Internationale Verflechtung der Schweizer Landwirtschaft und Gegenmodell Sennerei Splügen
Die Schweizer Landwirtschaft steckt in einem Spannungsfeld: Einerseits hohe Exportabhängigkeit, Preisdruck durch internationale Konkurrenz und Marktmacht im Detailhandel. Andererseits zeigen Modelle wie die Sennerei Splügen, dass es auch anders geht: bäuerlich getragen, regional verankert, weitgehend unabhängig von globalen Krisen und orientiert an Qualität statt an Masse.
Text: Rebecca Knoth-Letsch Fotos: Vision Landwirtschaft

Von links nach rechts - Jürg und Marian Flükiger (Geschäftsführer) sowie Thomas Mengelt (Genossenschaftspräsident) vor der Sennerei Splügen
(VL) Die Schweizer Landwirtschaft ist stark in globale Märkte eingebunden. Bilaterale Abkommen mit der EU regeln den Zugang zu den wichtigsten Absatzmärkten und die Arbeitsmobilität – unverzichtbar für viele Betriebe. Besonders der Käsehandel hat durch die Liberalisierung seit 2007 zugenommen: Schweizer Milchprodukte können dank harmonisierter Standards ohne zusätzliche Zertifikate in die EU exportiert werden. Rund ein Viertel der hiesigen Milchprodukte wird heute ausgeführt, die EU ist dabei der wichtigste Markt.
Doch diese internationale Vernetzung hat ihren Preis. Mit der Marktöffnung steigt der Konkurrenzdruck: Schweizer Produzenten stehen im Wettbewerb mit EU-Erzeugnissen, die oft deutlich günstiger sind. Um diesen Preisdruck abzufedern, setzt die Branchenorganisation Milch auf Instrumente wie die Segmentierung des Milchmarkts oder Preisstützungen – ein Zeichen dafür, dass das aktuelle Modell ohne ständige Eingriffe kaum tragfähig wäre.
Noch deutlicher zeigen sich die Risiken der Exportabhängigkeit am Beispiel USA. Dort hat die Regierung zusätzliche Zölle von bis zu 39 Prozent auf Schweizer Milchprodukte eingeführt. Für exportorientierte Firmen bedeutet das massive Absatzprobleme, für die gesamte Branche sinkende Milchpreise. Selbst Bauern, die nie in die USA geliefert haben, spüren die Folgen. Die Abhängigkeit von fernen Märkten macht die Schweizer Milchproduktion anfällig für politische Konflikte ausserhalb des Einflussgebiets der Schweizer Regulierung – ein Risiko, das sich kaum steuern lässt.
Warum betreffen die US-Zölle alle Milchbauern?
Weniger Exporte in die USA führen zu einem Milchüberschuss in der Schweiz. Dieses Überangebot drückt den Marktpreis insgesamt – sei es durch zusätzliche Rohmilch für andere Produkte oder wachsende Lagerbestände. Da der Milchpreis für alle Produzenten auf Basis des Gesamtmarktes gebildet wird, wirkt sich ein Überschuss auf alle aus. Auch Bauern, die nie in die USA liefern, müssen ihre Milch günstiger abgeben, teils als «C-Milch» zu deutlich tieferen Preisen.
Auch im Inland sind die Spielräume der Produzenten klein: Migros und Coop dominieren mit rund 70 Prozent Marktanteil den Milchmarkt und bestimmen weitgehend, zu welchen Konditionen Bauern ihre Produkte verkaufen können. Trotz hoher Konsumentenpreise bleibt den Produzenten oft wenig – die Marktmacht der Detailhändler verstärkt den Preisdruck zusätzlich.
Gleichzeitig schützt die Schweiz ihre Landwirtschaft mit Zöllen und Grenzschutzmassnahmen. Diese sind wichtig, um eine regionale Produktion in einem Hochlohnland wie der Schweiz zu sichern - sorgen aber in Verhandlungen über Freihandelsabkommen immer wieder für Spannungen zwischen den Vertretern der Schweizer Exportindustrie und denjenigen der Landwirtschaft.
Die Spielräume der Milchproduzenten sind klein.
Die US-Regierung hat Zölle von 39 Prozent auf Schweizer Milchprodukte eingeführt. Dies führt zu weniger Exporten in die USA. Da der Milchpreis für alle Produzenten auf Basis des Gesamtmarktes gebildet wird, wirkt sich ein Überschuss auf alle aus. Auch Bauern, die nie in die USA liefern, müssen ihre Milch günstiger abgeben.
Migros und Coop dominieren mit rund 70 Prozent Marktanteil den Milchmarkt und bestimmen weitgehend, zu welchen Konditionen Bauern ihre Produkte verkaufen können.
Gegenentwurf: Die Sennerei Splügen
Wie ein anderes Modell funktionieren kann, zeigt die Sennerei Splügen im Hochtal Rheinwald. Acht Bergbauernfamilien liefern ihre Milch in die Genossenschaft, die seit 1933 besteht und seit 1994 konsequent nach Bio-Suisse-Richtlinien produziert. Käse, Joghurt und Butter werden direkt in der Sennerei hergestellt, verkauft und weiter vermarktet.
Interview mit Thomas Mengelt, Landwirt und Genossenschaftspräsident Sennerei Splügen
Gemeinsam mit seiner Frau Marlis bewirtschaftet Thomas Mengelt einen Biobetrieb am Rande des Passdorfes Splügen. Es ist ein Milchwirtschaftsbetrieb mit Brownswiss Kühen. Die Milch wird in der Sennerei Splügen zu feinen Spezialitäten verarbeitet. Nebst der Milch produzieren sie Eier, welche direkt an ihre Kundschaft vermarktet werden.
Thomas, du lieferst deine Milch in die Sennerei Splügen – warum ausgerechnet dahin und nicht etwa an eine grosse Molkerei, die vielleicht besser bezahlt?
Schon mein Vater und mein Grossvater haben Milchwirtschaft betrieben und ihre Milch in diese Sennerei geliefert. Es stand nie zur Debatte, einen anderen Weg zu wählen als meine Vorfahren. Diese Sennerei gehört uns Bauern, es ist also naheliegend, hierhin zu liefern. Hier haben wir es selbst in der Hand, was mit unserer Milch passiert.
Gibt es in der Genossenschaft nie Diskussionen, dass man in Zukunft vielleicht einen anderen Weg gehen könnte?
In den letzten Jahren gab es einige Generationenwechsel. Und dann war auch noch ein Umbau in der Sennerei geplant. Damals machten wir eine Umfrage in der Genossenschaft, ob alle weiterhin diesen Weg gehen wollen. Das wollen wir! Es ist ein grosses Commitment bei uns Bauern zu unserer Sennerei vorhanden.
Viele Bauern sind von Exporten oder internationalen Preisen abhängig. Spürst du davon etwas – oder bist du durch die Zusammenarbeit mit der Sennerei eher geschützt?
Den Milchpreis und den Absatz können wir mit unserem Genossenschaftsmodell stärker selbst bestimmen als vielleicht andere Milchbauern. Trotzdem sind auch wir nicht völlig unabhängig von den internationalen Entwicklungen. Interessanterweise kaufen bei uns oft Italiener ein, die von der nahen Grenze hier hinauffahren – trotz dem höheren Preis. Die Qualität unserer Produkte überzeugt sie.
Wenn du hörst, dass die Schweiz bilaterale Abkommen mit der EU hat und diese nun noch weitertreiben möchte: Hat das irgendwie einen Einfluss auf dich als Milchbauer im Alltag?
Unsere Sennerei ist nahe an der Grenze. Viele Touristinnen und Touristen kaufen bei uns ein. Und es arbeiten auch Leute aus dem Ausland in der Käserei. Da ist es wichtig, dass man gute Beziehungen zu den Nachbarn pflegt. Darum ist es auch wichtig, dass es gute Abkommen gibt.
Immer wieder gibt es Schlagzeilen über Zölle in den USA auf Milchprodukte. Ist das für dich überhaupt ein Thema – oder ist deine Milch von solchen weltweiten Handelskonflikten gar nicht betroffen?
(Überlegt) Der Milchpreis ist sowieso variabel – ob wegen dem Zollstreit mit den USA oder wegen anderen Einflüssen. Auf bekannte Exportkäse-Marken wir Gruyère oder Emmentaler haben die US-Zölle sicher einen höheren Einfluss als auf unsere Produkte. Ich erhoffe mir einfach, dass sich die Schweiz und die USA einigen können.
Denkst du, dass das Modell der Sennerei – regional, klein, unabhängig – eine Zukunft für die Splügner Milchbauern hat?
Ja, auf jeden Fall! Kurzfristig hätten wir vielleicht einen besseren Milchpreis ohne Genossenschaft, langfristig aber eher nicht. Früher gab es in fast jedem Dorf ein solches Modell, inzwischen haben die meisten ihre Milch aber aus der Hand gegeben. Es ist schwierig, das rückgängig zu machen. Wichtig ist, dass wir innerhalb der Genossenschaft alle an einem Strang ziehen und es nicht zu viele Querulanten gibt.
Und was wünschst du dir für deine eigene Zukunft als Milchbauer?
Oh, es müsste nicht viel ändern. Für mich ist nicht nur das Einkommen, sondern auch die Zufriedenheit relevant. Viele Betriebe heute sind verschuldet. Wir Walser drehen den Franken zweimal, bevor wir ihn ausgeben. In der Genossenschaft haben wir bis heute keine Melkroboter. Wir haben vielleicht etwas mehr Arbeit, sind aber unabhängig und zufrieden.
Interview mit Jürg Flükiger, Käsermeister und Co-Geschäftsführer Sennerei Splügen
Zusammen mit seiner Frau Marian führt Jürg Flükiger seit 33 Jahren die Sennerei Splügen. Für das Gespräch lädt er zu einer kleinen Käsedegustation in seine Küche ein. Er ist den Ausführungen von Thomas Mengelt aufmerksam gefolgt. Zwischen den beiden Berufskollegen ist gegenseitiger Respekt und Wertschätzung spürbar.
Jürg, ihr produziert verschiedene Bio-Käse, aber auch Joghurt und Butter. Wer sind die Abnehmer eurer Produkte?
In den letzten Jahren ist die Nachfrage nach regionalen Spezialitäten gestiegen, so dass unsere Produkte neben dem eigenen Verkaufsladen auch den Weg in verschiedene Käseläden, Restaurants und Käsehandlungen aus der Schweiz und Deutschland fanden.
Viele Bauern in der Schweiz hängen vom internationalen Handel ab. Wie schafft es die Sennerei Splügen, vor allem regional zu arbeiten und trotzdem erfolgreich zu bleiben?
Wir machen eigentlich kaum Marketing. Wir stellen möglichst gute Produkte her, welche die Leute erfreuen. Zum Beispiel verwenden wir 100% Milch von Jersey-Kühen für unsere Joghurt und wir machen Bio-Bergbutter, welche sehr gefragt ist. Der Tourismus ist wichtig für uns, an der Passstrasse machen viele Reisende Halt, um unsere Milchprodukte zu kaufen.
Die Schweiz hat mit der EU bilaterale Verträge, die auch die Landwirtschaft betreffen. Der Bundesrat will aktuell den bilateralen Weg noch verbessern. Der SBV äussert sich bisher vorsichtig dazu und hat noch keine abschliessende Beurteilung gemacht. Spürt ihr in der Sennerei Splügen die Folgen dieser Abkommen – oder spielen sie für euch kaum eine Rolle?
Wir spüren das nicht direkt. Aber die Pässe, so auch der Splügenpass hier, wurden gebaut um Handel zu betreiben. Und so kommen die Italienerinnen und Italiener im Frühling sofort wieder zu uns, sobald der Pass offen ist. Es braucht also die EU-Verträge, damit der Handel auch in Zukunft funktioniert.
In den letzten Jahren haben die USA höhere Zölle auf europäische Milchprodukte eingeführt. Hat so etwas für eine kleine Sennerei wie eure überhaupt Auswirkungen?
Nein, das hat keine direkten Auswirkungen. Aber ich denke viel weiter: Wenn die Industrie wegen den Zöllen ins Ausland abwandert und dadurch die Steuereinnahmen in der Schweiz sinken, könnte das Geld künftig in der Landwirtschaft fehlen.
Welche Vorteile hat es aus deiner Sicht, wenn man sich weniger an den Weltmärkten orientiert und mehr auf regionale Produktion und Vermarktung setzt?
Der grösste Vorteil ist das enge Zusammenspiel mit den Bauerfamilien. Bei Problemen, z.B. bei der Qualität der Milch, können wir rasch und unkompliziert Lösungen finden. Ausserdem sind wir flexibler als grosse Betriebe und können rasch auf Veränderungen im Markt reagieren. So entwickeln wir immer wieder neue Produkte – z.B. unseren Splügner Urs-Käse, der mit Holunderbeersaft eingerieben wird – um unsere Kundschaft hoffentlich zu erfreuen.
Glaubst du, dass kleine Sennereien wie Splügen ein Modell für die Zukunft der Schweizer Landwirtschaft sind?
Ja, bei uns wird Wachstum nicht über alles andere gestellt. Das Vertrauensverhältnis zwischen Käserei und Milchproduzenten ist entscheidend. Es ist ein Miteinander.

Fazit
Die Schweizer Landwirtschaft steckt in einem Spannungsfeld: Einerseits hohe Exportabhängigkeit, Preisdruck durch internationale Konkurrenz und Marktmacht im Detailhandel. Andererseits zeigen Modelle wie die Sennerei Splügen, dass es auch anders geht: bäuerlich getragen, regional verankert, weitgehend unabhängig von globalen Krisen und orientiert an Qualität statt an Masse.

Wie geht es weiter?
Eine engere Integration mit der EU im Agrarsektor wird im Rahmen der derzeit diskutierten Bilateralen III-Verträge nicht angestrebt, sodass die bestehenden Handelshemmnisse in beide Richtungen weitgehend bestehen bleiben. Die Schweiz behält ihre hohen Schutzmechanismen gegenüber EU-Agrarprodukten, einschliesslich der geltenden Zollkontrollen und Direktzahlungen. Der Wettbewerbsdruck, insbesondere auf kleine und klassische Bergbetriebe, bleibt somit weiterhin begrenzt. Dies trägt zu einer Stabilität in den strukturellen Rahmenbedingungen bei und verhindert kurzfristige, tiefgreifende Anpassungsprozesse. Gleichzeitig profitieren spezialisierte Betriebe wie Bio-, IP-Suisse- und Direktvermarkter punktuell von technischer Zusammenarbeit mit der EU, etwa im Zugang zu neuen Saatgutsorten und landwirtschaftlichen Technologien. Diese Kooperationsformen ermöglichen eine graduelle Verbesserung der Innovationsfähigkeit, ohne dass ein umfassender Abbau von Grenzschutz oder Marktregulierungen erfolgt.