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NEWSLETTER / NEWSLETTER 20.11. 2019

Serie Nachhaltigkeit: Hat Schweizer Zucker eine Zukunft?

Serie Nachhaltigkeit: Hat Schweizer Zucker eine Zukunft?

Die Zukunft des Schweizer Zuckers steht zur Debatte. Denn der Anbau von Zuckerrüben droht trotz einer sehr hohen staatlichen Stützung seine wirtschaftliche Attraktivität zu verlieren. Grund: die fallenden Zuckerpreise auf dem Weltmarkt. Wie es mit der inländischen Zuckerproduktion weitergehen soll, wird im Rahmen der Agrarpolitik 22+ entschieden. Bisher drehte sich die Diskussion vor allem um die Wirtschaftlichkeit. Dank einer aufwändigen Imagekampagne der Zuckerindustrie sind die gravierenden ökologischen Probleme bislang untergegangen.

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(VL) Dass in der Schweiz heute noch Zucker angebaut wird, ist politisch gewollt. Und kostet den Steuerzahler viel – rund 70 Millionen Franken pro Jahr. Pro Hektare sind das gegen 4000 Franken – mehr als die meisten anderen Kulturen.

Weil die Zuckerpreise auf dem internationalen Markt laufend sinken, kommt der Zuckeranbau in der Schweiz stärker unter Druck. Um dem entgegenzuwirken, wurden in den letzten Jahren die Anbaubeiträge noch weiter erhöht und ein Zollschutzregime eingeführt. Beide Massnahmen sind umstritten, weshalb sie der Bund bis 2021 befristet hat.

Im Rahmen der Agrarpolitik 2022+ muss also ein Entscheid gefällt werden, ob und wie wir in Zukunft noch Zucker produzieren wollen in unserem Land. Neue, von der Zuckerindustrie in Auftrag gegebene Studien zeigen, dass die Wirtschaftlichkeit wesentlich erhöht werden kann durch Optimierungen in der Produktionskette. Damit könnte Schweizer Zucker auch ohne weitere Erhöhung der staatlichen Stützung eine Zukunft haben. Doch bei dieser Betrachtungsweise fehlt ein wichtiger Aspekt.

Grosse Nachhaltigkeitsdefizite

Fast ganz ausgeklammert aus der Diskussion wurden bisher ökologische Aspekte. Dies dürfte vor allem damit zusammenhängen, dass die Zuckerindustrie mehrere Untersuchungen in Auftrag gegeben hat, die dem Schweizer Zuckeranbau ökologisch ein gutes Zeugnis ausstellten. So entstand der Eindruck, dass in diesem Bereich alles im Reinen ist. Die Resultate der Studien wurden von Umweltorganisationen allerdings grundlegend in Frage gestellt und die Aussagen als tendenziös kritisiert.

Tatsache ist, dass beim Zuckerrübenanbau im Vergleich mit anderen Ackerkulturen in der Schweiz besonders viele Pestizide eingesetzt werden. Darunter sind einige der giftigsten Wirkstoffe überhaupt, von denen wiederholt gefordert wurde, dass sie endlich verboten werden. Zum Beispiel das Insektizid Chlorpyriphos, das in extrem kleinen Mengen sowohl für den Menschen wie für Tiere hochtoxisch ist und reproduktions- und nervenschädigend wirkt (vgl. Kästchen 1).

Da der Boden in Zuckerrübenfeldern lange unbewachsen ist, gehören Zuckerrüben zu den erosionsgefährdeten Kulturen. Dadurch werden die eingesetzten Pestizide bei Regen besonders leicht in die Oberflächengewässer abgeschwemmt. Neue Messungen zeigen, dass beispielsweise Chlorpyriphos in den meisten untersuchten Gewässern in Konzentrationen vorkommt, die Kleinlebewesen akut schädigen.

Zum hohen Pestizideinsatz bei konventionell angebauten Zuckerrüben kommt das Problem von Bodenverdichtungen. Die Rübenernte erfolgt meist erst im Spätherbst. Der Boden ist dann, infolge der oft nassen Bedingungen, besonders anfällig auf mechanische Belastungen.  Trotzdem kommen in keiner anderen Kultur so schwere Erntemaschinen zum Einsatz wie in den Zuckerrüben. Oftmals hinterlassen sie ein Bild des Schreckens: Irreversible Bodenverdichtungen, welche noch für Jahre das Wachstum der Folgekulturen beeinträchtigen.

Alternativen zum umweltschädlichen Zuckerrübenanbau

Was, wenn wir in der Schweiz keinen Zucker mehr produzieren würden? Ein Import von Rübenzucker aus dem Ausland wäre zwar auch kaum ökologischer, aber um mehr als die Hälfte günstiger als inländischer Rohstoff.

Ökologisch besser sind nur zwei Lösungen: Ein Ersatz mit Fairtrade-Rohrzucker wäre doppelt attraktiv, da dieser mit viel weniger Dünger- und Pestizideinsatz produziert wird und zudem erst noch viel günstiger ist. Eine andere Lösung wäre die Beschränkung der Subventionen auf einen einigermassen ökologischen Zuckeranbau in der Schweiz. Ein solcher ist durchaus möglich (s. Kästchen 2). Dabei könnte die Zuckerrübenfläche etwas zurückgefahren und die Verarbeitung auf eine Fabrik (statt bisher zwei) konzentriert werden. Und der Versorgungssicherheit würde damit noch immer bestens Genüge getan.

Es ist widersinnig, dass wir in der Schweiz die Umwelt mit den giftigsten und problematischsten Pestiziden überhaupt vergiften, nur um hochsubventionierten Schweizer Zucker auf den Markt bringen zu können. Beim konventionellen Zuckerrübenanbau trifft der Leitspruch der Trinkwasserinitiative "Wir subventionieren unsere eigene Trinkwasserverschmutzung" besonders deutlich zu.

Fazit

Die Diskussion, ob es Sinn macht, den Zuckerrübenanbau dermassen hoch zu subventionieren, kam in den letzten Jahren immer wieder auf. Nicht zuletzt auch vor dem Hintergrund, dass der Bund gleichzeitig Präventionskampagnen zum reduzierten Zuckerkonsum durchführt.

Wenn der Staat schon 70 Millionen Franken pro Jahr in eine inländische Zuckerproduktion investiert, dann muss der Rübenanbau zumindest einigermassen umweltverträglich sein. Alles andere widerspricht auch klar der Verfassung Art. 104. Ein Anbau von Zuckerrüben unter IP-Suisse- bzw. Biobedingungen wird bereits heute praktiziert und vom Bund mit verschiedenen Beiträgen unterstützt. Diese Anbauweisen lösen die meisten Umweltprobleme. Auf eine flächendeckend umweltverträgliche Produktion müssen wir mit Engagement hinarbeiten – oder sonst einen Schlussstrich unter die Schweizer Zuckerproduktion ziehen.

 

Weiterführende Informationen:

>> Wie der Staat den Zuckerproduzenten das Leben versüsst

>> Betriebswirtschaftsstudie Schweizer Zucker

>> Umwelt- und sozialer Fussabdruck von Biozucker

>> FiBL-Merkblatt Zuckerrüben

>> Klimabilanz Zucker 2010

 


Kästchen 1: Enormer Pestizideinsatz im konventionellen Zuckerrübenanbau

Zuckerrüben gehören zu den produktivsten Ackerkulturen überhaupt, was die Kalorienproduktion pro Hektare anbelangt. Allerdings ist die Kultur anspruchsvoll. Junge Rübenpflanzen sind sehr konkurrenzschwach und daher anfällig auf Verunkrautung. Weil die Blätter der Rübe den Boden sehr lange nicht abdecken, und die jungen Pflanzen anfällig sind auf Herbizidwirkstoffe, werden die Beikräuter in sogenannten «Splits» drei bis sechs Mal mit Herbiziden bekämpft. Die Pestizide werden dabei direkt auf den nackten Boden gespritzt. Dadurch ist das Risiko einer Abschwemmung besonders gross. Neben dem Beikrautdruck stellen auch einige wenige Insektenarten, insbesondere die Erdschnakenlarve, eine Gefahr für die jungen Pflanzen dar. Nicht selten werden darum direkt nach der Saat Insektizide mit dem Wirkstoff Chlorpyriphos in Form von Granulatkörnern ausgebracht. Der Wirkstoff Chlorpyriphos ist nicht nur sehr giftig für Wasserorganismen mit langfristiger Wirkung, sondern auch für den Menschen, insbesondere für die Entwicklung des ungeborenen Kindes im Mutterleib. Während der Einsatz von chlorpyriphos-haltigen Insektiziden in Deutschland bereits seit zehn Jahren verboten ist, dürfen die Produkte in der Schweiz noch immer ausgebracht werden.

Neben den für Mensch und Tier gesundheitsgefährdenden Insektiziden werden im konventionellen Zuckerrübenanbau auch Unmengen an Fungiziden versprüht. So werden die Wurzelfäule, Blattkrankheiten wie Cercospora, Ramularia, echter Mehltau und Rost mit Pestiziden wie z.B. Amistar Xtra behandelt. Das Produkt enthält die Wirkstoffe Azoxystrobin und Cyproconazol, welche sehr schädigend auf Wasserorganismen wirken und ungeborenen Kindern lebenslängliche Schäden zuführen können. Im Bioanbau werden dagegen in Zuckerrüben keinerlei Pestizide eingesetzt. Allerdings sind dadurch die Erträge geringer.

  


Kästchen 2: Herausforderungen und Lösungen des nachhaltigen Zuckerrübenanbaus

Im Zuckerrübenanbau von den Pestiziden wegzukommen, ist eine Herausforderung. Der Weg zum Erfolg beginnt bereits vor der Saat. So spielen der geeignete Standort, die Bodenbeschaffenheit, eine geeignete Fruchtfolge sowie die Wahl der Sorte eine grosse Rolle für eine gesunde Entwicklung und hohe Widerstandskraft der Rüben. Heute sind bereits sehr robuste Sorten auf dem Markt, welche wenig anfällig sind auf Cercospora-Blattflecken und auch eine gute Toleranz auf Wurzelbärtigkeit aufweisen.

Damit im nachhaltigen Zuckerrübenanbau auf Pestizideinsätze verzichtet werden kann, müssen diverse weitere Massnahmen ergriffen werden. Bei einem Herbizidverzicht ist ein sauberes Saatbeet unabdingbar. Später können die Rüben «blindgestriegelt» und gehackt werden. Bis heute fehlt es jedoch an einer zuverlässigen Technik, mit der auch maschinell in den Reihen gehackt werden kann. So nimmt das Jäten von Hand noch immer viel Zeit in Anspruch (bis zu 200h pro ha). Mit einer entsprechend angepassten Fruchtfolge, z.B. keine Zuckerrüben nach Wiesenumbruch, können die Erdschnakenlarven in Schach gehalten werden. Dadurch kann auf den Einsatz von Insektiziden ganz verzichtet werden. Ein weiteres, von vielen Rübenpflanzern gefürchtetes Problem, ist der flächenübergreifende Befall durch Cercospora-Blattflecken. Dieses kann durch eine frühe Ernte verhindert werden. Dadurch wird zwar der Ertrag etwas gemindert, dafür wird dabei auch der Boden geschont, weil dieser im frühen Herbst meist besser befahrbar ist, als bei späten Ernteterminen.

Die landwirtschaftliche Produktion von nachhaltigen Zuckerrüben ist möglich und erprobt. Dazu ist jedoch ein Umdenken des Anbaus wie auch der Subventionspraxis nötig.