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NEWSLETTER / NEWSLETTER 13.2. 2020

Agrarpolitik 22+: Administrativer Aktivismus statt konsequente Problemlösungen

Agrarpolitik 22+: Administrativer Aktivismus statt konsequente Problemlösungen

Der Bundesrat hat heute seine neuste Botschaft zur Reform der Agrarpolitik präsentiert. Die bisherigen mutlosen Vorschläge wurden deutlich nachgebessert. Doch erneut fehlt die Aussicht auf eine Agrarpolitik, die wenigstens die Einhaltung des Umweltrechtes sicherstellt. Bei den Stickstoffemissionen krebst der Bundesrat sogar hinter frühere Zielsetzungen zurück und will mit neuen Programmen die Tierhaltung gar wieder vermehrt fördern. Neben Vision Landwirtschaft wollen jetzt immer mehr Organisationen den Bund bis 2035 wenigstens zur Einhaltung der Umweltziele verpflichten.  Dazu braucht es noch grundlegende Nachbesserungen – darunter nicht zuletzt das Weglassen von Zahlungen und Programmen, die mehr schaden als nützen. Weniger ist oft mehr.

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(VL) Seit mehr als zwei Jahren wird im Bundesamt für Landwirtschaft intensiv daran gearbeitet und ein guter Teil der personellen Ressourcen in dieses Projekt gesteckt: Die „Agrarpolitik 2022+“. Denn die Erwartungen waren hoch. Schon vor vielen Jahren wurde die AP22+ als substanzieller Reformschritt angekündigt. Die Pestizid-, die Trinkwasser- und die Massentierhaltungs-Initiative, die Klimaziele, aber auch die fast wöchentlich auftauchenden Hiobsbotschaften über pestizidbelastetes Trinkwasser, Insektensterben, Biodiversitätsverlust und Klimawandel erzeugten starken zusätzlichen Druck.

Fehlende Transparenz

Tatsächlich erweckt die umfangreiche Botschaft den Anschein einer Reform. Einige Herausforderungen und Defizite werden minutiös aufgelistet (wie schon in vielen Botschaften und Agrarberichten zuvor), Ziele gesetzt sowie unzählige neue Massnahmen und Änderungen vorgeschlagen. Einige dürften tatsächlich wesentliche Verbesserungen bringen, andere wirken den gesetzten Zielen dagegen diametral entgegen, beispielsweise die vorgeschlagenen neuen Tierwohlprogrammen, welche die Tierhaltung gar wieder vermehrt fördern.

Umweltrecht systematisch verletzt

In den letzten 20 Jahren herrschte weitgehend Stillstand in der Agrarpolitik. Einzig eine gerechtere Verteilung der Mittel zwischen Tal- und Berggebiet und damit ein stark verlangsamtes Einwachsen von Landwirtschaftsflächen in Steillagen ist in dieser Zeit gelungen – ein Erfolg, zu dem Vision Landwirtschaft massgeblich beigetragen hat. Zudem wurde die Tierwohlprogramme weiter ausgebaut, wo die Schweiz heute eine Spitzenstellung einnimmt.

Was aber die anerkannten, auch im internationalen Vergleich gravierenden Umweltdefizite anbelangt, besonders beim Stickstoff, bei den Pestiziden oder bei der Biodiversität, konnten in den letzten 20 Jahren trotz Milliardenzahlungen keine Fortschritte verzeichnet werden. Teilweise verschlechterte sich die Situation gar weiter. Dieser Stillstand soll nun offenbar erstmals angegangen werden. Doch die konkreten Massnahmen bleiben noch weit hinter den rechtlich verbindlichen Umweltzielen zurück.

Die Lösung liegt nicht in einem Wust von neuen, sich teilweise widersprechenden Programmen. Die Landwirtschaft wird auch nach Umsetzung der administrativ aufwändigen Programme weiterhin chronisch Umweltrecht verletzen und dabei jährlich milliardenteure Schäden verursachen. Allein die Sanierung der Trinkwasserfassungen aufgrund von überhöhten Pestizidfrachten dürfte die Steuerzahler in den nächsten zwei Jahren Hunderte von Millionen Franken kosten.

Unmut erfasst weitere Kreise

Die fehlende konsequente Ausrichtung der Agrarpolitik auf eine nachhaltige Landwirtschaft wird letztlich vor allem auf dem Buckel der Landwirtschaft ausgetragen. Der bürokratische Aktivismus hält nicht nur die Landwirtschaftsbetriebe, sondern auch Bund und Kantone mit einem sinnlosen Administrationsaufwand auf Trab. Noch belastender aber empfinden viele Bäuerinnen und Bauern, dass sie immer häufiger zur Zielscheibe der Empörung in der Bevölkerung werden. Die Misserfolge und Umweltschäden werden ihnen in die Schuhe geschoben. Dabei reagieren sie grösstenteils einfach auf die grotesken Fehlanreize des Bundes.

Grundlegende Forderungen breit abgestützt

Der Unmut darüber, dass die teure Agrarpolitik der Schweiz nicht einmal in der Lage ist, wenigstens rechtskonforme Zustände herbeizuführen, während andere Länder in der gleichen Zeit mit viel bescheideneren Mitteln grosse Fortschritte machten, hat in zahlreichen Organisationen stark zugenommen.

Mit weitergehenden Forderungen für einen Wandel der Agrarpolitik ist heute Vision Landwirtschaft zum Glück nicht mehr allein. Erstmals bekennen sich die breit aufgestellten Mitgliederorganisationen der Agrarallianz, einschliesslich sechs bäuerliche Organisationen, in einem neuen Positionspapier einhellig zu den Umweltzielen Landwirtschaft: Sie fordern von der Agrarpolitik konkret die Einhaltung des Umweltrechtes bis ins Jahr 2035 und einen darauf ausgerichteten verbindlichen Absenkpfad mit Zwischenzielen bei den Pestiziden und beim Stickstoff.

Automatismus bei Zielverfehlung

Ebenso neu ist die Forderung, dass bei Nichterreichung der Zwischenziele zwingend Lenkungsabgaben oder ähnlich wirksame Instrumente wie Verbote oder Pauschalzahlungskürzungen einzuführen sind. Mit diesem Automatismus soll verhindert werden, dass nicht erreichte Ziele einfach wie bisher vom Bundesrat endlos in die Zukunft verschoben oder auch mal ganz gestrichen werden können. Dass dies in den letzten 20 Jahren tatsächlich der Fall war und die Bevölkerung immer wieder regelrecht verschaukelt wurde, zeigt Vision Landwirtschaft in einer neuen Analyse am Beispiel Stickstoff.

Wind hat gedreht

Beim Bundesrat bzw. beim Bundesamt für Landwirtschaft scheint der stark gewachsene Unmut der Bevölkerung über die Fehlleistungen der Agrarpolitik noch zu wenig angekommen zu sein. Auf die Trinkwasser-, Pestizid- und Massentierhaltungsinitiativen hat der Bundesrat mit seiner Botschaft jedenfalls noch keine Antwort gefunden. Vision Landwirtschaft wird auch in der kommenden parlamentarischen Diskussion alles unternehmen, damit die AP22+ wie einst in Aussicht gestellt konsequent für Lösungen statt für sinnlosen administrativen Aufwand genutzt wird.

Und Lösungen liegen nämlich längst weitgehend auf dem Tisch. Das zeigen auch Tausende von Bäuerinnen und Bauern, die bereits heute nachhaltig wirtschaften. In der Klimapolitik hat der Wind bereits gedreht. Der agrarpolitische Gegenwind durch Fehlanreize, der nachhaltig wirtschaftenden Landwirtschaftsbetrieben das Leben heute noch schwer macht, muss sich nun ebenfalls 180 Grad wenden und diejenigen konsequent unterstützen, welche ihre Landwirtschaft zukunftstauglich gestalten.


Weiterführende Informationen:

>> Positionspapier Agrarallianz Absenkpfad
>> Analyse Vision Landwirtschaft zu Stickstoff und Klima

>> Publikation Lenkungsabgabe Agrarforschung
>> Wie Sie Vision Landwirtschaft und ihren Einsatz an vorderster Front für eine enkeltaugliche Agrarpolitik unterstützen können