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Standortgemässe Produktion und Biodiversität
Biodiversität und Produktion, Artenvielfalt und Wirtschaftlichkeit sind keine Gegensätze
Jahrhunderte bestand zwischen Biodiversität und Landwirtschaft eine Symbiose. Bis zum Anfang des letzten Jahrhunderts hat die bäuerliche Landnutzung massgeblich zu einer starken Zunahme der Artenvielfalt in der Schweiz beigetragen. In den 1950er Jahren kam es mit der "Grünen Revolution" zu einer dramatischen Trendumkehr. Seither ist die Landwirtschaft an erster Stelle für einen nie dagewesenen Zusammenbruch der Biodiversität verantwortlich. In gleichem Ausmass brach die Wirtschaftlichkeit der Landwirtschaft ein. Das ist kein Zufall. Ökonomie und Ökologie müssen wieder am gleichen Strick ziehen. Projekte und Bauernbetriebe weisen den Weg.
Zwar zeigen die wichtigsten Indizes für Biodiversität nach wie vor nach unten. Aber immer mehr Beispiele zeigen, wie stark die Biodiversität bei kluger Integration in den landwirtschaftlichen Betrieb bereits in kurzer Zeit gefördert werden kann. Eine effiziente, standortgemässe Produktion und die Erhaltung der Biodiversität gehen auch wirtschaftlich Hand in Hand. Was heute erst auf einer kleinen Minderheit von Betrieben und Projekten Realität ist, muss wieder zum Standard werden. Dies mit einer zielgerichteten, endlich am Verfassungsauftrag orientierten Politik und einer neu ausgerichteten Beratung zu ermöglichen, sieht Vision Landwirtschaft als eine ihrer Hauptaufgaben.
(VL) Biodiversität – was bedeutet sie für einen Gemüsebauer? Und wer ist für ihren Erhalt verantwortlich?
Um diese Fragen zu beantworten haben wir Samuel Kessens auf seinem Gemüsebetrieb im Kanton Aargau besucht. Der Co-Betriebsleiter hat uns zwischen Erbsen und Malven, Brennesseln und Tomaten anhand konkreter Beispiele aufgezeigt, was die Biodiversität für ihn bedeutet, wie er sie fördert und was Leute, die selbst nicht in der Landwirtschaft tätig sind, für sie tun können.
So viel schon vorab: Die Biodiversität zu erhalten, ist laut dem Agronomen nicht alleinige Aufgabe der Landwirte – wir alle können unseren Anteil dazu beitragen.
Erfahren Sie aus dem Interview mit dem Gemüsebauer nicht nur die Meinung eines Produzenten auf die angehende Debatte über die Biodiversität, sondern auch, wo er die Grenzen aber auch Möglichkeiten des jetzigen Landwirtschaftssystems sieht und was wir alle konkret tun können.
«Die Biodiversität zu fördern ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.»
Biodiversität findet mitten im Feld statt und ist unentbehrlich für die Produktion, sagt Samuel Kessens. Der Agronom führt als Co-Betriebsleiter einen Gemüsebetrieb in Oberwil-Lieli, Kanton Aargau. Gabrielle D’Angelo und Annalena Tinner von Vision Landwirtschaft waren zu Besuch auf dem Betrieb und haben sich die Sicht auf die angehende Debatte über die Biodiversitätsinitiative aus dem Blickwinkel des Gemüseproduzenten aufzeigen lassen.
Fotos: Gabrielle D’Angelo Text: Annalena Tinner
Samuel, über die Biodiversität und deren Erhaltung kommt im Herbst dieses Jahres eine nationale Volksabstimmung an die Urne. Was bedeutet denn Biodiversität für dich als Gemüsebauer? Für mich ist sie die Versicherung, dass ich nächstes und übernächstes Jahr auch noch Gemüse produzieren kann. Denn ich bin abhängig davon, dass meine Pflanzen bestäubt werden, dass mein Boden lebt. Und dafür brauche ich die Biodiversität. Denn nur so kann ich gesunde Pflanzen und gesundes Gemüse produzieren. Wenn sie weiterhin so stark zurückgeht, ist das für mich als Gemüsebauer eine Gefahr.
Und weshalb müssen wir sie genau jetzt schützen? Eigentlich hätten wir schon vor 10 Jahren etwas tun sollen (lacht). Daher ist jetzt sicher noch der bestmögliche Zeitpunkt, um die Biodiversität zu erhalten und die Existenz der Kleinbetriebe zu sichern.
«Wir alle sind verantwortlich für die Biodiversität. Zumindest sind wir alle davon betroffen.»
Wer ist denn deiner Meinung nach verantwortlich für die Biodiversität? Wir alle. Zumindest sind wir alle davon betroffen. Sicher sind nicht nur die Landwirt:innen verantwortlich, aber eben auch. Kein Bauer kann sich aus der Verantwortung schleichen, indem er sagt, der Konsument oder der Grossverteiler müsse. Wir Bauern können sagen «wir bewirtschaften Land, deshalb können wir schneller handeln».
Jetzt sind aber nur etwa 3% der Bevölkerung selbst in der Landwirtschaft tätig – wie können denn all diese Menschen, die keinen Zugang zu Land haben, ihre Verantwortung wahrnehmen? Ganz klar bei ihrem Konsumverhalten. Da ist der Einfluss enorm. Wenn du Lebensmittel kaufst, kannst du entscheiden, wie diese produziert werden. Da ist sehr wichtig, dass sich die Leute, die nicht in der Landwirtschaft tätig sind, ihrer Macht bewusst sind. Indem sie auf Regionalität, Saisonalität und vor allem auch auf Kleinräumigkeit achten. Und wenn der Konsument sogar den Betrieb kennt, wo das Gemüse herkommt, ist das ideal.
Kleinräumigkeit – was meinst du damit? Kleinräumig heisst, dass wir auf kleiner Fläche viele verschiedene Dinge anbauen und verschiedene Fördermassnahmen für die Biodiversität machen. Denn die Vielfalt gibt uns Stabilität. Ein Grossbetrieb, der nur von wenigen Kulturen lebt, ist viel mehr Risiko ausgesetzt. Bei kleinräumigen, vielfältigen Betrieben fällt ein Ausfall einer Sorte jeweils nicht so ins Gewicht. Zudem produzieren wir nicht nur Gemüse, sondern möchten gleichzeitig auch die Vielfalt an Nützlingen fördern, seien es Raubvögeln, Säugetiere oder Bodenlebewesen.
Hast du ein Beispiel dazu? Unser Ansatz ist immer, dass wir mit der Natur arbeiten. Wir versuchen, diese Vielfalt der Natur auf das Feld zu bringen. Zum Beispiel haben wir jeden Frühling das Problem mit Läusen. Da ist der Marienkäfer ein guter Gegenspieler als Nützling. Dabei haben wir die Erfahrung gemacht, dass bei Flächen, in welchen Hecken dazwischen sind, der Schädlingsdruck geringer ist. Die Hecken dienen als Rückzugsgebiet für die Käfer über den Winter. Somit sind im Frühling die Käfer schneller da und fressen die Läuse eher weg.
«Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht.»
Doch diese Hecke, nimmt sie dir nicht Fläche, auf welcher du produzieren könntest, weg? Nein, dieses Problem sehe ich nicht. Einerseits hat die Hecke einen positiven Effekt auf die Ertragsmenge der Gemüsekultur. Zudem kann die Hecke auch so gestaltet werden, dass sie einen ökonomischen Nutzen generiert; wir haben viele Beerensträucher und Obstbäume in unseren Hecken, deren Früchte wir auch ernten und verkaufen können. Dass Produktion der Biodiversität weichen muss, stimmt meiner Meinung nach nicht – denn wir laufen Gefahr, schlussendlich noch weniger zu produzieren, wenn wir weiterhin einen solchen Rückgang bei der Biodiversität haben.
Das tönt durchs Band positiv. Gibt es denn keine Herausforderungen in diesem System? Doch, in dieser Kleinräumigkeit haben wir immer auch Schädlinge, denn ohne Schädlinge gibt es keine Nützlinge. Wir müssen einfach das Vertrauen darauf haben, dass die Massnahmen, die wir im Voraus ergriffen haben, um diese Nützlinge zu fördern, dann auch tatsächlich wirken, wenn die Schädlinge kommen. Nehmen wir das Beispiel Wühlmäuse: Dass im Vorherein Stangen für die Greifvögel aufgestellt wurden oder ein Wiesel-Bau gemacht wurde, sind mögliche Massnahmen. Und wenn die Mäuse dann kommen, braucht es eine Weile, bis auch die Nützlinge kommen. Vor allem diese Übergangsphase ist als Landwirt schwierig auszuhalten. Aber ein intaktes Gesamtsystem regelt es dann so, dass der Schaden schlussendlich überschaubar bleibt.
Und warum produzieren dann nicht alle Betriebe so, wie ihr es macht? Ein grosses Problem für andere Gemüsebauern sind die Anforderungen der Abnehmer. Wenn du für den Grosshandel produzierst, kannst du nicht so vielfältig produzieren, wie wir es hier tun. Denn der Grossverteiler will einfache Lieferketten; er will von einem Betrieb alle Karotten und vom anderen alle Tomaten - nicht von jedem Betrieb 20, 30 verschiedene Gemüsesorten in Kleinstmengen. Wenn du an den Grossverteiler lieferst, kannst du im jetzigen System kaum kleinräumig und wirklich biodiversitätsfreundlich anbauen.
«Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben»
Hast du denn das Gefühl, die Landwirtschaft in der Schweiz macht generell genug für die Biodiversität? Nein, noch nicht. Wir könnten eine viel nachhaltigere, spannendere Landwirtschaft haben. Aber ich glaube auch, die Rahmenbedingungen sind nicht ideal und deshalb gibt es noch nicht so viele Betriebe, die auf diesen Biodiversitäts-Zug aufgestiegen sind.
Wie müssten sich denn die Rahmenbedingungen ändern? Wenn du als Landwirt Angst hast, Flächen zu verlieren, weil du nicht mehr produzieren kannst, steckt dahinter vor allem auch eine ökonomische Angst. Doch diese Angst kann ihnen genommen werden, indem ihnen höhere Preise für die Produkte garantiert werden. Das wiederum hängt vor allem mit politischen Entscheiden zusammen, zum Beispiel mit Importrestriktionen. Doch das sind Dinge, die nicht der Landwirt selbst entscheidet. Grundsätzlich haben viele Bauern das Bedürfnis, Freude am Job zu haben und Neues auszuprobieren. Dadurch bleibt die Arbeit auch spannend. Und wenn es finanziell kein grosses Risiko wäre, würden viele Bauern dem Nachgehen und könnten innovativer sein.
In der Landwirtschaft muss ein Betriebsleiter schon sehr viel Wissen über Betriebsführung, das Marktverhalten, Wartung der Maschinen, den Anbau von Gemüsesorten und Krankheiten bei Tieren. Und da kommt mit der Biodiversität nochmals ein neues Thema dazu – ist das nicht zu viel? Ist es tatsächlich Aufgabe der Landwirtschaft, sich auch noch um die Biodiversität zu kümmern? Klar, Beratungsstellen wären vielleicht schon nützlich, in der Ausbildung wird das Thema nur gestreift. Aber ich als Bauer sehe ja den Wert der Biodiversität und dann ist es das Naheliegendste, dass ich mich auch damit befasse. Wenn die Biodiversität der Grund ist für einen reichen Ertrag – und das ist es ja – dann musst du dich auch aktiv damit befassen, dann ist es kein Nebenschauplatz, der ausgelagert werden kann. Biodiversität ist nicht einfach der Blühstreifen neben dem Gemüseacker und fertig. Sie findet mitten im Feld statt. Die Biodiversität zu fördern, ist ein Teil des Bauernsein- sie ist untrennbar mit dem Anbau verknüpft.
Zurück zur Initiative. Die Initiative verlangt mehr Raum für Biodiversität, ist diese Auflage berechtigt? Ich sehe das nicht als Auflage, sondern viel mehr als Chance für die Bauern. Dass wir – weil es vorgeschrieben ist – Fläche für die Biodiversität nützen dürfen. Denn ohne Biodiversität funktionieren unsere Betriebe nicht. Mir gefällt an der Initiative, dass ein gesamtgesellschaftlicher Ansatz gefragt ist. Dass wir als Bauern unterstützt werden, nicht allein dafür verantwortlich zu sein, sondern dass wir alle, inklusive die Landwirtschaft, etwas dafür machen sollen. Ja, die Initiative ist meiner Meinung nach berechtigt.
Kästchen 1
Der Betrieb Der Biohof Lieli, ein 14 ha grosser Gemüsebetrieb, liegt in Oberwil-Lieli und wird nach biologisch-dynamischen Richtlinien bewirtschaftet. Rund 60 verschiedene Gemüsesorten werden auf dem Hof auf kleinräumigen Flächen produziert und gelangen via Gemüse Abos oder Marktstände direkt an die Kundschaft. Diese vielfältige Produktion bedingt eine kleinräumige Bewirtschaftung und dementsprechend viel Handarbeit, welche mit rund 30 Mitarbeiter:innen geleistet wird. Diese Handarbeit ermöglicht aber wiederum, dass pro Fläche mehrmals pro Jahr geerntet werden kann und der Ertrag eher hoch ausfällt. Etwa 10% der Betriebsfläche sind Biodiversitätsförderflächen, die Mehrheit davon Hecken.
Kästchen 2
Pflanzenschutz im Gemüsebau Der Pflanzenschutz im Freilandgemüsebau ist anspruchsvoll, da viele Gemüsekulturen anfällig für Krankheiten und Schädlinge sind. Dazu kommen hohe Qualitätsansprüche von Seiten des Handels sowie der Konsumentinnen und Konsumenten. Deshalb werden in den meisten Gemüsekulturen deutlich mehr Pestizide eingesetzt als in Ackerkulturen wie Getreide, Zuckerrüben usw. Mit gezielten, meist vorbeugenden, Massnahmen lassen sich jedoch der Einsatz von Pestiziden und die damit verbundenen Umweltrisiken vermindern. Zu diesen vorbeugenden Massnahmen gehören unter anderem eine durchdachte Fruchtfolge, die Wahl des geeigneten Standortes, das Sicherstellen einer guten Bodenfruchtbarkeit sowie das Erstreben eines optimalen Saat- und Pflanzzeitpunktes. Zudem ist die Verwendung resistenter oder schädlingstoleranter und an den Standort angepasster Sorten eine entscheidende Massnahme zur Minimierung des Pflanzenschutzmitteleinsatzes.
Heutzutage dominieren grossflächige Monokulturen den Freilandgemüsebau. Doch solche einheitlich bepflanzten Anbauflächen haben den Nachteil, dass Pilze oder Schadinsekten ein leichtes Spiel haben sich zu vermehren und bei einem Befall gleich die ganze Ernte bedrohen. Eine mögliche Alternative zu diesem herkömmlichen Anbausystem ist der kleinräumige Anbau. Dabei werden mehrere verschiedene Arten oder Sorten nebeneinander angepflanzt. Sich ergänzende Arten konkurrenzieren sich nicht, sondern können zum Beispiel den Boden für die andere Art fruchtbarer machen, Schadinsekten fernhalten oder Schädlinge zur Entlastung der anderen Pflanze auf sich ziehen oder auch das Wachstum von Unkraut eindämmen (Agroscope 2020).
Die Vorteile einer Mischkultur sind:
- Höherer Gesamtertrag pro Fläche aufgrund optimaler Platzverteilung - Fernhalten von Schädlingen mittels störenden Duftes der Nachbarspflanze - Bekämpfung von Schädlingen mittels Nützlingen von Nachbarspflanzen - Weniger Dünger erforderlich - Grössere Artenvielfalt - Unterschiedliche Wuchshöhen beschatten den Boden und die Nachbarspflanze
Mischkulturen sind jedoch im Gemüsebau noch wenig erprobt und deshalb im Agrarland kaum zu sehen. Zudem ist die Maschinennutzung in Mischkulturen erschwert und mehr Handarbeit nötig. Trotzdem zeigen die wenigen Gemüsebaubetriebe mit Mischkulturen, dass es möglich ist, auch den Gemüsebau ohne Pestizide und dennoch rentabel zu betreiben.
Die Gesellschaft bezahle doppelt. Zuerst die Subventionen und dann noch die Massnahmen zum Schutz der Biodiversität, die entweder jetzt oder in Zukunft ebenfalls anfallen. Vor allem die Kosten für zukünftige Generationen werden hoch sein, schreibt BirdLife Schweiz. Um gewisse Branchen und wirtschaftliche Tätigkeiten zu fördern, zahle der Staat Subventionen oder setzte andere Anreize. Manche Subventionen und Anreize zeitigen jedoch auch schädliche Wirkungen auf die Biodiversität und/oder das Klima. Der Bundesrat habe sich deshalb bereits 2012 in der Strategie Biodiversität folgendes Ziel gesetzt: «Negative Auswirkungen von bestehenden finanziellen Anreizen auf die Biodiversität werden bis 2020 aufgezeigt und wenn möglich vermieden. Wo sinnvoll werden neue positive Anreize geschaffen.» Trotz dem klaren Bekenntnis des Bundesrats geschah danach wenig. Der Bund erstellte nicht einmal eine systematische Übersicht über die biodiversitätsschädigenden Subventionen und Anreize.
(VL) Am 22. September kommt die Initiative «Für die Zukunft unserer Natur und Umwelt», kurz «Biodiversitätsinitiative», an die Urne. Ein Thema, das die Landwirtschaft betrifft, aber nicht ausschliesslich. Biodiversität ist weit mehr als blühende Streifen am Ackerrand. Sie kann in den Bergen, im Wald aber auch im Siedlungsgebiet vorkommen und gefördert werden. Vision Landwirtschaft möchte mit diesem Newsletter einen Überblick zur Initiative schaffen, ordnet Fakten und Argumente ein und erläutert mögliche Folgen bei einer Annahme oder Ablehnung der Initiative. >> Ganzen Newsletter als PDF lesen
Die Initiative «Für die Zukunft unserer Natur und Umwelt» verlangt, dass die Biodiversität auf Bundesebene besser geschützt wird mittels einer Änderung in der Bundesverfassung.
Im neuen Artikel 78a BV «Landschaft und Biodiversität» sollen Bund und Kantone im Rahmen ihrer Zuständigkeiten dafür sorgen, dass
die schutzwürdigen Landschaften, Ortsbilder, die Natur- und Kulturdenkmäler sowie die geschichtlichen Stätten bewahrt werden.
die Natur, die Landschaft und das baukulturelle Erbe auch ausserhalb der Schutzobjekte geschont werden.
die zur Sicherung und Stärkung der Biodiversität erforderlichen Flächen, Mittel und Instrumente zur Verfügung stehen.
Dabei bezeichnet der Bund die Schutzobjekte von nationaler Bedeutung, die Kantone jene von kantonaler Bedeutung. Der Bund unterstützt zudem die Kantone bei den Massnahmen und Umsetzung zur Sicherung der Biodiversität. Dafür haben bei einer Annahme der Initiative Bund und Kantone fünf Jahre Zeit.
Auf welchen Flächen und zu welchen Kosten der Schutz der Biodiversität stattfindet, ist nicht Bestandteil der Initiative. In der angehenden Debatte ist immer wieder von 30% Fläche die Rede. Diese 30 % beziehen sich auf den Biodiversitätskongress der vereinten Nationen (COP15), welcher im Dezember 2022 in Montreal stattgefunden hat. Dort hat auch die Schweiz das weltweite Naturschutzabkommen unterschrieben, welches unter anderem das 30x30 Ziel verfolgt: bis im Jahr 2030 sollen 30 % der weltweiten Land- und Meeresfläche unter Naturschutz stehen.
Wo genau und in welcher Form die Biodiversität unter Schutz gestellt wird, ist im Rahmen der Initiative nicht festgelegt. Dies müsste bei einer Annahme geprüft werden.
Darum fordern die Initianten einen Schutz der Biodiversität:
Ein Drittel aller Tier- und Pflanzenarten in der Schweiz gelten als gefährdet oder als bereits ausgestorben, die Hälfte der verbleibenden Lebensräume für Tiere und Pflanzen ist gefährdet. Besonders betroffen sind Feuchtgebiete und Gewässer.
Wir brauchen diese Vielfalt der Arten und innerhalb der Arten, nicht nur weil viele der Insekten unsere Nahrungsmittel bestäuben, sondern weil die ganze Artenvielfalt auch die Basis unseres Ökosystems bildet – weil es unsere Lebensgrundlage ist.
Kommentar:Der Rückgang der Biodiversität ist Realität. Verschiedene Arten haben verschiedene Bedürfnisse, und das meist auf einem sehr kleinen Raum. Um die Biodiversität zu erhalten, sind daher vielfältige Strukturen auf kleinen Flächen nötig. Diese kommen jedoch mit der zunehmenden Vergrösserung und Vereinheitlichung der Flächen, der Bautätigkeit und dem Ausbau von Infrastruktur immer mehr unter Bedrängnis.
Das befürchten die Gegner
Die Initiative verlangt, dass die Biodiversität in der Verfassung geschützt wird. Die Forderung ist sehr vage gefasst und lässt vieles offen bezüglich Umsetzung und Kosten. Diese Ungewissheit schürt nicht nur Ängste der Gegner, sondern liefert auch viel Spielraum für die Interpretation in der Umsetzung und dementsprechende Gegenargumente.
Kein Strom aus erneuerbaren Energien, zu radikaler Einfluss im Berggebiet
Gegner argumentieren damit, dass bei einer Annahme der Initiative kein erneuerbarer Strom produziert werden könne, da Stauseen unter Schutz stünden oder Berggebiete, in denen Windanlagen gebaut werden könnten. Zudem könnten diese Gebiete nicht mehr touristisch genutzt werden, wenn sie unter Schutz stünden.
Kommentar: Die genaue Umsetzung der Initiative lässt offen, wieviel und welche Gebiete genau geschützt würden. Dass der Bergtourismus abnimmt und die Erzeugung erneuerbarer Energie schwindet, ist reine Spekulation der Gegner.
Einfluss Wald: keine Nutzung von Holz mehr möglich
Ein Drittel der Fläche in der Schweiz ist Wald, Tendenz steigend. Dabei ist der Wald schon stark geschützt; Fläche, die einmal als Wald eingestuft wurde, wird kaum wieder umgezont. Über die Nutzung des Waldes entscheidet das Waldgesetz. Ein Argument der Gegner ist, dass die Nutzung des Waldes durch eine Annahme der Initiative noch stärker eingeschränkt würde und dass zum Beispiel die Nutzung von Holz nicht mehr möglich wäre.
Kommentar: Dass bei einer Annahme der Initiative kein Holz mehr genutzt werden kann, stimmt so nicht, denn auch hier gilt: über die geschützte Fläche sagt die Initiative nichts aus.
Beim Thema Waldnutzung ist zu betonen, dass dieses Ökosystem wie jedes andere auch für sein Funktionieren, für sein eigenes Verjüngen, eine gewisse Störung braucht. Im Wald wird diese gezielt durch den Menschen gemacht: Mittels grosser Maschinen werden Wälder verjüngt und offene Lichtungen in Wäldern entbuscht. Das Offenhalten dieser Flächen durch Beweidung mit Tieren, sogenannte Waldweiden, ist in den meisten Kantonen nicht erlaubt. Dabei ist zu beobachten, dass ein mit extensiven Tier-Rassen beweideter Wald eine hohe Artenvielfalt aufweist. Auch die heutige Biodiversitätsforschung ist sich einig, dass eine sanfte Nutzung des Waldes nicht per se schadet, sondern zu dessen Erhalt beitragen kann. Biodiversität und Landwirtschaft könnte also zusammen funktionieren, doch im heutigen System fehlen nicht nur die wirtschaftlichen Anreize dafür, sondern auch die Erlaubnis.
Landwirtschaftliche Produktivität nimmt ab, Problem wird in das Ausland verlagert
Der Schweizerische Bauernverband unterstützt zwar das Anliegen, die Biodiversität zu fördern, ist sich aber sicher, dass die Landwirtschaft bereits genug dafür tut. Zudem argumentieren die Gegner der Initiative damit, dass bei einem JA 145'000 ha landwirtschaftlicher Nutzfläche unter Schutz gestellt würde und dadurch weniger Produktion möglich sei. Somit müssten mehr Lebensmittel importiert werden.
Kommentar: Die Landwirtschaft macht tatsächlich schon einiges für die Biodiversität, aber noch nicht das Optimum. Sie mag die einzige Branche sein, welcher der Bund die Förderung der Biodiversität vorschreibt - sie ist aber auch die einzige Branche, die dafür finanziell entschädigt wird.
Der durchschnittliche Anteil Biodiversitätsförderflächen an der landwirtschaftlichen Nutzfläche (LN) liegt bei 19,3%. Das sind Flächen, die nicht der Nahrungsmittelproduktion dienen, sondern dem Erhalt und der Förderung der Biodiversität. Seit 1993 werden diese Flächen, auf denen keine Kalorien produziert werden, im Rahmen des Direktzahlungssystems finanziell entgolten.
Wirtschaftet ein Betrieb nach dem ökologischen Leistungsnachweis (ÖLN) und bezieht Direktzahlungen, muss er mindestens 7% seines Betriebes als BFF bewirtschaften.
Diese 19 % sind in der Tat einiges mehr als die vom Bund vorgeschriebenen 7%. Das ist quantitativ viel, sagt aber noch nichts über die Qualität der Flächen aus. Der Entscheid, auf welcher Fläche eine BFF angelegt wird, hängt meist nicht davon ab, welche Fläche besonders gut für die Biodiversität ist, sondern davon, welche Fläche sich am wenigsten gut für die Lebensmittelproduktion eignet. Oftmals werden nämlich jene Flächen zu BFF, welche weit abgelegen sind und weniger geeignet für den Anbau von Nahrungsmitteln oder die Haltung von Tieren sind.
Dass die Produktivität bei Annahme der Initiative abnimmt, ist nicht belegt. Denn auch hier ist unklar, welche Landwirtschaftsflächen zum Erhalt der Biodiversität unter welchen Bedingungen zur Verfügung stünden. Heute ist der Selbstversorgungsgrad der Schweiz bei ca. 55%. Dabei könnte die Nutzung der Flächen effizienter gestaltet werden: Denn laut dem Agrarbericht 2021 wird auf rund 60% der Ackerfläche Tierfutter angebaut. Eine Umstellung dieser Fläche auf den Anbau von Nahrungsmitteln für den direkten menschlichen Verzehr würde den Selbstversorgungsgrad enorm stärken.
Und das Wichtigste: Es heisst nicht «Produktion» oder «Biodiversität». Es gibt bereits zahlreiche Beispiele an Betrieben, die aufzeigen, wie Produktion und Biodiversitätsförderung in Einklang miteinander funktionieren, wie sie sich gar gegenseitig bedingen. In einem kommenden Newsletter wird Vision Landwirtschaft einen solchen Betrieb besuchen.
Was passiert bei einem JA
Wird die Initiative angenommen, muss sich das Parlament mit dem Thema auseinandersetzen und ausarbeiten, wie die Landschaft und die Biodiversität in der Schweiz besser geschützt werden können. Dafür ist eine Frist von fünf Jahren vorgegeben. Vermutlich würde an den Punkten angeknüpft werden, die bei der Diskussion eines möglichen Gegenvorschlages aktuell waren. In seiner Botschaft zum indirekten Gegenvorschlag hält der Bund fest: «Aus volkswirtschaftlicher Sicht weist die Biodiversität den Charakter eines öffentlichen Gutes auf: Alle können und dürfen sie nutzen, bezahlen aber nichts dafür. Ausserdem sind die natürlichen Ressourcen ohne Berücksichtigung der externen Kosten zu günstig. Dies führt dazu, dass Ökosysteme übernutzt und deren Leistungen beeinträchtigt werden. Die Nachfrage nach natürlichen Ressourcen übersteigt also das Angebot bei Weitem. Aus ökonomischer Sicht liegt damit bei der Biodiversität ein Marktversagen vor. Um das Marktversagen zu mindern, hat der Bund regulierend eingegriffen und entsprechend Gesetze (beispielsweise das NHG) und Verordnungen erlassen. Zahlreiche Untersuchungen zeigen allerdings, dass diese Bemühungen des Bundes zu schwach sind, um den Biodiversitätsverlust aufzuhalten. Aus ökonomischer Sicht liegt damit auch ein Regulierungsversagen vor und staatliches Handeln ist notwendig.» Ein JA zur Biodiversitätsinitiative würde dazu führen, dass der Bund Massnahmen treffen muss, um dieses Regulierungsversagen zu mindern. In diesem Gegenvorschlag war das Ziel, 17% der Landesfläche zu schützen, und zwar in allen Landesteilen und für alle Lebensraumtypen. Zusätzlich sollten bestehende nationale Schutzgebiete saniert werden. Ein zentraler Punkt im Gegenvorschlag war zudem die gezielte Förderung der Biodiversität im Siedlungsgebiet. Mittels konkreter Massnahmen sollten die Gemeinden Anreize erhalten, naturnahe Grünräume zu schaffen und zu erhalten. Das Parlament hat es zwar abgelehnt, den indirekten Gegenvorschlag zur Abstimmung zu bringen, doch ist zu erwarten, dass bei einem JA die Initiative in diesem Sinne umgesetzt wird.
Was passiert bei einem NEIN
Bei einem Nein zur Initiative besteht keine Pflicht, dass sich Parlament und Bundesrat weiter mit diesem Thema beschäftigen. Aktuellster Stand auf Bundeebene wäre demnach noch immer die Biodiversitätsstrategie von 2012, welche 2017 mit einem Aktionsplan ergänzt wurde.
Zu befürchten ist jedoch, dass es für die Biodiversität einen frappanten Rückschritt gibt: Die eingeleitete Totalrevision der Pflanzenschutzmittelverordnung wird die Zulassung stark schädlicher Pestizide vereinfachen und sich negativ auf die schon geschwächte Biodiversität auswirken. Vision Landwirtschaft hat in einem ausführlichen Bericht über diese Revision informiert. Auch andere wichtige Massnahmen für die Biodiversität, wie der Absenkpfad Stickstoff, wurden abgeschwächt. In der Sommersession hat das Parlament die bereits eingeführte Massnahme der 3.5% Biodiversitätsförderflächen im Ackerland abgeschafft. Dies, obwohl die Kantone, IP Suisse und Bio Suisse sich dafür eingesetzt haben, dass die Massnahme bestehen bleibt. Auch weil wesentliche Verbesserungen aus der Praxis aufgenommen wurden. Bei einem NEIN zur Biodiversitätsinitiative ist unklar, ob in den nächsten Jahren auf nationaler Ebene substantielle Massnahmen gegen das Artensterben getroffen werden.
Kästchen
«Biodiversität – was ist das überhaupt?»
«Vögeli, Käferli und Blüemli» - das ist Biodiversität. Das stimmt zum Teil, aber nicht nur. Die Vielfalt an verschiedenen Lebewesen ist ein Aspekt der Biodiversität, die Vielfalt von verschiedenen Lebensräumen ein anderer. Ein dritter, oft vernachlässigter Teil ist aber auch die Vielfalt innerhalb der Arten. Nehmen wir zum Beispiel uns, den Menschen: Wir alle gehören zur selben Art, Homo sapiens. Unsere Gene sind mehrheitlich gleich, doch die Ausprägung deren ist verschieden; wir haben verschiedene Grössen, Augen- und Haarfarben. Das basiert auf kleinen, genetischen Unterschieden, die nicht überlebensrelevant sind, aber alle dazu beitragen, dass der Genpool innerhalb unserer Art sehr divers ist. Auch andere Arten, wie zum Beispiel die Wiesenmargarite weist eine breite genetische Vielfalt auf: Bei der Blume äussert sich dies in Nuancen in der Blütenfarbe, aber auch im Zeitpunkt, in dem sie blüht oder ihren Ansprüchen an Wasser oder Licht. Die einen blühen später, die anderen haben es lieber trocken. Das erhöht die Resilienz der einzelnen Arten bei einer Störung der Umgebung. Hätten wir innerhalb der Arten keine Vielfalt, können Störungen nicht abgefedert werden oder auf den Menschen bezogen; wir wären alles Heidi Klums und Arnold Schwarzeneggers.
Obwohl die Mehrheit der Landwirt:innen die 3.5 % Biodiversität in den Ackerflächen unterstützt, werden sie voraussichtlich vom nationalen Parlament abgeschafft. Dies in dem Entscheide, die auf Verordnungsebene beschlossen und eingeführt worden sind und nun vorausssichtlich über eine Motion gekippt werden. Und das, obwohl viele Landwirt:innen solche Flächen bereits angelegt haben und die beiden Verbände (IP Suisse und Bio Suisse), welche zusammen die Mehrheit der Landwirt:innen vertreten, sich klar für den Beibehalt dieser Massnahme ausgesprochen haben. Sie haben auch an einem Hearing der Wirtschaftskommission teilgenommen und aufgezeigt, warum Biodiversität und Produktion sich gegenseitig brauchen, gerade in den Ackerflächen.
Es ist unverständlich, dass die Politik sich zu solchen Manövern hinreissen lässt, respektlos gegenüber allen Landwirt:innen, welche diese Flächen bereits angelegt und die Verordnung umgesetzt haben.
Sowohl der Geschäftsführer der IP Suisse als auch der Präsident der Bio Suisse haben betont, dass die Rückmeldungen und Anpassungsvorschläge zum Instrument zeigen, dass sie durch die Branche auch aufgenommen werden. Es zeigt auch, dass die aktuell vorgeschlagenen Anpassungen ein sinnvoller Kompromiss sind, der für die Landwirtschaft gut ist. Denn so kann die Biodiversität entscheidend gefördert werden, ohne die Produktivität zu beeinträchtigen. Die Wirkung der Acker-BFF gegen Erosion und zugunsten der Wasserspeicherung sowie der Förderung von Insekten und Nützlingen sind wichtig für stabile Erträge. Und sie sind eine Investition in den Erhalt der Artenvielfalt.
In der Schweiz sind 45% der heimischen Wildbienen gefährdet. Das geht aus der aktualisierten Roten Liste Bienen hervor, die das Bundesamt für Umwelt (BAFU) veröffentlicht hat. Hauptursachen dafür sind ein mangelndes Angebot an Blüten zum Sammeln von Pollen und Nektar sowie fehlende Nistplätze. Vision Landwirtschaft hatte bereits im Newsletter Februar 2023 auf diese Situation der Wildbienen hingewiesen, da diese Basis-Daten bereits dann bekannt waren. Die Landwirtschaft ist angewiesen auf eine gute Bestäubungsdienstleistung auch durch die Wildbienen.
Die Landwirtschaft macht schon einiges für die Biodiversität. Das Problem ist nicht die fehlende Beteiligung der Landwirt:innen an den Programmen. Aber sie sind so ausgestaltet, dass sie nicht die optimale Wirkung entfalten.
Es braucht ein ganzheitliches Denken und Handeln, um die Biodiversitätskrise noch aufhalten zu können. Doch nicht nur im Kulturland muss mehr für die Biodiversität getan werden. Auch im Wald und ganz besonders im Siedlungsraum sind zusätzliche dringende Massnahmen nötig. Es ist eine Aufgabe welche die ganze Gesellschaft gemeinsam lösen muss.
Zurzeit werden die Weichen der Biodiversitätsförderung im Kulturland neu gestellt. Mit der Zusammenführung der Vernetzungs- und Landschaftsqualitätsprojekte stehen wichtige Veränderungen bevor.
Beim Thema Biodiversität lohnt sich der Blick auf sachliche Grundlagen. Zurzeit sind auf nationaler Ebene keine quantitativen Zielvorgaben vorgesehen und im Landschaftskonzept Schweiz sind wichtige Grössen nicht im Detail definiert. Aus diesem Grund hat die die Schweizerische Vogelwarte die Begriffsdefinition «hochwertige Biodiversitätsförderflächen» erarbeitet und darauf abgestützt quantitative Zielvorgaben formuliert.
Die Evaluation der Vernetzungsprojekte hat aufgezeigt, dass gute Projekte von messbaren und klaren Zielen und weiteren Faktoren wie einer qualitativ hochstehenden Beratung geprägt sind. Biodiversität ist für die landwirtschaftliche Produktion essentiell und braucht eine konsequente Unterstützung aus der Politik und Gesamtgesellschaft. Denn die Biodiversität kommen uns allen zu Gute. Damit die Umsetzung funktioniert und die Qualitätsziele erreicht werden, braucht es genügend hochwertige und vernetzte Flächen an der richtigen Lage zur Förderung der Biodiversität.
Tag für Tag werden die Lebensmittelregale gefüllt und Restaurants und Kantinen beliefert. Tausende Produkte sind jederzeit verfügbar. Hinter dem Warenangebot steckt ein hochkomplexes System. Mit hohem logistischem Aufwand sorgen Landwirtschaft, Industrie und Handel dafür, dass die Produkte zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch nur zu einem kleinen Teil landen Lebensmittel direkt aus der Region auf unseren Tellern. Denn die Landwirt:innen aus der Region produzieren überwiegend für den Grosshandel und dadurch legen die Lebensmittel hunderte von Kilometern zurück. Wenn zum Beispiel ein Zürcher Obstproduzent seine Äpfel an die Migros liefert, muss er diese nach Gossau im Kanton St. Gallen fahren und die Migros liefert diese dann an ihre Märkte in der Stadt Zürich. Das sind dann hin und zurück 150 km. Dieses System hat sich über Jahre entwickelt. Doch je komplexer ein System, desto mehr Energie wird benötigt und es wird anfälliger für Störungen aller Art.
Wir sollten die regionalen Ressourcen besser nutzen. Das heisst nicht, dass die Ernährung zu 100 Prozent regional sichergestellt werden sollte. Aber die regionale Selbstversorgung könnte deutlich besser sein. Auf den Flächen rund um die Stadt sollte das wachsen, was nach möglichst kurzem Weg auf den Tellern landet, für ein Ernährungssystem, in dem ein reger Austausch herrscht und in dem es ein gesteigertes Bewusstsein und Interesse für regionale Lebensmittel gibt. Das ist auch ein Ernährungssystem, das man in seiner Freizeit entdecken und erleben kann, das sich durch Diversität auszeichnet, kleine Betriebe erhält und Innovationen fördert. Ein solches System schützt nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Kulturlandschaft und wertet das Leben in der Region durch eine lokale Wertschöpfung auf. Wie das funktionieren kann:
Portrait des Pionierbetriebes Brüederhof - Die Stärken der Region besser nutzen
(VL) Wer regional einkaufen möchte, braucht auch ein regionales Angebot. Und umgekehrt: landwirtschaftliche Betriebe und Verarbeiter brauchen Abnehmer:innen für ihre regional erzeugten Lebensmittel. Um die Nahversorgung zu stärken und Stadt und Land zusammenzubringen, müssen alle Akteur:innen zusammenwirken.
Genau dies findet im Biogarten Lieli auf dem Birchhof in Oberwil-Lieli statt. An der bereits zur Tradition gewordenen Feldbegehung der Geschwister Kessens nehmen immer mehr interessierte Menschen teil. Sie wollen wissen, wie ihr Gemüse- und Obst angebaut wird, das sie mit ihrem Gemüse-Abo an über 150 Quartierdepots im Raum Zürich und Baden abholen können.
Der Biogarten mit zwei unbeheizten Treibhäusern.
Samuel Kessens führt uns durch seinen zwei Hektar grossen Biogarten. Er ist Gemüsebauer, weil sein Vater Gemüsebauer ist. Aber er hat einen besonderen Blick für nachhaltige Systeme und ein starkes Interesse für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Mit neuen Anbaumethoden entwickelt er den väterlichen Betrieb weiter und indem er seine Kunden auf den Betrieb einlädt, fördert er ein tieferes Verständnis für die Lebensmittelproduktion. Das hilft ihm, weil dadurch sein Gemüse nicht perfekt sein muss und die Kunden verstehen, wenn es manchmal weniger Bohnen dafür mehr Zucchetti gibt.
Feldbegehung, angeführt von Samuel Kessens.
Sehen wie das Gemüse wächst.
Sie sind etwas wirklich Besonderes, die kleinen, vielfältig bepflanzten Gemüsebeete. Sehr eng beieinander wachsen Salate, Rüebli, Zwiebeln, Blumenkohl, Himbeeren, Äpfel, Zwetschgen und vieles mehr. An den Rändern der Beete blühen Borretsch, Kamille und andere Wildblumen. Und in zwei ungeheizten Folientunneln warten dichte Reihen grüner Tomaten und Melonen aufs Reifwerden. Auch die vielen kleine, schwarzen Läuse an den Bohnenblättern sind wichtig für die Entwicklung der Marienkäferlarven, denn bald werden sie das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen.
Samuels Kessens Kernanliegen ist die Erhaltung und Wiederherstellung eines humusreichen Bodens als lebendiges Ökosystem. Der Betriebsleiter setzt darum auf Kompost, Gründüngung, eine ausgeklügelte Fruchtfolge, eine reduzierte Bearbeitung des Bodens und enge Pflanzabstände. Die Beete werden so wenig wie möglich betreten oder von Maschinen befahren, damit der Boden nicht zu sehr gestört wird. Das alles ermöglicht eine sehr hohe Produktivität auf sehr kleiner Fläche bei möglichst geringem Verbrauch an Ressourcen. Das Wasser wird von der nachbarschaftlichen Quelle mit einer Solarpumpe in den Wassertank gepumpt und dort gespeichert, wo es dann über ein Tröpfchen Bewässerungssystem langsam in den Kulturen verteilt wird. Feuchtigkeit und Nährstoffe bleiben somit im Boden, der zudem CO2 bindet. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit, auch gegen die Folgen des Klimawandels.
Gesunde Böden erhalten die Feuchtigkeit.
Diese Art der Bewirtschaftung von Agrarland ist in der Schweiz eher selten. Das eigentlich überraschende am Biogarten Lieli sind aber die beinahe zwanzig Mitarbeitende, die hier jäten, pflanzen, bewässern, ernten, waschen, verpacken und ausliefern. Ist das wirtschaftlich tragbar? Ja, meint Samuel Kessens. «Der Grossteil der Produkte wird direkt von uns auf dem Birchhof in unserem Biogarten produziert. Dadurch bleibt die Wertschöpfung auf unserem Betrieb. Andere Produkte kaufen wir aus der Region dazu, um die Wünsche unserer Kund:innen erfüllen zu können. Dabei achten wir auf Saisonalität, Regionalität und eine verantwortungsvolle Produktion.»
Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, um die Nahversorgung zu verbessern. Die öffentliche Hand könnte mehr regionale und saisonale Erzeugnisse in ihren Kantinen einsetzen. Vielfältige und innovative Unternehmen und Initiativen sollten unterstützt und gefördert werden, für «ein System, das wieder Verbindung schafft, vom Landwirt bis zum Teller.»
Die Marienkäferlarven fressen die Eier von Läusen, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt.
Wasser wird sparsam eingesetzt und wo möglich gesammelt und gespeichert.
Jede noch so kleine Fläche wird intensiv genutzt, sogar der Zaun dient als Stütze für Brombeeren und Vogelsitzstangen.
Schonende Bodenbearbeitung, um das Bodengleichgewicht zu erhalten.
Die Schweiz ist vom Biodiversitätsverlust sehr stark betroffen. Das hat bereits grosse Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Sehr besorgniserregend ist der Rückgang vieler Wildbienen-Arten, deren Leistungen als Bestäuber sehr wichtig sind für die Landwirtschaft. Neue Daten, welche für die Aktualisierung der Roten Liste der gefährdeten Bienenarten der Schweiz von Dr. Andreas Müller erhoben wurden, zeigen, dass rund 10% der Wildbienenarten bereits ausgestorben sind. Eine sehr hohe Zahl von 45% der Arten wird voraussichtlich dieses Jahr auf die Rote Liste gesetzt. Dies hat einen direkten Zusammenhang auf die Erträge von vielen Nutzpflanzen. Die Bestäubung ist aber nur eine der wichtigen Ökosystemleistungen unter vielen, die alle massgeblich zu einer Landwirtschaft mit guter und stabiler Produktionsleistung beitragen. Das Wissen und die Fakten zu diesen Zusammenhängen werden häufig zu wenig berücksichtigt in politischen Entscheiden, aber auch auf Landwirtschaftsbetrieben und bei der Bewirtschaftung von Flächen der öffentlichen Hand. Trotz Engagement vieler Landwirt:innen für die Biodiversität auf ihren Betrieben nimmt die Artenvielfalt weiter drastisch ab.
(VL) Die wichtigsten vier Dienstleistungen einer intakten Biodiversität für die Landwirtschaft sind die Bestäubung, die Schädling-Nützling-Interaktion, die Bodenfruchtbarkeit und ein vielfältiger Gen-Pool für resistente Sorten. Alle diese Ökosystemleistungen tragen dazu bei, dass gute und stabile Erträge erreicht werden und dass Umwelteinflüsse – zum Beispiel Auswirkungen des Klimawandels – gemindert werden können. Die Versorgungssicherheit in Bezug auf die Lebensmittelproduktion der Schweiz könnte schon für die nächste Generation deutlich abnehmen, wenn der kontinuierliche Rückgang der Biodiversität nicht gestoppt werden kann. Daher ist es wichtig, dass die Begriffe Versorgungssicherheit und Biodiversität nicht als Zielkonflikt gesehen werden, sondern als Einheit. Denn ohne eine gute und funktionale Biodiversität, wird eine stabile Produktion in der Landwirtschaft je länger je schwieriger.
Einfluss der Bestäubung auf die Erträge von Äpfeln, Kirschen und Himbeeren
Mit einem Blick auf die wesentlichen Fakten aus nationalen Berichten ist schnell klar: Der Biodiversität in der Schweiz geht es gar nicht gut. Zahlreiche Pflanzenarten, Insekten, Vögel, Pilze, Algen und Flechten sind lokal verschwunden oder bereits ausgestorben. Mehr als die Hälfte der Arten ist zumindest potenziell bedroht. Bei den Insekten zum Beispiel sind es rund 60 Prozent. Die neuen Zahlen von Dr. Andreas Müller, Natur Umwelt Wissen GmbH, zu den Wildbienen dokumentieren eine drastische Abnahme der Arten. Von den 613 bewerteten Wildbienenarten müssen neu 277 auf die Rote Liste gesetzt werden. Im Vergleich zu anderen evaluierten Organismengruppen ist der Anteil der ausgestorbenen Arten mit 57 Arten sehr hoch. Der hohe Anteil gefährdeter und ausgestorbener Wildbienenarten dürfte mit den hohen Ansprüchen dieser Insekten an ihre Nist- und Nahrungsressourcen zusammenhängen, die sich zudem oftmals in verschiedenen und räumlich voneinander getrennten Lebensräumen befinden. Diese neuen Daten zeigen, dass die bisher getroffenen Massnahmen zum Erhalt der Biodiversität allein noch bei Weitem nicht die nötige Wirkung auf die Population von Wildbienen haben. Die Bestäubungsleistungen aller Wildbienen-Arten zusammen genommen sind in etwa gleich gross wie die der Honigbiene.
Das Sterben der Wildbienen hat einen direkten Einfluss auf die Erträge von Nutzpflanzen. Mehrere Studien zeigen die Wichtigkeit dieser Bestäuber und deren Einfluss auf die landwirtschaftlichen Erträge auf. So berechnet Agroscope in einer Studie von 2021 bereits einen Rückgang von bis zu 30% der Erträge bei Kirschen, Himbeeren und Äpfeln. Auch Ackerbohnen – ein wichtiger Eiweisslieferant für die menschliche wie die tierische Ernährung – sind stark von den Bestäubungsleistungen von Hummeln, einer Gattung der echten Bienen, abhängig. Dies vor allem, weil Ackerbohnen sehr früh im Jahr blühen, zu einer Zeit, in der die Honigbienen noch nicht fliegen. Eine Studie des FibL erläutert zudem, welche konkreten Massnahmen in der Landwirtschaft nötig sind, damit Wildbienen gezielt gefördert werden. Auch Zahlen in Bezug auf den wirtschaftlichen Wert sind erhoben worden. Das Wissen ist vorhanden – die Frage ist nur: Was braucht es, dass dieses Wissen in der Praxis ankommt und umgesetzt wird? Hier sind auch weitsichtige Entscheide der Politik gefragt, um die Ernährungssicherheit für unser Land langfristig zu bewahren.
Höhere Bodenfruchtbarkeit dank mehr Bodenorganismen
Die Bodenbiodiversität ist entscheidend für die Aufnahme von Nährstoffen durch die Pflanzen und daher auch zentral für die Erträge in der Landwirtschaft. Die meisten Bodenfunktionen werden direkt oder indirekt von Bodenlebewesen gesteuert. Eine hohe biologische Vielfalt im Boden ist unter anderem die Voraussetzung für eine hohe oberirdische Biodiversität, einen besseren Abbau von abgestorbenem Pflanzenmaterial, eine bessere Nährstoffverfügbarkeit und für einen reduzierten Ausstoss von Lachgas aus dem Boden. Ohne Bodenorganismen ist schlussendlich keine Nahrungsmittelproduktionmöglich, denn diese garantieren den Erhalt der Produktions- und Regulierungsfunktionen des Bodens, besonders seines Wasserhaushalts und des Umsatzes organischer Substanzen. Im letzten Sommer, während der langen Trockenperiode, war dies überall in der Schweiz zu sehen: Auf den Flächen mit hoher organischer Substanz und damit grosser Anzahl an Bodenorganismen, konnte das Wasser länger im Boden gespeichert werden, dies hatte einen direkten positiven Einfluss auf die Erträge.
Schädling-Nützling-Interaktionen und der genetische Pool
Verschiedene Forschungsresultate zeigen die Wichtigkeit von Insekten und Spinnen in der natürlichen Regulation von Schädlingen in landwirtschaftlichen Kulturen auf. Diese Räuber, die einen bedeutenden Teil der Schädlinge fressen, können durch räumliche Massnahmen auf dem Betrieb und angepasste Bewirtschaftungsformen gefördert werden. Das heisst konkret: landwirtschaftlich genutzte Gebiete brauchen viele blütenreiche Lebensräume, die zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr für die Nüzlinge Nahrung liefern können. Das sind extensiv genutzte Wiesen, Hecken, Waldränder, Blühstreifen und Säume. Die Säume spielen dabei eine unspektakuläre aber sehr wichtige Rolle, denn sie vernetzen zwei Lebensraumtypen, zum Beispiel Stauden zwischen Wald und Wiese. In der Schädlingskontrolle spielen unter anderen Schwebefliegen eine wichtige Rolle. Ihr Vorteil ist, dass sie früh im Frühjahr erscheinen, so dass sie bereits gegen erste Schädlinge wirken können. Sie überwintern in extensiven Wiesen, Brachen oder Säumen. Und genau diese Lebensräume nehmen so rasch und stark ab, dass auch die Schwebefliegen zu den stark gefährdeten Insekten gehören.
In der Zucht von Kultursorten spielt die Biodiversität ebenso eine wichtige Rolle. Die genetische Vielfalt wird dafür genutzt und gestaltet. Wichtig bei den Kultursorten ist für die Erhaltung der genetischen Vielfalt der Genpool alter Landsorten. Je höher die genetische Vielfalt einer Art, desto besser kann sich eine Art an neue Gegebenheiten anpassen, indem jene mit einem Vorteil überleben. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel ist es wichtig, zum Beispiel auf trockentolerantere Sorten zurückgreifen zu können.
Rolle der Landwirtschaft
Die Landwirtschaft ist also gleichzeitig Nutzniesserin der Biodiversität und aber auch einer der stärksten Treiber für die Biodiversitätskrise. In der Schweiz sind insbesondere die viel zu hohen Nährstoffeinträge aus intensiver Tierhaltung, die grossflächige Anwendung von Kunstdünger, die hohe Belastung durch Pestizide und generell die äusserst intensive Bewirtschaftung die Faktoren für den Biodiversitätsverlust. Es braucht ein ganzheitliches Denken und Handeln, um die Biodiversitätskrise noch aufhalten zu können. Ein Beispiel: Ein Buntbrache-Streifen entlang einer Ackerkultur nützt wenig, wenn die Insekten, die sich in der Brache aufhalten, durch Pestizid-Drift aus der Ackerkultur abgetötet werden oder wenn die Nährstoffeinträge im Boden so hoch sind, dass sich die für die Wildbienen wichtigen Pflanzen gar nicht etablieren können. Damit insbesondere auch die funktionale Biodiversität erhalten werden kann, muss das Wissen über diese Zusammenhänge noch viel stärker verbreitet und einbezogen werden. Viele Landwirt:innen setzen auf ihren Betrieben schon viel an Biodiversitätsförderung um. Sie leisten so eine wichtige Aufgabe nicht nur für ihren Betrieb, sondern für die ganze Landwirtschaft. Doch sie brauchen mehr Unterstützung durch die Landwirtschaftspolitik und ihre Verbände.
«Kästchen» Biodiversität in der Politik
Die AP22+ bringt im Bereich Biodiversität nur geringfügige Verbesserungen. Insbesondere sind keine Massnahmen vorgesehen, welche die Qualität der Biodiversität innerhalb der bereits bestehenden Flächen verbessern. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen und vom Nationalrat ausdrücklich unterstützten 3.5% Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau werden Verbesserungen bringen. Der Absenkpfad der Gülle- und Ammoniakemissionen, der vor allem das Problem der Nitratüberschüsse angeht, wurde jedoch im Parlament zurückgestutzt. Das heisst, dass bis 2030 (erst dann ist eine Überarbeitung der Agrarpolitik geplant) gerade beim Stickstoff und Klimaschutz keine Verbesserungen aus der Agrarpolitik kommen. Dabei liegen viele mögliche Lösungen auf dem Tisch, zum Beispiel Anpassungen wie den verbindlichen Einbezug der Bodenanalysen in die Düngungsplanung oder Lenkungsabgaben auf Kunstdünger und Futtermittel zur Regulierung der Stickstoffverschmutzung in der Schweiz. Die Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen (IP Suisse) hat ihr Punkteprogramm im Bereich Biodiversität verschärft, weil sie überzeugt ist, dass die Biodiversität stärker auf den IP-Betrieben gefördert werden soll.
Der Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative, den der Nationalrat ausgearbeitet hat, wird nächstens von der ständerätlichen Umweltkommission behandelt. Dank dieser Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes können die Landwirt:innen sich gezielt für die Biodiversität einsetzen, unter anderem in neuen Biodiversitätsgebieten, die Schutz und Nutzung kombinieren. Die Revision sieht 96 Millionen Franken mehr für die Biodiversität der Schweiz vor, die zu einem grossen Teil an die Landwirtschafsbetriebe gehen. Doch nicht nur im Kulturland muss mehr für die Biodiversität getan werden. Auch im Wald und ganz besonders im Siedlungsraum sind zusätzliche dringende Massnahmen nötig und mit der Gesetzesrevision vorgesehen.
Links/Literatur:
Ernährungssicherheit erfordert eine umfassende Sichtweise, Albert von Ow, Agroscope:
Das Bundesamt für Umwelt weist erneut auf die Belastung der Wälder durch übermässigen Stickstoff aus der Luft hin und listet Massnahmen auf, wie sie zu reduzieren sind.
Zwei Drittel der stickstoffhaltigen Luftschadstoffe stammen aus der Landwirtschaft. Deshalb müssen dringend die Massnahmen für zur Reduktion der Ammoniak- und Stickoxidemissionen konsequent umgesetzt werden.
Es leidet nicht nur die Gesundheit des Waldes: Die grosse Menge an Stickstoffverbindungen schädigen Menschen, Pflanzen, Tiere, Böden, Gewässer, Klima und Biodiversität gleichermassen. Der wichtigste Hebel zur Reduktion der Stickstoffeinträge ist die Anwendung des Standes der Technik in allen Sektoren (Landwirtschaft, Industrie, Energie und Mobilität). Verbesserungen hängen massgeblich von der Umsetzung in der Landwirtschaft und der weiteren Entwicklung des Tierbestandes ab. Insofern hat auch unser Konsumverhalten einen Einfluss auf die Stickstoffbelastung.
(VL) Die Schweiz lagert im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) 17’000 Tonnen importierten Stickstoffdünger in Pflichtlagern. Gleichzeitig müssen Landwirt:innen aus der Zentralschweiz, die wegen zu hohen Tierbeständen Hofdünger-Überschüsse haben, Hofdünger in andere Kantone oder sogar ins Ausland exportieren (s. Agrarbericht 2021, Hoduflu Datenauswertung).
Da stellt sich die Frage, ob es eine Option für die Schweizer Landwirtschaft wäre, wenn Betriebe vermehrt anstatt importiertem Kunstdünger tierischen Hofdünger wie Mist und Gülle einsetzen würden? Aus Sicht der Klima- und Umweltperspektive ist eines klar: Zuviel Dünger, ob Hofdünger oder Kunstdünger, schädigt die Umwelt massiv, was in der Schweiz seit Jahren der Fall ist. Um die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Luft und Biodiversität zu schützen, muss die Düngermenge in der Landwirtschaft reduziert werden.
Zu viel Dünger schadet der Umwelt und bringt kaum Mehrerträge
Eine Studie der ETH (ETH News 2020/11) zeigt auf, dass mit extrem hohen Düngemengen nur wenig mehr Ertrag herausgeholt werden kann. Die ETH-Forscher David Wüpper und Robert Finger von der Professur für Agrarökonomie und ‑Politik kommen zum Schluss, dass die Düngung in vielen Ländern verringert werden könnte, ohne dass die Erträge markant einbrechen würden. Es stellt sich also die Frage, wo das Optimum unter ganzheitlicher Systembetrachtung liegt (Erträge, Kosten/Nutzen, Umweltschädigung), ob es Optimierungen beim Einsatz von verschiedenen Düngertypen gibt und wo die Vor- und Nachteile bei Alternativen für Kunstdünger liegen?
Vor- und Nachteile von Kunst- und Hofdünger
Kunstdünger sind mineralische Düngemittel, die in der Schweiz primär im Ackerbau verwendet werden. Der Vorteil von Kunstdünger ist, dass er sehr gezielt eingesetzt werden kann und von den Pflanzen schnell aufgenommen wird. Der Nachteil von Kunstdünger: Die Herstellung von Kunstdüngern verbraucht grosse Mengen an Energie für die Stickstoffherstellung, beutet endliche fossile Lagerstätten aus für die Phosphor-Gewinnung, zerstört Landschaften und verschmutzt Gewässer. Pro Tonne produziertem Ammoniak werden zwei Tonnen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid freigesetzt.
Das Verfahren zum Synthetisieren von Stickstoffverbindungen aus Luftstickstoff ist so energieintensiv, dass es sich wirtschaftlich nur bei extrem günstigen Energiepreisen lohnt. Wenn also die Energiekosten durch Krisensituationen steigen oder Importe erschwert sind, steigen die Preise von Kunstdünger massiv und die Verfügbarkeit sinkt. Umgekehrt sind Hofdünger wie Gülle und Mist in der Schweiz wegen der zu intensiven Tierhaltung im Überfluss vorhanden. Der Nachteil von Hofdünger ist, dass die Nährstoff-Zusammensetzung sehr stark variiert, ein Teil der Nährstoffe für Pflanzen nicht direkt verfügbar ist, und eine zeitlich präzise Düngung von Ackerkulturen erschwert ist. Hinzu kommt, dass Hofdünger bei falscher Lagerung und Ausbringung die Umwelt stark belastet. Viele Landwirt:innen klagen auch über zunehmende Schwierigkeiten bei der Ausbringung von Hofdünger, wenn - wie im letzten Sommer - Dauerregen und Überschwemmungen angesagt sind. Auch lange Trockenperioden machen die Hofdüngerausbringung schwierig, und die extremen Wettersituationen werden mit der Klimakrise weiter zunehmen. Wohin mit dem Hofdünger in solchen Situationen, wenn die Lagerkapazität auf dem Hof erreicht ist? Viele Landwirt:innen sind damit überfordert und es braucht Unterstützung und Beratung in der Praxis.
Ersatz von Kunstdünger durch Hofdünger bedingt Systemanpassungen
Weil Kunstdünger in der Handhabung und hinsichtlich Wirkung viel einfacher sind, setzen viele Acker- und Gemüsebaubetriebe vor allem Kunstdünger ein. Denn Acker- und Gemüsekulturen lassen sich mit Kunstdünger einfacher und präziser düngen. Dies mindert das Risiko von Ertragsreduktionen. Zudem ist vielfach das Know-how nicht mehr vorhanden, um ein effektives und umweltschonendes Hofdüngermanagement umzusetzen. Eine Umstellung von Kunstdünger auf Hofdünger ist anspruchsvoll und setzt eine fachkundige Beratung voraus. Es braucht dazu u.a. eine Anpassung der Fruchtfolge (mehr verschiedene Kulturen und Kunstwiesenanbau) und ein Anbau von Leguminosen. Um den Stickstoff für die Pflanzen verfügbar zu machen, braucht es zudem eine lebendige, vielfältige Bodenfauna (u.a. Regenwürmer, Mikroorganismen), die den Stickstoff mineralisieren und damit freisetzen. Ein solches System zu entwickeln, braucht Zeit, Wissen und Erfahrung. Dass das aber möglich ist, beweisen viele Betriebe schon heute, z.B. Biobetriebe oder Betriebe, die konservierende oder regenerative Landwirtschaft betreiben. Diese Betriebe erwirtschaften auch mit Hofdünger stabile Erträge. In der Schweiz wäre ein weiterer Hebel für eine Umstellung das Subventionssystem, das heute starke Anreize für hohe Erträge setzt und Umweltbelastungen durch Überdüngung in Kauf nimmt – auch weit über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus.
Ernährungssicherheit ohne Kunstdünger?
Die zentrale Frage bleibt: Können wir die heutige Ernährungssicherheit mit deutlich weniger Kunstdünger gewährleisten? Über kurz oder lang kommen wir nicht darum herum, den Einsatz von Kunstdünger – aber auch Hofdünger – massiv zu verringern. Denn die Herstellung und Beschaffung von importiertem Kunstdünger ist unter Krisenzeiten ein grosses Risiko. Wir kommen also nicht darum herum, unseren Ackerbau auf innovative Anbausysteme umzustellen und natürliche Kreisläufe und Dienstleistungen der Natur intelligenter zu nutzen. Das vorhandene Wissen muss noch breiter Eingang in die Praxis finden. Fachleute sind der Meinung, dass es möglich sein sollte, auch ohne Kunstdünger und durch eine effizientere Nutzung von Hofdünger (moderne Lager‑, Ausbring- und Aufbereitungstechnik) gute bis hohe Erträge erzielen zu können. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch, dass ein Wandel im Ackerbau in direktem Zusammenhang mit unserem Ernährungsverhalten steht. Wenn wir unsere Ernährung verstärkt von tierischer auf pflanzliche umstellen, bietet das viel mehr Spielraum für die Entwicklung nachhaltiger und standortangepasster Anbausysteme. Zudem würden dadurch die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt massiv reduziert, wir würden deutlich weniger abhängig von Importen und unsere Landwirtschaft damit krisenresistenter und versorgungssicherer.
In einer ausgezeichneten Sendung zeigt die SRF-Sendung "Netz Natur" Pioniere einer Landwirtschaft, die die Natur als Vorbild nehmen, um mit Heerscharen von Kleinlebewesen im Boden, mit Pilzen und innovativen Kombinationen von Pflanzen rückstandsfreie, wertvolle Lebensmittel zu produzieren.
Faszinierende Ideen für die Landwirtschaft der Zukunft - mit Herausforderungen, die auf diesem Weg noch auf uns warten. Denn die Bäuerinnen und Bauern allein werden es nicht richten können. Es braucht entscheidende Weichenstellungen von der Politik, vom Handel, und nicht zuletzt von den KonsumentInnen, damit sich eine enkeltaugliche Landwirtschaft durchsetzen kann.
19 Organisationen aus dem Landwirtschafts- und Ernährungssektor, darunter auch Vision Landwirtschaft, fordern im Rahmen der Agrarpolitik 2022+ einen Abbau der Tierbestände und eine Reduktion der immensen Futtermittelimporte in der Schweiz auf ein umweltverträgliches Mass.
Empfindliche Ökosysteme wie Moore und Wälder werden heute mit Ammoniakfrachten aus der Tierhaltung belastet, die gegenüber einem gesetzeskonformen Zustand bis zu 19-fach überhöht sind, wie aktuelle Untersuchungen zeigen.
Für Vision Landwirtschaft steht allerdings nicht der Tierabbau im Vordergrund, sondern die Einhaltung des Umweltrechtes und der internationalen Vereinbarungen. Dazu müssen die Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft halbiert werden. Vision Landwirtschaft fordert, dass dieses Ziel bis 2035 zu erreichen ist. Gemäss Modellrechnungen kann etwa die Hälfte der nötigen Reduktion mit technischen Massnahmen erreicht werden. Die andere Hälfte dürfte nicht ohne einen Abbau der Tierbestände und entsprechend der überbordenden Futtermittelimporte zu realisieren sein.
Seit 20 Jahren hat die Schweizer Agrarpolitik trotz immer wieder verschobener Versprechen und klar vorgegebener gesetzlicher Grenzwerte keine Fortschritte mehr gemacht bei den Ammoniakemissionen. Heute ist die Schweiz im europäischen Vergleich ein Schlusslicht, sowohl was die Höhe der Emissionen als auch was die erreichten Reduktionen anbelangt.
In vielen Landwirtschaftsgebieten der Schweiz ist die Bienentracht sehr einseitig geworden. Die Bienenvölker ernähren sich oft nur noch von wenigen, dafür umso massenweiser vorkommender Pflanzenarten wie Raps, Löwenzahn oder Maispollen. Auch wenn diese genügend Nektar und Pollen zur Verfügung stellen: Die einseitige Ernährung kann zu gravierenden Mangelerscheinungen führen, da essenzielle Eiweisse zunehmend fehlen.
Was kann getan werden, damit den Bienen das ganze Jahr wieder ein gesundes, vielfältiges Nahrungsangebot zur Verfügung steht?
Blumenreiche Wiesen, die noch bis vor 60 Jahren allgegenwärtig waren, könnten in Zukunft wieder eine Schlüsselrolle spielen.
Der Imkerverband Mellifera hat das Thema an seiner Generalversammlung vom 23.11.19 aufgegriffen und dazu Andreas Bosshard von Vision Landwirtschaft eingeladen, um aufzuzeigen, wie artenreiche Wiesen wieder vermehrt Bestandteil einer zukünftigen Landwirtschaft in der Schweiz werden könnten.
Beim Lagern und Ausbringen von Gülle und Mist wird gasförmiger Stickstoff in Form von Ammoniak freigesetzt. Dieser verteilt sich mit dem Wind über weite Distanzen und gelangt so auch in abgelegene Naturschutzgebiete. In der Schweiz sind die Ammoniakemissionen besonders hoch. Dies führt zu einer fast flächendeckenden Überdüngung von sensiblen Ökosystemen. Betroffen sind rund 90% aller Waldböden, ein Drittel aller Trockenwiesen und fast alle Hochmoore. Die Tier- und Pflanzenwelt in diesen sensiblen Gebieten nimmt dabei irreversibel Schaden.
Vor allem in der Ost- und Zentralschweiz betragen die Immissionen fast flächendeckend ein Vielfaches der ökologisch gerade noch tragbaren und gesetzlich festgelegten Menge. So wurden bei Messungen im Moor Bannriet bei Altstätten Ammoniakimmissionen gemessen, die um das Neunfache über dem sogenannten Critical Load liegen. Die Schweiz weist nach Holland und Belgien die höchsten Ammoniakemissionen Europas auf.
Um das für die Biodiversität gravierende Problem der Überdüngung aus der Luft zu lösen, müssen die Tierbestände in der Schweiz massiv reduziert werden. Die über eine Million Tonnen importiertes Kraftfutter, das jedes Jahr in den Schweizer Tierställen verfüttert wird, ist für die Natur nicht verkraftbar.
Es ist unlängst bekannt, dass viele Insekten Schwierigkeiten haben, einen für sie optimalen Lebensraum zu finden. Eine neue Studie der Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft (WSL) und der Universität Bern zeigt nun auf, dass es rund ein Drittel weniger Insekten gibt, als noch vor zehn Jahren. Der stärkste Rückgang wurde in stark landwirtschaftlich genutzten Umgebungen verzeichnet. Dies zeigt einmal mehr auf, dass ein Wandel in der Landwirtschaft dringend notwendig ist, um die Biodiversität zukünftig zu erhalten.
Die Natur bietet der Landwirtschaft viele Dienstleistungen, wie zum Beispiel Bestäubung und Schädlingsregulierung durch Insekten. Eine weltweit angelegte Studie, an welcher auch die Agroscope beteiligt war, zeigt auf, welchen Einfluss eine intakte Biodiversität auf die landwirtschaftlichen Erträge hat. Je höher die Artenvielfalt und je kleinstrukturierter die Agrarlandschaft gestaltet wird, desto grösser fallen die positiven Effekte der natürlichen Dienstleister, bzw. die landwirtschaftlichen Erträge aus.
Längst ist bekannt, dass Bestäuber und Nützlinge in vielen Kulturen für eine reiche Ernte entscheidend sind. Genau in diesen landwirtschaftlichen Kulturen finden die Insekten und anderen Kleintiere jedoch oft nur über kurze Zeit genügend Nahrung. Intensiv genutzte Wiesen etwa verwandeln sich für Wildbienen und andere Bestäuber mit dem Mähen in blütenlose Wüsten. Dann sind sie auf Pollen und Nektar von Wildpflanzen aus artenreichen Lebensräumen angewiesen.
Eine Untersuchung von Agroscope zeigt nun erstmals genauer auf, welche Blütenpflanzen und Habitate für die Nützlinge und Kleinlebensräume besonders wichtig sind und daher für eine sichere Ernte zu fördern sind.
Nützlinge, wie etwa Marienkäfer und Florfliegen fressen Schädlinge, welche auf Schweizer Äckern grosse Schäden anrichten können. Viele Nützlinge ernähren sich jedoch nur während gewissen Lebensabschnitten von Schädlingen. So begeben sich Marienkäferlarven zwar auf die Jagd nach Blattläusen, die adulten Tiere ernähren sich jedoch "vegan" und sind auf Pollen und Nektar angewiesen.
Untersuchungen von Agroscope haben gezeigt, dass im Frühling blühende Bäume wie Ahorne, Eichen, Weiden und Wildkirschen bei Nützlingen sehr beliebt sind. Im Sommer suchen die Insekten ihre Nahrung besonders gern auf blütenreichen Wiesen. Diese Wiesen werden oftmals als Biodiversitätsförderflächen bewirtschaftet. Weiter finden sie auch in Hecken, Blühstreifen und Säumen wichtige Futterpflanzen.
Nicht nur Ackerkulturen, sondern auch Spezialkulturen, wie zum Beispiel Beeren profitieren von den Bestäubungsleistungen von Insekten. Eine Studie aus Deutschland zeigt wie die Grösse von Erdbeeren mit vernetzten Hecken zusammenhängen, in welchen wichtige Bestäuber Nahrung und Schutz finden.
Die offizielle Agrarpolitik verspricht seit 20 Jahren eine nachhaltige Landwirtschaft. Bis heute hat sie dieses Versprechen nicht eingelöst, im Gegenteil, ein Grossteil der Gelder schwächt eine nachhaltige Produktion. Eine aktuell publizierte Studie der Agroscope zeigt, dass ein Ja zur Trinkwasserinitiative (TWI) den Bund zwingen würde, endlich die Steuergelder konsequent für eine nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen.
Das Forschungsinstitut Agroscope untersuchte die möglichen Folgen der Trinkwasserinitiative für die Landwirtschaft mittels detaillierten Modellrechnungen. Dabei wurden verschiedene Szenarien definiert mit je unterschiedlicher Umsetzung des Initiativtextes. 15 der 18 Szenarien sind nicht realistisch und wurden mehrheitlich auf Druck des Bauernverbandes in die Studie aufgenommen. Sie legen den Initiativtext viel restriktiver aus als die Initianten selbst*. Eine solche Initiativtextauslegung ist damit in keiner Weise realistisch und würde die Landwirtschaft viel stärker einschränken als nötig.
Nur wenige Szenarien sind realistisch
Lediglich 3 Szenarien (Nr. 3 ,6 und 9) entsprechen einer realistischen Auslegung des Initiativtextes. (Das Szenario 9 ist zwar hinsichtlich der Auslegungen der Initiative realistisch, geht aber von eher unrealistisch hohen Preisen aus.) Dies zeigt Vision Landwirtschaft in ihrer im Agroscope-Bericht publizierten Einschätzung. Nach Annahme der Initiative würde gemäss dieser Szenarien der Grossteil der Landwirtschaftsfläche der Schweiz in Zukunft pestizidfrei bewirtschaftet. Die regelmässigen Überschreitungen von Pestizidgrenzwerten in Trinkwasserfassungen und in Oberflächengewässern, wie sie in der Schweiz im Ackerbaugebiet fast flächendeckend seit vielen Jahren unverändert auftreten, dürften damit endlich der Vergangenheit angehören.
Ähnliches gilt auch für die Emissionen aus der Tierhaltung, vor allem von Ammoniak. Diese Emissionen liegen seit Jahrzehnten in den meisten Regionen ein Mehrfaches über den gesetzlichen Grenzwerten. Gemäss Modellierungsresultaten sinken die Tierbestände dank der TWI moderat und damit auch die Emissionen – ein Resultat, das die bisherige Agrarpolitik trotz Hunderten von Millionen Franken investierten Steuergeldern nicht erreicht hat. Die TWI dürfte also die Weichen wirksam in Richtung einer Landwirtschaft stellen, die endlich mit der Schweizer Umwelt- und Gewässerschutzgesetzgebung konform ist.
Einkommen der Landwirtschaft nimmt zu
Aus landwirtschaftlicher Perspektive besonders erfreulich sind die gemäss Modellrechnungen zu erwartenden ökonomischen Auswirkungen. Wird Szenario Nr. 6 als Referenz gewählt, das von den drei genannten Szenarien am realistischsten ist (mittlere Preisentwicklung), nimmt das Einkommen bei den im Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN verbleibenden Betrieben um 12% zu; beim Szenario 9, das von einer günstigeren Preisentwicklung ausgeht, wären es sogar 32%. Doch auch diejenigen rund 11% der Betriebe, die aus dem ÖLN aussteigen und auf Direktzahlungen verzichten, verdienen um durchschnittlich 2% mehr, indem sie ihren Direktzahlungsverlust mit entsprechend höheren Roherträgen ausgleichen können.
Hinsichtlich Produktion und Flächennutzung zeigen die Modellresultate eine Zunahme der offenen Ackerfläche; Flächenrückgänge bei Zuckerrüben, Ölsaaten sowie Reben, Obst und Beeren werden durch einen Zuwachs bei Getreide und Gemüse ausgeglichen. Dies weist darauf hin, dass die Herausforderungen einer notwendigen Anpassung auf die Vorgaben der TWI für unterschiedliche Produktionsrichtungen zwar generell in einem machbaren Rahmen liegen, aber verschieden gross sind. Für besonders betroffene Produktionsrichtungen sollten in den vorgesehenen 8 Übergangsjahren entsprechende Unterstützungs- und Anpassungsprogramme bereitgestellt werden. Die für die Versorgungssicherheit gewünschten Produktions- und Verarbeitungskapazitäten sollten dabei wie bisher mit Beiträgen für einzelne Kulturen wie Ölsaaten sichergestellt werden.
Kaum Rückgang bei der Produktion
Leider gibt die Studie den relevanten Nettoselbstversorgungsgrad (welcher die Tierfutterimporte mitberücksichtigt) nicht an. Sein Rückgang dürfte gemäss einer Nachkalkulation von Vision Landwirtschaft deutlich unter 10% liegen. D.h. es müssten zwar etwas mehr Agrarprodukte importiert werden, aber selbst bei restriktiver Umsetzung der Initiative nur in geringem Umfang. Wird der von der Studie nicht berücksichtigte technische und züchterische Fortschritt im Umgang mit einer pestizidfreien Produktion mit einbezogen, dürften zusätzlich nötige Importe fast ganz wegfallen.
Fazit Geht man davon aus, dass das Parlament den Spielraum des Initiativtextes nutzt, um eine möglichst zielführende Umsetzung der Initiative im Hinblick auf Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu realisieren, dürften die Auswirkungen noch deutlich positiver ausfallen als in den einzigen einigermassen realistischen Szenarien 3, 6 und 9 von Agroscope. Die TWI ist damit eine klare Chance für eine nachhaltigere und zugleich wirtschaftlichere Schweizer Landwirtschaft. Sie ermöglicht eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in eine Richtung, welche genau ihren offiziellen, bisher aber seit 20 Jahren weitgehend verfehlten Zielen entspricht.
* Kästchen 15 der 18 von Agroscope durchgerechneten Szenarien gehen von einer viel zu extremen Interpretation des Initiativtextes aus. So gewährt die Trinkwasserinitiative eine Übergangsphase von acht Jahren, was in den Berechnungen ausgeklammert wurde. Dadurch sind die Auswirkungen auf den Betrieben viel drastischer als sie in der Realität wären, weil sich die Betriebe anpassen können und zahlreiche Innovationen und Verbesserungen der Agrartechnik zugunsten einer pestizidfreien Produktion zu erwarten sind. Zudem geht die Agroscope-Studie davon aus, dass keinerlei Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürfen. Auch dies widerspricht klar der Initiative. Pflanzenschutzmittel, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, sind von der Initiative nicht betroffen. Zu guter Letzt gehen 8 Szenarien, welche ganz am Schluss und gegen den Willen der Begleitgruppe vom Bauernverband hineingebracht worden sind, von einer Reduktion der Direktzahlungen bei Annahme der Initiative aus. Davon war bisher nirgends die Rede, auch dies also irreführende Szenarien, die mit der Initiative nichts zu tun haben.
Der Weltbiodiversitätsrat IPBES präsentiert diese Tage in Paris seine globale Analyse zum Zustand der Biodiversität. IPBES-Präsident Sir Robert Watson warnte zum Auftakt der Konferenz vor einem weltweiten Zusammenbruch der Artenvielfalt. Sie befinde sich in einer schwerwiegenden Notlage, bei der ein ebenso energisches Handeln nötig sei wie beim Klimawandel.
Die Nahrungsmittelproduktion belastet von allen menschlichen Tätigkeiten die Ökosysteme besonders stark. Die Landwirtschaft und die von ihr ausgehenden Bedrohungen der Biodiversität, beispielseise durch Zerstörung von Lebensräumen oder durch die Vergiftung der Umwelt mit Pestiziden, werden deshalb ein zentrales Thema am IPBES-Gipfel sein.
Für einmal kann die Schweiz nicht mit dem Finger auf andere Länder und Kontinente zeigen. Gemäss OECD sind die Defizite im Bereich Biodiversität in der Schweiz besonders hoch, an vordersters Stelle bei der Landwirtschaft.
Wälder schützen Flora und Fauna vor den Auswirkungen der Klimaerwärmung, indem ihr Blätterdach die darunter lebenden Organismen vor allem vor grosser Hitze bewahrt. So sind die Temperaturen im Sommer im Wald etwa 4 Grad kühler als im Freien und im Winter sowie in der Nacht 1 Grad wärmer. Internationale WissenschaftlerInnen haben diese Temperaturunterschiede mit Messungen belegt. Sie fanden an 98 Standorten auf fünf Kontinenten statt – in den Tropen, in der gemässigten Zone und in den nördlichen borealen Wäldern. An der internationalen Studie beteiligte sich die eidgenössische Forschungsanstalt für Wald, Schnee und Landschaft WSL.
Das Blätterdach des Waldes mildert die Hitze deutlich. «Pflanzen und Tiere im Wald sind dem aktuellen Erwärmungstrend daher weniger stark ausgesetzt als Arten, die nicht im Wald leben», erklärt Florian Zellweger von der WSL in Birmensdorf. «Da Wälder ein Viertel der Erdoberfläche bedecken und zwei Drittel der gesamten Biodiversität beherbergen, macht dies einen grossen Unterschied bei Vorhersagen darüber, wie sich der Klimawandel auf die Naturvielfalt auswirken wird».
Ein Cocktail verschiedener Pestizide bedroht die Bienenvölker. Das bestätigt die Analyse von toten Bienen im letzten Jahr. Die Bienen waren von 10 bis über 20 verschiedenen Wirkstoffen belastet. Bisher weiss die Forschung noch viel zu wenig darüber wie das Gemisch von Pestiziden auf die Tiere wirkt. Das schreibt das Bienen-Beratungs- und Kompetenzzentrum Apiservice.
Fünfzehn Imker meldeten letztes Jahr in der Schweiz ein auffälliges Bienensterben. In vier Fällen bestätigten Laboranalysen eine akute Vergiftung. Verantwortlich hierfür waren die Insektizide Bifenthrin und Chlorpyrifos sowie die Biozide Fipronil und Permethrin. Diese Wirkstoffe werden in der Landwirtschaft breit eingesetzt. Marianne Tschuy, Fachspezialistin Bienengesundheit und Bienenvergiftungen, führt aus: «Da die Analysenmethoden ständig verbessert werden, können einerseits immer kleinere Mengen an Substanzen nachgewiesen werden.» Andererseits kenne man die langfristigen Auswirkungen von «Pestizidcocktails» auf die Bienenvölker noch kaum.
Trotz staatlichen Millionenzahlungen für sogenannte «Biodiversitätsförderflächen» verschwinden immer mehr Arten aus dem Landwirtschaftsgebiet der Schweiz. Die Bundeshilfe gibt es eben nicht für Resultate, sondern für bestimmte Massnahmen, die aber oft nicht am richtigen Ort und nicht gezielt genug erbracht werden. Zudem sind bis heute die biodiversitätsschädigenden Subventionen viel höher als die Zahlungen zugunsten der Artenvielfalt. So hilft eine extensive Nutzung nichts, wenn gleichzeitig viel zu hoher Ammoniakemissionen aus der Landwirtschaft seltenere Arten flächendecken zum Verschwinden bringen. In einem gut recherchierten Artikel dokumentiert die NZZ das Scheitern der Bemühungen um die Pflanzenvielfalt, basierend auf neue Zahlen von Agroscope. Brisant: Ende März wollen Natur- und Umweltverbände um Pro Natura eine «Biodiversitätsinitiative» lancieren.
Vision Landwirtschaft sucht ungespritzte Äpfel von Hochstamm-Obstbäumen. Angesprochen sind sowohl Biobetriebe wie auch konventionelle, die den ökologischen Leistungsnachweis einhalten. Sie sollten mindestens 300 Kilogramm Tafeläpfel und/oder 1000 Kilogramm Mostäpfel aus ungespritztem Hochstammanbau liefern können – alle Sorten sind willkommen.
Vision Landwirtschaft unterstützt und vernetzt Initiativen, die eine pestizidfreie Produktion mit guter Wertschöpfung und hoher Produktionseffizienz verbinden. Ein solches Projekt wird seit 2 Jahren von der IG Kulturlandschaft und dem Bundesamt für Landwirtschaft als Pilotprojekt durchgeführt: «Ungespritztes Tafelobst von Hochstammobstbäumen». Das Jungunternehmen Öpfelchasper entschied sich spontan für eine Kampagne, um das ungespritzte Obst von Hochstämmern breiter bekannt zu machen. Öpfelchasper zahlt einen Kampagnenpreis von Fr. 3.20 pro Kilo Tafelobst und 50 Rp/kg Mostobst. Öpfelchasper beliefert Stadtmenschen bei Arbeit und Freizeit: mit frischen Bio-Früchten und immer mit dem Velo. Lesen Sie Aufruf und Konditionen im Schweizer Bauer.
Weitere Infos: Ralph Hablützel, Vision Landwirtschaft, 079 135 15 85
Der Bauernverband lanciert zusammen mit den Naturfreunden Schweiz und den Bienenzüchtern eine Petition. Diese fordert den Bund auf, die Ursachen des Insektensterbens aufzuklären.
Wenn immer es um mehr Biodiversität in der Landwirtschaft geht, oder um eine Kehrtwende beim überbordenden Pestizideinsatz: Der Aufschrei des Bauernverbandes lässt nie lange auf sich warten.
Dass derselbe Bauernverband sich nun für eine Aufklärung des Insektensterbens stark macht, erstaunt nur vordergründig. Wie Geschäftsleiter Jacques Bourgeois am Schweizer Radio erklärt, will er vor allem aufzeigen, dass es auch andere Schuldige gibt neben der Landwirtschaft. Und er will, dass erst dann gehandelt wird, wenn alle Zusammenhänge restlos geklärt sind. Hauptsache, man kann noch möglichst lange ungestört weiterproduzieren wie bisher.
Im Ackerbaugebiet der Schweiz wurde der Vogelbestand in 26 Jahren dramatisch reduziert - über alle Arten gesehen um mehr als die Hälfte. Einzelne Arten stehen vor der Ausrottung in der Schweiz. Pestizide, eine ausgeräumte Agrarlandschaft und die sehr intensive Bewirtschaftung sind die Gründe. Den Vögeln geht schlicht die Nahrung aus - Insekten und Sämereien. Zudem fehlt es an Strukturen für Brutplätze.
Der Anteil an Biodiversitätsförderflächen im Ackerland liegt bei unter 1% und ist damit äusserst gering. Zudem mangelt es oft an der nötigen ökologischen Qualität dieser Flächen. Die agrarpolitischen Ziele wurden im Bereich Biodiversität klar verfehlt. Ennet dem Rhein ist die Situation besser - obwohl die Zahlungen an die Landwirtschaft dort nur rund 10% von denjenigen in der Schweiz betragen.
Mit einer umfangreichen Analyse zeigten französische ForscherInnen, dass "Unkräuter", die in Bio-Kulturen noch regelmässig vorkommen, den Ackerpflanzen helfen, den Befall von Parasiten und Krankheitserreger in Schach zu halten. Die Studie kommt zum Schluss, dass Pflanzen gerade ohne den Einsatz von Pestiziden, die sie schützen sollen, weniger krank werden.
Mit dem entwickelten Beratungsansatz können mit verhältnismässig sehr geringem Aufwand weitgehende Anstösse für sowohl ökologische wie ökonomische Verbesserungen auf Landwirtschaftsbetrieben geleistet werden.Die grössten Optimierungspotenziale zeigten sich bei den Nachhaltigkeitsaspekten Wirtschaftlichkeit und Biodiversität. Gemäss den quantifizierten, mit den Betriebsleitern verifizierten Abschätzungen dürfte eine Umsetzung der gemachten Vorschläge beim landwirtschaftlichen Einkommen im Durchschnitt zu einer Verbesserung von rund 22% führen, bei der Biodiversität um 25%. Die Arbeitsbelastung bleibt dabei praktisch unverändert, die Ressourceneffizienz, die Energieautarkie und die Nettoproduktion dürften tendenziell eher zunehmen.
Ziel des Projektes war es abzuschätzen, welchen Beitrag ein gesamtbetrieblich orientiertes, auf Synergien ausgerichtetes Beratungsangebot leisten kann zur Verbesserung einer umfassend verstandenen Nachhaltigkeit auf dem Landwirtschaftsbetrieb, einschliesslich ökonomischer Aspekte und der Lebensqualität.
Das Projekt wurde in den drei Kantonen Glarus, Thurgau und Bern in Zusammenarbeit mit der kantonalen Beratung und den kantonalen Bauernverbänden durchgeführt.
Das im Projekt verwendete Beratungskonzept wurde auf der Basis von Vorarbeiten aus anderen Projekten weiterentwickelt und beinhaltet eine gesamtbetriebliche Analyse zu allen wichtigen Nachhaltigkeitsaspekten inkl. der Wirtschaftlichkeit nach einem strukturierten Vorgehen. Dieses ist darauf ausgerichtet, Synergien zwischen Ökologie, Wirtschaftlichkeit und Produktion zu identifizieren und zusammen mit den Bewirtschaftenden konkrete Lösungen vor Ort zu entwickeln, die kurz- oder zumindest mittelfristig umsetzbar sind. Die drei Bereiche Ökologie, Ökonomie (inkl. Arbeitswirtschaft) und Produktion (inkl. Marktpotenziale) werden im vorliegenden Projekt explizit gleichermassen berücksichtigt. Dabei werden auch die aktuellen Anreizprogramme der Agrarpolitik 2014-17 miteinbezogen.
Zusammen mit den Betriebsleitenden werden jeweils mithilfe einer umfassenden Checkliste, die dem Berater im Hintergrund zur Verfügung stand, vor Ort konkrete Verbesserungsvorschläge entwickelt, diese anschliessend auf einem Formular zuhanden des Betriebes zusammengestellt und ihre Auswirkungen abgeschätzt (Teilbudgetrechnungen). Die Beratung nimmt die Betriebsleitenden inkl. Vorbereitung gut einem halben Tag in Anspruch, der Auf- wand Seitens Beratung beträgt rund 1 Arbeitstag pro Betrieb.
Beraten wurden insgesamt 25 Betriebe. In GL und TG waren kantonale Berater während den Beratungen mit dabei, einige weitere Betriebe wurden anschliessend von der kantonalen Beratung nach derselben Methode beraten.
Die grössten Optimierungspotenziale zeigten sich bei den Nachhaltigkeitsaspekten Wirtschaftlichkeit und Biodiversität. Gemäss den quantifizierten, mit den Betriebsleitern verifizierten Abschätzungen dürfte eine Umsetzung der gemachten Vorschläge beim landwirtschaftlichen Einkommen im Durchschnitt zu einer Verbesserung von rund 22% führen, bei der Biodiversität um 25%. Die Arbeitsbelastung bleibt dabei praktisch unverändert, die Ressourceneffizienz, die Energieautarkie und die Nettoproduktion dürften tendenziell eher zunehmen.
Die Rückmeldungen der Landwirte zur Beratung waren in den durchgeführten Workshops zum Abschluss des Projektes fast ausnahmslos ausgesprochen positiv. Besonders geschätzt wurden der ganzheitliche Beratungsansatz, welcher den Betrieb als Gesamtheit auffasste, und die offene Gesprächsform, bei der sich die Betriebsleitenden ernst genommen fühlten und sich selber mit eigenen Ideen und Überlegungen im Sinne eines Austausches auch aktiv einbringen konnten.
Mit dem entwickelten Beratungsansatz können mit verhältnismässig sehr geringem Aufwand weitgehende Anstösse für sowohl ökologische wie ökonomische Verbesserungen auf Landwirtschaftsbetrieben geleistet werden. Bemerkenswert ist dabei, dass sich Ökologie und Ökonomie nicht als Gegensätze erwiesen, sondern ein weitgehendes Synergiepotenzial zeigten. Dabei spielen oft auch die bestehenden Anreizprogramme des Bundes eine wesentliche Rolle, wobei viele relativ schlecht genutzt werden, da sie zu wenig bekannt sind oder die konkrete Implementierung auf dem eigenen Betrieb Schwierigkeiten macht.
Eine Beratung im vorliegenden Sinne könnte für die zukünftige Agrarpolitik eine Schlüsselrolle einnehmen wenn es darum geht, die nachhaltigkeitsorientierten Anreize der agrarpolitischen Programme besser und wirkungsvoller in die Praxis einzubringen und die Schweizer Landwirtschaft in Richtung erhöhter Nachhaltigkeit und verbesserter Wirtschaftlichkeit weiterzuentwickeln.
Die Schweiz ist alles andere als ein Paradies für Vögel. Im internationalen Vergleich sind in unserem Land besonders viele Arten bedroht. Die intensive Bewirtschaftung des Kulturlandes und ein hoher Einsatz von Pestiziden gehören laut Experten zu den wichtigsten Gründen.
Insgesamt stehen knapp 40 Prozent der Vogelarten in der Schweiz auf der roten Liste der gefährdeten Arten. Dies ist im internationalen Vergleich ein Spitzenwert. Gemäss den umfangreichen Daten, die in der Schweiz verfügbar sind, tragen besonders die Landwirtschaftszonen mit ihrer übermässigen Düngung, dem übermässigen Einsatz von Pestiziden und die besonders intensive Bewirtschaftung zu der bedenklichen Entwicklung bei. Es fehlten zudem genügend Kleinstrukturen wie Hecken, Einzelbäume oder Altgrasstreifen.
Die Schweiz leistet sich die teuerste Agrarpolitik weltweit und rechtfertigt diese jährlichen Milliardenausgaben mit ihrem gezielten Einsatz für eine nachhaltige Landwirtschaft. Doch die Mehrheit der Mittel bewirkt noch immer das Gegenteil: eine weitere Intensivierung der Produktion und damit eine besonders umweltbelastende Landwirtschaft. Die Agrarpolitik macht so ihre eigenen Bemühungen um mehr Biodiversität selbst wieder zunichte. Kein einziges der gesetzlichen Umweltvorgaben hat die Schweizer Landwirtschaft trotz der Milliardenzahlungen bisher erreicht - ein katastrophaler Leistungsausweis, wie selbst der Bundesrat vor kurzem einräumen musste.
Der Bauernverband wehrt solche Befunde seit Jahren mit den immer gleichen Reaktionen ab. David Brugger, der Leiter des Pflanzenbaus beim Schweizer Bauernverband, fordert gemäss NZZ zusätzliche Bundesmittel für eine weitere Untersuchungen. Man müsse noch mehr wissen, bevor man gezielt handeln könne.
Derweil wächst der Unmut in der Bevölkerung über die desaströse Landwirtschaftspolitik der Schweiz, wie beispielsweise Blog-Reaktionen von LeserInnen regelmässig zeigen. Eine längst fällige Änderung der Landwirtschaftspolitk könnte schon bald die Trinkwasserinitiative erzwingen, die von immer mehr Organisationen unterstützt wird.
Die hohen Zölle, mit welchen die Fleischbranche in der Schweiz geschützt wird, hat weitreichende Folgen für die Umwelt. Der abgeschottete Markt führt dazu, dass in der Schweiz weit mehr Fleisch produziert wird als Futter für die Tiere wächst. Über eine Million Tonnen Futtermittel werden mittlerweile jedes Jahr importiert, um die überhöhten Tierbestände zu füttern. Und es werden immer mehr. Daraus entstehen riesige Gülleseen, die sich kaum mehr entsorgen lassen. Das grösste Problem aber sind die Ammoniakemissionen. Die Schweiz ist nach den Niederlanden in diesem Bereich die grösste Umweltsünderin Europas. Mit gravierenden Folgen für die Biodiversität.
2,3 Millionen Tonnen Mist und Gülle, das sind 77'000 grosse Lastwagenladungen, werden jedes Jahr quer durch die Schweiz gekarrt, weil die Futtermittelimporte auf viele Höfe und die damit gefütterten überhöhten Tierbestände jedes Mass verloren haben. Sie produzieren so viel Gülle und Mist, dass diese sogar nach Norddeutschland exportiert werden, wie das Konsumentenmagazin Saldo berichtet.
Mit Landwirtschaft als Primärproduktion, mit geschlossenen Kreisläufen und einer ressourcenschonenden Produktion hat das nichts mehr zu tun, mit industrieller Tierproduktion, unsinnigen Transporten und viel zu hohen Ammoniakemissionen dagegen schon.
Die überhöhten Tierbestände sind übrigens nur wegen des starken Grenzschutzes überhaupt rentabel. Würden die Zölle gesenkt, würden sich viele gesetzeswidrigen Umweltprobleme von selbst lösen.
Auch bei den Weihnachtsbäumchen ist einheimisch nicht immer auch ökologisch. Doch es gibt mehr und mehr Produzenten, die sich um einen nachhaltigen Anbau bemühen und ganz oder auf einen Teil der Pestizide verzichten.
Der Handel unterstützt diese Bemühungen: Vision Landwirtschaft hat zusammen mit Coop Richtlinien für einen Christbaumanbau mit einem reduzierten Chemieeinsatz erarbeitet. Auch Landi wendet seit diesem Jahr die Richtlinien an. Damit sorgen zwei der der grössten Anbieter für mehr Nachhaltigkeit in der Weihnachtsstube.
Biodiversitätsbeiträge sind ein wichtiger Bestandteil der landwirtschaftlichen Direktzahlungen. Über 1 Milliarde Franken investierte der Bund in den letzten drei Jahren in diesen Beitragstyp. Dennoch ist die Biodiversität weiter im Sinkflug. Ein Artikel im Saldo geht der Frage nach, was sich ändern müsste.
Der „Biodiversity and Landscape Guide“ skizziert die wichtigsten Grundprinzipien für eine gezielte Förderung von Biodiversität und Landschaftsqualität auf dem Landwirtschaftsbetrieb und inspiriert mit zahlreichen Beispielen von Höfen weltweit, welche sich dieser Aufgabe engagiert angenommen haben.
Das Buch wurde initiiert und mitverfasst vom Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft. Seit Februar 2017 ist es als pdf kostenlos im Internet verfügbar. Die Print-Version kann über den IFOAM-Bookshop bezogen werden.
Der Anteil an Schweizer Weihnachtsbäumen nimmt zu. Doch Schweizer Herkunft ist nicht immer auch eine ökologische Produktion. Ein Projekt von Vision Landwirtschaft und Coop zeigt, wie sich beides verbinden lässt.
(VL) Hunderttausende von Weihnachtsbäumchen finden in diesen Tagen wieder den Weg in die Schweizer Stuben. Doch bereits wenn die Tännchen auf den Märkten angeboten werden, haben sie oft einen weiten Weg hinter sich. Ein Grossteil stammt aus dem Ausland – vor allem Deutschland und Dänemark. Aber der Anteil, der in der Schweiz produziert wird, hat in den letzten Jahren stetig zugenommen und beträgt heute fast 50%. Das ist erfreulich, denn dies schafft Wertschöpfung in der heimischen Land- und Forstwirtschaft und verringert die Transportwege. Zudem können Christbäume naturnah und nachhaltig angebaut werden und tun damit auch der Umwelt einen Gefallen.
Allerdings trifft diese Feststellung längst nicht für alle in der Schweiz produzierten Christbäume zu. Im Zusammenhang mit dem Pestizid-Reduktionsplan Schweiz hat Vision Landwirtschaft 2014 in einigen Testregionen Erhebungen zur Anbaupraxis in der Schweiz gemacht. Dabei kam auf den meisten Flächen im Landwirtschaftsgebiet ein hoher, oft nicht gesetzeskonformer Pestizideinsatz zum Vorschein.
Gute Alternativen vorhanden
Vor allem der Herbizideinsatz ist bei vielen Christbaumkulturen ein Problem. Diese werden oft mehrmals im Jahr ganzflächig mit Unkrautvernichtern abgespritzt. Dabei kommen das umstrittene Glyphosat und andere giftige Herbizide zum Einsatz. Auf dem vegetationsfreien Boden ist die Gefahr der Abschwemmung in die Oberflächengewässer und die Versickerung ins Grundwasser besonders gross. Kommt dazu, dass in mehr als der Hälfte der begutachteten Flächen der nötige Abstand des Gifteinsatzes zu Gewässern, Wegen, Gehölzen nicht eingehalten wurde.
Der festgestellte hohe Herbizideinsatz, zu denen teilweise noch Fungizide (Gifte gegen Pilze) und Insektizide (Gifte gegen Insekten) dazukommen, ist besonders unschön, weil es gute Alternativen gäbe. Ein Beispiel: Einige Produzenten setzen erfolgreich auf Schafe, welche den Unterwuchs unter den Bäumen abfressen, ohne dass es Unkrautvernichtungsmittel braucht. Schätzungsweise ein gutes Zehntel der Schweizer Christbäume wächst auf Waldflächen, und dort sind keinerlei Pestizide zugelassen. Oft sind solche Flächen sogar besonders artenreich, wie Vision Landwirtschaft anhand ihrer Erhebungen feststellte.
Coop geht voraus
Mit diesen Resultaten wandte sich Vision Landwirtschaft an Coop, den grössten Abnehmer einheimischer Christbäume in der Schweiz, und schlug Richtlinien für eine nachhaltige Anbaupraxis vor, welche den Pestizideinsatz stark reduzieren. Coop war interessiert und bot Hand für eine rasche und pragmatische Umsetzung. Der Richtlinienentwurf wurde auch mit der IG Christbaum, in welcher die Christbaumproduzenten zusammengeschlossen sind, intensiv diskutiert. Um die Produzenten nicht zu überfordern, mussten schliesslich einige der vorgeschlagenen Pestizidreduktionsmassnahmen – zumindest vorläufig – wieder fallen gelassen werden. Aber auch mit den jetzt verabschiedeten Richtlinien wird der Einsatz von Pestiziden gegenüber einer Produktion mit intensivem Pestizideinsatz um gut die Hälfte reduziert.
Handel und Konsumenten für nachhaltige Produktion
Alle Christbaumproduzenten, welche Coop Christbäume liefern möchten, müssen ab diesem Jahr die neuen Richtlinien einhalten. Kontrolliert wird dies von einer externen Firma. So wird einheimisch auch umweltfreundlich. Dem Engagement von Coop dürften sich bald weitere Christbaumhändler anschliessen (müssen).
Helfen Sie beim Christbaumkauf mit, dass ein pestizidreduzierter oder in einigen Jahren vielleicht sogar ganz pestizidfreier Christbaumanbau Schweizer Standard wird! Fragen Sie nach, woher die von Ihnen gekauften Bäumchen stammen und wie sie produziert werden. Wenn Sie keine befriedigende Antwort erhalten, kaufen Sie Bio-Bäume oder erkundigen Sie sich Sie nach den Coop-Richtlinien.
Vision Landwirtschaft wünscht Ihnen frohe Weihnachten!
In der Schweiz und in vielen Bergregionen sind Wiesen und Weiden das Rückgrat der Landwirtschaft und der Biodiversität zugleich. Das Buch zeichnet die bewegte Geschichte des Wieslandes in der Schweiz und in Mitteleuropa detailliert nach. Ökologie, Produktivität und Typologie der Wiesen und Weiden werden allgemeinverständlich aufgearbeitet. Anhand vieler Beispiele vermittelt es praxisnah die Grundlagen für eine standortgemässe und ressourcenschonende Nutzung des Wieslandes. Einen wichtigen Stellenwert nimmt das gesamtbetriebliche Konzept eines standortgemäßen Futterbaus ein. Eine Beschreibung und ein Bestimmungsschlüssel der wichtigsten Wiesentypen runden den praxisorientierten Teil ab.
Der Autor ist Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft.
Das Buch ist in Printform seit November 2017 vergriffen. Ab Juni 2019 ist es über alle gängigen Online-Shops (z.B. Haupt-Verlag) als eBook wieder erhältlich.
«Das Buch ist dicht bepackt mit Informationen und bietet einen umfassenden Überblick über ein zentrales Thema der Landwirtschaft.» Pro Natura Magazin
«So weit vom Naturschutz bis tief in das Herz der landwirtschaftlichen Denke und Praxis ist wohl noch kaum ein Ökologe vorgedrungen! Diese doppelte Perspektive, aus ertragskundlich-landwirtschaftlicher wie aus ökologisch-naturschutzfachlicher Sicht, macht das Buch so einzigartig.» Naturschutz und Landschaftsplanung
«Fundiert, mit wissenschaftlichen Erkenntnissen untermauert zeigt es neben den sachlichen Fakten auch den erschreckenden Verlust der Artenvielfalt auf.» Naturschutz.ch
«Es kommt ausgesprochen selten vor, dass so unterschiedliche Themen wie biologische Vielfalt, Ökologie, landwirtschaftliche Nutzung und Naturschutz in einer Publikation miteinander verknüpft werden. Dies gelingt dem Autor von «Das Naturwiesland der Schweiz und Mitteleuropas» ausgesprochen gut.» Naturschutz in Bayern
«Es ist ein schockierendes Vergnügen, sich durch das Werk des Agrarökologen Andreas Bosshard zu arbeiten. […] Das Buch ist ein Muss für fortgeschrittene, interessierte Landwirte und NaturschützerInnen.» anthos
Die Schweizer Landwirtschaft importiert jährlich rund 100 000 Tonnen Stickstoff in Form von Futtermitteln und Mineraldünger. Dadurch werden seit Jahrzehnten gesetzliche Emissionsgrenzwerte überschritten, vor allem beim Ammoniak. Mit einer Stickstoff-Lenkungsabgabe könnten die anhaltenden Probleme kosteneffizient gelöst werden. Dies zeigt eine von Vision Landwirtschaft initiierte Studie.
Vergleich von Hochleistungsstrategie und Vollweide mit geringem Kraftfuttereinsatz
Mehrere Studien zeigten in den letzten Jahren, dass sich Einkommen und Stundenlöhne auf Schweizer Milchwirtschaftsbetrieben durch eine Reduktion der Produktionskosten wesentlich verbessern lassen. Wichtige Möglichkeiten zur Kostenreduktion bestehen einerseits in der Reduktion des Kraftfuttereinsatzes und andererseits in der Nutzung von Weidesystemen anstelle der aufwändigen Stallfütterung.
Der Grossteil der Milchbetriebe in der Schweiz setzt heute auf eine Hochleistungsstrategie mit Stallhaltung und wesentlichem Kraftfuttereinsatz. Im vorliegenden Faktenblatt werden die Einkommensverbesserungspotenziale und die wichtigsten Umweltwirkungen untersucht, welche aus einer Umstellung auf weidebetonte Haltung in Kombination mit einem weitgehenden Verzicht auf Kraftfutter resultieren. Basis der Berechnungen bilden Studien, welche verschiedene Milchproduktionsstrategien empirisch miteinander verglichen.
Um die Ernährung der Menschheit zu sichern, so die weit verbreitete These, müssen zwingend die landwirtschaftlichen Erträge gesteigert werden. Bei genauer Betrachtung der komplexen Zusammenhänge zeigt sich aber, dass eine weitere Produktionsintensivierung für Länder mit einer „high-input"-Landwirtschaft die ineffizienteste und schädlichste Strategie zur Sicherung der Ernährung ist.
In Ländern wie der Schweiz mit einer intensiven landwirtschaftlichen Produktion leistet eine weitere Ertragssteigerung keinen Beitrag zur Sicherung der nationalen Ernährungssicherheit noch zur Welternährung, im Gegenteil. Doch davon war in einem früheren Newsletter die Rede (November 2015). Hier soll es um die Frage gehen: Gibt es denn überhaupt Alternativen? Tatsächlich mangelt es nicht an solchen. Die vier wichtigsten sind nicht nur viel kostengünstiger, sondern auch schneller wirksam, nachhaltiger, gesundheits- und umweltfreundlicher als weitere Ertragssteigerungen.
1. Bessere Verteilung und besserer Zugang zu Nahrungsmitteln: Während in Industrieländern Nahrungsmittelüberschüsse bestehen, die Bevölkerung an Übergewicht leidet und Steuermittel investiert werden, um die negativen Auswirkungen der nicht marktgerechten Produktion auf die Produzentenpreise abzudämpfen, leiden Entwicklungs- und Schwellenländer an Nahrungsmittelknappheit und Unterernährung. Würden die Nahrungsmittel bedarfsgerecht verteilt und zur Verfügung stehen, würden auf der Erde nicht über 900 Millionen unterernährte Menschen leben, sondern es könnte mit den jetzt verfügbaren Nahrungsmitteln eine zusätzliche Milliarde Menschen ernährt werden. Für die ungleiche Verteilung der Nahrungsmittel trägt die Schweiz eine Mitverantwortung, beispielsweise mit ihren – versteckten wie direkten – Exportsubventionen
2. Nahrungsmittelverschwendung (food waste) minimieren: Ein Drittel der Lebensmittel, die für den Schweizer Konsum produziert werden, geht zwischen Acker und Gabel verloren. Dies entspricht einer Menge von rund zwei Millionen Tonnen einwandfreier Lebensmittel, die jedes Jahr in der Schweiz vernichtet werden. Diese Verluste wären zu einem guten Teil vermeidbar. Sie betragen ein Mehrfaches der möglicherweise etwas geringeren Erträge, die beispielsweise durch eine Reduktion des Pestizideinsatzes oder eine nachhaltigere Produktion resultieren könnten.
3. Fleischkonsum auf ein gesundheitsverträgliches Mass reduzieren: Die Produktion von tierischem Eiweiss – sei es in Form von Fleisch, Milch oder Eiern – auf ackerfähigem Land ist eine sehr ineffiziente Art und Weise der Nahrungsmittelproduktion. Ackerfrüchte direkt für die menschliche Ernährung anzubauen wäre 5-30 Mal effizienter, als die gleiche Kalorienmenge über den Umweg der Fleischproduktion zu produzieren. Würde das verfügbare Ackerland weltweit direkt für die menschliche Ernährung genutzt, könnten 4 Milliarden Menschen zusätzlich ernährt werden. Allein diese Massnahme würde mehr als ausreichen, um die zukünftige Menschheit am Punkt des prognostizierten Bevölkerungsmaximums zu ernähren.
Auch in der Schweiz liegt der Fleischkonsum weit über dem ökologisch tragbaren und gesundheitsverträglichen Mass. Mit rund 65 kg pro Jahr isst der Schweizer, 20 Mal so viel Fleisch wie der durchschnittliche Inder. Der Durchschnittsschweizer isst damit dreimal so viel Fleisch wie die medizinisch empfohlenen rund 300gr pro Woche. Würde der Fleischkonsum in der Schweiz auf dieses Niveau gesenkt, könnte das Land den Selbstversorgungsgrad allein mit dieser Massnahme von derzeit knapp 60% auf 80-100% erhöhen. 300 gr pro Person entsprechen gerade derjenigen Fleischmenge, die sich auf dem Grasland der Schweiz nachhaltig produzieren lässt – also da, wo eine Produktion einzig über grasfressende Nutztiere möglich ist und kein Ackerland die menschliche Ernährung direkt konkurrenziert.
4. Besonders ineffiziente Produktionsmethoden wie die Milchproduktion mittels Kraftfutter eliminieren: Zu den beiden ineffizientesten Produktionsmethoden in der Schweiz gehört die Mutterkuhhaltung auf ackerfähigen Flächen und die Milchproduktion aus Futtermittelimporten. Allein das Kraftfutter, das – zu einem guten Teil aus dem Ausland importiert und teils unter sehr problematischen Bedingungen produziert – den Schweizer Milchkühen vorgesetzt wird, benötigt Ackerflächen, auf denen netto 2 Millionen Menschen zusätzlich ernährt werden könnten. Das ist ein Viertel der Schweizer Bevölkerung. Ein Kraftfutterverzicht würde die Milchproduktion gerade ungefähr um jene Menge reduzieren, die dem heutigen Marktüberschuss entspricht. Entsprechende Bemühungen würden nicht nur den effektiven Kalorienertrag für die menschliche Ernährung viel stärker erhöhen als eine weitere Ertragssteigerung. Sie könnten auch viel kurzfristiger umgesetzt werden und würden darüber hinaus zusätzliches Einkommen aus der Primärproduktion generieren. Fazit
Es gibt Massnahmen, die den Selbstversorgungsgrad und die Versorgungssicherheit um ein Vielfaches stärker und kostengünstiger erhöhen können, als eine intensive, auf hohe Erträge fixierte Produktion, die gleichzeitig hohe Umweltschäden verursacht und das Produktionspotenzial der Böden mindert. Zu diesen wirksamen Massnahmen gehören Bemühungen, die bei der Nahrungsmittelverschwendung, beim Fleischkonsum und bei der effizienteren Nutzung der Ressourcen ansetzen. Solche Massnahmen müssen in Zukunft im Zentrum der agrarpolitischen Bemühungen um die Ernährungssicherung in der Schweiz stehen und die heutige sachlich unhaltbare Fixierung auf möglichst hohe Erträge und weitere Ertragssteigerungen ablösen. Dadurch ergeben sich grosse Spielräume für eine nachhaltigere, umweltfreundlichere Produktion, welche zugleich die Produktionsgrundlagen erhält und verbessert, statt sie zunehmend zu degradieren.
Ein Portrait eines Berner Bauern, der der konventionellen Produktion den Rücken gekehrt hat, wurde in der Bauernzeitung publiziert. Sein Credo lautet : «Wir haben der Bevölkerung gegenüber einen ökologischen Leistungs- und einen Ernährungsauftrag zu erfüllen.» Es brauche beides - Ökologie und Ökonomie - ist der Landwirt überzeugt.
Eine nachhaltige Bewirtschaftung des Bodens ist möglich – und Bäuerinnen und Bauern, die dies versuchen, sind nicht allein bei ihrer Suche nach realisierbaren Möglichkeiten. Das ist die Botschaft von Pissenlit („Löwenzahn“). Um sie mit konkretem Inhalt zu füllen, gingen die vier Mitglieder des Vereins auf die Waadtländer Bauern zu und fragten sie nach ihrer landwirtschaftlichen Praxis, nach ihren Motivationen und Anliegen.
(VL) Vier Studierende der Ausbildung «Umweltberatung» vom WWF wollten sich für ihre viermonatige Schlussarbeit mit Waadtländer Bauern und Bäuerinnen beschäftigen, die sich auf eigenständige, autonome Weise bemühen, Ökologie mit der Produktion zu verbinden. Das Projekt «de Paysan à Paysan» (von Bauer zu Bauer) ging von der Überzeugung aus, dass die konkrete Praxis einer nachhaltigen Landwirtschaft sich individuell von Betrieb zu Betrieb stark unterscheidet und viele ganz besondere, eigenständige Lösungen gefunden haben. Diesen Schatz an oft verborgenem Know-how aufzuspüren und «auszusäen» war das Ziel des Projektes.
Die Studierenden haben zunächst einen Verein mit dem bildhaften Namen „Pissenlit“ gegründet, der ihnen die Legitimation gab, um ohne spezielle Kenntnisse der Landwirtschaft und so auch ohne Vorurteile und vorgefasste Ideen auf 24 Waadtländer Landwirte zuzugehen. Dort suchten sie nach besonders ressourcen- und bodenschonenden, biodiversitätserhaltenden Praktiken. All die durchgeführten Gespräche wurden gefilmt und detailliert protokolliert.
Das erste Ergebnis des Projekts war ein Verzeichnis von verschiedenem Spezialwissen im Bereich Nachhaltigkeit. Das Verzeichnis wurde interessierten Bauern zugänglich gemacht mit der Absicht, sie in ihren eigenen Bemühungen zu inspirieren und gegenseitig zu vernetzen.
Die intensiven Diskussionen mit den Landwirten haben darüber hinaus aber auch ermöglicht, den Beweggründen ebenso wie den Hindernissen auf dem Weg zu diesen alternativen Praktiken auf die Spur zu kommen. Bauern, die nach einer nachhaltigeren Landwirtschaft suchen, sind oft motiviert durch das Anliegen, gesunde, hochwertige Nahrung sowohl für sie selbst als auch für die Bevölkerung zu produzieren. Sie möchten damit gleichzeitig faires Geld verdienen und sich vom Druck der Agroindustrie, die oft einen Grossteil ihrer Erlöse wegfrisst, befreien.
Auf vielen Betrieben zeigt sich, dass ihnen beispielsweise Absatzmöglichkeiten zwischen dem aufwändigen Direktverkauf einerseits und dem Grosshandel mit den tiefen Preisen andererseits in der Rege fehlen. Eine weitere Schwierigkeit kommt von der Agrarpolitik, die in den Gunstlagen eine intensive Produktion von möglichst grossen Betrieben fördere und nicht genug Anreize für eine regionale Wertschöpfung schaffe. Betriebsleiter sind sehr abhängig vom bestehenden System und oft viel zu wenig informiert über Alternativen. Die mangelnde Schulung zu Fragen der Bodenbiologie ist ein besonders oft genanntes Beispiel. Viele sehen hier ein sehr grosses Verbesserungspotenzial. Dieses wird aber weder in der Ausbildung noch mit Direktzahlungen thematisiert. Wer sich diesem für eine nachhaltige Produktion zentralen Thema annimmt fühlt sich rasch allein gelassen. Der Verein Pissenlit hat eine Liste von Pfaden zusammengestellt, um genau solche Hindernisse zu überwinden.
Das wichtigste Anliegen des Projektes «de Paysan à Paysan» war es, das Know-how der Bäuerinnen und Bauern zu würdigen und die Vernetzung zwischen ihnen zu verstärken. Sechs schriftliche Portraits sind von diesen Treffen mit Bauern entstanden. Sie wurden in der Zeitung und auf den Webseiten von Uniterre, auf der Facebook-Seite des Vereins Pissenlit und auf der Internet-Plattform Agroécologie Suisse publiziert. Zudem wurden sechs kleine Filme realisiert und sie auf diesen Webseiten ebenfalls zugänglich gemacht. Zur Vernetzung gehören auch die Organisation von Hofbesuchen. Ähnlich wie Saatgut-Tauschbörsen soll so eine Börse für den Austausch von Ideen und Know-how über nachhaltige landwirtschaftliche Praxis entstehen.
Die hohen Produktionskosten, die einen grossen Teil der Einnahmen wegfressen zugunsten einer allmächtigen vor- und nachgelagerten Industrie, geben vielen Bauern das Gefühl, „erwürgt zu werden“, wie Pissenlit immer wieder feststellte. Die Bauernfamilien fühlen sich aber auch oft eingeklemmt zwischen den Erwartungen der Konsumenten an hohe ökologische Standards einerseits und ihrer Forderung nach günstigen Preisen andererseits. „Viele Bauern verlieren in einem solchen Umfeld den Stolz auf ihrem Beruf zunehmend, weil sie es nicht schaffen, menschwürdig von ihrer auf Nachhaltigkeit ausgerichteten, als grundlegend empfundenen Arbeit würdig zu leben,“ meinten die Studierenden im Gespräch.
Worauf Pissenlit in seinem unkonventionellen, von gegenseitiger grosser Offenheit und Interesse geprägten Projekt gestossen ist, scheint uns bemerkenswert. Ein vergleichbares Projekt aus der Deutschschweiz ist uns nicht bekannt – mehr noch: es wäre wohl nur schwer vorstellbar. Bei unserer Arbeit in der Romandie stellen wir immer wieder fest, wie anders unter den Bauern wie in der Öffentlichkeit über Landwirtschaft diskutiert wird. In der Deutschschweiz stehen der soziale Aspekt, die individuelle Lebensqualität und die persönlichen Motive selten im Fokus. Die Diskussionen verlaufen auf einer scheinbar viel rationaleren Ebene, bei der Zahlen und Konzepte im Vordergrund stehen, die Befindlichkeiten und die dahinter stehenden menschlichen Kräfte aber gerne auf der Strecke bleiben.
Immerhin: Ein in Teilen ähnliches Projekt existiert, und es trägt sogar fast den gleichen Namen: «von Bauern für Bauern»: Die Biologin Patricia Fry erstellt seit 2002 Filme, mit der sie positive Erfahrungen von Bauern und Winzern an andere Bauern, Berater oder Lehrer vermittelt, sei es für eine schonende Bodennutzung, Biobergackerbau oder Weidepflege und Weideführung.
Auch der Verein Pissenlit möchte noch mehr auf das Mittel des bewegten Bildes setzen. Und er sucht Partner für eine weitere Verbreitung der Ergebnisse und eine Weiterentwicklung des Projektes. Vision Landwirtschaft stellt sich als Brücke in die Deutschschweiz zur Verfügung und hat angeregt, auch die von Pissenlit initiierte Vernetzung von Wissen und Ideen über die Sprachgrenze hinaus auszudehnen. So wie Löwenzahnsämchen sich nicht an Sprachgrenzen halten, wenn sie vom Winde verweht werden, so sollen es auch Ideen. Wir freuen uns, wenn sich Landwirtschaftsbetriebe oder Organisationen bei uns melden, die sich an diesem grenzüberschreitenden Vorhaben beteiligen möchten!
Möglichst viel zu produzieren ist zum wichtigsten Ziel einiger bäuerlicher Organisationen geworden. Auch der Bund fördert mit Pauschalsubventionen, Anbauprämien und Grenzschutz eine laufend steigende Nahrungsmittelproduktion in der Schweiz. Begründet wird dies mit der Versorgungssicherheit. Doch eine hohe Produktion in Normalzeiten garantiert nicht eine sichere Ernährung im Krisenfall. Im Gegenteil, sie kann diese sogar gefährden. Das ist der Fall, wenn die Produktion immer stärker von Importen - beispielsweise Futtermitteln, Energie, Maschinen, Dünger, Pestiziden - abhängt oder wenn sie die Bodenfruchtbarkeit beeinträchtigt. Zudem leiden die Produzentenpreise unter der zu hohen Produktion. Wie viel Produktion ist für die Versorgungssicherheit nötig und tragbar? Dieser Frage geht das neue Faktenblatt von Vision Landwirtschaft nach. Die Resultate von Szenarienrechnungen zeigen: Die Versorgungssicherheit kann mit einer um 10-20% geringeren Produktion besser gewährleistet werden - solange das Landwirtschaftsland nicht weiter abnimmt.
Auf dem Weg von der Scholle bis zum Teller geht mehr als die Hälfte der Kartoffelernte verloren. Das zeigt eine neue Studie von Agroscope und der ETH Zürich. Optimierungen bei den Produzenten und im Handel sowie Verhaltensänderungen bei der Konsumentenschaft könnten die Situation mildern.
Eine aktuelle Synthese von mehr als 40 Graslandexperimenten in Europa und Nordamerika zeigt, dass Wiesen mit hoher Artenvielfalt gegen klimatisch bedingte Ereignisse (Trockenheit, Hitzetage, Extremniederschläge) resistenter sind und sich nach einer Störung besser erholen.
In der AGRIDEA-Reihe ist ein neues Merkblatt zur Erhaltung und Förderung der Fromental- und Goldhaferwiesen erschienen. Vor allem die Fromentalwiesen, die zu den blumenreichsten Wiesen des Mittellandes gehören, sind von einer ehemals flächendeckenden Verbreitung bis auf kleinste Reste zurückgedrängt worden. Das vom Geschäftsführer von Vision Landwirtschaft verfasste Merkblatt basiert auf den Ergebnisses eines Projekts zur Erhaltung und Förderung dieser Wiesentypen und zeigt auf, was konkret getan werden kann.
Der immense Reichtum an Bakterien, mikroskopisch kleinen Pilzen, Algen und Protozoen lässt die Bedeutung der Bodenbiodiversität für die Natur und den Menschen erahnen. Fruchtbare Böden, sauberes Trinkwasser, die Speicherung von CO2, die Versorgung mit Lebensmitteln und Medikamenten: All dies ist nur möglich durch die biologische Vielfalt im Boden, der dünnen Haut, die unsere Erde umhüllt. Diese HOTSPOT-Ausgabe schaut hinein in diese lebendige Welt unter unseren Füssen, die bis heute noch viel Unbekanntes verbirgt.
Positive Auswirkungen der Biodiversitätsförderung im Landwirtschaftsgebiet sind nicht ausgeblieben. Das agrarpolitische Ziel, mit den Biodiversitätsförderflächen den Artenrückgang zu stoppen, wurde allerdings verfehlt. Es brauche deshalb zusätzliche Anstrengungen. Das stellt der Bericht "Zustand der Biodiversität in der Schweiz 2014" im Kapitel zur Agrarlandschaft fest. Wie innovative Projekte zeigen würden, sei Produktion und Biodiversität kein Gegensatz. Besondere Bedeutung wird der IP- und Bio-Produktion sowie einer zielgerichteteren Beratung beigemessen. Wie Beispiele zeigen, würde sich dadurch auch das Einkommen der Landwirte wesentlich verbessern lassen. >> Zustand der Biodiversität in der Schweiz 2014
Agroscope hat das Monitoringprogramm ALL-EMA "Arten und Lebensräume Landwirtschaft – Espèces et milieux agricoles" gestartet. Im Auftrag des BLW und des BAFU werden Aufnahmen alle 5 Jahre wiederholt werden, um festzustellen, welche Massnahmen besonders nutzbringend für die Biodiversität in der Agrarlandschaft sind. >> mehr über das Monitoringprogramm ALL-EMA
Um die regionale Vielfalt im Grünland zu fördern und mit Direktbegrünung die Wertschöpfung zu erhöhen wurde das Projekt "Regio Flora" von Pro Natura lanciert. Beteiligt sind das Bundesamt für Umwelt, das Bundesamt für Landwirtschaft, mehrere Kantone, AGRIDEA, Info Flora und weiteren Institutionen. Mit der Übertragung von Heugras einer Spenderfläche auf eine möglichst nahe gelegene Empfängerfläche können die typische Artenvielfalt einer Region gefördert und zugleich die regional angepassten Ökotypen erhalten werden. Die neue Homepage zeigt, was dabei zu beachten ist, damit sich die gewünschte Artenvielfalt einstellt. >> Regio Flora
Das FiBL hat eine Broschüre zur Bedeutung der Hörner für die Kuh herausgegeben. Sie fasst Grundlagenkenntnisse und Beobachtungen von Bauern und Forschern zur Anatomie, Physiologie, Entwicklungsbiologie und Funktion der Hörner der Kuh zusammen. Die Broschüre ist eine Hilfestel-lung bei der Klärung der Frage, ob Kühe Hörner tragen sollen oder nicht.
Bio mag immer "konventioneller" werden. Aber Bio wird auch vielfältiger. Immer mehr Biobetriebe gehen heute weit über die Anforderungen des "gewöhnlichen" Biolandbaus hinaus. Wohin das führen kann, zeigt der Gemüsebaubetrieb von Roger Gündel. Seine Form von Landwirtschaft unterscheidet sich mehr vom Biolandbau als Bio von der konventionellen Anbauweise. Sein "Bio+" zeigt eindrücklich, welches Potenzial in einer natur- und standortgemässen Landwirtschaft steckt.
(VL/ab) Roger Gündel ist Gemüsebauer mit Leib und Seele. Schon sein Vater führte hier eine Gärtnerei. Als der Sohn 1995 einen Teil übernehmen konnte, stellte er sogleich auf Bio um. Doch das war nur ein erster, im Rückblick vergleichsweise kleiner Schritt. Seither folgten viele weitere. Heute unterscheidet sich die Anbaupraxis auf dem Birchhof weit mehr vom "üblichen" Bio als sich Bio von Konventionell unterscheidet.
Roger Gündel mit Helfern
Auf den ersten Blick ist das allerdings kaum sichtbar. Zehn Gewächshäuser umgeben das leicht erhöht liegende Wohnhaus auf dem Hügelzug zwischen Reppisch- und Reusstal. Der Blick schweift über weite Felder und Wälder bis zu den Alpen. Grad neben dem Wohnhaus liegt eine gut ausgerüstete Werkstatt. In einer Halle wird frisch geerntetes Wintergemüse gerüstet. Weiter gegen den Wald zu liegen die Gemüsefelder. Erst als wir sie betreten, fällt auf, dass sie viel grüner sind als gewöhnlich. Vielfältiges Kraut spriesst allenthalben und deckt zusammen mit einer dünnen Mulchschicht den Boden vollständig ab. Roger Gündel ist einer der ersten und wenigen Gemüsebauern in der Schweiz, die konsequent auf pfluglosen Anbau setzen.
Vor vier Jahren hat er vollständig auf diese bodenschonende, CO2-reduzierende und energiesparende Methode umgestellt, nach mehrjährigen Vorversuchen. Auf 600 m Höhe und mit den schweren, lehmigen Böden und eher hohen Niederschlägen ein Wagnis. Wo auch immer er sich umhörte bei Kollegen, erntete er meist nur ungläubige Blicke.
Pflugloser Anbau ist nicht neu, in jüngster Zeit kam er gar eigentlich in Mode. Seit einem Jahr werden dafür sogar spezielle Direktzahlungen ausgerichtet. Immer mehr Mais, aber auch Weizen oder Raps werden heute pfluglos angebaut. Doch dies fast nur auf konventionellen Betrieben. Das Unkraut wird statt untergepflügt mit Herbiziden weggespritzt, was den Verbrauch dieses Pflanzenschutzmittels stark ansteigen liess und die Anbaumethode etwas in Verruf gebracht hat. Pflugloser Anbau ohne Herbizide wird in der Schweiz dagegen auch bei einfachen Kulturen erst von ganz wenigen Produzenten praktiziert, geschweige denn bei schwierigen Kulturen wie Gemüse.
Ein entscheidender Punkt ist die Technik. Gündel tüftelte so lange an Anbaugeräten, bis er die Lösung für seinen Betrieb gefunden hatte. Nach der zweijährigen Kunstwiese, die Bestandteil der Fruchtfolge ist, wird jeweils mit einem leichten Flachgrubber mit Stützrädern flach geschält. Auf den Gemüsefeldern kommt derselbe leichte Traktor zum Einsatz. Gefahren wird damit nur auf Radgassen, einem radbreit stehen bleibenden Wiesenstreifen. Hauptsächlich kommt hier ein Gerät zum Einsatz, welches den Boden lockert und zugleich das spriessende Kraut zwischen den Gemüsereihen niedrig hält oder ausrupft. Ebenfalls Marke Eigenbau.
Mit einer Mulchschicht wird der Unkrautdruck zusätzlich reduziert. Zugleich verbessert sie die Nährstoffversorgung des Gemüses. Überhaupt scheint Mulch ein zweiter wichtiger Schlüssel zum Anbauerfolg auf dem Birchhof zu sein. Vor allem in den Gewächshäusern geht nichts ohne Mulch. Tomaten, Salate, Gurken werden in eine dicke Schicht aus Ried- und Schilfstreue gesetzt – oder die Setzlinge kurzerhand einfach drauf gelegt. Das widerspricht zwar jeglicher Theorie, denn nährstoffarme Streu müsste dem Boden zu viele Nährstoffe entziehen. Es funktioniert aber offensichtlich, nach dem saftig grünen Gemüse und den bisherigen guten Erfahrungen zu schliessen. Mit einer Diplomarbeit soll abgeklärt werden, was dahinter steht. Seit bestimmte Schneckenkörner im Biolandbau zugelassen sind, setzt auch Gündel solche ein, allerdings nur in geringen Mengen, auf dem ganzen Betrieb 25 kg, während sonst oft 50 kg allein pro Hektare verwendet werden. Daneben kommt auf dem Birchhof pro Jahr noch 1 kg Bacillus-Thuringensis- Präparat gegen die Lauchmotte und notfalls den Kartoffelkäfer, sowie maximal 1 Liter pflanzliches Neempräparat gegen Spinnmilben bei Gurken und Auberginen zum Einsatz. Ganz ohne Pflanzenschutzmittel kommt also auch der Birchhof nicht aus. Doch viele Kulturen bleiben völlig unbehandelt, so Salat, Kohlgewächse oder Zwiebeln. Das ist nicht nur gegenüber dem konventionellen Anbau ein riesiger Unterschied, wo beispielsweise Zwiebeln bis zur Ernte rund 30 Mal gespritzt werden. Im Gegensatz zum üblichen Bioanbau setzt Gündel auch kein Kupfer ein, auch nicht bei Kartoffeln. "Die grosse Artenvielfalt, das bodenschonende Anbausystem, aber auch die biodynamischen Präparate haben einen entscheidenden Einfluss, dass die Pflanzen trotzdem gesund bleiben", meint Gündel. Er schaue beispielsweise ganz gezielt, dass immer auf jeder Fläche etwas Blühendes da sei. Oft sind das Pflanzen, die sonst nur als Unkraut verpönt sind.
Kräutervielfalt
Das jüngste Birchhof-Projekt betrifft den sozialen Bereich: Gündel möchte seinen Betrieb mittelfristig in eine Genossenschaft überführen, eine "Community Supported Agriculture" (CSA) oder "Regionale Vertragslandwirtschaft", wo die Konsumentinnen und Konsumenten als Genossenschafter Teil des Betriebes sind, sich für die Abnahme einer bestimmten Gemüsemenge verpflichten und gleichzeitig aktiv bei Anbau und Ernte mitwirken. Vor zwei Jahren wurde dazu der Verein Vision Birchhof gegründet. Rund 40 Abonnenten beziehen bereits nach diesem System ihre Gemüsetaschen.
Wer mit Roger Gündel diskutiert, hat das schöne Gefühl: Landwirtschaft ist die spannendste Aufgabe der Welt. Ein Nachmittag reicht bei weitem nicht, die vielen Perspektiven, die im "Wachstum nach innen" liegen, auch nur annähernd zu vertiefen.
Die Gemüsegärtnerei Bio-Birchhof in Zahlen:
Landwirtschaftliche Nutzfläche 14 ha, davon 4 ha Gemüse, 2 ha Weihnachtsbäume, 1 ha Niederstamm-Extensivobstanbau, 4 ha Kunstwiese in der Fruchtfolge, 10% Ökofläche.
5 fest angestellte Mitarbeiter, davon 2 Lehrlinge, bis zu 10 Personen stundenweise
Vermarktung: Markt, Genossenschaft Vision Birchhof, Hofladen, Bioläden in der Region.
Hauptursache für die hohen N-Emissionen in der Schweiz sind die überhöhten Tierbestände in der Landwirtschaft als Folge der Futtermittelimporte. Eine neue Studie geht nun dem Ausmass der Schäden nach. Fast flächendeckend werden in der Schweiz empfindliche Ökosysteme wie Moore, Trockenwiesen und Wälder durch die viel zu hohen Stickstoffimmissionen geschädigt. Nur wenige andere Länder weltweit weisen so hohe N-Belastungen auf. Leider zeigt der Bericht kaum Lösungen auf. Der Schlüssel liegt in einer standortgemässen Landwirtschaft. Ein Abbau der überhöhten Tierbestände, eine massive Reduktion des ständig angestiegenen Futtermitteltourismus und eine Tierhaltung am Ort, wo auch ihr Futter wächst, wären unumgänglich. Doch dies zu fordern scheint für den Bund immer noch ein Tabu zu sein.
"Die weltweite Zunahme von Resistenzen gegen Antibiotika bei Bakterien ist zu einer ernstzunehmenden Gefahr für die öffentliche Gesundheit geworden... 2013 wurden in der Veterinärmedizin im Nutztiersektor knapp 53 Tonnen antibiotische Wirkstoffe eingesetzt. Um die Wirksamkeit und Qualität der antimikrobiellen Therapien bei Mensch und Tier langfristig zu erhalten und die Entstehung und Ausbreitung von Resistenzen gegen Antibiotika effizient und nachhaltig zu vermindern, muss der fachgerechte Einsatz von antibiotikahaltigen Arzneimitteln auch in der Tiermedizin optimiert werden."
Das schreibt das Bundesamt für Gesundheit im erläuternden Bericht zum Entwurf der Tierarzneimittelverordnung TAMV, welcher am 22. Dezember 2014 in die Anhörung gegeben wurde.
Wer diesen Entwurf nach wirkungsvollen Ansätzen durchforstet, mit denen die Probleme entschärft werden sollen, wird jedoch nicht fündig. Der Verordnungsentwurf beschränkt sich im Wesentlichen darauf, dass zusätzliche Daten erhoben werden sollen - ohne zu definieren, was daraus gemacht wird, so dass dieser Passus von vornherein auf eine Alibiübung hin ausgelegt ist - , und dass in gewissem Umfang Medikamentenabgabe auf Vorrat nicht mehr praktiziert werden darf.
Die hauptsächliche Ursache zunehmender Resistenzbildungen, nämlich der massive präventive Antibiotikaeinsatz, der bei vielen Tierhaltungssystemen quasi systemimmanent dazu gehört, und die derzeitige Black Box, dass niemand weiss, wo wann warum welche und wieviele Antibiotika in der Tiermedizin eingesetzt werden, werden mit dem Verordnungsentwurf umschifft. Die Handschrift der "produzierenden Branche" ist unübersehbar. Mit der vorliegenden Verordnung würde geradezu sichergestellt, dass sich nichts ändern muss, ausser dass der bürokratische Aufwand weiter aufgebläht wird. Vision Landwirtschaft fordert in ihrer Stellungnahme substanzielle Anpassungen.
Der Rückgang der Artenvielfalt im Wiesland der tiefen Lagen der Schweiz ist deutlich grösser ist als bisher angenommen. Noch um 1950 wiesen 85 % selbst der am intensivsten genutzten Wiesen auf den besten Böden so viele Pflanzenarten auf, dass sie die sogenannte Öko-Qualität" (BFF QII-Stufe) erreicht hätten oder weit darüber lagen. Heute genügen selbst Ökowiesen nur noch zu 20% den QII-Kriterien.
Derzeit ist nicht bekannt, in welchem Umfang und zu welchem Zweck landwirtschaftliche Bauten ausserhalb der Bauzone erstellt werden. Im Fokus stehen vor allem Ställe, für welche die Futterbasis auf dem eigenen Betrieb teilweise oder ganz fehlt. Die Förderung der teilweise oder ganz bodenunabhängigen, nicht standortgemässen Tierproduktion durch Bund und Kantone steht in mehrfachem Widerspruch zu übergeordneten politischen und gesetzlichen Vorgaben – so zur Raumplanung, zu den Umweltzielen Landwirtschaft, aber auch zu den landwirtschaftlichen Verfassungszielen einer nachhaltigen, bäuerlichen Produktion.
Die Förderung der teilweise oder ganz bodenunabhängigen, nicht standortgemässen Tierproduktion durch Bund und Kantone steht in mehrfachem Widerspruch zu übergeordneten politischen und gesetzlichen Vorgaben – so zur Raumplanung, zu den Umweltzielen Landwirtschaft, aber auch zu den landwirtschaftlichen Verfassungszielen einer nachhaltigen, bäuerlichen Produktion. Der Boom neuer Stallbauten ohne genügende betriebliche Futterbasis darf nicht weiter mit Steuergeldern und Privilegien gefördert werden.
(VL) Seit Jahrzehnten werden Stallbauten im Landwirtschaftsgebiet bewilligt und zudem oft mit staatlichen Mitteln gefördert, selbst wenn dafür die Futterbasis auf dem betreffenden Landwirtschaftsbetrieb fehlt. Als Folge davon haben Futtermittelimporte in die Schweiz immer grössere Ausmasse angenommen. Mittlerweile sind es mehr als eine Millionen Tonnen (!), die jährlich in die Schweiz importiert werden. Damit bewirtschaften wir im Ausland - vor allem in Südamerika - Ackerflächen, die gleich gross sind wie die Ackerfläche der Schweiz. Und dies einzig, um die überhöhten Tierbestände im Inland ernähren zu können. Vielfältige Umweltprobleme sind die Folge: Belüftete Seen, Gülletransporte durch die halbe Schweiz, und Ammoniakemissionen, die europaweit zu den höchsten zählen und die bei empfindlichen Ökosystemen wie Wäldern, Mooren oder irreversible Schäden hinterlassen, sind nur drei Beispiele. Die Umweltbelastung steht klar im Widerspruch zu den Umweltzielen der Schweizer Agrarpolitik (UZL). Auch raumplanerisch ist der Stallbauboom widersinnig, weil damit wertvolle Fruchtfolgeflächen zugebaut und zusätzliche Bauten in der freien Landschaft ausserhalb der Bauzone gefördert werden.
Vorgelagerte Industrie als treibende Kraft
Über viele Jahre betraf der Boom neuer Ställe vor allem die Schweineproduktion. Unzählige Schweineställe entstanden in der Landwirtschaftszone, deren Tiere ausschliesslich durch Futter, das auf den Betrieb importiert werden muss, gemästet werden und deren Jauche auf den betriebseigenen Flächen oft gar nicht verwertet werden kann, sondern teils über weite Distanzen wegtransportiert werden. Seit der Schweinemarkt in der Schweiz gesättigt ist, setzt die Branche auf neue, grosse Milchviehställe, vor allem aber auch auf neue Ställe für die Pouletmast und Eierproduktion.
Die hauptsächliche treibende Kraft hinter diesen Bauten ist die sogenannte vorgelagerte Industrie – Firmen also, welche beispielsweise das Futter liefern oder die Ställe bauen. Mit jedem neuen Stall, der auf Futtermittelimporte angewiesen ist, sichert sich die Futtermittelbranche langfristig zusätzlichen Absatz. Dabei geht es um viel Geld: Der Zukauf von Futtermitteln bei UFA & Co stellt mit gut 1,5 Milliarden Franken jährlich den weitaus grössten Ausgabeposten der Schweizer Bauernbetriebe dar (s. Grafik unten). Jeder zusätzliche Stall sichert der Futtermittelindustrie langfristig zusätzlichen Umsatz.
Vor allem grosse Hühnermasthallen schiessen derzeit in einigen Regionen wie Pilze aus dem Boden. Dadurch kommen immer mehr industrielle Bauten, welche nichts mit einer bodengebundenen Landwirtschaft zu tun haben, in die freie Landschaft zu stehen. Nicht minder problematisch sind überdimensionierte, auf Futterzukäufe angewiesene Kuhställe.
Diese Entwicklung steht im Widerspruch zu raumplanerischen Zielen, belastet die Umwelt, führt zum Verlust von Kulturland und nicht zuletzt auch zu einer innerlandwirtschaftlichen Konkurrenzierung der standortgerechten, bodenabhängigen Tierproduktion.
Fehlende gesetzliche Basis auf Bundesebene
Obwohl die Problematik dieser Entwicklung von den meisten kantonalen Behörden erkannt wird, fehlt ihnen fast immer die Handhabe, Bewilligungen von Gesuchen zu verweigern. Der Grund liegt in einer mangelhaften Gesetzgebung auf Bundesebene. Die gegenwärtige Gesetzgebung behandelt Tierproduktion auch dann als landwirtschaftliche Produktion, wenn dafür keine genügende oder de facto auch gar keine betriebliche Futterbasis besteht, die Produktion also teilweise oder ganz auf importierten Futtermitteln basiert. Dadurch profitiert die bodenunabhängige und damit nicht-landwirtschaftliche Tierproduktion von all den vielfältigen Förderungen durch die öffentliche Hand, als ob es sich um eine landwirtschaftliche Primärproduktion handeln würde. Zu diesen öffentlichen Förderungen gehören Investitionskredite, Starthilfen oder Direktzahlungen für bestimmte Tierhaltungsformen. Finanziell ausschlaggebend ist auch die Tatsache, dass die Bauvorhaben auf vergleichsweise extrem günstigem Landwirtschaftsland erstellt werden können statt mit Baulandpreisen kalkulieren zu müssen wie andere Industriebetriebe.
Trotz einiger gesetzlicher Beschränkungen sind de facto heute selbst Bauten für eine gänzlich bodenunabhängige Tierproduktion in der Landwirtschaftszone praktisch uneingeschränkt möglich – so über die Ausscheidung von Intensivlandwirtschaftszonen, über findige Berechnungsweisen der sehr flexiblen Futterbilanz, oder indem die Halle neben einen vorher bewilligten kleineren Stall gebaut wird.
Vielfältige Folgeprobleme
Die Erhöhung der Tierproduktion über die regionale Futterbasis hinaus hat zu vielfältigen Folgeproblemen geführt und ist einer der wichtigsten Gründe, dass agrarpolitische und Umweltzielsetzungen nicht erreicht werden. Aufgrund der überhöhten Tierbestände weist unser Land innerhalb Europas die dritthöchsten Ammoniakemissionen auf. Als starkes Umweltgift ist Ammoniak für die Schädigung zahlreicher empfindlicher Ökosysteme wie Wälder oder Moore verantwortlich. Ein anderes Beispiel sind die aus dem Futtermittelimport resultierenden Phosphatüberschüsse, welche die Belüftung einiger Mittellandseen nötig gemacht haben und den Steuerzahlenden Millionenkosten aufbürden.
Nicht zuletzt stellt die Produktion auf Basis importierter Futtermittel eine innerlandwirtschaftliche Konkurrenz dar, die den meisten Bauern bisher kaum bewusst zu sein scheint. Die tiefen Milchpreise sind eine direkte Folge des gestiegenen Kraftfuttereinsatzes in der Milchproduktion, aber auch im Fleischmarkt werden die Preise gedrückt durch jede Kilogramm Fleisch, das durch Importfutter zusätzlich produziert wird. Das kann nicht im Interesse einer bäuerlichen, standortgerechten Landwirtschaft.
Raumplanungsgesetz braucht Zähne
Trotz vielfältiger unerwünschter Nebenwirkungen haben in jüngster Zeit die Bewilligungen neuer Stallbauten weiter zugenommen, insbesondere im Bereich der lukrativen Hühnerproduktion, aber auch von überdimensionierten Rinderställen, die auf importiertes Futter angewiesen sind. Die aktuell laufende Revision des Raumplanungsgesetzes muss sich dieses virulenten Problems vordringlich annehmen. Vision Landwirtschaft hat dazu konkrete Vorschläge für gesetzliche Anpassungen erarbeitet. Tiermast ohne eigene Futterbasis soll sachgemäss nicht mehr als landwirtschaftliche, sondern als industrielle Produktion behandelt werden. Sie soll nicht verboten, aber eingeschränkt werden auf diejenigen Zonen, die für eine solche Produktion raumplanerisch ausgeschieden worden sind: Industrie- und Gewerbezonen.
Von einer solchen Lösung profitiert auch die bäuerliche Landwirtschaft: Ihr bleibt mehr Kulturland erhalten, und die preisdrückenden Konkurrenz durch eine importbasierte, nicht mehr eigentlich landwirtschaftliche Milch- und Fleischproduktion wird zumindest nicht mehr weiter gefördert.
Ökologie oder Tierwohl?
Geschlossene Nährstoffkreisläufe zwischen Boden, Pflanze und Tier sind ein zentrales Element einer ressourcenschonenden, standortgemässen Landwirtschaft. Die hohen Futtermittelimporte zur Ernährung unserer überhöhten Tierbestände zerstören dagegen diese Kreisläufe. Sie verursachen sowohl im Export- wie im Importland Umweltprobleme und führen zur Verschwendung wertvoller Nährstoffressourcen und Energie.
Befürworter einer möglichst grossen inländischen Tierproduktion betonen dagegen, dass der Konsum von Schweizer Fleisch hohes Tierwohl sicherstelle. Tierwohl sei den Konsumenten wichtiger als der Verzicht auf hohe Futtermittelimporte. Ob nun Ökologie oder Tierwohl wichtiger sind, darüber lässt sich lange streiten. Doch ein solcher Streit ist gar nicht nötig. Denn gerne wird verschwiegen, dass auch in der Schweiz mit dem Tierschutz längst nicht alles zum Besten steht. Noch immer stellen beispielsweise die gesetzlichen Vorschriften für Mastschweine und -rinder keine artgerechte Haltung sicher. Vor allem aber wird ausgeblendet, dass auch ausländische Landwirte mindestens so tiergerecht produzieren können und wollen wie wir Schweizer, wenn sie dafür faire Produzentenpreise lösen.
Genau diesen Weg will Migros gehen. In einem zukunftsweisenden Entscheid hat sich der Grossverteiler letztes Jahr verpflichtet, ab 2020 nur noch Fleisch zu importieren, das nach Schweizer Tierschutzstandards produziert wird. Solange die Schweizer Bevölkerung so viel Fleisch konsumieren will wie sie das derzeit tut, sind Fleisch- und Eierimporte unerlässlich. Mit einem Import von tiergerecht produziertem Fleisch kann das Dilemma zwischen Ökologie und Tierschutz wenigstens teilweise aufgelöst werden. Dass auf diesem Weg gute Tierschutznormen im Ausland Fuss fassen könnten, ist ein willkommener Nebeneffekt.
Der Grossteil des Obstes der Äpfel- und Birnen-Hochstammbäume wird für die Produktion von Most verwendet. Doch der Preis von Mostobst ist seit vielen Jahren so tief, dass sich eine Ernte nur unter ganz speziellen Bedingungen bei hohem Mechanisierungsgrad einigermassen lohnt. Das vergällt den Produzenten die Freude am ökologisch wertvollen Hochstamm-Obstbau. Rechtzeitig zur Obsternte erscheinen in den bäuerlichen Medien jeweils Artikel, welche den Mostobstüberschuss als Ursache dafür beklagen und die Hochstammförderung kritisieren.
Was meist nicht gesagt wird: Der Überschuss geht mittlerweile allein auf massive Überkapazitäten bei den Niederstamm-Obstkulturen zurück. Bei den Tafeläpfeln dürfte ein Drittel der Ernte aus den Niederstammkulturen als Überschuss anfallen. Dieser wird den Mostereien zugeführt und konkurrenziert dort direkt das – qualitativ hochwertigere – Mostobst aus dem Hochstammobstbau. Davon gebe es keinen Überschuss, im Gegenteil, mangels Bäume im Ertragsalter würden bereits Engpässe sichtbar. Aber der Preis werde eben durch den Überschuss aus der Tafelobstproduktion gemacht. Ein marktorientierter Hochstammobstbau ist unter diesen Voraussetzungen fast nicht möglich.
Selten sind sich die Experten so einig: Die vom Bundesamt für Landwirtschaft vorgeschlagenen "Blühstreifen" als neues Element für den ökologischen Ausgleich schaden der Artenvielfalt im Ackerbaugebiet mehr als dass sie ihr nützen. Dennoch hält der Bund an den Blühstreifen fest. Hintergründe eines Schildbürgerstreichs.
(VL) Gerade rund 6 Promille der landwirtschaftlichen Nutzfläche machen die Ökoelemente auf Ackerland in den Ackerbauregionen aus – viel zu wenig, als dass damit die Artenvielfalt wirksam gefördert könnte. Dabei herrscht genau im Ackerland das grösste Defizite bei der Erhaltung der Biodiversität. Von der Erreichung der Umweltziele Landwirtschaft ist man weit entfernt. Seit Jahren werden deshalb Überlegungen angestellt, wie die Situation verbessert werden kann. Erste, wenn auch noch zaghafte Schritte wurden, beispielsweise mit der Einführung des Ökoelementes "Saum auf Ackerland", bereits unternommen – einem Element, das die Bauern bis jetzt noch viel zu wenig kennen. Zudem zeitigen in einigen Regionen Bemühungen beispielsweise im Rahmen von Vernetzungsprojekten erfreuliche Resultate.
Dennoch ist klar: Dies allein genügt nicht. Nun haben findige Köpfe mit Unterstützung der vorgelagerten Landwirtschaftsindustrie die Defizite im Ackerbaugebiet als Aktionsfeld für die eigenen Interessen entdeckt. Blühstreifen, angesät mit fast ausschliesslich nicht einheimischen, schnell wachsenden Zwischenfrüchten, die über kurze Zeit viel Pollen und Nektar produzieren, sollen den von Pestizidcocktails gebeutelten Bienen helfen. Die Bauer sollen dafür mit bis zu Fr. 3'500 pro Hektare entschädigt werden. Mit dem populären Argument der Bienenförderung lässt sich das gut vermarkten und findet bei den Imkern Anklang. Die Pestizidproduzenten wollen damit zeigen, dass sie ein Herz für die Bienen haben. Und die Saatgutfirmen können jährlich die nötigen Samenmischungen liefern - damit lässt sich viel mehr Geld verdienen als mit langfristigen Ökoflächen. Eine Win-Win-Situation, mit der offenbar genügend Druck auf das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) ausgeübt werden konnte, um die starken Bedenken von Fachleuten gegen diese Art von Blühstreifen in den Wind zu schlagen.
Die Kritik, die dem BLW entgegenschlug, war und ist heftig. Ausser der Honigbiene profitieren kaum wildlebende Bestäuber und bedrohte Arten des Ackerlandes von diesem neuen "Ökoelement", im Gegenteil. Weil die Blühstreifen kurz nach der Blüte wieder untergepflügt werden, fungieren sie als Falle für zahlreiche Insekten wie Wildbienen, welche sich darin ansiedeln, aber nicht längerfristig überleben können. Als noch gravierender wird die Konkurrenz zu den bestehenden, langfristigen und ökologisch wertvollen Ökoelemente im Ackerbau beurteilt: Denn die neuen Blühstreifen müssten lediglich 100 Tage stehen gelassen werden und könnten bis eine halbe Hektare gross sein. Einfacher liessen sich die 7% Ökoflächen, zu welchen die Blühstreifen gezählt werden sollen, nicht erreichen. Wer will sich da noch mit Buntbrachen, Blumenwiesen oder Säumen auf Ackerland herumschlagen und sich damit langfristig binden?
Die von verschiedenen Organisationen, darunter Vision Landwirtschaft, bereits frühzeitig geäusserte Ablehnung gegenüber den Blühstreifen veranlasste das BLW dazu, von der bundeseigenen Forschungsanstalt Agroscope Reckenholz ein Gutachten zu erstellen. Dieses bestätigte, dass die Blühstreifen nicht zielführend sind, sondern im Gegenteil eine Schwächung des ökologischen Ausgleichs im Ackerbaugebiet bewirken, also dort, wo ohnehin die grössten Defizite zur Erreichung der Biodiversitätsziele bestehen. Eine im Rahmen des Gutachtens befragte Expertenrunde kam einhellig zum gleichen Schluss. Klarer kann das Verdikt nicht sein.
Vision Landwirtschaft stellte sich bei der Vernehmlassung vollumfänglich hinter die Kritikpunkte der Agroscope und der beigezogenen Experten. Wir fordern den Bundesrat und das BLW auf, die Blühstreifen als BFF-Element, wie die Ökoflächen neu heissen, zu streichen und stattdessen allenfalls unter der Kategorie der Produktionssystembeiträge eine Bienenweide in die Direktzahlungsverordnung aufzunehmen, womit die Konkurrenzgefahr zu den bestehenden wertvollen Ökoflächen gebannt wäre.
Wir sind gespannt, wie der Schildbürgerstreich zu Ende geht. Vision Landwirtschaft bleibt dran.
Um die Artenvielfalt im Landwirtschaftsgebiet zu erhalten, ist die Anzahl an unterschiedlichen Lebensräumen entscheidend. Bio-Betriebe ohne gezielte Fördermassnahmen wie die Schaffung zusätzlicher artenreicher Lebensräume haben nur eine geringfügig grössere Artenvielfalt als die übrigen Betriebe. Das zeigt eine Studie in zehn europäischen und zwei afrikanischen Regionen.
Auf dem Rundgang seines Biohofes erzählte Roland Heuberger, dass er einerseits nicht ständig Dünger und andere Schadstoffe auf die Wiesen kippen mochte. Andererseits war er neugierig darauf, mit der Natur zu arbeiten und deren Mechanismen zu verstehen. Die funktionieren aber nur, wenn die Pflanzen und Tiere ihre Lebensräume haben.
Bis Ende 2018 müssen die Kantone entlang von Gewässern Gebiete festlegen, die dem Gewässer- und Hochwasserschutz dienen. Ein neues Merkblatt zeigt, wie die Ausscheidung zu erfolgen hat.
Vision Landwirtschaft ist keineswegen gegen Futtermittelimport. Doch das gesunde Mass ist heute in der Schweiz weit überschritten. In einem ausführlichen Interview stellt der Schweizer Bauer die Positionen von Vision Landwirtschaft vor.
Positive Erfahrungen mit Naturschutzmassnahmen, Vertrauen in die Zielerreichung der unternommenen Anstrengungen und finanzielle Anreize sind die Hauptmotivationen von Schweizer Landwirten des Mittellandes für die Umsetzung von ökologischen Ausgleichsflächen. Dies zeigen qualitative Interviews bei 15 Landwirten bezüglich ihrer Haltung gegenüber dem Naturschutz.
Neuere Untersuchungen zeigen, dass Wildbienen und andere Wildbestäuber bei der Bestäubung von Wild- und Kulturpflanzen eine entscheidende Rolle spielen. Ihre Häufigkeit und ihre Artenvielfalt haben in den letzten Jahrzehnten jedoch stark abgenommen – mit nachteiligen Auswirkungen auf die Landwirtschaft.
Mithilfe von Daten aus dem Biodiversitätsmonitoring der Schweiz wurden die Auswirkung von Stickstoffeinträgen auf die Artenvielfalt von Gefässpflanzen und Moosen in Bergwiesen untersucht. Eine Abnahme der Artenvielfalt konnte bereits bei 10 bis 15 Kilogramm Stickstoff pro Hektare und Jahr nachgewiesen werden. Bisher wurde ein kritischer Grenzwert von 20 Kilogramm angenommen.
In der Schweiz werden in einigen Regionen mit über 50-60 Kilogramm N besonders hohe Stickstoffeinträge gemessen. Hauptverursacherin sind überhöhte Tierbestände der Landwirtschaft als Folge stark gestiegener Mengen importierter Futtermittel. Die Schweiz gehört zu den drei europäischen Ländern mit den höchsten Emissionen an Ammoniak, einer besonders umweltschädlichen Form von Stickstoffemissionen aus der Tierhaltung.
Ein zunehmend wärmeres Klima bedeutet für viele Landwirtinnen und Landwirte der Schweiz, dass sie ihre Kulturen zukünftig vermehrt bewässern müssen, da viele Flüsse weniger Wasser führen. Die landwirtschaftliche Produktion wird jedoch nicht wesentlich geschmälert, wenn die Zunahme des Wasserbedarfs begrenzt wird.
Landwirtschaftsbetriebe in Erschwernislagen brauchen eine bessere Unterstützung durch die Agrarpolitik
Bereits heute gibt es Direktzahlungen, welche die erhöhten Erschwernisse im Berggebiet ausgleichen sollen. Ein kleiner Teil davon ist an die Hangneigung gebunden (die sog. "Hangbeiträge"), über drei Viertel bzw. 354 Millionen Franken pro Jahr dagegen hängen von der Anzahl gehaltener Tiere und der Höhenzone ab ("TEP-Beiträge"): Je höher ein Betrieb liegt und je mehr Vieh er hält, desto mehr Erschwernisbeiträge erhält er. Das führt einerseits zu starken Fehlanreizen, zu viele Tiere zu halten. Und es ist ungerecht. Betriebe in besonderen Erschwernislagen erhalten dadurch nur einen Bruchteil der Direktzahlungen von Betrieben in Gunstlagen des Berggebietes. Das Faktenblatt Nr. 3 enthält dazu die überraschenden Fakten und macht konkrete Vorschläge, die in Form verschiedener Anträge bereits in den parlamentarischen Prozess zur Reform der Agrarpolitik eingeflossen sind.
Das 2010 von Vison Landwirtschaft herausgegebene "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" legte einen entscheidenden Grundstein für die wieder in Gang gekommenen Reformbemühungen der Schweizer Landwirtschaftspolitik. Die erste Auflage des Buches war innert weniger Monate ausverkauft. Die zweite Auflage ist hier erhältlich.
Die Anfangs der 1990er Jahre auf Druck verschiedener Volksinitiativen eingeleitete Agrarreform kam während zwei Jahrzehnten kaum vom Fleck. Der Grossteil der damals eingeführten agrarpolitischen Instrumente wurden den damals gesetzten Zielen und dem neuen landwirtschaftlichen Verfassungsartikel von 1996 nicht gerecht. Öffentliche Mittel in Milliardenhöhe wurden nicht verfassungskonform eingesetzt und schadeten der Zukunftsfähigkeit, der Nachhaltigkeit und Wirtschaftlichkeit der Schweizer Landwirtschaft in unverantwortlicher Weise.
Diese Missstände werden im Weissbuch Landwirtschaft Schweiz, von Vision Landwirtschaft schon kurz nach seiner Gründung herausgegeben, umfassend und schnörkellos aufgearbeitet. Das allgemeinverständliche, mit zahlreichen Grafiken illustrierte Buch bleibt aber nicht bei der Kritik stehen. Ein Schwerpunkt liegt auf der Darstellung von Vorschlägen, die konkret aufzeigen, welche Reformen für eine verfassungsmässige, zukunftsfähige Agrarpolitik unumgänglich sind. Mit detaillierten Modellrechnungen werden die Auswirkungen auf die verschiedenen agrarpolitischen Zielbereiche aufgezeigt. Die Resultate belegen ein unerwartet grosses Optimierungspotenzial und zeigen, dass damit die gesetzten politischen Ziele im Rahmen des jetzigen Agrarbudgets erreicht oder sogar übertroffen werden – bei mittelfristig höherem Einkommen und höherer Nettoproduktion der Landwirtschaft.
Mit seinen Analysen und Vorschlägen legte das Weissbuch Landwirtschaft einen entscheidenden Grundstein für die Reformschritte, welche in den Jahren 2012-2013 mit der "Agrarpolitik 2014-17" eingeleitet wurden. Und es wird weiterhin eine Referenz bleiben für die noch bevorstehenden agrarpolitischen Debatten, die zur Behebung der verbliebenen Defizite unumgänglich sind.
Das "Weissbuch Landwirtschaft Schweiz" ist im Buchhandel erhältlich oder über das Vereinssekretariat. Mitglieder von Vision Landwirtschaft erhalten 30% Rabatt auf den regulären Preis im Buchhandel.
Am 1. Oktober hat der Nationalrat als Erstrat die Motion Aebi überraschend deutlich angenommen. Damit wird die Milchmengensteuerung wie während der kürzlich aufgehobenen Milchkontingentierung teilweise wieder dem Staat übertragen. Den Vorstoss ausgelöst haben die zunehmende Milchüberproduktion und der deshalb laufend sinkende Milchpreis. Die Ursachen der problematischen Entwicklung werden mit der Motion Aebi allerdings in keiner Weise gelöst. Vision Landwirtschaft hat sich für nachhaltigere Lösungen stark gemacht.