Startseite / Themen / Agrarpolitik und Direktzahlungen / Neue Agroscope-Studie: Trinkwasserinitiative kann Umweltprobleme der Schweizer Landwirtschaft endlich lösen
13.6. 2019

Neue Agroscope-Studie: Trinkwasserinitiative kann Umweltprobleme der Schweizer Landwirtschaft endlich lösen

Neue Agroscope-Studie: Trinkwasserinitiative kann Umweltprobleme der Schweizer Landwirtschaft endlich lösen

Die offizielle Agrarpolitik verspricht seit 20 Jahren eine nachhaltige Landwirtschaft. Bis heute hat sie dieses Versprechen nicht eingelöst, im Gegenteil, ein Grossteil der Gelder schwächt eine nachhaltige Produktion. Eine aktuell publizierte Studie der Agroscope zeigt, dass ein Ja zur Trinkwasserinitiative (TWI) den Bund zwingen würde, endlich die Steuergelder konsequent für eine nachhaltige Landwirtschaft einzusetzen.

Das Forschungsinstitut Agroscope untersuchte die möglichen Folgen der Trinkwasserinitiative für die Landwirtschaft mittels detaillierten Modellrechnungen. Dabei wurden verschiedene Szenarien definiert mit je unterschiedlicher Umsetzung des Initiativtextes. 15 der 18 Szenarien sind nicht realistisch und wurden mehrheitlich auf Druck des Bauernverbandes in die Studie aufgenommen. Sie legen den Initiativtext viel restriktiver aus als die Initianten selbst*.  Eine solche Initiativtextauslegung ist damit in keiner Weise realistisch und würde die Landwirtschaft viel stärker einschränken als nötig.

Nur wenige Szenarien sind realistisch

Lediglich 3 Szenarien (Nr. 3 ,6 und 9) entsprechen einer realistischen Auslegung des Initiativtextes. (Das Szenario 9 ist zwar hinsichtlich der Auslegungen der Initiative realistisch, geht aber von eher unrealistisch hohen Preisen aus.)  Dies zeigt Vision Landwirtschaft in ihrer im Agroscope-Bericht publizierten Einschätzung. Nach Annahme der Initiative würde gemäss dieser Szenarien der Grossteil der Landwirtschaftsfläche der Schweiz in Zukunft pestizidfrei bewirtschaftet.  Die regelmässigen Überschreitungen von Pestizidgrenzwerten in Trinkwasserfassungen und in Oberflächengewässern, wie sie in der Schweiz im Ackerbaugebiet fast flächendeckend seit vielen Jahren unverändert auftreten, dürften damit endlich der Vergangenheit angehören.

Ähnliches gilt auch für die Emissionen aus der Tierhaltung, vor allem von Ammoniak. Diese Emissionen liegen seit Jahrzehnten in den meisten Regionen ein Mehrfaches über den gesetzlichen Grenzwerten. Gemäss Modellierungsresultaten sinken die Tierbestände dank der TWI moderat und damit auch die Emissionen – ein Resultat, das die bisherige Agrarpolitik trotz Hunderten von Millionen Franken investierten Steuergeldern nicht erreicht hat. Die TWI dürfte also die Weichen wirksam in Richtung einer Landwirtschaft stellen, die endlich mit der Schweizer Umwelt- und Gewässerschutzgesetzgebung konform ist.

Einkommen der Landwirtschaft nimmt zu

Aus landwirtschaftlicher Perspektive besonders erfreulich sind die gemäss Modellrechnungen zu erwartenden ökonomischen Auswirkungen. Wird Szenario Nr. 6 als Referenz gewählt, das von den drei genannten Szenarien am realistischsten ist (mittlere Preisentwicklung), nimmt das Einkommen bei den im Ökologischen Leistungsnachweis ÖLN verbleibenden Betrieben um 12% zu; beim Szenario 9, das von einer günstigeren Preisentwicklung ausgeht, wären es sogar 32%. Doch auch diejenigen rund 11% der Betriebe, die aus dem ÖLN aussteigen und auf Direktzahlungen verzichten, verdienen um durchschnittlich 2% mehr, indem sie ihren Direktzahlungsverlust mit entsprechend höheren Roherträgen ausgleichen können.

Hinsichtlich Produktion und Flächennutzung zeigen die Modellresultate eine Zunahme der offenen Ackerfläche; Flächenrückgänge bei Zuckerrüben, Ölsaaten sowie Reben, Obst und Beeren werden durch einen Zuwachs bei Getreide und Gemüse ausgeglichen. Dies weist darauf hin, dass die Herausforderungen einer notwendigen Anpassung auf die Vorgaben der TWI für unterschiedliche Produktionsrichtungen zwar generell in einem machbaren Rahmen liegen, aber verschieden gross sind. Für besonders betroffene Produktionsrichtungen sollten in den vorgesehenen 8 Übergangsjahren entsprechende Unterstützungs- und Anpassungsprogramme bereitgestellt werden. Die für die Versorgungssicherheit gewünschten Produktions- und Verarbeitungskapazitäten sollten dabei wie bisher mit Beiträgen für einzelne Kulturen wie Ölsaaten sichergestellt werden.

Kaum Rückgang bei der Produktion

Leider gibt die Studie den relevanten Nettoselbstversorgungsgrad (welcher die Tierfutterimporte mitberücksichtigt) nicht an. Sein Rückgang dürfte gemäss einer Nachkalkulation von Vision Landwirtschaft deutlich unter 10% liegen. D.h. es müssten zwar etwas mehr Agrarprodukte importiert werden, aber selbst bei restriktiver Umsetzung der Initiative nur in geringem Umfang. Wird der von der Studie nicht berücksichtigte technische und züchterische Fortschritt im Umgang mit einer pestizidfreien Produktion mit einbezogen, dürften zusätzlich nötige Importe fast ganz wegfallen.

Fazit
Geht man davon aus, dass das Parlament den Spielraum des Initiativtextes nutzt, um eine möglichst zielführende Umsetzung der Initiative im Hinblick auf Umwelt und Wirtschaftlichkeit zu realisieren, dürften die Auswirkungen noch deutlich positiver ausfallen als in den einzigen einigermassen realistischen Szenarien 3, 6 und 9 von Agroscope. Die TWI ist damit eine klare Chance für eine nachhaltigere und zugleich wirtschaftlichere Schweizer Landwirtschaft. Sie ermöglicht eine Weiterentwicklung der Agrarpolitik in eine Richtung, welche genau ihren offiziellen, bisher aber seit 20 Jahren weitgehend verfehlten Zielen entspricht.

>> Zur Agroscope -Studie
>> Zur Einordnung in der NZZ und im Tages-Anzeiger
>> Einordnung durch Vision Landwirtschaft (pdf) (publiziert in der Studie)

----

* Kästchen
15 der 18 von Agroscope durchgerechneten Szenarien gehen von einer viel zu extremen Interpretation des Initiativtextes aus. So gewährt die Trinkwasserinitiative eine Übergangsphase von acht Jahren, was in den Berechnungen ausgeklammert wurde. Dadurch sind die Auswirkungen auf den Betrieben viel drastischer als sie in der Realität wären, weil sich die Betriebe anpassen können und zahlreiche Innovationen und Verbesserungen der Agrartechnik zugunsten einer pestizidfreien Produktion zu erwarten sind. Zudem geht die Agroscope-Studie davon aus, dass keinerlei Pflanzenschutzmittel mehr eingesetzt werden dürfen. Auch dies widerspricht klar der Initiative. Pflanzenschutzmittel, die in der biologischen Landwirtschaft eingesetzt werden, sind von der Initiative nicht betroffen. Zu guter Letzt gehen 8 Szenarien, welche ganz am Schluss und gegen den Willen der Begleitgruppe vom Bauernverband hineingebracht worden sind, von einer Reduktion der Direktzahlungen bei Annahme der Initiative aus. Davon war bisher nirgends die Rede, auch dies also irreführende Szenarien, die mit der Initiative nichts zu tun haben.