(VL) Seit Jahrzehnten werden Stallbauten im Landwirtschaftsgebiet bewilligt und zudem oft mit staatlichen Mitteln gefördert, selbst wenn dafür die Futterbasis auf dem betreffenden Landwirtschaftsbetrieb fehlt. Als Folge davon haben Futtermittelimporte in die Schweiz immer grössere Ausmasse angenommen. Mittlerweile sind es mehr als eine Millionen Tonnen (!), die jährlich in die Schweiz importiert werden. Damit bewirtschaften wir im Ausland - vor allem in Südamerika - Ackerflächen, die gleich gross sind wie die Ackerfläche der Schweiz. Und dies einzig, um die überhöhten Tierbestände im Inland ernähren zu können. Vielfältige Umweltprobleme sind die Folge: Belüftete Seen, Gülletransporte durch die halbe Schweiz, und Ammoniakemissionen, die europaweit zu den höchsten zählen und die bei empfindlichen Ökosystemen wie Wäldern, Mooren oder irreversible Schäden hinterlassen, sind nur drei Beispiele. Die Umweltbelastung steht klar im Widerspruch zu den Umweltzielen der Schweizer Agrarpolitik (UZL). Auch raumplanerisch ist der Stallbauboom widersinnig, weil damit wertvolle Fruchtfolgeflächen zugebaut und zusätzliche Bauten in der freien Landschaft ausserhalb der Bauzone gefördert werden.
Vorgelagerte Industrie als treibende Kraft
Über viele Jahre betraf der Boom neuer Ställe vor allem die Schweineproduktion. Unzählige Schweineställe entstanden in der Landwirtschaftszone, deren Tiere ausschliesslich durch Futter, das auf den Betrieb importiert werden muss, gemästet werden und deren Jauche auf den betriebseigenen Flächen oft gar nicht verwertet werden kann, sondern teils über weite Distanzen wegtransportiert werden. Seit der Schweinemarkt in der Schweiz gesättigt ist, setzt die Branche auf neue, grosse Milchviehställe, vor allem aber auch auf neue Ställe für die Pouletmast und Eierproduktion.
Die hauptsächliche treibende Kraft hinter diesen Bauten ist die sogenannte vorgelagerte Industrie – Firmen also, welche beispielsweise das Futter liefern oder die Ställe bauen. Mit jedem neuen Stall, der auf Futtermittelimporte angewiesen ist, sichert sich die Futtermittelbranche langfristig zusätzlichen Absatz. Dabei geht es um viel Geld: Der Zukauf von Futtermitteln bei UFA & Co stellt mit gut 1,5 Milliarden Franken jährlich den weitaus grössten Ausgabeposten der Schweizer Bauernbetriebe dar (s. Grafik unten). Jeder zusätzliche Stall sichert der Futtermittelindustrie langfristig zusätzlichen Umsatz.
Vor allem grosse Hühnermasthallen schiessen derzeit in einigen Regionen wie Pilze aus dem Boden. Dadurch kommen immer mehr industrielle Bauten, welche nichts mit einer bodengebundenen Landwirtschaft zu tun haben, in die freie Landschaft zu stehen. Nicht minder problematisch sind überdimensionierte, auf Futterzukäufe angewiesene Kuhställe.
Diese Entwicklung steht im Widerspruch zu raumplanerischen Zielen, belastet die Umwelt, führt zum Verlust von Kulturland und nicht zuletzt auch zu einer innerlandwirtschaftlichen Konkurrenzierung der standortgerechten, bodenabhängigen Tierproduktion.
Fehlende gesetzliche Basis auf Bundesebene
Obwohl die Problematik dieser Entwicklung von den meisten kantonalen Behörden erkannt wird, fehlt ihnen fast immer die Handhabe, Bewilligungen von Gesuchen zu verweigern. Der Grund liegt in einer mangelhaften Gesetzgebung auf Bundesebene. Die gegenwärtige Gesetzgebung behandelt Tierproduktion auch dann als landwirtschaftliche Produktion, wenn dafür keine genügende oder de facto auch gar keine betriebliche Futterbasis besteht, die Produktion also teilweise oder ganz auf importierten Futtermitteln basiert. Dadurch profitiert die bodenunabhängige und damit nicht-landwirtschaftliche Tierproduktion von all den vielfältigen Förderungen durch die öffentliche Hand, als ob es sich um eine landwirtschaftliche Primärproduktion handeln würde. Zu diesen öffentlichen Förderungen gehören Investitionskredite, Starthilfen oder Direktzahlungen für bestimmte Tierhaltungsformen. Finanziell ausschlaggebend ist auch die Tatsache, dass die Bauvorhaben auf vergleichsweise extrem günstigem Landwirtschaftsland erstellt werden können statt mit Baulandpreisen kalkulieren zu müssen wie andere Industriebetriebe.
Trotz einiger gesetzlicher Beschränkungen sind de facto heute selbst Bauten für eine gänzlich bodenunabhängige Tierproduktion in der Landwirtschaftszone praktisch uneingeschränkt möglich – so über die Ausscheidung von Intensivlandwirtschaftszonen, über findige Berechnungsweisen der sehr flexiblen Futterbilanz, oder indem die Halle neben einen vorher bewilligten kleineren Stall gebaut wird.
Vielfältige Folgeprobleme
Die Erhöhung der Tierproduktion über die regionale Futterbasis hinaus hat zu vielfältigen Folgeproblemen geführt und ist einer der wichtigsten Gründe, dass agrarpolitische und Umweltzielsetzungen nicht erreicht werden. Aufgrund der überhöhten Tierbestände weist unser Land innerhalb Europas die dritthöchsten Ammoniakemissionen auf. Als starkes Umweltgift ist Ammoniak für die Schädigung zahlreicher empfindlicher Ökosysteme wie Wälder oder Moore verantwortlich. Ein anderes Beispiel sind die aus dem Futtermittelimport resultierenden Phosphatüberschüsse, welche die Belüftung einiger Mittellandseen nötig gemacht haben und den Steuerzahlenden Millionenkosten aufbürden.
Nicht zuletzt stellt die Produktion auf Basis importierter Futtermittel eine innerlandwirtschaftliche Konkurrenz dar, die den meisten Bauern bisher kaum bewusst zu sein scheint. Die tiefen Milchpreise sind eine direkte Folge des gestiegenen Kraftfuttereinsatzes in der Milchproduktion, aber auch im Fleischmarkt werden die Preise gedrückt durch jede Kilogramm Fleisch, das durch Importfutter zusätzlich produziert wird. Das kann nicht im Interesse einer bäuerlichen, standortgerechten Landwirtschaft.
Raumplanungsgesetz braucht Zähne
Trotz vielfältiger unerwünschter Nebenwirkungen haben in jüngster Zeit die Bewilligungen neuer Stallbauten weiter zugenommen, insbesondere im Bereich der lukrativen Hühnerproduktion, aber auch von überdimensionierten Rinderställen, die auf importiertes Futter angewiesen sind. Die aktuell laufende Revision des Raumplanungsgesetzes muss sich dieses virulenten Problems vordringlich annehmen. Vision Landwirtschaft hat dazu konkrete Vorschläge für gesetzliche Anpassungen erarbeitet. Tiermast ohne eigene Futterbasis soll sachgemäss nicht mehr als landwirtschaftliche, sondern als industrielle Produktion behandelt werden. Sie soll nicht verboten, aber eingeschränkt werden auf diejenigen Zonen, die für eine solche Produktion raumplanerisch ausgeschieden worden sind: Industrie- und Gewerbezonen.
Von einer solchen Lösung profitiert auch die bäuerliche Landwirtschaft: Ihr bleibt mehr Kulturland erhalten, und die preisdrückenden Konkurrenz durch eine importbasierte, nicht mehr eigentlich landwirtschaftliche Milch- und Fleischproduktion wird zumindest nicht mehr weiter gefördert.
Ökologie oder Tierwohl?
Geschlossene Nährstoffkreisläufe zwischen Boden, Pflanze und Tier sind ein zentrales Element einer ressourcenschonenden, standortgemässen Landwirtschaft. Die hohen Futtermittelimporte zur Ernährung unserer überhöhten Tierbestände zerstören dagegen diese Kreisläufe. Sie verursachen sowohl im Export- wie im Importland Umweltprobleme und führen zur Verschwendung wertvoller Nährstoffressourcen und Energie.
Befürworter einer möglichst grossen inländischen Tierproduktion betonen dagegen, dass der Konsum von Schweizer Fleisch hohes Tierwohl sicherstelle. Tierwohl sei den Konsumenten wichtiger als der Verzicht auf hohe Futtermittelimporte. Ob nun Ökologie oder Tierwohl wichtiger sind, darüber lässt sich lange streiten. Doch ein solcher Streit ist gar nicht nötig. Denn gerne wird verschwiegen, dass auch in der Schweiz mit dem Tierschutz längst nicht alles zum Besten steht. Noch immer stellen beispielsweise die gesetzlichen Vorschriften für Mastschweine und -rinder keine artgerechte Haltung sicher. Vor allem aber wird ausgeblendet, dass auch ausländische Landwirte mindestens so tiergerecht produzieren können und wollen wie wir Schweizer, wenn sie dafür faire Produzentenpreise lösen.
Genau diesen Weg will Migros gehen. In einem zukunftsweisenden Entscheid hat sich der Grossverteiler letztes Jahr verpflichtet, ab 2020 nur noch Fleisch zu importieren, das nach Schweizer Tierschutzstandards produziert wird. Solange die Schweizer Bevölkerung so viel Fleisch konsumieren will wie sie das derzeit tut, sind Fleisch- und Eierimporte unerlässlich. Mit einem Import von tiergerecht produziertem Fleisch kann das Dilemma zwischen Ökologie und Tierschutz wenigstens teilweise aufgelöst werden. Dass auf diesem Weg gute Tierschutznormen im Ausland Fuss fassen könnten, ist ein willkommener Nebeneffekt.