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11.4. 2022

Kunstdüngerwirtschaft in der Sackgasse

Kunstdüngerwirtschaft in der Sackgasse

(VL) Die Schweiz lagert im Auftrag des Bundesamtes für wirtschaftliche Landesversorgung (BWL) 17’000 Tonnen importierten Stickstoffdünger in Pflichtlagern. Gleichzeitig müssen Landwirt:innen aus der Zentralschweiz, die wegen zu hohen Tierbeständen Hofdünger-Überschüsse haben, Hofdünger in andere Kantone oder sogar ins Ausland exportieren (s. Agrarbericht 2021, Hoduflu Datenauswertung).

Da stellt sich die Frage, ob es eine Option für die Schweizer Landwirtschaft wäre, wenn Betriebe vermehrt anstatt importiertem Kunstdünger tierischen Hofdünger wie Mist und Gülle einsetzen würden? Aus Sicht der Klima- und Umweltperspektive ist eines klar: Zuviel Dünger, ob Hofdünger oder Kunstdünger, schädigt die Umwelt massiv, was in der Schweiz seit Jahren der Fall ist. Um die natürlichen Ressourcen Wasser, Boden, Luft und Biodiversität zu schützen, muss die Düngermenge in der Landwirtschaft reduziert werden.

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Zu viel Dünger schadet der Umwelt und bringt kaum Mehrerträge

Eine Studie der ETH (ETH News 2020/11) zeigt auf, dass mit extrem hohen Düngemengen nur wenig mehr Ertrag herausgeholt werden kann. Die ETH-Forscher David Wüpper und Robert Finger von der Professur für Agrarökonomie und ‑Politik kommen zum Schluss, dass die Düngung in vielen Ländern verringert werden könnte, ohne dass die Erträge markant einbrechen würden. Es stellt sich also die Frage, wo das Optimum unter ganzheitlicher Systembetrachtung liegt (Erträge, Kosten/Nutzen, Umweltschädigung), ob es Optimierungen beim Einsatz von verschiedenen Düngertypen gibt und wo die Vor- und Nachteile bei Alternativen für Kunstdünger liegen?

Vor- und Nachteile von Kunst- und Hofdünger

Kunstdünger sind mineralische Düngemittel, die in der Schweiz primär im Ackerbau verwendet werden. Der Vorteil von Kunstdünger ist, dass er sehr gezielt eingesetzt werden kann und von den Pflanzen schnell aufgenommen wird. Der Nachteil von Kunstdünger: Die Herstellung von Kunstdüngern verbraucht grosse Mengen an Energie für die Stickstoffherstellung, beutet endliche fossile Lagerstätten aus für die Phosphor-Gewinnung, zerstört Landschaften und verschmutzt Gewässer. Pro Tonne produziertem Ammoniak werden zwei Tonnen klimaschädliches Kohlenstoffdioxid freigesetzt.

Das Verfahren zum Synthetisieren von Stickstoffverbindungen aus Luftstickstoff ist so energieintensiv, dass es sich wirtschaftlich nur bei extrem günstigen Energiepreisen lohnt. Wenn also die Energiekosten durch Krisensituationen steigen oder Importe erschwert sind, steigen die Preise von Kunstdünger massiv und die Verfügbarkeit sinkt. Umgekehrt sind Hofdünger wie Gülle und Mist in der Schweiz wegen der zu intensiven Tierhaltung im Überfluss vorhanden. Der Nachteil von Hofdünger ist, dass die Nährstoff-Zusammensetzung sehr stark variiert, ein Teil der Nährstoffe für Pflanzen nicht direkt verfügbar ist, und eine zeitlich präzise Düngung von Ackerkulturen erschwert ist. Hinzu kommt, dass Hofdünger bei falscher Lagerung und Ausbringung die Umwelt stark belastet. Viele Landwirt:innen klagen auch über zunehmende Schwierigkeiten bei der Ausbringung von Hofdünger, wenn - wie im letzten Sommer - Dauerregen und Überschwemmungen angesagt sind. Auch lange Trockenperioden machen die Hofdüngerausbringung schwierig, und die extremen Wettersituationen werden mit der Klimakrise weiter zunehmen. Wohin mit dem Hofdünger in solchen Situationen, wenn die Lagerkapazität auf dem Hof erreicht ist? Viele Landwirt:innen sind damit überfordert und es braucht Unterstützung und Beratung in der Praxis.

Ersatz von Kunstdünger durch Hofdünger bedingt Systemanpassungen

Weil Kunstdünger in der Handhabung und hinsichtlich Wirkung viel einfacher sind, setzen viele Acker- und Gemüsebaubetriebe vor allem Kunstdünger ein. Denn Acker- und Gemüsekulturen lassen sich mit Kunstdünger einfacher und präziser düngen. Dies mindert das Risiko von Ertragsreduktionen. Zudem ist vielfach das Know-how nicht mehr vorhanden, um ein effektives und umweltschonendes Hofdüngermanagement umzusetzen. Eine Umstellung von Kunstdünger auf Hofdünger ist anspruchsvoll und setzt eine fachkundige Beratung voraus. Es braucht dazu u.a. eine Anpassung der Fruchtfolge (mehr verschiedene Kulturen und Kunstwiesenanbau) und ein Anbau von Leguminosen. Um den Stickstoff für die Pflanzen verfügbar zu machen, braucht es zudem eine lebendige, vielfältige Bodenfauna (u.a. Regenwürmer, Mikroorganismen), die den Stickstoff mineralisieren und damit freisetzen. Ein solches System zu entwickeln, braucht Zeit, Wissen und Erfahrung. Dass das aber möglich ist, beweisen viele Betriebe schon heute, z.B. Biobetriebe oder Betriebe, die konservierende oder regenerative Landwirtschaft betreiben. Diese Betriebe erwirtschaften auch mit Hofdünger stabile Erträge. In der Schweiz wäre ein weiterer Hebel für eine Umstellung das Subventionssystem, das heute starke Anreize für hohe Erträge setzt und Umweltbelastungen durch Überdüngung in Kauf nimmt – auch weit über die gesetzlichen Grenzwerte hinaus.

Ernährungssicherheit ohne Kunstdünger?

Die zentrale Frage bleibt: Können wir die heutige Ernährungssicherheit mit deutlich weniger Kunstdünger gewährleisten? Über kurz oder lang kommen wir nicht darum herum, den Einsatz von Kunstdünger – aber auch Hofdünger – massiv zu verringern. Denn die Herstellung und Beschaffung von importiertem Kunstdünger ist unter Krisenzeiten ein grosses Risiko. Wir kommen also nicht darum herum, unseren Ackerbau auf innovative Anbausysteme umzustellen und natürliche Kreisläufe und Dienstleistungen der Natur intelligenter zu nutzen. Das vorhandene Wissen muss noch breiter Eingang in die Praxis finden. Fachleute sind der Meinung, dass es möglich sein sollte, auch ohne Kunstdünger und durch eine effizientere Nutzung von Hofdünger (moderne Lager‑, Ausbring- und Aufbereitungstechnik) gute bis hohe Erträge erzielen zu können. Entscheidend in diesem Zusammenhang ist auch, dass ein Wandel im Ackerbau in direktem Zusammenhang mit unserem Ernährungsverhalten steht. Wenn wir unsere Ernährung verstärkt von tierischer auf pflanzliche umstellen, bietet das viel mehr Spielraum für die Entwicklung nachhaltiger und standortangepasster Anbausysteme. Zudem würden dadurch die schädlichen Auswirkungen auf die Umwelt massiv reduziert, wir würden deutlich weniger abhängig von Importen und unsere Landwirtschaft damit krisenresistenter und versorgungssicherer.