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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 26.10. 2016

Die Schweizer Landwirtschaft braucht einen mutigen Aktionsplan Pestizide

Diese Woche endet die Anhörungsfrist zum Nationalen Aktionsplan Pflanzenschutzmittel (NAP). Vision Landwirtschaft unterstützt die Ausarbeitung eines Aktionsplans und insbesondere den vom Bund formulierten Anspruch, die vorhandenen Verbesserungsmöglichkeiten konsequent zu nutzen und damit sicherzustellen, dass Pestizide "so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig" eingesetzt werden. Von diesem Auftrag und Ziel ist der vorliegende NAP-Entwurf des Bundes allerdings noch weit entfernt.

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(VL) Unzählige Organisationen reichen in diesen Tagen beim Bund ihre Stellungnahme zum Aktionsplan Pflanzenschutzmittel ein. Auch Vision Landwirtschaft hat im Austausch mit anderen Akteuren eine ausführliche Stellungnahme erarbeitet. Die wichtigsten Defizite beim Nationalen Aktionsplan ortet Vision Landwirtschaft in vier Bereichen: 

  • Kostendeckende Gebühren statt Subventionierung der Pestizidindustrie: Der Pestizideinsatz verursacht in der Schweiz Kosten von schätzungsweise 100 Millionen Franken jährlich, welche der Allgemeinheit aufgebürdet werden. Allein die Zulassung, das Monitoring oder die Kontrollen lassen sich Bund und Kantone jährlich Dutzende von Millionen Franken kosten. Diese massive Subventionierung eines Industriezweiges durch den Steuerzahler ist nicht nur staatspolitisch fragwürdig. Ein Aktionsplan, welcher vorgibt, den Pestizideinsatz in der Schweiz reduzieren zu wollen und gleichzeitig an diesen verbrauchsfördernden Subventionen nicht rüttelt, ist nicht glaubwürdig. Kostendeckende Gebühren sind eine Grundanforderung, die bei der Überarbeitung des NAP berücksichtigt werden muss. 

    Die Pestizidindustrie wehrt sich nicht nur vehement gegen eine vom Bund vorgeschlagene Lenkungsabgabe, sondern selbst gegen die Verrechnung kostendeckender Gebühren. Auf Nachfrage geht scienceindustries, der Wirtschaftsverband der Pestizidhersteller, offenbar davon aus, dass in der Schweiz nur mit massiver Unterstützung der öffentlichen Hand überhaupt eine einigermassen brauchbare Palette an Pflanzenschutzmitteln auf den Markt gebracht werden kann, weil sonst diese Produkte im Verhältnis zum Nutzen für den Anwender zu teuer würden. Sogar die Anhebung des derzeit bei Pestiziden auf 2,8% (!) reduzierten Mehrwertsteuersatzes auf die üblichen 8% geht scienceindustries zu weit. Ob es tatsächlich Aufgabe des Bundes ist, die Pestizidindustrie mit vielfältigen Steuernachlässen und Subventionen zu stützen, dürfte auch das Parlament noch beschäftigen. 

  • Ungenügende Verbesserungen der mangelhaften Transparenz im Bereich Zulassung und Datenerfassung: Immer wieder wurde von Fach- und Umweltorganisationen auf die fehlende Transparenz des Bundes bei der Zulassung und die komplett ungenügende Datenlage zum Pestizideinsatz hingewiesen. Wo welche Pestizide wofür eingesetzt werden ist eine fast vollständige Blackbox. Die im NAP enthaltenen Verbesserungsmassnahmen beheben nur einen kleinen Teil der bestehenden Defizite. Etliche zentrale Forderungen nach mehr Transparenz und einer Erfassung der Pestizidanwendungen werden nicht berücksichtigt. Solche grundlegenden Daten werden in mehreren Ländern bereits seit langem erfasst.

  • Zu zögerliche Massnahmenvorschläge: Zahlreiche wirksame Massnahmen zur Verminderung der Pestizidbelastung, wie sie im Pestizid-Reduktionsplan gefordert werden, wurden nicht in den NAP einbezogen. Damit wird lediglich eine minimale Reduktion des Pestizideinsatzes erreicht – gemäss Berechnungen des Bundes gerade 1% pro Jahr – auf gut Deutsch also nichts. Vision Landwirtschaft dagegen geht von einem Reduktionspotenzial von 50% in den nächsten 6 Jahren aus. Mit seinen zögerlichen Vorschlägen erreicht der Bund nicht einmal die Einhaltung des Umweltschutzgesetzes. So sollen die heute weit verbreiteten Überschreitungen der gesetzlichen Qualitätsanforderungen von Pestiziden in Oberflächengewässern gemäss NAP lediglich halbiert werden, und dies erst bis 2026, anstatt dass der Bund im Aktionsplan Massnahmen aufzeigt, mit denen im Gewässerbereich so rasch als möglich die Gesetze eingehalten werden können. Für die Schweizer Landwirtschaft ist es ausschlaggebend, dass sie der Bund darin unterstützt, gesetzeskonform zu produzieren. 

  • Es fehlt eine Vision mit einer längerfristigen Entwicklungsperspektive: Der NAP muss aufzeigen, in welche Richtung der Umgang mit Pestiziden sich längerfristig entwickeln soll. Eine solche Vision fehlt im jetzigen Entwurf des Bundes. Nur eine klare Vision gibt den Landwirten Planungssicherheit und zeigt ihnen, in welche Richtung sie ihren Betrieb entwickeln können und mit welchen Mitteln sie der Bund in Zukunft unterstützen wird. Wir fordern eine mutige Vision, welche dazu geeignet ist, die Schweizer Landwirtschaft von den Produktionsmethoden im Ausland abzuheben. Ein zögerlicher NAP, welcher weit hinter dem Machbaren zurückbleibt, tut der Schweizer Landwirtschaft keinen Gefallen. 

Fazit: Der Entwurf des Aktionsplans des Bundes erfüllt die eigenen Vorgaben, nämlich die vorhandenen Verbesserungsmöglichkeiten konsequent zu nutzen und damit sicherzustellen, dass Pestizide „so wenig wie möglich und nur so viel wie nötig" eingesetzt werden, noch nicht. Die zahlreichen bekannten und praktikablen Massnahmen, wie sie beispielsweise im Pestizid-Reduktionsplan aufgelistet sind, müssen zur Reduktion des Pestizideinsatzes und der damit verbundenen Belastungen von Mensch und Umwelt umfassend miteinbezogen werden. Ein mutiger NAP ist nicht gegen die Bauern, sondern eine unabdingbare Unterstützung für eine zukunftsfähige Schweizer Landwirtschaft.