Im Obstgarten und in der kleinen Baumschule von Helmut Müller und Monika Bühler fühlt man sich wie im Paradies. Hier gedeihen mehr als 380 Apfelsorten, mehr als 120 Birnensorten, mehr als 60 Zwetschgen- und Pflaumensorten sowie Kirschen und Trauben. Helmut und Monika kultivieren viele, auch sehr seltene Sorten. Die Früchte werden direkt ab Hof verkauft: Als Tafelobst oder in Form von Most und Cidre, der auch von Bioläden vertrieben wird. Cidre aus ihren Äpfeln hat es sogar zu Weltberühmtheit gebracht. Der Thurgauer Landwirtschaftsbetrieb setzt seit 30 Jahren auf biologische Produktion und generiert auf einer Fläche von lediglich 10 Hektaren ohne sogenannte «Intensivkulturen» genug Einkommen für den Vollerwerbsbetrieb. Und dies trotz den bescheidenen Preisen, zu denen Monika und Helmut ihre hochwertigen Bioprodukte verkaufen.
Helmut, wie lautet eure Betriebsphilosophie?
Wir setzen ganz auf Obst. Unser gesamtes Sortiment wächst auf starkwüchsigen, langlebigen Bäumen. Der Obstgarten besteht aus 600 richtig grossen Hochstämmen. Unsere enorme Sortenvielfalt hilft uns, Krankheiten und Schadorganismen in Schach zu halten, so dass wir lediglich im Frühjahr 2 bis 3 unterstützende Behandlungen mit im Biolandbau erlaubten biologischen Präparaten vornehmen. Wir verwenden nur im Biolandbau erlaubte Fungizide, keine Insektizide und selbstverständlich keine Herbizide.
Welche Wirkstoffe setzt Du noch ein und wann?
Im 2017 habe ich bei Äpfeln und Birnen zwei Spritzungen mit Schwefelpulver durchgeführt, dieses Jahr werden es maximal drei sein, weil es mehr Blüten hat. Ich setze Schwefelpulver sehr sparsam ein, und komme auf 0,8 Kilogramm reiner Schwefel pro Hektare, was sehr wenig ist.
Schwefel wirkt gegen Pilze, wann spritzt Du?
Etwa zwei Wochen vor der Blüte das erste Mal, dann kurz nach dem Abblühen zusammen mit einem Braunalgenpräparat das zweite Mal und dann Anfangs Juni nochmals Schwefel mit dem Algenpräparat, das den Baum zur Fruchtbildung anregt. Nachdem sich die Früchte bilden, spritze ich nichts mehr. Ich werde irgendwann vollständig auf Pestizide – auch natürliche – verzichten können.
Was braucht es noch, damit das bei Dir möglich ist?
Ich habe noch einige Apfel-Sorten im Anbau, die entweder etwas krankheitsanfällig sind, oder dann sehr unter den Veränderungen durch den Klimawandel leiden. Beispielsweise Glockenapfel, Goldparmäne und Gravensteiner. Sie machen ca. 30% meiner Tafelobsternte aus. Wenn ich diese Bäume nicht mit Schwefel spritze, gibt es davon kein Tafelobst, für Mostereizwecke reicht das aber schon. Aber wir beobachten intensiv und wissen, welche Sorten robust gegen Krankheiten und Schädlinge sind. Ich denke, in zirka 5 Jahren werde ich auch diese Bäume mit nicht-anfälligen Sorten ersetzt haben. Eine Jungpflanzung beinhaltet bereits rund 100 sehr vielversprechende Sorten.
Du brauchst kein Kupfer mehr, obwohl es ja im Biolandbau als Fungizid noch erlaubt wäre?
Auf Äpfel und Birnen gar nicht. Auf den Kirschen, abhängig vom Vorjahresbefall, spritze ich gegen Schrotschuss 50 Gramm reines Kupfer pro Hektare, das ist auch sehr wenig, aber gerne würde ich auch darauf verzichten. Ich erprobe derzeit verschiedene Kirschensorten, in der Hoffnung, einige zu finden, die nicht anfällig sind.
Der Klimawandel scheint Dir zu helfen, weniger Pestizide einzusetzen
Ja, der Regen ist heute anders verteilt als früher, und ich wähle Sorten aus, die nur wenig krankheitsanfällig sind. Bei diesen stellt der Schorf kein Problem dar. Meine Bäumchen ziehe ich selber nach, das heisst, ich habe damit Pflanzen, die an meinen Standort bestens angepasst sind. Und durch die Sortenvielfalt reduziere ich das Risiko eines totalen Ertragsausfalles oder epidemischer Krankheitsausbreitung. Andererseits bringen die deutlich höheren Temperaturen wieder neue, bisher unbekannte Krankheiten und Schädlinge ins Land (z. B. Marssonina und Blausieb). Es gibt einige Obstsorten, die mit diesen Veränderungen nicht mehr klarkommen. Apropos Klimawandel und Wasser: Der sorgsame Umgang mit Wasser ist uns ein wichtiges Anliegen. In unterirdischen Zisternen sammeln wir bis zu 100 Kubikmeter Dachwasser unserer Gebäude und decken damit den Wasserbedarf unserer Jungpflanzen. Auch das Wasser aus der Mosterei wird in Trockenperioden nochmals verwendet.
Wie schaffst du es, mit so wenig Spritzmitteln auszukommen?
Unsere Hochstammbäume sind langlebig und kräftig, sie wurzeln tief, holen sich also Wasser und Nähstoffe selbst, sie sind gesund. Den Boden habe ich seit 9 Jahren nicht mehr gedüngt. Er ist sehr aktiv, das ist wichtig für die Gesundheit der Pflanzen. Da wir nicht für den Grosshandel produzieren, können wir unsere Früchte an den Bäumen voll ausreifen lassen und unseren Kunden vollaromatisches und bekömmliches Obst anbieten. Kleine optische Makel sind überhaupt kein Problem.
Und wie hältst Du einen möglichen Befall von Insekten in Grenzen?
Durch die enorme Vielfalt sind Schadinsekten kaum ein Problem, und wenn, so beschränken sich die Ausfälle auf einzelne Sorten oder Bäume. Natürlich fördern wir Nützlinge auf verschiedenen Ebenen (Bienen, Wildbienen, Hecken, blühende Stauden, 100 Nistkästen etc.). Ich mähe die Wiesen zwischen den Bäumen gestaffelt, so hat es immer Streifen, die blühen und solche, die geerntet werden. Heu und Emd nutze ich für unsere Ziegen, verkaufe es oder nutze es als Mulch zur Bodenbelebung. Wegen der gefürchteten Kirschessigfliege bevorzuge ich frühe Sorten beim Steinobst.
Und die Gretchenfrage: lohnt sich euer Betriebskonzept für euch finanziell?
Wir sind schuldenfrei, das ist uns sehr wichtig. Ausserdem geht es uns nicht darum, möglichst viel Tafelobst zu produzieren. Was sich eignet, ernten wir für den Verkauf von Tafelobst ab Hof, das entspricht etwa einem Viertel der Ernte. Aus dem Rest produzieren wir Süssmost, und Cidre, den wir ebenfalls zu einem guten Preis verkaufen, teilweise zum Selber-Abfüllen ab Fass.
Wie hoch sind eure jährlichen Einnahmen?
Wir erzielen in guten Jahren einen maximalen Umsatz von zirka 100'000 Franken, davon sind jährlich 38'000 Franken Direktzahlungen. Diese decken die Kosten für Versicherungen, den Unterhalt der Maschinen, Amortisationen, Wasser und Strom. Wir halten die Betriebskosten möglichst tief und so reicht es gut. Durchschnittlich versteuern wir ca. 50 bis 60'000 Franken landwirtschaftliches Einkommen pro Jahr, darin inbegriffen sind die Mieteinnahmen für das Wohnhaus nebendran. In schlechten Jahren wie 2017 - da hatten wir schwere Frostschäden - müssen wir die Reserven anzapfen. Wir verkaufen unsere Äpfel ab Hof zu 2 oder 1 Franken pro Kilo – je nach «Schönheit». Jeder Mensch sollte sich Bio-Äpfel leisten können, das ist unser Credo. Und Jacques Perritaz produziert exklusiv aus unseren Äpfeln einen Cidre, der um die Welt geht - es ist momentan das «hipe» Getränk bei New Yorks Schickeria. Der «Premier Emois» wird in 19 Länder exportiert! Das ist eine Anerkennung, die mit Geld nicht aufzuwiegen ist.
Dieses wirtschaftliche Modell ist gut für euch?
Ja sicher, wir haben keine Löhne zu bezahlen, machen keine teuren Investitionen und produzieren sehr günstig. Reparaturen und Renovationen führen wir meist selbst aus. Das läuft seit vier Generationen so, seit 130 Jahren. Wir sind einfach zufrieden.
Wie sieht eure Zukunft aus?
Wir sind im Gespräch mit einem potentiellen Nachfolger - ich werde ja bald 60 – es sieht gut aus. Die Arbeit und die Freude gehen uns nicht aus - was will man mehr!
Betriebsspiegel
Auf dieser Internet-Seite hat Helmut Müller sehr viel Wissen über Hochstammobst gesammelt: www.hochstammobst.ch
Interview und Bilder: Fausta Borsani
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Dass eine sehr naturnahe, extensive Produktion von Hochstamm-Tafelobst wirtschaftlich lohnend ist, auch im Vergleich mit dem Intensiv-Obstanbau, bestätigen Zahlen der kürzlich durch die IG Kulturlandschaft initiierte und betreute Untersuchung "Wirtschaftlichkeit einer pestizidfreien Hochstamm-Obstproduktion".