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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 12.10. 2015

Die Wahlen entscheiden auch über die Agrarpolitik

Gemäss einer kürzlich erschienen Umfrage erwartet die Schweizer Bevölkerung, dass die Schweizer Landwirtschaft den eingeschlagenen Weg der Agrarreform 2014-17 zu mehr Nachhaltigkeit weitergeht. In diesen Wochen wählt das Volk ein neues Parlament. Damit werden auch die Weichen für die zukünftige Ausrichtung der Agrarpolitik gestellt.

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(VL) Das Thema Landwirtschaft spielte in diesem Wahlkampf keine Rolle. Eigentlich verwunderlich, bemühen sich doch breite bäuerliche Kreise, die neue Agrarpolitik (AP14-17) schlecht zu reden. Dies obwohl die Fakten zur AP14-17 eine ganz andere Sprache sprechen. Wie eine kürzlich im Auftrag des Bundesamtes für Landwirtschaft erstellte Studie zu den Erwartungen der schweizerischen Bevölkerung an ihre Landwirtschaft zeigt, stützt die Schweizer Bevölkerung klar den Reformprozess der Agrarpolitik. Eine naturnahe Produktion von Nahrungsmitteln und die Erhaltung der ökologischen Vielfalt durch schonende Produktionsformen sind für die Bevölkerung besonders wichtige Anliegen. 

Die Stimmbürger und Stimmbürgerinnen können bei den bevorstehenden Parlamentswahlen über die zukünftige Entwicklung der Agrarpolitik mitentschieden. Die Crux dabei: Die Agrarpolitik ist komplex, und nur wenige Parteien und Parlamentarier äussern sich konkret zu ihren Zielen in der Landwirtschaft. Vision Landwirtschaft hat deshalb das agrarpolitische Verhalten der Parteien unter die Lupe genommen und ist dabei zu einem überraschenden Schluss gekommen. 

Agrarpolitik scheint wie kaum ein anderer Politikbereich anfällig für Populismus. Als Populismus gilt in der Politik ein Verhalten, welches möglicherweise Wählerstimmen bringt, aber sachlich sinnvollen Lösungen und den eigenen Überzeugungen bzw. denjenigen der eigenen Partei zuwiderläuft. Warum im Landwirtschaftsbereich Sachpolitik oft einen schweren Stand hat, hat zwei wesentliche Gründe. Parlamentarier, vor allem solche aus bäuerlichen Kreisen, die sich in agrarpolitischen Abstimmungen gegen die Bauernlobby stellen, werden regelmässig angefeindet und ausgegrenzt. Dabei spielen die Landwirtschaftsmedien, die entweder dem Schweizer Bauernverband selber gehören oder mit diesem eng kooperieren, eine erhebliche Rolle. Nach jeder wichtigen agrarpolitischen Abstimmung erscheinen Artikel, welche diejenigen Politiker bzw. Parteien namentlich nennen, die in agrarpolitischen Abstimmungen nicht im Sinne des Bauernverbandes gestimmt haben. Eine kritische und ausgewogene Auseinandersetzung auf sachlicher Ebene findet in der bäuerlichen Presse praktisch nicht statt. Pauschalurteile und verbandskonforme Werthaltungen dominieren die Diskussion. 

In den nichtbäuerlichen Medien werden agrarpolitische Abstimmungen parteipolitisch dagegen kaum je analysiert. Denn die Agrarpolitik interessiert ein breites Publikum wenig. Im Hinblick auf die eigene Popularität lohnt sich deshalb Sachpolitik im agrarpolitischen Bereich für Parlamentarier nicht – ein wichtiger Grund, warum die Agrarpolitik immer wieder von irrational scheinenden parlamentarischen Abstimmungsresultaten geprägt ist und warum scheinbar der Einfluss der "Bauernlobby" so gross ist. 

Am konsequentesten für sachpolitische Lösungen, die zugleich in Übereinstimmung mit den Parteizielen liegen, hat sich die GLP eingesetzt. Diese hat sich zudem immer wieder mit eigenen Anträgen für eine zielorientierte Agrarpolitik im Sinne der klaren Verfassungsziele Art. 104 stark gemacht. Ebenfalls weitgehend der populistischen Versuchung widerstehen konnten die SP und die Grünen.

Wenig einheitlich agierten die Mitteparteien und die FDP. In der FDP finden sich auffallend oft Politiker, die bei der Landwirtschaft diametral gegen liberale Anliegen stimmen. Ein direkter Einfluss von Bauernverbandssekretär und FDP-Nationalrat Francois Bourgeois auf seine Parteikollegen ist unübersehbar. In der CVP hat sich die Balance zugunsten der Agrarlobby verschoben, seit CVP-Nationalrat Markus Ritter als neuer Bauernverbandspräsident seine Partei auf Kurs zu bringen versucht. Noch 2012, während der Debatte im Parlament zur Agrarreform, war dies anders. Damals gelang es dank Unterstützung einer Handvoll sachkundiger Politiker der Mitteparteien, wie dem Bündner BDP-Nationalrat Hassler, die mutigen Vorschläge des Bundesrates gegen erbitterten Widerstand von SBV und SVP weitgehend unbeschadet durch das Parlament zu bringen. 

Praktisch geschlossen stimmt die SVP, und zwar fast ausnahmslos im Sinne der Agrarlobby. Dies ist aus sachpolitischer Warte erstaunlich. Als Partei, die sich Sparen bei Staatsausgaben und eine leistungsorientierte Verwendung von Steuergeldern ganz oben auf die Fahne geschrieben hat, stimmt die SVP im Landwirtschaftsbereich praktisch geschlossen für besonders ineffiziente Pauschalzahlungen anstelle zielorientierter Leistungszahlungen. Solche Widersprüche werden kaum je thematisiert. Vielmehr gelingt es der Partei, sich mit ihrem populistischen Engagement als bodenverbundene Bauernpartei zu profilieren. 

Mit dem Wahlzettel wird auch Agrarpolitik gemacht. Parlamentarier, die eine von der Agrarlobby unabhängige, sach- und lösungsorientierte Politik zugunsten einer nachhaltigen Landwirtschaft machen, brauchen Mut und Rückgrat. An der Urne können wir dafür sorgen, dass nicht nur Populismus, sondern auch Rückgrat Stimmen bringen.


PS in eigener Sache: Darf eine Denkwerkstatt sich politisch einmischen? Denken und Handeln gehören für Vision Landwirtschaft zusammen. Und Handeln ist in der Schweizer Landwirtschaft ohne Einbezug der Politik wenig wirksam. Vision Landwirtschaft gibt keine Wahlempfehlungen ab. Wir betrachten es aber als unsere Aufgabe, nicht nur fundierte Facharbeit zu leisten, sondern auch Stellung in politischen Prozessen zu beziehen. Vision Landwirtschaft ist unabhängig, aber nicht neutral.