarden Franken angegeben. Doch die Zahl ist irreführend und verwischt die reale wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft, weil weder der Grenzschutz noch die erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft mitberücksichtigt sind. Die konventionelle landwirtschaftliche Gesamtrechnung wird ihrem Namen nicht gerecht. Das neue Faktenblatt von Vision Landwirtschaft zeigt, wie eine realitätsbezogene Berechnung, basierend auf Zahlen von Bund und OECD, aussehen müsste. Die Differenz zu den offiziellen Zahlen beträgt über 3 Milliarden Franken. Ausserdem wird eine Reihe weiterer wirtschaftlicher Kennzahlen für die multifunktionale Schweizer Landwirtschaft vorgeschlagen und berechnet. Unter anderem Kennzahlen für den Anteil der Direktzahlungen, die Leistungen abgelten, für die Stützung der Landwirtschaft insgesamt (ohne die Zahlungen für Leistungen) sowie für die Höhe der wichtigsten Umweltkosten der Landwirtschaft.
Mit den landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen steuert der Bund die Grobverteilung der Agrarausgaben. Am 18. Februar endet die Vernehmlassungsfrist zu den Zahlungsrahmen 2018-21. Vision Landwirtschaft lehnt die vom Bundesrat vorgeschlagene Kürzung bei den leistungsorientierten Direktzahlungen strikte ab und fordert stattdessen eine Kürzung und weitgehende Umlagerung der ineffizienten und kontraproduktiven „Versorgungssicherheitsbeiträge“.
(VL) Dass auch die Landwirtschaft in den kommenden Jahren ihren Beitrag zu den unvermeidlichen Budgetkürzungen leisten muss, kann angesichts der voraussichtlich dramatisch sinkenden Einnahmen der Bundeskasse kaum ernsthaft infrage gestellt werden. Wenn aber Kürzungen unumgänglich sind, dann müssen sie dort erfolgen, wo kein Schaden angerichtet wird und wo bestehende Ineffizienzen behoben werden können. Dies ist im jetzigen Vorschlag des Bundesrates zu den Zahlungsrahmen 2018-21 noch nicht der Fall. Vision Landwirtschaft fordert drei Korrekturen:
1. Keine Kürzung bei den Leistungsprogrammen
Die vom Bundesrat vorgeschlagenen Kürzungen von je 20 Mio. Franken bei den Beiträgen für Leistungen zugunsten der Biodiversität sowie der Landschaftsqualität lehnen wir aus folgenden Gründen strikte ab:
Die Bewirtschafter sind sowohl im Bereich Biodiversität wie im Bereich Landschaftsqualität mehrjährige Verträge bzw. Verpflichtungen eingegangen. Diese sind gegenseitig bindend, also sowohl vom Bewirtschafter wie vom Staat einzuhalten. Eine Kürzung der Beitragshöhen bei laufender Verpflichtungsperiode verstösst gegen Treu und Glauben und ist damit auch ordnungspolitisch inakzeptabel.
Die parlamentarischen Beschlüsse zur Agrarreform 2014-17 sahen deutlich höhere Beiträge für die Landschaftsqualität (LQ) vor, als sie heute vom Bund zur Verfügung gestellt werden: Aufgrund der grossen Nachfrage und einer zu geringen Alimentierung bei der Mittelverteilung wurden die Beiträge bis 2017 von maximal 360 Fr./ha auf 120 Fr./ha gekürzt. Ab 2018 sollte die Kürzung wieder aufgehoben werden. Dieses Versprechen ist einzuhalten. Zahlreiche Projekte haben ihre Massnahmen auf dieser Basis festgelegt. Es braucht also mehr und nicht weniger Mittel für die Landschaftsqualität. Diese kommen vor allem auch dem Berggebiet zugute, wo besondere Leistungen wie Trockenmauern oder der Verzicht auf eine aufwändige Erschliessung mit Teerstrassen abgegolten werden. Die Massnahmen wurden von den kantonalen Behörden, den Bauernverbänden und weiteren Organisationen in einem partizipativen Prozess sorgfältig erarbeitet.
Eine Kürzung bei den Leistungsbeiträgen Biodiversität (BFF) und Landschafsqualität (LQ) widerspricht den agrarpolitischen Zielsetzungen, bestehen doch sowohl bei der Biodiversität wie bei der Landschaftsqualität klare Ziellücken. Auch im erläuternden Bericht des Bundesrates wurden diese Defizite plausibel dargestellt. Mit Kürzungen bei den Leistungsbeiträgen würde der Bundesrat seine eigene Beurteilung negieren.
Eine Kürzung der BFF- und LQ-Beiträge würde das Berggebiet weit überproportional treffen, wo bereits jetzt pro eingesetzter Arbeitskraft viel weniger Direktzahlungen ausgerichtet werden und die landwirtschaftlichen Einkommen deutlich tiefer liegen als in den Gunstlagen. Damit würde der Bundesrat auch diesbezüglich expliziten Zielen der AP 2014-17 zuwiderhandeln.
Eine Kürzung bei den Leistungsbeiträgen ist schliesslich auch deshalb abzulehnen, weil es genügend andere Direktzahlungskategorien gibt, die sich als ineffizient oder kontraproduktiv erwiesen haben und sich für Kürzungen geradezu anbieten.
2. „Versorgungssicherheitsbeiträge“ kürzen
Zu den nicht zielführenden Zahlungen, wo Kürzungen sich anbieten, gehört insbesondere der Basisbeitrag der „Versorgungssicherheitsbeiträge“. Dieser pauschale Flächenbeitrag stellt mit rund einer Milliarde Franken jährlich den weitaus grössten Posten der Direktzahlungen dar. Die „Versorgungssicherheitsbeiträge“ wurden bis heute vom Bundesrat nie sachlich begründet auch nie auf ihre potenzielle oder reale Wirkung hin evaluiert. Ein politischer Vorstoss von Kathrin Bertschy, GLP, welcher eine längst fällige Wirkungsanalyse forderte, wurde von Nationalrat und Fast-Bauernverbandspräsident Andreas Aebi (SVP) blockiert. Die Angst vor Transparenz ist nicht ganz unbegründet. Verschiedene Untersuchungen weisen nämlich bereits heute darauf hin, dass die „Versorgungssicherheitsbeiträge“ so gut wie nichts mit der Versorgungssicherheit zu tun haben, sondern der Ernährungssicherheit und der bäuerlichen Landwirtschaft mehr schaden als nützen (siehe Faktenblatt Vision Landwirtschaft Nr. 5). So treiben diese Beiträge die Pachtzinsen in die Höhe und geben unerwünschte Anreize zu einer nicht marktorientierten und zugleich ökologisch nachteiligen Intensivierung der Produktion.
3. Umlagerung der „Versorgungssicherheitsbeiträge“ zu den Leistungsprogrammen
Die „Versorgungssicherheitsbeiträge“ bieten sich auch unabhängig von Sparverpflichtungen dringend für eine Umlagerung in Leistungsprogramme an, um die agrarpolitischen Ziele besser zu erreichen und die mangelhafte Effizienz der staatlichen Ausgaben für die Landwirtschaft zu verbessern. Insbesondere ein Ausbau der Instrumente der Produktionssystem- und Ressourceneffizienzbeiträge bietet vielfältige Potenziale für ökologische und ökonomische Verbesserungen der Schweizer Landwirtschaft.
Weitere Forderungen von Vision Landwirtschaft für die Zahlungsrahmen ab 2018 sind:
Lockerung der Abstufung der Direktzahlungen nach Fläche rückgängig machen.
Obergrenzen von 150‘000 Fr. Direktzahlungen pro Betrieb einführen und Einkommensobergrenze von 120'000 Fr. wieder einführen.
Korrekte Bemessung und Erhöhung Steillagenbeitrag.
Der Bauernverband demonstriert vor dem Bundeshaus gegen eine Kürzung der Direktzahlungen. Vision Landwirtschaft gibt im Artikel der NZZ zu bedenken, dass ein Teil der Direktzahlungen wesentlich für die Krise, unter welcher die Bauern leiden, mitverantwortlich sei und hinterfragt die enorme Abhängigkeit der Schweizer Landwirtschaft vom Staat.
Die Schweizer wie auch die globale Landwirtschaft werden nicht darum herumkommen, sich in den kommenden Jahrzehnten noch viel stärker auf die Nachhaltigkeit auszurichten, sagt Markus Jenny, Präsident von Vision Landwirtschaft, in einem Interview in der NZZ.
Gemäss einer kürzlich erschienen Umfrage erwartet die Schweizer Bevölkerung, dass die Schweizer Landwirtschaft den eingeschlagenen Weg der Agrarreform 2014-17 zu mehr Nachhaltigkeit weitergeht. In diesen Wochen wählt das Volk ein neues Parlament. Damit werden auch die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik gestellt.
(VL) Das Thema Landwirtschaft spielte in diesem Wahlkampf keine Rolle. Eigentlich verwunderlich, bemühen sich doch breite bäuerliche Kreise, die neue Agrarpolitik (AP14-17) schlecht zu reden. Dies obwohl die Fakten zur AP14-17 eine ganz andere Sprache sprechen. Wie eine kürzlich im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft erstellte Studie zu den Erwartungen der schweizerischen Bevölkerung an ihre Landwirtschaft zeigt, stützt die Schweizer Bevölkerung klar den Reformprozess der Agrarpolitik. Eine naturnahe Produktion von Nahrungsmitteln und die Erhaltung der ökologischen Vielfalt durch schonende Produktionsformen sind für die Bevölkerung besonders wichtige Anliegen.
Die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen können bei den bevorstehenden Parlamentswahlen über die zukünftige Entwicklung der Agrarpolitik mitentschieden. Die Crux dabei: Die Agrarpolitik ist komplex, und nur wenige Parteien und Parlamentarier äussern sich konkret zu ihren Zielen in der Landwirtschaft. Vision Landwirtschaft hat deshalb das agrarpolitische Verhalten der Parteien unter die Lupe genommen und ist dabei zu einem überraschenden Schluss gekommen.
Agrarpolitik scheint wie kaum ein anderer Politikbereich anfällig für Populismus. Als Populismus gilt in der Politik ein Verhalten, welches möglicherweise Wählerstimmen bringt, aber sachlich sinnvollen Lösungen und den eigenen Überzeugungen bzw. denjenigen der eigenen Partei zuwiderläuft. Warum im Landwirtschaftsbereich Sachpolitik oft einen schweren Stand hat, hat zwei wesentliche Gründe. Parlamentarier, vor allem solche aus bäuerlichen Kreisen, die sich in agrarpolitischen Abstimmungen gegen die Bauernlobby stellen, werden regelmässig angefeindet und ausgegrenzt. Dabei spielen die Landwirtschaftsmedien, die entweder dem Schweizer Bauernverband selber gehören oder mit diesem eng kooperieren, eine erhebliche Rolle. Nach jeder wichtigen agrarpolitischen Abstimmung erscheinen Artikel, welche diejenigen Politiker bzw. Parteien namentlich nennen, die in agrarpolitischen Abstimmungen nicht im Sinne des Bauernverbandes gestimmt haben. Eine kritische und ausgewogene Auseinandersetzung auf sachlicher Ebene findet in der bäuerlichen Presse praktisch nicht statt. Pauschalurteile und verbandskonforme Werthaltungen dominieren die Diskussion.
In den nichtbäuerlichen Medien werden agrarpolitische Abstimmungen parteipolitisch dagegen kaum je analysiert. Denn die Agrarpolitik interessiert ein breites Publikum wenig. Im Hinblick auf die eigene Popularität lohnt sich deshalb Sachpolitik im agrarpolitischen Bereich für Parlamentarier nicht – ein wichtiger Grund, warum die Agrarpolitik immer wieder von irrational scheinenden parlamentarischen Abstimmungsresultaten geprägt ist und warum scheinbar der Einfluss der "Bauernlobby" so gross ist.
Am konsequentesten für sachpolitische Lösungen, die zugleich in Übereinstimmung mit den Parteizielen liegen, hat sich die GLP eingesetzt. Diese hat sich zudem immer wieder mit eigenen Anträgen für eine zielorientierte Agrarpolitik im Sinne der klaren Verfassungsziele Art. 104 stark gemacht. Ebenfalls weitgehend der populistischen Versuchung widerstehen konnten die SP und die Grünen.
Wenig einheitlich agierten die Mitteparteien und die FDP. In der FDP finden sich auffallend oft Politiker, die bei der Landwirtschaft diametral gegen liberale Anliegen stimmen. Ein direkter Einfluss von Bauernverbandssekretär und FDP-Nationalrat Francois Bourgeois auf seine Parteikollegen ist unübersehbar. In der CVP hat sich die Balance zugunsten der Agrarlobby verschoben, seit CVP-Nationalrat Markus Ritter als neuer Bauernverbandspräsident seine Partei auf Kurs zu bringen versucht. Noch 2012, während der Debatte im Parlament zur Agrarreform, war dies anders. Damals gelang es dank Unterstützung einer Handvoll sachkundiger Politiker der Mitteparteien, wie dem Bündner BDP-Nationalrat Hassler, die mutigen Vorschläge des Bundesrates gegen erbitterten Widerstand von SBV und SVP weitgehend unbeschadet durch das Parlament zu bringen.
Praktisch geschlossen stimmt die SVP, und zwar fast ausnahmslos im Sinne der Agrarlobby. Dies ist aus sachpolitischer Warte erstaunlich. Als Partei, die sich Sparen bei Staatsausgaben und eine leistungsorientierte Verwendung von Steuergeldern ganz oben auf die Fahne geschrieben hat, stimmt die SVP im Landwirtschaftsbereich praktisch geschlossen für besonders ineffiziente Pauschalzahlungen anstelle zielorientierter Leistungszahlungen. Solche Widersprüche werden kaum je thematisiert. Vielmehr gelingt es der Partei, sich mit ihrem populistischen Engagement als bodenverbundene Bauernpartei zu profilieren.
Mit dem Wahlzettel wird auch Agrarpolitik gemacht. Parlamentarier, die eine von der Agrarlobby unabhängige, sach- und lösungsorientierte Politik zugunsten einer nachhaltigen Landwirtschaft machen, brauchen Mut und Rückgrat. An der Urne können wir dafür sorgen, dass nicht nur Populismus, sondern auch Rückgrat Stimmen bringen.
PS in eigener Sache: Darf eine Denkwerkstatt sich politisch einmischen? Denken und Handeln gehören für Vision Landwirtschaft zusammen. Und Handeln ist in der Schweizer Landwirtschaft ohne Einbezug der Politik wenig wirksam. Vision Landwirtschaft gibt keine Wahlempfehlungen ab. Wir betrachten es aber als unsere Aufgabe, nicht nur fundierte Facharbeit zu leisten, sondern auch Stellung in politischen Prozessen zu beziehen. Vision Landwirtschaft ist unabhängig, aber nicht neutral.
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BUNDESAMT FÜR LANDWIRTSCHAFT / MITTEILUNGEN 10.9. 2015
Erwartet werden von der Landwirtschaft gemäss der neuesten Umfrage vor allem eine schonende Bewirtschaftung der Fläche und eine naturnahe Produktion von Lebensmitteln, teilt das BLW mit. Ein etwas höherer Stellenwert als bei einer ersten Umfrage vor 8 Jahren wird tendenziell der Ökologie eingeräumt.
In der Sendung "Forum" von Radio SRF1 diskutieren ein Älpler, eine Bäuerin und der Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft über das neue Direktzahlungssystem - von ganz unterschiedlichen Warten und mit unterschiedlichen Schlussfolgerungen.
Die neuen Leistungsprogramme der AP 2014-17 sind bei den Landwirten gut angekommen - besser als vom Bund erwartet worden ist. Dies zeigen die aktuell präsentierten Zahlen des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW). Doch nun will das BLW den von ihm selber eingeleiteten Wandel teilweise schon wieder rückgängig machen. Die Biodiversitätsbeiträge sollen massiv gekürzt werden.
Mit mehreren Monaten Verspätung wurden heute die Zahlen zur Beteiligung der Landwirte an den neuen Programmen im ersten Jahr der Agrarpolitik 2014-17 präsentiert. Wie sich bereits abzeichnete, war die Akzeptanz der neuen Leistungsprogramme hoch – deutlich höher als vom Bund erwartet. Die Bauern sind offensichtlich bereit, ihren Beitrag zu einer nachhaltigeren Schweizer Landwirtschaft zu leisten.
Wie mit der Reform beabsichtigt werden durch die verschiedenen Leistungsprogramme die umweltschonende und tierfreundliche Landwirtschaft und eine kostengünstigere Produktion gestärkt. Im Gegenzug wird eine nicht standortgemässe, umweltschädliche Produktion etwas unattraktiver gemacht.
So haben die Biodiversitätsförderflächen, vor allem aber die Anteile von Biodiversitätsförderflächen mit Qualität zugenommen.
Sehr hoch war die Beteiligung der Betriebe am Programm der graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion insbesondere im Berggebiet. Von diesem Programm erhofften sich Bundesrat und Parlament einen bremsenden Effekt auf die überbordenden Futtermittelimporte und die zu hohen Tierbestände.
Marktverfälschungen wurden etwas reduziert – allerdings ohne dass die Produktion dadurch zurückgegangen wäre. Diese bewegte sich 2014 auf historischem Rekordniveau.
Generell fliessen mehr Beiträge ins Berggebiet und in Erschwernislagen – damit wird eine Kernforderung der Debatte zur Neuen Agrarpolitik in die Realität umgesetzt.
Die Entwicklung geht also weitgehend in die gewünschte und vom Parlament angedachte Richtung. Die Bäuerinnen und Bauern nutzen die bestehenden und neuen Direktzahlungs-Programme dynamisch und offensiv. Von einem Zusammenbruch der produzierenden Landwirtschaft, wie sie im Vorfeld der Reform immer wieder als Schreckgespenst an die Wand gemalt worden ist, kann keine Rede sein.
Soweit die gute Botschaft. Diese freut allerdings nicht alle. Einige Verbände, die nichts von dieser Reform wissen wollen, konnten das Bundesamt für Landwirtschaft offenbar derart unter Druck setzen, dass es bereits wieder den Rückwärtsgang eingelegt hat. Mit umfangreichen Verordnungsanpassungen – die unter dem irreführenden Titel "Administrative Vereinfachungen" kommuniziert wurden – sollen unter anderem die Leistungsprogramme um Dutzende von Millionen Franken gekürzt werden.
Weitaus am stärksten trifft es die Biodiversität. Das Bundesamt schlägt vor, die dafür vorgesehenen Beiträge um bis zu einem Drittel zu kürzen, insgesamt um mehrere Dutzend Millionen Franken pro Jahr. Dies, obwohl die Artenvielfalt in der Kulturlandschaft nach wie vor zurückgeht oder auf sehr tiefem Niveau verharrt. Bei einzelnen Betrieben würden die Kürzungen bis zur Hälfte der bisherigen Beiträge ausmachen. Für solche, die speziell auf die Biodiversitätsförderung gesetzt haben, ist dies ein Schlag ins Gesicht, der für einige gar existenzgefährdend wäre.
Ein solches Vorgehen handelt gegen Treu und Glauben und verhindert jede Planbarkeit. Es widerspricht auch dem Auftrag des Parlamentes, mit der AP 2014-17 die Direktzahlungen leistungsorientiert auszurichten. Vision Landwirtschaft weist das Herbstpaket mit seinen zahlreichen, wenig ausgegorenen Anpassungen in globo zurück.
Stattdessen fordern wir eine seriöse Auswertung der jetzt präsentierten Beteiligungsahlen und darauf aufbauend ein späteres, ausgewogenes Verordnungspaket, dessen Erarbeitung unter breitem Einbezug betroffener Kreise erfolgen muss.
Dabei darf das Oberziel nicht aus den Augen verloren gehen: Nämlich die Agrarpolitik in der angestossenen Richtung weiter zu entwickeln. Ausgelöst wurden die jetzigen Reformschritte durch den parlamentarischen Auftrag, die Agrarpolitik effizienter zu machen und zunehmend weg von den ineffizienten Pauschalzahlungen zu kommen. Nach wie vor werden derzeit 50% der Direktzahlungen pauschal ausgerichtet. Die Hälfte ist also nicht an konkrete Leistungen geknüpft. Wie mittlerweile vielfach nachgewiesen wurde, schaden solche Giesskannenzahlungen mehr als dass sie einen Nutzen bringen (siehe z.B. Faktenblatt Nr. 2). Die Pauschalzahlungen, insbesondere die problematischen Versorgungssicherheitsbeiträge, sind in einer nächsten Runde zugunsten von Leistungsbeiträgen weiter zu reduzieren. Eine effiziente Agrarpolitik ist also Gegenteil von der Politik, welche das Bundesamt für Landwirtschaft jetzt auf dem Verordnungsweg einzuleiten versucht.
Aus der Stellungnahme von Vision Landwirtschaft zum landwirtschaftlichen Verordnungspaket Herbst 2015:
Die vom Bundesamt für Landwirtschaft gemachten Vorschläge unter dem Titel "Administrative Vereinfachungen" sind einseitig, überzeugen fachlich nicht und haben keine administrative Entlastung zur Folge. Vielmehr verursachen sie auf allen Ebenen zusätzliche Aufwände im Zusammenhang mit unzähligen nötigen Anpassungen.
Darüber hinaus kritisieren wir grundsätzlich, dass derart weitgehende Anpassungen vorgeschlagen wurden, noch bevor Zahlen zur Akzeptanz und Beteiligung an den Programmen vorlagen, und dass die Vorschläge nicht unter ausgewogenem Einbezug betroffener Kreise erarbeitet worden sind. Wir beantragen deshalb einen generellen Verzicht auf die Anpassungen zur "Administrativen Vereinfachung" zum jetzigen Zeitpunkt und eine Verschiebung auf 2017 oder 2018 in wesentlich überarbeiteter Form.
Vision Landwirtschaft weist die Verordnungsanpassungen als unausgegoren und kontraproduktiv in globo zurück. Statt überstürzt so kurz nach Einführung der Neuen Agrarpolitik derart umfangreiche Anpassungen vorzunehmen, ist jetzt eine seriöse Auswertung der vorliegenden Beteiligungszahlen und ein sorgfältiges Planen der nächsten Reformschritte angesagt. Ein Verzicht auf das Verordnungspaket Herbst 2015 ist die grösste administrative Vereinfachung.
Der Gegenvorschlag des Bundesrates zur Ernährungsinitative ist vom Tisch. Die ablehnenden Stimmen der Vernehmlassung waren deutlich in der Mehrheit. Auch Vision Landwirtschaft hat sich dezidiert gegen einen Gegenvorschlag eingesetzt. Dieser hätte den Abstimmungskampf gegen die irreführende und unnötige Initiative des Schweizer Bauernverbandes stark erschwert.
Vision Landwirtschaft hat sich in ihrer Stellungnahme dezidiert gegen den direkten Gegenentwurf des Bundesrates zur Ernährungsinitiative des SBV geäussert. Die Bestehende Verfassung bietet eine gute Grundlage für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft und Agrarpolitik. Dazu hat sich auch der Bundesrat immer wieder bekannt. Mit seinem direkten Gegenentwurf für eine Verfassungsanpassung widerspricht sich der Bundesrat selber und schwächt damit seine Position bei der Bekämpfung der schädlichen Ernährungssicherheitsinitiative des Bauernverbandes. Die Vernehmlassungsfrist dauerte bis am
Das Image der Neuen Agrarpolitik ist unter Landwirten besser als oft kolportiert. Die Mehrheit der Landwirte begrüsst zudem eine ökologischere Ausrichtung. Dies zeigt eine neue Umfrage, deren Resultate in der neuesten Ausgabe der Fachzeitschrift "Agrarforschung Schweiz" präsentiert sind. Der Bauernverband kritisiert diese Umfrage.
Jetzt kommt auch der Schweizer Bauernverband (SBV) auf den Geschmack: Artenvielfalt, Landschaftsqualität, naturgemässe Fütterung mit Gras statt Kraftfutter sind sexy. Das gehört zur Schweizer Landwirtschaft und macht ihre Qualität aus. Mit einer grossen, vom Staat mit Millionenbeiträgen mitfinanzierten Kampagne macht der LID, der Mediendienst des SBV, genau dies zum Hauptthema.
"Die braune Milchkuh Sonja, der Geissbock Konrad, der Hofhund Max sowie ein Rotmilan sagen, was sie auf dem Hof sehen und welche Leistungen die Bauernfamilien erbringen:
Sie produzieren hochwertige Lebensmittel,
sie gehen umsichtig mit den natürlichen Ressourcen um,
sie sorgen für eine hohe Artenvielfalt und,
sie prägen mit ihrer Arbeit das Landschaftsbild der Schweiz."
Das schreibt LID/SBV zur Eröffnung ihrer Kampagne. Wer allerdings miterlebt hat, wie derselbe SBV bisher alles bis auf's Messer bekämpft hat, was auch nur andeutungsweise nach naturnah, nach Ressourcenschutz, nach Biodiversität, nach grasland- statt kraftfutterbasierter Fütterung oder nach Kühen mit Hörnern roch, reibt sich verwundert die Augen. Doch Schwamm drüber: Vision Landwirtschaft freut sich über dieses klare, ganz neue Bekenntnis des SBV und wird den Verband in Zukunft gerne daran messen.
Vision Landwirtschaft erachtet die Anhörungsunterlage als ungeeignet, um die unbestrittenen Ziele der Verordnungsanpassung zu erreichen – nämlich die Probleme zunehmender Antibiotikaresistenzen zu entschärfen. Damit die Verordnungsrevision tatsächlich zur Lösung der anstehenden Probleme beitragen kann, fordert Vision Landwirtschaft weitgehende Verbesserungen.
Bereits vier Landwirtschaftsinitiativen sind lanciert. Und nun will also auch noch der Bundesrat die Verfassung ändern. Damit ist das Gezerre um die Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik – bereits ein Jahr nach Einführung der neuen AP 2014-17 definitiv neu lanciert. Nicht sachliche Gründe, sondern verbandspolitische und wahltaktische Überlegungen stehen dahinter.
Der Aufwand, die Agrarpolitik mit der AP 2014-17 wenigstens ein klein wenig zielorientierter, nachhaltiger und verfassungsgemässer zu gestalten, war und ist riesig – für das Parlament, für die Verwaltung, für die Verbände, und nicht zuletzt auch für die Bauern. Es war deshalb ein breiter Konsens in Landwirtschaftskreisen: Jetzt braucht es vor allem Ruhe und Konsolidierung. Finger weg von raschen weitergehenden Anpassungen.
Zuerst brach der Schweizer Bauernverband (SBV) diesen Konsens mit seiner Ernährungssicherheitsinitiative. SBV-Präsident Ritter lancierte intern das Projekt explizit mit dem Ziel, die Agrarpolitik wieder zurückzudrehen. Der Verband, der sich in der parlamentarischen Debatte um die AP 2014-17 vergeblich mit Händen und Füssen gegen eine effizientere und gezieltere Verteilung der Agrargelder wehrte, hat seine Niederlage nicht verwunden und hofft mit seinem Initiativprojekt, so wieder Einfluss auf die Agrarpolitik zurückzugewinnen.
In Grabenkämpfen mit zielverwandten Gruppierungen hat sich der Bauernverband schliesslich mit einem nichtssagenden Text durchgesetzt, gegen den eigentlich niemand ernsthaft etwas haben kann – ausser dass er völlig unnötig ist und von der jetzigen Verfassung bereits abgedeckt wird. Auf der Strasse wurden die Leute zur Unterschrift motiviert mit dem Versprechen einer nachhaltigeren Schweizer Nahrungsmittelproduktion. Wer sollte da nicht unterschreiben? Generalstabsmässig organisiert, brachte der Verband die Unterschriften entsprechend rasch zusammen. Nur: Bis heute weiss niemand genau, was der Bauernverband mit seinem Text eigentlich will.
Lange wurde die blasse Initiative wenig ernst genommen. Das hat sich mit dem heutigen Entscheid des Bundesrates, dem Volk einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, geändert. Die Initiative erhält dadurch unnötiges Gewicht. Der Bauernverband und seine Medienportale reagierten enthusiastisch. Tatsächlich hätte ihm nichts Besseres passieren können. Endlich ist die ersehnte Aufmerksamkeit da.
Wie kommt der Bundesrat auf die abenteuerliche Idee, einer nichtssagenden Initiative einen Gegenvorschlag entgegenzustellen? Hinter der Aktion steht Landwirtschaftsminister Schneider-Ammann. Gegen den Willen des Bundesamtes für Landwirtschaft und vermutlich der meisten Bundesräte hat er diesen Gegenvorschlag durchgepeitscht. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Der Gegenvorschlag bietet die Chance, seinen gefährdeten Sitz vielleicht doch noch zu retten, indem sie ihm im Parlament einige Bauernstimmen bringt.
Abgesehen vom wahltaktischen Motiv ist der Gegenvorschlag ein gefährliches Unterfangen. Nicht nur lanciert er frühzeitig das Gezerre um die Agrargelder neu. Noch problematischer ist die verwirrliche Botschaft an das Volk. Der Bundesrat, der seine bisherige Agrarpolitik immer mit der Verfassung legitimierte, will nun diese selber anpassen?
Völlig ungeklärt ist auch die Frage, was ein doppeltes Nein des Volkes bedeuten würde. Die Verwirrung wäre perfekt. Vielleicht wäre es einfach ein Ausdruck davon, dass die Mehrheit offenbar die Nase voll hat vom Gezerre um Milliarden an Steuergeldern und der Orientierungslosigkeit der Agrarpolitik.
Die verbands- und wahltaktischen Manöver werden das komplexe und labile Gebäude der Agrarpolitik weiter schwächen. Es hat bisher nur dank eines breiten Grundkonsenses im Volk gehalten – nämlich dass Landwirtschaft uns allen wichtig ist und deshalb eine weltweit einzigartig hohe Unterstützung mit Bundesgeldern rechtfertigt. Dieser Grundkonsens erhielt schon in der Debatte um die AP 2014-17 erste feine Risse und wird durch die jetzt ablaufenden Ränkespiele wohl weiter bröckeln.
Für Vision Landwirtschaft besonders störend ist die Tatsache, dass der bestehende Verfassungsauftrag von 1996 – ein mit 78% der Stimmenden besonders breit abgestützter Volksentscheid bereits wieder ergänzt werden soll, noch bevor er auch nur einigermassen umgesetzt ist. Auch mit der neuen Agrarpolitik werden über 1,5 Milliarden Franken jährlich ohne klare Zielbestimmung und ohne jeglichen Nachweis ihrer Wirksamkeit im Hinblick auf die Verfassungsziele giesskannenmässig verteilt (s. Kästchen), während eine lange Reihe anerkannter Ziele unverändert ausser Reichweite bleiben und die Wertschöpfung der Landwirtschaft seit vielen Jahren immer weiter sinkt.
Eine konstruktive Diskussion zu führen über Agrarpolitik wird im Gewirre von Initiativen und Gegenvorschlag noch schwieriger. Nichtsdestotrotz: Vision Landwirtschaft wird weiterhin alles dran setzen, nahe an der Sache zu informieren und aufzuzeigen, dass eine nachhaltige, wirtschaftliche und deutlich effizientere, umweltfreundlichere Landwirtschaft – also die Umsetzung des bestehenden Verfassungsauftrages und die Schliessung der bisher unverändert grossen Ziellücken – nicht nur möglich, sondern auch im ureigenen Interesse der Bauernfamilien selber dringend nötig ist.
Gut zu wissen: Hohe Produktion von Lebensmitteln, aber ineffiziente Stützung durch den Staat
Das mit der Agrarpolitik 2014-17 revidierte Direktzahlungssystem gibt der Versorgungssicherheit hohe Priorität. Die Direktzahlungskategorie "Versorgungssicherheitsbeiträge" ist mit jährlich 1.1 Milliarden Franken (durchschnittlich rund Fr. 20'000.- pro Betrieb und Jahr) am höchsten dotiert. Allerdings weisen alle bisherigen Untersuchungen darauf hin, dass diese Versorgungssicherheitsbeiträge kaum etwas mit ihrem Ziel zu tun haben, sondern vielmehr die Versorgungssicherheit eher schwächen, indem sie eine ineffiziente, nicht standortgemässe um-weltschädliche Produktion fördern. Um die Ernährungssicherheit zu verbessern, müsste diese schädliche Direktzahlungskategorie in zielorientierte Instrumente umgelagert werden. Dafür braucht es keine Initiative, sondern lediglich die Umsetzung des bestehenden Verfassungsauftrages.
In der Agrarpolitik 2014-17 sind rund 80 Prozent der Direktzahlungen direkt an die Produktion von Lebensmitteln gekoppelt. Direktzahlungen ohne jeglichen Bezug zur Produktion existieren nicht. Die Schweizer Landwirtschaft produziert aktuell auf Rekordniveau. Eine Extensivierung, die immer wieder wie der Teufel an die Wand gemalt wird, ist inexistent. Auch vor diesem Hintergrund ist eine "Ernährungssicherheitsintiative" abstrus. Auch alle anderen Ziele sind mit der bestehenden Verfassung bereits abgedeckt. Nicht umsonst konnten die Initianten bisher nicht konkret sagen, was sie mit ihrer Initiative bezwecken – ausser dass die Agrargelder in Zukunft wieder möglichst "unbürokratisch" und ohne Leistungsnachweis verteilt werden sollen.
Vision Landwirtschaft erachtet eine Konsolidierung der neuen AP als vordringlich und begrüsst es, dass keine substanziellen Änderungen vorgenommen werden sollen. Bei einem aus unserer Sicht zentralen neuen Instrument der AP 2014-17 entspricht die jetzige Verordnung allerdings in wesentlichem Masse nicht den Unterlagen, die bei der Debatte um die neue Agrarpolitik dem Parlament zur Verfügung standen, nämlich beim Programm für Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion GMF.
Die auf allen Kanälen präsente Werbekampagne von Proviande zur Förderung des Konsums von Schweizer Fleisch wird vom Bund mit Millionen mitfinanziert. Die Hintergründe dieser unsinnigen Bundespolitik, die in eklatantem Widerspruch zu mehreren agrarpolitischen Zielen steht, hat Pro Natura in ihrem neuesten Magazin 1/2015 aufgezeigt.
Provisorische Auswertungen des "Schweizer Bauer" bestätigen die Prognosen: Die Bergland-wirtschaft erhält deutlich mehr Direktzahlungen als in der "alten" Agrarpolitik. In einigen Berg-kantonen ist es gemäss eigenen Recherchen ein Plus von mehr als 12%. Verlierer sind Mittel-landkantone, welche keine oder nur regional Landschaftsqualitätsprojekte entwickelt haben. Definitive Zahlen sind allerdings nicht vor Februar 2014 zu erwarten.
Kaum liegen die ersten Direktzahlungsabrechnungen der Landwirtschaftsbetriebe vor, werden sie gleich für politische Zwecke instrumentalisiert. Mit irreführenden Zahlen von Einzelfällen wollen einige bäuerliche Kreise zeigen, wie "katastrophal" sich das neue Direktzahlungssystem auswirke. Doch eine seriöse Übersicht wird nicht vor Anfangs Februar 2015 vorliegen. Was es jetzt braucht ist nicht eine Neulancierung des politischen Seilziehens, sondern ein konstruktiver Blick nach vorne. Im Zentrum muss die Unterstützung der Bauern und Bäuerinnen bei der Umsetzung der neuen Programme stehen. Denn sie sind es, die eine nachhaltigere, wirtschaftlichere Landwirtschaft erst möglich machen.
Die ersten, provisorischen Abrechnungen verleiten zu weitreichenden Schlüssen. Doch um die tatsächlichen Auswirkungen der neuen Agrarpolitik AP 2014-17 auf die Landwirtschaftsbetriebe seriös zu beurteilen ist es schlicht zu früh. Von einzelnen, teilweise masslos aufgebauschten Verlierern auf die ganze Landwirtschaft zu schliessen ist billiger Populismus. Es wird voraussichtlich bis Februar dauern, bis Seitens der Kantone und des Bundes detaillierte und verlässliche Zahlen vorliegen, welche Regionen, welche Betriebstypen, welche Produktionsrichtung eher profitierte und welche eher Einbussen hinnehmen mussten.
Was kann derzeit mit Sicherheit gesagt werden?
Gewinner und Verlierer halten sich die Waagschale. Denn die Höhe der Direktzahlungen bleibt mit 2,8 Mrd. Franken insgesamt gleich.
Wer sich bewegt, hat vielfältige und sinnvolle Möglichkeiten, um mögliche Verluste mit den neuen Programmen der Direktzahlungen auszugleichen oder gar überzukompensieren. Das haben Analysen von Betrieben mit schwieriger Ausgangslage gezeigt
Die Betriebe sind beweglicher als der Bund erwartet hat. Die Teilnahme an den neuen Programmen übertrifft die Prognosen teils beträchtlich, wie die neuesten Zahlen zeigen. Dies spricht für die pragmatische, positive Haltung der Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe.
Das Einkommen der Landwirtschaft hängt keineswegs nur von den Direktzahlungen ab. Das grösste Potenzial zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Einkommens liegt in der Reduktion der derzeit in der Schweiz viel zu hohen Produktionskosten und einer ressourceneffizienteren Produktion. Die Anreize des neuen Direktzahlungssystems helfen mit, diese Potenziale besser zu nutzen. Dies hilft auch der Umwelt, weil die meisten der teuer eingekauften Vorleistungen der Landwirtschaft der Umwelt schaden (z.B. Kraftfuttereinsatz) .
Die vom Schweizer Bauernverband und seinen Medienportalen genannten Beispielbetriebe, die gravierend verlieren sollen, haben mit Sicherheit die Möglichkeiten nicht ausschöpft, die ihnen das neue System zur Verbesserung des Einkommens bietet. An solchen Betrieben die neue Agrarpolitik zu messen ist unseriös und kontraproduktiv (s. Kästchen).
Was es jetzt braucht ist der positive Blick nach vorne. Die zentrale Frage ist dabei: Wie können die Landwirtschaftsbetriebe optimal darin unterstützt werden, damit sie die Möglichkeiten hin zu einer verfassungsgemässen, das heisst ressourceneffizienteren, wirtschaftlicheren, standortgerechteren und umweltfreundlicheren Landwirtschaft auch tatsächlich nutzen können? Vision Landwirtschaft will dazu einen Beitrag leisten und sucht mit Partnerorganisationen nach pragmatischen Wegen, um Landwirtschaftsbetriebe umfassend gesamtbetrieblich unterstützen zu können. Die ersten Resultate sind vielversprechend.
Wermutstropfen GMF
Auch wenn erst vereinzelte Übersichtsdaten vorliegen – einige Wermutstropfen des neuen Systems sind dennoch nicht zu übersehen. Der bitterste betrifft zweifellos das neue Programm der "Graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion" (GMF). Gemäss Meldung des Bundesamtes für Landwirtschaft haben sich 70% der Landwirte beim GMF-Programm angemeldet – in Grünlandgebieten die grosse Mehrheit der Betriebe. Im Kanton Graubünden sind es gemäss einer Schätzung gar gegen 100%. Damit ist das eingetroffen, was Vision Landwirtschaft prognostiziert hat: Das GMF-Programm ist derart verwässert worden, dass es zu einem JeKaMi ("jeder kann mitmachen") degeneriert ist. Als verkappten Tierhalterbeitrag steht es heute praktisch allen Betrieben mit Raufutterverzehrern offen. Mit graslandbasiert hat es wenig am Hut. Doch wenn alle scheinbar gewinnen, verlieren die, die tatsächlich eine Leistung erbringen. Denn für sie fehlt das Geld, das bereits giesskannenmässig verteilt ist.
Verlierer Mutterkuhhalter
Die grossen Verlierer dieses Spiels dürften im Falle des GMF-Beitrages neben Milchproduzenten mit wenig oder keinem Kraftfuttereinsatz vor allem die Mutterkuhhalter sein. Sie füttern naturgemäss wenig Kraftfutter und wären prädestiniert gewesen für dieses Programm. Bei den Mutterkuhbetrieben kommt erschwerend dazu, dass sie aus verschiedenen Gründen mehr Probleme haben, allfällige Direktzahlungsverluste zu kompensieren – dies, obwohl viele hohe ökologische Leistungen erbringen. Mit einem GMF-Beitrag, welcher diesen Namen verdient und der wie ursprünglich in der parlamentarischen Debatte noch versprochen auch attraktive Prämien geboten hätte, wäre ein Ausgleich für die Mutterkuhhalter möglich gewesen. Nun müssen diese Betriebe den von 300 auf 200 Fr./ha reduzierten GMF-Beitrag mit dem Grossteil der Tierhalter teilen, die ihre Tiere deutlich weniger "graslandbasiert" füttern. Vision Landwirtschaft will mit Unterstützung tatsächlich graslandbasierter Produzenten erreichen, dass dieses Programm in der ursprünglich angedachten Form doch noch zum Leben erweckt wird – mit Anforderungen, die dem Wort "graslandbasiert" tatsächlich entsprechen, und mit Beiträgen, die diese Leistung angemessen und attraktiv entschädigen.
In die richtige Richtung
Trotz einiger Wermutstropfen gehen die Anreize mehrheitlich in die vom Landwirtschaftsartikel in der Bundesverfassung vorgegebene Richtung und das neue Direktzahlungssystem scheint bei der grossen Mehrheit der Bauern anzukommen. Die Agrarallianz, welche bäuerliche Organisationen sowie die Konsumenten-, Umwelt- und Tierschutzorganisationen vertritt, spricht sich deshalb für Kontinuität in der Landwirtschaftspolitik der nächsten acht Jahre aus. Diese Haltung unterstützt auch Vision Landwirtschaft. "Die Bäuerinnen und Bauern soll man jetzt arbeiten lassen. Das schafft Vertrauen. Ohne Vertrauen sowie verlässliche Rahmenbedingungen lässt sich die Zukunft nicht gestalten. Korrekturen der geltenden Gesetzesgrundlagen sind nur glaubwürdig, wenn die Erfahrungen mit dem weiterentwickelten Direktzahlungssystem umfassend und transparent ausgewertet werden", schreibt die Agrarallianz in ihrer Medienmitteilung.
Weiterführende Informationen:
Hohe Beteiligung an den neuen Direktzahlungsprogrammen: Medienmitteilung des Bundes mit provisorischen Zahlen zur Mittelverteilung
Selten sind sich die Experten so einig: Die vom Bundesamt für Landwirtschaft vorgeschlagenen "Blühstreifen" als neues Element für den ökologischen Ausgleich schaden der Artenvielfalt im Ackerbaugebiet mehr als dass sie ihr nützen. Dennoch hält der Bund an den Blühstreifen fest.
Um die Artenvielfalt im Landwirtschaftsgebiet zu erhalten, ist die Anzahl an unterschiedlichen Lebensräumen entscheidend. Bio-Betriebe ohne gezielte Fördermassnahmen wie die Schaffung zusätzlicher artenreicher Lebensräume haben nur eine geringfügig grössere Artenvielfalt als die übrigen Betriebe. Das zeigt eine Studie in zehn europäischen und zwei afrikanischen Regionen.
Setzt die Agrarpolitik 2014-17 bessere Anreize als bisher, damit sich die Landwirtschaft in Richtung der Verfassungsziele entwickelt, nachhaltiger und kostengünstiger produzieren kann? Eine von Vision Landwirtschaft in Auftrag gegebene Untersuchung ist dieser Frage auf dreizehn Landwirtschaftsbetrieben verschiedener Ausrichtung im Detail nachgegangen.
Setzt die Agrarpolitik 2014-17 bessere Anreize als bisher, damit sich die Landwirtschaft in Richtung der Verfassungsziele entwickelt, nachhaltiger und kostengünstiger produzieren kann? Eine in diesem Faktenblatt zusammengefasste Untersuchung von Vision Landwirtschaft ist dieser Frage auf dreizehn Landwirtschaftsbetrieben verschiedener Ausrichtung nachgegangen. Die Ergebnisse zeigen, dass auch bei schwieriger Ausgangslage vielfältige Möglichkeiten bestehen, auf das neue Direktzahlungssystem zu reagieren und das Einkommen mit mode- raten Anpassungen zu halten oder zu verbessern. Betriebe, die an den neuen Programmen nicht teilnehmen wollen, verlieren dagegen aufgrund der jährlich sinkenden Übergangsbeiträge in den meisten Fällen Direktzahlungen. Doch die Änderungen sind moderat, denn noch immer wird gut die Hälfte der Direktzahlungen nicht leistungsorientiert ausgeschüttet.
Bis Ende 2018 müssen die Kantone entlang von Gewässern Gebiete festlegen, die dem Gewässer- und Hochwasserschutz dienen. Ein neues Merkblatt zeigt, wie die Ausscheidung zu erfolgen hat.
Die Agrarpolitik 2014-17 bringt grundlegende Neuerungen. Das verunsichert viele Bauern. Johann Inniger, Vorstandsmitglied von Vision Landwirtschaft und Bergbauer und ein profunder Kenner der Materie, gibt in einem Interview im "Futigländer" Antworten auf viel gestellte Fragen.
Vision Landwirtschaft (VL) hat die neue Agrarpolitik entscheidend beeinflusst. Viele der Neuerungen gehen direkt oder indirekt auf die Denkwerkstatt zurück. Ein neu aufgebautes, gut funktionierenden Netzwerk und die immer wieder taktgebende inhaltliche Grundlagenarbeit von VL verhalfen vielen Reformvorschlägen im Parlament auch gegen massiven Widerstand konservativer Kreise zum Durchbruch. Bei aller Freude über das Erreichte: Die AP 2014-17 ist erst ein Schritt in Richtung einer ressourcenschonenden Landwirtschaft und einer effizienten, zielorientierten Agrarpolitik.
(VL) Mit der Verabschiedung des umfangreichen agrarpolitischen Verordnungspaketes heute durch den Bundesrat ist der letzte Schritt des Reformprojektes AP 2014-17 Seitens des Bundes getan. Am 1.1.2014 treten die zahlreichen Neuerungen in Kraft.
Äusserlich bleibt zumindest bei den Direktzahlungen kaum ein Stein auf dem anderen. Wichtige bisherige Beitragskategorien – beispielsweise die allgemeinen Tierbeiträge und die Allgemeinen Direktzahlungen – fallen weg. Andere erhalten neue Namen: so werden beispielsweise Ökoflächen zu Biodiversitätsförderflächen oder Biobeiträge zu Produktionssystembeiträgen. Und zahlreiche Instrumente und Kategorien wie die Kulturlandschaftsbeiträge oder die Landschaftsqualitätsbeiträge sind – teilweise allerdings nur scheinbar – neu.
Neues Direktzahlungskonzept ist richtungsweisend
Konzeptionell überzeugt das neue Direktzahlungssystem: Alle Beitragskategorien sind so benannt, dass ihre Bezeichnung den betreffenden verfassungbasierten Zweck klar umschreibt (s. Abb. 1). Damit wird eine zentrale Forderung aus dem Weissbuch Landwirtschaft von VL erfüllt. Die darin besonders kritisierten Allgemeinen Direktzahlungen, welche im bisherigen System 80% aller Direktzahlungen umfassten, fallen in Zukunft weg bzw. wurden umgelagert.
So überzeugend das Grundkonzept ist, so viele Schlupflöcher und Inkonsequenzen beinhal-tet es in der konkreten Ausgestaltung. Die grösste Schwachstelle sind die "Versorgungssicherheitsbeiträge". Vision Landwirtschaft hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie zum allergrössten Teil nichts mit der Versorgungssicherheit zu tun haben, sondern diese sogar behindern (z. B. Faktenblatt Nr. 2). Dennoch werden sie mit jährlich einer Milliarde Franken alimentiert und überflügeln damit alle anderen Direktzahlungskategorien bei weitem. Da sie zum grössten Teil nicht an eine gemeinwirtschaftliche Leistung gebunden sind, sind sie nichts anderes als die bisherigen "All-gemeinen Direktzahlungen", nur neu verpackt mit einer besser verkäuflichen Etikette.
Zusammen mit weiteren Schlupflöchern resultiert unter dem Strich ein System, das zwar vom Namen her vollständig verfassungskonform und leistungsorientiert ist, de facto aber immer noch gut 50% nicht leistungsorientierte, meist mehr schädliche als nützlich Pauschalzahlungen beinhaltet.
Bundesratskompromiss immerhin nicht weiter verwässert
Dennoch: Angesichts des massiven Widerstandes Seitens des Schweizerischen Bauernverbandes SBV und einiger Parteien, vor allem der SVP und teilweise der CVP, ist dieses Resultat realpolitisch gesehen respektabel. Es entspricht in fast allen Punkten dem ursprünglichen Kompromissvorschlag des Bundesrates, der viele Anregungen von Vision Landwirtschaft und anderen Mitgliedorganisationen der Agrarallianz aufgenommen hat. Einige von der Denkwerkstatt vorgeschlagene Neuerungen konnten sogar über den Bundesratsvorschlag hinaus erfolgreich in den politischen Prozess eingebracht werden. Dazu zählt insbesondere der für das Berggebiet wichtige Beitrag für Höfe mit einem hohen Steillandanteil (siehe Faktenblatt 3). Dieser neue Beitrag wird das weitere Einwachsen steiler, für die Biodiversität und die Landschaft aber oft besonders wichtiger Flächen eindämmen und das besonders niedrige Einkommen von Höfen in topographisch schwierigen Lagen um mehrere tausend Franken erhöhen.
Die zahlreichen Versuche der Reformgegner, den bundesrätlichen Kompromissvorschlag so weit als möglich abzuschwächen oder ganz zu verhindern, sind in den parlamentarischen Verhandlungen weitestgehend gescheitert. Dass schliesslich auch ein Referendum mangels genügender Unterschriften nicht zustande kam, zeigt, dass eine rückwärtsgewandte Agrarpolitik von breiten Kreisen unserer Gesellschaft nicht mehr mitgetragen wird.
Agrarpolitik unter neuen Umständen
Seit Jahrzehnten ist es das erste Mal, dass sich der Bauernverband und seine Verbündeten mit ihren Forderungen im Parlament nicht durchsetzen konnten. Ohne die Hintergrundarbeit von Vision Landwirtschaft und die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit zahlreichen Organisationen und Politikern, die sich konsequent für eine Reform einsetzten, wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.
Warum es gelang, in enger Zusammenarbeit mit anderen Organisationen selbst mit verhältnismässig geringen personellen und finanziellen Ressourcen Reformen gegen ein starkes politisches Establishment durchzusetzen, ist für die weitere Arbeit der Denkwerkstatt wichtig. Ausschlaggebend waren vor allem vier Konstellationen:
Erstens gehört die Agrarpolitik zu den komplexesten Politikbereichen überhaupt. Die Folge: In den Details kennen sich meist nur bäuerliche Politiker einigermassen aus. Kaum ein nichtbäuerlicher Parlamentarier oder Parlamentarierin wagte es in der Regel bisher, gegen Bauernpolitiker anzutreten. Wenn im entscheidenden Moment die fundierten Argumente fehlen, besteht das persönliche Risiko, mit abgesägten Hosen dazustehen oder gar von Bauernseite lächerlich gemacht zu werden. Vision Landwirtschaft konnte dieses Ungleichgewicht mit konstanter Hintergrundarbeit teilweise aufheben. Mittels Argumentarien, Faktenblättern, Gesprächen mit Politikern, kurzfristig auf Anfrage erstellten Analysen und Informationen hat die Denkwerkstatt ParlamentarierInnen und Lobbyisten, welche die Reform befürworteten, regelmässig und zeitnah aufdatiert. Für den SBV war es unerwartet, dass aus nichtbäuerlichen Kreisen Argumente kamen, die oft stichhaltiger und differenzierter waren als diejenigen aus den eigenen Reihen.
Zweitens gelang es Vision Landwirtschaft, eine zunehmende Zahl von Bauern – insbesondere jetzt schon nachhaltig und marktorientiert produzierende Landwirte sowie Bergbauern – davon zu überzeugen, dass die Politik des Bauernverbandes in ganz wichtigen Punkten gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ist. Vor allem der Berglandwirtschaft haben die Vorschläge des Bauernverbandes regelmässig das Wasser abgegraben zugunsten der viel besser dastehenden Talbetriebe. Vision Landwirtschaft gründete einen "Runden Tisch Berggebiet", welcher die gemeinsamen Anliegen der Berglandwirtschaft erstmals wirksam bündeln konnte. Die Annahme vieler reformorientierter Gesetzesparagrafen gelang im Parlament letztlich darum, weil bäuerliche Vertreter aus dem Berggebiet sich vom SBV distanzierten. Aber auch Produzentenorganisationen, insbesondere Bio Suisse und IP-Suisse engagierten sich für eine auf Qualität, Wertschöpfung und Ökologie ausgerichtete Politik. Diese zunehmende Opposition innerhalb der Bauernschaft gegen den SBV war ein Novum und hat stark an der Glaubwürdigkeit des Verbandes gekratzt.
Drittens: Vision Landwirtschaft konnte seit der Gründung ein breites Netzwerk mit reformorientierten Organisationen und Personen aufbauen. Die Facharbeit der Denkwerkstatt floss damit direkt in ganz verschiedene Kanäle ein. Die hohe Sachkompetenz und Glaubwürdigkeit des Vereins trug dazu bei, dass sich politisch einflussreiche Organisationen zunehmend auf die Analysen und Argumentarien von Vision Landwirtschaft abstützten. Zudem leisteten Geschäftsstellen- und Vorstandsmitglieder in verschiedenen Arbeitsgruppen und Gremien immer wieder Überzeugungsarbeit und konnten bei wichtigen Punkten neue Allianzen schmieden. Vision Landwirtschaft trug so zusammen mit den Umwelt-, Konsumenten- und fortschrittlichen Bauernorganisationen massgeblich dazu bei, dass eine breit abgestützte, re-formorientierte Allianz entstand, die koordiniert am gleichen Strick zog und immer wieder auch in heiklen Situationen gut funktionierte. Wiederholt spielte diese bei besonders umkämpften Abstimmungen – beispielsweise bei der Abschaffung der Tierbeiträge oder bei der Einführung der Landschaftsqualitätsbeiträge – das Zünglein an der Waage zugunsten der Reform.
Und viertens: Dies alles gelang nur, weil viele sachliche Gründe eindeutig für die Reform sprachen – nicht nur im Hinblick auf Umwelt und Nachhaltigkeit, sondern auch in ökonomischer Hinsicht, d.h. in Bezug auf die Wertschöpfung und das Einkommen der Landwirtschaft. Trotz der Komplexität der Materie gelang es immer wieder, die Vorteile einer Reform in den Medien und in der Politik plausibel aufzuzeigen. Dies gipfelte darin, dass auf einen politischen Vorstoss hin der Bundesrat einen Bericht veröffentlichte, der zeigte, dass eine noch konsequentere Reform als der von ihm vorgeschlagene Kompromiss nicht nur der Umwelt Vorteile brächte, sondern auch das Einkommen der Bauern noch stärker erhöht hätte, ohne dass die Ernährungssicherheit geschmälert worden wäre. Die hauptsächlich auf Mehrproduktion hin ausgerichtete Politik des SBV dagegen hätte zum tiefsten Einkommen geführt.
Neue Rahmenbedingungen gewinnbringend nutzen
Die ab 2014 geltenden gesetzlichen Vorgaben sind nur das eine. Entscheidend wird nun sein, wie die Bauern und Bäuerinnen in den kommenden Jahre die Herausforderungen umsetzen werden. Detailanalysen von Vision Landwirtschaft auf ausgewählten Betrieben zeigen, dass selbst unter schwierigen Ausgangslagen – hohe Tierzahlen, Futterzukauf, ausgereizte Nährstoffbilanz etc. – das Einkommen gehalten oder verbessert werden kann, sofern die Betriebsleiter klug auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren. Bereits jetzt auf nachhaltige, ressourcenschonende Produktion hin orientierte Betriebe und Höfe im Berggebiet, welche schon bisher sehr viele gemeinwirtschaftliche Leistungen erbracht haben, werden dagegen auch ohne Anpassungen deutlich besser fahren als bei der bisherigen Agrarpolitik. Damit setzt das neue System die richtigen Anreize und verteilt die Direktzahlungen gerechter als bisher. Vision Landwirtschaft will dazu betragen, die Betriebe bei ihrem Anpassungsprozess zu unterstützen. Positive Beispiele sollen ein Umdenken einleiten, und unseren Bauern und Bäuerinnen Mut machen, auf eine nachhaltige, ressourcenschonende Landwirtschaft statt auf Massenproduktion zu setzen. Denn die Reform in diese Richtung wird und muss weitergehen.
Nach der Reform ist vor der Reform
Unser Ziel für die nächste Etappe, die Agrarpolitik 2018ff., ist ein substanzieller weiterer Abbau der Pauschalzahlungen zugunsten der Leistungszahlungen – und entsprechend weitere Verbesserungen bei der Wertschöpfung, der Nachhaltigkeit, der Qualität, beim bäuerlichen Einkommen und bei einer effizienten, ressourcenschonenden Produktion.
Harte Auseinandersetzungen sind allerdings auch in Zukunft vorprogrammiert. Denn die Reformgegner haben wiederholt klar gemacht, dass sie alles daran setzen werden, das Rad ab 2018 so weit als möglich wieder zurückzudrehen. Damit dies nicht eintrifft, sondern die noch nicht realisierten Verbesserungen in den kommenden Jahren gezielt an die Hand genommen werden, wird es Vision Landwirtschaft auch in Zukunft dringend brauchen.
Zukunft von Vision Landwirtschaft von Spenden und Mitgliedern abhängig
Vision Landwirtschaft muss seine finanzielle Basis in den nächsten Jahren diversifizieren. Deshalb sind wir mehr denn je auf Unterstützung von interessierten Einzelpersonen, Verbänden und Organisationen angewiesen, welche ein aktives Interesse an einer nachhaltigen und effizienten Schweizer Landwirtschaft haben. Wir freuen uns sehr, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen, dem Verein als Mitglied beitreten oder ihn mit einem kleinen oder grösseren Beitrag unterstützen.
Abb. 1: Das neue Konzept der Direktzahlungen in der Agrarpolitik 2014-17. Quelle: BLW
Das hat der Bundesrat bei den Verordnungen entschieden
Von den Verwässerungen in den Verordnungstexten, welche noch in der Anhörungsunterlage des Bundesamtes für Landwirtschaft vom letzten Frühling aufschreckten und die Vision Landwirtschaft zu verschiedenen Interventionen veranlassten – wir berichteten im Juni-Newsletter ausführlich darüber – sind immerhin einige wieder rückgängig gemacht worden, andere wurden dagegen belassen.
Die kritisierte Senkung einiger Beiträge für Ökoflächen- bzw. neu Biodiversitätsförderflächen gegenüber dem heutigen Stand wurde aufgehoben. Bis auf einige weiterhin prob-lematische Details bestehen im Bereich Biodiversität damit gute Grundlagen.
Ein wichtiger Punkt ist der Mindesttierbesatz, bei dem das Bundesamt für Landwirtschaft die zahlreichen Eingaben berücksichtigt und den Schwellenwert gesenkt hat. Ohne diese Anpassung hätten zahlreiche Betriebe ihre Tierzahl aufstocken müssen, um wichtige Direktzahlungsbestandteile geltend machen zu können. Von den kritisierten Verwässerungen, die nicht rückgängig gemacht wurden, sind die folgenden zwei besonders problematisch und führen auf nachhaltig ausgerichteten Betrieben zu Einkommenseinbussen von mehreren tausend Franken gegenüber der im Parlament diskutierten Vorlage:
Die stark abgeschwächte, nun völlig zahnlose Regelung des Beitrages für Gras-landbasierte Milch- und Fleischproduktion degradiert dieses Instrument zu einem weiteren Pauschalbeitrag. Griffige Anforderungen und attraktive Beiträge hätten gerade für die Qualitätsstrategie im Grünland eine zentrale Funktion gehabt und einen Anreiz gegeben, Fehlentwicklungen in der Milchproduktion zu bremsen (siehe unser März-Newsletter (Verlinken). Allein das Kraftfutter, das den Schweizer Milchkühen verfüttert wird, braucht im In- und Ausland Ackerland, das 2 Millionen Men-schen zusätzlich ernähren könnte.
Eine bedauerliche Verwässerung gegenüber dem vom Parlament diskutierten Entwurf stellen auch die stark gekürzten Beiträge für Landschaftsqualität dar. De facto können bis 2017 in den meisten Kantonen weniger als ein Drittel der ur-sprünglich vorgesehenen Beiträge ausgerichtet werden, nämlich 120 statt 400 Franken pro Hektare. Damit können entweder nicht alle Betriebe mitmachen, oder viele Leistungen können nicht angemessen entschädigt werden, insbesondere im Berggebiet.
Die Verordnungen, zu denen die Anhörung Ende Juni 2013 abläuft, bringen zwar viele Verbesserungen gegenüber heute, halten insgesamt aber nicht, was die bundesrätliche Botschaft und auf deren Basis das Parlament versprochen haben. Verlierer sind das Berggebiet, die Umwelt, die Wertschöpfung und das Einkommen der Landwirtschaft. Vision Landwirtschaft fordert substantielle Korrekturen. Die AP 2014-17 mit einem Referendum zu bekämpfen, lehnen wir aber trotz unserer Kritik entschieden ab.
(VL) Das Positive vorweg: Ein Grossteil der Verordnungen, wie sie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) im vergangenen April in die Anhörung gab, bringt wesentliche Verbesserungen gegenüber heute und entspricht einer Umsetzung der Entscheide des Parlamentes.
Doch es gibt zahlreiche Ausnahmen, und diese führen insgesamt zu einer starken Verwässerung der bundesrätlichen Botschaft und der vom Parlament grossmehrheitlich geforderten besseren Ziel- und Leistungsorientierung der Direktzahlungen. Das widerspricht den parlamentarischen Entscheiden.
Keine Kürzung der Beitragsansätze bei den Leistungsprogrammen!
Gemäss dem vorliegenden Anhörungsentwurf zu den Verordnungen wird ein Grossteil der leistungsbezogenen Beitragshöhen gegenüber der Botschaft des Bundesrates zusammengestrichen – teilweise um mehr als die Hälfte (>> Details hier). Insbesondere für die ökologischen Ausgleichflächen – neu Biodiversitätsflächen genannt – gehen die Beiträge zurück, und zwar nicht nur gegenüber der Botschaft, sondern auch gegenüber heute. Von einer Ökologisierungsvorlage kann also in keiner Weise die Rede sein.
Besonders stossend sind auch die Kürzungen bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen und bei den Beiträgen für das neue Programm der Graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion (GMF). Für die Landschaftsqualität sollen pro Betrieb im Extremfall weniger als ein Drittel der ursprünglich vorgesehenen Beiträge möglich sein. Auch die GMF-Beiträge, welche die qualitativ hochwertige Milchproduktion unterstützen und den problematischen und teuren Einsatz von – vor allem importiertem – Kraftfutter einschränken, sollen so stark gekürzt werden, dass sie schlicht nicht mehr attraktiv sind.
Gemäss Auskünften des federführenden Bundesamtes für Landwirtschaft BLW gehen die Beitragskürzungen auf eine vom Amt erwartete höhere Nachfrage zurück. Warum gegenüber den aufwändigen Modellierungen, welche der Botschaft zugrunde lagen, nun plötzlich von einer viel höheren Nachfrage bei den Leistungsprogrammen ausgegangen werden soll, bleibt im Dunkeln.
Höhere Nachfrage wäre im Sinne der Reform
Sollte die Nachfrage tatsächlich grösser sein als erwartet, d.h. ist die Bereitschaft der Landwirte grösser, ihre Bewirtschaftung im Sinne der agrarpolitischen Ziele anzupassen und die Leistungsprogramme zu nutzen, ist dies vollumfänglich im Sinne der Reform und positiv zu werten. Entsprechend sind die dafür zusätzlich nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies entspricht auch dem Auftrag des Parlamentes, die Direktzahlungen zielgerichtet umzulagern.
Tausende von Betrieben haben mit den im Rahmen der Botschaft publizierten Beitragshöhen der einzelnen Direktzahlungskategorien die Auswirkungen auf ihren Betrieb berechnet oder berechnen lassen und daraus ihren Anpassungsbedarf hergeleitet. Es geht nicht an, dass diese Beitragshöhen nun ohne Not und ohne fundierte Begründung gekürzt werden. Wie das Beispiel im Kästchen zeigt, verlieren dadurch einerseits das Berggebiet hohe Summen an Direktzahlungen, andererseits werden diejenigen Betriebe, welche bereit sind, die angestrebten Leistungen zu erbringen, benachteiligt. Auch sie verlieren gegenüber dem Konzept der Botschaft markant Direktzahlungen.
Pauschalzahlungen bleiben unangetastet
Der einzige Zielbereich, in welchem derzeit keinerlei Ziellücken bestehen und welchem trotzdem – ohne nachvollziehbare Begründung – bereits in der Botschaft weitaus am meisten Mittel zugesprochen wurden, ist die Versorgungssicherheit (VS). Die VS-Beiträge sind von vielen Seiten wiederholt als kontraproduktive und ineffiziente Pauschalzahlungen kritisiert worden, die nachweislich wenig mit Versorgungssicherheit zu tun haben oder diese sogar schwächen. Die VS-Beiträge lassen sich damit auch nicht mit dem Reformziel und dem Verfassungsauftrag vereinbaren.
Sollte sich eine erhöhte Nachfrage für leistungsorientierten Zahlungen zeigen, sind deshalb in erster Linie die Versorgungssicherheitsbeiträge entsprechend zu kürzen. Dabei genügen bereits geringe Kürzungen der vorgesehenen Hektarbeiträge, um die nötigen zusätzlichen Mittel bereitstellen zu können.
Leistungsbeiträge vollumfänglich wieder auf Botschaftsniveau heben
Vision Landwirtschaft fordert deshalb zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen, dass die Beitragssätze aller leistungsbezogenen Direktzahlungsprogramme im Minimum wieder auf das Niveau der Botschaft korrigiert werden (>> Details hier). Die bei einer erhöhten Nachfrage allenfalls zusätzlich notwendigen Mittel sind durch einen Puffer von 200 Mio. Franken aus den Versorgungssicherheitsbeträgen zu finanzieren.
Dies liegt auch deshalb nahe, weil während der Erarbeitung der Botschaft auf Druck der vorgelagerten Stufen die Versorgungssicherheitsbeiträge laufend erhöht wurden – insgesamt letztlich mehr als verdoppelt. Zudem hat das Parlament den Zahlungsrahmen pauschal bewilligt. Es läge also in der Kompetenz des BLW, die einzelnen Direktzahlungs-Budgetposten im Sinne einer zielorientierten Reform bzw. gemäss der Nachfrage nach Leistungsprogrammen anzupassen. Es gibt keinerlei protokollierte Aussagen aus der parlamentarischen Debatte, aus denen geschlossen werden könnte, dass die Höhe der Mittel für die Versorgungssicherheitsbeiträge beibehalten werden soll, im Gegenteil.
Vorgelagerte Industrie als Gewinnerin
Die Verwässerung der Reform quasi "auf dem Verordnungsweg" ist nicht Zufall, sondern geht auf den permanenten Druck reformkritischer Kreise zurück, die am System der Produktionsstützung festhalten wollen.
Der grosse Profiteur der bisherigen Agrarpolitik war der vorgelagerte Sektor, also all diejenigen Unternehmen, welche die Bauernbetriebe mit Futtermitteln, Dünger, Pestiziden, Maschinen oder Krediten beliefern. Die Pauschalzahlungen der bisherigen Agrarpolitik haben zur absurden Situation geführt, dass heute die Bauern über die Produktion von Nahrungsmitteln schlicht nichts mehr verdienen. Jeden Franken, den sie einnehmen, geben sie als Folge einer immer intensiveren und teureren Produktion gleich weiter an die weit verzweigte vorgelagerte Stufe. Das konnte nur deshalb so weit kommen, weil ihnen das Einkommen über die pauschalen Direktzahlungen sichergestellt wird. Heute entspricht das durchschnittliche Einkommen in der Landwirtschaft ziemlich genau noch den Direktzahlungen. Die marktliche Wertschöpfung der Landwirtschaft ist damit, trotz eines hoch geschützten Marktes, heute praktisch bei Null.
Mehr Wertschöpfung unumgänglich
An diesem unerfreulichen Zustand sollte die Reform gemäss Botschaft des Bundesrates wenigstens moderat etwas verbessern. Die Wertschöpfung und damit das Einkommen der Landwirte hätte um über 100 Millionen Franken pro Jahr zunehmen sollen.
Die Anreize für die bisher oft (zu) intensive und nicht mehr standortegerechte Produktion fallen teilweise weg. Dadurch sinken die hohen Produktionskosten, verursacht durch zu viele teure Importe an Energie, Futtermitteln, Pestiziden etc. Zwar nimmt bei geringeren Inputs in die Produktion auch die Produktionsmenge leicht ab, aber weniger stark als die Kosten. Dank geringerer Importe wird unter dem Strich weiterhin gleich viel produziert wie heute (Netto-Produktion), nur kostengünstiger und umweltfreundlicher.
Diese in der Botschaft versprochene positive Wirkung wird nur erreicht werden können, wenn die Verordnungen substanziell angepasst werden.
Auswirkungen der reduzierten Beitragssätze am Beispiel eines ressourcenschonend wirtschaftenden Betriebes im Berggebiet
Für einen 20 ha-Milchbetrieb im Berggebiet mit 8 ha Ökoflächen (4 ha wenig intensiv genutzte Wiese, 4 ha extensive Wiese) machen die Anpassungen im Verordnungsentwurf ohne Berücksichtigung von Tierbeiträgen bis zu 3'700 Fr. Mindereinnahmen aus (wobei die in der Anhörungsunterlage neu vorgeschlagene Deckelung der Landschafsqualitätsbeiträge pro Kanton noch nicht einbezogen ist). Die höchsten Einbussen verursacht der reduzierte Beitrag bei der graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion. Bei folgender angenommenen Nutzungsweise sind es 3400 Franken Mindereinnahmen:
1.1
Offenhaltungsbeitrag (Fr./Jahr)
-20*20 = -400
3.1.1
Qualitätsbeitrag extensive Wiese
-4*200 = -800
3.1.2
Qualitätsbeitrag wenig intensiv genutzte Wiese
-4*50 = -200
5.3
Beitrag für graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion
-20*100 = -2'000
Total Fr./J.
-3'400*
* Sofern die neu vorgeschlagene Deckelung der Landschaftsqualitätsbeiträge pro Kanton greift, kämen weitere potenzielle Mindereinnahmen von bis zu 5'600 Fr. jährlich dazu, insgesamt also Mindereinnahmen für den betreffenden Betrieb bis 9'000 Fr./Jahr.
Das Aufatmen an diesem sonnigen Wintertag war gross. Noch vor einem Monat hat die vorberatende Ständeratskommission einige zentrale Stellschrauben der Agrarreform überraschend zurückgedreht. Im Plenum aber hielt die Kleine Kammer am gestrigen 12. Dezember dem Reformkurs des Bundesrates die Stange und machte sogar einige Bremsmanöver des Nationalrates rückgängig. Damit sind die Reformschritte der nächsten Vierjahresperiode in den grossen Zügen unter Dach.
Nach der Wirtschaftskommission des Nationalrates hat am 26. September auch das Plenum des Nationalrats den Reformkurs des Bundesrates bestätigt – trotz massivem Lobbying des Schweizer Bauernverbandes (SBV), mit welchem dieser die Vorlage zu verwässern oder ganz zu bodigen versuchte. Der Nichteintretens- und Rückweisungs- antrag wurde haushoch verworfen. Auch der Versuch einer Wiedereinführung der Tierbeiträge und einer Abschaffung der Landschaftsqualitätsbeiträge, für welche der SBV sein ganzes Gewicht in die Waagschale warf, scheiterten unerwartet deutlich.
Mit allen Registern lobbyiert der Schweizerische Bauernverband (SBV) für eine Verwässerung der Agrarreform. Gemäss einer Studie des Bundes, welche die NZZ am Sonntag publik gemacht hatte, legt der SBV damit den eigenen Mitgliedern ein Ei: Ausgerechnet die Bauernverbands-Variante schneidet hinsichtlich Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft und zugleich auch für die Umwelt am schlechtesten ab. Das beste Resultat erreicht die Variante, die sich stärker an ökologischen Zielen orientiert und auf eine konsequente Reform zielt, während der Kompromissvorschlag des Bundes bezüglich Einkommen und Umwelt in der Mitte liegt.
Bereits heute gibt es Direktzahlungen, welche die erhöhten Erschwernisse im Berggebiet ausgleichen sollen. Ein kleiner Teil davon ist an die Hangneigung gebunden (die sog. „Hangbeiträge“), über drei Viertel bzw. 354 Millionen Franken pro Jahr dagegen hängen von der Anzahl gehaltener Tiere und der Höhenzone ab („TEP-Beiträge“): Je höher ein Betrieb liegt und je mehr Vieh er hält, desto mehr Erschwernisbeiträge erhält er. Doch die TEP-Beiträge haben zwei grosse Nachteile.
Landwirtschaftsbetriebe in Erschwernislagen brauchen eine bessere Unterstützung durch die Agrarpolitik
Bereits heute gibt es Direktzahlungen, welche die erhöhten Erschwernisse im Berggebiet ausgleichen sollen. Ein kleiner Teil davon ist an die Hangneigung gebunden (die sog. "Hangbeiträge"), über drei Viertel bzw. 354 Millionen Franken pro Jahr dagegen hängen von der Anzahl gehaltener Tiere und der Höhenzone ab ("TEP-Beiträge"): Je höher ein Betrieb liegt und je mehr Vieh er hält, desto mehr Erschwernisbeiträge erhält er. Das führt einerseits zu starken Fehlanreizen, zu viele Tiere zu halten. Und es ist ungerecht. Betriebe in besonderen Erschwernislagen erhalten dadurch nur einen Bruchteil der Direktzahlungen von Betrieben in Gunstlagen des Berggebietes. Das Faktenblatt Nr. 3 enthält dazu die überraschenden Fakten und macht konkrete Vorschläge, die in Form verschiedener Anträge bereits in den parlamentarischen Prozess zur Reform der Agrarpolitik eingeflossen sind.
Die Landwirtschaft wird für viele Umweltprobleme und den dramatischen Zusammen- bruch der Biodiversität verantwortlich gemacht. Doch mit dieser Schuldzuweisung macht es sich die Gesellschaft zu einfach. Ein Blick zurück zeigt, warum die Landwirtschaft in ihre Rolle geraten ist – und wie sie sich daraus wieder befreien könnte. Gedanken aus den Bündner Bergen.
Mit einer Reform des Direktzahlungssystems soll die ungenügende Effizienz der Agrar- politik verbessert werden. Das vom Bundesrat jetzt verabschiedete Konzept stimmt, bei der Mittelverteilung aber ist er dem Druck von Agrarindustrie und Bauernverband weitgehend erlegen. Die Reform droht so zur Farce zu werden.
Mit dem Reformprojekt Agrarpolitik 2014–17 sollen wichtige Schwachstellen des heutigen Direktzahlungssystems behoben werden. Die Vorschläge des Bundesrates bringen zwar einige Verbesserungen. Das Optimierungspotenzial zugunsten der Landwirtschaft und der Umwelt wird aber bei weitem nicht ausgeschöpft. Dies zeigen neue Modellrechnungen, welche die Eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope in Tänikon im Auftrag der Denkwerkstatt “Vision Landwirtschaft” durchgeführt hat.
Vorschläge zur Weiterentwicklung des landwirtschaftlichen Direktzahlungssystems der Schweiz – ein Vergleich auf der Basis von Modellrechnungen.
Der Reformvorschlag des Bundesrates zur Agrarpolitik 2014–2017 enthält wesentliche Verbesserungen gegenüber dem heutigen Direktzahlungssystem. Wie ein Detailvergleich mit dem Vorschlag von Vision Landwirtschaft zeigt, schöpft er aber das Optimierungspotenzial zugunsten der Landwirtschaft und der Umwelt bei weitem nicht aus.
Ja zur nachhaltigen Schweizer Landwirtschaft, ja zur Leistungsorientierung der Direktzahlungen ohne Wenn und Aber: Das vom Bundesrat im Bericht vom 6. Mai 2009 vorgestellte Konzept zur Agrarreform stimmt und erfüllte den parlamentarischen Auftrag. Die geforderte transparente Ausrichtung der Agrarpolitik auf die Verfassungsziele ist überfällig.
Der Bundesrat erhielt vom Parlament den Auftrag, den ungenügenden Leistungsausweis der Agrarpolitik mit einer Reform des Direktzahlungssystems zu verbessern. Nun hat er aufgezeigt, wie dies konkret geschehen soll. Auf halbem Weg hat ihn der Mut verlassen. Vertiefende Infor- mationen von Vision Landwirtschaft können Sie hier herunterladen:
Das 2010 von Vison Landwirtschaft herausgegebene "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" legte einen entscheidenden Grundstein für die wieder in Gang gekommenen Reformbemühungen der Schweizer Landwirtschaftspolitik. Die erste Auflage des Buches war innert weniger Monate ausverkauft. Die zweite Auflage ist hier erhältlich.
Die Anfangs der 1990er Jahre auf Druck verschiedener Volksinitiativen eingeleitete Agrarreform kam während zwei Jahrzehnten kaum vom Fleck. Der Grossteil der damals eingeführten agrarpolitischen Instrumente wurden den damals gesetzten Zielen und dem neuen landwirtschaftlichen Verfassungsartikel von 1996 nicht gerecht. Öffentliche Mittel in Milliardenhöhe wurden nicht verfassungskonform eingesetzt und schadeten der Zukunftsfähigkeit, der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit der Schweizer Landwirtschaft in unverantwortlicher Weise.
Diese Missstände werden im Weissbuch Landwirtschaft Schweiz, von Vision Landwirtschaft schon kurz nach seiner Gründung herausgegeben, umfassend und schnörkellos aufgearbeitet. Das allgemeinverständliche, mit zahlreichen Grafiken illustrierte Buch bleibt aber nicht bei der Kritik stehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Vorschlägen, die konkret aufzeigen, welche Reformen für eine verfassungsmässige, zukunftsfähige Agrarpolitik unumgänglich sind. Mit detaillierten Modellrechnungen werden die Auswirkungen auf die verschiedenen agrarpolitischen Zielbereiche aufgezeigt. Die Resultate belegen ein unerwartet grosses Optimierungspotenzial und zeigen, dass damit die gesetzten politischen Ziele im Rahmen des jetzigen Agrarbudgets erreicht oder sogar übertroffen werden – bei mittelfristig höherem Einkommen und höherer Nettoproduktion der Landwirtschaft.
Mit seinen Analysen und Vorschlägen legte das Weissbuch Landwirtschaft einen entscheidenden Grundstein für die Reformschritte, welche in den Jahren 2012-2013 mit der "Agrarpolitik 2014-17" eingeleitet wurden. Und es wird weiterhin eine Referenz bleiben für die noch bevorstehenden agrarpolitischen Debatten, die zur Behebung der verbliebenen Defizite unumgänglich sind.
Das "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" ist im Buchhandel erhältlich oder über das Vereinssekretariat. Mitglieder von Vision Landwirtschaft erhalten 30% Rabatt auf den regulären Preis im Buchhandel.
Das Faktenblatt fasst den Inhalt des "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" übersichtlich zusammen und enthält die wichtigsten Daten, Grafiken, Modellresultate und Empfehlungen aus dem Buch.
Die Broschüre richtet sich an Entscheidungsträger in Politik, Verwaltung, NGO's und Wirtschaft sowie generell an der Landwirtschaft interessierte Bürgerinnen und Bürger, die sich über die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft Gedanken machen.
Die EU-Politik zur Entwicklung des ländlichen Raums hat die ökologische und soziale Nachhaltigkeit des Agrarsektors und der ländlichen Gebiete zwar gefördert. Der allergrösste Teil der Agrarmittel – immerhin fast die Hälfte des EU-Budgets – wirkte sich allerdings deutlich negativ auf die Umwelt aus und hat soziale Härten nicht zu verhindern vermocht. Dies könnte sich nun mit einer grundlegenden Neuausrichtung der Agrarpolitik ändern.
Am 1. Oktober hat der Nationalrat als Erstrat die Motion Aebi überraschend deutlich angenommen. Damit wird die Milchmengensteuerung wie während der kürzlich aufgehobenen Milchkontingentierung teilweise wieder dem Staat übertragen. Den Vorstoss ausgelöst haben die zunehmende Milchüberproduktion und der deshalb laufend sinkende Milchpreis. Die Ursachen der problematischen Entwicklung werden mit der Motion Aebi allerdings in keiner Weise gelöst. Vision Landwirtschaft hat sich für nachhaltigere Lösungen stark gemacht.
Um die Reform des Direktzahlungssystems ist es seit einigen Monaten stiller geworden – wenigstens in den Medien und in der Politikarena. Das wird noch einige Zeit so bleiben. Erst im Frühjahr 2011 wird der Bundesrat den zweiten Bericht zur Weiterentwicklung des Direktzahlungssystems präsentieren. Im Gegensatz zum ersten, der im Mai 2009 erschienen ist und vor allem konzeptionellen Charakter hatte, wird sich der neue Bericht auch zur Verteilung der Gelder aus dem Agrarbudget äussern. Die zentrale und politisch brisante Frage wird sein, ob der Bundesrat den Mut haben wird, eine Umverteilung hin zu leistungsorientierten Zahlungen vorzuschlagen, oder ob er es bei einem Etikettenwechsel belassen wird und damit die Reformbestrebungen ins Leere laufen lässt.
Die 12-seitige Broschüre gibt eine Zusammenfassung der damaligen Standpunkte und Ziele von Vision Landwirtschaft in Bezug auf die Reform des Direktzahlungssystems.