(VL) Swissmilk stellt den Schulen Lehrmaterialien über die Milch und die Milchproduktion zur Verfügung. An sich eine gute Sache, da die Organisation mit Fachleuten arbeiten kann. Unschön ist jedoch, dass ausschliesslich die positiven Seiten der Milchproduktion gezeigt werden, und die negativen Folgen vollständig ausgeblendet sind. Neben den Schulmaterialien werden auch sog. Lehrfilme für die Werbung eingesetzt, so der Kurzfilm «Die Schweizer Milch ein Klimakiller?» Die Kernbotschaft des Filmes ist: Milchkühe setzen bei der Verdauung Methan frei, dieses wird nach 10 Jahren zu CO2 umgewandelt und lässt unsere Wiesen grünen. Und am Schluss, wird der Kuh Lovely gedankt für «die Pflege der Wiesen».
Mit diesem Film will Swissmilk weismachen, dass die heutige Rindviehhaltung ein Teil des natürlichen Kohlenstoffkreislaufs ist. Dieser Kreislauf ist aber leider nicht geschlossen. Mit jedem Liter Milch entstehen zusätzliche Treibhausgase, die zur weiteren Klimaerwärmung beitragen.
In Schweizer Zeitungen, (s. tagesanzeiger.ch) erschien am 16.10.2021 unter dem Titel «Neue Milch-Werbung: Hat hier jemand Klimakiller gesagt?» ein kritischer Kommentar zu diesem Film. Die Konsumenten würden irregeführt, so die Autoren Erich Bürgler und Maren Meyer. Swissmilk-Sprecher Reto Burkhardt kontert auf die Kritik mit folgender Aussage: «Es ist viel falsches Wissen rund um die Nachhaltigkeit und das Klima im Umlauf», weiter heisst es, «Swissmilk möchte faktenbasiert unter ganzheitlicher Betrachtung kommunizieren».
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Treibhausgase und Landwirtschaft – ein reales Problem
Der natürliche Kohlenstoffkreislauf der Erde kann die durch menschliche Aktivitäten freigesetzten Treibhausgase seit rund 200 Jahren immer weniger aufnehmen. Jahrzehntelange Messungen belegen, dass die Konzentrationen der Treibhausgase Kohlendioxid (CO2), Methan (CH4) und Lachgas (N2O) stetig ansteigen. Die Landwirtschaft ist in der Schweiz Hauptverursacherin der Emissionen der beiden Treibhausgase Methan und Lachgas (MeteoSchweiz, 2.11.2021). Somit spielen unsere heutige Ernährung und die Landwirtschaft eine nicht zu vernachlässigende Rolle in der Klimaerwärmung. Unter dem Titel «Ein Bäuerchen macht die Kuh nicht zum Klimakiller» fasst Swissmilk zusammen: «Die Schweizer Landwirtschaft ist verantwortlich für 14 % der jährlich ausgestossen CO2 Menge in der Schweiz und somit an vierter Stelle», nach Verkehr (32 %), Industrie (24 %) und Haushalte 17 %); gemeint sind CO2-Äquivalente (CO2eq). Weiter heisst es, «Milchkühe verursachen 3,8 % der Emissionen, die zudem Teil eines ökologischen Kreislaufs sind.» Diese Aussage ist falsch.
Aus der Agroscope-Publikation «Reduktionspotenziale von Treibhausgasemissionen aus der Schweizer Nutztierhaltung» (Agrarforschung Schweiz 9 (11–12): 376–383, 2018) geht hervor, dass das Rindvieh 75% der landwirtschaftlichen Treibhausgase CO2eq verursacht. Wird nur die Tierhaltung betrachtet, so entfallen auf das Rindvieh insgesamt 88% der Treibhausgase. Allein die Milchkühe verursachen 56% der Treibhausgase. Demnach verursachen die Milchkühe ca. 7% der Schweizer Treibhausgasemissionen. Die von Swissmilk genannten 3,8% beinhalten lediglich das Methan aus der Verdauung der Milchkühe und ignorieren den Treibhauseffekt aus Futterbau und Hofdüngerlager (s. Abb. 1).
Treibhausgas-Emissionen (THG) der Schweizer Landwirtschaft 2016, aus: Agrarforschung Schweiz 9 (11–12): 376–383, 2018
Branchenvertreter erstellen Lehrmittel für Schulen
Für Schulen und Ausbildungen bieten der Schweizer Bauernverband (SBV) und verschiedene landwirtschaftliche Organisationen Schulmaterialien an, welche als Lehrplan-21-konform bezeichnet werden. Dazu gehören jene des Landwirtschaftlichen Informationsdienstes LID und von Swissmilk. In E-Learning-Programmen, Lehrfilmen, Lehrmittelshop, Newsletter für Lehrpersonen und Informationen zu Food Waste versucht Swissmilk, die negativen Seiten der Landwirtschaft auszublenden oder zu verharmlosen. Die sogenannten Lehrmaterialien erinnern stark an die einseitige Sichtweise aus der Werbung. So finden sich unter dem Lehrmaterial auch Aufgabenblätter für die Oberstufe/Hauswirtschaft, in denen die Meinung subtil beeinflusst wird. Ein Beispiel ist «Milch statt Pflanzendrinks». In diesem Text erklärt die angehende Lebensmittelwissenschaftlerin Eline ihrer WG-Partnerin, dass Pflanzendrinks «ökologische Mogelpackungen» seien. Der Text endet mit: «Mach dir keine Sorgen, mit Milch liegst du vollkommen richtig».
In den Informationsmaterialien werden grasfressende Kühe als natürlicher Teil des ökologischen Kreislaufes dargestellt. Der Bedarf an Kraftfutter aus dem In- und Ausland, dessen Anbau die menschliche Ernährung konkurrenziert (feed no food), wird fast vollständig ausgeblendet. Es ist offensichtlich: In den Lehrmitteln geht es um die Marktpositionierung von Milch. Es wird eine naturnahe Milchproduktion dargestellt, die nicht der Realität entspricht. Inzwischen ist aber längst belegt, dass intensive Produktionsformen und der übermässige Konsum von tierischen Produkten ein Teil des Klimaproblems sind.
Ausreichende Proteinversorgung mit standortangepasster Produktion
Biodiversität und Klima sind die brennenden Umweltthemen unserer Zeit. Die hohe tierische Produktion mit dem grossen Kraftfutterimport belastet sowohl die Biodiversität, durch hohen Stickstoffeintrag, als auch die Klimabilanz der Schweiz. Das Thema wird inzwischen verstärkt auch von der Forschung aufgenommen. Meist steht aber die Frage im Vordergrund, wie Treibhausgase bei gleichbleibender Produktion reduziert werden können. Nur mittels technischer Massnahmen lässt sich die Umweltbelastung der landwirtschaftlichen Produktion aber nicht ausreichend vermindern. Auch dem SBV ist inzwischen klar geworden, dass eine Diskussion über klimafreundliches Konsumverhalten geführt werden muss, so Martin Rufer, Direktor des SBV, am Agrarpolitik-Forum, HAFL, 2020.
Rund 70% unseres Kulturlands sind ackerbaulich nicht nutzbar. Es ist deshalb sinnvoll, das für Menschen nicht direkt verwertbare Gras unserer Wiesen und Weiden durch Wiederkäuer in hochwertige Nahrungsmittel umzuwandeln. Diese Produktion sollte aber standortangepasst sein und weitgehend mit betriebseigenem Futter erfolgen. Die intensive Rindviehhaltung mit zugekauftem Kraftfutter, wie sie in weiten Teilen der Schweizer Landwirtschaft praktiziert wird, ist angesichts der ökologischen Belastung alles andere als nachhaltig. Würde von den Konsumentinnen und Konsumenten die Ernährung entsprechend der Lebensmittelpyramide der SGE erfolgen, so könnte die Bevölkerung mit einer graslandbasierten Rindviehhaltung ausreichend mit Protein versorgt werden, sofern weitere proteinhaltige Nahrungsmittel wie z.B. Tofu mit einbezogen werden. Eine Studie von Baur & Krayer (2021) kommt zum Schluss: «Ohne Futtermittelimporte könnten in der Schweiz immer noch 3,3 Millionen Tonnen Milch produziert werden. Umgerechnet auf die Bevölkerung entspricht dies rund 350 kg Milch pro Kopf und Jahr, die verkäste Milch eingeschlossen. Die Fleischproduktion wäre mit 21 kg pro Kopf und Jahr halb so gross wie heute.» Zu ähnlichen Resultaten kommen Forschende der Agroscope (Zimmermann et al., 2017)
Wissensvermittlung an Schulen muss objektiv und problemorientiert sein
Das Vermitteln nachhaltiger Produktionsformen und einer umweltbewussten, gesunden Ernährung an Schulen ist zentral. Von Branchenvertretern, die Wissen an Schulen verbreiten, muss erwartet werden, dass sie dies objektiv und ehrlich tun. Den «Tag der Pausenmilch» als «Milchwerbungstag» zu missbrauchen, ist unlauter. «better milk» anstatt «more milk» wäre zeitgemässer und glaubwürdiger. Es bleibt zu hoffen, dass die Lehrmaterialien und Veranstaltungen «Pausenmilch» von Swissmilk in Schulen nicht unkommentiert verbreitet werden, sondern zu einer kritischen Auseinandersetzung mit dem Thema Landwirtschaft, Umwelt und Ernährung beitragen.
ANHANG
Lehrfilm Milchkuh Klimakiller
https://www.youtube.com/watch?v=SscncPT5hEM
Aussagen im Film |
Fakten |
Fakt ist, dass Kuhemissionen Teil des biologischen Kreislaufs sind |
Auch die Kuhemissionen tragen zur Überlastung des planetaren Kohlenstoffkreislaufs bei. |
Klar, … durch die Verdauung wird auch CH4 frei gesetzt |
Methan (CH4) |
Doch nach 10 Jahren wird CH4 wieder in CO2 zersetzt, welches dann zurück in die Natur gelangt.
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Korrekt ist, dass CH4 in der Atmosphäre in ca. 10 Jahren zu CO2 oxidiert. Allerdings ist der THG-Effekt von CH4 ca. 25-mal grösser als der von CO2, gerechnet über 100 Jahre. Bezogen auf 20 Jahre ist die Wirkung ca. 80-mal grösser (IPPC AR6, 2021). Tatsache ist, dass das heute emittierte CO2 von der Natur nicht mehr aufgenommen werden kann. |
So geht's: Pflanzen binden das CO2 […] und wandeln es dann um.
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Generell binden Pflanzen mittels Photosynthese CO2 und erzeugen O2 (Assimilation). In der Dunkelreaktion verbrauchen auch Pflanzen O2 und erzeugen wiederum CO2 (Dissimilation). |
Kohlenstoff wird im Boden gespeichert […] und wertvoller O2 gelangt in die Atmosphäre zurück.
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Zum Kohlenstoffkreislauf: |
[…] damit haben Wiesen ein besonders hohes Potential zur CO2-Speicherung. Grafik: «50% der Kohlenstoffvorräte auf Dauergrünland und Alpweiden»
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Irreführende Anmerkung. Das Zitat stammt aus Agridea 2020, Faktenblatt Humus und Klima, dort steht in Kap. 4: «Die landwirtschaftlichen Böden sind im Nationalen Treibhausgas-Inventar derzeit als Emissionsquelle und nicht als Senke aufgeführt.» |