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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 1.10. 2013

Verordnungen zur Agrarpolitik 2014-17 verabschiedet – Zeit für einen Rück- und Ausblick auf die Rolle von Vision Landwirtschaft im Reformprozess

Vision Landwirtschaft (VL) hat die neue Agrarpolitik entscheidend beeinflusst. Viele der Neuerungen gehen direkt oder indirekt auf die Denkwerkstatt zurück. Ein neu aufgebautes, gut funktionierenden Netzwerk und die immer wieder taktgebende inhaltliche Grundlagenarbeit von VL verhalfen vielen Reformvorschlägen im Parlament auch gegen massiven Widerstand konservativer Kreise zum Durchbruch. Bei aller Freude über das Erreichte: Die AP 2014-17 ist erst ein Schritt in Richtung einer ressourcenschonenden Landwirtschaft und einer effizienten, zielorientierten Agrarpolitik.

(VL) Mit der Verabschiedung des umfangreichen agrarpolitischen Verordnungspaketes heute durch den Bundesrat ist der letzte Schritt des Reformprojektes AP 2014-17 Seitens des Bundes getan. Am 1.1.2014 treten die zahlreichen Neuerungen in Kraft. 

Äusserlich bleibt zumindest bei den Direktzahlungen kaum ein Stein auf dem anderen. Wichtige bisherige Beitragskategorien – beispielsweise die allgemeinen Tierbeiträge und die Allgemeinen Direktzahlungen – fallen weg. Andere erhalten neue Namen: so werden beispielsweise Ökoflächen zu Biodiversitätsförderflächen oder Biobeiträge zu Produktionssystembeiträgen. Und zahlreiche Instrumente und Kategorien wie die Kulturlandschaftsbeiträge oder die Landschaftsqualitätsbeiträge sind – teilweise allerdings nur scheinbar – neu. 

Neues Direktzahlungskonzept ist richtungsweisend

Konzeptionell überzeugt das neue Direktzahlungssystem: Alle Beitragskategorien sind so benannt, dass ihre Bezeichnung den betreffenden verfassungbasierten Zweck klar umschreibt (s. Abb. 1). Damit wird eine zentrale Forderung aus dem Weissbuch Landwirtschaft von VL erfüllt. Die darin besonders kritisierten Allgemeinen Direktzahlungen, welche im bisherigen System 80% aller Direktzahlungen umfassten, fallen in Zukunft weg bzw. wurden umgelagert.

So überzeugend das Grundkonzept ist, so viele Schlupflöcher und Inkonsequenzen beinhal-tet es in der konkreten Ausgestaltung. Die grösste Schwachstelle sind die "Versorgungssicherheitsbeiträge". Vision Landwirtschaft hat immer wieder darauf hingewiesen, dass sie zum allergrössten Teil nichts mit der Versorgungssicherheit zu tun haben, sondern diese sogar behindern (z. B. Faktenblatt Nr. 2). Dennoch werden sie mit jährlich einer Milliarde Franken alimentiert und überflügeln damit alle anderen Direktzahlungskategorien bei weitem. Da sie zum grössten Teil nicht an eine gemeinwirtschaftliche Leistung gebunden sind, sind sie nichts anderes als die bisherigen "All-gemeinen Direktzahlungen", nur neu verpackt mit einer besser verkäuflichen Etikette.

Zusammen mit weiteren Schlupflöchern resultiert unter dem Strich ein System, das zwar vom Namen her vollständig verfassungskonform und leistungsorientiert ist, de facto aber immer noch gut 50% nicht leistungsorientierte, meist mehr schädliche als nützlich Pauschalzahlungen beinhaltet. 

Bundesratskompromiss immerhin nicht weiter verwässert

Dennoch: Angesichts des massiven Widerstandes Seitens des Schweizerischen Bauernverbandes SBV und einiger Parteien, vor allem der SVP und teilweise der CVP, ist dieses Resultat realpolitisch gesehen respektabel. Es entspricht in fast allen Punkten dem ursprünglichen Kompromissvorschlag des Bundesrates, der viele Anregungen von Vision Landwirtschaft und anderen Mitgliedorganisationen der Agrarallianz aufgenommen hat. Einige von der Denkwerkstatt vorgeschlagene Neuerungen konnten sogar über den Bundesratsvorschlag hinaus erfolgreich in den politischen Prozess eingebracht werden. Dazu zählt insbesondere der für das Berggebiet wichtige Beitrag für Höfe mit einem hohen Steillandanteil (siehe Faktenblatt 3). Dieser neue Beitrag wird das weitere Einwachsen steiler, für die Biodiversität und die Landschaft aber oft besonders wichtiger Flächen eindämmen und das besonders niedrige Einkommen von Höfen in topographisch schwierigen Lagen um mehrere tausend Franken erhöhen.

Die zahlreichen Versuche der Reformgegner, den bundesrätlichen Kompromissvorschlag so weit als möglich abzuschwächen oder ganz zu verhindern, sind in den parlamentarischen Verhandlungen weitestgehend gescheitert. Dass schliesslich auch ein Referendum mangels genügender Unterschriften nicht zustande kam, zeigt, dass eine rückwärtsgewandte Agrarpolitik von breiten Kreisen unserer Gesellschaft nicht mehr mitgetragen wird. 

Agrarpolitik unter neuen Umständen

Seit Jahrzehnten ist es das erste Mal, dass sich der Bauernverband und seine Verbündeten mit ihren Forderungen im Parlament nicht durchsetzen konnten. Ohne die Hintergrundarbeit von Vision Landwirtschaft und die ausgezeichnete Zusammenarbeit mit zahlreichen Organisationen und Politikern, die sich konsequent für eine Reform einsetzten, wäre dieser Erfolg nicht möglich gewesen.

Warum es gelang, in enger Zusammenarbeit mit anderen Organisationen selbst mit verhältnismässig geringen personellen und finanziellen Ressourcen Reformen gegen ein starkes politisches Establishment durchzusetzen, ist für die weitere Arbeit der Denkwerkstatt wichtig. Ausschlaggebend waren vor allem vier Konstellationen: 

Erstens gehört die Agrarpolitik zu den komplexesten Politikbereichen überhaupt. Die Folge: In den Details kennen sich meist nur bäuerliche Politiker einigermassen aus. Kaum ein nichtbäuerlicher Parlamentarier oder Parlamentarierin wagte es in der Regel bisher, gegen Bauernpolitiker anzutreten. Wenn im entscheidenden Moment die fundierten Argumente fehlen, besteht das persönliche Risiko, mit abgesägten Hosen dazustehen oder gar von Bauernseite lächerlich gemacht zu werden. Vision Landwirtschaft konnte dieses Ungleichgewicht mit konstanter Hintergrundarbeit teilweise aufheben. Mittels Argumentarien, Faktenblättern, Gesprächen mit Politikern, kurzfristig auf Anfrage erstellten Analysen und Informationen hat die Denkwerkstatt ParlamentarierInnen und Lobbyisten, welche die Reform befürworteten, regelmässig und zeitnah aufdatiert. Für den SBV war es unerwartet, dass aus nichtbäuerlichen Kreisen Argumente kamen, die oft stichhaltiger und differenzierter waren als diejenigen aus den eigenen Reihen.

Zweitens gelang es Vision Landwirtschaft, eine zunehmende Zahl von Bauern – insbesondere jetzt schon nachhaltig und marktorientiert produzierende Landwirte sowie Bergbauern – davon zu überzeugen, dass die Politik des Bauernverbandes in ganz wichtigen Punkten gegen ihre eigenen Interessen gerichtet ist. Vor allem der Berglandwirtschaft haben die Vorschläge des Bauernverbandes regelmässig das Wasser abgegraben zugunsten der viel besser dastehenden Talbetriebe. Vision Landwirtschaft gründete einen "Runden Tisch Berggebiet", welcher die gemeinsamen Anliegen der Berglandwirtschaft erstmals wirksam bündeln konnte. Die Annahme vieler reformorientierter Gesetzesparagrafen gelang im Parlament letztlich darum, weil bäuerliche Vertreter aus dem Berggebiet sich vom SBV distanzierten. Aber auch Produzentenorganisationen, insbesondere Bio Suisse und IP-Suisse engagierten sich für eine auf Qualität, Wertschöpfung und Ökologie ausgerichtete Politik. Diese zunehmende Opposition innerhalb der Bauernschaft gegen den SBV war ein Novum und hat stark an der Glaubwürdigkeit des Verbandes gekratzt. 

Drittens: Vision Landwirtschaft konnte seit der Gründung ein breites Netzwerk mit reformorientierten Organisationen und Personen aufbauen. Die Facharbeit der Denkwerkstatt floss damit direkt in ganz verschiedene Kanäle ein. Die hohe Sachkompetenz und Glaubwürdigkeit des Vereins trug dazu bei, dass sich politisch einflussreiche Organisationen zunehmend auf die Analysen und Argumentarien von Vision Landwirtschaft abstützten. Zudem leisteten Geschäftsstellen- und Vorstandsmitglieder in verschiedenen Arbeitsgruppen und Gremien immer wieder Überzeugungsarbeit und konnten bei wichtigen Punkten neue Allianzen schmieden. Vision Landwirtschaft trug so zusammen mit den Umwelt-, Konsumenten- und fortschrittlichen Bauernorganisationen massgeblich dazu bei, dass eine breit abgestützte, re-formorientierte Allianz entstand, die koordiniert am gleichen Strick zog und immer wieder auch in heiklen Situationen gut funktionierte. Wiederholt spielte diese bei besonders umkämpften Abstimmungen – beispielsweise bei der Abschaffung der Tierbeiträge oder bei der Einführung der Landschaftsqualitätsbeiträge – das Zünglein an der Waage zugunsten der Reform.

Und viertens: Dies alles gelang nur, weil viele sachliche Gründe eindeutig für die Reform sprachen – nicht nur im Hinblick auf Umwelt und Nachhaltigkeit, sondern auch in ökonomischer Hinsicht, d.h. in Bezug auf die Wertschöpfung und das Einkommen der Landwirtschaft. Trotz der Komplexität der Materie gelang es immer wieder, die Vorteile einer Reform in den Medien und in der Politik plausibel aufzuzeigen. Dies gipfelte darin, dass auf einen politischen Vorstoss hin der Bundesrat einen Bericht veröffentlichte, der zeigte, dass eine noch konsequentere Reform als der von ihm vorgeschlagene Kompromiss nicht nur der Umwelt Vorteile brächte, sondern auch das Einkommen der Bauern noch stärker erhöht hätte, ohne dass die Ernährungssicherheit geschmälert worden wäre. Die hauptsächlich auf Mehrproduktion hin ausgerichtete Politik des SBV dagegen hätte zum tiefsten Einkommen geführt.

Neue Rahmenbedingungen gewinnbringend nutzen

Die ab 2014 geltenden gesetzlichen Vorgaben sind nur das eine. Entscheidend wird nun sein, wie die Bauern und Bäuerinnen in den kommenden Jahre die Herausforderungen umsetzen werden. Detailanalysen von Vision Landwirtschaft auf ausgewählten Betrieben zeigen, dass selbst unter schwierigen Ausgangslagen – hohe Tierzahlen, Futterzukauf, ausgereizte Nährstoffbilanz etc. – das Einkommen gehalten oder verbessert werden kann, sofern die Betriebsleiter klug auf die neuen Rahmenbedingungen reagieren. Bereits jetzt auf nachhaltige, ressourcenschonende Produktion hin orientierte Betriebe und Höfe im Berggebiet, welche schon bisher sehr viele gemeinwirtschaftliche Leistungen erbracht haben, werden dagegen auch ohne Anpassungen deutlich besser fahren als bei der bisherigen Agrarpolitik. Damit setzt das neue System die richtigen Anreize und verteilt die Direktzahlungen gerechter als bisher. Vision Landwirtschaft will dazu betragen, die Betriebe bei ihrem Anpassungsprozess zu unterstützen. Positive Beispiele sollen ein Umdenken einleiten, und unseren Bauern und Bäuerinnen Mut machen, auf eine nachhaltige, ressourcenschonende Landwirtschaft statt auf Massenproduktion zu setzen. Denn die Reform in diese Richtung wird und muss weitergehen.

Nach der Reform ist vor der Reform

Unser Ziel für die nächste Etappe, die Agrarpolitik 2018ff., ist ein substanzieller weiterer Abbau der Pauschalzahlungen zugunsten der Leistungszahlungen – und entsprechend weitere Verbesserungen bei der Wertschöpfung, der Nachhaltigkeit, der Qualität, beim bäuerlichen Einkommen und bei einer effizienten, ressourcenschonenden Produktion.

Harte Auseinandersetzungen sind allerdings auch in Zukunft vorprogrammiert. Denn die Reformgegner haben wiederholt klar gemacht, dass sie alles daran setzen werden, das Rad ab 2018 so weit als möglich wieder zurückzudrehen. Damit dies nicht eintrifft, sondern die noch nicht realisierten Verbesserungen in den kommenden Jahren gezielt an die Hand genommen werden, wird es Vision Landwirtschaft auch in Zukunft dringend brauchen. 

Zukunft von Vision Landwirtschaft von Spenden und Mitgliedern abhängig

Vision Landwirtschaft muss seine finanzielle Basis in den nächsten Jahren diversifizieren. Deshalb sind wir mehr denn je auf Unterstützung von interessierten Einzelpersonen, Verbänden und Organisationen angewiesen, welche ein aktives Interesse an einer nachhaltigen und effizienten Schweizer Landwirtschaft haben. Wir freuen uns sehr, wenn Sie mit uns Kontakt aufnehmen, dem Verein als Mitglied beitreten oder ihn mit einem kleinen oder grösseren Beitrag unterstützen. 


Abb. 1: Das neue Konzept der Direktzahlungen in der Agrarpolitik 2014-17. Quelle: BLW


Das hat der Bundesrat bei den Verordnungen entschieden

Von den Verwässerungen in den Verordnungstexten, welche noch in der Anhörungsunterlage des Bundesamtes für Landwirtschaft vom letzten Frühling aufschreckten und die Vision Landwirtschaft zu verschiedenen Interventionen veranlassten – wir berichteten im Juni-Newsletter ausführlich darüber – sind immerhin einige wieder rückgängig gemacht worden, andere wurden dagegen belassen. 

Die kritisierte Senkung einiger Beiträge für Ökoflächen- bzw. neu Biodiversitätsförderflächen gegenüber dem heutigen Stand wurde aufgehoben. Bis auf einige weiterhin prob-lematische Details bestehen im Bereich Biodiversität damit gute Grundlagen. 

Ein wichtiger Punkt ist der Mindesttierbesatz, bei dem das Bundesamt für Landwirtschaft die zahlreichen Eingaben berücksichtigt und den Schwellenwert gesenkt hat. Ohne diese Anpassung hätten zahlreiche Betriebe ihre Tierzahl aufstocken müssen, um wichtige Direktzahlungsbestandteile geltend machen zu können. Von den kritisierten Verwässerungen, die nicht rückgängig gemacht wurden, sind die folgenden zwei besonders problematisch und führen auf nachhaltig ausgerichteten Betrieben zu Einkommenseinbussen von mehreren tausend Franken gegenüber der im Parlament diskutierten Vorlage: 

  • Die stark abgeschwächte, nun völlig zahnlose Regelung des Beitrages für Gras-landbasierte Milch- und Fleischproduktion degradiert dieses Instrument zu einem weiteren Pauschalbeitrag. Griffige Anforderungen und attraktive Beiträge hätten gerade für die Qualitätsstrategie im Grünland eine zentrale Funktion gehabt und einen Anreiz gegeben, Fehlentwicklungen in der Milchproduktion zu bremsen (siehe unser März-Newsletter (Verlinken). Allein das Kraftfutter, das den Schweizer Milchkühen verfüttert wird, braucht im In- und Ausland Ackerland, das 2 Millionen Men-schen zusätzlich ernähren könnte. 
  • Eine bedauerliche Verwässerung gegenüber dem vom Parlament diskutierten Entwurf stellen auch die stark gekürzten Beiträge für Landschaftsqualität dar. De facto können bis 2017 in den meisten Kantonen weniger als ein Drittel der ur-sprünglich vorgesehenen Beiträge ausgerichtet werden, nämlich 120 statt 400 Franken pro Hektare. Damit können entweder nicht alle Betriebe mitmachen, oder viele Leistungen können nicht angemessen entschädigt werden, insbesondere im Berggebiet.