Wenn es um das Thema nachhaltige, gesunde und umweltbewusste Lebensmittel und Ernährung geht, werden die Konsument*innen, der Detailhandel und die Landwirtschaft in die Verantwortung genommen. Wer dabei selten erwähnt wird: die Gastronomie. Dabei hat sie eine grosse Reichweite, um Produkte aus nachhaltiger Landwirtschaft, sei das Bio oder sogar regenerative und andere agrarökologische Produktionsweisen, in der breiten Masse zu etablieren.
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Neben Kosten noch weitere Hindernisse
Welche Gründe stecken hinter dem geringen Bio-Anteil in der Schweizer Gastronomie? Anhand von Gesprächen mit den Verantwortlichen von zwei Restaurants sowie Personen aus der Branche versuchten wir die Gründe zu ermitteln.
1. Das vegetarische und vegane Restaurant tibits spricht aus eigener Erfahrung, denn sie sind bestrebt, das Angebot an Bio-Produkten laufend auszubauen. Der weitaus grösste Teil der tierischen Produkte wie Milch oder Käse ist bereits Bio sowie auch alle Backwaren. Doch die Bio-Zertifizierung ist mit Hindernissen verbunden. Diese ist aufwändig und verursacht sowohl Kosten als auch personellen Aufwand. So müssen zum Beispiel das Warenlager sowie die Warenflüsse logistisch von konventionellen Produkten oder anderen Labels getrennt sein. Zudem gibt es, neben den vom Gesetz vorgeschriebenen Kontrollen durch das Lebensmittelinspektorat, jährliche Nachkontrollen durch den Bio-Inspektor.
2. tibits stellt auch fest, dass der Preis für Bio je nach Produkt um 20 – 50 % höher ist als für konventionelle Produkte, was sich schlussendlich auf die Verkaufspreise auswirkt. Bio-Suisse unterstreicht diese Aussage: „Der Aufschlag für Bio-Produkte schwankt zwischen 0 und 300 %. Es wird also rasch klar, dass gewisse Produkte kaum je in der Gastronomie eingesetzt werden. Umgekehrt heisst das aber auch, dass es Bio-Produkte gibt, wo der Preis allein kein Hindernis darstellt.“
3. Nach kurzer Recherche bemerkt man schnell, dass die Verfügbarkeit von nachhaltig produzierten Produkten für die Gastronom*innen eine grosse Unsicherheit darstellt. Hauptsächlich, weil heutzutage dem Gast jederzeit alles angeboten werden möchte. Viele Restaurants arbeiten mit vorgefertigten Lebensmitteln, die sie von einem grossen Rüstbetrieb ankaufen. Selber regionale und saisonale Frischprodukte einzukaufen und zuzubereiten, dazu fehlen oft die Kenntnisse und Strukturen.
4. Automatisch stellt so auch die Ausbildung von Gastronomen und Köchen ein Knackpunkt dar. Bio-Suisse bestätigt die Aussage eines Kochlehrlings, dass der Umgang mit nachhaltigen Produkten und Konzepten nicht unterrichtet oder nur selten angesprochen wird.
5. Für die Umstellung auf saisonale, regionale und agrarökologische Produkte gibt es keine Anlaufstellen oder gebündelte Informationsquellen. So hat es auch ein regeneratives Zero Waste Pop-Up Restaurant erlebt. Als Wirt*in müsse man viel Zeit und Aufwand in die Recherche, Umsetzung und später die Planung des Menüs investieren. Sie haben keine Plattformen oder Organisationen gefunden, die Informationen zur Umstellung für Gastronomen bereits aufgearbeitet hätten.
6. Zu guter Letzt spielt auch die Logistik eine Rolle: Bio Suisse erklärt, dass es in der Schweiz im Bio-Bereich zum Beispiel noch keinen Anbieter für gerüstetes Gemüse gebe. Das bedeutet, der Gastronom würde es eventuell kaufen, wenn es ein Anbieter verarbeiten würde und umgekehrt. Damit die Bio-Landwirt*innen mit dem Rest des Marktes mitspielen könnten, meint Bio Suisse, bräuchte es die Einbindung in die Shop- und Küchenplanungssysteme der Grossen.
Damit wird sichtbar, dass die Wirt*innen zuerst viele Hürden überwinden müssen, um das ihnen beigebrachte Wissen und System hinter sich zu lassen.
Beratung und enge Zusammenarbeit sind zentral
Martin Ott, Schulleiter der bio-dynamischen Ausbildung in Rheinau, stellt in einem Gespräch fest: Das Verhalten und die Logistik müssten sich im Handel sowie der Gastronomie grundlegend ändern. Diesen Wandel jedoch umzusetzen, sagt Martin Ott, sei nichts Leichtes. Nebst dem Wandel, der im Kopf der Menschen stattfinden müsse, sollten die Landwirt*innen und Gastronom*innen mehr und viel enger zusammenarbeiten. Aus der Schwäche gegenüber der Logistik und Komponentenlieferung von Weltkonzernen und grossen Betrieben könne man so eine handwerklich orientierte, regionale und vielfaltgestützte Stärke machen.
Diese Wertschöpfungsketten müssen jedoch zuerst erarbeitet werden. Anhand von Dänemark lässt sich erahnen, welche Schritte auch in der Schweiz Wirkung zeigen könnten. Innert zehn Jahren haben es in Kopenhagen und Aarhus 1‘600 öffentliche und private Küchen vollbracht, bis zu 90 % Bio-Anteil zu erreichen – und dies weitgehend ohne höhere Kosten. Möglich wurde dies durch eine grundlegende Umstellung: Mehr frische Zutaten, neue Rezepte, selbst verarbeitete Lebensmittel, weniger Fertigprodukte und weniger Fleisch sowie drastisch reduzierte Lebensmittelverluste. Wichtige Faktoren für diese erfolgreiche Umsetzung waren zielführende Impulse aus der Politik, eine starke Mitarbeit von allen Beteiligten und eine direkte Unterstützung vor Ort in den Küchen durch die Stiftung „Copenhagen House of Food“.
Dänemarks Erfahrungen zeigen: Es lohnt sich, Geld in Schulungen und Beratungen zu investieren. So ist es mit Hilfe der Beratung durch das Kopenhagener House of Food gelungen, besonders in kleinen Küchen (wie beispielsweise in Kindergärten) 90 % Bio-Produkte einzusetzen. Sogar grosse Zentralküchen erreichen 60-70 %.
Ein Systemwandel ist angesagt
Das Problem ist also nicht der einzelne Player, sondern das System. Es muss wie in vielen Bereichen ein Systemwandel stattfinden. Viele Köch*innen kaufen im Grosshandel ein, weil dadurch das Menü einfacher planbar und die Menge gesichert ist. Diesem Verhalten muss mit Wissen über Saisonalität, Regionalität, neuen Rezepten und Menüplanungen entgegengewirkt werden. Dabei steht der direkte Kontakt zu den Landwirt*innen im Mittelpunkt, weil eine enge Zusammenarbeit das Planen und Umstellen erleichtert. Denn klar ist – man kann im Grosshandel nicht einfach die bisher verwendeten Produkte in Bio bestellen. Es wird ebenfalls ersichtlich, dass in der Schweiz ein Ansprechpartner für die Umstellung fehlt. Von Anfang bis zum Schluss von jemandem begleitet zu werden, der sich auskennt und einem hilft, macht die Hürde für eine Umstellung um einiges kleiner.
Tatsächlich hat sich Bio Suisse nun dieser Aufgabe angenommen und möchte den erwähnten Problemen entgegenwirken.
Die Bedeutung der Politik
Für uns, und vielleicht auch für Sie als Leser*in, ist anhand von Dänemark eindeutig sichtbar, dass vor allem die Politik eine wichtige Rolle spielt, um eine wirksame Umstellung in der Gastronomie zu erreichen. Die Schweizer Politik kann an vielen Ecken den Wandel ganz konkret vorantreiben. Sie kann nachhaltig investieren in Bildung, Logistik und Verarbeitungsstrukturen, eine Organisation wie das Kopenhagener House of Food aufbauen, welche die Weiterbildung und Unterstützung in den Küchen übernimmt, Initiativen gegen Lebensmittelverschwendung ausbauen, einen Innovationscampus ins Leben rufen oder eine agrarökologische Landwirtschaft anstelle der konventionellen Landwirtschaft fördern. Nicht zuletzt sollte die Politik auch ein Ziel definieren, wie viel Prozent Bio-Speisen bzw. Produkte aus agrarökologischer Produktion wir in welchem Zeitraum in der öffentlichen Verpflegung mindestens haben wollen.
Die Möglichkeiten und Handlungsschritte sind vorhanden und bereits erarbeitet worden, weshalb wir in der Schweiz keinen Grund haben, diesen Wandel zu verzögern oder nur halbpatzig ausführen zu wollen. Sträubt sich die Schweizer Politik weiterhin gegen einen nachhaltigen Wandel (nicht nur in der Gastronomie), werden wir bald das Schlusslicht in Europa darstellen, zumal der Fortschritt besonders bei unseren Nachbarn Frankreich, Deutschland und Österreich zügig voran geht.
Jeder Mensch hat das Recht auf gesunde Nahrung und die Schweiz hat sich dazu völkerrechtlich verpflichtet. Es ist an der Zeit, gesundes Essen jedem zugänglich zu machen.