Tag für Tag werden die Lebensmittelregale gefüllt und Restaurants und Kantinen beliefert. Tausende Produkte sind jederzeit verfügbar. Hinter dem Warenangebot steckt ein hochkomplexes System. Mit hohem logistischem Aufwand sorgen Landwirtschaft, Industrie und Handel dafür, dass die Produkte zur rechten Zeit am rechten Ort sind. Doch nur zu einem kleinen Teil landen Lebensmittel direkt aus der Region auf unseren Tellern. Denn die Landwirt:innen aus der Region produzieren überwiegend für den Grosshandel und dadurch legen die Lebensmittel hunderte von Kilometern zurück. Wenn zum Beispiel ein Zürcher Obstproduzent seine Äpfel an die Migros liefert, muss er diese nach Gossau im Kanton St. Gallen fahren und die Migros liefert diese dann an ihre Märkte in der Stadt Zürich. Das sind dann hin und zurück 150 km. Dieses System hat sich über Jahre entwickelt. Doch je komplexer ein System, desto mehr Energie wird benötigt und es wird anfälliger für Störungen aller Art.
Wir sollten die regionalen Ressourcen besser nutzen. Das heisst nicht, dass die Ernährung zu 100 Prozent regional sichergestellt werden sollte. Aber die regionale Selbstversorgung könnte deutlich besser sein. Auf den Flächen rund um die Stadt sollte das wachsen, was nach möglichst kurzem Weg auf den Tellern landet, für ein Ernährungssystem, in dem ein reger Austausch herrscht und in dem es ein gesteigertes Bewusstsein und Interesse für regionale Lebensmittel gibt. Das ist auch ein Ernährungssystem, das man in seiner Freizeit entdecken und erleben kann, das sich durch Diversität auszeichnet, kleine Betriebe erhält und Innovationen fördert. Ein solches System schützt nicht nur die natürlichen Ressourcen, sondern auch die Kulturlandschaft und wertet das Leben in der Region durch eine lokale Wertschöpfung auf. Wie das funktionieren kann:
Genau dies findet im Biogarten Lieli auf dem Birchhof in Oberwil-Lieli statt. An der bereits zur Tradition gewordenen Feldbegehung der Geschwister Kessens nehmen immer mehr interessierte Menschen teil. Sie wollen wissen, wie ihr Gemüse- und Obst angebaut wird, das sie mit ihrem Gemüse-Abo an über 150 Quartierdepots im Raum Zürich und Baden abholen können.
Der Biogarten mit zwei unbeheizten Treibhäusern.
Samuel Kessens führt uns durch seinen zwei Hektar grossen Biogarten. Er ist Gemüsebauer, weil sein Vater Gemüsebauer ist. Aber er hat einen besonderen Blick für nachhaltige Systeme und ein starkes Interesse für ein zukunftsfähiges Ernährungssystem. Mit neuen Anbaumethoden entwickelt er den väterlichen Betrieb weiter und indem er seine Kunden auf den Betrieb einlädt, fördert er ein tieferes Verständnis für die Lebensmittelproduktion. Das hilft ihm, weil dadurch sein Gemüse nicht perfekt sein muss und die Kunden verstehen, wenn es manchmal weniger Bohnen dafür mehr Zucchetti gibt.
Feldbegehung, angeführt von Samuel Kessens.
Sehen wie das Gemüse wächst.
Sie sind etwas wirklich Besonderes, die kleinen, vielfältig bepflanzten Gemüsebeete. Sehr eng beieinander wachsen Salate, Rüebli, Zwiebeln, Blumenkohl, Himbeeren, Äpfel, Zwetschgen und vieles mehr. An den Rändern der Beete blühen Borretsch, Kamille und andere Wildblumen. Und in zwei ungeheizten Folientunneln warten dichte Reihen grüner Tomaten und Melonen aufs Reifwerden. Auch die vielen kleine, schwarzen Läuse an den Bohnenblättern sind wichtig für die Entwicklung der Marienkäferlarven, denn bald werden sie das natürliche Gleichgewicht wieder herstellen.
Samuels Kessens Kernanliegen ist die Erhaltung und Wiederherstellung eines humusreichen Bodens als lebendiges Ökosystem. Der Betriebsleiter setzt darum auf Kompost, Gründüngung, eine ausgeklügelte Fruchtfolge, eine reduzierte Bearbeitung des Bodens und enge Pflanzabstände. Die Beete werden so wenig wie möglich betreten oder von Maschinen befahren, damit der Boden nicht zu sehr gestört wird. Das alles ermöglicht eine sehr hohe Produktivität auf sehr kleiner Fläche bei möglichst geringem Verbrauch an Ressourcen. Das Wasser wird von der nachbarschaftlichen Quelle mit einer Solarpumpe in den Wassertank gepumpt und dort gespeichert, wo es dann über ein Tröpfchen Bewässerungssystem langsam in den Kulturen verteilt wird. Feuchtigkeit und Nährstoffe bleiben somit im Boden, der zudem CO2 bindet. Das erhöht die Widerstandsfähigkeit, auch gegen die Folgen des Klimawandels.
Gesunde Böden erhalten die Feuchtigkeit.
Diese Art der Bewirtschaftung von Agrarland ist in der Schweiz eher selten. Das eigentlich überraschende am Biogarten Lieli sind aber die beinahe zwanzig Mitarbeitende, die hier jäten, pflanzen, bewässern, ernten, waschen, verpacken und ausliefern. Ist das wirtschaftlich tragbar? Ja, meint Samuel Kessens. «Der Grossteil der Produkte wird direkt von uns auf dem Birchhof in unserem Biogarten produziert. Dadurch bleibt die Wertschöpfung auf unserem Betrieb. Andere Produkte kaufen wir aus der Region dazu, um die Wünsche unserer Kund:innen erfüllen zu können. Dabei achten wir auf Saisonalität, Regionalität und eine verantwortungsvolle Produktion.»
Auch die Politik muss einen Beitrag leisten, um die Nahversorgung zu verbessern. Die öffentliche Hand könnte mehr regionale und saisonale Erzeugnisse in ihren Kantinen einsetzen. Vielfältige und innovative Unternehmen und Initiativen sollten unterstützt und gefördert werden, für «ein System, das wieder Verbindung schafft, vom Landwirt bis zum Teller.»
Die Marienkäferlarven fressen die Eier von Läusen, bis sich das Gleichgewicht wieder einstellt.
Wasser wird sparsam eingesetzt und wo möglich gesammelt und gespeichert.
Jede noch so kleine Fläche wird intensiv genutzt, sogar der Zaun dient als Stütze für Brombeeren und Vogelsitzstangen.
Schonende Bodenbearbeitung, um das Bodengleichgewicht zu erhalten.