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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 11.11. 2016

Landwirtschaftliche Wertschöpfung rutscht noch weiter in den roten Bereich

Die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft bildet im weltweiten Vergleich ein Schlusslicht. Gemäss Zahlen im neuen Agrarbericht hat sie 2015 im Vergleich zum Vorjahr um 15% auf 1,8 Milliarden Franken abgenommen. Doch die Zahlen des Bundes zeigen nur einen Teil der Realität, da sie die Preisstützung als Wertschöpfung verbuchen. Vision Landwirtschaft hat die tatsächliche Wertschöpfung berechnet. Diese hat sich weiter verschlechtert von minus 1,5 Milliarden Franken im Jahr 2014 auf neu minus 2,3 Milliarden Franken. 

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(VL) Am Dienstag ist der neuste Agrarbericht erschienen. Das Landwirtschaftsjahr 2015 war durchzogen – insbesondere im Vergleich mit dem guten Jahr 2014. Die offizielle landwirtschaftliche Gesamtrechnung des Bundesamts für Statistik (BFS) weist einen Gesamtproduktionswert von 10,1 Milliarden Franken (6%) und eine Nettowertschöpfung von 1,8 Milliarden Franken (15%) aus. Die vom BFS berechnete Wertschöpfung lag damit rund 300 Millionen Franken tiefer als im Vorjahr. Als Gründe für den Rückgang nennt die eidgenössische Forschungsanstalt Agroscope tiefere Preise für Milch und Schweinefleisch sowie tiefere Erträge im Pflanzenbau durch die Trockenheit im Sommer.

Diese Zahlen widerspiegeln aber nur einen Teil der wirtschaftlichen Realität. Die Produktion wird zu den stark gestützten Inlandpreisen bewertet. Die Preisstützung durch die Konsumenten und Steuerzahler wird somit als Wertschöpfung der Landwirtschaft ausgewiesen. Dadurch wird der Beitrag der Landwirtschaft an die Volkswirtschaft stark überhöht. Hingegen vernachlässigt die Gesamtrechnung die Leistungen der Landwirtschaft für die Gesellschaft ebenso wie die externen Kosten durch Umweltbelastungen. Aus diesem Grund hat Vision Landwirtschaft in Anlehnung an die Methodik der OECD bereits für das Jahr 2014 eine Reihe neuer Kennziffern definiert und berechnet (s. Faktenblatt 6). Diese Berechnungen wurden nun für das Jahr 2015 fortgeführt.

Tatsächliche Wertschöpfung sinkt um 800 Millionen Franken

Der Wert der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, zu europäischen Preisen bewertet, sank 2015 gegenüber dem Vorjahr um 1,2 Milliarden Franken (19%). Für die Schweizer Produkte, die dank Grenzschutz innerhalb der Schweiz 10,1 Milliarden Franken wert waren, hätten ausländische Abnehmer noch 5,5 Milliarden Franken bezahlt. Grund für den Rückgang ist auch die Aufhebung des Mindestkurses von 1.20 Franken pro Euro durch die Nationalbank im Januar 2015. Gemäss den Zahlen der OECD waren die Produzentenpreise in der Schweiz im Mittel um 85% höher als im umliegenden Ausland (im Vorjahr 59%). So gross war die Preisdifferenz zum Ausland letztmals vor zehn Jahren. 

Die effektiven gemeinwirtschaftlichen Leistungen der Landwirtschaft haben sich um 200 Millionen Franken erhöht. Sie liegen neu bei 1,4 Milliarden (+16%). Den grössten Beitrag zu dieser positiven Veränderung leistete die Zunahme der Alpungsbeiträge (+96 Millionen) und der Landschaftsqualitätsbeiträge (+55 Mio.) zulasten der nicht an Leistungen gebundenen Übergangsbeiträge. Doch die Landwirtschaft erbringt nicht nur gesellschaftliche Leistungen, sondern verursacht auch externe Kosten, die von der Allgemeinheit getragen werden. Es gibt keine Hinweise darauf, dass sich diese Kosten wesentlich geändert haben, weshalb weiterhin vom Wert des Vorjahres von 0,9 Milliarden Franken ausgegangen werden kann. 

Aufgrund dieser Zahlen liegt die „multifunktionale Nettowertschöpfung“ der Schweizer Landwirtschaft – also die Nettowertschöpfung unter Einbezug der gemeinwirtschaftlichen Leistungen – tief im roten Bereich, bei minus 2,3 Milliarden Franken. Der Wert ergibt sich aus dem Marktwert der produzierten Güter (5,5 Milliarden Franken) und den gemeinwirtschaftlichen Leistungen (1,4 Milliarden Franken), abzüglich der externen Kosten (0,9 Milliarden Franken), der Vorleistungen (zugekaufte Produktionsmittel für 6,2 Milliarden Franken) und der Abschreibungen (2,0 Milliarden Franken). Die Nettowertschöpfung liegt nochmals 800 Millionen Franken tiefer als im Vorjahr.

Stützung durch Konsumenten steigt um 800 Millionen Franken

Die grössere Preisdifferenz zum Ausland bedeutet auch, dass die Stützung der Landwirtschaft durch die Konsumenten im Jahr 2015 stark anstieg. Gemäss den Zahlen der OECD belief sich diese Stützung auf 4,4 Milliarden Franken (Vorjahr: 3,6). Die gesamte Stützung der Landwirtschaft im Jahr 2015 – also einschliesslich der Ausgaben des Bundes, die durch die Steuerzahler finanziert werden – betrug 8,2 Milliarden Franken (Vorjahr: 7,4). Die indirekte Stützung durch den Grenzschutz übersteigt also die direkte, im Bundesbudget ausgewiesene Stützung. Allerdings sind nicht die ganzen 8,2 Milliarden Franken, welche die OECD nennt, Subventionen im eigentlichen Sinn (Zahlungen ohne Gegenleistung). Ein Teil davon sind Zahlungen für effektive gemeinwirtschaftliche Leistungen sowie für Leistungen der Verwaltung. Werden diese Leistungen von der Zahl der OECD subtrahiert und die externen Kosten (als weitere indirekte Stützung) addiert, ergibt sich der Wert der Stützung ohne Gegenleistung. Diese hat sich im Jahr 2015 gegenüber dem Vorjahr von 6,8 auf 7,4 Milliarden Franken erhöht (+8,4%).

Entsprechend der Zunahme der gemeinwirtschaftlichen Leistungen erhöhte sich auch der Anteil der Leistungszahlungen im Verhältnis zu den Ausgaben des Bundes für die Landwirtschaft. Von den Direktzahlungen (2,8 Milliarden Franken) waren im Jahr 2015 48% Zahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen (im Vorjahr 43%). Innerhalb des gesamten landwirtschaftlichen Zahlungsrahmen (3,4 Milliarden Franken) waren 42% Zahlungen für gemeinwirtschaftliche Leistungen, für den ganzen Ausgabenbereich Landwirtschaft und Ernährung (3,7 Milliarden Franken) waren es 43%.Insgesamt sind aber nach wie vor mehr als die Hälfte der Ausgaben des Bundes für den Sektor Landwirtschaft verschiedene Formen von Stützung ohne Gegenleistung.

Landwirtschaft verliert, Industrie gewinnt

Die Zahlen zeigen, dass sich die reale wirtschaftliche Situation der Schweizer Landwirtschaft weiter verschlechtert hat – und dies weitgehend unbemerkt, da der Bund in seinen Zahlen nur einen Teil der wirtschaftlichen Realität der Landwirtschaft abbildet und damit einen geschönten Eindruck vermittelt. Tatsächlich ist die Wertschöpfung der Schweizer Landwirtschaft stark negativ und auch im internationalen Vergleich äusserst besorgniserregend. Dabei verschlechtert sich die Situation als Folge einer problematischen Agrarpolitik weiter. 
An einer landwirtschaftlichen Wertschöpfung im tief negativen Bereich wird sich in den nächsten Jahren ohne weitergehende Reform der Agrarpolitik nichts ändern: Die negative Wertschöpfung ist Ausdruck einer viel zu intensiv produzierenden Landwirtschaft. Ihre enorm hohen Vorleistungen beispielsweise an Maschinen, Futtermittel oder Energie verursachen deutlich höhere Kosten, als über die gesteigerte Produktionsmenge an zusätzlichen Erlösen eingenommen werden kann. 

Direkte Ursache für die überintensive Landwirtschaft und ihre wirtschaftlich katastrophale Wertschöpfungssituation sind verschiedene direkte und indirekte Produktionsanreize. Dazu gehören die Beiträge pro Kilogramm Milch, pro Hektare Zuckerrüben, pro Tonne Zucker oder pro Tonne Treibstoff, aber ebenso die Pauschalzahlungen, über die unter dem Titel „Versorgungssicherheit“ und „Kulturlandschaftsbeiträge“ jährlich rund 1,5 Milliarden Franken ausgeschüttet werden. Diese gegenüber dem Ausland 5-10 Mal höheren Beiträge schwächen die Schweizer Landwirtschaft in existenziellem Masse. Profiteure sind allein die vor- und nachgelagerten Industrien. Während die Wertschöpfung der Landwirtschaft zwischen 2014 und 2015 weiter massiv an Boden verloren hat, konnte im selben Zeitraum allein der Landwirtschaftskonzern Fenaco seinen Gewinn um 65% auf 96 Millionen Franken steigern. 

Fazit

Der Bund kommt mit seiner Methodik der landwirtschaftlichen Gesamtrechnung zu stark geschönten Resultaten was die Wirtschaftskraft der Landwirtschaft anbelangt, da er die von den Steuerzahlern und Konsumenten getragenen Preisstützungen der Wertschöpfung zurechnet. Wird diese Aufblähung korrigiert, so nahm die bereits vor einem Jahr im negativen Bereich liegende Wertschöpfung um eine weitere Milliarde ab und liegt nun bei minus 2,3 Milliarden Franken. Gleichzeitig erhöhten sich die Subventionen ohne Gegenleistung zwischen 2014 und 2015 von 6,8 auf 7,4 Milliarden Franken. 

Eine realitätsnahe, ungeschönte Einschätzung der wirtschaftlichen Situation der Landwirtschaft ist unumgänglich, um die richtigen agrarpolitischen Schlüsse zu ziehen im Hinblick auf eine wieder zukunftsfähige Landwirtschaft. 



Berechnungsgrundlagen 

Die Zahlengrundlagen sind offizielle Statistiken des Bundesamts für Statistik (BFS), des Bundesamts für Landwirtschaft (BLW) und der Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD). Für die Bewertung der gemeinwirtschaftlichen Leistungen und der externen Effekte wurden zusätzliche Quellen herangezogen. Die Methodik ist im Faktenblatt 6 von Vision Landwirtschaft detailliert beschrieben. Die wirtschaftlichen Kennzahlen 2010-2015 gehen aus einer Detail-Zusammenstellung (Siehe Excel rechte Spalte) hervor.