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NEWSLETTER 9.2. 2023

Bedeutung der Biodiversität für die Landwirtschaft

Bedeutung der Biodiversität für die Landwirtschaft

Die Schweiz ist vom Biodiversitätsverlust sehr stark betroffen. Das hat bereits grosse Auswirkungen auf die Landwirtschaft. Sehr besorgniserregend ist der Rückgang vieler Wildbienen-Arten, deren Leistungen als Bestäuber sehr wichtig sind für die Landwirtschaft. Neue Daten, welche für die Aktualisierung der Roten Liste der gefährdeten Bienenarten der Schweiz von Dr. Andreas Müller erhoben wurden, zeigen, dass rund 10% der Wildbienenarten bereits ausgestorben sind. Eine sehr hohe Zahl von 45% der Arten wird voraussichtlich dieses Jahr auf die Rote Liste gesetzt. Dies hat einen direkten Zusammenhang auf die Erträge von vielen Nutzpflanzen. Die Bestäubung ist aber nur eine der wichtigen Ökosystemleistungen unter vielen, die alle massgeblich zu einer Landwirtschaft mit guter und stabiler Produktionsleistung beitragen. Das Wissen und die Fakten zu diesen Zusammenhängen werden häufig zu wenig berücksichtigt in politischen Entscheiden, aber auch auf Landwirtschaftsbetrieben und bei der Bewirtschaftung von Flächen der öffentlichen Hand. Trotz Engagement vieler Landwirt:innen für die Biodiversität auf ihren Betrieben nimmt die Artenvielfalt weiter drastisch ab.

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(VL) Die wichtigsten vier Dienstleistungen einer intakten Biodiversität für die Landwirtschaft sind die Bestäubung, die Schädling-Nützling-Interaktion, die Bodenfruchtbarkeit und ein vielfältiger Gen-Pool für resistente Sorten. Alle diese Ökosystemleistungen tragen dazu bei, dass gute und stabile Erträge erreicht werden und dass Umwelteinflüsse – zum Beispiel Auswirkungen des Klimawandels – gemindert werden können. Die Versorgungssicherheit in Bezug auf die Lebensmittelproduktion der Schweiz könnte schon für die nächste Generation deutlich abnehmen, wenn der kontinuierliche Rückgang der Biodiversität nicht gestoppt werden kann. Daher ist es wichtig, dass die Begriffe Versorgungssicherheit und Biodiversität nicht als Zielkonflikt gesehen werden, sondern als Einheit. Denn ohne eine gute und funktionale Biodiversität, wird eine stabile Produktion in der Landwirtschaft je länger je schwieriger.

Einfluss der Bestäubung auf die Erträge von Äpfeln, Kirschen und Himbeeren

Mit einem Blick auf die wesentlichen Fakten aus nationalen Berichten ist schnell klar: Der Biodiversität in der Schweiz geht es gar nicht gut. Zahlreiche Pflanzenarten, Insekten, Vögel, Pilze, Algen und Flechten sind lokal verschwunden oder bereits ausgestorben. Mehr als die Hälfte der Arten ist zumindest potenziell bedroht. Bei den Insekten zum Beispiel sind es rund 60 Prozent. Die neuen Zahlen von Dr. Andreas Müller, Natur Umwelt Wissen GmbH, zu den Wildbienen dokumentieren eine drastische Abnahme der Arten. Von den 613 bewerteten Wildbienenarten müssen neu 277 auf die Rote Liste gesetzt werden. Im Vergleich zu anderen evaluierten Organismengruppen ist der Anteil der ausgestorbenen Arten mit 57 Arten sehr hoch. Der hohe Anteil gefährdeter und ausgestorbener Wildbienenarten dürfte mit den hohen Ansprüchen dieser Insekten an ihre Nist- und Nahrungsressourcen zusammenhängen, die sich zudem oftmals in verschiedenen und räumlich voneinander getrennten Lebensräumen befinden. Diese neuen Daten zeigen, dass die bisher getroffenen Massnahmen zum Erhalt der Biodiversität allein noch bei Weitem nicht die nötige Wirkung auf die Population von Wildbienen haben. Die Bestäubungsleistungen aller Wildbienen-Arten zusammen genommen sind in etwa gleich gross wie die der Honigbiene.

Das Sterben der Wildbienen hat einen direkten Einfluss auf die Erträge von Nutzpflanzen. Mehrere Studien zeigen die Wichtigkeit dieser Bestäuber und deren Einfluss auf die landwirtschaftlichen Erträge auf. So berechnet Agroscope in einer Studie von 2021 bereits einen Rückgang von bis zu 30% der Erträge bei Kirschen, Himbeeren und Äpfeln. Auch Ackerbohnen – ein wichtiger Eiweisslieferant für die menschliche wie die tierische Ernährung – sind stark von den Bestäubungsleistungen von Hummeln, einer Gattung der echten Bienen, abhängig. Dies vor allem, weil Ackerbohnen sehr früh im Jahr blühen, zu einer Zeit, in der die Honigbienen noch nicht fliegen. Eine Studie des FibL erläutert zudem, welche konkreten Massnahmen in der Landwirtschaft nötig sind, damit Wildbienen gezielt gefördert werden. Auch Zahlen in Bezug auf den wirtschaftlichen Wert sind erhoben worden. Das Wissen ist vorhanden – die Frage ist nur: Was braucht es, dass dieses Wissen in der Praxis ankommt und umgesetzt wird? Hier sind auch weitsichtige Entscheide der Politik gefragt, um die Ernährungssicherheit für unser Land langfristig zu bewahren.

Höhere Bodenfruchtbarkeit dank mehr Bodenorganismen

Die Bodenbiodiversität ist entscheidend für die Aufnahme von Nährstoffen durch die Pflanzen und daher auch zentral für die Erträge in der Landwirtschaft. Die meisten Bodenfunktionen werden direkt oder indirekt von Bodenlebewesen gesteuert. Eine hohe biologische Vielfalt im Boden ist unter anderem die Voraussetzung für eine hohe oberirdische Biodiversität, einen besseren Abbau von abgestorbenem Pflanzenmaterial, eine bessere Nährstoffverfügbarkeit und für einen reduzierten Ausstoss von Lachgas aus dem Boden. Ohne Bodenorganismen ist schlussendlich keine Nahrungsmittelproduktionmöglich, denn diese garantieren den Erhalt der Produktions- und Regulierungsfunktionen des Bodens, besonders seines Wasserhaushalts und des Umsatzes organischer Substanzen. Im letzten Sommer, während der langen Trockenperiode, war dies überall in der Schweiz zu sehen: Auf den Flächen mit hoher organischer Substanz und damit grosser Anzahl an Bodenorganismen, konnte das Wasser länger im Boden gespeichert werden, dies hatte einen direkten positiven Einfluss auf die Erträge.

Schädling-Nützling-Interaktionen und der genetische Pool

Verschiedene Forschungsresultate zeigen die Wichtigkeit von Insekten und Spinnen in der natürlichen Regulation von Schädlingen in landwirtschaftlichen Kulturen auf. Diese Räuber, die einen bedeutenden Teil der Schädlinge fressen, können durch räumliche Massnahmen auf dem Betrieb und angepasste Bewirtschaftungsformen gefördert werden. Das heisst konkret: landwirtschaftlich genutzte Gebiete brauchen viele blütenreiche Lebensräume, die zu verschiedenen Zeitpunkten im Jahr für die Nüzlinge Nahrung liefern können. Das sind extensiv genutzte Wiesen, Hecken, Waldränder, Blühstreifen und Säume. Die Säume spielen dabei eine unspektakuläre aber sehr wichtige Rolle, denn sie vernetzen zwei Lebensraumtypen, zum Beispiel Stauden zwischen Wald und Wiese. In der Schädlingskontrolle spielen unter anderen Schwebefliegen eine wichtige Rolle. Ihr Vorteil ist, dass sie früh im Frühjahr erscheinen, so dass sie bereits gegen erste Schädlinge wirken können. Sie überwintern in extensiven Wiesen, Brachen oder Säumen. Und genau diese Lebensräume nehmen so rasch und stark ab, dass auch die Schwebefliegen zu den stark gefährdeten Insekten gehören.

In der Zucht von Kultursorten spielt die Biodiversität ebenso eine wichtige Rolle. Die genetische Vielfalt wird dafür genutzt und gestaltet. Wichtig bei den Kultursorten ist für die Erhaltung der genetischen Vielfalt der Genpool alter Landsorten. Je höher die genetische Vielfalt einer Art, desto besser kann sich eine Art an neue Gegebenheiten anpassen, indem jene mit einem Vorteil überleben. Gerade im Hinblick auf den Klimawandel ist es wichtig, zum Beispiel auf trockentolerantere Sorten zurückgreifen zu können. 

Rolle der Landwirtschaft

Die Landwirtschaft ist also gleichzeitig Nutzniesserin der Biodiversität und aber auch einer der stärksten Treiber für die Biodiversitätskrise. In der Schweiz sind insbesondere die viel zu hohen Nährstoffeinträge aus intensiver Tierhaltung, die grossflächige Anwendung von Kunstdünger, die hohe Belastung durch Pestizide und generell die äusserst intensive Bewirtschaftung die Faktoren für den Biodiversitätsverlust. Es braucht ein ganzheitliches Denken und Handeln, um die Biodiversitätskrise noch aufhalten zu können. Ein Beispiel: Ein Buntbrache-Streifen entlang einer Ackerkultur nützt wenig, wenn die Insekten, die sich in der Brache aufhalten, durch Pestizid-Drift aus der Ackerkultur abgetötet werden oder wenn die Nährstoffeinträge im Boden so hoch sind, dass sich die für die Wildbienen wichtigen Pflanzen gar nicht etablieren können. Damit insbesondere auch die funktionale Biodiversität erhalten werden kann, muss das Wissen über diese Zusammenhänge noch viel stärker verbreitet und einbezogen werden. Viele Landwirt:innen setzen auf ihren Betrieben schon viel an Biodiversitätsförderung um. Sie leisten so eine wichtige Aufgabe nicht nur für ihren Betrieb, sondern für die ganze Landwirtschaft. Doch sie brauchen mehr Unterstützung durch die Landwirtschaftspolitik und ihre Verbände.

 


 

«Kästchen» Biodiversität in der Politik

Die AP22+ bringt im Bereich Biodiversität nur geringfügige Verbesserungen. Insbesondere sind keine Massnahmen vorgesehen, welche die Qualität der Biodiversität innerhalb der bereits bestehenden Flächen verbessern. Die vom Bundesrat vorgeschlagenen und vom Nationalrat ausdrücklich unterstützten 3.5% Biodiversitätsförderflächen im Ackerbau werden Verbesserungen bringen. Der Absenkpfad der Gülle- und Ammoniakemissionen, der vor allem das Problem der Nitratüberschüsse angeht, wurde jedoch im Parlament zurückgestutzt. Das heisst, dass bis 2030 (erst dann ist eine Überarbeitung der Agrarpolitik geplant) gerade beim Stickstoff und Klimaschutz keine Verbesserungen aus der Agrarpolitik kommen. Dabei liegen viele mögliche Lösungen auf dem Tisch, zum Beispiel Anpassungen wie den verbindlichen Einbezug der Bodenanalysen in die Düngungsplanung oder Lenkungsabgaben auf Kunstdünger und Futtermittel zur Regulierung der Stickstoffverschmutzung in der Schweiz. Die Vereinigung integriert produzierender Bauern und Bäuerinnen (IP Suisse) hat ihr Punkteprogramm im Bereich Biodiversität verschärft, weil sie überzeugt ist, dass die Biodiversität stärker auf den IP-Betrieben gefördert werden soll.

Der Gegenvorschlag zur Biodiversitätsinitiative, den der Nationalrat ausgearbeitet hat, wird nächstens von der ständerätlichen Umweltkommission behandelt. Dank dieser Revision des Natur- und Heimatschutzgesetzes können die Landwirt:innen sich gezielt für die Biodiversität einsetzen, unter anderem in neuen Biodiversitätsgebieten, die Schutz und Nutzung kombinieren. Die Revision sieht 96 Millionen Franken mehr für die Biodiversität der Schweiz vor, die zu einem grossen Teil an die Landwirtschafsbetriebe gehen. Doch nicht nur im Kulturland muss mehr für die Biodiversität getan werden. Auch im Wald und ganz besonders im Siedlungsraum sind zusätzliche dringende Massnahmen nötig und mit der Gesetzesrevision vorgesehen.

 


 

Links/Literatur:

Ernährungssicherheit erfordert eine umfassende Sichtweise, Albert von Ow, Agroscope:

https://naturwissenschaften.ch/uuid/i/abd6d773-7069-5b1d-ba4f-e99046bbddfd-«Ernährungssicherheit_erfordert_eine_umfassende_Sichtweise»

Dossier Biodiversität, Forum Biodiversität Schweiz

https://naturwissenschaften.ch/biodiversity

Lebensraum für Insekten stärkt Bestäubung und landwirtschaftliche Produktion, Matthias Albrecht, Agroscope

https://naturwissenschaften.ch/uuid/i/978d7c67-3032-53e2-b3ac-cfda16bb2ab1-Lebensraum_für_Insekten_stärkt_Bestäubung_und_landwirtschaftliche_Produktion

Messen des ökonomischen Wertes der Bestäubungsdienstleistungen:

https://www.sciencedirect.com/science/article/abs/pii/S2212041614001156

Hotspot Biodiversität im Boden, SCNAT

https://portal-cdn.scnat.ch/asset/64d91143-1263-5592-bdb7-17a6dfc500b8/hotspot%2032%20dt%20WEB.pdf?b=8a696eba-0c10-5407-a9ac-162d6cbd251b&v=b679a5fc-afa4-5ce3-b84e-259611a5c1ee_0&s=S3XjBugfxW9IwbzKU00f8D0kXN_O7lIShGpb3eVa2DE1tXZ2wXe_QebXvXYMTncGdodJGrjv-S5AJLQan93IrnEoi9F-rMvj44g6dt3riDqKZbtFVHF-sg7R5kJMvr7Ztje5tX_I3rIkVW4rRkXG_1suTHnLsAzgexxZBVfJrU8

Bewertung von Bodenfunktionen, Kompetenzzentrum Boden

https://ccsols.ch/de/nutzen-schutz/bewertung-bodenfunktionen/

Nützlinge in landwirtschaftlichen Kulturen fördern, Agridea

https://arenenberg.tg.ch/public/upload/assets/15115/N%3Ftzlinge%20in%20den%20landwirtschaftlichen%20Kulturen%20f%3Frdern.pdf

Schwebfliegen

https://www.nabu.de/news/2020/10/28880.html

https://www.wwf.de/themen-projekte/artensterben/insektensterben