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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 25.8. 2016

Schweizer Milchproduktion: 160 Mio. Franken mehr Einkommen mit Weide- statt Hochleistungsstrategie

Die Milchbauern in der Schweiz leiden unter dem Milchpreiszerfall als Folge der Überproduktion. Angesichts der Fixierung auf einen besseren Milchpreis geht leicht vergessen, dass die Kostenseite für das Einkommen ebenso ausschlaggebend ist. Die in der Schweiz dominierende Hochleistungsstrategie der Milchwirtschaftsbetriebe schneidet dabei schlecht ab. Deutlich kostengünstiger ist die graslandbasierte, weideorientierte Milchproduktion. Würde ihr Potenzial konsequenter genutzt, könnten die Produzenten mindestens 160 Millionen Franken mehr verdienen – bei gleichzeitig deutlich besserer Ökobilanz, einer Entlastung des Milchmarktes und höherem Tierwohl. Dies zeigen Zahlen des neuesten Faktenblattes von Vision Landwirtschaft. 

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(VL) Studien zeigten in den letzten Jahren wiederholt, dass sich Einkommen und Stundenlöhne auf Schweizer Milchwirtschaftsbetrieben durch eine Reduktion der Produktionskosten wesentlich verbessern lassen. Ein grosses Potenzial besteht in der Reduktion des Kraftfuttereinsatzes in Kombination mit einer weideorientierten Haltung anstelle der Stallfütterung. 

Dass die Weidehaltung wirtschaftlich günstiger ist als die Stallhaltung, ist eigentlich naheliegend. Vollkostenrechnungen wie diejenige aus dem luzernischen "Systemvergleich Milchproduktion Hohenrain" zeigen detailliert auf, welche Faktoren dazu beitragen. Die Weidehaltung erfordert keine aufwändige Futterernte und -Konservierung, die oft durch Lohnunternehmen ausgeführt wird (12 Rp./kg Milch). Sie verringert die eigenen Maschinenkosten um 4 Rp./kg Milch und reduziert den Arbeitsaufwand für die Fütterung. Zudem fallen durch den weitgehenden oder vollständigen Verzicht auf Kraftfutter weitere Kosten weg (7 bis 10 Rp./kg Milch). Ein vollständiger Verzicht von Kraftfutter ist dann möglich, wenn die Tiergenetik und das Weidemanagement auf die Weidehaltung abgestimmt sind. 
Aufgrund der betrieblichen Voraussetzungen ist eine konsequente Weidehaltung nach Einschätzung von Experten bei etwas mehr als einem Viertel des Schweizer Milchviehbestandes realisierbar. Der Grossteil der Milchbetriebe in der Schweiz setzt dennoch auf eine Hochleistungsstrategie mit Stallhaltung und wesentlichem Kraftfuttereinsatz. Im neuesten Faktenblatt hat Vision Landwirtschaft die Einkommensverbesserungspotenziale und die wichtigsten Umweltwirkungen untersucht, welche aus einer Umstellung auf weidebetonte Haltung in Kombination mit einem weitgehenden Verzicht auf Kraftfutter resultieren. Basis der Berechnungen bilden Studien, welche verschiedene Milchproduktionsstrategien empirisch miteinander verglichen.

Über 1000 Franken pro Kuh und Jahr mehr Einkommen

Das Einkommen aus der Milchproduktion würde sich gemäss den Berechnungen beim gegenwärtigen Milchpreis jährlich um über 160 Millionen Franken erhöhen. Für einen durchschnittlichen Betrieb mit 22 Kühen sind dies 24‘000 Franken pro Jahr. Zu erwartende positive Auswirkungen der geringeren Produktionsmengen auf den Milchpreis sind dabei noch nicht berücksichtigt, ebenso wenig weitere Kostenreduktionspotenziale. 

Diese attraktiven ökonomischen Perspektiven gehen zugleich mit wesentlichen ökologischen Vorteilen und einem verbesserten Tierwohl einher. So liessen sich die aus ökologischer wie ethischer Sicht problematischen Kraftfutterimporte um 120‘000 Tonnen jährlich reduzieren, das sind über 10% des in die Schweiz importieren Kraftfutters. Gleichzeitig könnte der Stickstoffüberschuss der Schweizer Landwirtschaft, der weltweit zu den höchsten gehört, um jährlich 2‘500 Tonnen reduziert werden, was rund 10% der gegenwärtigen Ziellücke beim Umweltziel Stickstoff des Bundes entspricht. Die Abnahme der Milchproduktion um 316‘000 Tonnen oder 8% würde einen wesentlichen Beitrag zur Entlastung des Milchmarktes leisten.

Fehlanreize der Agrarpolitik

Dass die Vollweidestrategie und weitere, hier nicht untersuchte Optimierungspotenziale in der Schweizer Milchproduktion bisher kaum genutzt werden, liegt zu einem guten Teil an den Fehlanreizen der Agrarpolitik. Die Agrarpolitik begünstigt die Stallhaltung und den Kraftfuttereinsatz mit verschiedenen Beiträgen. So werden Finanzhilfen oft nur für überdimensionierte Stallbauten gewährt, für welche die eigene Futterfläche gar nicht ausreicht. Als Folge davon werden Futterzukäufe unumgänglich. Besonders problematisch sind auch die mengenabhängigen Subventionen. Mit den Verkäsungszulagen und Exportbeiträgen zahlt der Bund im Mittel für jedes zusätzliche Kilogramm Milch, das abgeliefert wird, 10 Rappen. Damit wird die Überproduktion direkt angeheizt. Aber auch ein Teil der Direktzahlungen – rund 15 Rappen pro Liter Milch – begünstigen direkt oder indirekt die Stallhaltung gegenüber der Weidehaltung. Zu nennen sind hier etwa die Beiträge für den Anbau von Mais und Futtergetreide. Wirksam Gegensteuer hätte das neue Programm für Graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion (GMF) geben können. Es ist jedoch derart verwässert worden, dass es die Fehlentwicklungen eher weiter festigt als zur Lösung beiträgt.

Viele wollen an den Milchbauern mitverdienen

Einer stärkeren Verbreitung der konsequenten Weidehaltung wirken aber auch kräftige Interessen der vorgelagerten Industrie entgegen. Kostensparende Produktionsweisen in der Landwirtschaft bedeuten tiefere Umsätze bei den Zulieferfirmen. Die landwirtschaftlichen Medien sind voll von Artikeln und Inseraten, welche die Hochleistungsstrategie und implizit die mit ihr verbundenen Investitionen als den Weg der Zukunft anpreisen. Auch in der Ausbildung und Beratung steht die Hochleistungsstrategie nach wie vor hoch im Kurs. Landwirte, die erfolgreich andere Wege einschlagen, sind bis heute Aussenseiter, die in den bäuerlichen Medien, Verbänden und Schulen kaum wahrgenommen werden.

Nicht auf eine bessere Agrarpolitik warten

Die Schweizer Milchbauern stecken als Folge des Zerfalls der Milchpreise in einer tiefen Krise. Diese wird wesentlich mitbeeinflusst durch tiefe Milchpreise in der EU und durch den nachgelagerten Handel, welcher seine Margen auf Kosten der Produzenten hochhalten kann. Die wichtigste Ursache des Preiszerfalls liegt aber in der Überproduktion. An der Überproduktion wiederum hat die Agrarpolitik einen bedeutenden Anteil. Eine Agrarpolitik, die wie heute mit verschiedenen Anreizen die Mehrproduktion fördert, ist ökonomisch und ökologisch widersinnig und nützt höchstens den vor- und nachgelagerten Branchen. 

Dass sich die Politik bei der gegenwärtigen Konstellation im Parlament zu einer Behebung der Fehlanreize bewegen lässt, erscheint vorläufig unwahrscheinlich. Doch um sich auf die eigenen Ressourcen und die Stärken des Graslandes Schweiz zu besinnen und vermehrt auf Weidehaltung und eine graslandbasierte, weideorientierte Produktion zu setzen, brauchen die Milchbetriebe zum Glück die Politik nicht. Denn eine grasland- und weideorientierte Strategie verhilft unabhängig von der Politik und vom Markt zu besseren Einkommen und ergibt als positiven Nebeneffekt erst noch eine viel bessere ökologische und ethologische Leistungsbilanz. Kommt dazu, dass Milch, die auf der Basis von Grasfütterung produziert wurde, u.a. dank der anderen Fettsäuren-Zusammensetzung höherwertig und gesünder ist als Milch, für deren Produktion leistungssteigerndes Kraftfutter eingesetzt wird. Auch dieser Vorteil könnte in Zukunft offensiv in Wert gesetzt werden. Mit der Erarbeitung von Lösungsperspektiven und über Gespräche mit Branchenvertretern will Vision Landwirtschaft aktiv zu einer Bewältigung der Milchkrise beitragen. Denn die gegenwärtige Krise beinhaltet auch die Chance, dass sich die Milchbetriebe der eigenen Gestaltungsmöglichkeiten bewusst werden und sich auf die eigenen Potenziale und Stärken besinnen können. Das Grasland Schweiz erlaubt eine tiergerechte, naturgemässe, gesunde Milchproduktion, die weltweit ihresgleichen sucht. Diese Qualitäten auszubauen und engagiert in Wert zu setzen dürfte der wichtigste Schlüssel für eine attraktive Zukunft der Schweizer Milchproduktion sein.

Zur Studie von Vision Landwirtschaft (Faktenblatt Nr. 7)