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VISION LANDWIRTSCHAFT / BAUERNZEITUNG / 16.2. 2018

Schweiz hat Pestizideinsatz nicht im Griff

In der Bauernzeitung skizziert Andreas Bosshard, Geschäfstführer von Vision Landwirtschaft, einen Weg hinaus aus der Pestizid-Sackgasse.

Wir haben in der Schweiz den Pestizideinsatz schlicht nicht im Griff


Fast wöchentlich berichten die Medien über irgend einen Skandal mit Pestiziden, über eingegangene Bienenvölker, über den Zusammenbruch der Insektenpopulationen als mutmassliche Folge einer umfassenden Durchdringung der Ökosysteme mit Pestiziden, über plötzlich doch als zu giftig erkannte Pflanzenschutzmittel, die nach Jahren des Einsatzes vom Markt zurückgezogen werden müssen, etc. etc.

Seit einem halben Jahr hat die Schweiz - als letztes Land in Europa –  einen „Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel“. Dieser will den Pestizideinsatz um 1% pro Jahr (!) reduzieren und nach 12 Jahren gerade mal die Hälfte der heute regelmässigen Überschreitungen der Pestizidgrenzwerte in Gewässern beheben. Es fällt schwer, ein solches Papier als ernsthafte Antwort zu verstehen auf die permanenten Probleme im Umgang mit Pestiziden.

Vision Landwirtschaft hat zusammen mit fast 30 namhaften Organisationen einige Monate vor dem Aktionsplan des Bundes den „Pestizidreduktionsplan Schweiz“ publiziert. Im Gegensatz zum Konzept des Bundes basiert dieser Bericht auf einer ausführlichen, detailliert mit Referenzen belegten Situationsanalyse. Die Massnahmenvorschläge gehen deutlich weiter als diejenigen vom Bund. Für die Erarbeitung hat VL verschiedene Recherchen im Feld durchgeführt. Dabei haben wir immer wieder die Erfahrungen gemacht: Wir haben in der Schweiz den Pestizideinsatz schlicht nicht im Griff. Der Umgang mit dermassen potenten Giften in der freien Landschaft ist weit davon entfernt, dass er mit den verfügbaren Mitteln unter Kontrolle gebracht werden kann. Und bereits jetzt kosten all die Begleitmassnahmen rund um die Pestizide den Steuerzahler jährlich viele Millionen.

Es gibt gerade auch aus bäuerlicher Sicht nur eine Antwort für den Umgang mit diesen Giften: Wir müssen davon wegkommen. Dies ist die zentrale Forderung des Pestizidreduktionsplans.

Die unzähligen Beispiele von Bäuerinnen und Bauern, die ohne Pestizide wirtschaftlich und produktiv Nahrungsmittel produzieren, bestätigen, dass dieser Weg alles andere als eine Utopie ist. Deutlich gesagt werden muss aber auch: In manchen Kulturen haben wir noch keine praktikablen Lösungen. Doch wenn nur ein Bruchteil der Forschung, die heute für die Zulassung und das Monitoring der Pestizide verwendet wird, in die Weiterentwicklung pestizidfreier Anbaumethoden umgelenkt wird, werden in 5, 10 Jahren solche Lösungen auf dem Tisch sein. Mit einer der am höchsten unterstützten Landwirtschaften der Welt und mit unserer stark ausgebauten landwirtschaftlichen Forschung ist kein Land besser prädestiniert als die Schweiz, auf diesem Weg hin zu einer pestizidbefreiten Nahrungsmittelproduktion als Pionier voranzugehen.

Die oft geäusserte Befürchtung, dass dann geringere Erträge zu erwarten sind und wir mehr Nahrungsmittel importieren müssten, ist scheinheilig. Wir leisten es uns heute in der Schweiz, allein beispielsweise in der Milchproduktion mit der extrem ineffizienten Verfütterung von Kraftfutter de facto die Vernichtung von Nahrungsmitteln für 2 Millionen Menschen (Hochrechnung gem. FiBL-Studie), also für einen Viertel der Schweizer Bevölkerung - und bringen damit erst noch den Milchmarkt aus den Fugen. Drehen wir also an solchen relevanten Hebeln, um die Selbstversorgung in der Schweiz zu verbessern. Die 10 oder 15% Mindererträge, die eine pestizidfreie Produktion in Kauf nehmen müsste (mit zunehmender Forschung vermutlich deutlich weniger), erscheinen dagegen geradezu als Kleinigkeit.

Dass es eine Zeit gab, in der eine Nahrungsmittelproduktion nur mit permanentem Gifteinsatz als machbar galt, dürfte zukünftigen Generationen als ebenso absurd erscheinen wie uns heute die mittelalterlichen Teufelsaustreibungen oder ähnliche Irrwege. Stellen wir mit der Agrarpolitik 2022+ als erstes Land der Welt die Weiche hinaus aus der Pestizid-Sackgasse.

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