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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 14.1. 2015

Bundesrat lanciert Gezerre um Agrarpolitik neu

Bereits vier Landwirtschaftsinitiativen sind lanciert. Und nun will also auch noch der Bundesrat die Verfassung ändern. Damit ist das Gezerre um die Ausrichtung der Landwirtschaftspolitik – bereits ein Jahr nach Einführung der neuen AP 2014-17 definitiv neu lanciert. Nicht sachliche Gründe, sondern verbandspolitische und wahltaktische Überlegungen stehen dahinter.

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Der Aufwand, die Agrarpolitik mit der AP 2014-17 wenigstens ein klein wenig zielorientierter, nachhaltiger und verfassungsgemässer zu gestalten, war und ist riesig – für das Parlament, für die Verwaltung, für die Verbände, und nicht zuletzt auch für die Bauern. Es war deshalb ein breiter Konsens in Landwirtschaftskreisen: Jetzt braucht es vor allem Ruhe und Konsolidierung. Finger weg von raschen weitergehenden Anpassungen. 

Zuerst brach der Schweizer Bauernverband (SBV) diesen Konsens mit seiner Ernährungssicherheitsinitiative. SBV-Präsident Ritter lancierte intern das Projekt explizit mit dem Ziel, die Agrarpolitik wieder zurückzudrehen. Der Verband, der sich in der parlamentarischen Debatte um die AP 2014-17 vergeblich mit Händen und Füssen gegen eine effizientere und gezieltere Verteilung der Agrargelder wehrte, hat seine Niederlage nicht verwunden und hofft mit seinem Initiativprojekt, so wieder Einfluss auf die Agrarpolitik zurückzugewinnen.

In Grabenkämpfen mit zielverwandten Gruppierungen hat sich der Bauernverband schliesslich mit einem nichtssagenden Text durchgesetzt, gegen den eigentlich niemand ernsthaft etwas haben kann – ausser dass er völlig unnötig ist und von der jetzigen Verfassung bereits abgedeckt wird. Auf der Strasse wurden die Leute zur Unterschrift motiviert mit dem Versprechen einer nachhaltigeren Schweizer Nahrungsmittelproduktion. Wer sollte da nicht unterschreiben? Generalstabsmässig organisiert, brachte der Verband die Unterschriften entsprechend rasch zusammen. Nur: Bis heute weiss niemand genau, was der Bauernverband mit seinem Text eigentlich will. 

Lange wurde die blasse Initiative wenig ernst genommen. Das hat sich mit dem heutigen Entscheid des Bundesrates, dem Volk einen Gegenvorschlag zu unterbreiten, geändert. Die Initiative erhält dadurch unnötiges Gewicht. Der Bauernverband und seine Medienportale reagierten enthusiastisch. Tatsächlich hätte ihm nichts Besseres passieren können. Endlich ist die ersehnte Aufmerksamkeit da.

Wie kommt der Bundesrat auf die abenteuerliche Idee, einer nichtssagenden Initiative einen Gegenvorschlag entgegenzustellen? Hinter der Aktion steht Landwirtschaftsminister Schneider-Ammann. Gegen den Willen des Bundesamtes für Landwirtschaft und vermutlich der meisten Bundesräte hat er diesen Gegenvorschlag durchgepeitscht. Dafür gibt es nur eine Erklärung: Der Gegenvorschlag bietet die Chance, seinen gefährdeten Sitz vielleicht doch noch zu retten, indem sie ihm im Parlament einige Bauernstimmen bringt. 

Abgesehen vom wahltaktischen Motiv ist der Gegenvorschlag ein gefährliches Unterfangen. Nicht nur lanciert er frühzeitig das Gezerre um die Agrargelder neu. Noch problematischer ist die verwirrliche Botschaft an das Volk. Der Bundesrat, der seine bisherige Agrarpolitik immer mit der Verfassung legitimierte, will nun diese selber anpassen? 

Völlig ungeklärt ist auch die Frage, was ein doppeltes Nein des Volkes bedeuten würde. Die Verwirrung wäre perfekt. Vielleicht wäre es einfach ein Ausdruck davon, dass die Mehrheit offenbar die Nase voll hat vom Gezerre um Milliarden an Steuergeldern und der Orientierungslosigkeit der Agrarpolitik.

Die verbands- und wahltaktischen Manöver werden das komplexe und labile Gebäude der Agrarpolitik weiter schwächen. Es hat bisher nur dank eines breiten Grundkonsenses im Volk gehalten – nämlich dass Landwirtschaft uns allen wichtig ist und deshalb eine weltweit einzigartig hohe Unterstützung mit Bundesgeldern rechtfertigt. Dieser Grundkonsens erhielt schon in der Debatte um die AP 2014-17 erste feine Risse und wird durch die jetzt ablaufenden Ränkespiele wohl weiter bröckeln.

Für Vision Landwirtschaft besonders störend ist die Tatsache, dass der bestehende Verfassungsauftrag von 1996 – ein mit 78% der Stimmenden besonders breit abgestützter Volksentscheid bereits wieder ergänzt werden soll, noch bevor er auch nur einigermassen umgesetzt ist. Auch mit der neuen Agrarpolitik werden über 1,5 Milliarden Franken jährlich ohne klare Zielbestimmung und ohne jeglichen Nachweis ihrer Wirksamkeit im Hinblick auf die Verfassungsziele giesskannenmässig verteilt (s. Kästchen), während eine lange Reihe anerkannter Ziele unverändert ausser Reichweite bleiben und die Wertschöpfung der Landwirtschaft seit vielen Jahren immer weiter sinkt.

Eine konstruktive Diskussion zu führen über Agrarpolitik wird im Gewirre von Initiativen und Gegenvorschlag noch schwieriger. Nichtsdestotrotz: Vision Landwirtschaft wird weiterhin alles dran setzen, nahe an der Sache zu informieren und aufzuzeigen, dass eine nachhaltige, wirtschaftliche und deutlich effizientere, umweltfreundlichere Landwirtschaft – also die Umsetzung des bestehenden Verfassungsauftrages und die Schliessung der bisher unverändert grossen Ziellücken – nicht nur möglich, sondern auch im ureigenen Interesse der Bauernfamilien selber dringend nötig ist.



Gut zu wissen: Hohe Produktion von Lebensmitteln, aber ineffiziente Stützung durch den Staat

Das mit der Agrarpolitik 2014-17 revidierte Direktzahlungssystem gibt der Versorgungssicherheit hohe Priorität. Die Direktzahlungskategorie "Versorgungssicherheitsbeiträge" ist mit jährlich 1.1 Milliarden Franken (durchschnittlich rund Fr. 20'000.- pro Betrieb und Jahr) am höchsten dotiert. Allerdings weisen alle bisherigen Untersuchungen darauf hin, dass diese Versorgungssicherheitsbeiträge kaum etwas mit ihrem Ziel zu tun haben, sondern vielmehr die Versorgungssicherheit eher schwächen, indem sie eine ineffiziente, nicht standortgemässe um-weltschädliche Produktion fördern. Um die Ernährungssicherheit zu verbessern, müsste diese schädliche Direktzahlungskategorie in zielorientierte Instrumente umgelagert werden. Dafür braucht es keine Initiative, sondern lediglich die Umsetzung des bestehenden Verfassungsauftrages.

In der Agrarpolitik 2014-17 sind rund 80 Prozent der Direktzahlungen direkt an die Produktion von Lebensmitteln gekoppelt. Direktzahlungen ohne jeglichen Bezug zur Produktion existieren nicht. Die Schweizer Landwirtschaft produziert aktuell auf Rekordniveau. Eine Extensivierung, die immer wieder wie der Teufel an die Wand gemalt wird, ist inexistent. Auch vor diesem Hintergrund ist eine "Ernährungssicherheitsintiative" abstrus. Auch alle anderen Ziele sind mit der bestehenden Verfassung bereits abgedeckt. Nicht umsonst konnten die Initianten bisher nicht konkret sagen, was sie mit ihrer Initiative bezwecken – ausser dass die Agrargelder in Zukunft wieder möglichst "unbürokratisch" und ohne Leistungsnachweis verteilt werden sollen.