Die Hälfte der Schweizer Fleischproduktion basiert auf importierten Futtermitteln. Bei „Schweizer“ Poulets sind es gar über 70%. Die Konsumenten werden darüber im Dunkeln gelassen. Das Nachsehen haben diejenigen Produzenten, die tatsächlich Schweizer Fleisch produzieren. Und die Umwelt. Vision Landwirtschaft hat sich in den vergangenen Monaten intensiv mit dem Thema befasst und fordert die Politik zum Handeln auf.
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(VL) Die Futtermittelimporte in die Schweiz haben riesige Dimensionen angenommen. Vor sechs Jahren wurde die Millionen-Tonnen-Grenze geknackt. Eine Million Tonnen pro Jahr: Das entspricht dem Transportgut einer Lastwagenkolonne, die vier Mal so lang ist wie die Strecke zwischen Boden- und Genfersee. Und laufend nehmen die Mengen weiter zu (Abb. 1). 1,5 Milliarden Franken geben die Schweizer Bauern heute jedes Jahr für zugekaufte Futtermittel aus, im Durchschnitt fast 30'000 Franken pro Hof. In einem durchschnittlichen "Schweizer Poulet" oder "Schweizer Ei" steckt heute über 70% Importfutter, vor allem aus Brasilien. Über alle Fleischsorgen gerechnet liegt der Importfutteranteil bei rund 50%. Mit einheimischer, standortgerechter Landwirtschaft hat das nichts mehr zu tun, dafür umso mehr mit einer ausufernden Veredelungsindustrie, die sich auf billigem Kulturland breitmacht.
Land grabbing nach Schweizer Art
Die Schweiz hat längst ein Problem mit ihren viel zu hohen Tierbeständen. Um diese füttern zu können, „bewirtschaftet“ sie im Ausland eine Ackerfläche, die grösser ist als die gesamte Ackerfläche im Inland. Das ist unethisch und äusserst umweltbelastend.
Unethisch, weil so den Bauern, welche die Futtermittel produzieren, ein grosser Teil ihrer Wertschöpfung genommen wird. Denn die Tiermast bringt viel mehr ein als der Anbau des Futters. Zudem wird in den Herkunftsländern wertvolles Ackerland für die Produktion von Tierfutter statt für die menschliche Ernährung verbraucht.
Umweltbelastend, weil die Nährstoffkreisläufe im grossen Stil unterbrochen werden, wenn die Tiere nicht mehr dort gehalten werden, wo ihr Futter wächst. Das schafft vielfältige und gravierende Umweltschäden, in der Schweiz wie in den Futtermittel-Herkunftsländern (>> Kästchen).
Aber auch wirtschaftlich geht die Rechnung nicht auf. Oder besser gesagt: Sie geht nur dank staatlicher Intervention auf. Mittels hoher Zölle schützt der Bund die inländische Fleischproduktion so stark, dass sich eine an sich unwirtschaftliche Produktionsweise auf der Basis von Futtermittelimporten rentiert. Die Zeche zahlt der Konsument mit den höheren Fleischpreisen (sofern er das Fleisch noch in der Schweiz kauft).
Risikobehafteter Stallbauboom
Der ausufernde Futtermitteltourismus hat zu einem Stallbauboom geführt. Hunderte von Hektaren wertvolles Kulturland gehen so für eine bodenunabhängige Tierindustrie verloren – das Gegenteil von Ernährungssicherheit.
Doch das ist nicht das einzige Problem für die einheimische Landwirtschaft. Zwar lässt sich derzeit mit der Importfutterveredelung reichlich Geld verdienen. Doch das Risiko ist gross. Würde der Grenzschutz – den die Schweiz nur begrenzt steuern kann – aufgehoben, würden der Futtermitteltourismus und die überhöhten Tierbestände aus rein wirtschaftlichen Gründen auf einen Schlag zusammenbrechen. All die Milliarden, welche in die neuen Ställe investiert wurden – nicht selten mit staatlichen Investitionshilfen -, könnten nicht mehr amortisiert werden. Tausende von Tiermasthallen würden in der offenen Landschaft plötzlich leer oder halbleer dastehen, Hunderte von Landwirtschaftsbetriebe müssten Konkurs anmelden.
Politik muss handeln
Bisher hat die Politik sich geweigert, auf die Entwicklung zu reagieren, trotz Vorstössen im Parlament und wiederholter Berichte in den Medien. Stallbaugesuche werden von den meisten Kantonen noch immer standardmässig durchgewunken. Die Baugesuche werden von Vertretern der Futtermittelindustrie, der Grossverteiler oder des Bauernverbandes für interessierte Bauern nicht selten kostenlos erstellt oder diesen gar aufgedrängt. Die Experten der Industrie kennen die vielen Tricks, mit denen fast jedes Stallbauvorhaben irgendwie mit der geltenden, sehr löchrigen Gesetzgebung in Einklang gebracht werden kann.
Vision Landwirtschaft setzt sich seit 2014 mit Grundlagenstudien, Medien- und Politikarbeit für eine Kursänderung ein. Eine Grenzöffnung im Fleischbereich könnte schneller kommen als erwartet. Sie würde das Problem zwar auf einen Schlag weitgehend „lösen“ – aber auch viel zerstören.
Vision Landwirtschaft plädiert deshalb für eine vorausschauende Politik, die auf folgenden Säulen beruht:
Medienberichte:
SRF Tagesschau und Wirtschaftsmagazin ECO 30.1.2017
SWR: Schweiz exportiert ihre Mistüberschüsse bis nach Norddeutschland
NZZ am Sonntag 1.5. 2011: Die Zweite Schweiz
Faktenblatt Nr. 5 Ernährungssicherheit