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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 1.3. 2015

Hofportrait: "Bio+"-Gemüsebaubetrieb Birchhof

Hofportrait:

Bio mag immer "konventioneller" werden. Aber Bio wird auch vielfältiger. Immer mehr Biobetriebe gehen heute weit über die Anforderungen des "gewöhnlichen" Biolandbaus hinaus. Wohin das führen kann, zeigt der Gemüsebaubetrieb von Roger Gündel. Seine Form von Landwirtschaft unterscheidet sich mehr vom Biolandbau als Bio von der konventionellen Anbauweise. Sein "Bio+" zeigt eindrücklich, welches Potenzial in einer natur- und standortgemässen Landwirtschaft steckt.

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(VL/ab) Roger Gündel ist Gemüsebauer mit Leib und Seele. Schon sein Vater führte hier eine Gärtnerei. Als der Sohn 1995 einen Teil übernehmen konnte, stellte er sogleich auf Bio um. Doch das war nur ein erster, im Rückblick vergleichsweise kleiner Schritt. Seither folgten viele weitere. Heute unterscheidet sich die Anbaupraxis auf dem Birchhof weit mehr vom "üblichen" Bio als sich Bio von Konventionell unterscheidet.


Roger Gündel mit Helfern

Auf den ersten Blick ist das allerdings kaum sichtbar. Zehn Gewächshäuser umgeben das leicht erhöht liegende Wohnhaus auf dem Hügelzug zwischen Reppisch- und Reusstal. Der Blick schweift über weite Felder und Wälder bis zu den Alpen. Grad neben dem Wohnhaus liegt eine gut ausgerüstete Werkstatt. In einer Halle wird frisch geerntetes Wintergemüse gerüstet. Weiter gegen den Wald zu liegen die Gemüsefelder. 
Erst als wir sie betreten, fällt auf, dass sie viel grüner sind als gewöhnlich. Vielfältiges Kraut spriesst allenthalben und deckt zusammen mit einer dünnen Mulchschicht den Boden vollständig ab. Roger Gündel ist einer der ersten und wenigen Gemüsebauern in der Schweiz, die konsequent auf pfluglosen Anbau setzen.

Vor vier Jahren hat er vollständig auf diese bodenschonende, CO2-reduzierende und energiesparende Methode umgestellt, nach mehrjährigen Vorversuchen. Auf 600 m Höhe und mit den schweren, lehmigen Böden und eher hohen Niederschlägen ein Wagnis. Wo auch immer er sich umhörte bei Kollegen, erntete er meist nur ungläubige Blicke.

Pflugloser Anbau ist nicht neu, in jüngster Zeit kam er gar eigentlich in Mode. Seit einem Jahr werden dafür sogar spezielle Direktzahlungen ausgerichtet. Immer mehr Mais, aber auch Weizen oder Raps werden heute pfluglos angebaut. Doch dies fast nur auf konventionellen Betrieben. Das Unkraut wird statt untergepflügt mit Herbiziden weggespritzt, was den Verbrauch dieses Pflanzenschutzmittels stark ansteigen liess und die Anbaumethode etwas in Verruf gebracht hat. Pflugloser Anbau ohne Herbizide wird in der Schweiz dagegen auch bei einfachen Kulturen erst von ganz wenigen Produzenten praktiziert, geschweige denn bei schwierigen Kulturen wie Gemüse.

Ein entscheidender Punkt ist die Technik. Gündel tüftelte so lange an Anbaugeräten, bis er die Lösung für seinen Betrieb gefunden hatte. Nach der zweijährigen Kunstwiese, die Bestandteil der Fruchtfolge ist, wird jeweils mit einem leichten Flachgrubber mit Stützrädern flach geschält. Auf den Gemüsefeldern kommt derselbe leichte Traktor zum Einsatz. Gefahren wird damit nur auf Radgassen, einem radbreit stehen bleibenden Wiesenstreifen. Hauptsächlich kommt hier ein Gerät zum Einsatz, welches den Boden lockert und zugleich das spriessende Kraut zwischen den Gemüsereihen niedrig hält oder ausrupft. Ebenfalls Marke Eigenbau.

Mit einer Mulchschicht wird der Unkrautdruck zusätzlich reduziert. Zugleich verbessert sie die Nährstoffversorgung des Gemüses. Überhaupt scheint Mulch ein zweiter wichtiger Schlüssel zum Anbauerfolg auf dem Birchhof zu sein. Vor allem in den Gewächshäusern geht nichts ohne Mulch. Tomaten, Salate, Gurken werden in eine dicke Schicht aus Ried- und Schilfstreue gesetzt – oder die Setzlinge kurzerhand einfach drauf gelegt. Das widerspricht zwar jeglicher Theorie, denn nährstoffarme Streu müsste dem Boden zu viele Nährstoffe entziehen. Es funktioniert aber offensichtlich, nach dem saftig grünen Gemüse und den bisherigen guten Erfahrungen zu schliessen. Mit einer Diplomarbeit soll abgeklärt werden, was dahinter steht.
Seit bestimmte Schneckenkörner im Biolandbau zugelassen sind, setzt auch Gündel solche ein, allerdings nur in geringen Mengen, auf dem ganzen Betrieb 25 kg, während sonst oft 50 kg allein pro Hektare verwendet werden. Daneben kommt auf dem Birchhof pro Jahr noch 1 kg Bacillus-Thuringensis- Präparat gegen die Lauchmotte und notfalls den Kartoffelkäfer, sowie maximal 1 Liter pflanzliches Neempräparat gegen Spinnmilben bei Gurken und Auberginen zum Einsatz. Ganz ohne Pflanzenschutzmittel kommt also auch der Birchhof nicht aus. Doch viele Kulturen bleiben völlig unbehandelt, so Salat, Kohlgewächse oder Zwiebeln. Das ist nicht nur gegenüber dem konventionellen Anbau ein riesiger Unterschied, wo beispielsweise Zwiebeln bis zur Ernte rund 30 Mal gespritzt werden. Im Gegensatz zum üblichen Bioanbau setzt Gündel auch kein Kupfer ein, auch nicht bei Kartoffeln. "Die grosse Artenvielfalt, das bodenschonende Anbausystem, aber auch die biodynamischen Präparate haben einen entscheidenden Einfluss, dass die Pflanzen trotzdem gesund bleiben", meint Gündel. Er schaue beispielsweise ganz gezielt, dass immer auf jeder Fläche etwas Blühendes da sei. Oft sind das Pflanzen, die sonst nur als Unkraut verpönt sind.

Kräutervielfalt

Das jüngste Birchhof-Projekt betrifft den sozialen Bereich: Gündel möchte seinen Betrieb mittelfristig in eine Genossenschaft überführen, eine "Community Supported Agriculture" (CSA) oder "Regionale Vertragslandwirtschaft", wo die Konsumentinnen und Konsumenten als Genossenschafter Teil des Betriebes sind, sich für die Abnahme einer bestimmten Gemüsemenge verpflichten und gleichzeitig aktiv bei Anbau und Ernte mitwirken. Vor zwei Jahren wurde dazu der Verein Vision Birchhof gegründet. Rund 40 Abonnenten beziehen bereits nach diesem System ihre Gemüsetaschen. 

Wer mit Roger Gündel diskutiert, hat das schöne Gefühl: Landwirtschaft ist die spannendste Aufgabe der Welt. Ein Nachmittag reicht bei weitem nicht, die vielen Perspektiven, die im "Wachstum nach innen" liegen, auch nur annähernd zu vertiefen. 



Die Gemüsegärtnerei Bio-Birchhof in Zahlen:

Landwirtschaftliche Nutzfläche 14 ha, davon 4 ha Gemüse, 2 ha Weihnachtsbäume, 1 ha Niederstamm-Extensivobstanbau, 4 ha Kunstwiese in der Fruchtfolge, 10% Ökofläche.

5 fest angestellte Mitarbeiter, davon 2 Lehrlinge, bis zu 10 Personen stundenweise

Vermarktung: Markt, Genossenschaft Vision Birchhof, Hofladen, Bioläden in der Region.

Label: BioSuisse-Knospe und Demeter.