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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 1.9. 2013

Pestizide : Französische Bauern lösen Bewusstseinswandel aus

Die Landwirtschaft ist stolz über ihre immer höheren Erträge und ihre Rolle als Ernährerin der Menschheit. Ohne synthetische Pestizide wäre das heutige Produktionsniveau der konventionellen Landwirtschaft undenkbar. Doch die Schattenseiten des enormen und weiter ansteigenden Pestizidverbrauchs treten nicht nur mit den Umweltschäden, sondern auch mit Gesundheitsproblemen zunehmend ins öffentliche und politische Bewusstsein, zumindest im Ausland. In Frankreich haben Bauern eine bemerkenswerte Debatte ausgelöst.

Frankreichs Landwirtschaft verbraucht europaweit am meisten Pestizide. Diese sind nicht nur für die hohen Erträge und die Ertragssicherheit mitverantwortlich, sondern bescheren vielen Firmen hohe Umsätze. Weltweit stellen Pestizide derzeit ein Marktvolumen von gegen 50 Milliarden Franken dar – Tendenz steigend.

Es erstaunt deshalb nicht, dass die Pestizidproduzenten wie Syngenta oder Monsanto alles daran setzen, die Kehrseite der Medallie – die Umwelt und Gesundheitsgefährdung selbst bei korrekter Anwendung – unter den Tisch zu kehren. Wer sich wehrt, hat einen schweren Stand. Doch der Wind könnte langsam drehen. 

Französische Bauern bewirken öffentliche Debatte
Ende der 90er Jahre schloss sich in Frankreich eine kleine Gruppe von Landwirten zusammen, die an schweren gesundheitlichen Folgeschäden ihres jahrelangen Pestizideinsatzes litten. Sie setzten sich zum Ziel, ihre Berufskollegen über die Risiken und die Krankheitsbilder zu informieren. Und vor allem wollten sie eine offizielle Anerkennung ihrer gesundheitlichen Probleme als Berufskrankheiten, die gemäss ihrer Überzeugung durch den Kontakt mit den Pestiziden entstanden sei. Sie gewannen die Unterstützung von Ärzten. Und 2005 hat ein Gericht das erste Mal einen ursächlichen Zusammenhang zwischen bestimmten Pestiziden und Parkinson anerkannt. Seither kam die Anerkennung weiterer « Berufskrankheiten » im Zusammenhang mit dem Gebrauch von Pestiziden dazu.

2012 ist mit dem Agromulti Monsanto das erste Mal ein Hersteller für gesunheitliche Schäden verurteilt worden, welche durch ein von ihm vermarktetes Pestizid bei einem Bauern entstanden sind. Dieses wegweisende Urteil ebnete den Weg für weitere Klagen. Im selben Jahr ist der französische Staat von einem Gericht für schuldig erklärt worden, weil die zu laschen Beschriftungs- und Sicherheitsvoraben für Pestizide zu einen gravierenden Umfall führten.

Besonders schwer nachzuweisen als Folge von Pestiziden sind chronische Krankheiten. Epidemiologische Studien zeigen, dass Personen, die regelmässig mit Pestiziden in Kontakt kommen, ein erhöhtes Risiko haben für Krankheiten des Nervensystems, für verschiedene Krebsarten, Erkrankungen der Atmungswege, Fruchtbarkeitsstörungen oder beeintrachtigte kognitive Fähigkeiten.

Die französische Gesundheitsbehörde schätzt, dass zwische 1 und 2 Millionen Menschen in Frankreich an chronischen Krankheiten leiden als Folge des berunfsbedingten Umgangs mit Pestiziden. Die Bauern sind meist die ersten Opfer des verbreiteten Gebrauchs von Pestiziden in der Landwirtschaft. Aber letztlich ist jeder Konsument betroffen. Eine kürzliche Studie, die in 18 europäischen Ländern durchgeführt wurde, hat in der Hälfte der Bevölkerung aus städtischen Gebieten, wo wo kaum ein direkter Kontakt mit dem Gift vorhanden ist, Spuren des Herbizides Glyphosat festgestellt.

EU macht voran
Die gesundheitlichen Folgen des Pestizideinsatzes und -gebrauchs haben nicht nur in Frankreich zu einem ersten Bewusstseinswandel geführt. Auch in Deutschland haben Krankheitsopfer von Pestiziden eine öffentliche Diskussion entfacht. Die zahlreichen Risiken im grossflächigen Pestizideinsatz haben die EU bewogen, von allen Mitgliedsländern bis 2012 einen nationalen Aktionsplan zu fordern, der aufzeigen soll, wie der Pestizideinsatz und das Risiko von Schäden für Umwelt und Gesundheit reduziert werden können.

Einige EU-Länder bemühen sich allerdings schon seit Langem, den Pestizidverbrauch aktiv einzudämmen. Pionier ist Dänemark, wo dank verschiedenen Anreizen, Lenkungssteuern und Einschränkungen der Pestizidverbrauch in der Landwirtschaft seit 1986 um über 50% abgenommen hat. Doch die Reduktion soll weiter gehen. 2012 hat die Regierung eine starke Erhöhung der Lenkunssteuer auf einigen problematischen Pestiziden angekündigt. Deutschland zielt gemäss seinem kürzlich verabschiedeten Aktionsplanvor allem auf eine Ausdehnung der biologisch bewirtschafteten Fläche auf 20% ab. Frankreich will gemäss seinem Aktionsplan 53 besonders problematische Substanzen vom Markt nehmen und strebt bis 2018 eine Reduktion der eingesetzten Pestizidmenge um 50% an.

Schweiz hinkt der Entwicklung hinterher
Im Vergleich mit den Bemühungen in den umliegenden Ländern ist die Schweiz im Umgang mit Pestiziden ein Entwicklungsland. Weder ein Aktionsplan noch eine Reduktion des Pestizideinsatzes waren bisher in Bundesbern ein ernsthaftes, politisch mehrheitsfähiges Thema. Dabei gäbe es gravierende Probleme zu lösen (siehe Newsletter August 2011).

Im besten Fall werden Schritte, welche die EU beschliesst, dann auch in der Schweiz nachvollzogen. So lehnte das Bundesamt für Landwirtschaft ein Verbot der bienentoxischen Neonikotinoide immer strikte ab, führte dieses dann aber widerwillig doch ein, als die EU das Verbot durchgesetzt hat. Zahlreiche besonders problematische Wirkstoffe hat die Schweiz gar erst Jahre nach der EU ebenfalls aus dem Verkehr gezogen. Die Verordnung über das Inverkehrbringen von Pflanzenschutzmitteln wurde von der EU übernommen – bis auf den wesentlichen Passus, der eine Risikoreduktionsstrategie, d.h. einen Aktionsplan vorschreibt. Dank einem aktuellen Postulat (PO Moser) stehen die Chancen derzeit immerhin gut, dass die Schweiz mit einiger Verspätung doch noch zum Aktionsplan kommen wird.

Was die in der EU diskutierten gesundheitlichen Folgeschäden durch Pestizide anbelangt, sind sie in der Schweiz bisher Tabu. Auf eine entsprechende Interpellation von NR John-Calame hat der Bundesrat lediglich eine nichtssagende Antwort gegeben.

Vision Landwirtschaft hat sich in der Vergangenheit immer wieder intensiv mit dem Thema Pestizide befasst und wird diesen Schwerpunkt in den kommenden Jahren noch verstärken. Unser Ziel ist es, die Schweizer Landwirtschaft und die Agrarpolitik auch in diesem Bereich von einer lahmen Ente, welche die Probleme so weit als möglich verdrängt, zu einer internationalen Vorreiterin zu machen. Wo Schweiz drauf steht, muss auch Schweizer Qualität drin sein. Das ist nicht nur wichtig für unsere Umwelt und unsere Gesundheit, sondern unumgänglich, wenn die beschlossene Qualitätsstrategie der Schweizer Landwirtschaft glaubwürdig und wirtschaftlich ein Erfolg werden soll. 

Weitere Links:

Pestizide in Aargauer und Luzerner Fliessgewässern : 
>> Zusammenfassender Bericht 
>> Originalstudie

Übersichtsartikel über die Situation in der Schweiz:
>>Saldo 4/13
>>Saldo 8/13

Postulat Moser (Aktionsplan zur Risikominimierung und nachhaltigen Anwendung von Pflanzenschutzmitteln) 
>> Link

Interpellation John-Calame (Kombinierte Anwendung ungefährlicher Pflanzenschutzmittel. Ein Giftcocktail ?) 
>> Link

Eine ausführlichere Fassung des Textes mit weiterführenden Links zur beschriebenen Situation im umliegenden Ausland findet sich in der französischen Ausgabe des Newsletter: 
>>Link.