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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 1.6. 2013

Verordnungsentwürfe Agrarpolitik 2014-17: Inakzeptable Verwässerungen über die Hintertür

Die Verordnungen, zu denen die Anhörung Ende Juni 2013 abläuft, bringen zwar viele Verbesserungen gegenüber heute, halten insgesamt aber nicht, was die bundesrätliche Botschaft und auf deren Basis das Parlament versprochen haben. Verlierer sind das Berggebiet, die Umwelt, die Wertschöpfung und das Einkommen der Landwirtschaft. Vision Landwirtschaft fordert substantielle Korrekturen. Die AP 2014-17 mit einem Referendum zu bekämpfen, lehnen wir aber trotz unserer Kritik entschieden ab.

(VL) Das Positive vorweg: Ein Grossteil der Verordnungen, wie sie das Bundesamt für Landwirtschaft (BLW) im vergangenen April in die Anhörung gab, bringt wesentliche Verbesserungen gegenüber heute und entspricht einer Umsetzung der Entscheide des Parlamentes. 

Doch es gibt zahlreiche Ausnahmen, und diese führen insgesamt zu einer starken Verwässerung der bundesrätlichen Botschaft und der vom Parlament grossmehrheitlich geforderten besseren Ziel- und Leistungsorientierung der Direktzahlungen. Das widerspricht den parlamentarischen Entscheiden. 

Keine Kürzung der Beitragsansätze bei den Leistungsprogrammen! 

Gemäss dem vorliegenden Anhörungsentwurf zu den Verordnungen wird ein Grossteil der leistungsbezogenen Beitragshöhen gegenüber der Botschaft des Bundesrates zusammengestrichen – teilweise um mehr als die Hälfte (>> Details hier). Insbesondere für die ökologischen Ausgleichflächen – neu Biodiversitätsflächen genannt – gehen die Beiträge zurück, und zwar nicht nur gegenüber der Botschaft, sondern auch gegenüber heute. Von einer Ökologisierungsvorlage kann also in keiner Weise die Rede sein.

Besonders stossend sind auch die Kürzungen bei den Landschaftsqualitätsbeiträgen und bei den Beiträgen für das neue Programm der Graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion (GMF). Für die Landschaftsqualität sollen pro Betrieb im Extremfall weniger als ein Drittel der ursprünglich vorgesehenen Beiträge möglich sein. Auch die GMF-Beiträge, welche die qualitativ hochwertige Milchproduktion unterstützen und den problematischen und teuren Einsatz von – vor allem importiertem – Kraftfutter einschränken, sollen so stark gekürzt werden, dass sie schlicht nicht mehr attraktiv sind.

Gemäss Auskünften des federführenden Bundesamtes für Landwirtschaft BLW gehen die Beitragskürzungen auf eine vom Amt erwartete höhere Nachfrage zurück. Warum gegenüber den aufwändigen Modellierungen, welche der Botschaft zugrunde lagen, nun plötzlich von einer viel höheren Nachfrage bei den Leistungsprogrammen ausgegangen werden soll, bleibt im Dunkeln. 

Höhere Nachfrage wäre im Sinne der Reform

Sollte die Nachfrage tatsächlich grösser sein als erwartet, d.h. ist die Bereitschaft der Landwirte grösser, ihre Bewirtschaftung im Sinne der agrarpolitischen Ziele anzupassen und die Leistungsprogramme zu nutzen, ist dies vollumfänglich im Sinne der Reform und positiv zu werten. Entsprechend sind die dafür zusätzlich nötigen Mittel zur Verfügung zu stellen. Dies entspricht auch dem Auftrag des Parlamentes, die Direktzahlungen zielgerichtet umzulagern. 

Tausende von Betrieben haben mit den im Rahmen der Botschaft publizierten Beitragshöhen der einzelnen Direktzahlungskategorien die Auswirkungen auf ihren Betrieb berechnet oder berechnen lassen und daraus ihren Anpassungsbedarf hergeleitet. Es geht nicht an, dass diese Beitragshöhen nun ohne Not und ohne fundierte Begründung gekürzt werden. Wie das Beispiel im Kästchen zeigt, verlieren dadurch einerseits das Berggebiet hohe Summen an Direktzahlungen, andererseits werden diejenigen Betriebe, welche bereit sind, die angestrebten Leistungen zu erbringen, benachteiligt. Auch sie verlieren gegenüber dem Konzept der Botschaft markant Direktzahlungen. 

Pauschalzahlungen bleiben unangetastet

Der einzige Zielbereich, in welchem derzeit keinerlei Ziellücken bestehen und welchem trotzdem – ohne nachvollziehbare Begründung – bereits in der Botschaft weitaus am meisten Mittel zugesprochen wurden, ist die Versorgungssicherheit (VS). Die VS-Beiträge sind von vielen Seiten wiederholt als kontraproduktive und ineffiziente Pauschalzahlungen kritisiert worden, die nachweislich wenig mit Versorgungssicherheit zu tun haben oder diese sogar schwächen. Die VS-Beiträge lassen sich damit auch nicht mit dem Reformziel und dem Verfassungsauftrag vereinbaren. 

Sollte sich eine erhöhte Nachfrage für leistungsorientierten Zahlungen zeigen, sind deshalb in erster Linie die Versorgungssicherheitsbeiträge entsprechend zu kürzen. Dabei genügen bereits geringe Kürzungen der vorgesehenen Hektarbeiträge, um die nötigen zusätzlichen Mittel bereitstellen zu können. 

Leistungsbeiträge vollumfänglich wieder auf Botschaftsniveau heben

Vision Landwirtschaft fordert deshalb zusammen mit zahlreichen weiteren Organisationen, dass die Beitragssätze aller leistungsbezogenen Direktzahlungsprogramme im Minimum wieder auf das Niveau der Botschaft korrigiert werden (>> Details hier). Die bei einer erhöhten Nachfrage allenfalls zusätzlich notwendigen Mittel sind durch einen Puffer von 200 Mio. Franken aus den Versorgungssicherheitsbeträgen zu finanzieren. 

Dies liegt auch deshalb nahe, weil während der Erarbeitung der Botschaft auf Druck der vorgelagerten Stufen die Versorgungssicherheitsbeiträge laufend erhöht wurden – insgesamt letztlich mehr als verdoppelt. Zudem hat das Parlament den Zahlungsrahmen pauschal bewilligt. Es läge also in der Kompetenz des BLW, die einzelnen Direktzahlungs-Budgetposten im Sinne einer zielorientierten Reform bzw. gemäss der Nachfrage nach Leistungsprogrammen anzupassen. Es gibt keinerlei protokollierte Aussagen aus der parlamentarischen Debatte, aus denen geschlossen werden könnte, dass die Höhe der Mittel für die Versorgungssicherheitsbeiträge beibehalten werden soll, im Gegenteil.

Vorgelagerte Industrie als Gewinnerin

Die Verwässerung der Reform quasi "auf dem Verordnungsweg" ist nicht Zufall, sondern geht auf den permanenten Druck reformkritischer Kreise zurück, die am System der Produktionsstützung festhalten wollen. 

Der grosse Profiteur der bisherigen Agrarpolitik war der vorgelagerte Sektor, also all diejenigen Unternehmen, welche die Bauernbetriebe mit Futtermitteln, Dünger, Pestiziden, Maschinen oder Krediten beliefern. Die Pauschalzahlungen der bisherigen Agrarpolitik haben zur absurden Situation geführt, dass heute die Bauern über die Produktion von Nahrungsmitteln schlicht nichts mehr verdienen. Jeden Franken, den sie einnehmen, geben sie als Folge einer immer intensiveren und teureren Produktion gleich weiter an die weit verzweigte vorgelagerte Stufe. Das konnte nur deshalb so weit kommen, weil ihnen das Einkommen über die pauschalen Direktzahlungen sichergestellt wird. Heute entspricht das durchschnittliche Einkommen in der Landwirtschaft ziemlich genau noch den Direktzahlungen. Die marktliche Wertschöpfung der Landwirtschaft ist damit, trotz eines hoch geschützten Marktes, heute praktisch bei Null.

Mehr Wertschöpfung unumgänglich

An diesem unerfreulichen Zustand sollte die Reform gemäss Botschaft des Bundesrates wenigstens moderat etwas verbessern. Die Wertschöpfung und damit das Einkommen der Landwirte hätte um über 100 Millionen Franken pro Jahr zunehmen sollen. 

Die Anreize für die bisher oft (zu) intensive und nicht mehr standortegerechte Produktion fallen teilweise weg. Dadurch sinken die hohen Produktionskosten, verursacht durch zu viele teure Importe an Energie, Futtermitteln, Pestiziden etc. Zwar nimmt bei geringeren Inputs in die Produktion auch die Produktionsmenge leicht ab, aber weniger stark als die Kosten. Dank geringerer Importe wird unter dem Strich weiterhin gleich viel produziert wie heute (Netto-Produktion), nur kostengünstiger und umweltfreundlicher.

Diese in der Botschaft versprochene positive Wirkung wird nur erreicht werden können, wenn die Verordnungen substanziell angepasst werden. 



Auswirkungen der reduzierten Beitragssätze am Beispiel eines ressourcenschonend wirtschaftenden Betriebes im Berggebiet


Für einen 20 ha-Milchbetrieb im Berggebiet mit 8 ha Ökoflächen (4 ha wenig intensiv genutzte Wiese, 4 ha extensive Wiese) machen die Anpassungen im Verordnungsentwurf ohne Berücksichtigung von Tierbeiträgen bis zu 3'700 Fr. Mindereinnahmen aus (wobei die in der Anhörungsunterlage neu vorgeschlagene Deckelung der Landschafsqualitätsbeiträge pro Kanton noch nicht einbezogen ist). Die höchsten Einbussen verursacht der reduzierte Beitrag bei der graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion. Bei folgender angenommenen Nutzungsweise sind es 3400 Franken Mindereinnahmen:

1.1    Offenhaltungsbeitrag (Fr./Jahr) -20*20 = -400
 
3.1.1    Qualitätsbeitrag extensive Wiese -4*200 = -800
 
3.1.2    Qualitätsbeitrag wenig intensiv genutzte Wiese -4*50 = -200
 
5.3   Beitrag für graslandbasierte Milch- und Fleischproduktion -20*100 = -2'000
 
    Total Fr./J. -3'400*

* Sofern die neu vorgeschlagene Deckelung der Landschaftsqualitätsbeiträge pro Kanton greift, kämen weitere potenzielle Mindereinnahmen von bis zu 5'600 Fr. jährlich dazu, insgesamt also Mindereinnahmen für den betreffenden Betrieb bis 9'000 Fr./Jahr.