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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 27.11. 2015

Versorgungssicherheit: Nicht mehr, sondern weniger, dafür nachhaltigere Produktion ist gefragt

Möglichst viel zu produzieren ist zum wichtigsten Ziel einiger bäuerlicher Organisationen geworden. Begründet wird es mit der Versorgungssicherheit. Szenarienrechnungen von Vision Landwirtschaft zeigen: Damit wird die Versorgungssicherheit nicht erhöht sondern geschwächt. Selbst mit einer Minderproduktion von 10-20% wäre die Schweiz gerüstet, sich in Krisenzeiten selber ernähren zu können.

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(VL) Die Schweizer Agrarpolitik ging bisher von der Annahme aus, dass die landwirtschaftliche Produktion zumindest mit der Bevölkerungsentwicklung Schritt halten müsse, um für Krisensituationen die Versorgungssicherheit aufrecht zu erhalten. Die wesentliche Frage aber ist: Welche Nahrungsmittelproduktion ist unter normalen Bedingungen überhaupt erforderlich, damit die Produktion im Fall einer Krise auf eine weitgehend autarke Versorgung der Bevölkerung umgestellt werden kann? Bewirkt eine laufend steigende Produktion tatsächlich eine Erhöhung der Versorgungssicherheit für die Schweiz? Und trägt eine weitere Produktionssteigerung zur Minderung der globalen Ernährungsprobleme bei – oder bewirkt sie vielmehr das Gegenteil davon?

Szenarienrechnungen

Diese Fragen wurden bisher kaum gestellt und noch weniger untersucht. Somit fehlen auch die Grundlagen für zielgerichtete staatliche Massnahmen im Bereich der Versorgungssicherheit. Mit Szenarienrechnungen ist Vision Landwirtschaft einigen zentralen Zusammenhängen nachgegangen.

Die Analysen zeigen, dass für die Versorgungssicherheit nicht die Kalorienproduktion unter normalen Bedingungen entscheidend ist, sondern - neben den Pflichtlagerbeständen - einerseits das natürliche Produktionspotenzial und anderseits die Produktionsbereitschaft, also die Fähigkeit, Produktion und Verarbeitung im Krisenfall an den Nahrungsmittelbedarf der Bevölkerung anzupassen. Um diese Produktionsbereitschaft sicherzustellen, genügt es, wenn unter normalen Bedingungen auf insgesamt 150'000 Hektaren Brotgetreide, Kartoffeln, Zuckerrüben, Raps und Gemüse produziert werden. Die Hektarerträge können dabei gegenüber heute etwas zurückgefahren werden, um die Umweltbelastungen zu reduzieren und die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten. 

Produktionspotential entscheidend

Die übrigen Fruchtfolgeflächen, rund 250'000 Hektaren Ackerland, sind zwar als Reservefläche entscheidend für die Produktionssteigerung in Krisen. Aber die Produktionsmenge auf diesen Flächen hat ausserhalb von Krisen keinen Einfluss auf die Versorgungssicherheit. Wesentlich ist nur, dass die jetzige Produktion die natürlichen Ressourcen, insbesondere die Bodenfruchtbarkeit und damit das Produktionspotenzial nicht schädigt.

Tierproduktion mit eigenem Futter ausreichend

Bei der Fleisch- und Milchproduktion sind diejenigen Mengen, die mit inländischem Tierfutter, insbesondere aus dem Grünland, produziert werden können, für die Versorgungssicherheit ausreichend. Die nötige Produktionsbereitschaft kann auch bei einer um 10-20% geringeren Kalorienproduktion als heute gewährleistet werden. Aus Sicht der Versorgungssicherheit ist die heutige Produktionsintensität nicht notwendig, vielmehr möglicherweise sogar kontraproduktiv, weil sie nämlich in verschiedener Hinsicht die Produktionsgrundlagen schädigt.

Keine Zielkonflikte mit Versorgungssicherheit 

Die Ergebnisse der Berechnungen zeigen, dass die vielfach vermuteten Zielkonflikte zwischen einer sicheren Versorgung und den weiteren Zielen der Agrarpolitik – insbesondere der Erhaltung der natürlichen Lebensgrundlagen und der Pflege der Kulturlandschaft – gar nicht existieren. Die Aufrechterhaltung der Versorgungssicherheit ist vielmehr gut vereinbar mit einer nachhaltigen Landwirtschaft, welche die angestrebten Umweltziele des Bundes im Bereich Landwirtschaft erreicht. Auch aus globaler Sicht vernünftig

In der Schweiz etwas weniger zu produzieren und dafür von einigen Nahrungsmitteln etwas mehr zu importieren ist auch aus globaler Sicht sinnvoll. Namhafte Studien zeigen, dass die vergleichsweise extensive Produktion in Osteuropa und anderen Regionen der Welt mit weit geringerem Ressourcenverbrauch und geringeren Umweltbelastungen gesteigert werden kann als die bereits intensive Produktion in der Schweiz. Der Beitrag der Schweiz zur globalen Ernährung ist ohnehin marginal.

1,1 Milliarden Franken Versorgungssicherheitsbeiträge nicht nötig

Die Ergebnisse der Studie stellen die 2014 eingeführten Versorgungssicherheitsbeiträge weitgehend in Frage. Die Beiträge machen mit 1,1 Milliarden Franken pro Jahr mehr als ein Drittel der Direktzahlungen aus. Mit Erstaunen ist festzustellen, dass dieses kostspielige Instrument bei seiner Einführung nie nachvollziehbar begründet und seither auch nie auf seine Wirkung hin evaluiert worden ist. Vision Landwirtschaft hat mit der vorliegenden Studie die notwendigen Basisdaten erarbeitet und erwartet nun vom Bund, dass er die Überprüfung dieser Beiträge vornimmt und die notwendigen Schlüsse für die zukünftige Agrarpolitik zieht.

Weitere Informationen und detaillierte Zahlen im neuen Faktenblatt Nr. 5