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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 31.3. 2016

Negative Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft

Wie hoch ist die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft? Sie wird in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes mit 2,2 Milliarden Franken angegeben. Doch die Zahl ist irreführend und verwischt die reale wirtschaftliche Situation der Landwirtschaft, weil weder der Grenzschutz noch die erbrachten gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft mitberücksichtigt sind. Eine neue Studie zeigt, wie eine realitätsbezogene Berechnung, basierend auf Zahlen von Bund und OECD, aussehen müsste. Die Differenz zu den offiziellen Zahlen beträgt über 3 Milliarden Franken.

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(VL) Die landwirtschaftliche Wertschöpfung hat in agrarpolitischen Debatten einen hohen Stellenwert. Im erläuternden Bericht des Bundesrats zur laufenden Agrarpolitik 2014–17 kommt der Begriff "Wertschöpfung" 58 Mal vor. Die Wertschöpfung wird in der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung des Bundes berechnet als Produktionswert minus Vorleistungen minus Abschreibungen gleich Nettowertschöpfung. 

Doch diese Rechnung hat mehrere gravierende Haken, wie eine neue Studie von Vision Landwirtschaft zeigt.

1. Wert der gemeinwirtschaftlichen Leistungen nicht miteinbezogen

Die Landwirtschaft erbringt nicht nur über die Produktion von Nahrungsmitteln Wertschöpfung, sondern auch über die Produktion von nicht marktfähigen Gütern, die als gemeinwirtschaftliche Leistungen bezeichnet werden – beispielsweise die Versorgungssicherheit, eine attraktive Landschaft oder die Förderung der Biodiversität. In der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung wird der Wert der gemeinwirtschaftlichen Leistungen aber schlicht ausgeblendet. 

Ihr Wert kann näherungsweise anhand der dafür ausgerichteten Direktzahlungen bestimmt werden. Vision Landwirtschaft hat in ihrer Studie diese Bewertung vorgenommen und die einzelnen Direktzahlungskomponenten in Bezug auf die daraus resultierenden gemeinwirtschaftlichen Leistungen beurteilt. 43% der Direktzahlungen gemäss Agrarpolitik 2014-17 gelten demnach gemeinwirtschaftliche Leistungen ab, die übrigen Direktzahlungen haben den Charakter einer Einkommensstützung, der keine Wertschöpfung gegenübersteht.  

2. Grenzschutz ausgeblendet

In der Gesamtrechnung des Bundes wird die Wertschöpfung aus der Nahrungsmittelproduktion anhand der am Markt gelösten Preise berechnet. Die Marktpreise sind jedoch wenig aussagekräftig, weil sie durch den staatlichen Grenzschutz in der Schweiz künstlich stark erhöht werden. Die Differenz bezahlt der Konsument. Der Preisunterschied von rund 50% gemäss OECD muss in der Berechnung der Wertschöpfung berücksichtigt werden. Der Bund blendete dies in seiner Berechnung bisher jedoch aus.

3. Weitere Stützungen und Kosten nicht miteinbezogen

Wenn korrekterweise die Umweltleistungen miteinbezogen werden, müssen zumindest die wichtigsten, bezifferbaren Umweltkosten der Landwirtschaft ebenfalls mitberücksichtigt werden. Dazu gehören die Treibhausgas- und Ammoniak-Emissionen. Sie belaufen sich auf 0,9 Milliarden Franken gemäss den von der OECD angegebenen Emissionsmengen.

Korrekt berechnete Wertschöpfung: Massive Differenz zur Angabe des Bundes

Wie sieht die landwirtschaftliche Wertschöpfung aus, wenn die genannten Korrekturen vorgenommen werden? 

2014 betrug der Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft gemäss Bundesamt für Statistik 10,7 Milliarden Franken. Nach Abzug des Grenzschutzes bleibt ein Produktionswert von 7,2 Milliarden Franken. Die Direktzahlungen, die tatsächlich nichtmarktfähige Güter abgelten, belaufen sich nach Abschätzungen von Vision Landwirtschaft auf 1,2 der insgesamt 2,8 Milliarden Franken. Einschliesslich der nicht marktfähigen Güter ergibt sich ein Produktionswert der Schweizer Landwirtschaft von 8,4 Milliarden Franken. 

Davon sind die Vorleistungen und Abschreibungen abzuziehen. Sie belaufen sich gemäss Bundesamt für Statistik auf total 8,5 Milliarden Franken (Vorleistungen: 6,4 Mia Fr., Abschreibungen 2,1 Mia Fr.). Ohne Berücksichtigung der Umweltkosten ergibt sich somit eine Nettowertschöpfung von minus 0,1 Milliarden Franken. Werden die Umweltkosten (externe Kosten der Produktion) von 0,9 Milliarden wie die übrigen Produktionskosten subtrahiert, so bleibt unter dem Strich eine Nettowertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft von minus 1 Milliarde Franken. Das sind 3,2 Milliarden weniger als die in der offiziellen Statistik des Bundes ausgewiesene Wertschöpfung von 2,2 Milliarden Franken. 

Heutige Berechnung führt zu falschen Schlüssen

Zahlen, die nur die halbe Wahrheit abbilden, wie das bei der offiziellen landwirtschaftlichen Gesamtrechnung der Fall ist, verleiten zu falschen Schlüssen und führen Politik und Öffentlichkeit in die Irre. So werden wirtschaftlich und ökologisch unsinnige, kostenintensive Produktionsweisen, die nur dank Schweizer Grenzschutz und Vernachlässigung der Umweltkosten wirtschaftlich überlebensfähig sind, durch staatliche Fehlanreize weiter unterstützt und gefördert. Auf der anderen Seite werden Landwirtschaftsbetriebe, die real eine gute Wertschöpfung erbringen mit nachhaltigen, kostengünstigen Produktionsweisen, von der Politik wirtschaftlich benachteiligt. Eine solche Politik schadet der Landwirtschaft langfristig enorm.

Tatsächlich sind die wirtschaftlichen Kennzahlen der Schweizer Landwirtschaft auch im internationalen Vergleich beängstigend schlecht. In kaum einem anderen Land erbringt die Landwirtschaft eine derart geringe Wertschöpfung als Folge zu teurer Vorleistungen und Betriebsstrukturen. Abnehmende staatliche Zahlungen – die derzeit 5-10 Mal so hoch sind wie im umliegenden Ausland – oder eine weitere Öffnung der Grenzen hätten für die einheimischen Betriebe katastrophale Folgen, da ein Grossteil nicht darauf vorbereitet wäre. 

Die Agrarpolitik der letzten Jahrzehnte hat die Landwirtschaft in eine immense, nicht mit gemeinwirtschaftlichen Leistungen zu rechtfertigende Staatsabhängigkeit getrieben. Die Dimension dieser Abhängigkeit wird bis heute durch eine in hohem Masse unvollständige Landwirtschaftliche Gesamtrechnung weitgehend vernebelt. Nicht zuletzt deshalb dürften die dringend nötigen Schlussfolgerungen von der Politik noch nicht gezogen worden sein. 

Eine der dringlichsten Forderungen, die sich aus einer ergänzten, korrekten landwirtschaftlichen Gesamtrechnung ergibt, ist die Abschaffung und Umlagerung der nicht leistungsbezogenen, teure Produktionsweisen fördernden Direktzahlungen. Mit der Agrarpolitik 2014-17 ist ein erster, allerdings noch sehr zaghafter Schritt in diese Richtung getan worden.

Zur Studie von Vision Landwirtschaft (Faktenblatt Nr. 6)