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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 31.8. 2018

Fair Food und Ernährungssouveränität – zwei Landwirtschaftsinitiativen vor der Abstimmung

(VL) In der Volksabstimmung vom 23. September befassen sich gleich zwei Vorlagen mit der Landwirtschaft. Die Fair-Food-Initiative will im Rahmen der bestehenden internationalen Handelsabkommen faire und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel fördern. Auch die Initiative für Ernährungssouveränität will mehr Nachhaltigkeit und Fairness gegenüber den Bauern. Dies aber vor allem aus einer traditionellen bäuerlichen Perspektive, mit weitgehenden staatlichen Eingriffen und mit Konfliktpotenzial gegenüber bestehenden Handelsabkommen. Was ist von den Vorlagen zu halten? In diesem Newsletter fassen wir einige Überlegungen zu den Initiativen zusammen.

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Fair-Food-Initiative

Die Fair-Food-Initiative will, kurz gesagt, faire und nachhaltig produzierte Nahrungsmittel fördern. Produkte aus bäuerlicher Landwirtschaft, fairem Handel sowie aus regionaler und saisonaler Produktion und Verarbeitung sollen einen Marktvorteil erhalten. Die Lebensmittelverschwendung und die Klimabelastung durch Transport und Lagerung sollen reduziert und die Tierhaltungsform auch bei Importen und verarbeiteten Lebensmitteln deklariert werden. Tierquälerisch erzeugte Produkte sollen nicht mehr in die Schweiz importiert werden, und importierte Lebensmittel sollen soziale und ökologische Mindestanforderungen erfüllen, die denjenigen in der Schweiz entsprechen. Herkunft und Produktionsbedingungen sollen zudem transparent deklariert werden.

  • Die Initiative fördert die Entwicklung von Handelsregeln, die Nachhaltigkeit belohnen statt bestrafen. Dabei setzt sie bei einem entscheidenden Punkt an, nämlich bei den Bestimmungen für den Import von Nahrungsmitteln. Entgegen der landläufigen Meinung und der Argumente von Initiativgegnern besteht ein grosser Handlungsspielraum für handelsbezogene Anreize, wie sie die Initiative anstrebt. Die Befürchtungen der Gegner, dass Handelsregeln verletzt würden, der Staat eine riesige Bürokratie aufbauen müsste und die Lebensmittel teurer würden, sind übertrieben (Details dazu liefert eine interessante Studie über nachhaltige Agrarimporte der Juristin Elisabeth Bürgi Bonanomi von der Uni Bern):
    • Die geforderten Bestimmungen zur Deklaration und zur Abstufung von Zöllen und Kontingenten nach Nachhaltigkeitskriterien lassen sich so umsetzen, dass sie mit den EU-Verträgen und mit den WTO-Regeln kompatibel sind. Bereits heute gewährt der Bund beispielsweise Steuererleichterungen für nachhaltig produzierte importierte Agrotreibstoffe. Gemäss WTO können Handelszugeständnisse zum Schutz gewisser öffentlicher Interessen, insbesondere von Umwelt- und Sozialstandards, ausgesetzt werden, wenn die Massnahmen nicht-diskriminierend ausgestaltet sind, d.h. wenn alle Marktteilnehmenden die Chance haben, die Standards zu erfüllen. Zudem müssen sie verhältnismässig sein, also nicht stärker eingreifen als nötig ist, um das Ziel zu erfüllen. Glaubwürdig wäre die nicht-diskriminierende Absicht von nachhaltigkeitsbezogenen Importbestimmungen gemäss der Handelsexpertin Bürgi Bonanomi insbesondere dann, wenn die Bestimmungen eine weniger kapitalintensive Schweizer Produktion begünstigen würden, bei der weniger Vorleistungen (z.B. Futtermittel) importiert würden, so dass im Gegenzug ggf. mehr Nahrungsmittel importiert werden müssten. Genau dies fordert Vision Landwirtschaft seit Jahren.
    • Auch Befürchtungen der Gegner einer überbordenden Bürokratie scheinen übertrieben. Zertifizierungen von Produktionsmethoden müssen nicht durch den Staat vorgenommen werden. Wie bei bestehenden Labels wie Max Havelaar kann die Zertifizierung Privaten überlassen werden. Umgesetzt würden ohnehin nur praktikable Massnahmen. Gemäss Bürgi Bonanomi wären dies etwa Positiv-Listen von Labels, für die Zolldifferenzierungen gelten würden. Die differenzierten Zölle würden einen Anreiz für private Zertifizierungen schaffen und damit international dazu beitragen, dass höhere Produktionsstandards auch ökonomisch attraktiv werden. 
    • Die Befürchtung von höheren Nahrungsmittelpreisen, wie sie etwa von Konsumentenverbänden als Gegenargument angeführt wird, ist sicher nicht ganz unbegründet. Höhere Verkaufspreise treffen in der Schweiz am ehesten die weniger gut verdienenden Bevölkerungsteile. Die Auswirkungen auf die Preise sind aber nicht so eindeutig vorhersehbar, wie oft behauptet wird. Beispielsweise muss nachhaltig produziertes Fleisch aus dem Ausland nicht teurer sein als inländisches Fleisch. Was bisher noch nie thematisiert wurde: Ein freier Import von zertifiziertem Fleisch aus tierfreundlicher Haltung würde voraussichtlich für in der Schweiz produziertes Fleisch einen Preisrutsch nach unten bewirken. Je nachdem könnten nachhaltig produzierte Nahrungsmittel also sogar günstiger werden.
  • Vor allem indirekt könnte die Initiative dazu beitragen, dass die Schweizer Landwirtschaft ökologischer wird.Der erleichterte Import von besonders nachhaltig produzierten Lebensmitteln könnte dazu führen, dass wenig nachhaltig produzierte Massenware in der Schweiz nicht mehr gleich stark nachgefragt wird. Zudem würde das Image von Importprodukten in der Bevölkerung verbessert. 
  • Der Initiativtext ist sehr offen formuliert. Die Auswirkungen sind deshalb stark abhängig von der Umsetzung durch das Parlament. Im Hinblick auf die Umsetzung durch das Parlament bedeutet die offene Formulierung ein Risiko. Es könnte im schlechtesten Fall dazu kommen, dass die Initiative letztlich eine ökologisch, volkswirtschaftlich und entwicklungspolitisch sinnvolle Produktion in der Schweiz eher behindern als fördern würde – ein Argument allerdings, das bei vielen Initiativen angeführt werden kann. 


Fazit: Die Initiative nimmt mit dem Thema der nachhaltigen Importe ein Anliegen auf, das für die Entwicklung nachhaltiger globaler Ernährungssysteme zentral ist. Die Knacknüsse der Initiative liegen bei der späteren Umsetzung in Politik und Verwaltung. - Fundierte Argumente zur Initiative finden sich in einem Interview mit Elisabeth Bürgi Bonanomi im Tages-Anzeiger.


Initiative für Ernährungssouveränität

Die Initiative für Ernährungssouveränität hat zwar Überschneidungen mit der Fair-Food-Initiative, will aber sehr viel mehr. So soll beispielsweise das Einkommen der Landwirte verbessert, für gerechte Preise gesorgt, und die Zahl der in der Landwirtschaft tätigen Menschen erhöht werden. Und dies alles mit staatlichen Mitteln.

Die Initiative nimmt wichtige Anliegen einer nachhaltigen Landwirtschaft auf, betont dabei aber einseitig die Anliegen und Interessen einer spezifischen Gruppe von Bäuerinnen und Bauern. Sie berücksichtigt nicht, dass arbeitsintensive Produktionsmethoden und eine möglichst hohe Inlandproduktion nicht notwendigerweise im Interesse der Umwelt und der Konsumenten, ja nicht einmal unbedingt im Interesse vieler Bauernfamilien sind. Die Initiative scheint in mancher Hinsicht eine Landwirtschaft anzustreben, wie sie die Schweiz vor fünfzig Jahren hatte. Die Initiative lehnt sich stark an Ideen der Via Campesina an, eines weltweiten Zusammenschlusses von Kleinbauern, die vor allem die Situation von Bauern in Entwicklungsländern verbessern will. 

Auch bei der Ernährungssouveränitäts-Initiative sind fast alle Forderungen sehr allgemein formuliert. Im Gegensatz zur Fair Food-Initiative haben die Initianten bisher aber kaum konkrete Lösungen vorschlagen können, wie sie sich eine Umsetzung der Initiative vorstellen. Kommt dazu, dass viele der Anliegen der Ernährungssouveränitäts-Initiative im aktuellen Text der Bundesverfassung und teilweise auch in Gesetzestexten bereits mehr oder weniger enthalten sind, ohne dass sie aber zu einer Landwirtschaft führten, wie sie sich die Initianten vorstellen.

Andere Forderungen sind rechtlich und im Kontext internationaler Vereinbarungen problematisch und, wenn überhaupt, äusserst schwierig umzusetzen. Insbesondere ist die Initiative sehr protektionistisch und verkennt, dass der freie Handel von Nahrungsmitteln bei entsprechenden gesetzlichen Rahmenbedingen (Anliegen Fair-Food-Initiative) durchaus auch positive Aspekte für die Landwirtschaft haben kann.

Fazit: Die Uniterre-Initiative gleicht einem bunten Strauss an Wünschen, bei denen fraglich bleibt, ob sie durch Parlament und Exekutive überhaupt umgesetzt werden (können). Ähnlich wie 2017 bei der Ernährungssicherheits-Initiative würde die Verfassung um Inhalte erweitert, die kaum einen Niederschlag in der Gesetzgebung und staatlichem Handeln finden dürften.