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NEWSLETTER / 1.7. 2019

Der Weg zur pestizidfreien Weinproduktion

Der Weg zur pestizidfreien Weinproduktion

Neben dem Obst- und Gemüsebau werden im Weinbau die meisten Pestizide eingesetzt. Als entsprechend anspruchsvoll gilt es, auf diese Giftstoffe zu verzichten. Immer mehr Pioniere zeigen, wie dies möglich ist. Einer, der diesen Weg besonders erfolgreich gegangen ist, ist der Winzer Bruno Martin aus Ligerz. Dank seiner sorgfältigen Pflege der Bodenbiodiversität kann er sogar auf Dünger verzichten. Damit weist er den Weg zu einer giftfreien, ressourcenschonenden Landwirtschaft der Zukunft, die mit der Natur statt gegen sie arbeitet und die dadurch auch weniger Kosten verursacht – bei der Produktion wie in der Umwelt.

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Bruno Martin - «Visionen sind die Saat für eine Ernte der Zukunft»

Die Grundlagen des pestizidfreien Weinbaus

Wer mit dem Schiff auf dem Bielersee unterwegs ist, kann sie nicht übersehen: Die Rebberge welche die Hänge des linken Bielerseeufers zieren. Traditionell ist das Rebbaugebiet am Jurasüdfuss geprägt von der Weisswein-Produktion. Auf dem standorttypischen Kalkboden fühlen sich Sorten wie Chasselas, Chardonnay oder Sorten der Pinot-Familie sehr wohl. Die Reben profitieren vom Wärmespeichereffekt des Sees und von den mikroklimatischen Vorzügen der Terrassierung.

So idyllisch die sonnenverwöhnte Weinbauregion auch beschrieben werden kann, sie hat auch ihre Schattenseiten: Ein Grossteil der Reben
 wird nach ÖLN-Richtlinien und somit mit hohem Pestizideinsatz bewirtschaftet. Nur wenige Winzer verschreiben sich aus Überzeugung der Bioweinproduktion. – Bruno Martin aus Ligerz ist einer von ihnen. Mit Herzblut setzt er sich für einen naturverträglichen Weinbau ein und geht dabei deutlich weiter als der Biolandbau selbst: Er verzichtet auf immer mehr Parzellen ganz auf Pestizide und setzt nur noch Pflanzenstärkungsmittel ein. Sein Credo ist ein gesunder Boden, aus dem gesunde Pflanzen hervorgehen, die sich gegen Schädlinge selber schützen können.

Mit grösstem Respekt gegenüber der Natur

Wer mit dem Winzer ins Gespräch kommt, merkt schnell, welche Visionen sein Denken prägen. Sein Pioniergeist, sein Mut und seine oft zäh errungenen Erfolge sind ansteckend.

Bruno Martin führt den Rebbaubetrieb seit 1982. Seine acht Hektaren Reben zieren die Hänge von Ligerz, einem kleinen Winzerdorf am linken Bielerseeufer. Weiter kommen rund 58 Aren Ökoflächen dazu, welche mit vielfältigen ökologisch wertvollen Elementen versehen sind. Seit bald 20 Jahren wird der Betrieb nach den Richtlinien von Bio-Suisse und Demeter bewirtschaftet.


Bruno Martin neben einer selbsterstellten Trockensteinmauer
Bruno Martin in seinen Reben neben einer selbsterstellten Trockensteinmauer

Von seiner Grossmutter lernte Bruno Martin schon früh, die Wichtigkeit einer intakten Natur kennen. Sie war es, die ihm die Werte mit auf den Weg gab, die ihn bis heute prägen: der respektvolle Umgang nicht nur mit Mitmenschen, sondern auch der faire und nachhaltige Umgang mit den Produktionsgrundlagen.

Als er die Reben seiner Grossmutter übernehmen durfte, verzichtete er, damals noch als IP-Bauer, als einziger Landwirt weit und breit auf den Einsatz von Akariziden, auf Gifte, die eingesetzt werden gegen die Spinnmilbe. Schon im ersten Jahr bezahlte er ein grosses Lehrgeld, indem durch den Spinnmilbenbefall das Laub seiner Reben grossen Schaden erlitt, was zu hohen Ertragsausfällen führte. Dies bewegte ihn zum Umdenken. Statt in Pestizide begann er, in eine intakte Biodiversität zu investieren, er setzte sich intensiv mit der Produktionsgrundlage Boden auseinander, pflanzte Bäume und Hecken, erstellte Trockenmauern, verzichtete auf Bodenbearbeitung und begrünte seine Rebberge.

Mehr als Bio

Kurz nachdem er auf Biolandbau umgestellt hatte, kam im Jahr 1991 die Rotweinsorte «Regent» auf den Markt, eine der ersten sogenannten «PIWI»-Sorten. Bruno Martin zögerte nicht und setzte seine ersten PIWI-Reben. – Der Anteil davon ist stetig gewachsen. Heute sind es rund 60%. Damit konnte er den Einsatz von auch im Biolandbau erlaubten Pestiziden (Kupfer und Schwefel) massiv reduzieren.

Die ersten Weine von Bruno Martin, die voll und ganz ohne den Einsatz von Pestiziden produziert wurden, werden ab dem kommenden Herbst in den Regalen von Coop zu finden sein.  Auf die Frage, warum er mit seiner Idee einer pestizidfreien Produktion weitergeht als die Bio-, bzw. Demeterproduzenten, meint er ganz einfach: «Visionen sind die Saat für die Ernte der Zukunft». Er ist überzeugt, dass Stillstand in eine Sackgasse führt und ist sich daher sicher, dass eine Weiterentwicklung des heutigen «Bio» unabdingbar ist.

Wege zur pestizidfreien Weinproduktion

Der Weg zur Produktion eines pestizidfreien Weins war hürdenreich. Bruno Martin ist ein Macher und weiss, wie er seine Ziele erreichen kann. Eine pestizidfreie Produktion ist nur möglich durch ein Zusammenspiel von diversen Vorbedingungen und Massnahmen:

  • Standort / Wetterlage / Sorten

Der Standort mit Boden und Klima entscheidet im Rebbau oftmals über Erfolg oder Misserfolg im Zusammenhang mit dem Bekämpfen von Pilzkrankheiten. Auch PIWI-Sorten gedeihen an Top-Reblagen am prächtigsten und können ihre Widerstandsfähigkeit gegenüber Pilzkrankheiten dort am besten ausschöpfen.

  • Vitalität von Boden und Pflanzen
Bruno Martin erwähnt immer wieder das Wort «Gleichgewicht», wenn er über seine Reben spricht. Werden Boden und Pflanzen überfordert, z.B. mit zu hohen Düngergaben oder einem zu häufigen Pestizid- oder Maschineneinsatz, geraten diese wichtigen Produktionsgrundlagen aus dem Gleichgewicht, was zu Stress, verminderter Widerstandskraft und damit zu Ertragsverlusten führt.

  • Mähmanagement
Grün soll es sein unter den Reben, die Pflanzenvielfalt soll sich entwickeln, blühen und versamen: Auf dem Betrieb von Bruno Martin werden die Rebstöcke erst dann das erste Mal ausgemäht, wenn sich der erste falsche Mehltau, eine im Rebbau gefürchtete Pilzinfektion, ankündigt. Das hohe Gras um die Stöcke muss sodann in Schach gehalten werden, damit die Pflanzen gut abtrocknen können. Nach diesem ersten Schnitt werden die Rebreihen alternierend gemäht. So haben Kleinlebewesen immer die Chance, in ältere Wiesenstreifen umzusiedeln.

  • Hagelschutznetze

Durch Hagelschutznetze werden die Triebe der Reben nach oben gerichtet. Dies fördert ein besseres Abtrocknen der Stöcke und senkt so wiederum die Gefahr für Angriffsherde von Pilzinfektionen. Ein weiterer Vorteil der Hagelschutznetze ist zudem die Ableitung des Regenwassers. Das Wasser rinnt entlang der Netze zum äussersten Rebstock, wo es versickert. – Wiederum ein positiver Effekt für ein schnelles Abtrocknen der Reben.

  • Auslauben

Nach der Blüte der Reben, wenn die Beeren ca. erbsengross sind, werden die Stöcke grosszügig «ausgelaubt». Jegliche Blätter rund um die Trauben müssen entfernt werden, damit sich Feuchte nicht ansammeln kann.

Sind all diese Massnahmen getroffen, so muss auch Bruno Martin manchmal zu Kupfer oder Schwefel greifen (Demeter erlaubt: max. 3kg Kupfer/ha/Jahr) – aber nur bei seinen alten krankheitsanfälligen Sorten. Der falsche Mehltau kann dabei mit Kupferbehandlungen und den Teilwirkungen, die der Einsatz von Schwefel hat, gut in Schach gehalten werden. Gegen den echten Mehltau (weitere in Reben häufige Pilzinfektion) hingegen wirkt Kupfer nicht, ein Einsatz von Schwefel ist da nötig.

Seit Bruno Martin auf eine ganzjährige Begrünung in seinen Reben setzt und seine Pflanzen nicht mehr düngt, ist es in seinen Reben nie wieder zu einem Botrytisbefall (Grauschimmelpilz, der die Traubenbeeren verfaulen lässt) gekommen.

Das Ökosystem im Gleichgewicht oder «regenerative Landwirtschaft»

Im Gespräch mit Bruno Martin fällt immer wieder das Wort «Biodiversität». Seine Rebberge in Ligerz sind einmalig in dieser Region. Hecken, Hochstammobstbäume, blumenreiche Ökowiesen, Vogelhäuser, Trockensteinmauern und sogar ein Wiesel-Hotel zieren seine Rebhänge. Mindestens alle 50 Meter befindet sich ein Strukturelement für die, wie Bruno Martin es nennt, Biodiversität «über dem Boden». Diese Elemente werden mit viel Liebe zum Detail gepflegt, damit unter anderem Kleinlebewesen wie Eidechsen, Hummeln, Wild- und Erdbienen oder auch Schlangen ein Zuhause finden. Beim Ausmähen der Reben, wird zudem Acht gegeben auf besondere Pflanzen. Das Resultat ist beeindruckend. So hat sich in seinen Rebbergen die Bocksriemenzunge, eine sehr seltene, gefährdete Orchideenart, angesiedelt und bildet heute eines der grössten Vorkommen in der Schweiz.

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Ein Wieselhotel in den Rebbergen von Bruno Martin

Biodiversität auch im Boden

Genauso wichtig wie die sichtbare Biodiversität «über dem Boden», ist für Bruno Martin die unterirdische Biodiversität, welche auf das Gleichgewicht von Boden und Pflanzen einen enormen Einfluss hat. Bruno Martin bearbeitet seine Böden nicht. Er überlässt diese Arbeit den unzähligen Bodenlebewesen, welche für die Lockerung, Durchlüftung und Sickerfähigkeit des Bodens sorgen.

Konnte Bruno Martin in der Vergangenheit einen Rebberg übernehmen, so stand meist zuerst eine Bodensanierung an. Solch eine Sanierung kann nur in enger Zusammenarbeit mit der Natur und vielen Jahren Geduld erfolgreich enden: Kompost zuführen, Einsaaten von Ölrettich, Zwischenjahre ohne jegliche Massnahmen und Abbruchlockerungen (Auflockerung des Bodens bis in tiefe Bodenschichten) sind nur ein paar der Massnahmen, welche vorgenommen werden, um eine gesunde Bodenstruktur aufzubauen. Befindet sich danach ein Boden im Gleichgewicht, so sind weder Düngergaben, noch Bodenbearbeitungen nötig. Einzig Dolomit, ein Karbonat-Gestein, welches reich an Calcium und Magnesium ist, wird alle 10 Jahre auf die Böden ausgebracht.

Was heute als «regenerative Landwirtschaft» bezeichnet wird, lebt Bruno Martin seit Jahren. Er betont immer wieder: «Wenn sich Boden, Reben und Biodiversität im Gleichgewicht befinden, dann bleiben meine Trauben gesund.»

Mut zu Neuem

Bruno Martin ist überzeugter Winzer, welcher einen konsequenten Weg hin zu einer pestizidfreien Landwirtschaft eingeschlagen hat. Er möchte auch andere Landwirte motivieren, sich über bisherige Produktionssysteme Gedanken zu machen, diese zu hinterfragen und immer wieder neue Wege einzuschlagen.

Die Umstellung auf pestizidfreie Produktion braucht nicht nur Mut und Durchhaltewillen, sondern vor allem eines: Vertrauen in die Natur und deren Prozesse.