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VISION LANDWIRTSCHAFT / NEWSLETTER 17.11. 2014

Blick nach Vorne statt Jammertal

Kaum liegen die ersten Direktzahlungsabrechnungen der Landwirtschaftsbetriebe vor, werden sie gleich für politische Zwecke instrumentalisiert. Mit irreführenden Zahlen von Einzelfällen wollen einige bäuerliche Kreise zeigen, wie "katastrophal" sich das neue Direktzahlungssystem auswirke. Doch eine seriöse Übersicht wird nicht vor Anfangs Februar 2015 vorliegen. Was es jetzt braucht ist nicht eine Neulancierung des politischen Seilziehens, sondern ein konstruktiver Blick nach vorne. Im Zentrum muss die Unterstützung der Bauern und Bäuerinnen bei der Umsetzung der neuen Programme stehen. Denn sie sind es, die eine nachhaltigere, wirtschaftlichere Landwirtschaft erst möglich machen.

Die ersten, provisorischen Abrechnungen verleiten zu weitreichenden Schlüssen. Doch um die tatsächlichen Auswirkungen der neuen Agrarpolitik AP 2014-17 auf die Landwirtschaftsbetriebe seriös zu beurteilen ist es schlicht zu früh. Von einzelnen, teilweise masslos aufgebauschten Verlierern auf die ganze Landwirtschaft zu schliessen ist billiger Populismus. Es wird voraussichtlich bis Februar dauern, bis Seitens der Kantone und des Bundes detaillierte und verlässliche Zahlen vorliegen, welche Regionen, welche Betriebstypen, welche Produktionsrichtung eher profitierte und welche eher Einbussen hinnehmen mussten.

Was kann derzeit mit Sicherheit gesagt werden?

  • Gewinner und Verlierer halten sich die Waagschale. Denn die Höhe der Direktzahlungen bleibt mit 2,8 Mrd. Franken insgesamt gleich.
  • Wer sich bewegt, hat vielfältige und sinnvolle Möglichkeiten, um mögliche Verluste mit den neuen Programmen der Direktzahlungen auszugleichen oder gar überzukompensieren. Das haben Analysen von Betrieben mit schwieriger Ausgangslage gezeigt
  • (siehe Faktenblatt Nr. 4)
  • Die Betriebe sind beweglicher als der Bund erwartet hat. Die Teilnahme an den neuen Programmen übertrifft die Prognosen teils beträchtlich, wie die neuesten Zahlen zeigen. Dies spricht für die pragmatische, positive Haltung der Mehrheit der Landwirtschaftsbetriebe. 
  • Das Einkommen der Landwirtschaft hängt keineswegs nur von den Direktzahlungen ab. Das grösste Potenzial zur Verbesserung des landwirtschaftlichen Einkommens liegt in der Reduktion der derzeit in der Schweiz viel zu hohen Produktionskosten und einer ressourceneffizienteren Produktion. Die Anreize des neuen Direktzahlungssystems helfen mit, diese Potenziale besser zu nutzen. Dies hilft auch der Umwelt, weil die meisten der teuer eingekauften Vorleistungen der Landwirtschaft der Umwelt schaden (z.B. Kraftfuttereinsatz) .
  • Die vom Schweizer Bauernverband und seinen Medienportalen genannten Beispielbetriebe, die gravierend verlieren sollen, haben mit Sicherheit die Möglichkeiten nicht ausschöpft, die ihnen das neue System zur Verbesserung des Einkommens bietet. An solchen Betrieben die neue Agrarpolitik zu messen ist unseriös und kontraproduktiv (s. Kästchen).
Was es jetzt braucht ist der positive Blick nach vorne. Die zentrale Frage ist dabei: Wie können die Landwirtschaftsbetriebe optimal darin unterstützt werden, damit sie die Möglichkeiten hin zu einer verfassungsgemässen, das heisst ressourceneffizienteren, wirtschaftlicheren, standortgerechteren und umweltfreundlicheren Landwirtschaft auch tatsächlich nutzen können? Vision Landwirtschaft will dazu einen Beitrag leisten und sucht mit Partnerorganisationen nach pragmatischen Wegen, um Landwirtschaftsbetriebe umfassend gesamtbetrieblich unterstützen zu können. Die ersten Resultate sind vielversprechend. 

Wermutstropfen GMF

Auch wenn erst vereinzelte Übersichtsdaten vorliegen – einige Wermutstropfen des neuen Systems sind dennoch nicht zu übersehen. Der bitterste betrifft zweifellos das neue Programm der "Graslandbasierten Milch- und Fleischproduktion" (GMF). Gemäss Meldung des Bundesamtes für Landwirtschaft haben sich 70% der Landwirte beim GMF-Programm angemeldet – in Grünlandgebieten die grosse Mehrheit der Betriebe. Im Kanton Graubünden sind es gemäss einer Schätzung gar gegen 100%. Damit ist das eingetroffen, was Vision Landwirtschaft prognostiziert hat: Das GMF-Programm ist derart verwässert worden, dass es zu einem JeKaMi ("jeder kann mitmachen") degeneriert ist. Als verkappten Tierhalterbeitrag steht es heute praktisch allen Betrieben mit Raufutterverzehrern offen. Mit graslandbasiert hat es wenig am Hut. Doch wenn alle scheinbar gewinnen, verlieren die, die tatsächlich eine Leistung erbringen. Denn für sie fehlt das Geld, das bereits giesskannenmässig verteilt ist. 

Verlierer Mutterkuhhalter

Die grossen Verlierer dieses Spiels dürften im Falle des GMF-Beitrages neben Milchproduzenten mit wenig oder keinem Kraftfuttereinsatz vor allem die Mutterkuhhalter sein. Sie füttern naturgemäss wenig Kraftfutter und wären prädestiniert gewesen für dieses Programm. Bei den Mutterkuhbetrieben kommt erschwerend dazu, dass sie aus verschiedenen Gründen mehr Probleme haben, allfällige Direktzahlungsverluste zu kompensieren – dies, obwohl viele hohe ökologische Leistungen erbringen. Mit einem GMF-Beitrag, welcher diesen Namen verdient und der wie ursprünglich in der parlamentarischen Debatte noch versprochen auch attraktive Prämien geboten hätte, wäre ein Ausgleich für die Mutterkuhhalter möglich gewesen. Nun müssen diese Betriebe den von 300 auf 200 Fr./ha reduzierten GMF-Beitrag mit dem Grossteil der Tierhalter teilen, die ihre Tiere deutlich weniger "graslandbasiert" füttern. Vision Landwirtschaft will mit Unterstützung tatsächlich graslandbasierter Produzenten erreichen, dass dieses Programm in der ursprünglich angedachten Form doch noch zum Leben erweckt wird – mit Anforderungen, die dem Wort "graslandbasiert" tatsächlich entsprechen, und mit Beiträgen, die diese Leistung angemessen und attraktiv entschädigen. 

In die richtige Richtung

Trotz einiger Wermutstropfen gehen die Anreize mehrheitlich in die vom Landwirtschaftsartikel in der Bundesverfassung vorgegebene Richtung und das neue Direktzahlungssystem scheint bei der grossen Mehrheit der Bauern anzukommen. Die Agrarallianz, welche bäuerliche Organisationen sowie die Konsumenten-, Umwelt- und Tierschutzorganisationen vertritt, spricht sich deshalb für Kontinuität in der Landwirtschaftspolitik der nächsten acht Jahre aus. Diese Haltung unterstützt auch Vision Landwirtschaft. "Die Bäuerinnen und Bauern soll man jetzt arbeiten lassen. Das schafft Vertrauen. Ohne Vertrauen sowie verlässliche Rahmenbedingungen lässt sich die Zukunft nicht gestalten. Korrekturen der geltenden Gesetzesgrundlagen sind nur glaubwürdig, wenn die Erfahrungen mit dem weiterentwickelten Direktzahlungssystem umfassend und transparent ausgewertet werden", schreibt die Agrarallianz in ihrer Medienmitteilung. 

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