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NEWSLETTER / 13.6. 2021

Wandel im Agrar- und Ernährungssystem, Wandel bei Vision Landwirtschaft

Wandel im Agrar- und Ernährungssystem, Wandel bei Vision Landwirtschaft

Eine historische Auseinandersetzung um die Zukunft unserer Land- und Ernährungswirtschaft nimmt heute einen vorläufigen Abschluss. Das Abstimmungswochenende ist aber auch aus einem zweiten Grund historisch: Eine Bürgerin, eine Frau ohne jegliche Verbindung zur Landwirtschaftsszene, hat es gewagt, mit einer eigenen Initiative an den Grundfesten des seit 20 Jahren praktisch festgefahrenen Agrarsystems zu rütteln. Für die mächtigen Herren der etablierten Agrarkreise und die verbandelten Profiteure aus der Agrarindustrie war Franziska Herren mit der Volksbewegung, die sie auslöste, eine unerhörte Provokation. Entsprechend unerbittlich war die 2xNein-Mobilisierung all der Institutionen, die für das Versagen der Agrarpolitik eigentlich die Verantwortung tragen müssten. 

Mit diesem Wochenende ist klar: Ein grosser Teil der Bevölkerung hat genug von Pestiziden im Grundwasser, in den Böden, überall in den Ökosystemen und in unserem Körper; hat genug von der überintensiven Tierhaltung und einer Landwirtschaft, die ihre eigenen Lebensgrundlagen mit Milliardensubventionen zerstört. Mit dem Nein zu den Initiativen bleiben diese Probleme vorläufig allerdings weiterhin ungelöst.

Auch unter Bäuerinnen und Bauern gibt es einen grossen schweigenden Teil, für den es keine Frage ist, dass es eine Umkehr aus der Sackgasse braucht, in welche die Landwirtschaft und Agrarpolitik geraten ist. Sie erwarten, dass die Ursachen der Fehlanreize bekämpft werden, dass sie nicht ständig als Umweltsünder angeklagt werden, sondern dass die endlose, erfolglose Pflästerlipolitik von Parlament und Verwaltung endlich durch wirksame Reformen ersetzt wird.

Der konkrete Wandel beginnt im Stillen

Viele Bäuerinnen und Bauern sagten mir im Gespräch: "Was die Initiativen wollen, das wollen wir auch". Aber es war in den verfahrenen, immer konfrontativer geführten Diskussionen für viele nicht mehr möglich, für die Initiativen einzustehen. Viele äusserten zudem Zweifel über den von den Initiativen vorgegebenen Weg, bekannten sich aber explizit zum Ziel. Das ist bedeutsam für die Zeit danach.

Kaum eine Volksinitiative hat über so viele Jahre so viel Aufmerksamkeit in der Landwirtschaft, in der Bevölkerung und bei den Medien auf sich gezogen; hat so viel Bewusstsein geschaffen zu bisher kaum bekannten Fakten und Zusammenhängen; hat einen dermassen grossen Handlungsdruck erzeugt wie die Trinkwasserinitiative. Offensichtlich hat das Duo von TWI und Pestizidinitiative ins Schwarze getroffen. Es hat gravierende Probleme aufs Tapet gebracht, welche die Politik während Jahrzehnten unter den Tisch gekehrt hat.

Im Stillen hat sich, quasi im Windschatten der Initiativen, durch diesen Bewusstseinsprozess enorm viel Positives entwickelt. Das Bewusstsein auf den Bauernhöfen, bei den Konsumentinnen und Konsumenten ist durch die ständig präsenten Diskussionen um die (fehlende) Nachhaltigkeit der Land- und Ernährungswirtschaft ein anderes geworden. Weit über ein Dutzend neue Gruppierungen sind entstanden, die sich auch nach dem Abstimmungswochenende einer nachhaltigen Land- und Ernährungswirtschaft annehmen werden. In unzähligen Projekten und Initiativen bläst heute ein neuer, frischer Wind.

Jeder Wandel beginnt zunächst im Unscheinbaren. Es gilt jetzt, diese vielen positiven Energien, denen die Initiativen Mut machten und Inspiration gaben, zu stärken, zu bündeln, sie zu unterstützen, damit sie zum Beginn einer enkeltauglichen Zukunft werden können. Ich bin überzeugt, auf diesem konstruktiven, konkreten Weg werden die Gräben, welche der verbitterte, oft extrem unsachlich geführte Widerstand gegen die Initiativen aufgerissen haben, bald kein Thema mehr sein.

Wandel auch bei Vision Landwirtschaft

Vision Landwirtschaft hat sich bei den öffentlichen und politischen Auseinandersetzungen um die Initiativen stark engagiert. Die Initiativen waren für uns ein ebenso zentrales wie wirksames Vehikel, um den Wandel des Landwirtschafts- und Ernährungssystems weiter voranzubringen. Unzählige Medienartikel haben wir angeregt, phasenweise wurden wir täglich von Medien kontaktiert und um Hintergrundinformationen, Kontakte, Ideen oder Einschätzungen gebeten. Dem TWI-Initiativkomitee standen wir mit fachlichem Rat, mit Recherchen, Auskünften und Medienarbeit intensiv zur Seite.

Mit diesem Engagement, das Geschäftsstelle und Vorstand oft bis an die Grenzen gefordert hat, geht für mich bei Vision Landwirtschaft eine bewegte, enorm spannende Zeit zu Ende. Nach langer Vorbereitungsarbeit gebe ich das Zepter der Geschäftsführung am Abstimmungssonntag an meine Nachfolger weiter. Mirjam Halter wird nun die Leitung der Geschäftsstelle übernehmen, unterstützt wird sie weiterhin von Ralph Hablützel, Andrea Hablützel und Edith Häusler.

Bei allen Newsletter-LesernInnen, vor allem aber natürlich bei den Mitgliedern, bei den Sponsoren, bei den vielen Medienschaffenden, den Partnerorganisationen, bei unzähligen Bäuerinnen und Bauern, mit denen wir im regen Austausch standen - ihnen allen möchte ich für die inspirierende, offene und intensive Zusammenarbeit herzlich danken. Ich selber werde mich in anderen Zusammenhängen weiterhin für den Wandel einsetzen und freue mich, mit vielen engagierten Kräften weiterhin im Austausch stehen zu dürfen.


Andreas Bosshard

Mitbegründer von Vision Landwirtschaft und langjähriger Geschäftsführer


Andreas Bosshard - ein „Animale agronomique“ übergibt das Zepter 

Es gibt sie in der Politik, in der Forschung, in der Kunst, in der Wirtschaft etc. die ausgewöhnlichen Persönlichkeiten. Ihr Tun prägt. Es sind Charakterköpfe. Sie wollen verändern, sind kritisch, unbequem, hartnäckig und ecken da und dort an, polarisieren und dienen als Projektionsfläche. Ein solcher Charakterkopf ist auch Andreas Bosshard. Er war die treibende Kraft bei der Gründung von Vision Landwirtschaft und der Veröffentlichung des Weissbuchs Landwirtschaft Schweiz. Als mutiger Vordenker hatte er eine klare Vision: Er wollte mit einer unabhängigen Kraft und ähnlich Denkenden die verkrustete Schweizer Landwirtschaft reformieren. Seine Mission war und ist: Die Schweizer Landwirtschaft muss neue Wege beschreiten. Er ist der Analytiker, der Ideenlieferant, der Hartnäckige, der Aufmüpfige, der unermüdliche und effiziente Chrampfer der überzeugt ist, dass neue Wege für die Landwirtschaft möglich sind. Andreas war seit der Gründung des Vereins Vision Landwirtschaft  im Jahr 2007 das Gesicht unserer Denkwerkstatt. Dank Andreas hat sich Vision Landwirtschaft zur breit anerkannten, durchaus auch mächtigen Reformkraft in der Schweizer Landwirtschaftsszene entwickelt.

Nach 15 Jahren unermüdlicher Schaffenskraft und nach reiflicher Überlegung hat Andreas Bosshard entschieden, sich aus der Geschäftsstelle von Vision Landwirtschaft zurückzuziehen und seine vielfältige berufliche Tätigkeit und sein Engagement für eine enkeltaugliche Landwirtschaft neu auszurichten. Die Geschäftsstelle von Vision Landwirtschaft wird neu von der bisherigen Stellvertreterin von Andreas Bosshard, Mirjam Halter, geleitet. Durch den Weggang von Andreas verliert Vision Landwirtschaft eine sehr starke, umtriebige Persönlichkeit, einen wichtigen Ideengeber und den zentralen Networker.

Andreas, wir ziehen den Hut vor dir, dein Mut und dein Engagement für Vision Landwirtschaft und für die Schweizer Landwirtschaft sind aussergewöhnlich. Wir danken dir von ganzem Herzen für deine jahrelange, unermüdliche und erfolgreiche Tätigkeit bei Vision Landwirtschaft. Deine Leistungen und Verdienste verdienen höchste Wertschätzung und Anerkennung.
 
Markus Jenny
Präsident Vision Landwirtschaft