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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 8.3. 2016

Ernährungssicherheitsinitiative: dreiste Mogelpackung

Warum der Schweizer Bauernverband eine Initiative lanciert und nicht sagen will, was er damit bezweckt.

(VL) Die Schweizer Demokratie erlebt bewegte Zeiten. Vor gut einer Woche liess die SVP die Schweizer Bürgerinnen und Bürger über eine Initiative abstimmen, die seitenlange, alle Details minutiös regelnde Gesetzes- und Verordnungstexte in die Verfassung schreiben wollte. Und parallel dazu lässt der Schweizer Bauernverband SBV das Parlament und seine Kommissionen wochenlang über eine Initiative diskutieren, über die bis heute gerätselt wird, was sie eigentlich will. Beides hat die direkte Demokratie der Schweiz noch nie erlebt in ihrer 150-jährigen Geschichte. 

Was steckt hinter dem Rätsel der SBV-„Ernährungssicherheitsinitative“, und was würde sich die Schweiz bei einer Annahme einhandeln?

Initiativtext wiederholt bestehende Verfassung

Die Frage müsste sich eigentlich aus dem Initiativtext klären lassen. Doch im Initiativtext steht nichts, was nicht bereits in der Verfassung steht – vielleicht mit Ausnahme einer Passage, welche einen Abbau der Bürokratie fordert. Diese Forderung ist allerdings unbestritten und wird von der Verwaltung mit einem eigenen Projekt ohnehin bereits vorangetrieben. Warum also verwendet der Bauernverband Millionenbeträge seiner Mitglieder und der ihn unterstützenden Landwirtschaftsindustrie für einen Text, der die Verfassung lediglich um Doppelspurigkeiten verlängern würde?

Jedem was er will

Bis heute hat sich der Bauernverband standhaft geweigert, schlüssig zu sagen, was er mit seiner Initiative will. Bei der generalstabsmässig organisierten Unterschriftensammlung auf der Strasse wurde geworben mit einer Stärkung der nachhaltigen einheimischen Produktion, mit Edelweiss-Bauernhemden und Hornkühen. Wer ist nicht für eine solche Landwirtschaft? Nicht umsonst kamen die Unterschriften rasch zusammen. Zur genau gleichen Zeit brachte Bauernverbandspräsident Markus Ritter an Bauernversammlungen seine Basis auf Kurs, indem er mahnte, dass die Ökologisierung der Schweizer Agrarpolitik endlich wieder zurückgedreht werden müsse mithilfe der Initiative. Und den Konsumenten wird in den regelmässigen Medienauftritten des SBV-Präsidenten weisgemacht, dass ihnen die Initiative auch in Zukunft gesunde einheimische Nahrungsmittel garantieren werde. Die Umweltorganisationen werden mit einer Passage zum Kulturlandschutz geködert. Dass Markus Ritter gleichzeitig in einem Komitee aktiv war, das bei einer Abstimmung im Kanton St. Gallen gegen den Kulturlandschutz eintrat, war für den SBV kein Problem. Jeder erhält vom Bauernverband genau diejenige Antwort auf seine Fragen, welche er oder sie hören will.

SBV als Vorkämpfer einer industrialisierten Landwirtschaft

Kein Verband hat in den letzten Jahrzehnten energischer und mit mehr Geld gegen alle Bemühungen gekämpft, die eine nachhaltigere Schweizer Landwirtschaft und die Erhaltung bäuerlicher Strukturen zum Ziel hatten. Kein Verband hintertreibt stärker den Kulturlandschutz, wenn es darum geht, den Gewinn aus bäuerlichem Baulandverkauf sicherzustellen oder grosszügige Bauten der Landwirtschaft auf dem Kulturland durchzubringen. Und jetzt will sich derselbe Verband plötzlich mit einer eigenen Initiative für eine nachhaltige Schweizer Landwirtschaft und für Kulturlandschutz einsetzen?

Die Antwort auf das Rätsel verrät einen neuen basisdemokratischen Trick. Die eigentlichen Anliegen des SBV wären niemals mehrheitsfähig. Kaum ein Bürger will eine immer intensiver und industrieller produzierende, hoch subventionierte, staatsabhängige und abgeschottete Landwirtschaft nach dem Gusto des SBV (auch viele Bauern nicht!). Kaum jemand will zur alten Agrarpolitik mit ihren Pauschalzahlungen und ihren milliardenschweren Fehlanreizen zurück. Weil sich für solche Anliegen keine Mehrheiten finden lassen, heckten die findigen SBV-Strategen einen Initiativtext aus, der nichtssagend nirgends aneckt und möglichst viel Interpretationsspielraum offen lässt. 

Katze bleibt bis zur Annahme im Sack

Würde die Initiative angenommen, kann der SBV dann endlich die lange sorgsam gehütete und ruhig gehaltene Katze aus dem Sack lassen und klar machen, wie die Initiative zu verstehen sei. Was auch immer in der Agrarpolitik alsdann an Entscheidungen ansteht, der SBV wird auf den Volkswillen verweisen und das Parlament und die Verwaltung daran erinnern, dass die SBV-Initiative ja angenommen worden sei und die Agrarpolitik nun nach dem Gusto des Verbandes zu realisieren sei. Dass im Vorfeld niemand wusste, was die Initiative will und damit von einem Volkswillen nicht die Rede sein kann, wird schnell vergessen sein. 

Abstimmung im Nationalrat

Man darf auf das Resultat morgen im Nationalrat gespannt sein. SP und GLP haben sich als erste geweigert, das Spiel mitzuspielen. Die Grünen sind noch unschlüssig und hoffen auf einen Handel, dass der Bauernverband ihre eigene Initiative unterstützt, wenn sie im Gegenzug bei seiner Initiative mithelfen. Die SVP-Fraktion, die ohnehin fast deckungsgleich mit dem SBV politisiert, hat ihre Ja-Parole bereits gefasst. Den Ausschlag geben dürfte am Schluss die FDP, welche bisher teilweise standhaft blieb, weil sie bei Annahme der Initiative eine weitere Marktabschottung befürchtet.  

Unklar bleibt auch, inwieweit Parlamentarier aus dem Berggebiet dem Druck des SBV nachgeben werden. Denn die Berglandwirtschaft, die von der Agrarreform stark profitiert hat, würde mit Sicherheit zu den Verlierern einer Annahme der Initiative gehören.

Basisdemokratischer Schlaumeierei eine Abfuhr erteilen

Nach der Durchsetzungsinitiative, welche das bisherige System der direkten Demokratie auszuhebeln versuchte, indem sie Gesetze und Verordnungen gleich direkt in die Verfassung schreiben wollte, ist die Ernährungssicherheitsinitiative ein weiterer Versuch, mit einem Trick den Volkswillen für die eigenen Interessen zu missbrauchen – mit einem Initiativtext, der es allen recht macht und der vom Urheber erst nach Annahme der Initiative so interpretiert werden wird, wie es ihm vorschwebt. Es wäre wünschbar, dass bereits die Parlamentarier und nicht erst das Volk diesem Missbrauch der Basisdemokratie eine klare Abfuhr erteilen.



Vier Gründe, warum die Ernährungssicherheitsinitiative abzulehnen ist:

  • Die Initiative schafft Verwirrung und Unsicherheit: Der Text ist ausgesprochen vage und bringt gegenüber der bestehenden Verfassung nichts Neues, sondern schafft Doppelspurigkeiten.
  • Die Initiative ist eine Mogelpackung: Der Bauernverband hat sich bisher geweigert, Klartext zu reden, was er mit der Initiative will. Er wird den Initiativtext erst nach seiner allfälligen Annahme ausdeuten und dann die Politik und Verwaltung nach seiner Interpretation mit Verweis auf "den Volkswillen" unter Druck setzen.
  • Die Landwirtschaft braucht keine Verfassungsdebatte: Die bestehende Verfassungsgrundlage geniesst im Bereich Landwirtschaft ausserordentlich hohe Akzeptanz. Diese auf's Spiel zu setzen und mit einer vagen Initiative Unsicherheit zu schaffen ist fahrlässig und das Letzte, was die Landwirtschaft jetzt brauchen kann.
  • Die Initative entzweit die Landwirtschaft: Viele bäuerliche Organisationen lehnen die Initiative ab, andere stehen ihr äusserst skeptisch gegenüber. Uneinigkeit schadet der Landwirtschaft und kostet sie Energie, die sie dringend für konstruktive Auseinandersetzungen um ihre Zukunft braucht.