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(VL) Die Forderungen der Initianten sind weitgehend unumstritten. Ja mehr noch: Sie sind durch den vorhandenen Verfassungsartikel und das Landwirtschaftsgesetzt bereits bestens abgedeckt. In der Verfassung steht schon jetzt, dass die Landwirtschaft einen wesentlichen Beitrag zur sicheren Versorgung der Bevölkerung leisten soll.
Den Initianten geht es denn auch um anderes. Am ehesten erschliessen sich ihre Motive aus einem älteren Initiativtext, den eine Gruppe um SVP-Nationalrat Rudolf Joder und SVP-Grossrat Samuel Graber gemeinsam mit Parteipräsident Toni Brunner am 5. November 2013 den Medien vorgestellt hatte. Darin wurde klar formuliert, wie die Politik neu zu akzentuieren ist. Die zentrale Bestimmung war: "Dabei ist ein möglichst hoher Selbstversorgungsgrad der Bevölkerung zu erreichen." Über das Vehikel des Selbstversorgungsgrades soll – darin sind sich SVP und SBV uneingeschränkt einig – der weiteren Intensivierung der Schweizer Landwirtschaft neuer Schub vermittelt werden und die Reform der Agrarpolitik 2014-17, welche etliche Exzesse wie die Milchüberproduktion mit importiertem Kraftfutter etwas einschränken wird, wieder zurückgedreht werden.
Darauf weist auch das Argumentarium zur Initiative hin, und der SBV scheut sich nicht, mit irreführenden Aussagen zu operieren. Da steht ein Titel: "Sinkende Tendenz des Selbstversorgungsgrads". Der Selbstversorgungsgrad lag nach der üblichen Berechnungsweise über die letzten zwanzig Jahre konstant bei rund 60 Prozent. Im letzten verfügbaren Jahr (2011) lag der Wert gemäss Agrarbericht 2013 des Bundesamtes für Landwirtschaft (BLW) sogar besonders hoch: bei 64 Prozent. Zahlenquelle: Schweizer Bauernverband.
Produktion weiter ankurbeln? Die Produktion, die trotz abnehmendem Kulturland noch nie so hoch war wie heute, weiter anzuheizen, ist aus Sicht einer umweltschonenden, bäuerlichen Landwirtschaft verantwortungslos und für die Ernährungssicherheit sogar kontraproduktiv:
- Die Schweizer Landwirtschaft produziert schon heute weit mehr, als mit den eigenen Produktionsgrundlagen möglich ist. Die Steigerung der "inländischen" Produktion im Sinn der Initianten würde heissen: noch mehr Futtermittel, Dünger und Energie aus dem Ausland importieren. Das würde die Landwirtschaft noch mehr als heute schon vom Ausland abhängig und damit krisenanfälliger machen.
- Die weitere Steigerung der inländischen Produktion im Sinn der Initianten würde die unverändert hohen Umweltdefizite der Schweizer Landwirtschaft weiter vergrössern und damit das wichtigste Gut der Schweizer Landwirtschaft, nämlich ihre eigene Produktionsgrundlage, weiter schädigen. Schon heute gehören Bodenverdichtung, zu hoher Pestizideinsatz und Bodenerosion als Folge zu intensiver Bewirtschaftung zu den grössten Problemen der Schweizer Landwirtschaft. Diese Entwicklung schwächt die Ernährungssicherheit unwiderbringlich, beeinträchtigt darüber hinaus die Qualität der produzierten Lebensmittel und gefährdet nicht zuletzt das Image der Schweizer Landwirtschaft.
- Bei zunehmender Bevölkerung ist ein zunehmender Import von gewissen Nahrungsmitteln aus globaler Sicht durchaus vertretbar. Wie der SBV in seinem Argumentarium selber schreibt, steht im nahen Ausland pro Kopf gerechnet ein Mehrfaches an Ackerfläche zur Verfügung.
Offene Fragen an die Initianten Wer denkt, dass es bei dieser Initiative vielleicht doch um Ernährungssicherheit geht, stellt den Initianten am besten ein paar Fragen:
- Was müssten der Bundesrat oder das Parlament konkret anders machen, um die Initiative zu erfüllen?
- Ist eine weitere Steigerung der Produktion nach wie vor ein Ziel der Initiative?
- Ist der SBV bereit, sich für eine verminderte Produktionsintensität einzusetzen, wenn damit die Produktionsgrundlagen für Krisenzeiten besser erhalten werden können?
Die Antworten werden zeigen, ob der SBV tatsächlich um die Ernährungssicherheit besorgt ist, ob es ihm genügt, mit einer inhaltslosen Vorlage Präsenz zu markieren, oder ob es sich um eine veritable Mogelpackung handelt, die auf eine teure und ineffiziente Turbo-Landwirtschaft abzielt, die der Ernährungssicherheit nicht nützt, sondern schadet.
InitiativtextDie Bundesverfassung wird wie folgt geändert:Art. 104a Ernährungssicherheit1 Der Bund stärkt die Versorgung der Bevölkerung mit Lebensmitteln aus vielfältiger und nachhaltiger einheimischer Produktion; dazu trifft er wirksame Massnahmen insbesondere gegen den Verlust von Kulturland einschliesslich der Sömmerungsfläche und zur Umsetzung einer Qualitätsstrategie.2 Er sorgt dafür, dass der administrative Aufwand in der Landwirtschaft gering ist und die Rechtssicherheit und eine angemessene Investitionssicherheit gewährleistet sind.Art. 197 Ziff. 11 11. Übergangsbestimmung zu Art. 104a (Ernährungssicherheit) Der Bundesrat beantragt der Bundesversammlung spätestens zwei Jahre nach Annahme von Artikel 104a durch Volk und Stände entsprechende Gesetzesbestimmungen.