Startseite / Newsletter / Newsletter Archiv / Hofportrait: Sich von der Agroindustrie und den Direktzahlungen befreien
VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 1.4. 2014

Hofportrait: Sich von der Agroindustrie und den Direktzahlungen befreien

Christophe Viret bewirtschaftet 45 ha Ackerbau und Wiesland oberhalb von Morges am Genfersee. Vor 20 Jahren einer der ersten, die auf pfluglose Bodenbearbeitung umstellten, praktiziert er heute diese anspruchsvolle Methode selbst mit Bio-Label erfolgreich. Dank tieferen Kosten und im Verbund mit weiteren innovativen Schritte konnte er seinen Hof aus der Schuldenfalle befreien und so die einst schmerzlich verlorene Autonomie wieder zurückgewinnen.

(ABe) Christophe Viret darf mit Genugtuung über seine fruchtbaren Felder blicken. Denn seit er den Milchwirtschafts-Ackerbaubetrieb von seinem Vater übernahm, hat sich viel verändert. Damals, frisch zurück aus der Landwirtschaftsschule, versuchte er voller guten Willens, das Gelernte auf seinem Hof anzuwenden. Doch schon bald stellte er fest, dass die konventionelle Bewirtschaftung seinen Feldern wenig angemessen war und nicht den gewünschten Ertrag brachte.

Am Beispiel eines Sonnenblumenfelds verdeutlicht er, was er damit meint: Um die Erträge auch nur halten, musste er Jahr für Jahr auf mehr auf Dünger und Pflanzenschutzmittel zurückgreifen. Bis er feststellte, dass Einkommen und Produktionskosten nicht mehr übereinstimmten. Bis die Verschuldung schliesslich das Überleben seines Betriebes in Frage stellte. Viret entschied sich für die pfluglose Bodenbearbeitung im Ackerbau. Mit diesem System konnte er einerseits Kosten sparen und damit das dringend benötigte Einkommen erhöhen. Er musste dadurch nicht mehr "nur für die Bezahlung der Betriebsmittel arbeiten. Man muss den Boden nachhaltig sich selbst überlassen, möglichst wenig intervenieren", ist Viret heute überzeugt. "Unkraut ist das Zeichen von Problemen der Struktur oder der Bodenbearbeitung, und nicht ein Problem, das untergepflügt oder totgespritzt werden muss. Die Erde braucht organische Substanzen, nicht die Pflugschare".

Christoph Viret entschied sich auch bei der Viehhaltung für einen in seiner Gegend damals alles andere als alltäglichen Schritt: Den Wechsel auf das Jersey-Rind. Keine Rasse liefert Milch mit einem höheren Gehalt an Proteinen und Fett. Dazu kommt die Eignung für eine relativ extensive Fütterung. Auch hier zeigten seine Berechnungen, dass es rentabler ist, seinen Viehbestand mit Futter aus der eigenen Betrieb zu füttern statt auf zugekauftes Futter und Futterzusätze zu setzen.

Da die Jersey-Milch etwas Besonderes ist, versuchte Viret, diese als Spezialität direkt ab Hof anzubieten. Die Kundschaft war sofort bereit, einen höheren Preis für ein Qualitätsprodukt vom Nachbarn zu bezahlen. Wenn auch der Direktverkauf nie mehr als 10% der produzierten Milch ausmachte, genügte dieser Schritt bereits, um sein Einkommen spürbar zu verbessern.

Auf der Suche nach weiterer Erhöhung der Wertschöpfung begann Viret, Glace und Jogurts mit Frischobst aus dem Garten oder der Umgebung anzubieten – eine Spezialität ohne jegliche Aromen, Farbstoffe oder Konservierungsmittel. Der wirtschaftliche Erfolg liess nicht lange auf sich warten.

Durch Zufall entdeckt Christophe Viret die frühere Vielfalt von Getreidesorten. Einige waren den Bedingungen seines Betriebs weit besser angepasst als die heute gängigen Sorten. Der Anbau gelang selbst ohne Anwendung von Pflanzenschutzmitteln. Sein Projekt steht noch in der Versuchsphase. Doch bereits jetzt beobachtet er, dass die Nachfrage nach alten Sorten einen Boom erlebt. Viret überlegt sich nun den Direktverkauf von qualitativ hochstehenden Mehlspezialitäten.

Ein besonderes Anliegen ist ihm das hofeigene Saatgut. Seiner Ansicht nach ist die Saatgutvermehrung Sache des Landwirtes, nicht der Industrie. "Der Bauer muss verstehen, dass die Samen ihm gehören. Wenn er diese weggibt, gibt er seinen Teil von sich selbst weg. Es braucht hier Mut und Bescheidenheit, das für seinen Hof angepasste Saatgut selber zu bewahren und weiterzuentwickeln".

Vor 2 Jahren hat Christophe Viret seinen Betrieb auf Bio umgestellt. Jahrelang schlug er sich mit der Frage herum, ob der biologische Landbau seinen Ideen tatsächlich entspricht. Je mehr sich seine alternative Bewirtschaftung entwickelte, desto stärker wuchs in ihm die Überzeugung, diesen Schritt zu tun.

Ein weiteres Standbein des Betriebes ist die Agroforstwirtschaft. In der Schweiz werden für die Agroforstwirtschaft praktisch nur Obstbäume gepflanzt. Vor allem in Frankreich verwendet man auch Bäume zur Holzproduktion. Auch wenn ihm das keine Direktzahlungen einbringt, er ist überzeugt, dass dieser von ihm eingeschlagene Weg ihm erlauben wird, auch nach der Pensionierung noch auf dem Hof zu arbeiten kann, ohne Abhängigkeit von Direktzahlungen. "Ich kann mir nicht vorstellen, meine Entscheidungen je wieder rückgängig zu machen, Agrarpolitik hin oder her, ich beanspruche die Freiheit zu handeln, wie ich will".

Hat er Angst vor der Zukunft? "Nein. Pflugloser, bodenschonender Anbau, Agroforstwirtschaft und Optimierung der Milchproduktion sind für meinen Betrieb tragfähige Lösungen, komme was wolle".