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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 23.10. 2018

Die vier Säulen des Winzerglücks

Die vier Säulen des Winzerglücks

Der Erfolg des Weinguts Lenz in Uesslingen (TG) gründet auf vier Säulen: die erste ist die Bewirtschaftung der Reben nach biologischen Richtlinien. Die zweite ist die weit über die Richtlinien hinausgehende Förderung der Artenvielfalt. Drittens setzt Lenz auf eine grosse Diversität an Rebsorten. Die Krönung in seinen Rebbergen stellen schliesslich die neuen pilzresistenten Rebsorten dar. Mit diesen vier Säulen kann er heute fast ganz auf Pestizide verzichten. Auch im Keller probiert Lenz, immer weniger Hilfsmittel einzusetzen.

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(VL) Roland Lenz’s Rebberge unterscheiden sich augenfällig vom üblichen Bild eines Schweizer Rebberges. Seine Parzellen sind durchsetzt mit Naturwiesen, Gebüschen und hohen Bäumen. Zwischen den Reihen spriesst es grün und spontan. Um Raum für eine grosse Vielfalt von Lebewesen zu schaffen, hat er 13 Prozent seiner Reben gerodet und zirka 600 Bäume gepflanzt. Dank der hohen Biodiversität hat Lenz praktisch keine Schädlinge. Auch gegen die Kirschessigfliege musste er bisher nie Pestizide spritzen. Seine Reben bieten schlicht keine Angriffsfläche, weil sie durch viele verschiedene Nützlinge geschützt sind, ist er überzeugt.

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Bild: Roland Lenz in seinem Rebberg. Foto: VL

Verwirrtechnik
Im Biorebbau spritzt man zwar erst, wenn eine höhere Schadschwelle erreicht ist als im konventionellen Rebbau. Aber Roland Lenz goutiert auch Bio-Pestizide wie «Audienz» nicht, ein Insektizid mit dem Wirkstoff Spinosad, der im Biolandbau etwa gegen die Kirschessigfliege eingesetzt werden darf. «Ich will keine sogenannten «Bio-Insektizide» brauchen! Ob natürlichen oder chemisch-synthetischen Ursprungs, Pestizide sind Gifte für Lebewesen», erklärt er. Es gibt andere erfolgreiche Strategien zur Bekämpfung von Schädlingen: «Gegen die Kirschessigfliege arbeiten wir mit Fallen, und den Traubenwickler verwirren wir. Das heisst wir verwenden Ampullen, die weibliche Hormone verströmen, so dass die Männchen die Weibchen nicht finden und keine Begattung erfolgen kann».

Vital durch Vielfalt
Roland Lenz ist ein Freund der Vielfalt. Auf seinen 17 Hektaren hat er 34 unterschiedliche Rebsorten. Die Sortenvielfalt mindert zusätzlich den Krankheitsdruck. «Die vitalsten Reben sind innerhalb der gemischten Parzellen zu finden. Haben Sie gewusst, dass Reben eine Art Freundschaft eingehen?», philosophiert er. Sortenvielfalt schaffe nebst vermindertem Krankheitsdruck auch Vorteile bei Trockenheit, die für viele Winzer gerade in diesem Jahr ein grosses Problem war. Gegen Hagel sind seine Reben durch mehrjährige Seitennetze geschützt. Das ergibt zugleich eine erwünschte Beschattung – so kriegen die Trauben keinen Sonnenbrand. Ein weiterer Nutzen: Das Befestigen der Triebe entfällt, was einer massiven Arbeitszeitersparnis gleichkommt. Auch Sturmschäden und Verluste durch Vogelfrass werden verringert. Im Gegensatz zu Einwegnetzen sind die zirka einen halben Meter über dem Boden befestigten Mehrwegnetze für Vögel und Igel unproblematisch.

Die neuen pilzresistenten Rebsorten
Auf 11 Hektaren oder 60 Prozent seiner Rebparzellen stehen heute sogenannte «neue Rebsorten». Sie sind widerstandsfähig gegen Pilze (siehe weiter unten Kasten «Resistente Sorten»). Auf diesen Flächen kann Roland Lenz grundsätzlich auf Pestizide verzichten, auch auf das problematische Kupfer, das Biowinzer sonst gegen Pilze einsetzen. Herkömmliche und in der Regel sehr pilzanfällige Sorten wie Pinot Noir stehen bei Roland Lenz nur noch auf 6.5 Hektaren. Eine wirklich gute, widerstandsfähige neue Sorte, die Pinot Noir ersetzen könnte, hat er noch nicht. Heute produziert Lenz 60 Prozent Weiss- und nur 40 Prozent Rotwein. Warum? «Die Zucht von roten Sorten für den pestizidfreien Anbau ist deutlich schwieriger als jene von weissen Sorten. Zudem ist das Klima in der Deutschschweiz perfekt für den Weisswein», antwortet er.

Naturprodukt im Quadrat
Statt Pestizide einzusetzen, stärkt Roland Lenz seine Reben mit Algenauszügen. Sie machen die Reben widerstandsfähiger gegen Pilze und begünstigen die Wundheilung, wenn zum Beispiel Blätter abgerissen werden. Falls nötig setzt Lenz gegen den «echten Mehltau» Backpulver ein, und seit kurzem Lärchenextrakte. Er vertraut beim Zeitpunkt der Behandlung auf sein Gefühl. Ausserdem setzt er auf die sogenannten «effektiven Mikroorganismen», mit denen er seine Böden geimpft hat. Sie bilden mit den Wurzeln der Reben ein symbiotisches System. Alle 34 Rebsorten werden separat begutachtet, damit der optimale Zeitpunkt für die Ernte gefunden wird. Aus den Trauben zweier Parzellen, bepflanzt mit den Sorten Souvignier gris und Léon Millot, stellt Lenz den sogenannten »Cerowein» her: Null Hilfsstoffe im Rebbau und Null Hilfsstoffe im Keller kennzeichnen ihn. Bemerkenswert, wenn man bedenkt, wie viele Hilfsstoffe auch in der Bio-Kelterung noch zulässig sind. Wein ist zu einem Designprodukt geworden, das beliebig gestaltet wird, mit Hilfe von vielen, vielen Hilfsstoffen. Die meisten müssen nicht einmal deklariert werden.

Hoher Anspruch ist realistisch
Manchmal geht auch etwas schief: «2015 - ein feuchtes und warmes Jahr - konnte ich nach drei Tagen Regenwetter nicht in die Reben, auch die stärkenden Pflanzenauszüge auszubringen war nicht möglich. So habe ich auf zwei Hektaren die Ernte von Cabernet Jura verloren, weil es einen Durchbruch bei der Pilz-Resistenz gab», erzählt Roland Lenz. Sein wirtschaftlicher Erfolg erlaubt ihm Rückstellungen für solche Fälle. Mit dem Forschungsinstitut für biologischen Landbau FiBL und dem Weinhändler Delinat führt Lenz einen Versuch betreffend pestizdfreier Produktion von Pinot Noir durch. Sein Ziel ist es, alle seine Reben komplett pestizidfrei, also auch ohne Kupferspritzungen, zu bewirtschaften. Es sei ein sehr hoher Anspruch, meint er, aber durchaus realistisch, da gerade alle neuen Sorten ganz ohne Pestizide angebaut werden können. Pro Jahr erneuert er drei bis vier Prozent der Rebfläche – und bepflanzt sie mit neuen, pilzwiderstandsfähigen Sorten, versteht sich. Glück hat Roland Lenz dabei mit seinem lebendigen Boden: sein Land war vorher kein Rebgebiet und nicht mit Pestiziden vorbelastet. So musste er das Ökosystem Boden nicht wie andere WinzerInnen jahrzehntelang wiederaufbauen.

Neue Sorten bieten Kostenvorteile
Roland Lenz verzichtet auf die meisten Hilfsstoffe nicht nur im Rebberg, sondern auch bei der Kelterung. Dabei spart er viel Geld. Ausserdem fallen dadurch etwa 50 Prozent der Arbeitskosten weg. Der Betrieb mit Karin und Roland Lenz, zwei Winzerlehrlingen, drei Winzern, einer Bürofachkraft und einer Haushaltshilfe steht wirtschaftlich gut da. Pro Hektare Reben rechnet Roland Lenz mit einer Ernteleistung von etwa 90 Stunden oder zirka 1’500 Franken Arbeitskosten. Das ist der gleiche Preis wie für eine Vollerntemaschine. Dabei seien sie schlagkräftiger und flexibler als mit dem Einsatz einer solchen Maschine. Bei der Weinlese helfen jeweils 20 KundInnen mit. Roland Lenz selbst teilt seinen Einsatz auf mehrere Disziplinen auf: Rebzucht und Beratung, Traubenproduktion, Kelterung und Verkauf. Sein Ziel ist es, junge KundInnen zu erreichen, und dafür will er nicht nur im Premiumbereich anbieten. Das schafft er nur, weil er die Kosten im Griff hat, sagt er: «Mit einer Flasche, die ich für 17.50 Franken verkaufe, habe ich immer noch eine gute Wertschöpfung». Roland Lenz produziert mehr als 70 verschiedene Weine pro Jahr. 

Preisgekrönt
Die International Wine Challenge, AWC Vienna ist der weltweit grösste Weinwettbewerb mit über 12’000 eingereichten Weinen - konventionell sowie biologisch produzierten. In diesem internationalen Umfeld schneiden Lenz’s Weine sehr erfolgreich ab und sind auch der konventionellen Konkurrenz mehr als gewachsen: 2015 und 2016 wurden alle eingereichten Weine ausgezeichnet, je mit zweimal Gold und viermal Silber! In beiden Jahren wurde sein Wein «Panorama» mit 91 Punkten am höchsten bewertet. Ausserdem wurde Roland Lenz schon zweimal als Schweizer Biowinzer des Jahres gekürt, im 2015 und im 2018. Hier geht es zur Homepage des Weinguts Lenz.

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Bild: Roland Lenz in seinem Weinkeller. Foto: VL

Kelterung
Wie viele und welche Stoffe bei der Produktion der Trauben eingesetzt werden, ist immer wieder Thema in den Medien. Manchmal ist es auch für Laien ersichtlich, ob etwa zwischen den Reihen Herbizide gespritzt wurden oder nicht. Was hingegen danach bei der Vinifizierung passiert, ist in der Öffentlichkeit weitgehend unbekannt. Vision Landwirtschaft hat recherchiert, welche Stoffe in welchem System oder Label eingesetzt werden dürfen, und die Vorschriften miteinander verglichen. Hier geht es zur Tabelle «Erlaubte Hilfsstoffe bei der Kelterung». Als Inspiration führen wir darin auch auf, welche Hilfsstoffe Roland Lenz braucht, um den «Cerowein» zu keltern: keine.

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Resistente Sorten
Die beiden wichtigsten Rebenkrankheiten, die bei den traditionellen Sorten regelmässigen Pflanzenschutz nötig machen, sind der falsche und der echte Mehltau. Diese Pilzkrankheiten waren ursprünglich in Europa nicht heimisch. Sie wurden im 19. Jahrhundert von Nordamerika nach Europa eingeschleppt und haben sich in jener Epoche explosionsartig ausgebreitet. Der Weinbau in Europa drohte zugrunde zu gehen, auch wegen der Reblaus, die zur selben Zeit in Europa wütete. Seit dieser Zeit müssen alle traditionellen Rebsorten jedes Jahr bis zu 20 Mal – je nach Witterung und eingesetzten Mitteln – mit Fungiziden behandelt werden, denn ein Pilzbefall kann die Traubenernte total vernichten. Die pilzwiderstandsfähigen Reben (auch «PIWI-Sorten» genannt) sind ursprünglich aus Kreuzungen zwischen europäischen Reben und pilzresistenten amerikanischen Arten entstanden. Heute kennt man neue multiresistente Sorten, deren Resistenz gegen Mehltau stabil ist, weil sie auf mehreren Genen basiert. (Quelle: https://www.piwi-international.de/de/informationen.html)